Entwicklung einer elektronischen Todesbescheinigung für Deutschland
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Leitthema Bundesgesundheitsbl 2019 · 62:1493–1499 Olaf Eckert1 · Linda Kühl2 · Ulrich Vogel2 · Stefanie Weber2 https://doi.org/10.1007/s00103-019-03055-0 1 Referat H101 Gesundheitsstatistiken, Statistisches Bundesamt, Bonn, Deutschland Online publiziert: 22. November 2019 2 Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln, Deutschland © Der/die Autor(en) 2019 Entwicklung einer elektronischen Todesbescheinigung für Deutschland Einleitung Sicherstellung der Vollzähligkeit der To- Die Autoren möchten durch diesen desursachenstatistik sind. Artikel eine Diskussion zum Projekt Jährlich stellen Ärztinnen und Ärz- Auf Basis dieser landesgesetzlichen anregen und laden zur Kommentierung te ca. 900.000 Todesbescheinigungen in Vorgaben hat jedes Bundesland ein und zum Diskurs ein. Der folgende Ab- Deutschland aus, welche die primäre Da- eigenes Papierformular für die Erstel- schnitt soll die Thematik für die künftigen tenquelle für die Todesursachenstatistik lung der Todesbescheinigung festgelegt, Anwender der eTB (leichenschauende sind [1]. Die Erhebung der Todesursa- sodass das Vorgehen zur Erhebung Ärztinnen und Ärzte, Gesundheitsämter, chen erfolgt auf Basis eines über viele der Todesursachen und der entspre- Standesämter, statistische Ämter) veran- Jahrzehnte entwickelten Systems, das chenden Dokumentation in mehreren schaulichen. Die vorgestellten Szenarien sich an den Anforderungen der Welt- Details zwischen den Bundesländern skizzieren mögliche Veränderungen der gesundheitsorganisation (WHO) für die unterschiedlich ist – eine Situation, die Arbeitsprozesse durch die eTB. Im An- Todesursachenstatistik orientiert [2]. Je- Ärztinnen und Ärzte bei der Bescheini- schluss wird die inhaltliche Revision doch zeigt eine neuere Studie aus Meck- gung des Todes und dem Ausfüllen der und Vereinheitlichung der deutschen lenburg-Vorpommern, dass fast jede Bescheinigung vor Probleme stellt [4, 5]. Todesbescheinigungen als ein zentraler analysierte Todesbescheinigung fehler- Auch die Situation, in der der Tod Teil des Projektes beschrieben und die haft ausgefüllt ist und bei 27 % sogar festgestellt wird, und der Ort, an dem angestrebte Pilotierungsphase erläutert, schwerwiegende Dokumentationsfehler dies geschieht (zuhause, im Krankenhaus bei der die Todesbescheinigungen elek- zu verzeichnen sind [3]. etc.), können deutlichen Einfluss auf die tronisch erfasst und verarbeitet werden Darüber hinaus wird die Todesursa- Angaben der Todesbescheinigung haben sollen. Hierfür sind der Aufbau einer chenstatistik direkt und indirekt durch [6]. IT-Infrastruktur und die Erarbeitung eine Vielzahl von bundes- und landes- Auf Basis dieser heterogenen Aus- eines Auswertungskonzeptes erforder- rechtlichenVorgabenbeeinflusst: Unmit- gangslage wird in einem überwiegend lich. Nach Auswertung der Pilottests soll telbar bestimmt das Bevölkerungsstatis- papierbasierten Verfahren die nationale eine Empfehlung für eine bundesweite tikgesetz (BevStatG) des Bundes, dass ei- Todesursachenstatistik erstellt. Umsetzung erfolgen. Im letzten Ab- ne Statistik über die Todesursachen zu In den kommenden drei Jahren wird schnitt werden die Chancen und Risiken führen ist. Die Bestattungsgesetze und von den Organisationen der Autoren, eines eTB-Projektes diskutiert, wobei die dazugehörenden Durchführungsver- dem Statistischen Bundesamt und dem internationale Erfahrungen einbezogen ordnungen der Bundesländer regeln, wie Deutschen Institut für Medizinische Do- werden. die Daten für die Todesursachenstatistik kumentation und Information (DIMDI) erhoben und welche Meldewege und Ar- ein Pilotprojekt zur Umsetzung und