KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
03/2020

                                           S
                                  ULTUR HAU
                            KINO K

              NEUE AUSSTELLUNG

    KINO WELT WIEN
KINO IM KINO | WOLFRAM PAULUS | CINEMA LIVE!
KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
INHALT

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
INHALT

AUSSTELLUNG
KINO WELT WIEN | 5.3.2020–10.1.2021                       04
CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT | 19.3.–26.3.      14
RETROSPEKTIVEN
KINO IM KINO | 6.3.–1.4.                                  22
WOLFRAM PAULUS | 18.3.–29.3.                              40
FILM | UNIVERSITÄT
ISRAELI LGBTQI CINEMA | 17.3.–31.3.                       50
REIHEN
CINEMASESSIONS | 6.3.–8.3.                                54
KINDER KINO KLASSIKER | 7.3.–29.3.                        60
LIVING COLLECTION | 9.3.                                  62
SECOND LIFE | 10.3.–31.3.                                 64
JÜDISCHER FILMCLUB WIEN | 11.3.                           66
WILD FRIDAY NIGHT | 20.3.                                 68
SPECIALS
CHRISTIAN FROSCH | 9.3.                                   70
DER DRITTE MANN | 10.3.                                   72
DAS LANGE WOCHENENDE DER MUSIKFILME | 21.3.–22.3.         74
WALTER KLIER | THOMAS ZWIEFELHOFER | 26.3.                78
KINO ALPIN: REINHOLD MESSNER LIVE! | 30.3.                80
RICHARD NEUTRA | 1.4.                                     82
FESTIVAL
TRICKY WOMEN | 12.3.–15.3.                                84
SATYR FILMWELT                                            88
CLUB		                                                    91
SPIELPLAN                                                 92
KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
PROGRAMM 5.3.–1.4.2020
KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
EDITORIAL

     K   ino Welt Wien – die neue Ausstellung im METRO Kino­
         kulturhaus begibt sich auf kulturgeschichtliche Spuren­
     suche und durchwandert die städtische Kinolandschaft, deren
     Erscheinungsbild in vielfältiger Weise den Wandel der Gesell­
     schaft reflektiert. Es sind Traumorte, in der sozialen Topo­
     grafie der Bezirke verankert, so verschieden und individuell
     wie ihre BesucherInnen, deren persönliche Erinnerungen
     auch in der Ausstellung Platz finden sollen. Ein nicht alltäg­
     liches Kinoerlebnis bietet Cinema Live! mit interaktiven
     Vorführungen von frühen Filmen aus unserer Sammlung,
     mit einem historischen Projektor auf die Leinwand gekurbelt.
     Die erste Begleitretrospektive zur Ausstellung unternimmt
     indes einen Streifzug quer durch Filmgeschichten, in denen
     das Kino im Kino eine tragende Rolle spielt. Ein Protagonist
     des Neuen Österreichischen Films ist Wolfram Paulus, der
     das heimische Kino der 1980er-Jahre definitiv mitgeprägt hat
     und dessen HELDENZEITREISE im Rahmen der ihm gewidmeten
     Schau erstmals in Wien gezeigt wird. Ganz besonders freuen
     wir uns, wieder in regelmäßigen Abständen im Klangraum
     des historischen Saals die CinemaSessions zu präsentieren,
     Stummfilmraritäten live vertont von KünstlerInnen der
     Wiener Elektronik- und Experimentalmusikszene. Das lange
     Wochenende der Musikfilme lässt mit Aretha Franklin, den
     Stones oder Udo Lindenberg den Saal erneut vibrieren. Einen
     Höhepunkt liefert schließlich auch Reinhold Messner, der
     anhand von raren historischen Filmdokumenten hinter den
     Mythos Mount Everest blicken lässt und mit STILL ALIVE –
     DRAMA AM MT. KENYA seine erste Regie­arbeit vorstellt.

     Ernst Kieninger und das Filmarchiv-Team

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
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              LT U RG ESCHICHT
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      EINE KU HER TRAUMORT
          DTISC
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AUSSTELLUNG VOM 5. MÄRZ 2020 BIS 10. JÄNNER 2021

D  as Grundprinzip des Kinos: ein Projektor wirft bewegte Bilder auf die Leinwand
   und fesselt den Blick der ZuschauerInnen. Für die Dauer des Films sind sie im
Kino und doch in einem anderen Raum – der Wirklichkeit, der Fantasie, der Emotion,
der Manipulation? Die neue Ausstellung im METRO Kinokulturhaus erzählt die Ge­
schichte eines magischen Raumes, den Menschen betraten, um ihn verändert zu
verlassen. Das Kino eröffnet einen grenzenlosen Raum aus Wünschen, Hoffnungen
und Träumen, den jede Generation und jede Stadt auf ihre Weise gestaltet.
Zur Eröffnung der von Martina Zerovnik kuratierten Ausstellung findet eine Filmvorführung
mit einem historischen Kinoprojektor statt. »Kino Welt Wien« wird auch in den Wiener Bezirks­
museen und ausgewählten Kinos präsentiert.

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
Action-Kino in Neubau, 1970er-Jahre
                 Florian Pauer, Wien

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
KINO WELT WIEN | AUSSTELLUNG

        VOM LADENKINO ZUM MEGAPLEX:
        EIN SPAZIERGANG DURCH DIE
        WIENER KINOLANDSCHAFT
        MARTINA ZEROVNIK

    D       er Kinematograf eroberte nach seiner ersten Präsentation 1896 ganz Wien.
            Die Leopoldstadt mit dem Prater wies neben der Inneren Stadt die meisten Spiel­
        stätten auf. Neubau entwickelte sich durch Kinos, Film- und Verleihfirmen zum Zent­
        rum der Branche. Auch die Landstraße war kinoreich. Unter den äußeren Bezirken
        verfügten Ottakring, Meidling, Rudolfsheim-Fünfhaus und Favoriten – mehrheitlich
        »Arbeiterbezirke« – über besonders viele Kinos. Die Kinos prägten mit ihren leuch­
        tenden Fassaden das Weichbild der Stadt und reflektierten die Träume der Menschen
        – bis in den 1950er-Jahren das Fernsehen Einzug in die Wohnzimmer hielt. Nach
        Höchst­zahlen von über 200 hatte Wien 1980 nur noch knapp 70 Kinos. Heute sind
        es gut 30.

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© ORF

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
© Harald Kragora
Von der Schaubude und dem Ladenkino zum eleganten Lichtspieltheater, vom
Programmkino zum Megaplex zeugt das Kino ebenso von sozialem und technischem
Wandel wie von städtischer Kulturpolitik. Als kultureller und sozialer Ballungsraum
verhandelt es maßgebliche Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und im Hintergrund
ringen Sensation, Bildung, Kapital, Kunst und Politik um die Gunst des Publikums.

Die Ausstellung lädt die BesucherInnen auf zwei Ebenen dazu ein, durch die vergan­
gene und die heutige Wiener Kinolandschaft zu flanieren und in wesentliche Etappen
der Kinogeschichte einzutauchen. Zu sehen sind eine Vielzahl an Grafik-, Foto- und
Filmdokumenten sowie Relikte aus Wiener Kinos. Eine zentrale Sammlung bilden Be­
richte des Publikums. Auch die BesucherInnen der Ausstellung haben die Möglichkeit,
Erinnerungen an ihre Kinoerlebnisse zu hinterlassen.

AUSSTELLUNGSTEAM
Gesamtleitung Ernst Kieninger                   Bildredaktion/Fotosammlung
Kuratorin Martina Zerovnik                      Aldijana Bećirović
Grafik und Gestaltung Christina Zettl, Thomas   Öffentlichkeitsarbeit Larissa Bainschab
Untersweg, Katharina Hohenwarter, Michael       Aufbau Michael Hafner, Daniel Oberthaler
Hafner, Julian Lanca Gil (BUERO41A)             Ausstellungsmedien Jakob Hütter, Thomas
Organisation Anna Högner,                       Planitzer, Reinhard Pölzl, Michael Guggenbichler,
Ernst Kieninger, Martina Zerovnik               Johannes Krumböck (Hand mit Auge)
Ausstellungsassistenz                           Möbelsponsor ARPER
Timotheus Ueberall

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KINO WELT WIEN - KINO KULTUR HAUS 03/2020 - Filmarchiv Austria
KINO DER
ERINNERUNGEN
SUCHAUFRUF
»I   m Kino gewesen – geweint«, notierte Franz Kafka 1921 in sein Tagebuch.
     Was haben Sie im Kino erlebt? Was war oder ist »Ihr« Wiener Kino? Welcher
Kinobesuch wird für Sie immer unvergesslich bleiben? Das Filmarchiv Austria
sammelt Ihre Kinoerinnerungen – als Notizen, Objekte, Fotos oder Videos. In der
Ausstellung »Kino Welt Wien« sowie in den Wiener Bezirksmuseen und ausgewählten
Kinos finden Sie dazu Sammelkarten mit Kurzporträts wichtiger Betriebe damals
und heute. Hinterlassen Sie Ihre Erinnerungen handschriftlich, per E-Mail oder
kontaktieren Sie uns direkt. Wir freuen uns auf Ihre persönliche Kinogeschichte!

