Erfolgreiches Recruiting von Mitarbeitern - Vorgehen und rechtliche Hinweise

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Erfolgreiches Recruiting von Mitarbeitern - Vorgehen und rechtliche Hinweise
Pflege und Recht

    Erfolgreiches Recruiting
    von Mitarbeitern – Vorgehen
    und rechtliche Hinweise
    Von Dr. Carmen Hergenröder

    B  ei der Suche nach neuen Mitarbeitern bzw. Auszubil-       Praxistipp
       denden sollte nichts dem Zufall überlassen werden.
                                                                 Zu einer erfolgreichen Suche nach neuen Mitarbeitern und
    Es gibt eine Menge rechtlicher Stolperfallen. Werden         auch Auszubildenden gehört auch „Employer Branding“.
    die Vorgaben der Gesetze und der Rechtsprechung nicht
    beachtet, kann dies schnell teuer werden. Es drohen
    Schadensersatzansprüche nicht berücksichtigter Be-          Unter diesem Begriff wird nach allgemeinem Verständ-
    werber. Hinzu kommt, dass Fehlbesetzungen auch ins          nis die Entwicklung und Positionierung eines Unter-
    Geld gehen können. Zu denken ist an hohe Ausfallzeiten,     nehmens bzw. Ausbildungsbetriebes als glaubwürdiger
    zahlreiche Krankheitstage oder aber langwierige Kündi-      und attraktiver Arbeitgeber verstanden – sprich die
    gungsrechtsstreitigkeiten.                                  Schaffung einer Arbeitgebermarke. Je bekannter und
                                                                attraktiver sich ein Betrieb darstellt, umso größer sind
    Schritt Nr. 1: Erfolgreiche Suche nach neuen                die Chancen, dass sich Interessenten auf einen Arbeits-/
    ­Beschäftigten und Auszubildenden                           Ausbildungsplatz in diesem Unternehmen bewerben.
     Wer neue Mitarbeiter bzw. Auszubildende sucht, muss        Sie müssen den Arbeitgeber bzw. Ausbilder als solchen
     zunächst entscheiden, ob dies auf traditionellem Wege      „wahrnehmen“ und sich bestmögliche Ausbildungs-
     oder unter Zuhilfenahme von Social Media erfolgen soll.    möglichkeiten bzw. Berufschancen versprechen, sofern
     Denkbare Kanäle für die Bewerbersuche                                              sie in diesem Betrieb einen Aus-
     sind z. B.                                                                         bildungs- und evtl. späteren Ar-

                                                   Schaffung
     – Printmedien wie z. B. Tageszeitungen                                             beitsplatz bekommen.
        oder Fach­zeitschriften

                                                     einer
     – Stellenanzeigen auf der Firmen-                                                 Beachtung der Vorgaben
        homepage                                                                       des Allgemeinen Gleich­

                                                  Arbeitgeber­
     – Mobile Recruiting über Smartphones                                              behandlungsgesetzes
     – E-Mails bzw. Telefon                                                            Stellenanzeigen müssen nach

                                                     marke
     – Vermittlung Arbeitsagentur                                                      § 11 AGG benachteiligungsfrei
     – Internet-Jobbörsen                                                              sein, dürfen also gegen keines
                                                                                       der in § 1 AGG genannten Dis-
    Für die Bewerbersuche gibt es zahlrei-                                             kriminierungsmerkmale       ver-
    che Jobbörsen im Internet, in welchen die Betreiber Stel-   stoßen. Diese Vorschrift möchte eine Benachteiligung
    lenangebote von Arbeitgebern und/oder Stellengesuche        wegen besonderer Merkmale von Beschäftigten vermei-
    von Bewerbern mittels Informationsabfrage und -selek-       den bzw. beseitigen. Damit ist eine Benachteiligung aus
    tion zur Vermittlung bereitstellen. Zu nennen sind z. B.    folgenden Gründen zu unterlassen:
    Indeed, Jobware, Monster, Jobs.de, StepStone etc.           – wegen der Rasse oder ethnischen Herkunft,
                                                                – wegen des Geschlechts,
    Empfehlung für die Suche nach geeigneten Auszu-             – wegen der Religion oder Weltanschauung,
    bildenden:                                                  – wegen einer Behinderung,
    Im Hinblick auf das Alter der Zielgruppe bietet sich die    – wegen des Alters oder
    Bewerbersuche v. a. über Social Media geradezu an. Die      – wegen der sexuellen Identität.
    künftigen Azubis sind mit dem Internet und dem Smart-
    phone sozusagen aufgewachsen und leben damit. Über          Eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot ist zu ma-
    diese Kanäle erreicht man jugendliche Bewerber mithin       chen, wenn besondere berufliche Anforderungen nach
    bevorzugt.                                                  § 8 AGG hiervon eine Abweichung zulassen.

