ENNIO MORRICONE RAKHSHAN BANIETEMAD Unverschleiert COLLECTION ON SCREEN Kurosawa Akira AMOS-VOGEL-ATLAS KAPITEL 7 Fortbestand - JÄNNER BIS 3 ...

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ENNIO MORRICONE RAKHSHAN BANIETEMAD Unverschleiert COLLECTION ON SCREEN Kurosawa Akira AMOS-VOGEL-ATLAS KAPITEL 7 Fortbestand - JÄNNER BIS 3 ...
13. JÄNNER BIS 3. MÄRZ 2022
ENNIO MORRICONE
RAKHSHAN BANIETEMAD Unverschleiert
COLLECTION ON SCREEN Kurosawa Akira
AMOS-VOGEL-ATLAS KAPITEL 7 Fortbestand

www.filmmuseum.at
ENNIO MORRICONE RAKHSHAN BANIETEMAD Unverschleiert COLLECTION ON SCREEN Kurosawa Akira AMOS-VOGEL-ATLAS KAPITEL 7 Fortbestand - JÄNNER BIS 3 ...
ENNIO MORRICONE RAKHSHAN BANIETEMAD Unverschleiert COLLECTION ON SCREEN Kurosawa Akira AMOS-VOGEL-ATLAS KAPITEL 7 Fortbestand - JÄNNER BIS 3 ...
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      Willkommen im
      Österreichischen Filmmuseum
      Das auf den folgenden Seiten vorgestellte Programm wurde von uns
      in der Hoffnung zusammengestellt, dass Kinovorstellungen und
      Präsentationen auch im Jänner und Februar 2022 möglich sein wer-
      den. Auch wenn sich das im Laufe der kommenden Wochen ändern
      sollte und wir den Spielbetrieb vielleicht temporär einstellen müssen,
      werden wir versuchen, den am Ende des Programmhefts angeführ-
      ten Spielplan aufrecht zu halten, sofern unser Kino geöffnet ist.
         Informationen zu Programm, Spielzeiten, Gästen und Maßnahmen
      erhalten Sie aber in jedem Falle tagesaktuell auf unserer Website.
         Ich hoffe auf viele gemeinsame Kinoerlebnisse im Jänner und
      Februar!
                                                     Ihr Michael Loebenstein

      Screenings in English or with English subtitles
      are marked with this symbol ★

      INHALT
      Allgemeine Informationen 2
      Ennio Morricone 3
      Unverschleiert Die Filme von Rakhshan Banietemad 26
      Collection on Screen Kurosawa Akira 38
      In memoriam Gerhard Jagschitz Buchpräsentation 45
      Treibgut Zeigen als pädagogische Ur-Geste. Die Praktiken des Lehrfilms 46
      All the Soundtracks Dirk Schaefer und Peter Tscherkassky 47
      Dear Darkness Filmpremiere und Konzert 48
      Amos-Vogel-Atlas Kapitel 7 Fortbestand 49
      Zyklisches Programm. Was ist Film 31–44 52
      Schule im Kino 56
      Spielplan. Alle Filme von 13. Jänner bis 3. März 2022 58
      Dank/Impressum 64
      Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge
      ihrer Programmierung geordnet.
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ALLGEMEINE INFORMATIONEN

SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1
TICKETS
Kassa: geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung
Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro
Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro bzw. 3 Euro für regelmäßige Programme
(Was ist Film, Collection on Screen, Amos-Vogel-Atlas, Treibgut)
Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro
Einzelkarte ohne Mitgliedschaft: 10,50 Euro
Jahresmitgliedschaft: 15 Euro
Jahrespartnermitgliedschaft: 25 Euro
Fördernde Mitgliedschaft: ab 70 Euro
Fördernde Partnermitgliedschaft: ab 120 Euro
Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft finden Sie auf Seite 63.
und auf unserer Website www.filmmuseum.at.
RESERVIERUNGEN T 01/533 70 54 oder www.filmmuseum.at
NEU: KAUFEN SIE IHRE TICKETS ONLINE
Sie können Tickets für Vorstellungen im Filmmuseum, Mitgliedschaften und Zehnerblöcke auch
online und ohne Wartezeiten kaufen.
Häufig gestellte Fragen zum Online-Ticketing finden Sie hier: www.filmmuseum.at/faq
BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 2, 1. Stock
Bibliothek: Benutzung nur mit Voranmeldung: e.streit@filmmuseum.at;
Katalog online unter: www.filmmuseum.at/bibliothek/online-recherche
Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail office@filmmuseum.at
FILMBAR IM FILMMUSEUM Aktuelle Öffnungszeiten entnehmen Sie bitte unserer Website
www.filmmuseum.at/besuch/filmbar
Häufig gestellte Fragen zu den Corona-Maßnahmen finden Sie hier:
www.filmmuseum.at/besuch/covid-19_massnahmen_faq

ABKÜRZUNGEN
R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller*innen
UT Untertitel ZT Zwischentitel
• Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles
FILMTEXTE VON
Tara Najd Ahmadi, Esther Buss, Tobias Hering, Christoph Huber, Olaf Möller,
Andrea Pollach, Harry Tomicek

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13. JÄNNER BIS 3. MÄRZ 2022

Ennio Morricone

Zum Jahresauftakt würdigt das Filmmuseum den berühmtesten Film-       Exorcist II:
komponisten – wenn nicht überhaupt den berühmtesten Komponis-         The Heretic
                                                                      (1977, John
ten – des 20. Jahrhunderts. Der Römer Ennio Morricone (1928–2020)     Boorman)
hat alleine fürs Kino über ein halbes Jahrhundert hinweg 500 Sound-
tracks produziert und war auch sonst vielfältig musikalisch tätig.
Seine Schaffensfreude tat seinem Einfallsreichtum keinen Abbruch,
vielmehr gelang Morricone der Spagat, so populär wie innovativ zu
wirken: Selbst Menschen, die nie die dazugehörigen Filme gesehen
haben, kennen viele seiner berühmtesten Melodien. Zugleich hat er
stärker als andere Komponist*innen die Filme entscheidend mitge-
prägt, und sei es nur durch die Wiedererkennbarkeit des Morricone-
Klangs, zu dessen Markenzeichen sowohl minimalistische Ohrwurm-
Harmonien wie gelegentliche einprägsame Dissonanzen gehören.

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                  3
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Das Musterbeispiel sind wohl die Kompositionen für jene Filme,
die Morricone ebenso wie Regisseur Sergio Leone (und Hauptdar-
steller Clint Eastwood) schlagartig berühmt machten: die bahnbre-
chende »Dollar-Trilogie« von Italowestern-Superhits – Per un pugno
di dollari / A Fistful of Dollars (1964), Per qualche dollaro in più / For a
Few Dollars More (1965) und Il buono, il brutto, il cattivo / The Good,
the Bad and the Ugly (1966). So wie Leones barocke, amoralische und
sardonische (Re-)Vision alle Regeln des klassischen Western über den
Haufen warf, sprengte Morricones revolutionärer Sound die Vorstel-
lungen von herkömmlicher Filmmusik auf. Seine Fusion von eingängi-
gen Akkorden und mitsingbaren Melodien mit verblüffenden Instru-
mentierungen – E-Gitarren und Maultrommel, Pfiffe und Schreie,
Trompeten, Schüsse und Peitschenhiebe – schlug buchstäblich ein
wie eine Bombe.
    Ebenso revolutionär war dabei das Zusammenspiel mit Leones sti-
lisierten Schnittfolgen, deren Epik Morricones Musik den Raum zur
Entfaltung ließ, was Steigerungen von bis dahin ungeahnter Inten-
sität möglich machte. Leone verglich die Beziehung mit einer Ehe
und ließ die Scores bald von Morricone größtenteils vorkomponie-
ren, um beim Dreh seine mise-en-scène im Rhythmus der Musik zu
gestalten: eine Art schöpferischer unio mystica, die in den audio-
visuellen Apotheosen des Über-Westerns C’era una volta il West /
Once Upon a Time in the West (1968) kulminierte.
    Nach Brotberufs-Jahren als Jazz-Trompeter sowie zusehends
erfolgreicher Arrangeur und Komponist von Radio-Hits kam für
Morricone mit dem Italowestern-Boom der endgültige Durchbruch
als Filmmusiker. Er schrieb für viele Klassiker des Subgenres legen-
däre Musik, haderte aber dann mit der ihm lange anhaftenden Be-
zeichnung »Westernkomponist« und verweigerte die Rückkehr ins
Fach: Am Ende seiner Karriere rechnete er gerne vor, dass Western
nur acht Prozent seiner Filmografie ausmachten. Die stupende Viel-
seitigkeit – ästhetisch, geografisch, inhaltlich und kompositorisch –
lässt das Phänomen Morricone noch beeindruckender erscheinen.
Seine spezielle Note ist von bestimmten Filmen und ganzen Genres
nicht wegzudenken, in Italien ebenso wie später in Frankreich oder
Hollywood: von Welterfolgen zu (oft unverdienten) Flops, von hoher
Kunst zum Billig-Reißer – der Morricone-Stempel sorgt für die unver-
kennbare Prägung.
    Angesichts von Morricones gewaltigem Schaffen kann selbst un-

