Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung - besser, bunter, billiger?

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Internet-basiertes Lernen in
                               der Pflegebildung –
                               besser, bunter, billiger?
                               Michael Kerres/ Andrea Kerres

                               Der Beitrag diskutiert die Möglichkeiten des internetbasierten Lernens
Prof. Dr. Michael Kerres       in der Pflegebildung. Als entscheidender Vorzug eines mediengestütz-
Ruhr-Universität Bochum        ten Lernszenarios, das auf dem Internet basiert, wird – gerade gegen-
Institut für Pädagogik         über konventionellen Fernstudienangeboten – die Möglichkeit zu einer
44780 Bochum
Email: michael@kerres.de       intensiveren Kommunikation gesehen. Um jedoch die Lehrziele in der
                               Pflegebildung zu erreichen, sind entsprechende Massnahmen durch
Prof. Dr. Andrea Kerres
Stiftungsfachhochschule Mün-
                               verschiedene Elemente des Lernens in Präsenzseminaren zu ergänzen
chen
Fachbereich Pflege und Ge-
sundheit                       Einleitung
Preysingstr. 83                Die EDV hat sich in den verschiedenen Bereichen der Pflege etabliert und wird
81667 München                  zunehmend als selbstverständliches Werkzeug und Medium anerkannt. Nach
Email: andrea@kerres.de        der Einführung von PCs im Management und der Nutzung von Netzen für
                               z.B. die interne Kommunikation und die Verbesserung abteilungsübergreifen-
                               der Abläufe, wird nun etwa der Einsatz mobiler PCs für das Pflegepersonal auf
                               der Station diskutiert. Einen Schritt weiter geht die Nutzung von PCs und
                               neuen Medien in der Aus- und Weiterbildung zu Pflegethemen. Denn auch
                               hier gibt es Überlegungen, wie neue Medien, z. B. im Rahmen von Studien-
                               gängen oder Weiterbildungsangeboten Einsatz finden können.
                               Die Erwartungen, die mit diesen neuen Angeboten verbunden werden, sind
                               vielfach immens: Man spricht von den Potenzialen der neuen Medien zu Inno-
                               vationen oder gar Revolutionen im Bildungssektor. Doch wird das Lernen in
                               der Pflegeaus- und Weiterbildung mit neuen Medien tatsächlich besser, bun-
                               ter und billiger?
                               Im folgenden werden einige Aspekte dieses Problems diskutiert. Dabei soll
                               deutlich werden, dass die Erwartungen, die den neuen Medien und insbeson-
                               dere dem Internet in der Bildungsarbeit entgegen gebracht werden, vielfach
                               unrealistisch sind. Bei einer angemessenen didaktischen Konzeption kann ihr
                               Einsatz – gerade unter den besonderen Bedingungen des Lernens im Kontext
                               der Pflege – jedoch eine attraktive Erweiterung von Bildungsangeboten dar-
                               stellen.

Schlüsselwörter                Medientechnik als Bildungstechnologie
Bildung                        Das Internet eröffnet neue Formen der Distribution und des Zugangs zu Bil-
                               dungsangeboten. Das Interesse, das diesem Medium auch im Bildungsbereich
Internet                       entgegengebracht wird, ist enorm, und es ist erfreulich, dass sich Unterneh-
Tele-Lernen                    men ebenso wie die Bildungspolitik in verstärktem Masse der Förderung die-
                               ser Technologie im Bildungsbereich zuwenden.
Bildungstechnologie
                               Gleichwohl sind einige Erwartungen aus mediendidaktischer Sicht mit Sorge
Medientechnik                  zu beobachten. Gemeint ist die Illusion, dass Einführung und Nutzung neuer
                               Medientechniken als solches bereits eine Innovation im Bildungsbereich dar-
                               stellen.