Sie erreichen uns unter
kinoerinnerungen@filmarchiv.at | 0800 220 242
www.filmarchiv.at/kinoerinnerungen

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»KINO WELT WIEN«
IN DEN BEZIRKSMUSEEN
UND WIENER KINOS
D  ie Ausstellung »Kino Welt Wien« thematisiert auch die Funktion der Kinos als
   öffentliche Orte, als kulturelle Nahversorger in allen Bezirken der Stadt. Als
Referenz an diese einst flächendeckende urbane Infrastruktur ruft das Filmarchiv
Austria die lokale Kinogeschichte Wiens in den Bezirksmuseen und in ausgewählten
Kinobetrieben wieder in Erinnerung. Dort werden die wichtigsten historischen
und aktuellen Kinoorte der jeweiligen Bezirke in Form von Sammelkarten zum
Mitnehmen präsentiert.
Mit einem aktuellen Ticket eines Partnerkinos erhalten Sie einen vergünstigen Besuch in
der Ausstellung »Kino Welt Wien« im METRO Kinokulturhaus.

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KINO WELT WIEN | AUSSTELLUNG

KULTURVERMITTLUNG
IN DER »KINO WELT WIEN«
Das Filmarchiv Austria bietet ein abwechslungsreiches Vermittlungsprogramm
für Schulen, Gruppen und IndividualbesucherInnen. Alle unsere Angebote können
mit dem Kombiticket auch mit einem Kinobesuch verknüpft werden und sind für
Gruppen zum Wunschtermin buchbar.

Für Anfragen kontaktieren Sie uns unter kulturvermittlung@filmarchiv.at.
Für alle Führungen und Workshops gilt eine beschränkte TeilnehmerInnenzahl.

Anmeldung erbeten unter reservierung@filmarchiv.at.
Weitere Informationen auf www.filmarchiv.at/education.

 SO 8.3., 15:30
KURATORINNENFÜHRUNG
Kuratorin Martina Zerovnik begleitet Sie auf einem vertiefenden Rundgang durch
die Geschichte und Topografie der Kinostadt Wien.

 MO 9.3., 18:00 | MO 16.3., 18:00
ÜBERBLICKSFÜHRUNG
In unserer Überblicksführung durchwandern Sie historische und aktuelle Kinogrätzel,
erkunden den Apparat Kino und die wechselvolle Wiener Kinogeschichte.

 SA 21.3., 15:00
KINDERFÜHRUNG UND WORKSHOP
Passt ein Film in eine Hosentasche? Und wie funktioniert eigentlich ein Kino? An einem
Samstag im Monat sind Kinder zwischen 6 und 13 Jahren eingeladen, das METRO Kino­
kulturhaus und die Kinogeschichte Wiens zu entdecken. Wir sehen, wie das Kino war, ist
und vielleicht einmal sein wird, was es braucht, um einen Film vorzuführen und basteln
ein Daumenkino!

Dauer: jeweils 50 min | Kosten: 6,–

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KINO WELT WIEN | AUSSTELLUNG

DO 5.3., 19:00

ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG
»KINO WELT WIEN«
Eröffnung mit begleitenden Worten von Erika Pluhar, Ernst Kieninger
und Martina Zerovnik sowie historischem Kurzfilmprogramm, vorgeführt
mit einem originalen Handkurbelprojektor

Als die Brüder Lumière 1896 Ringstraße, Kärntner Straße und die Kutschen im Prater
filmen – die ersten erhaltenen Aufnahmen von Wien überhaupt – bricht eine neue Ära
an. Bunte ANSICHTEN VON SPANIEN AUF POSTKARTEN (F 1907) werden aus ihrem
zweidimensionalen Schlaf geholt, LEBENDE BLUMEN (F 1906) beginnen zu tanzen,
DIE DREI PHASEN DES MONDES (F 1905) offenbaren jene der Liebe – es sind Lauf­
bilder von berauschender Farbpracht, trickreiche Geschichten voller Anspielungen
und Wendungen, die das Kino in seinen Anfängen bevölkern. Mit dem Imperator,
einem Projektor des Dresdner Herstellers Heinrich Ernemann aus dem Jahr 1909,
werden diese und weitere Kleinode aus der Sammlung des Filmarchiv Austria in
einer hautnah erlebbaren Vorführung auf die Leinwand gebracht – weit über hundert
Jahre nach ihrem Entstehen.

Eine interaktive Zeitreise zu den Anfängen des Kinos bieten
die folgenden Programme von Cinema Live! Frühes Kino handgekurbelt.

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ENTRÉE DU CINÉMATOGRAPHE Á VIENNE

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CINEMA LIVE!
FRÜHES KINO HANDGEKURBELT
INTERAKTIVE FILMVORFÜHRUNGEN VOM 19. BIS 26. MÄRZ 2020

A  ufgestellt im Verborgenen, feuersicher abgeschottet, mit Panikschaltern aus­
   gerüstet, ist er auch heute noch das Herz jedes Kinos: der Filmprojektor. Seine
Entwicklung hat vom stummen Schwarz-Weiß-Film über die Pracht der Viragen
und Kolorierungen zum lippensynchronen Tonfilm geführt, den Naturfarbenfilm
etabliert und mit Cinemascope, 3D und Digitalisation immer wieder die Simulation
der Wirklichkeit perfektioniert. In Cinema Live! wird die Maschinerie zum Akteur:
Aufgestellt im Zuschauerraum, werden mit einem historischen Kinoprojektor aus
dem Jahr 1909, originalem Bogenlicht und glühenden Widerständen vier Pro­
gramme des frühen Kinos in ihrer authentischen Grandeur gezeigt. Historische
Technik wird dabei sinnlich vermittelt.
Die Filmvorführungen mit historischem Handkurbelprojektor finden mit Einführung
und Anleitung von Nikolaus Wostry und Anna Dobringer statt.

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CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

VOM REIZ DES FEUERS
NIKOLAUS WOSTRY

                                         1909         brachte die Heinrich Erne­
                                                      mann AG in Dresden mit
                                         dem Imperator einen neuen Filmprojek­
                                         tor heraus, der – ganz in der Idiomatik
                                         des Imperialismus – antrat, den Welt­
                                         markt zu erobern. Fast ein Vierteljahr­
                                         hundert lang wurde er gebaut und setzte
                                         mit einem äußerst ökonomischen Film­
                                         lauf, einem in Öl eingekapselten Malte­
                                         serkreuz und seinen Feuerschutzeinrich­
                                         tungen neue Standards. In Wien gehörte
                                         er zu den verbreitetsten Projektoren und
                                         wurde nach 1930, nun ausgestattet mit
                                         Tongeräten, noch bis in die 1960er-Jahre
                                         eingesetzt.

                                         Im Rahmen dieser »Kinowerkstatt« wird
                                         dem Publikum die Möglichkeit geboten,
                                         anhand von aufgeschnittenen Funktions­
                                         modellen die wichtigsten Bauteile des
                                         Imperators zu verstehen, aber auch Filme
                                         selbst einzulegen, das Zünden und Ein­
                                         brennen der Kohlebogenlampe zu beob­
                                         achten und einiges mehr. Jedem der vier

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CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

Programme ist einer der Wiener Lumière-Filme aus dem Jahr 1896 vorgespannt, bei
dem die Blende des Projektors auf das authentische optische System des Cinématogra­
phe umgestellt wird, um dessen herausragende Qualität, aber auch dessen typisches
Flimmern zu demonstrieren und im Anschluss daran die vorbildliche Lösung des Impe­
rators mit seiner zentrisch-symmetrischen Dreisektorenblende zu veranschaulichen.