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PARK CIRCUS/PARAMOUNT

                        sere große Auswahl nur versuchen, einige der wichtigsten Punkte und C’era una volta
                        Entwicklungen seiner Karriere vorzustellen. Die Bandbreite reicht von il West (1968,
                                                                                              Sergio Leone)
                        Morricones Anfängen im Komödienfach, begonnen durch die frucht-
                        bare Zusammenarbeit – zunächst übrigens beim Theater – mit dem
                        Ausnahmeregisseur Luciano Salce, bis zur späten Rückkehr ins Wes-
                        tern-Genre für seinen Bewunderer Quentin Tarantino mit The Hateful
                        Eight (2015), was Morricone am Ende der Laufbahn seinen einzigen
                        regulären Academy Award eintrug, nachdem er trotz seiner unver-
                        gleichlichen Erfolge auch in Übersee 2007 mit dem Ehren-Oscar
                        abgespeist worden war.
                           Morricone selbst sah Tarantinos Film weniger als Western denn als
                        Kammerspiel, in dem die Spannung zwischen den Figuren konstant
                        ansteigt: Wie beim Schach, das neben der Musik Morricones große
                        Leidenschaft war und in dessen »mathematischen« Harmonien und
                        intuitiven »Regelbrüchen« er eine Verwandtschaft zu seinen kompo-
                        sitorischen Zugängen spürte, die sich so stets wandelten und erneu-
                        erten. Unsere Retrospektive präsentiert eine Auswahl der spannend-
                        sten künstlerischen Kollaborationen Morricones.

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FILMARCHIV AUSTRIA

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                                                                                                                   (1982, John
                                                                                                                   Carpenter)

                         Das umfasst die gefeierte Zusammenarbeit mit Regisseuren wie
                     Leone und Elio Petri – dessen Un tranquillo posto di campagna (Das
                     verfluchte Haus, 1968) daran erinnert, dass Morricone nebenbei auch
                     ein großer Komponist der Avantgarde war, insbesondere mit dem
                     überragenden Improvisations-Ensemble Gruppo di Improvvisazione
                     Nuova Consonanza – ebenso wie andere langjährige und intensive
                     Arbeitsbeziehungen, etwa mit Pier Paolo Pasolini, Bernardo Bertolucci
                     und vor allem Mauro Bolognini. Aber auch Morricones internationale
                     Seite wird ausgiebig gewürdigt, vom französischen Thriller wie
                     I… comme Icare (I wie Ikarus, 1979) zu seinen späteren außergewöhn-
                     lichen Hollywood-Ausflügen mit John Carpenter (The Thing, 1982) oder
                     Brian De Palma (Casualties of War, 1989). Immer wieder sind dabei
                     neue Tonlagen und Ansätze dazugekommen, doch die Handschrift ist
                     einzigartig geblieben und hat Morricone seinen so einfachen wie er-
                     habenen Spitznamen eingetragen: il maestro. (Christoph Huber)
                     In Kooperation mit dem Filmarchiv Austria präsentieren wir zusätzlich ein Morricone-
                     Double-Feature mit deutschen Synchronfassungs-Kopien von beiden Institutionen:
                     Im Metro Kinokulturhaus (Johannesgasse 4, 1010 Wien) laufen am 11.2. um 19.45 Uhr in
                     der »Wild Friday Night« der französische Polit-Thriller L’attentat (Das Attentat, 1972) von
                     Yves Boisset und der Italo-Western Il mercenario (Mercenario – Der Gefürchtete, 1968)
                     von Sergio Corbucci.

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Per un pugno di dollari / A Fistful of Dollars
R: Sergio Leone B: Sergio Leone, Víctor Andrés Catena, Jaime Comas Gil
nach Yōjimbō von Kurosawa Akira K: Massimo Dallamano, Federico G. Larraya
S: Roberto Cinquini, Alfonso Santacana M: Ennio Morricone D: Clint Eastwood,
Marianne Koch, Gian Maria Volontè, Sieghardt Rupp, Harry Dean Stanton.
IT/ES/BRD, 1964, 35mm, Farbe, 96 min. Englisch ★
Der Beginn des Western all’italiana: eine Ausrottungsballade in Form           DONNERSTAG
ausufernder barocker Voluten. Der Mann ohne Namen kommt in die                 13.1. / 18.30
Stadt, die nicht so genannt zu werden verdient und beherrscht wird
von zwei verkommenen Sippen. Der straniero indes ist noch um eini-             FREITAG
ges ruchloser als sie. Da er absolut käuflich ist, ist er absolut unkäuf-       4.2. / 21.00
lich; da er niemand ist, vermag er alles zu sein, auch der Exekutor und
Vernichtungsengel der vorgefundenen Welt: eine nihilistische Licht-
gestalt. Statt eines Western dessen Abstraktion: ein Skelett in apoka-
lyptischer Wüste. Das Glaubensbekenntnis des Kapitals als Travestie
des katholischen Credos. Wie Jesus nach Jerusalem kommt Gringo
Joe auf einem Maulesel nach San Miguel geritten. Er wird gefoltert,
fast gekreuzigt und ersteht am dritten Tage in Schwaden von Pulver-
dampf wieder von den Toten auf, wozu die Trompeten und Maul-
trommeln Ennio Morricones blasphemisch Dies irae schmettern oder
schnarren. (H. T.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                            7
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DEUTSCHE KINEMATHEK

                      Per qualche dollaro in più / For a Few Dollars More
                      R: Sergio Leone B: Sergio Leone, Luciano Vincenzoni, Fulvio Morsella K: Massimo
                      Dallamano S: Eugenio Alabiso, Giorgio Serrallonga M: Ennio Morricone
                      D: Clint Eastwood, Lee Van Cleef, Gian Maria Volontè, Mara Krupp, Klaus Kinski.
                      IT/ES/BRD, 1965, 35mm, Farbe, 130 min. Englisch ★
                      Sergio Leone oder 20 Arten, John Ford zu Grabe zu tragen: dem Wes-                DONNERSTAG
                      tern so gründlich und feist den Boden des Westens mitsamt Mythos                  13.1. / 21.00
                      zu entziehen, dass einzig, aber circensisch das Kino überlebt. Once
                      upon a time: the cinema. Van Cleef und Eastwood treten als bounty                 SAMSTAG
                      killer mit ausgelöschten Mienen gegen eine Horde rhetorisch wie                   5.2. / 21.00
                      grausam agierender Tötungsharlekine mit Sombreros und natürlich
                      auch, gravitätisch, gegen sich selbst an – in entweihten Kirchen, kreis-
                      runden Arenen und schneeweißen »mexikanischen« Dörfern, die mit
                      überbordenden Leichenkarren und Kalkmauern an antike Theater-
                      kulissen gemahnen. Eine makabre Perlenschnur zerdehnter »großer
                      Augenblicke«, untermalt von pfeifenden Lippen, klingenden Glocken,
                      eunuchischen Chören und einem wollüstig belfernden Gebell der
                      Schüsse. Leones Kunst besteht in der Beschwörung dieser niemals
                      schnell, sondern immer lechzend verzögert herbeigeführten Augen-
                      blicke. In solchen Momenten zerbricht Leone den visuellen Kanon des
                      US-Western endgültig. (H. T.)