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Beispiele:                                                  – Was bietet das Unternehmen (Vergütung, Aufstiegs-
– Obwohl das „Alter“ ein Diskriminierungsmerkmal              chancen, Auslandsaufenthalte etc.)?
  nach § 1 AGG ist, dürfen z. B. Auszubildende für den      – Welche Art der Bewerbung wird gewünscht (Brief-
  Beruf als Kraftfahrer/-in ab 18 Jahre gesucht werden.       form, E-Mail, Beilegen von Zeugnissen)? An wen soll
– Eine Stellenanzeige „Frauen an die Macht“, mit wel-         die Bewerbung gerichtet werden?
  cher für ein Autohaus ausdrücklich Verkäuferinnen
  gesucht werden, ist im Hinblick auf § 8 AGG nicht dis-    Stellenanzeigen auf der Firmenhomepage
  kriminierend, wenn ein Arbeitgeber seinen Kunden          Wer einen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz sucht, in-
  Verkaufsberater beider Geschlechter zur Verfügung         formiert sich auch gern auf der Webseite eines inter-
  stellen möchte (LAG Köln, Urteil vom 18.05.2017,          essanten Unternehmens (→ Employer Branding!). Das
  Az. 7 Ds 913/16).                                         sollten Betriebe bei der Gestaltung ihres Webauftritts
                                                            im Blick haben und dort über freie Ausbildungs- sowie
Stellenanzeigen in Printmedien                              Arbeitsplätze informieren. Wichtig ist dabei, diese mög-
Die gängigste Art der Bewerbersuche ist bisher immer        lichst aussagekräftig und attraktiv zu beschreiben (man
noch die traditionelle mittels Stellenanzeigen in Zeitun-   spricht hier auch von E-Recruiting).
gen. Beim Erstellen solcher Anzeigen sollten Arbeitge-
ber und Ausbildungsbetriebe darauf achten, dass diese       Die Vorteile des E-Recruitings gegenüber traditionel-
die wichtigsten Informationen enthalten. Eine Stellen­      len Stellenanzeigen sind deutlich reduzierte Kosten pro
anzeige könnte wie folgt aussehen:                          Einstellung und eine zeitliche Verkürzung des Beschaf-
– Zunächst sollten Informationen über den Betrieb ge-       fungsprozesses. Darüber hinaus stehen die Stellenange-
   geben werden.                                            bote über einen längeren Zeitraum als z. B. in Tageszei-
– Für welchen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz werden         tungen und zeitlich (24 Stunden an sieben Tagen) sowie
   neue Auszubildende bzw. Mitarbeiter gesucht? Welche      regional unbegrenzt zur Verfügung. Zudem können
   Voraussetzungen sollte der/die Bewerber/-in mitbrin-     Unternehmen auf eine vorselektierte Nutzergruppe zu-
   gen (Schulabschluss, Vor- bzw. Sprachkenntnisse etc.)?   greifen, die zumindest über Internetkenntnisse verfügt.

