Ermittlung von Synergiepotentialen auf Grundlage der Function Point Analyse

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Ermittlung von Synergiepotentialen auf Grundlage der Function Point Analyse

 Ermittlung von Synergiepotentialen auf Grundlage der Function
                         Point Analyse
                         Dr. Marcus Mauser, Jürgen Bach
           Bundeskanzlerplatz 2-10, 53113 Bonn (bach consulting GmbH)
        Marcus.Mauser@bachconsulting.de, Juergen.Bach@bachconsulting.de

  Zusammenfassung:
  In den vergangenen Jahren ist ein steigendes Interesse an einer realistischen
  Einschätzung von Synergieeffekten in verschiedensten Bereichen der IT zu
  beobachten. Dabei greifen rein kostenorientierte Synergiebetrachtungen oftmals zu
  kurz, funktionsorientierte Aspekte werden dagegen zu wenig berücksichtigt.

  Ausgangspunkt ist die kritische Reflexion der Begriffe Synergie, Kosten und
  Funktionalität. Die oft überschätzte Erwartung an sog. Synergiepotenziale wird
  durch eine definierte und messbare Größe ersetzt, die als Kriterium akzeptabel und
  als Entscheidungsmoment praktikabel ist. Die Autoren folgen dabei ihrer
  bewährten Trichotomie: Definieren – Messen – Entscheiden.

  Der Artikel entwirft ein umfassendes Modell, bei dem aus der zeitlichen Zuordnung
  von Funktions- und Kostenbestandteilen ein Synergie-potenzial für einen Produkt-
  Life-Cycle abgeleitet wird. Funktionalitäten sind durch Expertensysteme
  projektklassenspezifisch in Kosten überführbar und ein Vergleich der sich
  ergebenden Synergiedarstellungen erscheint interessant.

  Zur Bestimmung des funktionsorientierten Synergiepotenzials bei der Integration
  zweier IT-Produkte ist es notwendig, die identifizierten Funktionen nach
  Funktionsgruppen zu klassifizieren. Für die Ermittlung der Funktionalität von IT-
  Projekten sind in der Vergangenheit verschiedene Metriken entwickelt worden,
  wobei sich die Function Point Analyse (FPA) als besonders effektiv erwiesen hat.

  Vom betriebswirtschaftlichen Interesse sind die Life-Cycle-Kosten eines Produkts.
  Bereits in der Vorprojektphase kann durch FPA mit hinreichend hoher Genauigkeit
  auf die Entwicklungs-, sowie die Produktions- und die Rollout-Kosten geschlossen
  werden. Mit Hilfe eines projektspezifischen, empirischen Verteilungsschlüssels
  werden die zu erwartenden Life-Cycle-Kosten eines IT-Produkts abgeleitet. Damit
  ist ein kosten- und nutzenorientiertes Synergiepotenzial entlang der Projektphase
  darstellbar.

MetriKon 2005                                                                          1
Jürgen Bach, Dr. Marcus Mauser

    Anhand konkreter Beispiele wird das Synergiemodell erläutert, wobei zusätzlich
    der Sättigungseffekt bei langen Zeitdauern, die Berechnung des Break-Even-Points
    sowie das Konzept der kritischen Kosten, kritischen Zeitpunkte und kritischen
    Funktionsumfänge diskutiert werden.

    Der Schwerpunkt liegt hier auf der Betrachtung von IT-Produkten; der Beitrag will
    aber auch Anregung für weitergehende Applikationen sein. So scheint die zugrunde
    liegende Logik des messbaren Synergiepotenzials (Modell und Formel) auch
    geeignet, andere Aggregationsstufen zu bedienen. Prinzipiell sollte es möglich sein,
    von der Funktionalität bis zu dem Unternehmenswert Anwendungsmöglichkeiten zu
    erschließen.

    Die Zukunft wird zeigen, ob aus der FPA abgeleitete, messbare Synergiepotenziale
    auch bei der Bewertung von IT-Produktportfolios oder gar bei Entscheidungen
    über Fusionen bzw. Kooperationen von IT-Unternehmen dienlich sein können.