                      JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                               8
Teorema (Geometrie der Liebe)
R, B: Pier Paolo Pasolini nach seinem Roman K: Giuseppe Ruzzolini S: Nino Baragli
M: Ennio Morricone D: Terence Stamp, Silvana Mangano, Massimo Girotti,
Ninetto Davoli. IT, 1968, 35mm, Farbe und sw, 98 min. Italienisch mit dt. UT*
DAVOR (NUR AM 26.1.): Appunti per un film sull’India (Notizen zu
einem Film über Indien) Ein Film von Pier Paolo Pasolini K: Federico Zanni,
Roberto Nappa. IT, 1968, 16mm, sw, 34 min. Italienisch mit dt. UT
Teorema ist trotz seiner klaren Struktur einer der rätselhaftesten                  FREITAG
Filme Pasolinis. Stumme Totalen auf fünf Menschen, die in der Stadt-                14.1. / 18.30
szenerie Mailands und im Dekor einer großbürgerlichen Wohnung
seltsam verloren erscheinen, wechseln mit gedichtartigen Mono-                      MITTWOCH
logen und Bildern einer Wüstenlandschaft. Das Auftauchen eines                      26.1. / 21.00
Fremden, Sendboten der anderen Welt, halb sanfter Dämon, halb
libidinöser Engel, lässt das anfängliche Schwarzweiß in Farbe um-                   * Courtesy
schlagen und ruft radikale Veränderungen bei allen Charakteren                      Cineteca
                                                                                    Nazionale
hervor. Als gälte es, ein Experiment durchzuführen, gliedert Pasolini
Teorema streng in drei Teile: Vorbereitung, Versuch, Beobachtung
der Reaktion. Aber der Versuch ist eine poetische Fiktion, die Fiktion
der Einbruch des Göttlichen und dieses eine erotische Erleuchtung,
die die Protagonist*innen in Verwirrung oder nackte Verzweiflung
versetzt. »Die Menschen bleiben auf sich selbst zurückgeworfen«, sagt
Pasolini. »Die Bourgeoisie hat den Sinn fürs Sakrale verloren.« (H. T.)
    Bei Appunti per un film sull’India konfrontiert Pier Paolo Pasolini
auf einer Reise durch den Subkontinent einen merklich zur unteren
Hälfte hin verschobenen Querschnitt der Gesellschaft mit einem
Mythos: dem vom Tiger, der
sich einem Verhungernden zum
Fraß hingab. Betörend ist hier,
wieder einmal, Pasolinis unge-
heurer Charme, wenn er sich
den Menschen nähert. (O. M.)

                              Teorema
            (1968, Pier Paolo Pasolini)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                 9
Il buono, il brutto, il cattivo /
The Good, the Bad and the Ugly
R: Sergio Leone B: Sergio Leone, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Luciano
Vincenzoni K: Tonino Delli Colli S: Eugenio Alabiso, Nino Baragli M: Ennio
Morricone D: Eli Wallach, Clint Eastwood, Lee Van Cleef, Aldo Giuffrè, Luigi Pistilli.
IT/ES/BRD, 1966, 35mm, Farbe, 179 min. Englisch ★
Der perfekte Schlussteil der Leone-Trilogie: The Good, the Bad and the                   FREITAG
Ugly empfiehlt sich als barockes Bankett von Exzessen, als Burleske                       14.1. / 20.30
über Gemetzel, Folter und Tod und als Amoklauf der Gegensätze.
Statt dem ruhigen Rhythmus klassischer Western: das Bombardement                         SAMSTAG
des Hastigen durch das Gedehnteste. Statt weiten Räumen und Tota-                        19.2. / 17.30
len: das Stakkato von long shots und close-ups, in dem Horizont und
Bartstoppel unvermittelt aneinander geraten. Die Zooms röhren, die
Kuleshov-Montage knirscht, die Großaufnahmen malträtieren das
Auge, und Maestro Leone wütet als Herkules der Regie und kinemato-
graphischer Michelangelo. Keine karge Speise, sondern pervers geile
Opern-Spaghetti mit Speck, panna und tomatenrotem Blut, begleitet
von celestisch synthetischer Morricone-Musik und Tänzen von dem
Grabe entgegentorkelnden Marionetten. (H. T.)

Once Upon a Time in America
R: Sergio Leone B: Sergio Leone, Leonardo Benvenuti, Piero De Bernardi, Enrico
Medioli, Franco Arcalli, Franco Ferrini nach dem Roman The Hoods von Harry Grey
K: Tonino Delli Colli S: Nino Baragli M: Ennio Morricone D: Robert De Niro,
James Woods, Elizabeth McGovern, Tuesday Weld, Joe Pesci, Danny Aiello.
US/IT, 1984, DCP (von 35mm), Farbe, 251 min (Extended Cut). Englisch ★
Eine die Tresors der Kinomythen schöpferisch plündernde Gangster- SAMSTAG
oper mit DaCapo-Anthologiearien, dem pathetischen Understate- 15.1. / 16.00
ment Mr. De Niros und der Musik Maestro Morricones. In Par-Force-
Manier galoppiert Leone durch sein Zeit-Puzzle und den Dschungel
der Versatzstücke: Big Apple, The Roaring Twenties, Angels with Dirty
Faces, das Emigranten-Getto der Lower East Side, Bars, Bordelle,
Luxushotels in Miami, Jazzlokale in New York, Prohibition, Rise and
Fall, das Destruktive am American Dream in Rattern und Rot, MP-Salve
und Blutbad – fünfzig Jahre Amerika, ein grausames Märchen, ein
Nationalepos im Sog großer italienischer Kameraaugenblicke. (H. T.)
Der Extended Cut wurde 2012 mit Martin Scorseses The Film Foundation gemäß Sergio
Leones ursprünglichen Intentionen restauriert und enthält 21 Minuten Material mehr als
die bis dato längste Schnittfassung.

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                      10
PARK CIRCUS/DISNEY

                                                                                                       Once Upon a
                                                                                                       Time in America
                                                                                                       (1984, Sergio
                                                                                                       Leone)

                     C’era una volta il West /
                     Once Upon a Time in the West
                     R: Sergio Leone B: Sergio Leone, Dario Argento, Bernardo Bertolucci, Sergio
                     Donati K: Tonino Delli Colli S: Nino Baragli M: Ennio Morricone D: Henry Fonda,
                     Claudia Cardinale, Jason Robards, Charles Bronson, Gabriele Ferzetti, Paolo
                     Stoppa, Woody Strode, Jack Elam. IT/US, 1968, DCP (von 35mm), Farbe, 166 min.
                     Englisch ★
                     Kein Western, sondern ein Traum von diesem – und der Traum eines                  SAMSTAG
                     Europäers von Amerika, das nicht nur vermessbares Land, sondern                   15.1. / 21.00
                     ein Traum vom Unermesslichen ist. Und natürlich auch dies: die Kor-
                     rumpierung, Zerstörung des Traums – Paradise Lost. Lange, lang-                   SAMSTAG
                     same Abschiede. Noch einmal: die Wüste. Das Monument Valley. Das                  12.2. / 17.30
                     weite Land. Der große Himmel. Einmal noch: der Blick auf Jason
                     Robards’ unendliche Müdigkeit, wenn ihm Claudia Cardinale die
                     letzte Tasse Kaffee seines verrinnenden Lebens serviert. Das letzte
                     Mal das Rauschen des Pazifiks, und sei es nichts als die Summe der
                     unerfüllten Wünsche im Moment des Sterbens. Nochmals: die Weh-
                     mut und der Stolz in Henry Fondas kalten, blauen Augen. Einmal
                     noch: die Hochzeitstafel vor dem Haus und die rotkarierten Tisch-
                     tücher, die sich im Wind heben. Ein Film finaler Augenblicke, die sich
                     gleichsam endlos zu dehnen versuchen, als wollten sie sich mit aller
                     Macht gegen die Zeit und das Verlöschen behaupten. (H. T.)