Anwendung und Funktion beits- und Prüfprozesse bis zur amtlichen Testung einer bundeseinheitlichen elek- der elektronischen Statistik zu durchlaufen sind. Einen wich- tronischen Todesbescheinigung (eTB)1 Todesbescheinigung (eTB) tigen Einfluss hat auch die Strafprozess- durchgeführt werden. ordnung (StPO), da bei nichtnatürlichen Für leichenschauende Ärztinnen und Ärz- Todesfällen die Bestattung erst nach Ge- te wäre die eTB ein Formular, das künftig nehmigung durch die Staatsanwaltschaft nach der Leichenschau ausgefüllt und 1 Das Projekt wird vom Bundesministerium erfolgen darf. Das Personenstandsgesetz nach einer ersten Onlineprüfung auf (PStG) sowie die Personenstandsverord- für Gesundheit gefördert. Der Abschlussbe- Vollständigkeit und Plausibilität an das richt zum Vorprojekt „Grobkonzeption einer nung (PStV) regeln die Aufgaben der bundeseinheitlichen elektronischen Todesbe- zuständige Gesundheitsamt versandt Standesämter, die unverzichtbar für die scheinigung“ (eTB) ist abrufbar unter https:// wird. Dieses Formular wäre interaktiv www.bundesgesundheitsministerium.de. und kontextsensitiv, sodass die Ärztin Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019 1493
Leitthema oder der Arzt bspw. bestimmte Ab- oder findet eine staatsanwaltschaftliche ne deutliche Abweichung in der Darstel- schnitte der Todesbescheinigung nur Untersuchung statt? lung von bspw. chronischen Krankheiten dann angezeigt bekommt, wenn diese Obduktionsergebnisse werden auch als Grundleiden bedingen [7, 8]. Hinzu relevant für den Fall sein könnten. (Die über das eTB-Portal an das Gesundheits- kommt, dass es zwischen den Bundeslän- Frage nach dem Geburtsgewicht wird amt übermittelt und können so in der dern Abweichungen in der Anordnung bei einem Sterbefall im fortgeschrittenen Todesursachenstatistik vollumfänglich und Bezeichnung der Felder und der Lebensalter bspw. ausgeblendet.) berücksichtigt werden. Falls Obduk- Formulierung von Hinweisen gibt, was Dieses Formular könnte bspw. für ap- tionsergebnisse oder Rückfragen zur für ausfüllende Ärztinnen und Ärzte an probierte Ärztinnen und Ärzte in einem Leichenschau zu Änderungen führen, Bundeslandgrenzen zusätzliche Verwir- eTB-Portal abrufbar sein, das als Teil der wird im System eine korrigierte To- rung schafft und damit eine Fehlerquelle Bürgerportale im Rahmen der Digitali- desbescheinigung erstellt, die dann bei für die Statistik darstellt. Die Vereinba- sierungsstrategie für die öffentliche Ver- Fallabschluss an das zuständige statisti- rung eines bundeseinheitlichen Daten- waltung bis Ende 2022 aufgebaut wird. sche Amt und ggf. weitere Empfänger satzes bedarf der genauen Prüfung der Neben einer möglichen Einbindung im übermittelt wird. bestehenden Todesbescheinigungen und Praxis- oder Krankenhausinformations- Standesämter würden ebenfalls von ei- einer inhaltlichen Diskussion zur Festle- system wäre es auch über mobile End- nem eTB-Portal profitieren: Unmittelbar gung, welche Felder bundesweit zusätz- geräte erreichbar. Unabhängig davon, in nach Eingang im eTB-Portal werden die lich zu den von der WHO vorgegebenen welcher Softwareumgebung oder in wel- nichtvertraulichen Angaben der Todes- Feldern benötigt und erhoben werden chem Bundesland das eTB-Formular auf- bescheinigung elektronisch weitergelei- sollen. Hierbei sollten nicht nur die be- gerufen werden wird, sind die angezeig- tet und sind dort für die Beurkundung stehenden Felder geprüft und hinterfragt ten Eingabefelder gleichartig aufgebaut des Sterbefalls verfügbar. werden, sondern auch direkt die Not- und angeordnet. Die Eingabemaske ist Als letzte Instanz für die Erstellung der wendigkeit von bundeseinheitlich neu- benutzerfreundlich und zeigt grobe Feh- Todesursachenstatistik ist für die