Das Programm des Kinos der Frühzeit war – dem heutigen Bilderkonsum nicht un­
ähnlich – auf unmittelbare optische Reize ausgelegt. Mit einer geschickt kontrastie­
renden Abfolge von Kurz- und Kürzestfilmen entfesselte es ein Feuerwerk an Attrak­
tionen. In Naturbildern wie in EINE FAHRT DURCH WIEN wurde die Kamera etwa auf
Straßenbahnen montiert, oder gar auf ein Floß, um die BLITZFAHRTEN AUF DEM
OZU FLUSS im fernen Japan mit delirierenden Viragen und Tonungen nahezubringen.
Abenteuer wie EIN DRAMA IN DEN WOLKEN fanden im Zeitraffer in gerade einmal
drei Minuten statt, gefolgt von Burlesken, deren emanzipatorische Subversivität wie
in DIE VERHÄNGNISVOLLE WIRKUNG oder DAS ERBE DES DIENSTMÄDCHENS gegen
geheiligte Institutionen des bürgerlichen Lebens anging, und schließlich erotischen
»Herrenfilmen«, die die Moral schlechthin provozierten. Von der Zensur noch kaum
gehemmt, wandte sich dieses Kino an ein proletarisches, unterprivilegiertes Publikum
und ließ emanzipatorische Verheißungen mitschwingen. In seinem anarchischen Auf­
begehren ist es auch heute noch in all seiner Frische erlebbar.

Sämtliche Filme liegen in ihren historischen, deutsch getitelten österreichischen
Verleihfassungen vor und stammen aus den Beständen des Filmarchiv Austria, einer
der auch international bedeutendsten Sammlungen zum frühen Film.

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CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

 DO 19.3., 19:00

KINO WELT REISEN
[WIENER LUMIÈRE-AUFNAHMEN VON 1896.         LIEBESTHERMOMETER
RINGSTRASSE, EINGANG ZUM CINÉMATOGRAPHE     Pathé Frères, F 1906
LUMIÈRE – KÄRNTNER STRASSE, PFERDE­
KUTSCHEN]                                   EISENBAHNATTENTAT
Société Lumière, F 1896                     Pathé Frères, F 1906

EINE FAHRT DURCH WIEN                       DIE MACHT DER HYPNOSE
Pathé Frères, F 1906                        Saturn-Film, A 1908–1910

IN JAPAN – BLITZFAHRTEN AUF DEM OZU FLUSS   EIN GROSSES MALHEUR
Pathé Frères, F 1906                        Pathé Frères, F 1904

DAS WUNDERBARE STAMMBUCH                    Gesamtlänge: 627 m | viragiert, koloriert und
Pathé Frères, F 1905                        s/w, stumm, 35mm
                                            Veranstaltungsdauer: ca. 70 min

Eine 2.536 Meter lange Reise auf 35mm-Film – beginnend mit den ersten erhaltenen
Aufnahmen aus Wien und einem klassischen Phantom Ride mit der Straßenbahn.
Doch mit dem Kinematografen lassen sich nun auch fremde Welten erkunden, der
Lebensalltag in fernen Ländern ebenso einfangen wie spektakuläre Naturbilder.
Fremd, was das Menschliche angeht, ist auch dem frühen Kino nichts – so folgen auf
komische Szenen ein Drama um Niedertracht und Rache und erotische Machtspiel­
chen. Allen gemeinsam: die Faszination der Sinne, die auf bis dahin ungekannte
Weise in Rausch versetzt werden. (sb)

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CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

 MO 23.3., 19:00

SCHWERE GERÄTE UND FEENSTAUB
[WIENER LUMIÈRE-AUFNAHMEN VON 1896.          DIE MAUS IN DER KRINOLINE
RINGSTRASSE, EINGANG ZUM CINÉMATOGRAPHE      Elgé (Leo Gaumont), F 1906
LUMIÈRE – KÄRNTNER STRASSE, PFERDE­
KUTSCHEN]                                    DIE FEE DER SCHWARZEN FELSEN
Société Lumière, F 1896                      Pathé Frères, F 1907

DAS HUHN MIT DEN GOLDENEN EIERN              DIE JAGD NACH DER PERÜCKE
Pathé Frères, F 1905                         Pathé Frères, F 1906

ÜBER GEBIRGSPÄSSE                            DAS SANDBAD
Thomas A. Edison, US 1910                    Saturn-Film, A 1906–1908

                                             Gesamtlänge: 639 m | viragiert,
                                             koloriert und s/w, stumm, 35mm
                                             Veranstaltungsdauer: ca. 70 min

Sämtliche Programme von Cinema Live! starten mit Aufnahmen der Gebrüder Lumière,
um die spezifischen technischen Eigenheiten der Projektoren im Vergleich zu veran­
schaulichen. Deren Cinématographe stellt eine modifzierte Weiterentwicklung des
Kinetoskops von Thomas Alva Edison dar, der hier mit bepackten Lamas über die
Pässe der Anden steigt. Eine besondere Spezialität der Franzosen waren auch die
zauberhaft viragierten und kolorierten Feerien, in denen grazile Verführerinnen allzu
Leichtsinnigen eine Lektion erteilen. Verführerisch auch – nach rasanter Verfolgungs­
jagd quer durch Paris – der Ausklang am Wiener Gänsehäufel. (sb)

                                                                                       19
CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

 MI 25.3., 19:00

DIE WELT VOR AUGEN
[WIENER LUMIÈRE-AUFNAHMEN VON 1896.         ERÖFFNUNG DER ELEKTRISCHEN BAHN
RINGSTRASSE, EINGANG ZUM CINÉMATOGRAPHE     WIEN – PRESSBURG, A 1914
LUMIÈRE – KÄRNTNER STRASSE, PFERDE­
KUTSCHEN]                                   DIE FALSCHMÜNZER
Société Lumière, F 1896                     Pathé Frères, F 1907

DIE GEBURT JESU                             DIE GROSSE PAUKE
Pathé Frères, F 1906                        Films und Kinematographen Lux, F 1909

UNTER DEM MIKROSKOP                         VERBUNDENE LIPPEN
Charles Urban, GB 1903                      Pathé Frères, F 1906

DER TRAUM DES BILDHAUERS                    Gesamtlänge: 606 m | viragiert,
Saturn-Film, A 1906–1908                    koloriert und s/w, stumm, 35mm
                                            Veranstaltungsdauer: ca. 70 min

Ein in jeder Hinsicht spannender Kontrast: auf äußerst detailgetreu handkolorierte
religiöse Szenen folgen wissenschaftliche Bilder und Aktualitäten, die ebenfalls zum
Repertoire der kinematografischen Frühzeit gehören. »Wir bringen Ihnen die Welt vor
Augen!«, so die Devise von Charles Urban, der mit zoologischen und mikroskopischen
Filmen eine neue Gattung begründet hat. Und auch in diesem Programm dürfen
Komik, Drama und Pikanterie nicht fehlen. Von den biblischen drei Weisen zu den drei
Grazien, in die sich der eigene Schöpfer verliebt – begleitet von Pauken, Tumulten
und Fanfaren. (sb)

20
CINEMA LIVE! FRÜHES KINO HANDGEKURBELT

 DO 26.3., 19:00

WUNSCH UND WIRKLICHKEIT
[WIENER LUMIÈRE-AUFNAHMEN VON 1896.         BEI DEN TOUAREGS
RINGSTRASSE, EINGANG ZUM CINÉMATOGRAPHE     Pathé Frères, F 1908
LUMIÈRE – KÄRNTNER STRASSE, PFERDE­
KUTSCHEN]                                   EIN DRAMA IN DEN WOLKEN
Société Lumière, F 1896                     Pathé Frères, F 1904

DIE KAISERMANÖVER IN MÄHREN                 DIE VERHÄNGNISVOLLE WIRKUNG
A 1909                                      Pathé Frères, F 1905

DAS ERBE DES DIENSTMÄDCHENS                 [DIE ZAUBEREIEN DES MANDARINS]
Pathé Frères, F 1905 oder 1906              Saturn-Film, A 1908–1910

DIE FRÜHLINGSFEE                            Gesamtlänge: 664 m | viragiert,
Pathé Frères, F 1906                        koloriert und s/w, stumm, 35mm
                                            Veranstaltungsdauer: ca. 70 min

Vom kaiserlichen Manöverfeld geht es in die großbürgerliche Welt der Doppelmoral,
vom Bauernhof ins afrikanische Dorf bis hoch hinaus über die Wolken. Einer bewuss­
ten, ausgeklügelten Verbindung von Atelier- mit realen Außenaufnahmen stehen die
bunten Blüten entfesselter Fantasie und Wunschvorstellungen gegenüber. Von der
spektakulär inszenierten Ballonfahrt bis zu Brüsten, die auf Glatzen wachsen – das
frühe Kino gleicht einer Expedition, getrieben von Abenteuer-, Experimentierlust
und Entdeckergeist. Es versprüht einen Zauber, der vor dem Verschwinden bewahrt
werden muss. (sb)

                                                                                      21
KINO IM KINO
EIN ORT UND SEINE FILMROLLEN
RETROSPEKTIVE VOM 6. MÄRZ BIS 1. APRIL 2020

A  nlässlich der neuen Ausstellung »Kino Welt Wien« unternehmen wir einen
   Streifzug durch die Filmgeschichte und präsentieren eine Auswahl an Spiel-
und Dokumentarfilmen, in denen das Kino als Ort des gemeinsamen Sehens und
Erlebens selbst ins Bild gerückt wird. 20 Programme laden dazu ein, in allen Farben,
Formen und Facetten jene magische Faszination zu entdecken, die die Kinemato­
grafie seit mittlerweile knapp 125 Jahren auf sein Publikum ausübt. Und wo ließe
sich diesem Zauber besser erliegen als am Ort des Geschehens selbst: im dunklen
Saal, vor der großen Leinwand.

