Erfolgsfaktoren zur weiteren Umsetzung des SGB II - Ein Diskussionspapier Dr. Johannes Meier und Yves Michels

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Erfolgsfaktoren zur weiteren
Umsetzung des SGB II
Ein Diskussionspapier

Dr. Johannes Meier und Yves Michels
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Zweck dieses Diskussionspapiers

   Die Bertelsmann Stiftung hat auf Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit
kommunalen Steuerungsprozessen und Leistungsvergleichen im Jahr 2006 die
zugelassenen kommunalen Träger dabei unterstützt, ein einheitliches
Kennzahlenset für die SGB II-Umsetzung zu entwickeln und ein erstes
Benchmarking zu beginnen. Nachdem auch die ARGEn ein kennzahlengestütztes
Steuerungssystem erarbeitet und implementiert haben, muss jetzt jenseits der
unterschiedlichen organisatorischen Umsetzungsformen die Vergleichbarkeit der
Ergebnisse sichergestellt werden. Da bereits im Jahr 2008 eine Evaluation erfolgen
soll, besteht Zeitdruck, den Prozess der weiteren Optimierung der Umsetzung des
SGB II mit viel Kraft und Engagement aller Akteure voranzutreiben. Im Folgenden
wollen wir einige Erfolgsfaktoren herausarbeiten, die nach unserer Erfahrung aus
dem Jahr 2006 besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

Aktuelle Zwischenbilanz

   Ziel der SGB II-Reform ist ein integriertes System von Beratung, Betreuung und
materieller Absicherung aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, das die
Hilfebedürftigkeit überwindet und die Wiedereingliederung der SGB II-Empfänger in
den Arbeitsmarkt fördert. Knapp zwei Jahre nach Inkrafttreten des reformierten
SGB II haben die beiden unterschiedlichen organisatorischen Umsetzungsformen –
die ARGEn und die zugelassenen kommunalen Träger – kennzahlengestützte
Steuerungssysteme erarbeitet und diese implementiert. Im Hinblick auf den Stand
der Umsetzung wurden in den letzten zwei Jahren deutliche Fortschritte sowohl in
den Optionskommunen als auch in den ARGEn erzielt. Neben der Entwicklung von
Steuerungssystemen wurden viele EDV-Probleme behoben, mit denen sowohl die
ARGEn als auch die zugelassenen kommunalen Träger zu kämpfen hatten.

   Jedoch wurden infolge unterschiedlicher Steuerungsphilosophien verschiedene
Kennzahlensets entwickelt, sodass die notwendige Vergleichbarkeit beider Systeme
noch nicht gegeben ist. Unser Eindruck ist aber, dass man heute einerseits einzelne
ARGEn findet, die deutlich besser als der Schnitt der Optionskommunen die
Aufgaben meistern, und dass man andererseits einzelne Optionskommunen findet,
die deutlich besser als der Schnitt der ARGEn die Aufgaben meistern.

   Vor diesem Hintergrund besteht die Herausforderung nun in der Harmonisierung
der Kennzahlensets sowie in der Weiterentwicklung der beiden vorhandenen
Steuerungssysteme, sodass die Umsetzung des SGB II jenseits der
organisatorischen Umsetzungsformen optimiert wird. Die Harmonisierung auf einer
höheren Abstraktionsebene ist notwendig, um die Leistungen der Einheiten beider
Organisationskonzepte objektiv beurteilen zu können und allen Beteiligten die
Möglichkeit zu geben, sich an anderen besseren Ergebnissen zu orientieren.

   Diese Zusammenführung der unterschiedlichen Kennzahlensysteme ist jetzt eine
wichtige Aufgabe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die
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Herausforderung liegt dabei in der Auflösung eines scheinbaren Dilemmas, welches
der Ombudsrat bereits in seinem Abschlussbericht im Juni 2006 formuliert hat: Es
gilt sowohl ein einheitliches zentrales Controllingsystem für alle Träger aufzubauen
als auch den lokalen Trägern – unabhängig davon, ob es sich um eine ARGE oder
um einen zugelassenen kommunalen Träger handelt – größtmöglichen
Entscheidungsspielraum angesichts großer struktureller Heterogenität zu geben.