                                                                                                                       Bluedesign, stock.adobe.com

                                                                                           Ständige personelle Fehl-
                                                                                           besetzungen sind teuer

www.die-praxisanleitung.de                                                                                                                           7
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Pflege und Recht

                                 Hinweis:                                                    Für die Suche nach geeigneten Auszubildenden gibt es in
                                 Auch Anzeigen auf der Firmenhomepage müssen be-             der Praxis noch weitere Möglichkeiten wie z. B.:
                                 nachteiligungsfrei i. S. d. AGG formuliert werden.
                                                                                             – Aushang am Werkstor
                                 Agentur für Arbeit                                          – Veranstaltung eines „Tages der offenen Tür“, an wel-
                                 Die Agentur für Arbeit stellt einen umfangreichen Ser-        chem künftige Auszubildende Informationen über
                                 vice für die Vermittlung von geeigneten Bewerbern zur         das Unternehmen erhalten und die Arbeitsplätze vor
                                 Verfügung. Demzufolge ist eine Anfrage bei der Agentur        Ort besichtigen können. Dadurch wird zugleich eine
                                 für Arbeit eine klassische Methode, um Ausbildungs- so-       gewisse „Bindung“ an das Unternehmen erreicht.
                                 wie Arbeitsplätze zu besetzen.                              – Kontakt mit Bildungseinrichtungen wie allgemeinbil-
                                                                                               denden Schulen oder Fachschulen. Dort können nach
                                 Internet-Jobbörsen                                            Absprache mit der Schulleitung Infostände aufgebaut
                                 Im Internet bieten zahlreiche Jobbörsen ihre Dienste an.      und Flyer verteilt werden. So können Ausbildungs-
                                 Die Betreiber dieser Seiten stellen auf diesen Stellenan-     betriebe mit künftigen Auszubildenden in Kontakt
                                 gebote von Arbeitgebern und/oder Stellengesuche von           treten und diese für eine Ausbildung in ihrem Haus
                                 Bewerbern mittels Informationsabfrage und -selektion          „begeistern“.
                                 zur Vermittlung bereit.

                                                                                                        Jugendliche gehen
                                 Beispiele:
                                 Indeed, Jobware, Monster, Jobs.de, StepStone etc.

                                 Mobile Recruiting                                                      mit dem Smartphone
                                                                                                        auf Stellensuche
                                 Ein großer Prozentsatz der Jugendlichen, die einen Aus-
                                 bildungsplatz suchen, geht mehr als einmal wöchentlich
                                 mit dem Smartphone auf Stellensuche. Damit hat die
                                 zunehmende Nutzung von Smartphones und Tablet-PCs
                                 einen großen Einfluss auf die Rekrutierung von Auszu-
                                 bildenden.
                                                                                             Schritt Nr. 2: Auswahl der geeigneten Bewerber
                                 Daher gehen immer mehr Ausbildungsbetriebe davon            Erhält der Betrieb eine Reihe von Bewerbungen, muss
                                 aus, dass die Ansprache von Bewerbern über mobile           er in einem zweiten Schritt des Recruiting-Verfahrens
                                 Endgeräte sinnvoll ist, und ergreifen entsprechende         den für ihn passenden Bewerber herausfiltern. Für die
                                 Maßnahmen wie z. B. eine für bestimmte Smartphones          Bewerberauswahl stehen verschiedene Alternativen zur
                                 oder Tablet-PCs optimierte Darstellung der eigenen Kar-     Verfügung.
                                 rierewebsites.
                                                                                             Vorauswahl anhand der Bewerbungsunterlagen
                                 Es ist einen Versuch wert, ob auf diesem Weg auch leich-    Anhand der Bewerbungsunterlagen wird der Betrieb zu-
                                 ter Bewerber auf einen Arbeitsplatz gefunden werden         nächst einmal eine Vorauswahl treffen und dann ent-
                                 können.                                                     scheiden, wer in die engere Wahl zu ziehen ist.
Freshidea, stock.adobe.com

                                                                                                                                       Anzeigen auf der
                                                                                                                                       Firmenhomepage
                                                                                                                                       müssen benach-
                                                                                                                                       teiligungsfrei
                                                                                                                                       formuliert sein