statis- en Feldern überprüft werden, die bspw. ler bereits bei der Eingabe an (bspw. tischen Ämter auf Landesebene ein kom- eine Verbesserung der Aussagekraft der fehlende Angabe zur Todesart). Soweit pletter elektronischer Datensatz verfüg- Todesursachenstatistik mit sich bringen verfügbar und datenschutzkonform sind bar, der direkt mit Iris codiert werden könnten oder anderen Anforderungen, vorhandene Angaben im Formular durch kann. Bestehen Rückfragen zu den An- wie bspw. der Meldepflicht von bestimm- einfachen Import eines Datensatzes aus gaben auf dem Schein, kann über das ten infektiösen Erkrankungen, gerecht anderen Systemen ergänzbar (bspw. An- eTB-Portal eine anonymisierte Anfrage werden. Diese Festlegung muss früh in gaben zum Aussteller oder zum Verstor- an das Gesundheitsamt gestellt werden, der Pilotierung erfolgen, da sie Auswir- benen aus einer Patientenakte). Bei Be- das diese dann an die leichenschauen- kung auf die technische Umsetzung und darf kann das Formular in einer bundes- de Ärztin oder den Arzt zur Klärung der die Auswertung hat. weit einheitlichen Form inkl. QR-Code Angaben weiterleiten kann. Dies ist beim zum Verbleib bei der Leiche ausgedruckt bisherigen Datenfluss nur sehr mühsam Pilotierung der eTB werden. möglich, auch wenn von der WHO die Ärztinnen und Ärzte im Gesundheits- Rückfrage beim Leichenschauer bei un- Der bundesweiten Einführung einer eTB amt erhalten die Todesbescheinigungen klaren Angaben gefordert wird. sollte eine Pilotierungsphase vorange- in elektronischer Form. Über die Ver- hen, um die Auswirkungen, Hürden waltungssoftware des Gesundheitsamtes Erarbeiten eines und auch die Chancen umfassend zu sind diese nach Eingang abrufbar und bundeseinheitlichen betrachten. Für eine Pilotierung ist es können dort geprüft werden. Rückfragen Datensatzes wichtig, unterschiedliche Pilotregionen an den Aussteller oder die Ausstellerin aus unterschiedlichen Bundesländern können an das angezeigte eTB-Formular Die Vorgaben der WHO zur Erhebung zu beteiligen, da dadurch das Poten- angehängt werden. Der leichenschau- derTodesursachenstatistikhabensichge- zial einer Vereinheitlichung betrachtet ende Arzt oder die Ärztin erhält dann ändert. Seit 2016 gilt eine deutlich diffe- werden kann. Mögliche Hürden, die eine Benachrichtigung aus dem eTB- renziertere Vorgabe des entsprechenden durch unterschiedliche Regelungen in Portal und kann nach Anmeldung ggf. Formularteils für die inhaltliche Erhe- den Bundesländern bestehen, können so zusätzliche klärende Angaben machen. bung der Todesursachen ([2]; . Abb. 1). aufgedeckt und entsprechende Lösungs- Im Hintergrund wird der nichtvertrau- Die bestehenden Formulare der Bun- wege entwickelt werden. liche Teil der Todesbescheinigung auto- desländer erfüllen diese Vorgaben aktuell Dabei sollte auch die IT-Infrastruk- matisch an das zuständige Standesamt nichtinvollem Umfang. Insbesondere die tur für die eTB aufgebaut und getes- weitergeleitet. Der Bearbeitungsstatus Vorgabe von vier Zeilen im Teil 1, dem tet werden. Hierfür soll die Dynamik des Sterbefalls ist jederzeit für entspre- Teil zur kausalen Abfolge der zum Tode des Online-Zugangsgesetzes (OZG) aus chend zugangsberechtigte Bearbeiter führenden Krankheiten, wird in den we- dem Jahre 2017 genutzt werden: Bund sichtbar: Wurde die Beurkundung durch nigsten Bundesländern umgesetzt. Dies und Länder haben sich gesetzlich ver- das zuständige Standesamt durchgeführt kann in der statistischen Auswertung ei- pflichtet, 575 Verwaltungsleistungen bis 1494 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019
