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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 5 Epidemiologisches 2021 Bulletin 4. Februar 2021 Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 2 Inhalt Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung 3 Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen COVID-19. Für die Impfung soll einer der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, COVID-19-Vaccine von Moderna) oder der zugelassene Vektor-basierte Impfstoff (COVID-19 Vaccine AstraZeneca) verwendet werden. Wie im Epidemiologischen Bulletin 5/2021 ausgeführt, muss eine begonnene Impfserie mit demselben Produkt abgeschlossen werden. Die beiden mRNA-Impfstoffe werden hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit als gleichwertig beurteilt. Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca wird aktuell aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen; zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren liegen bisher keine ausreichenden Daten vor. Abgesehen von dieser Einschränkung wird dieser Impfstoff ebenfalls als geeignet zum Individualschutz und zur Bekämpfung der Pandemie angesehen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den verschiedenen Impfstoffen fehlen. (Dieser Beitrag erschien online vorab am 29. Januar 2021.) Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 4. Woche 2021 80 Monatsstatistik nichtnamentlicher Meldungen ausgewählter Infektionen 83 „KoMa“ – E-Learning-Kurs zum „Kontaktpersonenmanagement“ 84 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon 030 18754 – 0 Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise Redaktion die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dr. med. Jamela Seedat Dr. med. Maren Winkler (Vertretung) Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Telefon: 030 18754 – 23 24 Namensnennung 4.0 International Lizenz. E-Mail: SeedatJ@rki.de Nadja Harendt (Redaktionsassistenz) Telefon: 030 18754 – 24 55 Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 E-Mail: EpiBull@rki.de Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19- Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung Aktualisierung vom 29. Januar 2021 Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen COVID-19. In der 1. Stufe sollen folgende Personengruppen Für die Impfung soll einer der beiden zugelassenen geimpft werden: mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, ▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpflege- COVID-19-Vaccine von Moderna) oder der zugelas- heimen sene Vektor-basierte Impfstoff (COVID-19 Vaccine ▶ Personen im Alter von ≥ 80 Jahren AstraZeneca) verwendet werden. Eine begonnene ▶ Personal mit besonders hohem Expositions- Impfserie muss mit demselben Produkt abgeschlos- risiko in medizinischen Einrichtungen (z. B. in sen werden. Die beiden mRNA-Impfstoffe werden Notaufnahmen, in der medizinischen Betreu- hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit als gleich- ung von COVID-19-PatientInnen) wertig beurteilt. Der COVID-19-Impfstoff von Astra- ▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit Zeneca wird aktuell aufgrund der derzeit verfügbaren engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen (z. B. in Daten nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren der Onkologie oder Transplantationsmedizin) empfohlen; zur Beurteilung der Impfeffektivität ab ▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationä- 65 Jahren liegen bisher keine ausreichenden Daten ren Altenpflege vor. Abgesehen von dieser Einschränkung wird die- ▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflege- ser Impfstoff ebenfalls als geeignet zum Individual- heimen mit Kontakt zu den BewohnerInnen schutz und zur Bekämpfung der Pandemie angese- hen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den ver- Innerhalb der Stufe 1 sind die ≥ 80-Jährigen und schiedenen Impfstoffen fehlen. die BewohnerInnen von Altenpflegeheimen beson- ders gefährdet und sollten, trotz schwerer Erreich- Aufgrund begrenzter Impfstoffverfügbarkeit soll die barkeit, zu Beginn der Impfaktionen prioritär Impfung zunächst nur Personengruppen angeboten geimpft werden. werden, die entweder ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer COVID-19- Bei zunehmender, aber weiterhin limitierter Impf- Erkrankung haben oder die beruflich entweder be- stoffverfügbarkeit sollen Personengruppen der sonders exponiert sind oder engen Kontakt zu vulne- 2. Stufe geimpft werden, gefolgt von den Menschen rablen Personengruppen haben. in der jeweils nachfolgenden Stufe. Zu welchem Zeitpunkt von einer Stufe zur nächsten gewechselt Da in Bezug auf die Höhe des Risikos und die ange- werden kann, soll lokal entschieden werden. Dies strebten Impfziele Unterschiede bestehen, emp- richtet sich nach der Verfügbarkeit der Impfstoffe fiehlt die STIKO ein stufenweises Vorgehen (Prio- und danach, ob alle Impfwilligen der jeweiligen risierungsempfehlung). Der AstraZeneca-Impfstoff Priorisierungsstufe die Impfung erhalten haben. soll im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen in den Neue Erkenntnisse zu den Risiken für schwere Er- einzelnen Stufen jeweils nur den Personen angebo- krankungen werden fortlaufend weiter bewertet und ten werden, die 18 – 64 Jahre alt sind. die Risikogruppen ggf. entsprechend angepasst.
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 4 Stufe Personengruppen Diese STIKO-Empfehlung setzt sich aus der allge- 1 ▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpflegeheimen meinen Impfempfehlung und einer Empfehlung Personen im Alter von ≥ 80 Jahren ▶ ▶ Personal mit besonders hohem Expositionsrisiko in zur Priorisierung zusammen. Die Priorisierungs- medizinischen Einrichtungen* empfehlung hat nur solange Gültigkeit, bis genü- ▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen* gend Impfstoff verfügbar ist. Mittelfristig ist es das ▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationären Ziel, allen Menschen einen gleichberechtigten Zu- Altenpflege ▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflegeheimen mit gang zu einer Impfung gegen COVID-19 anbieten Kontakt zu den BewohnerInnen zu können. 