                             8                                                                                                Die PraxisAnleitung 4.2021
Erfolgreiches Recruiting von Mitarbeitern - Vorgehen und rechtliche Hinweise
Pflege und Recht

          Die Mindestanforderungen an Bewerbungsschreiben be-              Ein Telefongespräch gibt nach Analyse der Bewerbungs-
          treffen deren                                                    unterlagen und vor einem Vorstellungsgespräch die
          – äußere Form,                                                   Möglichkeit, offene Fragen zu klären. Zusätzlich erhält
          – Vollständigkeit,                                               der Arbeitgeber bzw. Ausbilder einen ersten Eindruck
          – Übersichtlichkeit,                                             über den Bewerber. Damit bergen Telefoninterviews
          – Fehlerfreiheit.                                                großen Nutzen und ersparen möglicherweise viel Zeit,
                                                                           personellen und monetären Aufwand.
          Detailanforderungen an Bewerbungsschreiben sind
          – ein vollständiger Lebenslauf,                                  Vor dem Gespräch ist es ratsam, einen Telefonleitfaden
          – Zeugnisse,                                                     mit wichtigen Fragen und einen Telefon-Auswertungs-
          – Nachweise evtl. Zusatzqualifikationen,                         bogen zu erstellen.
          – u. U. ein Bewerbungsfoto.
                                                                           Hinweis:
          Im Hinblick auf das AGG wird neuerdings z. T. die Auf-           Auch in einem Telefoninterview sind die Vorgaben des
          fassung vertreten, dass Bewerbungsfotos nicht angefor-           AGG zu beachten. Es dürfen mithin keine Fragen gestellt
          dert werden sollten, da aus ihnen u. U. diskriminierende         werden, die gegen die Diskriminierungsmerkmale des
          Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Die meis-             § 1 AGG verstoßen.
          ten Bewerber legen jedoch von sich aus ein Foto bei.
                                                                           Bewerbungsgespräch
           Praxistipp                                                      Das Bewerbungsgespräch ist das Kernstück des Aus-
                                                                           wahlprozesses. In diesem gewinnen Arbeitgeber wie
           Schwerbehinderte Bewerber sollten auf jeden Fall zu ei-
                                                                           Ausbilder einen ersten persönlichen Eindruck von dem
           nem Bewerbungsgespräch geladen werden. Geschieht
           dies nicht, kann allein aus diesem Umstand ein Indiz für
                                                                           Bewerber und können gezielt Fragen stellen.
           eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nach
           dem AGG abgeleitet werden mit der Folge, dass der nicht         Das Fragerecht des Arbeitgebers/Ausbilders ist aller-
           berücksichtigte Bewerber möglicherweise Schadensersatz          dings zum Schutz der Persönlichkeit des Bewerbers ein-
           verlangen kann.
                                                                           geschränkt. Es ist eine Interessenabwägung zwischen
                                                                           dem Recht des Arbeitgebers/Ausbilders auf Beschaffung
          Telefoninterviews                                                von Informationen über den Bewerber sowie dessen
          Telefoninterviews können als erste Kontaktaufnahme               Persönlichkeit vorzunehmen. Ein Auskunftsrecht des
          mit Bewerbern geführt werden. Sie sparen Zeit bei der            Arbeitgebers/Ausbilders wird dabei nur insoweit an-
          Bewerberauswahl.                                                 erkannt, als dieser ein berechtigtes, billigenswertes und

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Erfolgreiches Recruiting von Mitarbeitern - Vorgehen und rechtliche Hinweise
Pflege und Recht

     schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner          Fall kann der Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung
     Fragen im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat. Not-       nach § 123 BGB angefochten werden (LAG Hessen, Urteil
     wendig ist zudem ein konkreter Tätigkeitsbezug der ge-       vom 21.09.2011, Az. 8 Sa 109/11, rechtskräftig).
     stellten Frage, da andernfalls kein berechtigtes Interesse
     des Arbeitgebers/Ausbilders an deren Beantwortung an-        Diese Rechtslage gilt auch, wenn der Bewerber auf einen
     genommen werden kann.                                        Ausbildungsplatz eine zulässige und für die Ausbildung
                                                                  wichtige Frage wahrheitswidrig beantwortet.
     Wie sollte ein Bewerbungsgespräch ablaufen?
     – Begrüßung und gegenseitiges Vorstellen                     Anders sieht die Rechtslage aus, wenn Ausbilder bzw.
     – Beschreibung des Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatzes          Arbeitgeber unzulässige Fragen stellen, z. B. - nach der
       und der konkreten Anforderungen                            künftigen Lebensplanung des Bewerbers. Die Beantwor-
     – Rückfrage an den Bewerber, wieso er sich für diesen        tung solcher Fragen kann der Bewerber zwar ablehnen,
       Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz entschieden hat und         riskiert damit jedoch, nicht eingestellt zu werden. Des-
       ob er sich den Anforderungen gewachsen fühlt               halb hat der Bewerber in diesem Fall nach der Recht-
     – weitere Fragen an den Bewerber                             sprechung ein Recht auf Lüge, ohne negative rechtliche
     – evtl. Fragen des Bewerbers                                 Konsequenzen befürchten zu müssen.
     – Verabschiedung

Einschränkung
des Fragerechts
     Es empfiehlt sich, Bewerbungsgespräche unter Ver-
     wendung eines zuvor ausgearbeiteten Fragenkatalogs
     durchzuführen. Der Gesprächsverlauf sowie der Inhalt
     der Unterredung sind ausreichend schriftlich zu doku-
     mentieren. Aus Beweisgründen sollten Bewerbungsge-
     spräche zudem von zwei Personen auf Arbeitgeberseite
     geführt werden.

     Grundlagen des Fragerechts
     Im Rahmen des Bewerbungsgesprächs sind zwingend die
     Vorgaben des AGG zu beachten. Nach den in § 1 AGG ge-
     nannten Diskriminierungsmerkmalen darf nicht gefragt
     werden. Hingegen sind Fragen nach dem beruflichen
     Werdegang, Ausbildung, Berufserfahrung etc. zulässig.

     Das Bestehen bzw. Fehlen eines Fragerechts des Arbeitge-
     bers ist von Bedeutung für die Frage, wie sich die Rechts-
     lage gestaltet, wenn dieser unzulässige Fragen stellt bzw.
     ein Bewerber zulässige Fragen falsch beantwortet.

     Dabei gilt folgender Grundsatz:
     Zulässigerweise gestellte Fragen sind wahrheitsgemäß
     zu beantworten. Geschieht dies nicht, steht dem Arbeit-
     geber ein Anfechtungsrecht zu, wenn die falsche Ant-
     wort für den Abschluss des Arbeitsvertrags kausal war
     (BAG, Urteil vom 07.07.2011, Az. 2 AZR 396/10).

     Beispiel:                                                        Das Gespräch sollte
                                                                       anhand eines aus-
     Ein Bewerber um einen Arbeitsplatz in einem Drei-
                                                                     gearbeiteten Fragen-
     Schicht-Betrieb wird gefragt, ob er auch Nachtschichten              katalogs durch­
     leisten kann. Dies bejaht er wahrheitswidrig. In diesem              geführt werden

10                                                                                                 Die PraxisAnleitung 4.2021
Pflege und Recht