Zusammenfassung · Abstract Bundesgesundheitsbl 2019 · 62:1493–1499 https://doi.org/10.1007/s00103-019-03055-0 © Der/die Autor(en) 2019 O. Eckert · L. Kühl · U. Vogel · S. Weber Entwicklung einer elektronischen Todesbescheinigung für Deutschland Zusammenfassung Das Ausstellen von Todesbescheinigungen geltenden Dokumentationsanforderungen papierbasierten Verfahren analysiert werden. durch Ärztinnen und Ärzte sowie die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erstmals soll in Deutschland eine multikausale Weiterbearbeitung durch Gesundheitsämter, vollständig in Deutschland umsetzen wird, Todesursachenstatistik konzipiert werden, Standesämter, statistische Ämter auf Landes- soll die elektronische Todesbescheinigung die bei einer alternden Gesellschaft und ebene und weitere Behörden erfolgen heute in Pilotregionen entwickelt und getestet multimorbiden Patienten von hoher Relevanz in einem gesetzlich geregelten Verfahren, werden. Dabei sollen Synergieeffekte genutzt für die Gesundheitspolitik und -forschung sein das papierbasiert ist und zwischen den werden, die sich aus der fortschreitenden kann. Bundesländern variiert. Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung Die Erfahrungen der Pilotierung der eTB In diesem Beitrag wird das Konzept und des Gesundheitswesens ergeben. könnten für eine spätere bundesweite einer bundeseinheitlichen elektronischen Die in der Testphase erhobenen Daten sollen Umsetzung genutzt werden. Todesbescheinigung (eTB) skizziert, das eine mit dem elektronischen Codiersystem Iris digitale Verarbeitungskette beinhaltet und bearbeitet werden. Effekte auf die Daten- Schlüsselwörter eine zeitnahe und qualitativ verbesserte qualität der Todesursachenstatistik sollen im Harmonisierung der deutschen Todesbe- Todesursachenstatistik ermöglichen soll. Rahmen von multikausalen Auswertungen scheinigungen · Onlinezugangsgesetz · Ausgehend von einem bundeseinheitlichen und vergleichenden Untersuchungen zu inter- Dokumentationsqualität · Multikausale Formular, das erstmals die seit 2016 nationalen Ergebnissen und zum bisherigen Todesursachen · Todesursachenstatistik Development of an electronic death certificate for Germany Abstract The certification of causes of death by developed and tested in different regions. order to visualize effects of the aging and physicians as well as further processing Synergies resulting from digitalization of multimorbid population in national mortality by local health offices, registrar’s offices, the public administration and of the health statistics for consideration by healthcare statistical offices, and other public authorities system will be harnessed. politics and research. are conducted in a paper-based way and Data collected electronically in the testing Results and lessons learned from the pilot can regulated individually by the laws of the phase will be processed with the electronic serve as the basis for national implementation different states of Germany. coding system Iris. Effects on data quality of an electronic death certificate in Germany. The concept of a nationally standardized of national mortality statistics will be electronic death certificate (eTB), enabling investigated through multicausal analysis, Keywords a digitalized processing chain and timely and which will be compared to results from other Harmonization of German death certificates · improved mortality statistic, is presented. countries, and through comparisons with data Law for the Improvement of Online Access Starting with a nationally agreed upon from the existing paper-based process. For to Administration Services · Quality of data set, aligned with WHO requirements, the first time, a national multicausal analysis documentation · Multiple causes of death · an electronic death certificate pilot will be of causes of death will be conceptualized in Cause-of-death statistics 2022 elektronisch über Verwaltungspor- scheinigungen