2 ▶ Personen im Alter von ≥75 – 79 Jahren ▶ Personen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) ▶ Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen* Für die Impfung gegen COVID-19 sind aktuell in ▶ Personen in Institutionen mit einer Demenz oder der Europäischen Union drei Impfstoffe zugelas- geistigen Behinderung ▶ Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung sen. Es handelt sich dabei um zwei mRNA-Impf- von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung stoffe (Comirnaty der Firma BioNTech/Pfizer und 3 ▶ Personen im Alter von ≥70 – 74 Jahren ▶ Personen mit Vorerkrankungen mit hohem Risiko COVID-19-Vaccine-Moderna der Firma Moderna) (Zustand nach Organtransplantation, aktive maligne hämatologische Erkrankungen, fortgeschrittene solide und einen Vektor-basierten Impfstoff (COVID-19 Tumorerkrankungen, die nicht in Remission sind, sowie Vaccine Astra-Zeneca der Firma AstraZeneca). Für Tumorerkrankungen unter aktueller systemischer Therapie (ausgenommen ausschließlich antihormonelle eine vollständige Impfserie sind bei diesen Impf- Monotherapie), interstitielle Lungenerkrankungen, stoffen zwei intramuskulär (i. m.) zu applizierende psychiatrische Erkrankungen (bipolare Störung, Schizophrenie und schwere Depression), Demenz, Impfstoffdosen notwendig. Unter Berücksichtigung Diabetes mellitus mit einem HbA1c ≥ 58 mmol/mol bzw. ≥ 7,5 %, COPD und andere ähnlich schwere der erfolgten Zulassungen empfiehlt die STIKO für Lungenerkrankungen, Adipositas (BMI > 30kg/m2), die mRNA-Impfstoffe (Comirnaty und COVID-19- chronische Lebererkrankungen inkl. Leberzirrhose, chronische Nierenerkrankungen) Vaccine-Moderna) einen Abstand von 3 bzw. 4 bis ▶ BewohnerInnen und Tätige in Gemeinschafts- unterkünften 6 Wochen zwischen den beiden Impfstoffdosen ▶ Enge Kontaktpersonen von Schwangeren und für den Vektor-basierten Impfstoff (COVID-19 ▶ Enge Kontaktpersonen bzw. Pflegende von Personen mit hohem Risiko Vaccine AstraZeneca) einen Abstand von 9 bis ▶ Personal mit moderatem Expositionsrisiko in medizini- schen Einrichtungen* und in Positionen, die für die 12 Wochen. Sobald weitere Impfstoffe zugelassen Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur und verfügbar sind oder neue relevante Erkenntnis- besonders relevant sind ▶ Teilbereiche des ÖGD se mit Einfluss auf diese Empfehlung bekannt wer- 4 ▶ Personen im Alter von ≥ 65 – 69 Jahren den, wird die STIKO ihre COVID-19-Impfempfeh- ▶ Personen mit Vorerkrankungen mit erhöhtem Risiko (Diabetes mellitus mit HbA1c < 58 mmol/mol bzw. lung aktualisieren und ggf. Indikationsgruppen an- < 7,5 %, Arrhythmie/Vorhofflimmern, koronare Herz- passen. Die Publikation jeder Aktualisierung er- krankheit, Herzinsuffizienz, HIV-Infektion, Autoimmun- erkrankungen, Krebserkrankungen in behandlungsfreier folgt im Epidemiologischen Bulletin (Epid Bull) und Remission, arterielle Hypertonie, rheumatologische Erkrankungen, Asthma bronchiale, chronisch entzünd- wird auf der RKI-Webpage bekannt gegeben. liche Darmerkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankun- gen/Apoplex und andere chronische neurologische Erkrankungen) und deren engste Kontaktpersonen Hinweise zur praktischen Umsetzung: ▶ Personal mit niedrigem Expositionsrisiko in medizini- schen Einrichtungen* ▶ Für die Umsetzung der Empfehlung sind die ▶ LehrerInnen ▶ ErzieherInnen Bundesländer bzw. die von ihnen beauftragten ▶ Personen mit prekären Arbeits- und/oder Lebens- Stellen verantwortlich. bedingungen ▶ Bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19- 5 ▶ Personen im Alter von ≥ 60 – 64 Jahren ▶ Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Impfempfehlung der STIKO können nicht alle Bundesregierungen ▶ Beschäftigte im Einzelhandel Krankheitsbilder oder Impfindikationen expli- ▶ Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen zit genannt werden. Es obliegt daher den für Sicherheit mit erhöhtem Expositionsrisiko ▶ Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur die Priorisierung in den Bundesländern Ver- 6 ▶ Alle übrigen Personen im Alter von < 60 Jahren antwortlichen, in Einzelfällen Personen, die Tabelle | Stufenplan und Impfindikationsgruppen zur nicht ausdrücklich im Stufenplan genannt Priorisierung der COVID-19-Impfung in Deutschland sind, angemessen zu priorisieren. Dies betrifft Zur Einteilung des Personals in medizinischen Einrichtun- z. B. Personen mit seltenen, schweren Vorer- gen* wird auf die wissenschaftliche Begründung verwiesen krankungen oder auch schweren Behinderun- (Tabelle 17, Kapitel 10.2.1) gen, für die bisher zwar keine ausreichende
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 5 wissenschaftliche Evidenz bzgl. des Verlaufes der COVID-19-Impfung eingehalten werden einer COVID-19-Erkrankung vorliegt, für die (Notfallimpfungen sind davon ausgenommen). aber ein deutlich erhöhtes Risiko angenom- ▶ Die Impfung ist strikt intramuskulär (i. m.) men werden muss. Dies trifft auch für Perso- und keinesfalls intradermal, subkutan oder in- nen zu, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht travaskulär zu verabreichen. Bei PatientInnen mehr oder nicht mehr gleich wirksam geimpft unter Antikoagulation soll die Impfung eben- werden können (z. B. bei unmittelbar bevorste- falls i. m. mit einer sehr feinen Injektionskanü- hender Chemotherapie). Darüber hinaus sind le und einer anschließenden festen Kompri- Einzelfallentscheidungen möglich, wenn beruf- mierung der Einstichstelle über mindestens liche Tätigkeiten bzw. Lebensumstände mit ei- 2 Minuten erfolgen. nem nachvollziehbaren, unvermeidbar sehr ho- ▶ Es besteht keine Notwendigkeit, vor Verabrei- hen Infektionsrisiko einhergehen. Diese Öff- chung einer COVID-19-Impfung das Vorliegen nungsklausel darf nicht missbraucht werden, einer akuten asymptomatischen oder (uner- um ungerechtfertigterweise eine Impfung kannt) durchgemachten SARS-CoV-2 Infektion durchzuführen und somit stärker gefährdeten labordiagnostisch auszuschließen. Nach den Personen die Impfung vorzuenthalten. bisher vorliegenden Daten gibt es keinen Hin- ▶ Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige weis darauf, dass die Impfung in diesen Fällen Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des eine Gefährdung darstellt. verantwortlichen Vorsorgebevollmächtigten ▶ Aufgrund der anzunehmenden Immunität voraus. Die STIKO verweist hierzu auf Kapitel nach durchgemachter Infektion, zur Vermei- 4.1 der STIKO-Empfehlung 2020/2021 (Epid dung überschießender Nebenwirkungen und Bull 34/2020). in Anbetracht des bestehenden Impfstoffman- ▶ Bei der Impfung sind die Anwendungshinweise gels sollten ehemals an COVID-19 erkrankte in den Fachinformationen des jeweiligen Impf- Personen nach Ansicht der STIKO unter Be- stoffs zu beachten. rücksichtigung der Priorisierung im Regelfall ▶ Auch bei sehr alten Menschen oder Menschen etwa 6 Monate nach Genesung geimpft werden. mit progredienten Krankheiten, die sich in ei- Tritt nach Verabreichung der 1. Impfstoffdosis nem schlechten Allgemeinzustand befinden, eine labordiagnostisch gesicherte (positive PCR) muss die Impffähigkeit gegeben sein. Bei die- SARS-CoV-2-Infektion auf, sollte nach Ansicht sen Gruppen sollte ärztlich geprüft werden, ob der STIKO die Verabreichung der 2. Impfstoff- ihnen die Impfung empfohlen werden kann. dosis ebenfalls erst etwa 6 Monate nach Gene- ▶ Zur Anwendung der COVID-19-Impfstoffe in sung bzw. Diagnosestellung erfolgen. der Schwangerschaft und Stillzeit liegen aktu- ▶ Die Gabe der 2. Impfstoffdosis soll innerhalb ell keine Daten vor. Die STIKO empfiehlt die des durch die