22
TAXI DRIVER

        23
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

LEINWANDREFLEXIONEN
FLORIAN WIDEGGER | SILVIA BREUSS

D  as Kino. Ein Mikrokosmos von unendlicher Weite. Sobald das Licht ausgeht, scheint
   man fast existenzialistisch auf sich zurückgeworfen, unmittelbar mit Bildern,
Tönen, Eindrücken konfrontiert, mit eigenen Assoziationen und Emotionen. In der
vermeintlichen Einsamkeit des Kinosessels herrscht eine enorme Intimität, und doch
gibt es kaum einen vergleichbaren sozialen Erlebnisraum, der – unabhängig irgendwel­
cher Attribute – allen Menschen offensteht, sie gleichzeitig fesseln, herausfordern,
berühren kann. Man lacht zusammen, weint, erschrickt und schreit, ein Saal voller
Individuen mit ihren je eigenen Geschichten transzendiert sich zu einem ge­legentlich
raschelnden, im Rhythmus des Films atmenden Organismus.

Kino ist aber auch Betrieb, Umschlagplatz der Kulturproduktion, ausgesetzt den
kompromisslosen Mechanismen der Marktwirtschaft. Einige der Lichtspielhäuser,

24
die wir in dieser Retrospektive betreten, haben es nicht geschafft oder prognostizie­
ren filmisch ihren Untergang. Die technischen und finanziellen Rahmenbedingungen
haben sich dramatisch verändert, mit Netflix und Co hat sich das Heimkino in einer
gänzlich neuen Dimension etabliert. Kino dagegen lebt, sieht man von den großen
Ketten ab, von seinen Menschen – jenen hinter den Kulissen wie jenen im Saal. Auch
wenn seine hohe Zeit vorbei zu sein scheint, das Kino immer wieder totgesagt wird:
seine Kunst und Faszination bestehen gerade darin, sich aus der Wirkung, die es
erzeugt, zu speisen. Nicht selten liefern jene, die vom Virus gepackt sind, die großen
Geschichten für die Leinwand: »Wenn mich Leute fragen, ob ich in Filmschulen gegan­
gen bin, dann sage ich ihnen: Nein, ich bin in Filme gegangen.« (Quentin Tarantino)

So entstehen Liebeserklärungen in allen erdenklichen Facetten – wundervoll poetisch
wie NUOVO CINEMA PARADISO oder HIMMEL ODER HÖLLE, leidenschaftlich kämpfe­
risch wie OUT OF PRINT, hymnisch exzessiv wie INGLOURIOUS BASTERDS. Kino ist
seit jeher auch ein Ort der Selbstreflexion, an dem Film und Business oft lustvoll pa­
raphrasiert oder gnadenlos durch die Mangel gedreht werden, wie in SHERLOCK JR.
oder SUNSET BOULEVARD.

Als Ort jenseits des heimischen TV-Geräts verlangt das Kino, die Komfortzone zu
verlassen, sich auf etwas einzulassen. Die Leinwand sprengt die Grenzen der Realität,
der Kinosaal flickt sie wieder zusammen. Singuläre Erfahrungen werden unmittelbar
mit anderen geteilt. So wird ein Ort zu einem Lebensraum und zum Spiegel der
Gesellschaft.

                                                                                    25
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 FR 6.3., 18:30 | MO 30.3., 20:00
VORFILM: [KUNDGEBUNG FÜR KAISER FRANZ JOSEPH VOR DEM BRIGITTENAUER-KINO
ANLÄSSLICH SEINES GEBURTSTAGES] | A ca. 1910 | 2 min | s/w, stumm, DCP

KINO WIEN FILM
Paul Rosdy, A 2018
KAMERA Peter Roehsler, Wolfram Wuinovic, Gabriel Krajanek | MUSIK Gerhard Gruber
97 min | Farbe, dt. OF, DCP

Das Kino – ein Ort der Träume und Illusionen, von der Wunschmaschine in der Vor­
führkammer auf die Leinwand und zum Leben gebracht. Spricht man mit Menschen
von »außerhalb«, so sind sie immer ein wenig neidisch auf Wien und seine Kinoszene,
der Paul Rosdy mit seinem Film ein sensibles, liebevolles Denkmal setzt. KINO WIEN
FILM erzählt von der Blütezeit der städtischen Lichtspielhäuser und von jenen, die
sie unter großer Anstrengung am Laufen gehalten haben oder es immer noch tun:
Idealisten, Kämpfer, Arbeiter. Er erzählt aber auch vom Wandel der Zeit, von den
Herausforderungen, denen sich BetreiberInnen heute stellen müssen, um das Kino
als sozialen Ort zu erhalten, und die weit über das Technische hinausgehen.
Zum Auftakt: Royales aus längst vergangenen Tagen. (fw)

FR 6.3.: In Anwesenheit von Paul Rosdy.

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KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 FR 6.3., 21:00 | DI 10.3., 18:00
OUT OF PRINT
 WELTWEIT EINZIGE 35MM-KOPIE

Julia Marchese, US 2014
KAMERA Alex Simon | MUSIK Peter Marchese
MIT Rian Johnson, John Landis, Stuart Gordon,
Clu Gulager, Joe Dante, Tom Holland u. v. a.
86 min | Farbe, engl. OF, 35mm*

»This ain’t no Multiplex!«, ist der Schlachtruf dieser wunderbaren Liebeserklärung
an den Film – natürlich in 35mm –, das Kino im Allgemeinen und das New Beverly in
L. A. im Besonderen, das sich entgegen seinem Namen seit 1978 auf die Wiederauf­
führung von Filmklassikern spezialisiert hat. Neben Kultregisseuren wie Joe Dante,
John Landis oder Stuart Gordon kommen auch die wichtigsten Protagonisten dieses
Cineastentreffpunkts ausgiebig zu Wort: die Fans und die Menschen hinter den Kulissen.
(Günter Pscheider)

 SA 7.3., 18:00 | FR 27.3., 19:00
BELLARIA – SO LANGE
WIR LEBEN!

Douglas Wolfsperger, A/D 2002
KAMERA Helmut Wimmer | MUSIK Hans-Jürgen
Buchner (Haindling)
100 min | Farbe und s/w, dt. OF, 35mm

Ende 2019 musste – für viele überraschend – eine altehrwüdige Wiener Kinoinstitution
ihre Pforten schließen: das 1912 eröffnete Bellaria. Gleich hinter dem Volkstheater
gelegen, umwehte dieses Kino stets die Aura des Vergangenen, fast war es so, als
wäre dort die Zeit stehengeblieben. Regelmäßig trafen sich die LiebhaberInnen alter
UFA-Filme und nutzten den Kinosessel als Zeitmaschine. Der Film holt diese Menschen
mit ihren Lebensgeschichten vor die Kamera und setzt ihnen ein berührendes wie
unterhaltsames Denkmal. (fw)

*Print courtesy of the Julia Marchese Collection at the Academy Film Archive                        27
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 SA 7.3., 20:30 | FR 20.3., 18:00
VORFILM: AUSTRIA WOCHENSCHAU 1964:
WIR VOM KINO | 10 min | s/w, dt. OF, DCP

MATINEE
Joe Dante, US 1993
BUCH Charlie Haas, Jerico Stone | KAMERA John
Hora | MIT John Goodman, Cathy Moriarty, Simon
Fenton, Robert Picardo
98 min | Farbe und s/w, engl. OF, 35mm*