unterstützen, der vom Voraussetzungen erfüllt sind, könnten tale (sogenannte Bürgerportale) anzubie- Gesundheitsamt koordiniert wird. Er- ggf. weitere IT-Schnittstellen in das eTB- ten [9]. Die Entgegennahme einer Todes- forderlich sind bidirektionale Kommu- Portal integriert werden (bspw. Angaben bescheinigung und deren anschließende nikationsschnittstellen zur Standesamts- der Polizei zum Unfallhergang). Registrierung durch die zuständige Ver- software, deren Funktionalitäten und Im Rahmen der Pilotierung soll ein waltung sind ein Bestandteil der zu digi- Schnittstellen bereits heute bundesein- Auswertungskonzept entwickelt werden, talisierenden Verwaltungsleistung „Ster- heitlich spezifiziert sind [10]. Einige um den Effekt eines vollständig elektro- beurkunde“. Basisfunktionen des eTB-Portals (ins- nischen Verfahrens auf die Datenqualität Hauptkomponente der IT-Infrastruk- besondere die Schnittstelle zu den lei- messen zu können. Die bei der Eingabe tur einer Pilotregion soll ein eTB-Portal chenschauenden Ärztinnen und Ärzten) stattfindende Plausibilisierung soll ana- sein, das vom zuständigen kommunalen sind bereits Teil der OZG-Agenda. Die lysiert werden: Hindert sie den Leichen- Rechenzentrum im Auftrag des Gesund- beabsichtigte Digitalisierung und Qua- schauer bei der Eingabe von komplexen heitsamtes betrieben wird. Es soll den in litätsverbesserung unter Einbeziehung Fällen, bedingt sie gar eine Verschiebung Abschnitt „Anwendung und Funktion mehrerer Behörden bis hin zur elek- zu Standarddiagnosen oder erreicht sie der elektronischen Todesbescheinigung tronischen Datenübermittlung an die das gewünschte Ziel einer präzisen und (eTB)“ dargestellten Arbeitsablauf der Statistik übersteigen die Anforderungen genauen Angabe zur Leichenschau? Wei- Erfassung und Prüfung von Todesbe- des OZG deutlich. Falls die rechtlichen terhin sollen die uni- und multikausa- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019 1495
Leitthema Abb. 1 9 Vorgaben der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO) zu den Daten- feldern und Abschnitten einer Todesbescheinigung, die für die Erhebung einer international vergleichba- ren Todesursachenstatistik erforderlich sind [2] len ICD-10-codierten Datensätze analy- entwickelt werden, die auf den multikau- Neben der Stratifizierung nach der Er- siert werden, die von den an der Pilo- salen Datensätzen basieren. Angestrebt hebungsart (Pilottest der eTB vs. papier- tierung teilnehmenden statistischen Äm- wird auch ein Vergleich der multikau- basiertes Verfahren) sollen weitere rele- tern mit Iris generiert werden. Zusätz- salen Auswertungen aus den Pilotregio- vante Einflussgrößen dokumentiert und lich zu etablierten Indikatoren für die nen zu vergleichbaren Analysen anderer ausgewertet werden. Nicht zuletzt soll Datenqualität der amtlichen unikausalen Länder weltweit, um die Pilotergebnisse das Auswertungskonzept die Mindest- Todesursachenstatistik (bspw. die Rate auf ihre Aussagekraft und Plausibilität zu zahl der elektronisch zu erfassenden To- schlecht definierter Todesursachen nach überprüfen. desbescheinigungen pro Pilotregion spe- WHO [11]) sollen weitere Kennzahlen zifizieren. 1496 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019