                               PFLEGEINFORMATIK                     8                       PR-INTERNET 10/99
Michael Kerres/ Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

Abstract                      Die Geschichte der Mediendidaktik ist die Geschichte dieser Illusion. Mit der
                              Einführung jeder neuen Medientechnik etabliert sich ein Bündnis von Wirt-
The article discusses the
                              schaft und Bildungspolitik, die die Hoffnung auf Bildungsinnovationen oder
opportunities which are       gar Bildungsrevolutionen verkünden. Diese regelmässige Fehleinschätzung und
given when internet-based     Überschätzung gefährdet den Erfolg pädagogischer Bemühungen, neue Me-
                              dientechniken als Bildungstechnologien nutzbar zu machen.
learning is introduced to
                              Aus mediendidaktischer Sicht ist zu fragen, welches Bildungsproblem sich mit
nurses training. Compared     dem Einsatz bestimmter Medien wie lösen lässt? Es gibt keinen Grund, be-
to traditional tele-lear-     stimmte Medien anderen vorzuziehen. Es gibt keine innovativen oder anti-
                              quierten Medien im Lehr-Lernkontext. Neue Medien erweisen sich im Bil-
ning, the internet offers     dungskontext nur dann als erfolgreich, wenn sie gegenüber bisherigen Medien
means of intensive commu-     einen spezifischen Vorzug bei der Lösung eines Bildungsproblems aufweisen.
nication. For a complete      Bei einer Reihe von Massnahmen reduziert sich der Vorzug der neuen Medien-
                              technik auf einen (kurzfristigen!) Imagegewinn für die Institution, die das
training it is nevertheless   Medium einsetzt oder propagiert. Auf diese Weise wird deren dauerhafte Eta-
necessary to have in-class    blierung in der Bildungsarbeit jedoch gefährdet, da organisatorische Massnah-
                              men zur Verankerung mediengestützter Lehr-Lernangebote vernachlässigt
meetings on a regular         werden.
basis.                        Der Einsatz neuer Medien erfordert die Bereitschaft, die Bildungsarbeit ange-
                              messen umzuorganisieren: In den seltensten Fällen lassen sich Medien einfach
                              austauschen ohne entsprechende organisatorische Sicherungsmassnahmen
                              vorzunehmen.
                              Leider reduziert sich in der öffentlichen Diskussion der Einsatz von PCs und
                              Netzen im Bildungsbereich vielfach auf ein rein technisch zu lösendes Pro-
                              blem. Dabei wird das Ziel verfolgt, Bildungseinrichtungen mit Computern und
                              Netzzugängen auszustatten. Bildungsanbieter, so scheint es, müssen dann le-
                              diglich motiviert werden, für Inhalte im Netz zu sorgen, d.h. sie sollen ihre
                              Bildungsinhalte möglichst auf dem Netz verfügbar machen, so dass diese von
                              überall abgerufen werden können. Will man das Internet als technische Basis
                              eines Fernstudiensystems nutzen, sind die technischen Strukturen im Internet
                              gelöst. Um die mediendidaktische Anwendung zu lösen sind dagegen nicht
                              unerhebliche Anstrengungen von Nöten, um die notwendigen Unterstüt-
                              zungs- und Kommunikationssysteme aufzubauen. Im folgenden soll dies the-
                              matisiert werden.

                              Zur Klärung: Mediengestütztes Lernen,
                              Fernstudium und Tele-Lernen – was ist das?
                              Jeder Unterricht besteht aus einer Informations- und einer Kommunikations-
                              komponente. Es gilt, Informationen zu präsentieren und Kommunikations-
                              prozesse anzuregen, die die Auseinandersetzung mit Lehr-Lerninhalten för-
                              dern. Im personalen Unterricht sind diese beiden Komponenten auf natürliche
                              Weise integriert. Beim mediengestützten Lernen stellt sich die Frage, welche
                              Bedeutung die Kommunikationskomponente hat. Kommunikation scheint beim
                              Lernen mit Medien auf den ersten Blick obsolet zu werden, da die Lernsituati-
                              on auf die Auseinandersetzung des Einzelnen mit einem technischen Medium
                              reduziert ist.
                              Das autodidaktische Lernen mit Medien ist eine uns selbstverständliche Art des
                              Wissenserwerbs und kommt per definitionem ohne interpersonelle Kommuni-
                              kation zwischen Lehrperson und Lernenden und den institutionellen Rahmen
                              einer schulischen Organisation aus. Da diese Lernsituation jedoch in ihren Ziel-
                              setzungen eingeschränkt bleibt, ist zu überlegen, wie sich das autodidaktische
                              Lernen mit Medien durch Betreuung anreichern lässt. Eine Überlegung, die
                              insbesondere für berufliche Zusammenhänge wichtig ist, in denen Kommuni-
                              kation einen hohen Stellenwert hat, wie es für den Bereich der Pflege und des
                              Pflegemanagements gilt.
                              Im Fernstudium haben wir eine Situation, bei der eine entfernte Institution
                              den Lernprozess des Einzelnen unterstützt. Um hierbei die zeitlich/räumliche