Recht auf Lüge                                                 Tätigkeit wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäf-
                                                               tigungsverbots zunächst nicht aufnehmen kann (BAG,
                                                               Urteil vom 06.02.2003, Az. 2 AZR 621/01).
    Beispiel:
    Eine Bewerberin auf einen Ausbildungs-/Arbeitsplatz        Wonach darf konkret gefragt werden?
    wird unzulässigerweise gefragt, ob sie schwanger ist.      – Fragen nach der schulischen Ausbildung sowie einer
    Sie verneint die Frage wahrheitswidrig. In diesem Fall       evtl. bereits erfolgten anderweitigen Beschäftigung
    hat der Ausbilder/Arbeitgeber kein Recht zur Anfech-         oder Ausbildung sind zulässig und müssen wahrheits-
    tung des Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrages. Auch            gemäß beantwortet werden. Auch über Zeugnisse und
    eine Probezeitkündigung scheidet im Hinblick auf             Prüfungsnoten ist Auskunft zu geben. Erfragt werden
    § 17 MuSchG aus.                                             dürfen des Weiteren z. B. Fremdsprachenkenntnisse,
                                                                 die Absolvierung von Praktika oder Lehrgängen sowie
    Denn die Frage nach einer bestehenden Schwanger-             sonstige Spezialkenntnisse oder besondere Fähigkei-
    schaft ist grundsätzlich unzulässig. Sie verstößt regel-     ten. Nur so kann der Arbeitgeber bzw. Ausbildungs-
    mäßig gegen das Diskriminierungsverbot des AGG. Dies         betrieb beurteilen, ob der Bewerber für den vorgese-
    soll selbst dann gelten, wenn die Frau die vereinbarte       henen Arbeits-/Ausbildungsplatz geeignet ist.

                                                                                                                             Robert Kneschke, stock.adobe.com

    www.die-praxisanleitung.de                                                                                          11
Pflege und Recht

      – Nach den Vermögensverhältnissen eines Bewerbers           dass sie der Bewerber von sich aus ansprechen muss –
        darf der Arbeitgeber zulässigerweise nur dann fragen,     sog. Offenbarungspflicht. Eine solche Pflicht besteht al-
        wenn er bzgl. des ins Auge gefassten Arbeitsplatzes       lerdings nicht, wenn eine Frage des Arbeitgebers nach
        ein berechtigtes Interesse an geordneten Vermögens-       demselben Gegenstand unzulässig wäre.
        verhältnissen seines künftigen Arbeitnehmers hat.
        Bei Bewerbern auf einen Ausbildungsplatz wird sich        Verwendung von Personalfragebögen
        diese Frage nur ausnahmsweise stellen.                    zur Auswahl von Bewerbern?
      – Arbeitgeber und Ausbilder dürfen Bewerber nicht           Personalfragebögen können vor einem Bewerbungs-
        allgemein nach einer (Schwer-)Behinderung fragen.         gespräch oder stattdessen verwendet werden. Darunter
        Erlaubt sein muss die Frage nach einer Behinderung        versteht man die formularmäßige Zusammenfassung
        jedoch dann, wenn ihr Fehlen eine entscheidende be-       von Fragen über die persönlichen Verhältnisse, Kennt-
        rufliche Anforderung für die in Aussicht genommene        nisse und Fähigkeiten des Bewerbers (BAG AP Nr. 16 zu
        Tätigkeit bzw. Ausbildung ist (berufliche Anforde-        § 79 BPersVG). Sie sind wichtige Instrumente der Per-
        rungen gem. § 8 AGG; BAG, Urteil vom 17.12.2009,          sonalplanung, mit welchen der Arbeitgeber/Ausbilder
        Az. 8 AZR 670/08).                                        möglichst viele Daten über die Person der Bewerber um
      – Nach bestehenden Krankheiten darf gefragt werden,         einen Arbeits-/Ausbildungsplatz erhalten möchte. Dabei

                                                                                                                                 Robert Kneschke, stock.adobe.com
        sofern diese im Zusammenhang mit dem ins Auge ge-         besteht die Gefahr, dass Fragen gestellt werden, welche
        fassten Arbeitsverhältnis stehen und die Arbeitsleis-     das Persönlichkeitsrecht der Bewerber verletzen.
        tung des Bewerbers dauerhaft oder regelmäßig wie-
        derkehrend beeinträchtigen – z. B. Epilepsie bei einer    Hier zeigt sich die gleiche Rechtslage wie bei einem Be-
        Nachtschwester.                                           werbungsgespräch. Das heißt: Die Vorgaben des AGG
                                                                  und der Rechtsprechung sind zu beachten.