Nach Verfügbarkeit der IT-Infra- gefasst werden können, kann eine soli- amtlichen unikausalen Todesursachen- struktur bei den Beteiligten (ärztliche dere Basis für die Präventions- und Ver- statistik minimiert und zugleich multi- Einrichtungen, Gesundheitsämter, Stan- sorgungsplanung erfolgen. kausale Datensätze generiert werden [13, desämter und statistische Ämter) sollen 14]. die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte Datenqualität der Pilotregionen innerhalb des Test- Multikausale Auswertung zeitraums Todesbescheinigungen elek- Das Problem der schlechten Lesbarkeit tronisch erfassen und an das eTB-Portal von Einträgen und die Fehlerquelle des Hinzu kommt die deutlich erweiter- beim Gesundheitsamt übermitteln. Auf Befüllens der falschen Felder in den te Auswertbarkeit der Todesursachen der Verwaltungsseite soll die Weiter- Papierformularen sind schon länger be- durch multikausale Analysen. Wenn alle verarbeitung mindestens bei folgenden kannt, lassen sich aber aufgrund der auf dem Schein vorhandenen Angaben Prozessen elektronisch erfolgen: heterogenen Ausfüllsituationen selbst (Teil 1 und 2 der Bescheinigung und 4 automatische Weiterleitung des durch umfangreiche Schulungen nur be- weitere Angaben z. B. zum Unfallge- nichtvertraulichen Teils des eTB- dingt beheben, zudem diese regelmäßig schehen) zusammen in die Auswertung Dokumentes vom Gesundheitsamt wiederholt werden müssten. Hier kann einfließen und neben dem Grundleiden an das Standesamt direkt nach der die elektronische Erfassung neben der auch weitere Einflussfaktoren des Ster- Meldung, besseren Lesbarkeit auch Hilfestellung befalls ausgewertet werden, so kann die 4 Rückübermittlung der Beurkun- in der Ausfüllsituation bieten, wenn Komplexität der zum Tode führenden dungsdaten vom Standesamt an das entsprechende Erklärungen bei Bedarf Krankheitslast der Bevölkerung besser Gesundheitsamt nach Beurkundung, angezeigt und Eingaben direkt plausi- analysiert werden. 4 Übermittlung des eTB-Dokumentes bilisiert werden können [12]. Dennoch Die multikausale Auswertung von To- vom Gesundheitsamt an das Statisti- werden bestimmte Aspekte, die aktuell desursachen ist bereits heute in vielen sche Landesamt nach Fallabschluss. die eingeschränkte Qualität und Feh- Ländern ein wichtiges Instrument zur lerrate in der Todesursachenstatistik Todesursachenforschung. Ein Beispiel ist Zusätzlich sollten entsprechend dem bedingen, nicht ausschließlich durch die die zunehmende Multimorbidität im ho- Auswertungskonzept weitere qualitätsre- Einführung einer eTB behoben werden hen Alter, die durch die Auswahl einer levante Prozessparameter dokumentiert können. So ist zusätzlich eine ständige einzelnen Todesursache als Grundleiden werden. Beispielsweise sind folgende Aus- und Weiterbildung der Leichen- in der Statistik nicht adäquat abgebildet Abfragen denkbar: schauenden nötig [3–5]. werden kann. Wenn Personen an den 4 Erfolgte eine kriminalpolizeiliche Folgen eines Diabetes mellitus verster- Ermittlung? Flächendeckende elektronische ben, möchte man gerne zusätzlich wis- 4 Wurde eine Obduktion veranlasst? Codierung sen, welche Manifestationen des Diabe- 4 Fand eine zweite Leichenschau wegen tes häufig zum Tod beigetragen haben, Feuerbestattung statt? Die Einführung eines neuen digitalisier- um diesen besser vorbeugen zu können. 4 Ergänzte oder korrigierte das Ge- ten Datenflusses der ausgestellten Todes- Bei Auswertungen zu dieser Thematik sundheitsamt die medizinischen bescheinigungen eröffnet neue Möglich- konnte der Mehrwert einer multikausa- Angaben des eTB-Dokumentes, keiten für die Statistik, das Meldewesen len Auswertung deutlich hervorgehoben um bspw. Obduktionsergebnisse zu und die Forschung. So ist bspw. mit der werden [15, 16]. berücksichtigen? heutigen papierbasierten Erfassung eine multikausale Auswertung nur mühsam Einbeziehung der Akteure und Wenn möglich soll dann untersucht wer- möglich. Erst die nachträgliche Übertra- Harmonisierung den, welchen Einfluss diese Informatio- gung der Inhalte durch Gesundheitsäm- nen auf die Aussagekraft der finalen Da- ter oder statistische Ämter in elektroni- Die Anforderungen an die Leichen- ten haben. sche Systeme ermöglicht zurzeit die Aus- schauärztinnen und -ärzte sowie