                     JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                               11
La battaglia di Algeri (Die Schlacht von Algier)
R: Gillo Pontecorvo B: Gillo Pontecorvo, Franco Solinas K: Marcello Gatti
S: Mario Serandrei, Mario Morra M: Ennio Morricone, Gillo Pontecorvo
D: Brahim Haggiag, Jean Martin, Yacef Saadi, Mohammed Ben Kassen, Ugo Paletti.
DZ/IT, 1966, 35mm, sw, 121 min. Arabisch, Englisch, Französisch mit engl. UT ★
Einer der packendsten Filme zur Revolution: Die algerische Unter-                MONTAG
grund-Guerilla und das Militär der französischen Kolonialherren                  17.1. / 18.30
kämpfen um die Kasbah. Von Gillo Pontecorvo virtuos und im Stil
dokumentarischer Wochenschauberichte inszeniert: Das körnige,                    SAMSTAG
kontrastreiche Schwarzweiß, der Taumel der Handkamera, die mut-                  12.2. / 21.00
willig gesetzten Jump Cuts, die regelmäßigen Unschärfen vermitteln
den überwältigenden Eindruck von Authentizität – mitten im Brenn-                Courtesy
punkt, bei eskalierender Gewalt, zwischen Terroranschlägen und                   Istituto Luce –
                                                                                 Cinecittà srl
Vergeltungsakten, Folter und Panik. Trotz seiner Unmittelbarkeit und
aufrührerischen Leidenschaft ein erstaunlich ausbalancierter Film –
weder die Franzosen noch die algerischen Bombenleger werden als
Schurken gezeichnet – und aktuell genug, um 2003 im Pentagon (in
durchaus fragwürdigem Kontext) als »beispielhaftes« Werk auf -
geführt zu werden: Wie man eine Schlacht gegen »den Terrorismus«
gewinnt und den Krieg der Ideen verliert. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                              12
I… comme Icare (I wie Ikarus)
R: Henri Verneuil B: Henri Verneuil, Didier Decoin K: Jean-Louis Picavet
S: Henri Lanoë M: Ennio Morricone D: Yves Montand, Michel Albertini,
Roland Amstutz, Jean-Pierre Bagot, Brigitte Lahaie. F, 1979, 35mm, Farbe, 120 min.
Französisch mit dt. UT
Generalstaatsanwalt Volney ist nicht von dem Schriftsatz überzeugt,                  MONTAG
dessen Ausführungen er durch seine Unterschrift mit verantworten                     17.1. / 21.00
soll. Er glaubt nämlich nicht, dass der Vorgänger des amtierenden
Staatspräsidenten von einem Einzeltäter ermordet wurde. So wie er                    MITTWOCH
sich fast vollkommen sicher ist, dass die Kommission, die mit der                    16.2. / 18.30
Untersuchung dieser Tat betraut wurde, wenig anderes ist als ein
Mummenschanz. Die Ermittlungen werden fortgeführt. Kennedy,                          Courtesy
Milgram, Gladio: In I … comme Icare kommt zusammen, was zu-                          Cinémathèque
                                                                                     suisse
sammengehört. Der Polit-Thriller hat einen vorläufigen Endpunkt
erreicht – dichter und abstrakter als in diesem Wimmelgemälde der
paranoiden Phantasien geht’s kaum noch. I … comme Icare ist der
modernistische head trip eines Thriller-Politologen nach allzu ausgie-
biger Versenkung in Hieronymus Boschs Garten der Lüste. (O. M.)

La cuccagna (Das Schlaraffenland)
R: Luciano Salce B: Luciano Vincenzoni, Luciano Salce K: Erico Menczer
S: Roberto Cinquini M: Ennio Morricone, Fabrizio De André D: Donatella Turri,
Luigi Tenco, Umberto D’Orsi, Liù Bosisio, Jimmy il Fenomeno.
IT, 1962, 35mm, sw, 109 min. Italienisch mit engl. UT ★
Nach dem Schulabschluss will Rosella am Wirtschaftswunder mit-                       MITTWOCH
schneiden, dessen Annehmlichkeiten ihre Durchschnittsfamilie täg-                    19.1. / 18.30
lich im Werbefernsehen sieht. Auf Arbeitssuche lernt sie aber die
Kehrseite des Konsumparadieses kennen: Hinter anständigen Fassa-                     DONNERSTAG
den lauern sexuelle Ausbeutung und skrupellose Profiteure. Bloß im                    17.2. / 18.30
jungen Giuliano findet Rosella einen Freund. Von der Welt enttäuscht,
suchen die beiden auf einem Truppenübungsplatz den Tod: ein sur-                     Courtesy
reales Manöver. Der geniale Schauspieler-Regisseur Luciano Salce                     Cineteca
                                                                                     Nazionale
gab seinem Freund Ennio Morricone die ersten Solo-Aufträge für
Soundtracks: »Von ihm lernte ich, dass man auch für unseriöse
Produktionen persönliche und gehaltvolle Werke schaffen konnte.«
La cuccagna ist bei aller satirischen Zuspitzung aber zutiefst seriös:
Die Gesellschaftskritik nimmt commedia-Sternstunden von Dino Risi
und De Sica vorweg, dazwischen blitzt die Melancholie auf wie bei
Pietrangeli und Antonioni. (C.H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                  13
I basilischi (Die Basilisken)
R, B: Lina Wertmüller K: Gianni Di Venanzo S: Ruggero Mastroianni M: Ennio
Morricone D: Antonio Petruzzi, Stefano Satta Flores, Sergio Ferrannino, Luigi
Barbieri, Flora Carabella. IT, 1963, 35mm, sw, 81 min. Italienisch mit dt. UT
Lina Wertmüller, im Dezember 2021 verstorben und erst 2019 mit einem            MITTWOCH
Ehrenoscar ausgezeichnet (schon 1975 war sie als erste Frau überhaupt           19.1. / 21.00
für einen Regie-Oscar nominiert), beschrieb ihre Regieassistenz bei
Federico Fellinis La dolce vita (1960) und Otto e mezzo (1963) immer als        MONTAG
Initialmoment für ihr eigenes Filmschaffen, nachdem sie vorher als Jour-        21.2. / 18.30
nalistin, Schauspielerin, Autorin und Theatermacherin gearbeitet hat.
Ihr erster Spielfilm I basilischi ist das noch vom Neorealismus inspirierte
Portrait einer verarmten Kleinstadt in Süditalien. Im Mittelpunkt drei
junge Männer, die durch ihre Stadt streunen, den Alltag und ihre Mit-
menschen kommentieren, den Frauen nachstellen und dabei von
einem anderen Leben träumen. Wertmüller zeichnet das melancholi-
sche Bild einer Gesellschaft, die in ihren Gegensätzen (arm/reich, jung/
alt, kommunistisch/faschistisch, patriarchal/emanzipatorisch) zu erstar-
ren droht, mit analytischem Witz und Empathie für ihre Figuren. (A. P.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                             14
Corri uomo corri (Lauf um dein Leben)
R: Sergio Sollima B: Sergio Sollima, Pompeo De Angelis K: Guglielmo Mancori
S: Tatiana Casini Morigi M: Bruno Nicolai, Ennio Morricone (ungenannt)
D: Tomás Milián, Donal O’Brien, Linda Veras, John Ireland, Chelo Alonso.
IT/FR, 1968, 35mm, Farbe, 120 min. Italienisch mit dt. UT
Bei Ennio Morricone und Italowestern denkt man erst an Sergio Leone                    DONNERSTAG
und Sergio Corbucci. Doch es ist der dritte Sergio im Bunde, Sollima,                  20.1. / 18.30
für den Morricone nicht nur ebenso eingängige und mitreißende
Spaghetti-Scores komponiert hat (hier aus Vertragsgründen unge-                        MITTWOCH
nannt), sondern der in seiner aufklärerischen Western-Trilogie (La resa                2.3. / 21.00
dei conti; Faccia a faccia; Corri uomo corri) das populäre politische                   • Einführung
Potential des Subgenres am stärksten ausreizte. Alle drei Western                      von Gregor
                                                                                       Holzinger (Italo-
haben neben der göttlichen Musik einen zweiten Eckpfeiler: Haupt-                      western-Experte)
darsteller ist der unvergleichliche Tomás Milián, idealbesetzt als schur-
kischer Tunichtgut, der im Lauf des jeweiligen Films über sich hinaus-
wächst und dabei die aufrührerische Sache voranbringt. Hier gerät
Milián auf den Spuren eines Goldschatzes in politische Auseinander-
setzungen – und Sollima orchestriert meisterhaft eine triumphale,
dabei ironische Post-Revolutionswestern-Variation aus dem Geiste des
burlesken Volksstücks. (C. H.)