Zulassungsstudien abgedeckten generelle Impfung in der Schwangerschaft der- Zeitraumes (mRNA-Impfstoffe: 3 bzw. 4 bis zeit nicht. Eine akzidentelle Impfung in der 6 Wochen; AstraZeneca-Impfstoff: 9 bis 12 Wo- Schwangerschaft ist jedoch keine Indikation chen) erfolgen. Sollte der empfohlene maximale für einen Schwangerschaftsabbruch. Schwan- Abstand zwischen der 1. und 2. Impfstoffdosis geren mit Vorerkrankungen und einem daraus überschritten worden sein, kann die Impfserie resultierenden hohen Risiko für eine schwere dennoch fortgesetzt werden und muss nicht COVID-19-Erkrankung kann in Einzelfällen neu begonnen werden. Eine begonnene Impfse- nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach aus- rie muss mit dem gleichen Produkt abgeschlos- führlicher Aufklärung eine Impfung angebo- sen werden. ten werden. Die STIKO hält es für unwahr- ▶ Im Allgemeinen wird eine Nachbeobachtungs- scheinlich, dass eine Impfung der Mutter wäh- zeit nach der COVID-19-Impfung von mindes- rend der Stillzeit ein Risiko für den Säugling tens 15 Minuten empfohlen. Längere Nachbeob- darstellt. achtungszeiten von bis zu 30 Minuten sollten ▶ Zu anderen planbaren Impfungen soll ein vorsichtshalber bei bestimmten Risikopersonen Mindestabstand von 14 Tagen vor und nach je- eingehalten werden, z. B. bei Personen mit Ge-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 6 rinnungshemmung, stärkeren oder anaphylak- tischen Reaktionen auf Impfungen in der Anam- nese. Maßgeblich für diese Entscheidungen sind die Angaben der Person selbst sowie der ärztli- che Eindruck des Gesundheitszustands. ▶ Es ist aktuell nicht bekannt, ob man nach SARS-CoV-2-Exposition durch eine postexposi- tionelle Impfung den Verlauf der Infektion günstig beeinflussen oder die Erkrankung noch verhindern kann. ▶ Die bisher vorliegenden Daten erlauben nicht, die Wirksamkeit der mRNA- und Vektor-basier- ten COVID-19-Impfstoffe hinsichtlich einer Verhinderung oder Reduktion der Transmission abschließend zu bewerten. Bis zum Vorliegen von Daten zum Schutz der Impfung vor Trans- mission müssen deshalb auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen weiterhin eingehalten werden. ▶ Nach der Zulassung von Comirnaty sind einzel- ne schwerwiegende, allergische Unverträglich- keitsreaktionen aufgetreten. Nach der derzeiti- gen Datenlage ist ein generell erhöhtes Risiko für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen für Personen mit vorbekannten allergischen Er- krankungen bei Impfung mit mRNA-Impfstof- fen nicht anzunehmen, sofern keine Allergie ge- gen einen Inhaltsstoff der jeweiligen Vakzine (z. B. PEG) vorliegt. Zur weiteren Information wird auf die „Empfehlung zur Coronaimpfung für Allergikerinnen und Allergiker“ des Paul-Ehr- lich-Instituts (PEI) verwiesen: https://www.pei. de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/mit- teilungen/201223-stellungnahme-empfeh- lung-allergiker.pdf?__blob=publicationFile&v=6 ▶ Für die Meldungen von über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktionen und -kompli- kationen soll das etablierte Verfahren verwendet werden (siehe Kapitel 4.9 „Impfkomplikationen und deren Meldung“ in den STIKO-Impfemp- fehlungen 2020/2021; Meldeformular des PEI: https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/ pharmakovigilanz/meldeformulare-online-mel- dung/meldeformulare-online-meldung-node. html). Regelmäßige Berichte des PEI zur Si- cherheit von COVID-19-Impfstoffen sind unter folgendem Link zu finden: https://www.pei.de/ DE/newsroom/dossier/coronavirus/arzneimit- telsicherheit.html
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 7 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung ............................................... 8 14. Implementierung ......................................... 60 Vorbemerkung ...................................................... 10 14.1. Alternative Maßnahmen für das 1. Hintergrund ................................................. 10 Erreichen des Impfziels im Vergleich zur 2. Öffentliches Interesse ................................. 11 Impfung sowie deren Effektivität und 3. SARS-CoV-2-Erreger und Übertragung ....... 11 Umsetzbarkeit ............................................. 62 4. COVID-19-Krankheitsbild ............................ 12 15. Impfakzeptanz in der Bevölkerung und 5. Immunität .................................................... 13 der Ärzteschaft ............................................. 62 6. COVID-19-Epidemiologie in Deutschland .. 14 16. Monitoring-Systeme zur Evaluation der 6.1. IfSG-Meldedaten (Datenstand 19.01.2021).. 14 Impfung bzw. der Impfempfehlung ............ 64 6.2. Epidemiologische Daten aus anderen 16.1. Impfquoten-Monitoring .............................. 64 Datenquellen ............................................... 18 16.2. Evaluierung von Wirksamkeit und 6.3. Seroprävalenzdaten ..................................... 19 Sicherheit der Impfstoffe............................. 64 7. COVID-19-Impfstoffe ................................... 19 Literatur ....................................................... 66 7.1. Messenger-RNA (mRNA)-Impfstoffe ......... 19 7.2. Vektor-basierte Impfstoffe ........................... 23 8. Systematischer Review zur Sicherheit und Wirksamkeit ................................................. 25 8.1. Methodik des systematischen Reviews ...... 25 8.2. Ergebnisse des systematischen Reviews .... 27 9. Impfziele ...................................................... 37 10. Risiko- und Indikationsgruppen für die Impfempfehlung .......................................... 37 10.1. Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf ......................................... 37 10.2. Personen mit einem erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko ............... 45 10.3. Öffentlicher Gesundheitsdienst und weitere Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur ................................................. 48 10.4. Personengruppen, die aufgrund ihrer Wohn-/Lebens- und/oder Arbeits- verhältnisse besonders gefährdet sind ....... 49 11. Ethik ............................................................. 52 12. Mathematische Modellierung ..................... 53 12.1. Hintergrund zur Modellierung.................... 53 12.2. Methodik ...................................................... 53 12.3. Ergebnisse der Modellierung ...................... 56 13. Impfstrategie und Priorisierung der zu impfenden Bevölkerungsgruppen............... 57