an die wertungen. Für die vollumfängliche An- zuständigen Behörden (Standesamt, Ge- Diskussion wendung des elektronischen Codiersys- sundheitsamt, statistisches Amt) müssen tems Iris ist aktuell ebenfalls eine elektro- zwingend in die Konzeption der eTB ein- Die Digitalisierung in der öffentlichen nische Nacherfassung der papierbasier- bezogen werden. Neben einer methodi- Verwaltung und im Gesundheitswesenist ten Todesbescheinigungen nötig. Daher schen Verbesserung (bspw. Einführung für den Bereich der Todesursachenstatis- beschreiten nicht alle Bundesländer die- einer anonymisierten Rückfrage beim tik eine Notwendigkeit und Chance: Aus sen aufwendigen Weg. Iris, als wichtiges Gesundheitsamt und bei den Ärztinnen den erhobenen Daten kann durch Qua- Werkzeug zur international vergleichba- und Ärzten) kann Informationsmaterial litätsverbesserung bei der Erfassung eine ren Auswertung der Todesursachen, soll zum Zeitpunkt des Ausfüllens innerhalb deutlich bessere Auswertungsgrundlage auch in Deutschland perspektivisch flä- des Portals die Qualität der Dokumen- geschaffen werden. Basierend auf Ana- chendeckend zur Anwendung kommen. tation verbessern. lysen, die zeitnaher erfolgen und weiter Dadurch können Fehlcodierungen in der Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019 1497
Leitthema Durch eine gemeinsame Festlegung ermöglicht. Zusätzlich müssten geeigne- einer bundeseinheitlichen Dokumentati- eines bundeseinheitlichen Datensatzes te Anreize für teilnehmende Ärztinnen on, die zeitnah zusammengeführt wird, für die Pilotierung kann ein Modell und Ärzte und Krankenhäuser gesetzt wird der Aufbau eines Mortalitätsregis- getestet werden, das im Nachgang bei werden. Unbedingt sollte eine Dop- ters für Deutschland sinnvoll sein [22]. Nachweis der Eignung in die Routine peldokumentation (Ausfüllen des eTB- Dieser zweite Schritt sollte im Rahmen übernommen werden kann. Bisherige Formulars und der papierbasierten ge- eines nationalen Registerkonzepts erfol- Versuche einer Festlegung eines bun- setzlichen Todesbescheinigung) in der gen, das auch die datenschutzkonforme deseinheitlichen Datensatzes sind nicht Pilotphase vermieden werden. Daher Verknüpfung mit anderen Registern auf erfolgreich gewesen. Durch bundes- muss die Pilotphase mit den zuständigen einer neuen Rechtsgrundlage ermöglicht landspezifische Anforderungen, die sich Landesbehörden im Vorfeld abgestimmt [23]. Dann könnten künftig erweiterte z. B. aus Fehlern in der Erkennung von werden. Aussagen zur Krankheitslast in Deutsch- nichtnatürlichen Todesfällen oder aus land ermittelt und die Qualität der Ge- unterschiedlichen Datenschutzregelun- Internationale Erfahrungen: sundheitsversorgung untersucht werden. gen oder Datenflüssen ergeben, sind Mögliche Effekte auf die über die Jahre immer mehr Abwei- Todesursachenstatistik Korrespondenzadresse chungen in den Scheinen eingeführt Dr. rer. biol. hum. Olaf Eckert worden. Diese besonderen Anforde- Durch die Umsetzung können sich Än- Referat H101 Gesundheitsstatistiken, rungen müssen berücksichtigt werden, derungen in der Statistik für Deutschland Statistisches Bundesamt denn die Einführung eines bundesein- ergeben, die im Rahmen der Pilotierung Graurheindorfer Straße 198, 53117 Bonn, heitlichen Datensatzes darf nicht zu untersucht werden sollten. So besteht Deutschland einer Reduktion der Aussagekraft der bspw. bei der Umstellung des Abschnit- olaf.eckert@destatis.de Todesbescheinigung führen. Durch die tes 1 der Todesbescheinigung von drei Einbeziehung verschiedener Regionen auf vier Zeilen die Möglichkeit, dass in den Test soll dann die Übertragbar- mehr chronische Erkrankungen in der Einhaltung ethischer Richtlinien keit auf ganz Deutschland in der Praxis unikausalen Todesursachenstatistik