        Die Offenbarungs­
                                                                  Hinweis:
                                                                  Nach § 94 Abs. 1 BetrVG bedürfen Personalfragebögen

     pflicht des Bewerbers
                                                                  der Zustimmung des Betriebsrats. Dem Betriebsrat
                                                                  obliegt jedoch nur ein Mitbestimmungsrecht; das In-
                                                                  itiativrecht steht dem Arbeitgeber zu (Urteil des LAG
                                                                  Düsseldorf vom 24.07.1984, DB 1985, 134). Dieser kann
      An die Zulässigkeit diesbezüglicher Fragen sind strenge     also frei entscheiden, ob er überhaupt Personalfrage-
      Maßstäbe zu stellen, da sie einen erheblichen Eingriff in   bögen einführt (Urteil des LAG Düsseldorf, Urteil vom
      die Intimsphäre des Bewerbers bedeuten. So wird es für      24.07.1984 – DB 1985, 134; Urteil des LAG Frankfurt,
      zulässig angesehen, u. a. folgende Fragen hinsichtlich      DB 1992, 534). Entscheidet er sich dafür, unterliegen
      bestehender Krankheiten zu stellen:                         die Einführung und Änderung des Fragebogens so-
      – Liegt eine Krankheit oder Beeinträchtigung des Ge-        wie die Festlegung des Inhalts der Mitbestimmung des
         sundheitszustands vor, welche die Eignung für den        ­Betriebsrats.
         vorgesehenen Arbeits-/Ausbildungsplatz auf Dauer
         oder in periodischen Abständen einschränkt?              Bei der inhaltlichen Gestaltung der Personalfragebögen
      – Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht        sind die vom BAG für das Fragerecht des Arbeitgebers
         die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die       im Einstellungsgespräch entwickelten Grundsätze zu
         künftigen Kollegen oder Kunden gefährden?                beachten. Soweit danach Fragen unzulässig sind, dürfen
      – Wären Sie bereit, sich auf unsere Kosten von einem        sie nicht aufgenommen werden. Erteilt der Betriebsrat
         Arzt unserer Wahl untersuchen zu lassen und diesen       seine Zustimmung zu einer unzulässigen Frage, ist der
         von der Schweigepflicht zu entbinden, soweit Er-         Bewerber nicht verpflichtet, diese wahrheitsgemäß zu
         krankungen Auswirkungen auf die Tätigkeit haben          beantworten.
         ­könnten?
                                                                  Eignungstests
      Hingegen sind allgemein gehaltene Fragen nach dem           Teilweise führen Arbeitgeber/Ausbilder im Rahmen der
      Gesundheitszustand unzulässig, ebenso wie Erkundi-          Bewerberauswahl auch Eignungstests durch. In rechtli-
      gungen nach Krankheiten, die sich als Verwirklichung        cher Hinsicht ist hierbei zu beachten:
      des allgemeinen Lebensrisikos darstellen (Grippe, Erkäl-    – Die Vorgaben des AGG und die Grundsätze des Frage-
      tungskrankheiten usw.). Auch Fragen nach Erkrankun-            rechts sind zu beachten.
      gen in der Familie eines Bewerbers sind unzulässig.         – Der Bewerber muss nach vorheriger Information ein-
                                                                     willigen.
      Bestehen entsprechende Einschränkungen gesundheitli-        – Es muss sich um die Ermittlung arbeits- bzw. ausbil-
      cher Art, steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt,         dungsplatzbezogener Daten handeln.

12                                                                                                  Die PraxisAnleitung 4.2021
Pflege und Recht

                                                          Es dürfen vom Arzt keine Fragen gestellt werden, die
                                                          der Arbeitgeber nicht stellen darf. Diesem darf nur die
                                                          Eignung des Bewerbers für den Arbeitsplatz mitgeteilt
                                                          werden, nicht das Ergebnis der Untersuchung.

                                                          Hinweis:
                                                          Bei Minderjährigkeit des Bewerbers ist nach § 32
                                                          JArbSchG eine ärztliche Erstuntersuchung vor der Auf-
                                                          nahme der Tätigkeit verpflichtend vorgeschrieben.