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Michael Kerres/ Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

                          Distanz zwischen Lernenden und einer betreuenden Institution zu überwin-
                                                                          den, zerfallen die be-
                                                                          schriebenen Kompo-
                                                                          nenten        in    zwei
                                                                          Subsysteme (vgl. Abb.
                                                                          1).
                                                                              Ein Subsystem verteilt
                                                                              Informationen üblicher-
                                                                              weise auf der Basis von
                                                                              Printmedien, aber auch
                                                                              mit audiovisuellen Me-
                                                                              dien auf analogem oder
                                                                              digitalem Datenträger
                                                                              oder aber über Rund-
                                                                              funk und Fernsehen an
                                                                              ein disperses Publikum.
                                                                              Die Kommunikation mit
                                                                              der betreuenden Institu-
                                                                              tion im Fernstudium er-
                                                                              fordert das Überbrük-
                                                                              ken          räumlicher
                                                                              Distanzen mit techni-
                                                                              schen Medien. Die Kom-
                                                                             munikation zwischen
                          Lernenden und der betreuenden Instanz basiert auf Medientechniken wie z.
                          B. der Post, dem Telefon oder dem Telefax. Darüber hinaus werden in Prä-
Abb. 1: Konventionelles   senzphasen, etwa in Studienzentren, weitere Kommunikationsangebote ge-
Fernstudium               macht, die der Studienberatung und -betreuung dienen. Beim Tele-Lernen
                          werden für beide Komponenten – Information wie Kommunikation – Netze
                          als Transportmedium genutzt wie das Internet (vgl. Abb. 2).
                          Aus didaktischer Sicht ist das Tele-Lernen auf der Basis des Internet besonders
                          attraktiv, da sich die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden
                                                                                             ebenso wie
                                                                                             unter      den
                                                                                             Lernenden
                                                                                             deutlich in-
                                                                                             tensiver ge-
                                                                                             stalten lässt
                                                                                             als bei den
                                                                                             bisher     ge-
Abb. 2:                                                                                      nannten Va-
Netzbasiertes                                                                                rianten des
Fernstudium                                                                                  medienge-
                                                                                             stützten Ler-
                                                                                             nens. Die in-
                                                                                             terpersonelle
                                                                                             Kommunika-
                                                                                             tion     kann
                                                                                             dabei     syn-
                                                                                             chron, also
                                                                                             zeitgleich,
                                                                                             oder asyn-
                                                                                             chron, also
                                                                                             zeitversetzt,
                                                                                             sein. Typische
                                                                                             Varianten der
                                                                                             interperso-
                                                                                             nellen Kom-
                                                                                             munikation
                                                                                             in    solchen

                          PFLEGEINFORMATIK 10                                                      PR-INTERNET 10/99
Michael Kerres / Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