Metello
R: Mauro Bolognini B: Luigi Bazzoni, Mauro Bolognini, Suso Cecchi d’Amico,
Ugo Pirro nach dem Roman von Vasco Pratolini K: Ennio Guarnieri S: Nino Baragli
M: Ennio Morricone D: Massimo Ranieri, Ottavia Piccolo, Frank Wolff, Tina Aumont,
Lucia Bosè, Pino Colizzi. IT, 1970, 35mm, Farbe, 107 min. Italienisch mit engl. UT ★
Ende des 19. Jahrhunderts kehrt der verwaiste Metello in seine Heimat-                 DONNERSTAG
stadt Florenz zurück, wo er als Maurer unterkommt. Die vorherrschen-                   20.1. / 21.00
den Ausbeutungsverhältnisse führen zum Klassenkampf: Metello lernt
durch einen Anarchisten lesen und Zusammenhänge begreifen, was                         MITTWOCH
ihn erstmals ins Gefängnis bringt. Er heiratet die Tochter eines bei Aus-              23.2. / 18.30
einandersetzungen mit der Polizei verstorbenen Kollegen und wird
zum Anführer der Arbeiterschaft, als der Generalstreik ausgerufen                      Courtesy
wird … Mauro Bologini zählt zu den unterschätzten Meistern des italie-                 Cineteca
                                                                                       Nazionale
nischen Kinos: Er ist klar und unversöhnlich in seiner sozialen Analyse
von links, beschreibt mit größtem Einfühlungsvermögen die Überlap-
pung des Politischen und des Privaten. Ein großes Historienstück über
Solidarität, beflügelt von den Melodien von Ennio Morricone, der für
Bolognini öfter komponierte als für jeden anderen. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                    15
Un tranquillo
                                                                                   posto di
                                                                                   campagna
                                                                                   (1968, Elio Petri)

Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto
(Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht
erhabenen Bürger)
R: Elio Petri B: Elio Petri, Ugo Pirro K: Luigi Kuveiller S: Ruggero Mastroianni
M: Ennio Morricone D: Gian Maria Volontè, Florinda Bolkan, Gianni Santuccio.
IT, 1970, 35mm, Farbe, 115 min. Italienisch mit engl. UT ★
Der kürzlich beförderte, politisch ultrarechte Leiter des Morddezer-               FREITAG
nats (eine Paraderolle für die linke Ikone Gian Maria Volontè) tötet               21.1. / 18.30
seine Geliebte (Florinda Bolkan) bei einem ihrer Sado-Maso-Sex-
spiele. Er hinterlässt dabei absichtlich Spuren, um zu demonstrieren,              MONTAG
dass er als Machtmensch unantastbar ist. Tatsächlich: Während die                  31.1. / 21.00
Beweise gegen den »Dottore« von seinen Untergebenen diensteifrig
beiseite gewischt werden, folgt man nur zu gern den Anweisungen,
prinzipiell verdächtige Linksradikale zu verhaften. Elio Petri gestaltet
das Polit-Thriller-Sujet mit zunehmend kühnen Stilisierungen als kaf-
kaesken Alptraum der anderen Art, kongenial untermalt von Ennio
Morricones minimalistischer Musik, deren grotesk-volkstümliches
Tango-Thema das Innenleben des perversen Protagonisten spiegelt:
arrogant, korrupt, neurotisch, schwer fassbar. Ein weltweiter Triumph
für das Triumvirat Petri-Morricone-Volontè. (C.H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                16
Un tranquillo posto di campagna (Das verfluchte Haus)
R: Elio Petri B: Elio Petri, Luciano Vincenzoni nach der Kurzgeschichte
The Beckoning Fair One von Oliver Onions K: Luigi Kuveiller S: Ruggero Mastroianni
M: Ennio Morricone D: Franco Nero, Vanessa Redgrave, Georges Géret.
IT, 1968, 35mm, Farbe, 106 min. Italienisch mit engl. UT ★
Leonardo Ferri braucht Ruhe, um seine Kunst zu schaffen. So zieht er                 FREITAG
aufs Land, in ein Haus, in dem während des Krieges eine Frau ermordet                21.1. / 21.00
wurde. Dort findet er aber auch nicht zu sich, wird immer nervöser,
unbeherrschter, unberechenbarer … Ein viel zu wenig bekanntes                        MONTAG
Hauptwerk Petris, der hier parallel zur Giallo-Genese die Stilmittel des             14.2. / 18.00
Subgenres in sein modernes Kinoprojekt einspannt – halb Schauer-                      • Michael
stück in krass atonalen Tönen, halb Sozialgroteske von zeitweise be-                 Loebenstein im
                                                                                     Gespräch mit
stürzender, melancholischer Art. Petri hält sowohl der vor Selbstrefe-               Judit Varga (Film-
renzialität erstarrten Kunstwelt als auch dem dumpfen Bürgertum                      komponistin und
einen Zerrspiegel vor. Der Erkenntnisgewinn ist enorm, das Vergnü-                   Professorin an
                                                                                     der Universität
gen heillos. (O. M.)                                                                 für Musik und
Courtesy Istituto Luce – Cinecittà srl                                               darstellende
                                                                                     Kunst Wien) über
Novecento                                                                            Ennio Morricones
                                                                                     Musik zum Film
R: Bernardo Bertolucci B: Franco Arcalli, Bernardo & Giuseppe Bertolucci
K: Vittorio Storaro S: Franco Arcalli M: Ennio Morricone D: Robert De Niro,
Gérard Depardieu, Dominique Sanda, Laura Betti, Sterling Hayden, Alida Valli,
Stefania Sandrelli, Donald Sutherland, Burt Lancaster. IT/FR/BRD, 1976,
35mm, Farbe, 316 min. Italienisch mit dt. UT
Bernardo Bertoluccis ambitioniertestes Werk: ein Epos über Italien                   SAMSTAG
von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg mit dem Sohn                      22.1. / 17.00
eines Großgrundbesitzers und demjenigen eines seiner Bauern als                      Der Film besteht
Stellvertretern von Reich und Arm. Die Entwicklung der lebenslangen                  aus zwei Teilen,
                                                                                     zwischen
Beziehung der beiden Jugendfreunde spiegelt die Geschichte. Ein                      denen es eine
zweiteiliges und erzwungenermaßen zwiespältiges Unternehmen:                         ca. 15-minütige
eine europäische Großproduktion mit marxistischer Tendenz, inter-                    Pause geben
                                                                                     wird.
nationaler Starbesetzung und Weltmarktambitionen. Bertolucci be-
treibt die Fusion von historischer Rückschau und großer Oper, erlesen
und sonnig fotografiert von Vittorio Storaro, üppig und verführerisch
in der Detailfülle der Tableaus von Festen, Protesten, Liebschaften,
Terror und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der Faschismus:
eine superbe Sadisten-Show von Schwarzhemd Donald Sutherland
und Gespielin Laura Betti. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                  17
Orca
R: Michael Anderson B: Luciano Vincenzoni, Sergio Donati K: Ted Moore S: Ralph
E. Winters, John Bloom, Marion Rothman M: Ennio Morricone D: Richard Harris,
Charlotte Rampling, Will Sampson, Bo Derek, Keenan Wynn, Robert Carradine.
US/NL/IT, 1977, 35mm, Farbe, 92 min. Englisch mit dt./frz. UT ★
Trotz Warnungen über die Gefährlichkeit des Unternehmens jagt                       MONTAG
Kapitän Nolan (Richard Harris) nach Schwertwalen. Als er dabei ver-                 24.1. / 18.30
sehentlich ein trächtiges Orca-Weibchen tötet, macht er sich das
Wal-Männchen zum unerbittlichen Feind. Nach mörderischen Wal-                       DONNERSTAG
Attacken auf Nolans heimatliches Fischerdorf sieht der sich gezwun-                 3.3. / 18.30
gen, dem Orca zur entscheidenden Konfrontation ins Eismeer zu fol-
gen … Eine Art Moby Dick im Rückwärtsgang, zweifellos konzipiert,
um im Gefolge des Spielberg-Hits Jaws abzusahnen, aber in den Hän-
den von Regieveteran Michael Anderson wird aus dem von sensatio-
nellen Exzessen gespickten Kampf zwischen dem getriebenen Wal
und seinem zögerlichen Ahab eine nachgerade philosophische Medi-
tation über Besessenheit und Natur und aus dem Tierhorrorfilm ein
ozeanischer Western – eine Assoziation, die Ennio Morricones atmos-
phärische Musik noch unterstreicht. (C. H.)

