Erinnern, um nicht zu vergessen
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„Erinnern, um nicht zu vergessen“ Stolpersteine für Eva Salier geb. Hellendag und ihre Eltern Von Jopa Schmidt „Erinnern, um nicht zu vergessen“, so lautete das Thema des Rückblick: Pfarrfestes unserer Pfarrgemeinde St. Maximin im Jahr 2001. Die Familie Hellendag wohnte bis Gewalt gegen jüdische Mitbürger während der NS-Zeit und 1938 in ihrem Haus Emser Straße ihre Folgen wurden im Rahmen einer Präsentation und anderer 269, das sie dann aber veräußern musste. Nachdem der Vater 1935 Aktionen aufgezeigt und wieder ins Bewusstsein gerückt. verstorben war, ging Eva nach eige- Besonderes Augenmerk fand dabei das Schicksal Horchheimer nen Angaben 1937 nach Holland, Juden in der Zeit der Nazi-Diktatur. So las damals Hans Lehnet die Mutter folgte 1938. Die in Hol- während des Gottesdienstes aus seinem Buch über die Geschichte land erhoffte Sicherheit war trüge- risch, im Mai 1940 fiel die deutsche der Juden in Horchheim. Eva Salier geb. Hellendag, eine Armee ein. Systematisch wurden Holocaust-Überlebende aus Horchheim, war bei der Eröffnung der Gegner der NS-Diktatur und Juden Präsentation anwesend. verfolgt und der „Endlösung“ zuge- Doch schon Jahre vorher hatte sie wieder den Mut und die Kraft führt. Auch Evas Großmutter Bertha Loebenberg geb. Ottenheimer und gefunden, ihre Heimatstadt zu besuchen, sogar mehrmals. Bis zu die Mutter Antonie wurden nach ihrem Tod am 12. August 2014 hielt sie Kontakt zu Mitschülerinnen/ Auschwitz deportiert und dort am Mitschülern und Bekannten und Freunden in Koblenz. Im Jahr 2001 19.2.1943 ermordet. Evas Leidensweg führte in das kam sie nach Koblenz zur Einweihung des Denkmals für die Opfer Schowburg-Theater in Amsterdam, des NS-Regimes auf dem Reichenspergerplatz und besuchte auch das von den Nazis in einen Sammel- die erwähnte, von Peter Wings mitorganisierte Ausstellung. Hier platz für die Juden umfunktioniert signierte sie auch ihr Buch „Eva Salier: Lebensweg einer Koblenzer worden war, die entweder in das Durchgangslager Westerbork oder Jüdin“. das Konzentrationslager Vught ka- Peter Wings, Mitinitiator des Pfarrfestes 2001, hat über all die men. Von hier aus begann die Reise Jahre den Kontakt zu Eva Salier aufrechterhalten, nach ihrem Tod durch die Hölle. auch zu den Familien der Söhne. So war es ihm selbstverständlich Bis vor einiger Zeit war der Kenntnisstand, dass Eva Hellendag ein Anliegen, die Verlegung der Stolpersteine für die Familie kurz vor Kriegsende aus dem KZ Hellendag am 12. März 2016 vor dem Haus Emser Straße 269 zu Bergen-Belsen durch Vermittlung initiieren.1 Die Kosten haben die Heimatfreunde Horchheim und des schwedischen Roten Kreuzes zwei Privatpersonen übernommen. gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht worden sein soll. 42 Horchheimer Kirmesmagazin 2016