                           Szenarien wären etwa:
                           • push- vs. pull-Nachrichten, die in das persönliche Postfach des Lerners ab-
                             gelegt oder an einem Schwarzen Brett abgeholt werden müssen, sowie
                           • 1:1 (individuelle) und 1:N (Rundschreiben) Nachrichten (vgl. Abb. 3).
                           Den individuellen Kommunikationsbedürfnissen kann dabei wesentlich mehr
                           entgegen gekommen werden als in der vergleichsweise isolierten Situation im
                                                                    konventionellen Fernstudium.
                                                                    Dabei ist zu bedenken, dass die
                                                                    Etablierung entsprechender so-
                                                                    zialer Prozesse der Gruppenbil-
                                                                    dung einen bestimmten Zeit-
                                                                    raum sowie ein gemeinsames
                                                                    Ziel voraussetzt. Die interperso-
                                                                    nelle Kommunikation stellt sich
                                                                    keineswegs dadurch ein, dass
                                                                    entsprechende technische Kom-
                                                                    munikationsmöglichkeiten zur
                                                                    Verfügung gestellt werden. Es be-
                                                                    darf einer gezielten Formulie-
                                                                    rung entsprechender Anforde-
                                                                    rungen und überlegten Anleitung
                                                                    der Beteiligten zur Kommunika-
                                                                    tion.
                                                                                Natürlich kann es auch in einer
                                                                                solchen Form des Lernens zu
                                                                                Konflikten kommen, wenn sich z.
                                                                                B. jemand bei einer Gruppenauf-
                                                                                gabe auf die anderen Personen
                                                                                verlässt und den eigenen Part
                                                                                nicht erarbeitet, oder zu Tele-
                                                                                Konferenzen nicht erscheint.
                                                                                Auch hier müssen Formen und
                                                                                Modelle der Auseinandersetzung
                                                                                gefunden werden, die zur Lösung
                                                                                beitragen.
Abb3: Kommunikation beim   Für Lernende ergibt sich beim Tele-Lernen eine Lernumgebung, die zusam-
Tele-Seminar               menfassend folgende Besonderheiten aufweist:
                           • Die Zeit, die für die postalische Distribution der Informationsmedien benötigt
                           wird, entfällt. (Die Information ist praktisch unmittelbar nach Einspeisung im
                           Netz verfügbar.)
                           • Es sind beliebige Distanzen überbrückbar (der physische Ort des Anbieters
                           wird für den Lerner unbedeutend).
                           • Informations- und Kommunikationskomponenten lassen sich in einem Me-
                             dium integrieren.
                           • Durch die technische Vereinfachung der interpersonellen Kommunikation
                             besteht die Möglichkeit zur Intensivierung der Kommunikation zwischen
                             Lerner und betreuender Institution (Autor- und Tutor/innen), sei es durch
                             synchrone Kommunikation (Audio- oder Videokonferenzen) oder durch
                             asynchrone Kommunikation (z.B. in Form von Schwarzen Brettern oder
                             Newsgroups).
                           • Es lassen sich fernstudienmethodische Ansätze realisieren, die auf einer in-
                             tensivierten Kommunikation der Teilnehmenden basieren, wie z.B. der An-
                             satz des verteilten, kooperativen Lernens. Hierbei erhalten Gruppen räum-
                             lich entfernter Teilnehmer Aufgaben, die sie als Gruppe bearbeiten und lösen
                             sollen. Zum Beispiel könnte es folgende Aufgabe geben: Ein Verwaltungslei-
                             ter, ein ärztlicher Direktor sowie eine Pflegedienstleitung bekommen die
                             Aufgabe innerhalb von einem Monat ein Strategiepapier für ein Kranken-
                             haus mit vorgegebenen Betten- und Personalzahl sowie entsprechenden

                           PFLEGEINFORMATIK 11                                                      PR-INTERNET 10/99
Michael Kerres/ Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

  Abteilungen usw. zu entwickeln. Nachdem festgelegtem Zeitraum wird das
  Papier der nachfolgenden Führungsebene vorgestellt.