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 8 Zusammenfassung Wirksamkeit anderer Impfstoffe auf die Verhinde- rung der Virustransmission durch Geimpfte lässt SARS-CoV-2 wurde Anfang 2020 erstmals nachge- mit Berechtigung vermuten, dass auch durch die wiesen und hat sich seither pandemisch ausgebrei- COVID-19-Impfstoffe die Transmission von SARS- tet. Die leichte Übertragbarkeit und die Infektiosität CoV-2 in der Bevölkerung reduziert wird. in der prä- und asymptomatischen Phase begüns- tigen dessen Ausbreitung. In Deutschland sind bis Um die Dynamik der Ausbreitung von SARS-CoV-2 zum 27. Januar 2021 über 2,1 Millionen Menschen deutlich abzuschwächen, muss ein Großteil der an COVID-19 erkrankt und mehr als 53.000 Men- Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus ent- schen an oder mit COVID-19 gestorben. wickeln. Effektive und sichere Impfstoffe können einen entscheidenden Beitrag bei der Bekämpfung Die übergeordneten Ziele, die mit einer COVID-19- der Pandemie leisten und werden es ermöglichen, Impfung erreicht werden sollen, wurden frühzeitig Kontaktbeschränkungen mittelfristig zu lockern. definiert und in einer gemeinsamen Stellungnahme der STIKO, des deutschen Ethikrates und der Leo- Aktuell sind in der Europäischen Union drei poldina wie folgt veröffentlicht.1 COVID-19-Impfstoffe zugelassen: zwei mRNA- ▶ Verhinderung schwerer COVID-19-Verläufe Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer; (Hospitalisierung) und Todesfälle COVID-19-Vaccine-Moderna von Moderna) und ein ▶ Schutz von Personen mit besonders hohem Vektor-basierter Impfstoff (COVID-19-Vaccine arbeitsbedingtem SARS-CoV-2-Expositionsri- AstraZeneca von AstraZeneca). In den Zulassungs- siko (berufliche Indikation) studien der mRNA-Impfstoffe4,5 wurde für diese ▶ Verhinderung der Transmission von SARS- eine Wirksamkeit gegen laborbestätigte COVID-19- CoV-2 sowie Gewährleistung von Schutz in Erkrankung von etwa 95 % ermittelt. Für beide Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Impfstoffe sind zwei i. m. Dosen erforderlich, die in Personen und in solchen mit hohem Ausbruchs- einem Mindestabstand von 21 (BNT162b2) bzw. potenzial 28 (mRNA-1273) Tagen verabreicht werden sollen. ▶ Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und Die Gabe der 2. Impfstoffdosis soll nach STIKO- des öffentlichen Lebens Empfehlung innerhalb des durch die Zulassungs- studien abgedeckten Zeitraumes (3 bzw. 4 bis 6 Wo- Das erste, oben angegebene Ziel einer COVID-19- chen) erfolgen. Die häufigste lokale Reaktion waren Impfempfehlung folgt grundsätzlichen ethischen Schmerzen an der Einstichstelle (Impfung: 83 bzw. Überlegungen, ergibt sich aber zudem aus der Not- 88 %; Placebo: 14 bzw. 17 %). Unter den systemi- wendigkeit, mit den verfügbaren Impfstoffdosen schen Reaktionen waren Abgeschlagenheit (Imp- möglichst viel gesundheitlichen Schaden durch die fung: 47 bzw. 65 %; Placebo: 23 bzw. 33 %) sowie COVID-19-Pandemie abzuwenden. Dieses Ziel ist Kopfschmerzen (42 bzw. 59 % vs. 23 bzw. 34 %) die aufgrund der Datenlage zu den zugelassenen Impf- häufigsten Ereignisse. In den Zulassungsstudien stoffen erreichbar. Das zweite Ziel ist im Hinblick beider mRNA-Impfstoffe wurden wenige, transien- auf die Vermeidung von Erkrankungen entspre- te Fazialisparesen beobachtet, bei denen ein Zu- chend auch erreichbar. Die Unterbrechung oder Ver- sammenhang mit der COVID-19-Impfung nicht minderung der Transmission im Ziel drei ist auf der ausgeschlossen werden konnte. Basis der verfügbaren Daten zur Wirkung der Impf- stoffe derzeit nicht sicher beurteilbar. Ergebnisse aus In den Zulassungsstudien des Vektor-basierten Tiermodellen (sog. Challenge-Studien) und Beob- Impfstoffs AZD1222 wurde in der Altersgruppe der achtungen in einer ersten Phase 3-Studie mit einem 18 – 64-Jährigen eine Wirksamkeit von 71 % gegen COVID-19-Vektor-basierten Impfstoff lassen vermu- eine laborbestätigte COVID-19-Erkrankung ermit- ten, dass die Impfstoffe auch die Transmission redu- telt. Aufgrund der geringen Anzahl von Studienteil- zieren werden.2,3 Für die bisher zugelassenen nehmerInnen in der Altersgruppe ≥ 65 Jahre, kann COVID-19-Impfstoffe liegen jedoch bislang keine keine Aussage zur Wirksamkeit und Sicherheit bei ausreichenden Daten dazu beim Menschen vor. Die Älteren getroffen werden. Dieser Impfstoff wird da-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 9 her von der STIKO derzeit nur für Personen im Al- te Risiko haben, an COVID-19 schwer zu erkranken ter von 18 – 64 Jahren empfohlen. Für die Impfung oder zu versterben. Während die mRNA-Impfstoffe sind zwei i. m. Dosen erforderlich, die nach STIKO- in allen Altersgruppen angewandt werden können, Empfehlung im Abstand von 9 bis 12 Wochen ver- soll der AstraZeneca-Impfstoff in den einzelnen abreicht werden sollen. Die häufigsten lokalen Re- Stufen jeweils den Personen angeboten werden, die aktionen waren Schmerzen an der Einstichstelle 18 – 64 Jahre alt sind. (Impfung: 54 %; Vergleichsgruppe: 38 %), wobei zu berücksichtigen ist, dass ein Meningokokken-Impf- Der alles entscheidende Risikofaktor für eine schwe- stoff als Vergleichsintervention eingesetzt worden re COVID-19-Erkrankung ist das zunehmende Alter war. Unter den systemischen Reaktionen waren Ab- > 60 Jahre. Modellierungsergebnisse belegen, dass geschlagenheit (Impfung: 53 %; Placebo: 38 %) so- die größtmögliche Verhinderung von schweren Er- wie Kopfschmerzen (Impfung: 52 %; Vergleichs- krankungsfällen und Tod erzielt werden kann, wenn gruppe: 39 %) die häufigsten Ereignisse. die Impfung zuerst Menschen im Alter ≥ 80 Jahren angeboten wird. Zudem trat ein großer Anteil an Die STIKO empfiehlt für die Impfung gegen Todesfällen und Ausbrüchen unter BewohnerInnen COVID-19 einen der beiden mRNA-Impfstoffe von Senioren- und Altenpflegeheimen auf. Durch (Comirnaty bzw. COVID-19-Vaccine Moderna) oder eine zielgerichtete Impfung dieser beiden Perso- den Impfstoff COVID-19-Vaccine AstraZeneca. Die nengruppen werden auch die meisten Hospitalisie- beiden mRNA-Impfstoffe werden hinsichtlich rungen verhindert, und es wird die größte Anzahl Sicherheit und Wirksamkeit als gleichwertig beur- an Lebensjahren gewonnen. Personen mit be- teilt. Der COVID-19 Vaccine AstraZeneca wird auf- stimmten Vorerkrankungen haben ebenfalls ein er- grund der verfügbaren Daten derzeit nur für Perso- höhtes Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken. nen im Alter 18 – 64 Jahren empfohlen. Abgesehen Die Risikoerhöhung ist allerdings je nach Vorer- von dieser Alterseinschränkung wird dieser Impf- krankung sehr unterschiedlich und meist deutlich stoff als gleichermaßen geeignet zum Individual- geringer als die altersbedingte Risikoerhöhung. Per- schutz und zur Bekämpfung der Pandemie angese- sonen mit Vorerkrankungen sind aufgrund ihres Ri- hen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den ver- sikos unterschiedlichen Priorisierungsstufen zuge- schiedenen Impfstoffen fehlen. ordnet (Stufe 2, 3 und 4). Die Auswertung der Lite- ratur zu Vorerkrankungen wird fortlaufend aktua- Mittelfristig ist es das Ziel, allen Menschen einen lisiert und die Empfehlung bzw. die Zugehörigkeit gleichberechtigten Zugang zu einer Impfung ge- zu bestimmten Stufen ggf. angepasst. gen COVID-19 anbieten zu können. Da initial der