Anforderungen an eine effektive Steuerungsarchitektur
   Beide Anforderungen lassen sich aus unserer Sicht in einer guten
Steuerungsarchitektur vereinen, die durch die folgenden Attribute charakterisiert ist:

•   Klarheit der Ziele: Zwar formuliert das Gesetz die grundlegenden Ziele der
    Reform. Aber allen Beteiligten muss auch deutlicher werden, welche Ziele sich
    daraus für das Steuerungssystem ergeben. Soll ein öffentliches Ranking der
    Kennzahlen erstellt werden, um dadurch den Handlungsdruck auf die
    Verantwortlichen vor Ort zu erhöhen, oder sollen die Kennzahlen nur eine
    Diskussionsgrundlage sein, auf der die Träger in einem strukturierten
    Erfahrungsaustausch zusammen zu besseren Leistungen kommen?

•   Klare Zuständigkeiten: Auf allen Ebenen müssen die Zuständigkeiten
    präzisiert und klar kommuniziert werden. Wer entscheidet auf welcher Ebene
    was? Wie werden Ziele überhaupt verabredet, und zwischen wem werden sie
    verabredet? Welche Interventionsregeln gibt es, wenn die Ergebnisse von den
    Zielen abweichen? Angesichts geringer Erfahrungen mit Zielvereinbarungs-
    prozessen und vor allem mit Konsequenzen bei Zielabweichungen im
    öffentlichen Sektor impliziert diese Anforderung einen anspruchsvollen
    Lernprozess vieler Akteure.

•   Steuerungsrelevanz der Kennzahlen: Die zu erhebenden Kennzahlen müssen
    sowohl für die zentralen Einheiten als auch für die örtlichen Träger
    steuerungsrelevant sein und dürfen nicht zu Fehlanreizen bei den örtlichen
    Trägern führen. Es muss also immer die Frage gestellt werden, was kann
    passieren, wenn eine Kennzahl Grundlage eines späteren Leistungsvergleichs
    ist. Wie kann diese Kennzahl beeinflusst werden?

•   Hohe Qualität und Vollständigkeit der Daten sowie Transparenz der
    Datengenese: Die Daten, die in das Steuerungssystem einfließen, müssen
    valide, plausibel und nachvollziehbar sein. Je mehr gemeinsame
    Transaktionssysteme genutzt werden, desto leichter lässt sich Verlust an
    Datenqualität an Schnittstellen verhindern. Die Kennzahlensets, die bereits
    heute     existieren,    berücksichtigen     berechtigterweise   unterschiedliche
    Zielstellungen. Für die Vergleichbarkeit ist zumindest ein gemeinsamer Kern von
    Kennzahlen für alle Organisationsformen notwendig, steuerungsrelevant und
    vollständig zu ermitteln.
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   Aufbau und Umgang mit einer solchen guten Steuerungsarchitektur erfordern ein
hohes Maß an Umdenken vieler Akteure auf allen Ebenen. Aus der Erfahrung mit
der Einführung neuer Steuerungsarchitekturen in der Wirtschaft bei großen SAP-
Umstellungen wird deutlich, dass enorm viel Kommunikation und Partizipation
notwendig sind, besonders wenn man im Kern gemeinsame und verbindliche
Standards durchsetzen will. Außerdem kommt dem Erwartungsmanagement gerade
am Anfang eine zentrale Rolle für die langfristige Akzeptanz zu. Im Hinblick auf den
anstehenden Umgang mit den ersten Kennzahlenvergleichen lohnt im Vorfeld eine
intensive Verständigung aller Beteiligten über die Veröffentlichung der Ergebnisse
und die anstehende Interpretation.

Hinweise auf zu klärende Fragen
   Mit Blick auf die obige – sicherlich nicht vollständige – Liste von Attributen einer
erfolgreichen Steuerungsarchitektur, die sowohl ein einheitliches Controlling als
auch sinnvolle lokale Freiräume sichert, stellen sich aus unserer Sicht zum heutigen
Zeitpunkt noch eine Reihe von offenen Fragen.

•   Klare Zuständigkeiten: Sind den Beteiligten die Interventionsregeln bzw. die
    Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den zugelassenen kommunalen
    Trägern und dem Bund hinreichend klar? Wir sind uns des Problems bewusst,
    dass die Länder als Rechtsaufsicht Teil der Schnittstelle sind. Außerdem sind in
    manchen ARGEn Unsicherheiten spürbar, was die eigenverantwortliche
    Steuerung vor Ort angeht.

•   Steuerungsrelevanz der Kennzahlen: Sind alle derzeit diskutierten
    Kennzahlen für die Steuerung geeignet? Wie robust ist insbesondere die
    Bezugsgröße der „zu aktivierenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“, wenn
    diese Bezugsgröße vor Ort definiert wird? Vermittlungsquoten sollten nicht
    dadurch erhöht werden, dass die Anzahl der zu aktivierenden erwerbsfähigen
    Hilfebedürftigen verringert wird. Bis heute ist zumindest den zugelassenen
    kommunalen Trägern unklar, wie diese Gruppe der zu aktivierenden
    erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ermittelt wird.