Die Rolle der Pädagog/innen
Für einen Bildungsanbieter stellen sich bei der Durchführung von Massnah-
men des Tele-Lernens die gleichen aufbau- und ablauforganisatorischen An-
forderungen wie beim konventionellen Fernstudium. Der Übergang zum Tele-
Lernen eröffnet jedoch die Möglichkeit zur Reintegration didaktischer Rollen,
die im konventionellem Fernstudium arbeitsteilig organisiert waren.
Peters (1973) hat als zentralen Aspekt von Fernstudiensystemen deren höhere
Arbeitsteiligkeit gegenüber personalem Unterricht herausgearbeitet. Sie er-
gibt sich als Folge der Aufspaltung von Informations- und Kommunikations-
komponente bei der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung, da es nicht
die selbe Person ist, die die Lehrmaterialien erstellt, bei den Präsensphasen
anwesend oder telephonisch zu erreichen ist.
Beim Tele-Lernen lässt sich diese von vielen Beteiligten als negativ erlebte Ar-
beitsteiligkeit in Massen reduzieren. So kann der Autor eines Kurses wesentlich
einfacher gleichzeitig die Funktion von Betreuer, Tutor sowie Prüfer überneh-
men – falls dies gewünscht wird.
Für zukünftige Pflegepädagog/innen eröffnen sich in diesem Zusammenhang
neue Arbeits- und Aufgabenfelder, die auch in der Ausbildung und Studien-
gängen zur Pflegepädagogik schon heute ihre Berücksichtigung finden müs-
sen. Zum einen gilt es, das traditionelle Rollenverständnis der Pädagog/innen
zu reflektieren. Der traditionelle Kontakt zu den Lernenden („face-to-face“)
ist eingeschränkt ebenso wie die Überprüfung des Lernfortschrittes durch
wechselseitige, direkte Rückmeldung. Darüber gilt es, Lerngruppen im Inter-
net als soziale Gruppen zu etablieren, in deren Rahmen auch z. B. über Pro-
blemfälle und persönliche Schwierigkeiten gesprochen werden kann. Das An-
sprechen emotionaler Anteile, von persönlicher Betroffenheit und das Erleben
von Gruppenzugehörigkeit sind im Rahmen internetbasierter Kommunikation
zwar möglich, allerdings unter deutlich erschwerten Bedingungen. Die Tutor/
innen müssen lernen, Kommunikation unter den Teilnehmenden unter den
Bedingungen dieses Mediums anzuregen. Gleichzeitig ist auch die psychoso-
ziale Situation der Tutor/innen zu bedenken, d.h. wie deren Bedürfnis nach
Austausch und Unterstützung entsprechen werden kann – auch im Hinblick
auf die Akzeptanz und Psychohygiene solcher Tätigkeiten.

Neue Medien für die Pflegebildung?
Der Einsatz von PCs hat sich in der Pflege durchgesetzt. Die EDV hat neue
Berufsbilder geprägt ebenso wie Studien- und Ausbildungsinhalte. Der mögli-
che Nutzen computer- und netzbasierter Angebote in der Pflegebildung ist
jedoch noch keineswegs so offensichtlich und muss unter verschiedenen Aspek-
ten untersucht werden.
Ein Aspekt betrifft die Zusammensetzung der möglichen Zielgruppen. Es zeigt
sich, dass Personen der Zielgruppe überwiegend weiblich und berufstätig sind,
Familie haben und somit entsprechende Verpflichtungen. Für diese Zielgrup-
pe sind Fernstudienangebote in vielen Fällen vorteilhaft, da diese eine höhere
Flexibilität bei der Wahl von Ort und Zeit der Lernaktivitäten eröffnen.
Tatsächlich sind denn auch bei den Teilnehmenden von internetbasierten Kur-
sen etwa der Tele-Akademie der FH Furtwangen, als einem der grösseren An-
bieter entsprechender Kurse in Deutschland, bereits etwa die Hälfte der Teil-
nehmenden weiblichen Geschlechts (Jechle & Kerres 2000). Dies ist insofern
aufschlussreich, wenn man bedenkt, dass der überwiegende Anteil der Nutzer
des Internets männlich ist.
Zu bedenken ist sicherlich, dass die Voraussetzungen für die erfolgreiche Nut-

PFLEGEINFORMATIK 12                                                      PR-INTERNET 10/99
Michael Kerres/ Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