Florida 1962. Gespannt blickt man auf Kuba, wo die Sowjets ihre Raketen stationieren
und der Kalte Krieg heiß zu werden droht. Für Kinobesitzer und Filmproduzent Law­
rence Woolsey der ideale Zeitpunkt, den neuen Monsterfilm MANT auf sein Publikum
loszulassen über eine Kreatur halb Mensch, halb Ameise. Mittels cleverer Marketing­
strategie und Gimmicks wird die Premiere zum Ereignis. Während draußen der atomare
Schrecken lauert, wird auf und vor der Leinwand für wohligen Nervenkitzel gesorgt.
Ein toller Film vom Meister der doppelbödigen Unterhaltung. (fw)

 SO 8.3., 18:00
IM LAUF DER ZEIT

Wim Wenders, BRD 1976
BUCH Wim Wenders | KAMERA Robby Müller,
Martin Schäfer | MUSIK Improved Sound Ltd.,
Axel Linstädt u. a. | MIT Rüdiger Vogler, Hanns
Zischler, Lisa Kreuzer, Rudolf Schündler
175 min | s/w, dt. OF, DCP

Bruno tuckert mit seinem alten Möbelwagen durch die Lande und repariert alte
Kinoprojektoren. Auf einer seiner Fahrten trifft er Robert, der gerade seine Frau
verlassen hat und Selbstmord begehen will. Der Beginn einer wunderbaren Männer­
freundschaft, die sie, die deutsch-deutsche Grenze entlang, zu ihren Träumen und
Sehnsüchten und schließlich zu sich selbst führt. Zum Großteil improvisiert und
ohne festes Drehbuch, vermittelt der Film in seinen knapp drei Stunden ein süchtig
machendes Gefühl von Freiheit. (fw)

28                                        *35mm collection print courtesy of UCLA Film & Television Archive
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 SO 8.3., 21:00 | MI 1.4., 20:00

TAXI DRIVER
Martin Scorsese, US 1976
BUCH Paul Schrader | KAMERA Michael Chapman | MUSIK Bernard Herrmann | MIT Robert De Niro,
Jodie Foster, Harvey Keitel, Albert Brooks, Cybill Shepherd
114 min | Farbe, engl. OF, 35mm

Die Großstadt als Moloch, der im Begriff ist, den Vietnamveteranen Travis Bickle bei
lebendigem Leibe aufzufressen. Traumatisiert und alleingelassen, schlägt er sich als
Taxifahrer durch, wobei er aufgrund von Schlaflosigkeit vor allem nachts unterwegs ist
und New York von der schlechtesten Seite erfährt. Seine Vorstellung von Intimität ist
geprägt von Besuchen in Pornokinos, die für ihn nichts Anrüchiges haben, wo er wie
jeder andere Kinobesucher Popcorn kauft und wohin er auch sein Date ausführt. Ver­
schwommene und ausschnitthafte Bilder machen aber deutlich, in welcher Parallelwelt
sich Travis bewegt und wie verzerrt sein Weltbild ist. Letzteres gerät immer mehr ins
Wanken, mutiert zu einem Wahn, der, als er eine 13-jährige Prostituierte nicht retten
kann, in einem Blutbad endet. (kh)

                                                                                                    29
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MO 9.3., 21:00 | MI 1.4., 18:00
CINEMANIA

Angela Christlieb/Stephen Kijak,
D/US 2002
KAMERA Angela Christlieb
MUSIK Robert Drasnin, Stereo Total
83 min | Farbe, engl. OmdU, 35mm

Roberta, Jack, Eric, Bill und Harvey haben ihr Leben dem Kino verschrieben. Sei es
Ernährung, Schlafrhythmus, die Wahl der Unterwäsche oder zwischenmenschliche
Beziehungen – alles und jeder wird dem Sehen von Filmen und dem Sammeln von
Memorabilien untergeordnet. Kino als Lebensinhalt. Kino als Lebenselixier. Kino als
Extremsport. Kino als Obsession. Obwohl es sich hier um ein ganz anderes Level
der Filmliebhaberei handelt, stellt sich zwischen Bewunderung und Unwohlsein doch
immer wieder die Frage: wie viel dieser Menschen steckt auch in mir? (kh)

 DI 10.3., 18:30 | DI 24.3., 21:00
THE LAST PICTURE SHOW

Peter Bogdanovich, US 1971
BUCH Peter Bogdanovich, Larry McMurtry, nach sei-
nem Roman | KAMERA Robert Surtees | MIT Timothy
Bottoms, Jeff Bridges, Cybill Shepherd, Ben Johnson
118 min | Farbe, engl. OF, DCP

In einer texanischen Kleinstadt fristet eine Gruppe Teenager Mitte der 1950er-Jahre
ein trauriges Dasein. Eingespannt zwischen den historischen Konstanten des Zweiten
Weltkriegs und der Koreakrise, existieren sie in einem Schwebezustand des Älter­
werdens und Nicht-erwachsen-werden-Wollens innerhalb einer ernüchternden Welt.
Nur die Filme im einzigen Kino der Stadt halten Abend für Abend den Traum davon,
dass es auch anders sein könnte, am Leben … Achtfach oscarnominiert, zählt Bogda­
novichs dritter Film zu den Meisterwerken des New Hollywood. (fw)

30
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MI 11.3., 18:00 | FR 27.3., 20:00
VORFILM: [AUFNAHMEN DES KINO REICHENAU,
IN PAYERBACH-REICHENAU]
A 1919 | 1 min | s/w, stumm, DCP

PHÖNIX AN DER ECKE
Peter Patzak, A/BRD 1982
BUCH Peter Patzak | KAMERA Dietrich Lohmann
MIT Rainer Egger, Pinkas Braun, Robert Hoffmann
90 min | Farbe, dt. OF, 16mm

Rot und verheißungsvoll leuchtet die Neonschrift: Phönix Lichtspiele. Es ist das
titelgebende Kino am Eck (Drehort: Breitenseer Lichtspiele). Geistesabwesend sitzt
der Filmvorführer vor den ratternden Projektoren. Ein Mann mit Anzug und dunkler
Brille geht einen verrucht ausgeleuchteten Korridor entlang, vorbei an Damen in
knappen Kostümen. Plötzlich steht der Filmvorführer in der Tür und schießt auf
ihn. Eine Szene aus dem Film, der gerade läuft? Peter Patzak lässt seiner Liebe
zum surrealen Spiel freien Lauf: Kino passiert hier überall! (red)

 MI 11.3., 20:00 | DO 26.3., 18:00
VORFILM: [DIE ERÖFFNUNG DES ZENTRAL-KINO,
IN BAD VÖSLAU]
A 1927 | 1 min | s/w, dt. ZT, DCP

WELT SPIEGEL KINO.
EPISODE 1–3

Gustav Deutsch, A 2005
93 min | Farbe und s/w, dt. OF, 35mm

Wien (1912), Surabaya, Java (1929) und Porto (1930) – die drei Orts- und Zeitangaben
definieren die ersten drei Episoden dieses Langzeitprojekts. Zu sehen sind Film­
aufnahmen von Kinos in ihrem urbanen Umfeld, das Leben auf der Straße, die
Passanten, die Schaulustigen und deren Reaktionen auf die Kamera. Einen zweiten
Ausgangspunkt bilden jene Filme, die auf den Plakaten in den Schaukästen dieser
Kinos beworben werden. So treten die Realität der Straßen und die Welt des Kinos
in einen widersprüchlichen, spannungsreichen Dialog. (red)

                                                                                       31
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MO 16.3., 18:45 | SO 29.3., 21:00

SUNSET BOULEVARD
Billy Wilder, US 1950
BOULEVARD DER DÄMMERUNG | BUCH Billy Wilder, Charles Brackett, D. M. Marshman Jr. | KAMERA John F. Seitz
MUSIK Franz Waxman | MIT Gloria Swanson, William Holden, Erich von Stroheim, Fred Clark, Nancy Olson,
Cecil B. DeMille, Buster Keaton, Hedda Hopper
110 min | s/w, engl. OF, 35mm

Nicht nur im sozialen Raum, sondern auch ganz schlicht im eigenen Wohnzimmer
lassen sich die Laufbilder zum Leben erwecken. Während heutzutage Heimkinos für
jeden Geldbeutel erschwinglich sind, war das vor 70 Jahren weitaus aufwendiger. Die
vergessene Stummfilmdiva Norma Desmond lebt, zurückgezogen mit ihrem Butler in
einer heruntergekommenen Villa, Tag für Tag in ihrer glanzvollen Vergangenheit und
wartet auf ihr großes Comeback. Dieses wittert sie, als der wenig erfolgreiche Dreh­
buchautor Joe Gillis zufällig auf ihrem Anwesen auftaucht … Billy Wilder hält in einem
seiner vollkommensten Geniestreiche der Industrie den Spiegel vor. Mit bitterem
Sarkasmus wechselt er zwischen Fiktion und tatsächlicher Hollywoodkomparserie,
indem er zahlreiche Stars als sie selbst auftreten lässt. (fw)