The Thing
R: John Carpenter B: Bill Lancaster nach Who Goes There? von John Wood Campbell
Jr. K: Dean Cundey S: Todd Ramsay M: Ennio Morricone D: Kurt Russell, Wilford
Brimley, T. K. Carter. US, 1982, 35mm, Farbe, 109 min. Englisch mit dt./frz. UT ★
Eine US-Forschungsstation in der Antarktis wird zum Schauplatz                      MONTAG
eines paranoiden Endspiels. Eine Katastrophe auf der benachbarten                   24.1. / 21.00
norwegischen Station überlebt nur ein Schlittenhund, doch im
Husky-Körper steckt ein außerirdischer Formwandler, der die Zellen                  FREITAG
anderer Lebewesen assimilieren und sie dann perfekt imitieren kann.                 18.2. / 18.30
Für die Gruppe schweigsamer Männer (einzige Frauenstimme: der                        • Einführung
Schachcomputer) steht ein verzweifelter Überlebenskampf bevor:                      von Christoph
                                                                                    Huber
Der größte Horror entsteht nicht durch die Konfrontationen mit dem
Monster, sondern durch die Ungewissheit, wer infiziert ist. Es geht um
                                                                                    Courtesy
die Frage nach dem Menschsein schlechthin: Lovecraft trifft Sartre so-              Cinémathèque
zusagen, von John Carpenter mit einer ökonomischen Meisterschaft                    suisse
umgesetzt, deren Präzision einen zusätzlich schauern lässt. Perfekt
choreografierte Bewegungen durch die Enge der Innenräume und
die tödliche Weite der eisigen Unendlichkeit, orchestriert zu unheim-
lichen Sounds von Ennio Morricone. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                 18
Days of Heaven
R, B: Terrence Malick K: Nestor Almendros S: Billy Weber M: Ennio Morricone
D: Richard Gere, Brooke Adams, Linda Manz, Sam Shepard, Robert J. Wilke.
US, 1978, 35mm, Farbe, 94 min. Englisch ★
Dave Kehr: »Eine Geschichte von Menschenleben, die vom Göttlichen             DONNERSTAG
berührt und übergangen werden, erzählt in einem Ansturm überwäl-              27.1. / 18.30
tigender und präziser Bilder.« Zweiter Malick-Film, zweiter Blick in ein
magisches Kinouniversum, dessen eigentliches Wesen knapp außer-               FREITAG
halb des menschlichen Fassungsvermögens zu liegen scheint: eine               28.1. / 21.00
mörderische ménage à trois vor dem Hintergrund der Depressions-
zeit und endloser Felder im amerikanischen Süden, getränkt in satte,          Courtesy
strahlende Farben im Licht der magic hour. Der Klarheit der atembe-           Slovenska
                                                                              kinoteka
raubend schönen Bilder gegenübergestellt: eine in enigmatischen
Ellipsen akkumulierte Handlung, kommentiert vom verführerischen,
aber nicht unbedingt vertrauenswürdigen drawl eines kleinen Mäd-
chens (der großen Linda Manz). Ein mystery thriller, im eigentlichen
Wortsinn: Erschauern im Angesicht der Geheimnisse der Welt, won-
nig fast. Tage des Himmels vor dem Tod. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                           19
CINÉMATHÈQUE SUISSE

                      Il deserto dei tartari (Die Tartarenwüste)
                      R: Valerio Zurlini B: André G. Brunelin, Valerio Zurlini nach dem Roman von Dino
                      Buzzati K: Luciano Tovoli S: Franco Arcalli, Raimondo Crociani M: Ennio Morricone
                      D: Vittorio Gassman, Jacques Perrin, Jean-Louis Trintignant, Philippe Noiret,
                      Giuliano Gemma, Fernando Rey, Max von Sydow. FR/IT/BRD, 1976, 35mm,
                      Farbe, 146 min. Italienisch mit engl. UT ★
                      An der fernsten Grenze eines im Kern mitteleuropäisch anmutenden                    SAMSTAG
                      Imperiums tun die Soldaten eines steinernen Forts ihren Dienst fürs                 29.1. / 21.00
                      Vaterland. Die Feste heißt Bastiani, liegt hinter einer karstigen Ödnis
                      und starrt hinaus auf eine Wüste, wie man sie eher in Westasien oder                SAMSTAG
                      Landstrichen Afrikas findet. Jenseits der Sandweiten, die wirken wie                 26.2. / 21.00
                      das Ende der Welt, leben angeblich die Tartaren. Und eines Tages, so
                      wissen die Männer von Bastiani, werden sie wiederkehren und das Im-                 Courtesy
                      perium angreifen. So starren sie über die Steine hinweg in die grell                Istituto Luce –
                                                                                                          Cinecittà srl
                      schimmernde Endlosigkeit, erfüllt von der Hoffnung, dass die Tartaren
                      kommen und so ihre kollektive Existenz, Generationen von Bereiten,
                      rechtfertigen werden – die Lebenden wie die Toten. Ein weiterer Film
                      über das Warten, Ausharren, über das Dienen, die Selbstaufgabe, die
                      Liebe schließlich, der noch gewaltiger ist als alles, was Zurlini zuvor ge-
                      schaffen hat. Eines der Hauptwerke des Nachkriegskinos. (O. M.)

                      JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                                 20
Frantic
R: Roman Polanski B: Roman Polanski, Gérard Brach K: Witold Sobocinski
S: Sam O’Steen M: Ennio Morricone D: Harrison Ford, Betty Buckley, Emmanuelle
Seigner, John Mahoney, Alexandra Stewart. FR/US, 1988, 35mm, Farbe, 120 min.
Englisch ★
Richard und Sondra Walker reisen zu einem Kongress nach Paris. Im MITTWOCH
Hotel stellen sie fest, dass man ihnen am Flughafen einen falschen Kof- 2.2. / 21.00
fer gegeben hat. Kurz darauf ist Sondra verschwunden. Augenzeugen
berichten, dass man sie in einen Wagen gezerrt habe, während weder
die lokale Polizei noch das US-Botschaftspersonal allzu großen Eifer
bei der Aufklärung des doch sehr offensichtlichen Entführungsfalls an
den Tag legen. An American in Paris für Paranoiker und andere Radi-
kal-Realisten: Roman Polanski zeigt sich von seiner besten Regieprofi-
Seite und zockt eine eigentlich etwas hanebüchene Verschwörungs-
plotte so lakonisch-lässig, dabei immer konzentriert und klug herun-
ter, dass man am Ende durch einen surrealistischen Alb wandelt, ohne
jemals die Genre-Bodenhaftung verloren zu haben. (O. M.)

Exorcist II: The Heretic
R: John Boorman B: William Goodhart K: William Fraker S: Tom Priestley M: Ennio
Morricone D: Linda Blair, Richard Burton, Louise Fletcher, Max von Sydow, Kitty
Winn, Paul Henreid. US, 1977, 35mm, Farbe, 117 min. Englisch mit dt./frz. UT ★
Vier Jahre nach den Ereignissen von The Exorcist therapiert eine Psy-             DONNERSTAG
chiaterin das vormals vom Teufel besessene Mädchen mit Hypnose-                   3.2. / 21.00
Experimenten und Alptraumstudien. Ein Priester (Richard Burton)
folgt indessen den Spuren des Dämons nach Afrika und macht seine                  MONTAG
eigenen Trance-Erfahrungen. Als Fortsetzung zu William Friedkins                  28.2. / 18.30
Horror-Hit war John Boormans deklarierter »metaphysischer Thriller«                • Einführung
ein empfindlicher Flop und wurde sogar als einer »der schlechtesten                von Christoph
                                                                                  Huber
Filme aller Zeiten« verhöhnt, weil er die Schockwirkung des Vorgän-
gers zugunsten eines visionären Trips aufgab. Längst haben Fürspre-
                                                                                  Courtesy
cher wie Martin Scorsese diese im Kern seriöse, dabei audiovisuell ab-            Cinémathèque
solut abenteuerliche Auseinandersetzung mit Glaubensfragen als                    suisse
Meilenstein der Kino-Phantastik rehabilitiert. Auch für Ennio Morri-
cone war Exorcist II: The Heretic nicht nur der erste große Hollywood-
Auftrag, sondern ein missverstandenes Hauptwerk, bei dem ihm
Boorman für einige seiner aufregendsten Soundtrack-Experimente
freie Hand ließ. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                               21
The Hateful Eight
R, B: Quentin Tarantino K: Robert Richardson S: Fred Raskin M: Ennio Morricone
D: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins,
Demián Bichir, Tim Roth, Michael Madsen, Bruce Dern, Dana Gourrier, Zoë Bell.
US, 2015, DCP (von 70mm), Farbe, 168 min. Englisch ★
Quentin Tarantinos achter Film verspricht großes 70mm-Western-                   MONTAG
Spektakel, das in weiten Schneelandschaften beginnt, um sich rasch               7.2. / 21.00
mit Vergnügen an perverser Erwartungsenttäuschung in ein dialog-
lastiges Kammerspiel mit Metzel-Coda zu verwandeln. Eine Postkut-                DONNERSTAG
sche mit einem Kopfgeldjäger, der eine Mörderin transportiert, sowie             3.3. / 21.00
zwei Bürgerkriegsveteranen aus Nord und Süd erreicht vor Ausbruch
eines Schneesturms eine Raststation, wo vier andere dubiose Gestal-
ten die titelgebenden abscheulichen Acht komplettieren. Sie ver-
dächtigen einander wie in einem Agatha-Christie-Krimi und recht-
fertigen sich mit unüberprüfbaren Erzählungen, während die aufge-
stauten Spannungen mörderisch eskalieren … Schon in seinen frühe-
ren Filmen hatte Tarantino die Musik seines Lieblingskomponisten
Ennio Morricone, teils in ganz anderen Kontexten, eingesetzt. Für The
Hateful Eight konnte der Maestro endlich zu einem Original-Sound-
track überredet werden – und wurde mit seinem ersten Oscar be-
lohnt. (C. H.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                             22
FILMARCHIV AUSTRIA