COVID-19-Impfstoff nur in sehr begrenzten Mengen Gleichzeitig empfiehlt die STIKO die Impfung zur Verfügung stehen wird, sollte dieser dafür genutzt dem Personal in medizinischen Einrichtungen werden, möglichst schnell die Anzahl an Sterbefällen und in der Altenpflege, die ein besonders hohes und schweren Krankheitsverläufen zu senken. Expositionsrisiko haben. Ein indirekter Schutz von besonders gefährdeten Menschen wird erwartet, Gemäß den gesetzten Zielen, der verfügbaren wis- wenn die Transmission auf diese vulnerablen senschaftlichen Evidenz und den Ergebnissen aus Gruppen verhütet wird und Personal in der ambu- einer mathematischen Modellierung empfiehlt die lanten und stationären Altenpflege und z. B. in der STIKO zunächst die stufenweise Impfung von Per- Onkologie einen Impfschutz hat, und so die Trans- sonengruppen, um bei begrenzten Impfstoffres- mission auf die vulnerablen Gruppen verhütet sourcen diesen mit dem besten Effekt und gerecht wird. In Abhängigkeit von der Impfstoffverfügbar- zu verteilen. Innerhalb einer Stufe sind die dort keit soll die Impfung auf weitere Stufen mit Perso- aufgeführten Personengruppen gleich priorisiert, nengruppen mit geringerem Risiko und system- so dass empfohlen wird, unter Berücksichtigung relevante Personen ausgeweitet werden. der lokalen Gegebenheit mit den Impfungen paral- lel zu beginnen. Dabei ist es wichtig, dass unbe- Unter der Berücksichtigung der Impfquoten, der dingt die Personen erreicht werden, die das höchs- Erhebungen zur Impfakzeptanz sowie der Studien
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 10 zur Impfeffektivität und -sicherheit wird die STIKO Berücksichtigung der medizinisch-epidemiologi- die Empfehlung regelmäßig evaluieren. Sie wird die schen Erkenntnisse zur COVID-19-Pandemie und wissenschaftliche Evidenz zum Infektions- und Er- ethischer Grundsätze hat die STIKO Impfziele auf- krankungsrisiko und den Impfstoffen – sowohl den gestellt (siehe Kapitel 9 und das Positionspapier des bereits zur Anwendung kommenden, aber auch den Deutschen Ethikrates, der Leopoldina und der kurz vor Zulassung stehenden – fortlaufend prüfen STIKO1). Bezogen auf die einzelnen Impfziele wur- und ihre Empfehlung gegebenenfalls anpassen. den unter Berücksichtigung des Erkrankungs-, Sterblichkeits- und Infektionsrisikos Personengrup- pen identifiziert, die prioritär durch Impfung ge- Vorbemerkung schützt werden sollten. Die Personengruppen sind Die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19)-Pandemie unter Berücksichtigung dieser Ziele in einer Matrix stellt die Gesellschaft vor besondere Heraus- (s. Tab. 19) aufgelistet. forderungen. Um die Übertragung von „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) zu Diverse COVID-19-Impfstoffe befinden sich aktuell reduzieren und die Pandemie einzugrenzen bzw. zu noch in der Entwicklung, von denen einige im Lau- beenden, muss ein Großteil der Bevölkerung eine fe des Jahres 2021 möglicherweise zugelassen wer- Immunität gegen das Virus erwerben. Bisher hat den. Daten aus Zulassungsstudien sowie aus der nur ein geringer Anteil der Bevölkerung eine Impfstoffüberwachung nach der Zulassung werden SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht. Im Novem- sukzessive veröffentlicht werden und die Evidenz- ber 2020 lag die Seroprävalenz von spezifischen basis verbreitern. Falls Impfstoffe mit unterschied- SARS-CoV-2-Antikörpern in einer Bevölkerungs- lichem Profil zur Verfügung stehen, wird die STIKO stichprobe (30.000 BlutspenderInnen) in Deutsch- gegebenenfalls differentielle Empfehlungen zu den land bei 1,35 %.6 Bisher ist nicht geklärt, wie lange einzelnen Produkten geben. Daher wird die vorlie- ein Schutz nach Infektion besteht. Durch den Ein- gende Empfehlung im Sinne einer living guideline satz sicherer und effektiver Impfstoffe sollen Einzel- fortlaufend aktualisiert werden. Aktualisierungen ne und die Bevölkerung vor einer SARS-CoV-2- von STIKO-Empfehlungen werden entsprechend Infektion und/oder einer COVID-19-Erkrankung der STIKO-Geschäftsordnung in ein Stellungnah- geschützt werden. Durch Impfung soll eine relevan- meverfahren gegeben. te Bevölkerungsimmunität ausgebildet und somit die weitere Ausbreitung des Virus verhindert oder zumindest begrenzt werden. Die Zulassung des ers- 1. Hintergrund ten COVID-19-Impfstoffs (BNT162b2/Comirnaty; Im Dezember 2019 wurde erstmals über die Häu- BioNTech/Pfizer) erfolgte am 21. Dezember 2020, fung von Pneumonien unklarer Genese in Wuhan, die Zulassung eines weiteren mRNA-Impfstoffs am in der Provinz Hubei in China berichtet.7 Am 7. Ja- 6. Januar 2021 (mRNA-1273; COVID-19-Impfstoff nuar 2020 konnte das verantwortliche Virus, ein Moderna/Moderna) und die Zulassung des ersten neues Beta-Coronavirus, erstmals aus dem Rachen- Vektor-basierten Impfstoffs am 29. Januar 2021. abstrich eines Patienten isoliert werden.8 Das Virus erhielt den Namen „Schweres Akutes Respirato- Trotz aller Bemühungen die Impfstoffproduktion risches Syndrom Coronavirus 2“ (Severe Acute voranzutreiben, sind nach wie vor nicht ausrei- Respiratory Syndrome Corona Virus 2, SARS-CoV-2) chend Impfstoffdosen verfügbar, um allen impfbe- und die Erkrankung den Namen coronavirus disease reiten Menschen eine Impfung anzubieten. In 2019 (COVID-19).9 Bis Ende Januar 2020 waren in Deutschland hat die Ständige Impfkommission China fast 8.000 COVID-19-Erkrankungen labor- (STIKO) auch während einer Pandemie die Aufga- diagnostisch bestätigt worden und aus 18 weiteren be, Impfempfehlungen für die Bevölkerung zu ge- Ländern wurde über das Auftreten von SARS-CoV-2- ben, sofern mindestens ein Impfstoff zugelassen Infektionen berichtet. Daraufhin erklärte die Weltge- ist. Bei Impfstoffknappheit muss entschieden wer- sundheitsorganisation (WHO) COVID-19 am 30. Ja- den, welchen Personen oder Personengruppen vor- nuar 2020 zu einer Gesundheitlichen Notlage Inter- rangig die Impfung angeboten werden soll. Unter nationaler Tragweite (Public Health Emergency of In-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 11 ternational Concern, PHEIC).10 Am 11. März 2020 CoV-2 erfolgt über die Aufnahme virushaltiger Par- erklärte die WHO COVID-19 zur Pandemie. Zu die- tikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen sem Zeitpunkt hatte sich SARS-CoV-2 bereits auf und Niesen einer infizierten Person entstehen. über 114 Länder ausgebreitet, mit über 118.000 bestä- Menschen geben v. a. beim Husten und Niesen tigten COVID-19-Fällen und mehr als 4.291 Todesfäl- Speicheltröpfchen ab,16 die sich in einem Abstand len.11 Bis zum 22. Januar 2021 wurden weltweit von etwa 1 – 2 m von der Infektionsquelle ausbrei- 96 Mio. COVID-19-Fälle und 2,1 Mio. Todesfälle an ten.17 Gleichzeitig werden virushaltige Partikel in die WHO gemeldet (https://covid19.who.int/). Mit Form von Bioaerosolen ausgeschieden, die z. B. Stand 19. Januar 2021 wird an mehr als 230 Impf- auch bereits beim Atmen, Sprechen, Schreien, Sin- stoffkandidaten geforscht; 64 Kandidaten befinden gen entstehen.18 – 23 Bioaerosole verbleiben länger in sich in der klinischen und 173 in der präklinischen der Luft, während sich größere Partikel auf Oberflä- Evaluation.12 chen ablagern. Nach experimentellen Studien bleibt das Virus in Aerosolen bis zu 3 Stunden infek- tiös.24,25 In Stuhlproben von COVID-19-PatientInnen 2. Öffentliches Interesse wurde mittels PCR die wochenlange Persistenz von Die bisher ergriffenen Infektionsschutzmaßnah- Virus-RNA nachgewiesen. Ob hierbei tatsächlich in- men zur Bekämpfung der Pandemie wirken sich in fektiöse Viruspartikel vorliegen und es zu fäkalen fast allen Lebensbereichen einschneidend auf die Infektionsübertragungen kommen kann, ist bisher Bevölkerung aus, v. a. in den Bereichen des Gesund- nicht abschließend geklärt.26 – 31 Bei jedem Einzelfall heitswesens, des sozialen Lebens und der Wirt- einer infizierten Person gibt es zahlreiche Faktoren, schaft. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht der die auf die Transmission Einfluss haben, z. B. Höhe Schutz von Personengruppen mit einem besonders der Infektionsdosis und Viruslast, Größe der Parti- hohen Risiko für einen schweren und ggf. tödlichen kel, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Umgebung, Verlauf von COVID-19. Effektive und sichere Imp- Raumluftwechselrate und das Tragen einer fungen stellen einen wichtigen Baustein zum Mund-Nase-Bedeckung. 32 Übertragungen im Schutz der Bevölkerung und zur Eindämmung der Außenbereich kommen insgesamt selten vor.33 Bei Pandemie dar und können dazu beitragen, die Not- Wahrung des Mindestabstandes sorgt die Luftbewe- wendigkeit von Kontaktbeschränkungen mittelfris- gung im Freien für eine sehr geringe Übertragungs- tig zu reduzieren. Das öffentliche Interesse an einer wahrscheinlichkeit. Im Vergleich zu einer Trans- COVID-19-Impfempfehlung wird daher als sehr mission in geschlossenen Räumen schätzt eine im hoch eingeschätzt. Preprint erschienene japanische Studie das Risiko für eine Übertragung im Freien 19-mal niedriger ein.34 3. SARS-CoV-2-Erreger und -Übertragung Coronaviren sind 80 bis 140 nm große, behüllte ein- Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflä- zelsträngige RNA-Viren, die beim Menschen und chen ist theoretisch vorstellbar,35 da SARS-CoV-2- anderen Säugetieren (z. B. Hunde, Katzen, Drome- Viren unter Laborbedingungen auf Flächen eine daren, Fledertiere) sowie bei Vögeln vorkommen.13,14 gewisse Zeit lang infektiös bleiben können.25,36 Im SARS-CoV-2 ist neben SARS-CoV und MERS-(Midd- Vergleich zur aerogenen SARS-CoV-2-Übertragung le East Respiratory Syndrome-)CoV das dritte zoono- wird die Bedeutung der Verbreitung des Virus durch tische Coronavirus, bei dem im 21. Jahrhundert erst- kontaminierte Flächen aktuell gering einge- malig eine Übertragung vom Tier auf den Men- schätzt.37,38 Die Inkubationszeit beträgt 2 – 14 Tage schen nachgewiesen wurde mit der Folge lebensbe- (im Durchschnitt 5 – 6 Tage).39,40 Als Haupteintritts- drohlicher Erkrankungen. Im Gegensatz zu pforten für SARS-CoV-2 gelten die Schleimhäute SARS-CoV und MERS-CoV kam es bei SARS-CoV-2 des Nasen-Rachen-Raums; eine Aufnahme via Kon- zu einer sehr raschen und globalen Ausbreitung.9,15 junktiven und Tränennasengang wird diskutiert, Die Massenverbreitung erfolgt durch die Übertra- konnte allerdings bislang nicht eindeutig belegt gung von Mensch zu Mensch via Tröpfcheninfekti- werden.41 – 43 on und über Aerosole. Die Infektion mit SARS-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 12 Zielzellen von SARS-CoV-2 sind unter anderem die zum Lungen- und Multiorganversagen bis zum nasale und bronchioalveoläre Epithelzellen, an die Tod führen können.54 Auch andere Organmanifesta- das Spike-(S-)Glykoprotein des Virus über den tionen sind möglich – am Herzen55 und am Gefäß- Angiotensin-Converting-Enzym-(ACE-)2-Rezeptor system,56 an der Niere,57 am ZNS,58 an Leber und bindet, um in die Wirtszelle einzudringen.44,45 Für Gastrointestinaltrakt.59 Prä- und asymptomatische etliche Impfstoffkandidaten ist das Glykoprotein S SARS-CoV-2-Infektionen sind epidemiologisch be- eine zentrale Zielstruktur. Eine hohe ACE-2-Rezep- deutsam, da sie unbemerkt zur Weiterverbreitung tor-Dichte besteht z. B. im Atemwegstrakt, aber auch von SARS-CoV-2 beitragen. In jüngeren Altersgrup- im Darm, an Gefäßzellen, in der Niere und im pen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, Herzmuskel. sind schwere Verläufe seltener60 und asymptomati- sche SARS-CoV-2-Infektionen häufiger. Insgesamt Für die Basisreproduktionszahl (R0) von SARS- gibt es unterschiedliche Angaben über den Anteil CoV-2 wurde in mehreren systematischen Reviews an asymptomatischen Infektionen. Basierend auf ein mittlerer Wert (Median) von 3,3 bis 3,8 ermit- Daten des COVID-19-Ausbruches auf dem Kreuz- telt.46 – 48 Durch infektionspräventive Maßnahmen, fahrtschiff Diamond Princess mit überwiegend älte- wie z. B. Abstand halten, das Tragen von Mund- ren Menschen liegt der Anteil asymptomatischer Nase-Bedeckungen, regelmäßiges Lüften geschlos- Infektionen bei 18 %.61 Mittels serologischer Unter- sener Räume, Isolation Infizierter und Quarantäne suchungen, die im Anschluss an den COVID-19- von Kontaktpersonen, kann die natürliche Übertra- Ausbruch in Heinsberg durchgeführt wurden, wur- gungsrate deutlich gesenkt werden.46,47 Im Gegen- de ein Anteil von 22 % asymptomatischer Infektio- satz zum SARS (Severe Acute Respiratory Syndro- nen bestimmt.62 Ein systematischer Review ergab me)-Virus kann SARS-CoV-2 bereits durch infizier- eine Rate von asymptomatischen Infektionen von te, aber (noch) asymptomatische Personen übertra- bis zu 45 %.63 Die Analyse von 44.415 COVID-19- gen werden.39,49,50 Dies erschwert die Eindämmung PatientInnen in Wuhan/China ergab bei 81 % der einer Pandemie wesentlich. Umso bedeutender ist PatientInnen einen milden, bei 14 % einen schwe- bei COVID-19 der Schutz der Bevölkerung durch ren und bei 5 % der PatientInnen einen intensiv- eine präventive Impfung. pflichtigen Verlauf.64 Nehmen die respiratorischen Symptome an Schwere zu, führt die Hypoxie, ein- hergehend mit einer ausgeprägten Luftnot, zur sta- 4. COVID-19 Krankheitsbild tionären Aufnahme. Besonders betroffen sind ältere COVID-19 ist primär eine Erkrankung des Respira- Personen > 60 Jahre und Personen mit Vorerkran- tionstraktes, die nach der Infektion mit dem SARS- kungen.65 Das durchschnittliche Alter der diagnos- CoV-2-Erreger auftreten kann. Das klinische Bild tizierten COVID-19-PatientInnen wird durch die von COVID-19 ist zwar individuell sehr unterschied- Testhäufigkeit in unterschiedlichen Gruppen beein- lich ausgeprägt, aber kennzeichnend sind Fieber, flusst. Zu Beginn der Pandemie war das Durch- Schnupfen, trockener anhaltender Husten, Atem- schnittsalter der erkrankten PatientInnen höher, da