•   Hohe Qualität und Vollständigkeit der Daten sowie Transparenz der
    Datengenese: Haben alle Beteiligten die Datengenese aus den verschiedenen
    Systemen verstanden? Unser Eindruck ist, dass nicht allen Beteiligten klar ist,
    wie die Daten aus den EDV-Fachverfahren generiert werden. Dadurch wird die
    Akzeptanz der Kennzahlen unnötig gefährdet. Da zumindest in den nächsten
    drei Monaten noch fast die Hälfte der Kennzahlen von den zugelassenen
    kommunalen Trägern nicht ermittelt werden können, ist eine sensible
    Positionierung des ersten Datensets wichtig. Schließlich sollte dieser Missstand
    relativ schnell behoben sein.
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Ausblick
    Angesichts der Tatsache, dass sowohl die ARGEn als auch die zugelassenen
kommunalen Träger zumindest bis Ende 2010 existieren werden, ist eine
Optimierung beider organisatorischer Umsetzungsformen dringend notwendig. Auch
ist eine Vergleichbarkeit der ARGEn mit den zugelassenen kommunalen Trägern
vor Ablauf der Evaluation nach § 6c SGB II notwendig und sinnvoll. Dies gilt
insbesondere deshalb, weil es zu erwarten ist, dass es bei einer solchen
Betrachtung sowohl sehr gute ARGEn als auch sehr gute zugelassene kommunale
Träger geben wird. Genauso werden von beiden Trägerformen einzelne Träger
schlechte Ergebnisse liefern. Es würde aus unserer Sicht in die falsche Richtung
führen, wenn die Diskussion um die Evaluation nach 6c SGB II darauf reduziert
würde, welche Umsetzungsform die bessere ist. Es geht aus Sicht der Bertelsmann
Stiftung vielmehr darum, die Vorzüge der unterschiedlichen Umsetzungsformen auf
Basis der Lektionen aus einer guten Steuerungsarchitektur zu vereinen. Zugleich
scheint langfristig die jetzige Doppellösung mit ARGEn und zugelassenen
kommunalen Trägern wenig sinnvoll.

   Neben der Erarbeitung des oben skizzierten Steuerungssystems wird es
notwendig sein, den Fokus der Arbeit, unter dem die Leistungen der Träger derzeit
beurteilt werden, auszuweiten. Momentan interessiert einzig und allein die Frage,
wie viele Leistungsbezieher in Arbeit vermittelt werden. Allerdings ist absehbar,
dass es dauerhaft einen nicht unerheblichen Prozentsatz an Leistungsbeziehern
geben wird, die auch langfristig nicht in Arbeit vermittelt werden können. Wie geht
man perspektivisch mit dieser Gruppe um? Wie werden Gedanken zu einem dritten
Arbeitsmarkt integriert? Wie werden die Schnittstellen bearbeitet, die es
beispielsweise mit der Jugendhilfe, dem gesamten Bildungsbereich oder auch der
Wirtschaftsförderung gibt?

   Dies sind nur einige perspektivische Fragen, die auch im Rahmen der derzeitigen
Diskussion um Kennzahlensysteme nicht beantwortet werden, die aber existenziell
für die Lösung des gesellschaftlichen Problems sind. Insgesamt sieht die
Bertelsmann      Stiftung     hier   ähnliche    Probleme     wie   in   anderen
gesellschaftspolitischen Zusammenhängen im Bildungs- oder Gesundheitsbereich.
Ein Schwerpunkt der Arbeit der Bertelsmann Stiftung wird deshalb im Jahr 2007 die
Suche nach Lösungen für eine regionale Governance sein, die solche Schnittstellen
effektiv bewältigt. Diese Suche erfolgt vor dem Hintergrund einer nicht robusten
Situation der kommunalen Haushalte, deren Analyse ebenfalls ein Schwerpunkt
unserer Arbeit mit Blick auf die Kommunen darstellt.
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Kontakt:
Yves Michels
Projektmanager
Kompetenzzentrum Kommunen und Regionen
Bertelsmann Stiftung
Telefon:    ++ 49 (0) 5241 / 81- 81 278
Mobil:      0173 / 575 92 09
Fax:        ++ 49 (0) 5241 / 816 81 278
E-Mail:     yves.michels@bertelsmann.de
Internet:   www.bertelsmann-stiftung.de
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