Geschichte Doris Leber, Die Geschichte selbst: Ehrenvorsitzende des Freund- Im Vorfeld der Stolpersteinver- schaftskreises legung hatte ich die Gedenkstät- Koblenz–Petah Tikva, und Peter te im Konzentrationslager Ber- Wings, der Initi- gen-Belsen besucht, um nähere ator der Stolper- Informationen über das Schicksal stein-Verlegung, von Eva Hellendag im dortigen der freundlicher Weise dieses Lager zu erfahren. Bisher war ja Foto zur Verfü- bekannt, und so steht es auch im gung gestellt Kirmes-Magazin 1986 in einem hat Artikel von Heinrich Fischer, dass Eva zuletzt im Nebenlager Eider- stedt (gemeint ist damit Eidelstedt!) des Konzentrationslagers Bergen- Ansprache von Belsen war. Auch Eva selbst hatte H. P. Kreutz von der Christ- in einem Brief schon im Jahr 1984 lich-Jüdischen mitgeteilt, dass sie in Bergen-Bel- Gesellschaft für sen befreit worden sei.2 Die Un- Brüderlichkeit terlagen in Bergen-Belsen gaben Koblenz aber nur darüber Aufschluss, dass der Tod einer Elisa Hellendag-de Hartog (*13.5.1872 Zaltbommel) Ansprache von am 15.2.1945 und deren Tochter Oberbürger- Louise Flora (*28.4.1901 Amster- meister Prof. dam) am 6.2.1945 festzustellen ist. Dr. Joachim Hofmann-Göt- Der Mann von Elisa, Simon Hel- tig, von links lendag (*29.12.1862 Beek), war MdB Detlef am 17.12.1941 in Amsterdam ver- Pilger, Gertrud storben.3 Elisa und Louise Flora Block und Beigeordnete waren die Tante bzw. Cousine von PD Dr. Margit Eva.4 Weiterhin ergab sich, dass Eva Theis-Scholz in einer Liste aus dem Jahr 1946 über Juden, die aus den Konzen- trationslagern befreit wurden und Elmar Ries von nach Schweden kamen, verzeich- der Christlich- Jüdischen Ge- net ist.5 Sie wird als Niederlände- sellschaft für rin geführt. Ansonsten fanden sich Brüderlichkeit keinerlei weitere Hinweis auf Eva spricht das jü- Hellendag in Bergen-Belsen. Dies dische Totenge- bet „Kaddisch“ machte mich stutzig, der Sache wollte ich auf den Grund gehen. Somit waren weitere Recher- chen notwendig, u. a. im Stadtar- chiv Koblenz. Laut Familienblatt Beigeordnete des Einwohnermeldeamtes zog die PD Dr. Margit Familie Hellendag von Koblenz Theis-Scholz am 17.2.1921 nach Horchheim (links) im Ge- spräch mit dem in die Koblenzer Str. 26 (später Künstler Gunter Emser Straße 269).6 Wo die Fa- Demnig milie in Koblenz wohnte, ist bis- her nicht bekannt. Der Vater Si- mon Hellendag (*11.11.1874 Beek/ Horchheimer Kirmesmagazin 2016 43
Geschichte Holland, oo 15.3.1921 Pforzheim, Reichsführer SS Heinrich Himm- † 4.7.1935 Horchheim), von Be- ler am 3.2.1944.9 ruf Kaufmann, hatte am 18.9.1911 Der Transport nach Ausch- die württembergische Staatsange- witz-Birkenau erfolgte am 2. Juni hörigkeit (Regierung Neckarkreis 1944, dort kam sie am 6. Juni Ludwigsburg) erworben. Weiter an. Mit dem Zug ging es weiter werden dessen Frau Antonie geb. in das Lager Reichenbach/Vogt- Loebenberg (*6.6.1894 Frankfurt land, das dem Konzentrationsla- a. M. † 19.2.1943 Auschwitz) und ger Groß-Rosen unterstellt war. Tochter Eva Jetta (*26.3.1923 Ko- Dort war sie noch Weihnachten blenz) genannt. Ergänzend ist ver- 1944. Es folgte die Verlegung in merkt: „Zu 2 und 3: 15.2.1938 die „Sportschule“, eine Arbeitsab- Amsterdam“. Nach diesen Unter- teilung des KZ Groß-Rosen und lagen scheinen offiziell keine wei- weiter zu Fuß nach Trautenau/ teren Verwandten im Haus in der Trutna. Emser Straße gewohnt zu haben, Der Weitertransport per Zug auch nicht die Großmutter Bertha erfolgte über Leipzig, Belzig bei Loebenberg geb. Ottenheimer Berlin und Hannover Richtung (*24.10.1873 Ludwigsburg), die Bergen-Belsen. Da dieses KZ aber am 19.2.1943 in Auschwitz um- vor Gefangenen überquoll und au- gebracht worden ist. ßerdem im Lager Typhus ausgebro- Blicken wir noch einmal zurück: chen war, blieb der Zug über Nacht 1937 wurde Eva nach eigener