                     In the Line of Fire
                     R: Wolfgang Petersen B: Jeff Maguire K: John Bailey S: Anne V. Coates
                     M: Ennio Morricone D: Clint Eastwood, John Malkovich, Rene Russo, Gary Cole,
                     John Mahoney, Gregory Alan Williams, Clyde Kusatsu.
                     US, 1993, 35mm, Farbe, 128 min. Englisch ★
                     Secret-Service-Agent Frank Horrigan (Clint Eastwood) war Leibwächter MITTWOCH
                     von JFK und hat Schuldgefühle, weil er das Attentat auf den Präsiden- 9.2. / 21.00
                     ten nicht verhinderte, was Privatleben und Karriere in Mitleidenschaft
                     gezogen hat. Doch nach drei Dekaden fordert ihn ein anonymer Anru-
                     fer (John Malkovich) heraus, der ein neues Präsidentenattentat ankün-
                     digt und Horrigan in ein Katz-und-Maus-Spiel verwickelt. Eine famose
                     Kombination von Psycho-Thriller und Mythos – die vom historischen
                     Trauma angeknackste Psyche der USA einerseits, der Kino-Superstar
                     als alternde Legende andererseits. Eastwood überließ dabei die Regie
                     Wolfgang Petersen, der schnörkelloses Hochspannungshandwerk ab-
                     lieferte, während er Digitaleffekt-Pionierarbeit für Hollywood leistete,
                     so in den Kennedy-Szenen mit digitalisierten und nachbearbeiteten
                     Eastwood-Bildern aus Filmen der 1960er. Kongenial dazu auch der
                     Komponist: ein Wiederhören mit Ennio Morricone. (C. H.)

                     JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                              23
FILMARCHIV AUSTRIA

                     Casualties of War
                     R: Brian De Palma B: David Rabe nach einer Reportage von Daniel Lang
                     K: Stephen H. Burum S: Bill Pankow M: Ennio Morricone D: Michael J. Fox,
                     Sean Penn, Don Harvey, John C. Reilly, John Leguizamo, Thuy Thu Le, Erik King,
                     Ving Rhames. US, 1989, 35mm, Farbe, 113 min. Englisch mit dt./frz. UT ★
                     Brian De Palma ist als Spezialist für doppelbödige Thriller und stili-           DONNERSTAG
                     sierte Spannungsszenen berühmt, aber seine Wurzeln liegen im                     10.2. / 21.00
                     Gegenkultur-Underground der Vietnam-Ära. Für Casualties of War
                     kehrte er dahin zurück (die zugrundeliegende Begebenheit wollte er               MITTWOCH
                     schon 1969 verfilmen) und gestaltete mit inszenatorischer Virtuosität             2.3. / 18.30
                     das Kriegstrauma einer Nation als Flashback in die Hilflosigkeit: Am               • Einführung
                     Tag des Rücktritts von Richard Nixon erinnert sich Vietnamveteran                von Christoph
                                                                                                      Huber
                     Max Eriksson, wie er als frischer Rekrut bei einem Trupp von frustrier-
                     ten Soldaten landete, die eine vietnamesische Zivilistin entführten
                                                                                                      Courtesy
                     und vergewaltigten. Als er die Täter vors Kriegsgericht bringen wollte,          Cinémathèque
                     stieß er auf offiziellen Widerstand. De Palmas bemerkenswerte Breit-             suisse
                     wand-Kompositionen stellen die moralischen Konflikte und Wider-
                     sprüche in den Vordergrund, das Kernthema von Ennio Morricones
                     Musik (auf die er besonders stolz war) beschreibt das Leid der Vietna-
                     mesin als »Flattern der Flügel eines sterbenden Vogels«. (C. H.)

                     JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                              24
Bugsy
R: Barry Levinson B: James Toback K: Allen Daviau S: Stewart Linder M: Ennio
Morricone D: Warren Beatty, Annette Bening, Harvey Keitel, Ben Kingsley, Elliott
Gould, Joe Mantegna, Bebe Neuwirth. US, 1991, 35mm, Farbe, 135 min. Englisch ★
The Rise and Fall of Bugsy Siegel. Den Spitznamen »Bugsy« bekam der FREITAG
jüdische Gangster Benjamin Siegel für seine Unberechenbarkeit 11.2. / 18.30
(vom Slangwort »bugs« für »verrückt«), legendär wurde er zudem
durch sein Nahverhältnis zu Hollywood – und durch seine zunächst
ebenfalls verrückt scheinende Idee, in einer Wüstenstadt mit Casino-
Hotels zu reüssieren. Als Las Vegas dann wirklich groß wurde, hatte
die Konkurrenz Bugsy schon ermordet. Barry Levinsons Bugsy bün-
delt die letzte Dekade seines Lebens zum Ausnahmeopus im 1990er-
Hollywood, das im Stil klassischen Studiokinos Gangsterfilm und gro-
ßes Melodram kombiniert – Allegorie auf den Amerikanischen Traum
und aufs Filmemachen selbst inbegriffen. Warren Beatty ist idealbe-
setzt als krimineller Dandy, der sogar beim Verprügeln innehält, um
sich den Scheitel zu richten. Für Morricone war Bugsy eine seiner be-
friedigendsten Hollywood-Erfahrungen, weil er seine Experimente
mit Obertönen fortführen konnte. (C. H.)

Bulworth
R: Warren Beatty B: Warren Beatty, Jeremy Pikser K: Vittorio Storaro S: Robert
C. Jones, Billy Weber M: Ennio Morricone D: Warren Beatty, Halle Berry, Don
Cheadle, Oliver Platt, Paul Sorvino. US, 1998, 35mm, Farbe, 108 min. Englisch ★
Jay Bulworth, der sich um seine Wiederwahl als Senator bewirbt, ist MONTAG
lebensmüde. Er heuert einen Killer an, der ihn beseitigen soll. Doch 14.2. / 21.00
im Wissen, dass er nichts zu verlieren hat, erlebt er eine enorme Be-
freiung. In einer Ghetto-Kirche von Los Angeles spricht er die realen
Probleme Amerikas an, in einer Disco beginnt er zu rappen, Nina, eine
Afroamerikanerin, führt ihn in die schwarze Alltagskultur ein. Obszön,
sagt Bulworth, sei nicht die Sprache der Rapper, sondern die Erwar-
tung der Politiker*innen, dass man angesichts der Kluft zwischen Arm
und Reich ihre verlogenen Parolen glaube. Schon feiern die weißen
Medien einen radikalen »neuen« Politikertyp. Nur der Killer wartet
noch im Hintergrund. Beattys Anti-Establishment-Satire ist nicht nur
herzzerreißend komisch, heftig gegen den Strich inszeniert und gran-
dios besetzt. Sie ist auch eine »politische Rarität« in der nach allen
Seiten abgesicherten Hollywood-Kultur der Gegenwart – ein freier
Film von einem freien Bürger.

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Ennio Morricone                                                  25
27. JÄNNER BIS 28. FEBRUAR 2022