                                                          Robot Recruiting
                                                          Im Rahmen des Einsatzes künstlicher Intelligenz im HR-
                                                          Bereich werden derzeit die Möglichkeiten von Robot Re-
                                                          cruiting diskutiert. Es wird unterstellt, dass dieses nahe-
                                                          zu das gesamte Recruiting-Verfahren abdecken kann. So
                                                          wird vermutet, dass in Zukunft Algorithmen eingesetzt
                                                          werden können, um mögliche Kandidaten im Internet –
                                                          bspw. über LinkedIn, Xing oder sonstigen Netzwerken –
                                                          auffinden zu können. Teilweise wird unterstellt, dass
                                                          künftig Bewerberinterviews zumindest partiell über di-
                                                          gitale Assistenten durchgeführt werden. Hier bleibt die
                                                          künftige Entwicklung abzuwarten.
Durchführung von Assessment-Center

                                                                  Künstliche ­Intelligenz
– Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt              im HR-Bereich
  sein.
– Wenn die Äußerungen des Bewerbers zwecks späte-
  rer Auswertung schriftlich festgehalten werden sol-     Aufbewahrungsfristen für Bewerbungsunterlagen
  len, greift das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats    Bewerbungsunterlagen abgelehnter Bewerber müssen
  nach § 94 Abs. 1 BetrVG.                                spätestens nach drei Monaten zurückgeschickt bzw. ver-
                                                          nichtet werden, sobald feststeht, dass der betreffende
Assessment-Center                                         Bewerber im Rahmen der Besetzung des Arbeitsplatzes
Assessment-Center oder Auswahlseminare sind syste-        nicht berücksichtigt wird. Initiativbewerbungen müssen
matische Verfahren zur qualifizierten Festlegung der      nur zurückgeschickt werden, wenn ein Freiumschlag mit
Leistungsfähigkeit bzw. von Leistungsdefiziten, bei de-   der Bitte um Rücksendung beigefügt wird.
nen gleichzeitig mehrere Bewerber im Hinblick auf die
Anforderungen des zu besetzenden Arbeitsplatzes durch     Ersatz von Vorstellungskosten?
mehrere Beobachter (Assessoren) beurteilt werden. Im      Fordert der Arbeitgeber einen Bewerber ausdrücklich
Regelfall müssen in Gruppenarbeit eine oder mehrere       dazu auf, sich persönlich vorzustellen, sind nach all-
arbeitsplatzbezogene Aufgaben gelöst werden.              gemeiner Meinung die hierdurch entstehenden Vor-
                                                          stellungskosten zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der
Diese Auswahlmethode dürfte sich für die Besetzung ei-    Betrieb den Bewerber darauf hinweist, dass Vorstel-
nes Ausbildungsplatzes nur im Ausnahmefall anbieten.      lungskosten nicht übernommen werden. Ein entstande-
                                                          ner Zeitaufwand ist nicht zu ersetzen.             ///
Einstellungsuntersuchungen
Einstellungsuntersuchungen bzw. psychologische Tests
sind nur zulässig, wenn                                    Dr. Carmen Silvia Hergenröder
– sie gesetzlich vorgeschrieben sind (z. B. nach § 43      Neben ihrer Tätigkeit als selbstständige Rechtsanwältin
   IfSG),                                                  arbeitet Frau Dr. Hergenröder u. a. als Herausgeberin und
– der Bewerber einwilligt,                                 Autorin juristischer und Praktikerliteratur (z. B. „Das neue Be-
                                                           rufsbildungsrecht“ des FORUM VERLAGS HERKERT). Zudem
– es sich um die Ermittlung arbeitsplatzbezogener Da-
                                                           führt sie seit Jahren v. a. Seminare zum Arbeits- und Berufs-
   ten handelt und                                         bildungsrecht sowie Betriebsverfassungsrecht durch.
– der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

www.die-praxisanleitung.de                                                                                                    13
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