32
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MO 16.3., 19:30 | DO 26.3., 20:00
LAST ACTION HERO

John McTiernan, US 1993
BUCH Shane Black, David Arnott, nach einer
Geschichte von Zak Penn und Adam Leff
KAMERA Dean Semler | MIT Arnold Schwarzenegger,
F. Murray Abraham, Austin O’Brien, Anthony Quinn
130 min | Farbe, engl. OmdU, 35mm

Der 11-jährige Danny verbringt jede freie Minute in einem New Yorker Kino. Sein
bester Freund ist Vorführer Nick, sein Idol der Leinwandheld Jack Slater, ein muskel­
bepackter, tougher L. A. Cop. Als Danny von Nick eine besondere Eintrittskarte er­
hält, werden die Regeln des Kinos außer Kraft gesetzt. Danny landet mitten in der
Actionszenerie von JACK SLATER IV und im Kampf gegen die Bösewichte. LAST
ACTION HERO ist eine klischeegeladene Parodie auf das Genre, die mit zahlreichen
Filmzitaten unterhält und das Kino zum magischen Ort erklärt. (kh)

 MO 16.3., 21:00 | DI 31.3., 18:00
THE PURPLE ROSE OF CAIRO

Woody Allen, US 1985
BUCH Woody Allen | KAMERA Gordon Willis
MUSIK Dick Hyman | MIT Mia Farrow, Jeff Daniels,
Danny Aiello, Dianne West, Van Johnson
82 min | Farbe und s/w, engl. OF, 35mm

Amerika zur Zeit der Depression. Leidenschaftlich gern flieht Kellnerin Cecilia vom
trostlosen Alltag ins Kino. Vor allem der Film THE PURPLE ROSE OF CAIRO gefällt ihr
so sehr, dass sie ihn sich immer und immer wieder ansieht. Bis sie eines Tages sogar
Protagonist Baxter auffällt, der kurzerhand von der Leinwand zu ihr ins Auditorium
hinabsteigt – und sich in sie verliebt. Mit ungeahnten Folgen … Woody Allens bittersüße
Liebeserklärung an das Kino und seine Stars reflektiert auf doppelbödige Weise die
Traumfabrik Hollywood. Kritikerpreis in Cannes! (fw)

                                                                                        33
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 DI 17.3., 20:15 | MO 30.3., 18:00

VORFILM: CARMEN | Anja Salomonowitz, A 1999
BUCH Anja Salomonowitz | KAMERA Hannes Anderwald | MUSIK Samir Zeciri 23 min | s/w, dt. OF, DigiBeta

HIMMEL ODER HÖLLE
Wolfgang Murnberger, A 1990
BUCH Wolfgang Murnberger | KAMERA Fabian Eder | MUSIK Robert Stiegler, Kurt Hintermayr | MIT Adi Murnberger,
Fabian Weidinger, Johannes Habeler, Lukas Habeler, Ines Ledwinka 75 min | Farbe und s/w, dt. OF, 16mm

Das Kino – Ort der (Zu)Flucht, der Fantasie- und Parallelwelten, aber auch schlicht
ein Lebensraum. In seiner hymnisch gefeierten Kindheitserinnerung HIMMEL ODER
HÖLLE erzählt Wolfgang Murnberger mit viel Hingabe von seinem Leben im elter­
lichen Dorfkino im Burgenland, vom Großwerden zwischen Schlachthof, Großeltern­
schlafzimmer und Filmvorführung. Kino als Umschlagplatz kindlicher Neugier und
Abenteuerlust: ein poetisch-assoziativer, in seiner (Alltags-)Beobachtung genau
gezeichneter Bilderbogen, der ganz nah an der Perspektive seiner jungen Protago­
nisten bleibt. Von der Liebe zum Kino berichtet auch Anja Salomonowitz in ihrem
Dokuporträt CARMEN über eine Kinomitarbeiterin, die nicht nur im Kinosaal schläft,
sondern ihm sogar einen Heiratsantrag macht. Intimer kann ein Ort nicht sein. (red)

DI 17.3.: In Anwesenheit von Wolfgang Murnberger und Anja Salomonowitz.

34
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MI 18.3., 18:00 | MI 25.3., 20:30

THE ARTIST
Michel Hazanavicius, F/B/US 2011
BUCH Michel Hazanavicius | KAMERA Guillaume Schiffman | MUSIK Ludovic Bource
MIT Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell, Penelope Ann Miller
100 min | s/w, engl. OF, 35mm

Hollywood, Mitte der 1920er-Jahre. Stummfilmstar George Valentin steht am Höhe­
punkt seiner Karriere, als er mit der aufstrebenden jungen Schauspielerin Peppy eine
verhängnisvolle Affäre beginnt. Der persönlichen Krise folgt alsbald eine berufliche,
denn mit der Einführung des Tonfilms ist George plötzlich nicht mehr gefragt, wäh­
rend Peppy einen fulminanten Erfolg nach dem anderen hinlegt … Hazanavicius’
Hommage an das »Hollywood von gestern« (und zugleich Gegenentwurf zu SINGIN’
IN THE RAIN) ist mit extremer Detailverliebtheit gestaltet und wusste bei Erscheinen
Kritiker (u. a. fünf Oscars, drei Golden Globes und sieben BAFTA Awards) und Publi­
kum gleichermaßen zu begeistern – nicht nur, aber auch wegen Jack-Russell-Terrier
Uggie, der den Schauspielern immer wieder die Show stiehlt. (fw)

                                                                                                     35
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MI 18.3., 20:00 | MI 25.3., 18:00
THE SMALLEST SHOW
ON EARTH
Basil Dearden, GB 1957
BUCH John Eldrige, nach einer Geschichte von
William Rose | KAMERA Douglas Slocombe
MIT Virginia McKenna, Bill Travers, Margaret
Rutherford, Peter Sellers, Bernard Miles
80 min | s/w, engl. OF, digital

Ein Kino in der Nähe des Bahnhofs einer kleinen Provinzstadt. Die Belegschaft des
Bijou Kinema, genannt »Flea Pit«, besteht aus drei Alten: einer Klavierspielerin, die
an der Kassa sitzt, einem Schuhmacher mit einer Schwäche für Whisky und einem
Portier und Handwerker. Als Matt und Jean das baufällige Lichtspieltheater erben,
wollen sie es zunächst verkaufen, doch der Erlös würde nicht einmal für die Schulden
reichen. Also entschließen sie sich zu einem Bluff: Sie geben vor, das Kino wieder­
zueröffnen, in der Hoffnung auf bessere Angebote ... (red)

 FR 27.3., 21:00
CHILLERAMA

Adam Green/Joe Lynch/Adam Rifkin/
Tim Sullivan, US 2011
BUCH Adam Green, Joe Lynch, Adam Rifkin, Tim
Sullivan | KAMERA Will Barratt | MIT Eric Roberts,
Lin Shaye, Ray Wise, Tania Raymonde
120 min | Farbe, engl. OmdU, digital

Ein letztes Mal will ein Autokinobesitzer sein Publikum mit vier Trashfilmen verwöh­
nen, bevor die Lichter für immer ausgehen. Doch während die Zuschauer mit men­
schenfressenden Killerspermien, homosexuellen Werbären und einem von Hitler
erschaffenen Golem konfrontiert sind, breitet sich durch verseuchtes Popcorn eine
Zombieepidemie aus … Dieser Inhalt spricht wohl für sich: zwei Stunden Leinwand­
exzess, wie man ihn nur noch selten zu sehen bekommt. Eine saftige, überdrehte
und total unterhaltsame Hommage an die Glory Days des Genrekinos. (fw)

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KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 DO 19.3., 20:00 | SA 28.3., 20:30

VORFILM: [EIN K.U.K. FELDKINO-ZUG WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGES]
A 1917 | 2 min | s/w, dt. ZT, DCP

INGLOURIOUS BASTERDS
Quentin Tarantino, US/D 2009
BUCH Quentin Tarantino | KAMERA Robert Richardson | MUSIK Ennio Morricone, Nick Perito u. a.
MIT Brad Pitt, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Eli Roth, Michael Fassbender, Diane Kruger
153 min | Farbe, engl. OmdU, 35mm
Aus seiner Filmvernarrtheit hat Quentin Tarantino nie einen Hehl gemacht. Dem Kino
als Ort, in dem nicht nur Geschichte geschrieben, sondern auch kraft der eigenen
Imagination umgeschrieben werden kann, setzt er in INGLOURIOUS BASTERDS – auf
historische Korrektheit pfeifend – ein fulminantes Denkmal. Die jüdische Kinobesitzerin
Shosanna, die in der genialen Anfangsszene der tödlichen »Spürnase« eines gewis­
sen Hans Landa nur knapp entkommt, plant für Hitlers Einzug in Paris, der von der
Premiere eines Propagandastreifens gekrönt werden soll, für die NS-Granden einen
feurigen Empfang in ihrem Lichtspielhaus. Währenddessen verbreitet ein jüdischer
Soldatentrupp unter den Deutschen Angst und Schrecken – und wittert für die Film­
vorführung ebenfalls seine große Chance. (fw)