aus- simuliert werden. gewiesen werden. Dieser Effekt kann Interessenkonflikt. O. Eckert, L. Kühl, U. Vogel und aber durch den Vergleich mit den Statis- S. Weber geben an, dass kein Interessenkonflikt be- tiken derjenigen Länder erklärt werden, steht. Herausforderungen beim Aufbau einer IT-Infrastruktur welche schon länger den Standard der Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine WHO-Todesbescheinigung umgesetzt Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Im Rahmen der Umsetzung des Online- haben. Durch die Vorgabe der WHO Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Zugangsgesetzes [9] sollen die benötigten von 4 Zeilen in Teil 1 ist in den Ländern, Synergien genutzt werden, um die Mel- die dem WHO-Standard folgen, eine Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative dekette zu verbessern und den Datenfluss vergleichbare Rate an chronischen Er- Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed. zu standardisieren. Trotzdem ist der be- krankungen zu beobachten. Zusätzlich de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfäl- absichtigte Aufbau der IT-Infrastruktur kann man von den Erfahrungen anderer tigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe für einen Pilottest ambitioniert. Daher Länder lernen, wie bspw. von Portu- in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle werdenmöglicherweise nurwenige Pilot- gal [17] oder Frankreich [18], die im ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Com- regionen die Mindestanforderungen für europäischen Umfeld unter ähnlichen mons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen eine Teilnahme an der eTB-Pilotierung datenschutzrechtlichen Gegebenheiten vorgenommen wurden. erfüllen. Beispielsweise könnte es für Ge- erfassen, oder auch von den USA, die ei- sundheitsämter aus Ländern, die bereits ne elektronische Todesbescheinigung in Literatur heute Mortalitätsdaten von den Standes- einem Land mit 50 Bundesstaaten über ämtern elektronisch erhalten und an das gemeinsame inhaltliche und technische 1. Statistisches Bundesamt (2019) Todes- ursachen. https://www.destatis.de/DE/ zuständige Landesamt weiterleiten, ein- Spezifikationen realisiert haben [19]. Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/ facher und kostengünstiger sein, die IT- Durch die nationale Bereitstellung von Todesursachen/_inhalt.html. Zugegriffen: 30. Juli Infrastruktur für die Pilotierung bereit- multikausalen Daten für wissenschaftli- 2019 2. DIMDI (2019) ICD-10-WHO Version 2019. zustellen als für solche, die noch vollstän- che Zwecke [20] können dort spezifische https://www.dimdi.de/dynamic/.downloads/ dig papierbasiert arbeiten. Auch haben Auswertungen je nach Forschungsfragen klassifikationen/icd-10-who/version2019/ Bundesländer und Regionen einen Vor- gemacht werden [21]. icd10who2019regel-pdf.zip. Zugegriffen: 11. Juni 2019 teil, die über funktionierende und leicht Schlussendlich ist die bundeseinheit- 3. Zack F, Kaden A, Riepenhausen S, Rentsch D, zu erweiternde Bürgerportale verfügen. liche elektronische Todesbescheinigung Kegler R, Büttner A (2017) Fehler bei der Aus- In jedem Fall wird eine Anschubfi- ein wichtiger Schritt zu einem schon lan- stellung der Todesbescheinigung. Rechtsmedizin 27(6):516–527 nanzierung erforderlich sein, die den ge für Deutschland geforderten Mortali- 4. Rothschild A (2005) Das Kreuz mit der Todesbe- Akteuren der Pilotregionen den Auf- tätsregister: Erst nach einer verbesserten scheinigung: Welche Todesart ist richtig? Bayer bau der benötigten IT-Infrastruktur Todesfallerfassung und der Einführung Ärztebl 11/2005:754–756 1498 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 12 · 2019
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