not, Müdigkeit sowie eine Störung des Geruchs- vor allem symptomatische PatientInnen getestet und/oder Geschmackssinns bis hin zur vorüberge- wurden. Im Zeitraum von März/April 2020 bis henden Anosmie. Es können eine Vielzahl weiterer Juni/Juli 2020 hat sich das mediane Alter der diag- Symptome und klinischer Zeichen vorkommen, wie nostizierten SARS-CoV-2-Infizierten signifikant re- z. B. Hals- und Kopfschmerzen, Glieder- und Mus- duziert und ist von 40,8 Jahren (Interquartilsab- kelschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, stand [IQR]: 29,0 – 54,1) auf 35,8 Jahre (IQR: 24,0– Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö, 50,2) in den USA zurückgegangen.66 In einer Meta- Konjunktivitis oder Angina pectoris.51–53 analyse, in die Daten aus 34 geografischen Regionen einflossen, wurde die altersspezifische Fallsterblich- Der Krankheitsverlauf variiert hinsichtlich Sympto- keitsrate berechnet. Der Zusammenhang zwischen matik und Schwere: Es können asymptomatische, Alter und Fallsterblichkeitsrate war exponentiell: symptomarme oder schwere Infektionen mit Pneu- 0,002 % im Alter von 10 Jahren; 0,01 % im Alter von monie und weiteren Organbeteiligungen auftreten, 25 Jahren; 0,4 % im Alter von 55 Jahren; 1,4 % im Al-
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 13 ter von 65 Jahren; 4,6 % im Alter von 75 Jahren; 15 % über eine Symptomverschlechterung.75 Die Ursa- im Alter von 85 Jahren.67 In einer weiteren Metana- chen der Langzeitfolgen von COVID-19 sind unklar lyse wurde das geschlechtsspezifische COVID-19- und hinsichtlich der Prognose und möglicher Sterberisiko in Europa ermittelt. Daten von 23 Län- Therapieoptionen besteht dringender Forschungs- dern, die die Zahl von COVID-19-Fällen und -Todes- bedarf.71 fällen nach Geschlecht berichteten, wurden gepoolt. Die Stichprobe schloss 484.919 Männer und 605.229 Frauen mit COVID-19 ein. Das Risiko an 5. Immunität COVID-19 zu sterben war bei Männern signifikant Eine SARS-CoV-2-Infektion induziert innerhalb von erhöht (RR = 1,6; 95% KI 1,53 – 1,68).68,69 zwei Wochen nach Symptombeginn die Bildung von Antikörpern.76 Neutralisierende Antikörper sind Ein Teil der COVID-19-PatientInnen hat sich auch im Median in der zweiten Woche nach Symptom- Wochen oder Monate nach Beginn der Erkrankung beginn nachweisbar.77 – 79 Bei der Mehrzahl der un- noch nicht wieder erholt und leidet weiterhin unter tersuchten Personen bleiben die Antikörperkonzen- schweren Allgemeinsymptomen. Daten aus Eng- trationen über einen Zeitraum von mindestens fünf land deuten darauf hin, dass etwa 40 % der hospita- Monaten relativ stabil. Niedrigere Antikörperkon- lisierten Erkrankten längerfristige Unterstützung zentrationen und ein schnellerer Rückgang wurden benötigen und bei etwa 10 % der nicht hospitalisier- bei Personen beobachtet, die einen asymptomati- ten, mild Erkrankten Symptome länger als 4 Wo- schen oder sehr milden Verlauf hatten, im Vergleich chen andauern.70 zu moderat oder schwer Erkrankten.80 Zur Persis- tenz von Antikörpern über diesen Zeitraum hinaus Besonders häufig wird über Luftnot, Muskelschmer- lassen sich im Moment noch keine Aussagen tref- zen, Gedächtnisstörungen, Schlaf- und Konzentra- fen. Zusätzlich wurde bei Erkrankten eine T-Zell- tionsstörungen, eine ausgeprägte Erschöpfung und Reaktivität gegen unterschiedliche SARS-CoV-2- Müdigkeit berichtet.71–73 Unter diesen PatientInnen Proteine festgestellt, die sowohl an der Schutzver- sind nicht nur diejenigen, die sich von einer schwe- mittlung als auch an der pulmonalen Immunpatho- ren stationär behandelten oder intensivpflichtigen logie sowie der Zytokin-Ausschüttung beteiligt sein Erkrankung erholen, sondern auch solche mit ei- kann.81–86 SARS-CoV-2-spezifische-T-Zellen konnten nem eher milden Krankheitsverlauf. In einer pros- auch bei Infizierten nachgewiesen werden, die kei- pektiven Beobachtungsstudie wurden zwischen ne Antikörpertiter aufwiesen und asymptomatisch April und Juni 2020 100 Rekonvaleszenten unab- waren.87 Ob spezifische T-Zellen auch bei fehlen- hängig von der Ausprägung der Symptomatik im dem Antikörpernachweis Schutz bieten, ist noch Durchschnittsalter von 49 Jahren nach einer durch- unklar. gemachten COVID-19-Erkrankung untersucht und mit gesunden Alters-gepaarten Kontrollen vergli- Seltene Fälle von Reinfektionen und Zweiterkran- chen. In der kardiovaskulären Magnetresonanz- kungen sind beschrieben, bei denen mittels tomografie (CMR), die zwei bis drei Monate (im Mit- Genomsequenzierung nachgewiesen werden konn- tel 71 Tage (Spanne: 64– 92)) nach der COVID-19- te, dass die Viren, die während der Krankheitsepiso- Diagnose erfolgte, zeigten 78 % eine Herzbeteili- den nachgewiesen wurden, unterschiedlich waren, gung und 60 % eine fortbestehende myokardiale es sich also nicht um eine protrahierte Virusaus- Entzündung, unabhängig von vor der COVID-19- scheidung derselben Infektion handelte.88–92 Re- Erkrankung bestehenden Symptomen.74 Ein syste- infektionen bei endemischen Coronaviren (HCoV) matischer Review, der die Folgen von COVID-19 auf kommen vor und die HCoV-Immunität nimmt mit die psychische Gesundheit untersuchte, stellte fest, der Zeit ab.93,94 Es ist nicht bekannt, ob eine Reinfek- dass ein hoher Anteil der Rekonvaleszenten an post- tion mit einer Transmission einhergehen kann. traumatischen Belastungsstörungen, Angststörun- Zweiterkrankungen sind nach bisherigem Kenntnis- gen oder Depressionen leidet. Es berichteten 21 % stand selten und wurden vor allem im Zusammen- der PatientInnen, die schon vor der COVID-19- hang mit einer Immundefizienz beobachtet. Erkrankung eine psychiatrische Erkrankung hatten,
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 14 In-vitro-Untersuchungen lassen die Vermutung zu, werden unabhängig vom Vorhandensein oder der dass es nach vorangegangenen Infektionen mit Ausprägung einer klinischen Symptomatik als HCoV zu einer kreuzreaktiven Immunantwort auf COVID-19-Fälle gewertet. Die Infektionsausbrei- SARS-CoV-2 kommen kann.95 Zur Frage, ob es nach tung hat in Deutschland und auch weltweit eine HCoV-Infektionen zur Bildung neutralisierender wechselhafte Dynamik und daher gibt die Darstel- Antikörper gegen SARS-CoV-2 kommt, liegen kont- lung der Epidemiologie vielfach nur eine Moment- roverse Daten vor.95,96 Klinische Daten zu einem (par- aufnahme wieder. Die ersten COVID-19-Fälle traten tiellen) Schutz vor COVID-19 durch früher durchge- in Deutschland im Januar 2020 auf. Mit Datenstand machte HCoV-Infektionen wurden bislang nicht er- 19.01.2021 wurden 1.716.200 labordiagnostisch be- hoben. Präexistente SARS-CoV-2-reaktive CD4+ Ge- stätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt, dächtnis-T-Zellen bei Menschen ohne bisherige knapp 141.000 Fälle (8,2 %) wurden hospitalisiert, SARS-CoV-2-Exposition, die möglicherweise auf vo- 47.622 Personen (2,8 %) sind verstorben. Dies ent- rangegangene