                                                                                                       37
KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 MO 23.3., 20:30 | SO 29.3., 18:30

NUOVO CINEMA PARADISO
Giuseppe Tornatore, I/F 1988
CINEMA PARADISO | BUCH Giuseppe Tornatore, Vanna Paoli | KAMERA Blasco Giurato | MUSIK Ennio Morricone
MIT Philippe Noiret, Jacques Perrin, Marco Leonardi, Salvatore Cascio, Leopoldo Trieste
123 min | Farbe, ital. OmeU, 35mm

Schon in seiner frühesten Kindheit verbringt Salvatore jede freie Minute im Cinema
Paradiso, wo sich nach dem Krieg Abend für Abend die ganze Dorfgemeinschaft
trifft, um sich in fremde Welten entführen zu lassen. Der grummelige, aber umso
liebenswertere Vorführer Alfredo mutiert dabei zum Ersatzvater für den kleinen
»Toto«, der später Karriere als Filmregisseur machen wird. Er weist ihn nicht nur in
die Kunst des Überblendens, sondern anhand zensierter Schnipsel aus den Klassikern
auch in die Geheimnisse des Vorführens ein … Giuseppe Tornatores (in seinem sizilia­
nischen Heimatort gedrehte) vielfach ausgezeichnete Liebeserklärung ans Kino: eine
der schönsten, vielleicht auch treffendsten Geschichten, die die Macht und Faszina­tion
der Laufbilder einzufangen vermag. (fw)

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KINO IM KINO | RETROSPEKTIVE

 SA 28.3., 18:45
VORFILME:
WIE SICH DER KIENTOPP RÄCHT
Gustav Trautschold, D 1912 | 18 min | s/w, dt. ZT, 35mm
IDEALE FILMERZEUGUNG
Ludwig Schaschek, A 1914 | 7 min | s/w, dt. ZT, DCP

SHERLOCK JR.
Buster Keaton, US 1924
SHERLOCK HOLMES DER ZWEITE | BUCH Clyde Bruckman, J. C. Havez, J. A. Mitchell | KAMERA Elgin Lessley,
Byron Houck | MIT Buster Keaton, Kathryn McGuire, Joe Keaton, Erwin Connelly, Ward Crane
53 min | s/w, engl. ZT, DCP

Das frühe Kino im Kino: in Gustav Trautscholds WIE SICH DER KIENTOPP RÄCHT wird
ein Moralapostel und strikter Gegner der Kinematografie selbst zum abschreckenden
Beispiel für sittenverderbendes Verhalten. DIE IDEALE FILMERZEUGUNG macht als
filmhistorisches Dokument den Film mittels Stop-Motion erstmals selbst zum Haupt­
darsteller, bevor Buster Keaton in seinem komisch-poetischen Meisterwerk SHERLOCK
JR. als Filmvorführer traumwandlerisch zum Meisterdetektiv mutiert. Der Kinobesucher
wird Zeuge davon, wie das Kino Vergeltung übt und wie es einen Blick hinter seine
Kulissen gewährt. Wie es zwar dem Chaos nicht immer Einhalt gebieten kann, dafür
aber die Grenzen von Wirklichkeit und Realität verschwimmen lässt, um die Liebe zu
retten. (kh)

                                                                                                        39
WOLFRAM PAULUS
RETROSPEKTIVE VOM 18. BIS 29. MÄRZ 2020

V   ielleicht ist Wolfram Paulus einer der großen, noch zu entdeckenden Wegbereiter
    dessen, was man heute als Neuen Österreichischen Film bezeichnet. Mit seinem
Regie­debüt HEIDENLÖCHER und auch den nachfolgenden Filmen hat er dem heimi­
schen Kino in den 1980er-Jahren definitiv einen eigenen Stempel aufgesetzt. Paulus
ist einer jener Filmemacher, die »zeigen, was sie kennen und lieben«. Nicht umsonst
sind viele seiner Filme in und um Salzburg herum entstanden, jener Region, in der
er geboren und aufgewachsen ist, bis heute lebt und arbeitet. Es ist längst an der
Zeit, die eigensinnigen wie sanften Arbeiten dieses Regisseurs wiederzuentdecken,
für den Filmemachen immer ein großes Abenteuer ist.

Wolfram Paulus wird vom 18. bis 22. März bei den Vorstellungen anwesend sein.
Zwei seiner Filme werden auch im Rahmen der Reihe Kinder Kino Klassiker gezeigt.

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Setfoto NACHSAISON

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WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

»ICH NEHME MIR DIE GESCHICHTEN
AUS MEINEM LAND …
FLORIAN WIDEGGER

… und ich erzähle sie von innen heraus.« Schon in seiner Kindheit ist der 1957 in
Großarl im Pongau geborene Paulus fasziniert vom Kino. Mit 15 Jahren beginnt er,
angesteckt von seinem filmaffinen Vater, auf Super-8 Kurzfilme zu drehen. Darin
geht es um Kindheit, ums Aufwachsen am Land, um die Arbeit der Bergbauern.
Man könnte sagen: Themen, die Wolfram Paulus bis heute nicht losgelassen haben.
WOCHENEND, sein Abschlussfilm an der Filmakademie in München, verdeutlicht nicht
nur sein Interesse an »ländlichen« Stoffen, sondern auch sein Faible für die Arbeit
mit Laiendarstellern. Seine Vorbilder sind Pasolini und (der damals bereits aus der
Mode gekommene) Robert Bresson, den er noch kennenlernen durfte: »Beobachte,
sammle Eindrücke, nimm auf, so viel du kannst!«, gab ihm der französische Meister
mit auf den Weg.

In den 1980er-Jahren, kurz nach Einrichtung einer öffentlichen Filmförderung, ist
das heimische Kino auf der Suche nach einer neuen Identität. Paulus’ Langfilmdebüt
HEIDENLÖCHER trifft einen Nerv: karge Schwarz-Weiß-Bilder, sparsamer Dialog,
nahezu dokumentarischer Gestus – ein gegen den Strich gebürsteter »Heimatfilm«,

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der allerdings zum größten Teil mit finanzieller Beteiligung aus Deutschland entsteht.
Mit den beiden nachfolgenden Filmen NACHSAISON und DIE MINISTRANTEN komplet­
tiert er seine »Salzburger Trilogie«, die seitdem zum Kanon der jüngeren österreichi­
schen Filmgeschichte gehört. Letzterer offenbart eine weitere, wesentliche Seite im
Schaffen des Autors, Cutters und Regisseurs Wolfram Paulus, nämlich Geschichten mit
und aus der Sicht von Kindern zu zeigen. Für nicht wenige von ihnen stellt die Arbeit
mit Paulus den Karrierestart vor der Kamera dar, für ihn ergibt sich umgekehrt die
Möglichkeit, Geschichten aus einem neuen Blickwinkel zu erzählen. Oft lässt er dabei
eigene Erfahrungen (etwa in RENNLAUF) bzw. die Biografien seiner Darsteller (z. B.
seines Bruders Albert in NACHSAISON) in seine Filme einfließen.

In den 1990er-Jahren ist Paulus immer noch viel beschäftigt und dreht jedes Jahr
einen Film. Doch scheint es, als hätten sowohl sein Wechsel zum Fernsehen, wo er
regelmäßig mit Erfolg Stoffe unterbringt, und seine Festlegung als Kinderfilmregis­
seur (zwei Filme werden auch im Rahmen der Reihe Kinder Kino Klassiker gezeigt)
es ihm im regulären Kinobetrieb schwer gemacht. Man sollte sich allerdings nicht
täuschen lassen: denn bis heute haben seine Arbeiten an Energie, Witz und Risiko­
bereitschaft sogar noch gewonnen. Sein bis dato letztes Projekt HELDENZEITREISE,
das im Rahmen dieser Retrospektive erstmals in Wien präsentiert wird, ist dafür ein
leuchtendes Beispiel.