Aus- an der Rampe stehen, die etwa 6 sage – und entgegen dem o. a. Ver- km vom eigentlichen Lager ent- merk im Familienblatt – zu Ver- fernt ist, fuhr aber am nächsten Tag wandten nach Holland geschickt, weiter. Danach ist sicher, dass Eva ein Jahr später kam die Mutter nicht im Lager untergebracht war. nach. Die Familie wohnte 1941 Da Bergen-Belsen außerdem schon „Stadionweg 53“. Eines Nachts am 15. April von britischen Trup- holten zwei holländische Nazis Eva pen übernommen worden ist,10 ist Grabstein der Familie Hellendag auf dem mit ihrer Mutter und Großmutter eindeutig belegt, dass Eva nicht jüdischen Friedhof Koblenz ab und brachten sie in ein Sammel- in diesem Lager am 1. Mai befreit lager in einer Schule. Dort wur- worden sein kann. Dies wird unter- dischen Roten Kreuz befreit. An de sie dann aber am oder vor dem stützt durch die Tatsache, dass in der anderer Stelle heißt es, dass das 11.11.1942 von Mutter und Groß- Gedenkstätte keine entsprechenden Außenlager am 3. Mai 1945 von mutter, die beide an diesem Tag in Hinweise auf Eva vorhanden sind. der Polizei übernommen und am das Durchgangslager Westerbork Ihr Leidensweg ging aber noch 5. Mai 1945 von Soldaten der bri- gebracht wurden, getrennt. weiter. Über Minden erreichte tischen Armee befreit worden ist.13 Im Lauf des Jahres 1943 kam sie im März 1945 das Lager Por- Mit dem Zug ging es nach Frederi- Eva vom Schowburg-Theater ta Westfalica und schließlich am 1. cia/Dänemark, mit dem Schiff nach Amsterdam in das Konzentrati- April Beendorf, wo Eva allerdings Sjaelland und von dort mit dem onslager Herzogenbusch (nieder- nur kurze Zeit war.11 Am 20./21. Zug und einer Fähre nach Malmö. ländisch: Kamp Vught, ein Ort bei April 1945 kamen im Zuge der Eva verbrachte ein Jahr in Schwe- ’s-Hertogenbosch), eines der fünf Auflösung des Lagers Beendorf ei- den, die ersten drei Monate in deutschen Konzentrationslager nige hundert Frauen von dort im in den Niederlanden im Zweiten Außenlager Eidelstedt an. Das KZ- einem Göteborger Krankenhaus. Weltkrieg.7 Außenlager Hamburg-Eidelstedt Sie ging dann im Mai 1946 nach So steht es auch in ihrer autobio- war ein von Ende 1944 bis Anfang Amerika, wo sie am 29.12.1947 grafischen Aufzeichnung.8 Dies Mai 1945 bestehendes Außenlager Max Salier (*30.6.1916 Berlin kann frühestens im Januar 1943 ge- des KZ Neuengamme und nicht † 2.5.1983 Vineland/New Jersey/ wesen sein, da das Lager Vught erst des KZ Bergen-Belsen.12 USA) heiratete. Am 12.8.2014 ist dann eröffnet worden ist. In ihre Nach Evas Angaben wurde sie sie in Fountain Valley/California/ Zeit in Vught fiel der Besuch von hier am 1. Mai 1945 vom schwe- USA gestorben. Horchheimer Kirmesmagazin 2016 45
Geschichte Fazit: getroffen hatte. Die Mutter habe Eva kann nicht in Bergen-Belsen gesagt: „Ich denke, dass Sie mei- befreit worden sein, da sie nie in Meine Recherchen hatten ihren ner Tochter eines Tages begegnen diesem Lager war, das außerdem Anfang nach dem Besuch in der werden.