CareLit-echerche                  zung eines entsprechenden Angebotes nicht trivial sind: Neben den eigentli-
                                  chen Lehrinhalten ist das selbstgesteuerte Lernen (wieder) zu erlernen, eben-
Haamel,B et. al.:
                                  so der Umgang mit der Technik. Es ist jedoch eine Anforderung an die didak-
Studieren via Internet -
                                  tische Konzeption entsprechender Angebote, die Lernenden bei diesen Fragen
funktioniert das?Lehrende und
                                  angemessen zu unterstützten, sei es durch eine Einführung in die Techniknut-
Studierende berichten über ein
                                  zung im Rahmen einer Präsenzveranstaltung, sei es durch eine Hotline, die die
pflegewissenschaftliches Kon-
                                  Teilnehmenden bei allen Fragen der Nutzung unterstützt etc. Erste Studien zu
taktfernstudium
                                  entsprechenden Bildungsangeboten zeigen, dass die – zu Beginn vielleicht un-
Pflegezeitschrift, Stuttgart
                                  gewohnte – Technik faktisch keine Hürde darstellt, die den Lernerfolg solcher
Jahrgang 51, Heft 1, Erschei-
                                  Szenarien infrage stellen würde.
nungsdatum: 01.01.1998
Seite: 50 bis 53                  Das eigentliche Problem derartiger Angebote liegt vielmehr in der Frage, ob
                                  das Lernszenario so gestaltet wird, dass zentrale Lehrinhalte und –ziele tat-
Lüthy,A.:
                                  sächlich vermittelt werden können: Pflege definiert sich ganz wesentlich als
Was das Internet der Pflege
                                  Kommunikationsberuf. Ausbildungs- und Studienangebote müssen sich von
bietet, Heilberufe, Berlin
                                  den Lehrinhalten ebenso wie den Lehrmethoden auf diese Definition einstel-
Jahrgang 50, Heft 2, Erschei-
                                  len. Und genau das ist das Problem bisheriger, konventioneller Fernstudienan-
nungsdatum: 01.02.1998
                                  gebote, bei denen schriftliche Textmaterialien versendet werden. Lernen voll-
Seite: 42 bis 44
                                  zieht sich hier zunächst als eine individuelle Auseinandersetzung mit den
                                  gelieferten Materialien. Die Lernenden können Zeitpunkt und Ort ihrer Lern-
Meurer,P.F.:
                                  aktivitäten bestimmten, es bleibt jedoch in der Regel ein „einsames“ Lernen.
Lernen im World Wide Web
                                  Denn die Kommunikation mit anderen ist eher die Ausnahme, sie läuft über
Pflege Aktuell, Eschborn
                                  Einsendeaufgaben an eine entfernte Einrichtung oder vergleichsweise selten
Jahrgang 52, Heft 10, Erschei-
                                  an Studienzentren.
nungsdatum: 01.10.1998
Seite: 555 bis 559                Zur Einschätzung der Möglichkeiten internetbasierter Bildungsangebote ist
                                  demnach die Frage zu stellen, ob diese das hier angedeutete Problem besser
Wagner,St.:                       adressieren. Entscheidend ist die Frage, ob entsprechende Lernszenarien hin-
Lernen - Schule oder Online?Die   reichend interpersonelle Kommunikation anregen können, um die in den je-
praktische Alternative wird       weiligen Curricula definierte Lehrziele erreichen zu können? Denn es ist offen-
selten genutzt, Heim und          sichtlich, dass die angesprochenen Lehrziele im Verhaltens- und
Pflege, Kulmbach                  Einstellungsbereich nur begrenzt durch kognitive Lernprozesse und die indivi-
Jahrgang 30, Heft 2, Erschei-     duelle Auseinandersetzung mit (multi-) medial vermittelten Lehrinhalten er-
nungsdatum: 01.02.1999            reicht werden können.
Seite: 58 bis 60                  Es wird deutlich, dass hierzu eine Mixtur verschiedenartiger methodischer
                                  Zugänge erforderlich ist und es auf die didaktische Gesamtkonzeption ent-
Menzenberger,K.                   sprechender Bildungsangebote ankommt, inwieweit diese Ziele erreicht wer-
Neue Medien in der Kranken-       den können. Bei entsprechenden Bildungsangeboten wäre also zu untersu-
pflegeschule                      chen, welche Lehrinhalte bzw. Lehrziele welche kommunikativen
Zeitschrift: PR-InterNet,         Lernszenarien für deren Vermittlung benötigen. Nehmen wir den offensicht-
Mönchaltorf                       lichsten Fall: Die Vermittlung von Fertigkeiten in der Gesprächsführung wird
Jahrgang 1, Heft 5, Erschei-      man kaum über Netze realisieren (wollen). Der Erwerb entsprechender Fer-
nungsdatum: 01.05.1999            tigkeiten erfordert äusserst anspruchsvolle soziale Gruppenstrukturen und -
Seite: 120 bis 128                prozesse, die bereits im Kontext von Präsenzveranstaltungen schwierig „her-
                                  zustellen“ sind und in einer Situation des Fernlernens wohl kaum anzustreben
Isfort,M.                         ist. Gleichwohl wird gerade im Weiterbildungssektor zunehmend erwogen,
Moderne Kommunikationstech-       klassische Trainingsseminare mit Lehrzielen im Verhaltens- und Einstellungsbe-
nologie in der Pflegelehre        reich durch vor- und nachgeschaltete Schulungen auf Medienbasis zu ergän-
Zeitschrift: PR-InterNet,         zen. Denn entsprechende Präsenzveranstaltungen sind einfach zu teuer, als
Mönchaltorf                       dass man diese mit der Vermittlung kognitiver Wissensinhalte, etwa durch
Jahrgang 1, Heft 5, Erschei-      Vorträge, zeitlich allzu sehr belasten möchte.
nungsdatum: 01.05.1999
Seite: 108 bis 117                Damit wird die Richtung zukünftiger Bildungskonzepte – wohl auch in der
                                  Pflegebildung – deutlich: Es kann keineswegs darum gehen, konventionelle
                                  Angebote der Aus- und Weiterbildung oder Studiengänge mehr oder weniger
                                  vollständig durch entsprechende computer- und mediengestützte Massnah-
                                  men zu ersetzen. Die Aufgabe der Zukunft besteht vielmehr darin, eine Kom-
                                  bination entsprechender Elemente von Präsenzseminaren, mediengestützten
                                  Lernangeboten, tutorieller Betreuung, Studienberatung und Lernkontrolle zu
                                  finden, die einerseits den anzustrebenden Lehrzielen und anderseits den Be-
                                  dingungen der Zielgruppe tatsächlich gerecht wird. Es ist eine durchaus an-
                                  spruchsvolle Aufgabe zur Ableitung einer mediendidaktischen Konzeption