Unverschleiert
Die Filme von Rakhshan Banietemad
Rakhshan Banietemad (*1954) wird in der Regel als »eine der bedeu-
tendsten internationalen Regisseurinnen« oder als »First Lady des ira-
nischen Kinos« abgetan. Eine Retrospektive einer renommierten US-
amerikanischen Institution stellte sie kürzlich als »Inbegriff« eines
progressiven Trends des iranischen Kinos vor, als eine von »erstaun-
lich vielen Regisseurinnen«.
    All das mag stimmen, aber nur, wenn wir eine Reihe von ideologi-
schen Vorurteilen akzeptieren und dabei einen wichtigen Umstand
ignorieren: Rakhshan Banietemad ist eine der bedeutendsten Erfor-
scherinnen sozialer Themen im Kino und eine der subversivsten Film-
künstlerinnen.
    Banietemad studierte Film und begann ihre berufliche Laufbahn
1979 kurz nach der iranischen Revolution, als sie für das iranische
Staatsfernsehen arbeitete. Das Leben nach einer Revolution sollte
idyllisch wirken, und so sagt es etwas über den Mut der jungen Banie-
temad aus, dass sich ihre ersten Dokumentarfilme bereits auf die so-
zialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten der damaligen Zeit
konzentrierten. Nach drei frühen kommerziellen Spielfilmen, die sich
sozialen Themen aus einem satirischen Blickwinkel näherten, fand
Banietemad mit Nargess (1991) eine starke persönliche Stimme.
Nargess ist ein düsteres, beißendes soziales Melodram, das auf An-
hieb zum nationalen und internationalen Klassiker avancierte und als
erster Teil einer sogenannten Stadt-Trilogie gesehen werden kann,
die die Regisseurin später mit Banoo-Ye Ordibehesht (1998) und Zir-e
poost-e shahr (2000) weitergeführt hat. Seit Nargess untersuchen
Banietemads Spielfilme die Abweichungen der postrevolutionären
iranischen Gesellschaft mit einem durchdringenden Blick und mit be-
sonderem Interesse für die prekäre Rolle von Frauen und ihre Kämpfe
in einem dezidiert patriarchalischen Umfeld.
    Es ist kaum möglich, über einige Filmlandschaften nachzudenken,
ohne sich auf ihre prägenden Merkmale zu berufen. Das iranische
Kino ist eine Filmkultur, die Mitte der neunziger Jahre international für
Furore sorgte und mit einem bestimmten »Stil« assoziiert wurde, der

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allen damals »entdeckten« Filmschaffenden gemeinsam zu sein             Rakhshan
schien. Schlüsselelemente dieses Stils: lange Einstellungen (die die    Banietemad
                                                                        am Set von
Aufmerksamkeit auf sich selbst lenken), nicht-professionelle Schau-     Ghesse-ha (2014)
spieler*innen (die alle in ihren Rollen über sich selbst hinauswach-
sen), atemberaubende ländliche Umgebungen (die oft als Metapher
verwendet werden), Vermischung von Fiktionalem und Dokumenta-
rischem (um nach einer »höheren« Wahrheit zu streben), unerschüt-
terlicher Humanismus als vorherrschende Weltanschauung (die bis
zum erhabenen Extrem getrieben wird) und universelle Geschichten
(die lehren, wie man ein gutes Leben führt).
   Mit ihren Spielfilmen passte Banietemad nie wirklich in diese
Kategorien. Ihre Geschichten spielen in einer rauen städtischen Um-
gebung und behandeln ganz praktische Probleme auf eine sehr
pragmatische Weise. Die Schauplätze waren genau definiert und de-
finierten wiederum die Figuren, die dort wohnten. Ihre Herangehens-
weise, die auf einem düsteren sozialen Realismus basiert, war scham-
los emotional, aber niemals sentimental. Sie sprach offen über Dinge,
die ihre männlichen Kollegen nie erwähnten: Krieg, Klassenspaltung,

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Banoo-Ye
                                                                           Ordibehesht
                                                                           (1998)

häusliche Gewalt, Drogenabhängigkeit, Kleinkriminalität, Religion
und die Unterdrückung der Frauen. Wenn ihre Filme provozieren
wollten, nannten sie die Dinge beim Namen. Wenn sie poetisch sein
wollten, rezitierten sie ganz offen Poesie. Vielleicht liebt Banietemad
ihre Figuren einfach, ungeachtet ihrer Fehler oder vielleicht gerade
dafür. Ihre Figuren leben auch nach dem Abspann weiter, um in ihrem
nächsten Film wieder aufzutauchen. Nach ihrem Stil gefragt, antwor-
tete sie: »Ich denke, Kino ist Kino. Meine Definition von Kino basiert
auf meinen Überzeugungen und Gedanken. Die Geschichte und das
Thema des Films bestimmen sowohl die Struktur und die Machart als
auch die Besetzung.«
    In den letzten fünfzehn Jahren wurde der Dokumentarfilm wieder          Die Rücksprache
zu Rakhshan Banietemads wichtigstem Ausdrucksmittel, und auch              mit der Regis-
                                                                           seurin hat erge-
diese Arbeiten nehmen wieder die gesellschaftlichen Widersprüche           ben, dass keiner
in den Blick. Manchmal erhaben, manchmal einfach notwendig, mes-           der von ihr auf
sen diese Filme den Herzschlag einer äußerst komplexen Gesellschaft        35mm gedrehten
                                                                           Filme als 35mm-
und verhandeln so unterschiedliche – und wichtige – Themen wie po-
                                                                           Kopie verfügbar
litische Reformen, öffentliche Unruhen, Wahlen, Bildung und Umwelt.        ist, daher werden
Rakhshan Banietemad zeigt uns ein Gesicht der modernen iranischen          auch diese Werke
Gesellschaft, das viele lieber verschleiert lassen würden. (Jurij Meden,   von Rakhshan
                                                                           Banietemad in
Tara Najd Ahmadi)                                                          digitalen Versio-
                                                                           nen gezeigt.

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Rakhshan Banietemad                                                  28
Banoo-Ye Ordibehesht (The May Lady)
R, B: Rakhshan Banietemad K: Hossein Jafarian S: Mostafa Kherghehpoosh,
Masume Shahnazari D: Minoo Farshchi, Mani Kasraian. IR, 1998, DCP (von 35mm),
Farbe, 88 min. Persisch mit engl. UT ★
Rakhshan Banietemads sechster Spielfilm Banoo-Ye Ordibehesht ist                          DONNERSTAG
zentral für ihr Filmschaffen und gilt als ihr persönlichstes und subver-                 27.1. / 21.00
sivstes Werk. Er schildert ein kompliziertes Beziehungsdreieck zwi-                       • In Anwesen-
schen der Filmemacherin und alleinerziehenden Mutter Forough Kia,                        heit von
                                                                                         Rakhshan
ihrem kleinen Sohn Mani und ihrem Filmproduzenten Rahbar. Im                             Banietemad
Mittelpunkt von Banoo-Ye Ordibehesht steht ein Tabu: die Spannung
zwischen dem, was die iranische Gesellschaft von einer Mutter erwar-                     DONNERSTAG
tet und ihren privaten und beruflichen Wünschen als alleinstehende                        17.2. / 21.00
Frau. Banietemad begegnet diesem Tabu auf direkte, mutige und
radikale Weise, und mit einer äußerst selbstbewussten Stimme, die
sich nicht scheut, die Geschichte in einem geduldigen, poetischen
Rhythmus zu erzählen. Sie führt so nah wie möglich ins Zentrum eines
iranischen Mittelklassehaushalts einer alleinerziehenden, berufstäti-
gen Mutter und zeigt ihre alltägliche, beharrliche Weigerung, den von
ihr erwarteten Rollenklischees zu entsprechen. (T. A.)

Farda Mibinamet, Elina (See You Tomorrow Elina)
R, B: Rakhshan Banietemad K: Hamid Najafirad, Mahnaz Mohammadi M: Siamak
Kalantari MIT: Mahnaz Aryanfard. IR, 2011, DCP, Farbe, 52 min. Persisch mit engl. UT ★
Ein kleines Meisterwerk und ein Inbegriff all dessen, was Rakhshan                       FREITAG
Banietemad als Poetin und politische Aktivistin auszeichnet: Farda                       28.1. / 18.30
Mibinamet, Elina ist eine scheinbar schlichte Dokumentation über                          • Publikums-
einen Kindergarten. Wir folgen den Kindern, wie sie im Laufe einiger                     gespräch mit
                                                                                         Rakhshan
Tage unschuldig spielen und sich unterhalten, aber allmählich wird                       Banietemad
erkennbar, dass etwas anderes vor sich geht. Farda Mibinamet, Elina
wurde unmittelbar nach den umstrittenen iranischen Präsidentschafts-                     SAMSTAG
wahlen 2009 gedreht, die Geräusche des Aufruhrs und der Unruhen                          5.2. / 18.30
sind ständig buchstäblich im Hintergrund präsent. Aber die Tumulte                       Gemeinsam mit
schleichen sich auch in das Leben der Kinder, nehmen Einfluss auf                         Hayat Khalvate
                                                                                         Khaneh Khorshid
ihre Diskussionen und Gefühle. Elina ist traurig, weil ihr Vater wegge-                  (siehe S. 34)
bracht wurde, die anderen Kinder versuchen zu verstehen, warum.
Banietemad, die ohne Budget und mit minimalsten Mitteln arbeitet,
beweist eine unglaubliche Meisterschaft darin, weitreichende gesell-
schaftspolitische Themen durch die erfrischend einfache und ehrli-
che Sprache von Kindern zu entschlüsseln. (T. A.)

JÄNNER/FEBRUAR 2022 Rakhshan Banietemad                                                                  29
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