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WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

 MI 18.3., 19:00 | MO 23.3., 20:00
VORFILM: WOCHENEND
Wolfram Paulus A/BRD 1981 | 31 min | s/w, dt. OF, 35mm

HEIDENLÖCHER
Wolfram Paulus, A/BRD 1986
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Wolfgang Simon | MUSIK Bert Breit | MIT Florian Pircher, Albert Paulus,
Helmut Vogel, Matthias Aichhorn, Rolf Zacher 100 min | s/w, dt. OF, 35mm

Ein Deserteur versteckt sich während des Zweiten Weltkriegs in den Höhlen nahe
einem Bergdorf. Nachts wagt er sich ins Freie, um sich bei seiner Frau zu versorgen,
doch die Gestapo und die örtliche Polizei sind ihm dicht auf den Fersen. Wolfram
Paulus’ beeindruckendes Spielfilmdebüt ist nicht nur einer der ersten österreichi­
schen Filme, die im Berlinale-Wettbewerb um einen Goldenen Bären rittern, sondern
auch eine der ersten »Vorzeigeproduktionen« des neuen, jungen österreichischen
Films der 1980er-Jahre. »Ein asketischer Heimatfilm, in dem sich ein Western ver­
steckt«, vermutet Die Zeit. Bereits mit seinem Abschlussfilm WOCHENEND macht
der Salzburger Filmemacher mit unverkennbarer Handschrift auf zahlreichen Film­
festivals von sich reden. (fw)

MI 18.3.: In Anwesenheit von Wolfram Paulus.
Freier Eintritt für FAA-Clubmitglieder (mit Begleitung).

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WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

 DO 19.3., 20:30 | MO 23.3., 18:00

NACHSAISON
Wolfram Paulus, A/BRD 1988
BUCH Wolfram Paulus, Uli Neulinger | KAMERA Christian Berger | MUSIK Bert Breit, Marin Marais,
MIT Albert Paulus, Daniela Obermeir, Mercedes Echerer, Günther Maria Halmer, Michael Reiter, Marika Green
88 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Seine besten Zeiten scheint der mondäne Kurort, in dem Lenz als Masseur mehr
schlecht als recht sein Auskommen findet, lange hinter sich zu haben. Mit seinen Hän­
den knetet und walkt er die Körper, sein Leben selbst bekommt er aber nicht in den
Griff. Von seiner Frau und seinem Kind hat er sich entfremdet, und als er die Tänzerin
Nurit kennenlernt, gerät sein Leben vollends aus dem Gleichgewicht. Nicht nur Lenz
taumelt, auch Hotelier Fussek, dessen protzige Anlage für frischen Wind im Ort sorgen
sollte: Mit Verlust ist zu rechnen. Paulus’ zweiter Langfilm: eine in jeder Hinsicht ver­
dichtete Charakterstudie, die von enttäuschten Illusionen und folgenlosem Glück er­
zählt und bei ihrer Uraufführung auf dem Filmfestival in Venedig Aufsehen erregte. (fw)

DO 19.3.: In Anwesenheit von Wolfram Paulus, Christian Berger,
Mercedes Echerer und Marika Green.

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WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

 DO 19.3., 18:00 | SA 28.3., 20:00
DIE MINISTRANTEN

Wolfram Paulus, BRD/A 1990
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Volker Tittel
MIT Christoph Schnell, Gerald Bachler, Nikolaus
Dobrowolsky, Stefan Steger, Franz Brandauer,
Johannes Thanheiser
87 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Tamsweg, Anfang der 1960er-Jahre. Wie so viele hier, sind auch die jungen Filmhelden
Ministranten in der Dorfpfarrei – und passionierte Bandenmitglieder. Die fünf »Wölfe«
wollen zu den Stärksten im Lungau werden und die Rivalen aus dem Nachbarort
besiegen. Regeln werden aufgestellt, nach den Anleitungen von Karl May wird strate­
gisch trainiert. Während der Karwoche beginnen die letzten Vorbereitungen für das
Kräftemessen, das für Ostersonntag angesagt ist. In das große Abenteuer Kindheit
schleicht sich so langsam, aber sicher der Ernst des Lebens ein. (red)

 FR 20.3., 19:00 | DI 24.3., 20:00
DU BRINGST MICH NOCH UM

Wolfram Paulus, A 1995
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Wolfgang Simon
MUSIK Peter Valentin | MIT August Zirner, Gabriela
Benesch, Katja Flint, Georg Schuchter, Louise Martini
98 min | Farbe, dt. OF, 35mm

Vielleicht ist es ihr weißer Mantel, der Simon auf Helga anspringen lässt, als er sie zum
ersten Mal erblickt. Jedenfalls begegnet er ihr bald öfters, spricht sie an, verabredet
sich mit ihr, verliebt sich in sie. Und sie erwidert seine Avancen. Doch beide haben
Familien mit den falschen Partnern, leben im falschen Leben. Wolfram Paulus schildert
diese »verhängnisvolle« Affäre in hohem Tempo und mit viel Witz, ohne dabei je die
Ernsthaftigkeit der Situation aus den Augen zu verlieren: unaufgeregt, immer wieder
brodelnd. Ein echtes Kleinod. (fw)

46
WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

 FR 20.3., 21:00 | SO 29.3., 20:00
RENNLAUF

Wolfram Paulus, A/BRD 1997
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Hans Selikovsky
MUSIK Peter Valentin | MIT Johanna Wölfl, Franka
Potente, Fritz Egger, Ludwig Dornauer, Dietmar
Mössmer 90 min | Farbe, dt. OF, digital

Dem Geschwindigkeitskick folgt – auf der Piste wie im Leben – oft der Abschwung:
Nach einer Verletzung will sich Ski-Ass Andrea aus dem aktiven Sport zurückziehen.
Als sie zufällig auf ihren ehemaligen Trainer trifft, kann er sie dazu überreden, noch
eine Saison weiterzumachen. Es dauert nicht lange, bis ihr Feuer entbrennt ... Paulus,
als Jugendlicher selbst im Kader, weiß, wovon er in rasanten wie präzisen Bildern,
immer nahe an seiner Protagonistin, erzählt. In einer Nebenrolle: Franka Potente,
kurz vor ihrem Durchbruch mit LOLA RENNT. (fw)

 SA 21.3., 18:00 | SO 29.3., 18:00
BLUTSBRÜDER TEILEN ALLES

Wolfram Paulus, A/D/RO 2012
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Tudor Mircea
MIT Lorenz Willkomm, Johannes Nussbaum,
Bernhard Schir, Udo Samel, Susanne Lothar
88 min | Farbe, dt. OF, digital

Wien 1944. Alex und Ferry sind unzertrennlich. Als Ferry zum Schutz vor den alliierten
Angriffen aufs Land geschickt wird, schließt sich ihm Alex gegen den Willen seiner
Eltern an. In ihrer neuen Umgebung machen die beiden 13-Jährigen erste amouröse
Erfahrungen. Ihre Freundschaft wird allerdings auf eine harte Probe gestellt, als
Alex’ jüdische Herkunft ans Licht gerät … Neben »alten Hasen« brillieren die beiden
Jungschauspieler in ihren ersten Hauptrollen und zeugen vom guten Riecher, den
Wolfram Paulus bei der Besetzung an den Tag legt. (fw)

                                                                                     47
WOLFRAM PAULUS | RETROSPEKTIVE

 SA 21.3., 20:00 | MI 25.3., 20:00

HELDENZEITREISE
Wolfram Paulus, A 2017
BUCH Wolfram Paulus | KAMERA Michael Seidl | MIT Luke von Geusau, Franz Froschauer,
Peter Raffalt, Karin Seifried, Daria Trenkwalder
120 min | Farbe, dt. OF, DCP

Paulus’ bisher letzte Regiearbeit ist erneut ein waghalsiges wie ambitioniertes Projekt:
In sechs Episoden erzählt er von Menschen, die in schwierigen Situationen mit Mut
und Zivilcourage für ihre Ideale und ihr Gewissen eintreten – von der Römerzeit über
das Mittelalter bis hin zum 20. und sogar 21. Jahrhundert. Der Salzburger Filmemacher
arbeitet hier im benachbarten Oberösterreich mit Schülern und Laien, die teilweise
auch an der Entstehung des Drehbuchs beteiligt sind. Für nur 5.000 Euro entsteht
so ein bemerkenswerter »Heimatfilm« – das »größte Abenteuer meines bisherigen
filmischen Schaffens«, so der Regisseur selbst, in dem nicht die historische Genauig-
keit im Vordergrund steht, sondern die Auseinandersetzung mit den Werten unserer
Ge­sellschaft. (fw)

SA 21.3.: In Anwesenheit von Wolfram Paulus.

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