HCoV-Infektionen zurückzuführen spricht einer kumulativen Inzidenz von 2.467 sind, können sowohl an der Kontrolle als auch an der COVID-19 Fällen/100.000 Einwohnern. Im März Pathologie von COVID-19 beteiligt sein.97,99 haben die täglich übermittelten Fallzahlen in Deutschland deutlich zugenommen und die erste Infektionswelle erreichte ihr Maximum Mitte März 6. COVID-19-Epidemiologie mit knapp 6.000 täglich übermittelten Fällen. Um in Deutschland die Pandemie einzudämmen, wurde Mitte März 2020 auf Basis eines Bund-Länder-Beschlusses ent- 6.1 IfSG-Meldedaten (Datenstand 19.01.2021) schieden, eine weitgehende Einschränkung des Die Daten zur COVID-19-Epidemiologie beruhen öffentlichen Lebens umzusetzen. Der erste „Lock- auf den Meldedaten, die nach dem Infektions- down“ führte zu einem deutlichen Rückgang der schutzgesetz (IfSG) erhoben und an das Robert Infektionsfallzahlen, die sich zwischen Mitte Mai Koch-Institut (RKI) übermittelt werden. Alle labor- und Mitte Juli auf einem niedrigen Niveau stabili- diagnostischen PCR-Nachweise von SARS-CoV-2 sierten. Seit Anfang September nahmen die Fallzah- Anzahl übermittelte COVID-19-Fälle 30.000 Erkrankungsbeginn Meldedatum 27.500 25.000 22.500 20.000 17.500 15.000 12.500 10.000 7.500 5.000 2.500 0 09.03 23.03 06.04 20.04 04.05 18.05 01.06 15.06 29.06 13.07 27.07 10.08 24.08 07.09 21.09 05.10 19.10 02.11 16.11 30.11 14.12 28.12 11.01 Erkrankungsbeginn, ersatzweise Meldedatum (2020) Abb. 1 | Anzahl der an das RKI übermittelten COVID-19-Fälle nach Erkrankungsbeginn, ersatzweise nach Meldedatum seit dem 01.03.2020 (Stand 19.01.2021)
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 15 len wieder deutlich zu. Aktuell ereignet sich eine die wöchentlichen Inzidenzen zwischen 7 – 10/ zweite, weit intensivere Infektionswelle. Ab Anfang 100.000 und waren damit am niedrigsten von allen November galt bundesweit ein zweiter „Teil-Lock- Altersgruppen. Im Mai und Juni gingen die Infek- down“, der ab Mitte Dezember ausgeweitet und tionszahlen in allen Altersgruppen zurück. Ab An- kürzlich bis Mitte Februar 2021 verlängert wurde. fang Juli nahmen die Fallzahlen leicht zu; blieben Das bisherige Maximum der zweiten Infektions- aber, bis auf die erhöhten Werte bei den 15 – 34-Jäh- welle wurde Mitte Dezember mit mehr als 28.600 rigen bis Mitte September, auf einem stabilen Niveau Erkrankungsfällen täglich erreicht (s. Abb. 1). mit wöchentlich weniger als 20 Fällen/100.000 Einw. Danach setzte eine exponentielle Zunahme in Bezüglich der regionalen Verteilung kann man allen Altersgruppen ein. Zum Ende des Jahres 2020 aktuell feststellen, dass sich SARS-CoV-2 flächen- (51. Meldewoche) erreichten die wöchentlichen Inzi- deckend im Bundesgebiet ausgebreitet hat. Mitte denzen das bisherige Maximum mit Werten zwi- Januar (Stand: 19.01.2021) wurden aus allen schen 80/100.000 bei den 0–4-Jährigen und 370/ 412 Kreisen COVID-19-Fälle gemeldet. Die 7-Tage- 100.000 bei den ≥ 80-Jährigen (s. Abb. 2). Seitdem Inzidenz liegt in 277 Kreisen (67%) bei > 100 Fäl- gehen die Fallzahlen in allen Altersgruppen konti- len/100.000 Einw. und davon in 32 Kreisen bei nuierlich zurück. > 250 Fällen/100.000. Aktuelle Inzidenzwerte der Landkreise können dem RKI-Dashboard entnom- COVID-19 tritt in allen Altersgruppen auf. In men werden (https://corona.rki.de/). Deutschland sind Frauen (53%) etwas häufiger als Männer (47%) betroffen. Die höchsten altersspezi- Im Rahmen der ersten SARS-CoV-2-Infektionswelle fischen Inzidenzen werden bei den 20–29-Jährigen wurden die höchsten wöchentlichen Inzidenzen bei und den > 80-Jährigen gemessen und die niedrigs- den > 80-Jährigen mit 81 Fällen/100.000 Einw. ten Inzidenzen bei Kindern im Alter von < 10 Jah- gemessen. Bei den 15 – 69-Jährigen lag das wöchent- ren (s. Abb. 3). Die niedrigen Inzidenzen bei den liche Maximum niedriger und betrug 44 – 53 Fälle/ 60 – 79-Jährigen lassen vermuten, dass Personen 100.000 Einw. Bei Kindern und Jugendlichen lagen in dieser Altersgruppe sich beständiger an die emp- COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner 0 – 4 Jährige 35 – 59 Jährige 350,0 5 – 14 Jährige 60 – 79 Jährige 15 – 34 Jährige 80 + Jährige 300,0 250,0 200,0 150,0 100,0 50,0 0,0 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 1 2 Meldewoche Abb. 2 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner in Deutschland nach Altersgruppen und Meldewoche (KW 10/2020 – 02/2021; Stand 19.1.2021)
Epidemiologisches Bulletin 5 | 2021 4. Februar 2021 16 COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner 7.000 männlich weiblich 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 0–9 10 – 19 20 – 29 30 – 39 40 – 49 50 – 59 60 – 69 70 – 79 80 – 89 90 – 99 100 + Altersgruppe (Jahre) Abb. 3 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner (kumulative Inzidenz) in Deutschland nach Altersgruppen und Geschlecht (Stand 19.01.2021). fohlenen Kontaktbeschränkungen halten und so (7,6 %) werden etwas häufiger hospitalisiert als Infektionen verhindern können. In den höheren Frauen (6,3 %). Der Rückgang des Anteils stationär Altersgruppen steigt der Anteil an Menschen, die behandelter PatientInnen bei den Hochbetagten ist in Pflegeheimen leben, und hier ist das Risiko für möglicherweise darauf zurückzuführen, dass man COVID-19-Ausbrüche und damit das Infektionsri- aufgrund des hohen Alters eine Krankenhausein- siko besonders hoch. weisung vermeiden möchte. Für 1.291.801 (63%) der übermittelten Fälle liegen klinische Informationen vor. In Tabelle 1 werden die Anzahl und Anteile der bei COVID-19 häufig ge- Klinisches Merkmal Grundgesamtheit Anzahl (%) nannten Symptome, bzw. klinischen Zeichen darge- Husten 1.291.801 513.110 (40) stellt. Seit der 17. Kalenderwoche 2020 kann für COVID-19-Fälle auch Geruchs- und Geschmacks- Fieber 1.291.801 349.804 (27) verlust als Symptom in einer eigenen Übermittlungs- Schnupfen 1.291.801 358.414 (28) kategorie angegeben werden. Von 1.146.965 Fällen, Halsschmerzen 1.291.801 271.108 (21) die neu in dieser Kategorie erfasst wurden und Anga- Pneumonie* 1.291.801 17.945 (1) ben zur Klinik enthalten, haben 246.578 (21%) min- Geruchs- oder 1.146.965 246.578 (21) destens eines dieser beiden Symptome angegeben. Geschmacksverlust** Der Anteil stationär versorgter Fälle steigt mit dem Tab. 1 | COVID-19-relevante oder häufig genannte Symptome, bzw. klinische Zeichen (Stand 19.01.2021) Alter kontinuierlich an; er beträgt bei den 50 – 59- * Aufgrund mangelnder Diagnostik und ggf. unterlassener Jährigen 5 % und bei den 80 – 89-Jährigen 26 %. Mit Meldungen wird von einer deutlichen zahlenmäßigen weiter steigendem Alter geht der Anteil stationär Untererfassung ausgegangen. versorgter COVID-19-Fälle wieder zurück, er beträgt ** Geruchs und Geschmacksverlust werden erst seit der 17. Kalenderwoche 2020 erfasst. bei den ≥ 90-Jährigen 18 % (s. Abb. 4). Männer
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