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Michael Kerres / Andrea Kerres: Internet-basiertes Lernen in der Pflegebildung

Literatur                              (s.Kerres 1998) und dem Kombinieren solcher hybrider Lernarrangements (vgl.
Jechle, T. / Kerres, M. (2000). Neue
                                       Kerres & Jechle 1999). Die Erfahrung mit bisherigen Projekten zum Einsatz
  Bildungsmedien: Erfahrungen mit      neuer Medien zeigt, dass diese keineswegs regelmässig einen höheren Lerner-
  internetbasierter Weiterbildung.     folg, eine höhere Akzeptanz oder gar Effizienz nach sich ziehen, sondern nur
  In J. Wedekind (Hg.), Virtueller     wenn entsprechende mediendidaktischer Überlegungen im Zentrum solcher
  Campus . Münster: Waxmann.
                                       Projekte stehen.
Kerres, M. (1998). Multimediale und
  telemediale Lernumgebungen.
  Konzeption und Entwicklung.
  München: R. Oldenbourg.
Kerres, M. / Jechle, T. (1999).
  Hybride Lernarrangements:
  Personale Dienstleistungen in
  multi- und telemedialen
  Lernumgebungen. Jahrbuch Arbeit
  - Bildung - Kultur, 17.
Kerres, M. / Jechle, T. (2000).
  Betreuung des mediengestützten
  Lernens in telemedialen
  Lernumgebungen.
  Unterrichtswissenschaft.

weiterführende Verweise
im Internet:

http://www.kerres.de
http://www.mediendidaktik.de
http://www.tele-ak.de

                                       PFLEGEINFORMATIK 14                                                       PR-INTERNET 10/99
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