“14 ja schon seit dem 15. April in eng- Gedenkstätte Bergen-Belsen ge- „Deportiert 1943 Auschwitz“: lischer Hand war. Nach eigenen nommen. Vertieft wurden sie durch Diese Angabe ist falsch, denn Eva Angaben ist sie erst am 1. Mai in die Angaben auf dem Stolperstein kam von Vught erst am 2.6.1944 Eidelstedt, das kein Außenlager von für Eva Hellendag verh. Salier. nach Auschwitz-Birkenau. Mutter Bergen-Belsen war, befreit worden. Es bleibt festzuhalten, dass der und Großmutter waren dort schon Der Respekt vor dem Schicksal Stolperstein nach dem jetzigen lange vorher – am 19.2.1943 – er- und der Persönlichkeit Eva Saliers Stand der Forschung ungesicher- te bzw. falsche Angaben aufweist: mordet worden. gebietet daher eine entsprechende „Flucht 1938 Holland“: Nach „Bergen-Belsen befreit“: Die- Korrektur. eigener Darstellung ist Eva schon se Angabe ist ebenfalls falsch, denn Jopa Schmidt 1937 in die Niederlande gegan- gen, obwohl die offiziellen Unter- Referenzen: lagen des Einwohnermeldeamtes 1 http://www.waymarking.com/way- Zeitgeschichte Bd. 11); s. a. Ungebro- Koblenz den 15.2.1938 angeben. marks/WMQQ5Z_Simon_Hellen- chen durch die Hölle. Übersetzt von Eine entsprechende Anfrage an dag_Antonie_Hellendag_Eva_Hel- Lilo Heine. Stadtbibliothek Koblenz lendag. 1995 (Veröffentlichungen der Stadt- das Stadsarchief Amsterdam läuft bibliothek Koblenz 39); Heinrich 2 Hildburg-Helene Thill: Lebens- zurzeit. bilder jüdischer Koblenzer und ihre Fischer: Ein Schicksal im Holo- „Interniert Westerbork“: Die- Lebensschicksale. Koblenz 1987 (Ver- caust. Eva Salier geb. Hellendag. In: öffentlichungen der Stadtbibliothek Kirmes-Magazin Horchheim 1988, S. se Aussage ist falsch, denn Eva war Koblenz Bd. 21), S. 174 f. 42-45; Eva Salier: Jugend unter der dort nicht interniert. Hierüber 3 S. a. Joodse GenealogieDatabank; Nazi-Diktatur. Leidensweg der Ko- blenzerin Eva Salier geb. Hellendag. befinden sich auch keinerlei Hin- Stamboomzoeker.nl. Die Familie Übersetzung und Kurzfassung von wohnte im Februar 1941 Hunzestraat weise in ihren autobiografischen 13-I in Amsterdam. Lilo Heine. In: Sachor – Beiträge Aufzeichnungen. Die Trennung zur Jüdischen Geschichte und zur Ge- 4 Auskunft des Stadsarchiefs Amster- denkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz von Mutter und Großmutter er- dam vom 19.4.2016. 2 (1996) Nr. 12, S. 59-64; in Auswahl: folgte in einer Schule in Amster- 5 List No. 1 about Jews liberated from Schängel 22.8.2001, Rhein-Zeitung German Concentration Camps arri- 6.3.1985, 28.9.1995, 23.8.2001, dam am oder vor dem 11.2.1943. ved in Sweden in 1945. Stockholm Rhein-Zeitung 25.8.2014, Rhein- Die Mutter – und wohl auch die 1946, S. 31. Die Liste befindet sich Zeitung 4.3.2016, 14.3.2016, Blick in der Kungliga Bibliotheket – Sve- aktuell Nr. 10/2016. Großmutter – war allerdings vom riges Nationalbibliothek of Sweden, 9 Ebd., S. 59. 11.11.1942 bis 16.2.1943 in Wester- Stockholm. 10 Wikipedia: KZ Bergen-Belsen. Zu- bork. Eva kam in das Schowburg- 6 StAK Best. 623,8 (Einwohnermel- griff 18.3.2016. Theater Amsterdam und von dort deamt) Nr. 260 (Hausblatt), Nr. 330 (Ablage 1938). 11 Wikipedia: KZ Beendorf. Zugriff in das Lager Vught. Dies dürfte 18.3.2016. 7 Wikipedia: KZ Herzogenbusch. Zu- wohl im Frühjahr 1943 gewesen griff 31.3.2016. 12 Wikipedia: KZ-Außenlager Ham- burg-Eidelstedt. Zugriff 18.3.2016. sein. Hier traf Eva übrigens eine 8 Eva Salier: Lebensweg einer Ko- blenzer Jüdin. Übers. Lilo Heine. 13 Ebd. junge Frau Splitter, die Evas Mut- Annweiler: Plöger 2001 (Zeugen der 14 Salier: Lebensweg, S. 23. ter im Durchgangslager Westerbork Horchheimer Kirmesmagazin 2016 47
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