    Schlüsselbegriffe
    Integration von IT-Produkten, Function Point Analyse, Funktionsgruppen,
    Synergiemodell, Praxisbeispiel

1        Einführung
Der Begriff „Synergie“, der ursprünglich das Zusammenwirken von Lebewesen,
Stoffen oder Kräften in der Bedeutung des sich gegenseitigen Förderns
bezeichnet, wird in der Wirtschaft gern im holistischen Sinne des „Das Ganze ist
mehr als die Summe seiner Teile“ verwendet. Die so genannten Synergie-Effekte,
dieser Begriff wurde von dem Architekten Buckminster Fuller geprägt, um die
Eigenschaften seiner geodätischen Kuppeln zu erklären, treten bei Fusionen oder
Kooperationen von Einzelunternehmen in vielen Fällen aber nicht auf oder es
kommt gar zu dissipativen Effekten, weil die fusionierten Teile miteinander
konkurrieren. Die Zielvorgabe „Synergien nutzen“ verkommt in
Managementkreisen daher oft zur Floskel. In der IT-Branche ist in den
vergangenen Jahren ein steigendes Interesse an einer realistischen Einschätzung
von Synergie-Effekten zu beobachten und zwar nicht nur im Bereich von
Unternehmenszusammenschlüssen, sondern auch bei der Frage von Make-or-
Buy-Entscheidungen oder der Integration neuer IT-Produkte in die bestehende IT-
Systemlandschaft eines Unternehmens. Dabei greifen kostenorientierte
Synergiebetrachtungen oftmals zu kurz und funktionsorientierte Aspekte werden
zu wenig berücksichtigt.

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Ermittlung von Synergiepotentialen auf Grundlage der Function Point Analyse

In diesem Artikel wird eine messbare Größe für das Synergiepotenzial definiert,
die für die Bewertung von Synergie-Effekten Transparenz erzielt und qualitativ
hilfreich bei der Entscheidungsunterstützung ist. Es wird ein Modell vorgestellt,
mit dem innerhalb eines Produkt-Life-Cycles durch Zuordnung von
Funktionalitäts- und Kostenbestandteilen entlang der Projektphasen ein
Synergiepotenzial bestimmt werden kann. Als alleiniges Kriterium für Make-or-
Buy-Entscheidungen oder Software-Integrationen ist das Modell weniger
geeignet, da es andere relevante Auswahlkriterien nicht berücksichtigt.

2        Das Synergiepotenzial
Zwei IT-Unternehmen A und B mit einem ähnlichen Produktportfolio prüfen zu
einem Zeitpunkt t0 die gegenseitige Rentabilität einer Kooperation und einigen
sich auf eine repräsentative Produktauswahl. Die Unternehmensführungen
erhoffen sich von einer Kooperation innerhalb der nächsten drei Jahre einen
Synergieeffekt von 20% zu erzielen.

Zunächst soll das kostenorientierte Synergiepotenzial definiert werden.

Der Index P bezeichnet ein Produkt des Portfolios. Durch die Kostenfunktionen
KA(t) bzw. KB(t) werden die bis zum Zeitpunkt t akkumulierten Plan- und Ist-
Kosten für das Produkt P in den Unternehmen A bzw. B ausgedrückt, wie sie
entstehen, falls beide Unternehmen auch in Zukunft getrennte Wege gehen.
Entsprechend bezeichnet der Index A+B in der Kostenfunktion KA+B(t) die
akkumulierten Plankosten für den Fall einer Kooperation. Der Zeitpunkt t liegt
dabei in der Zukunft (t0 < t). Die Summation erstreckt sich über alle
einzubeziehenden Produkte des Portfolios. Im Folgenden wird der Einfachheit
halber von nur einem Produkt ausgegangen und der Index P fallen gelassen. Das
Synergiepotenzial kann positiv, null oder negativ sein, je nachdem ob KA+B(t)
kleiner, gleich oder größer als die Summe KA(t) + KB(t) ist. Im Kern ist das
Synergiepotenzial durch das Verhältnis der Kostenfunktionen für die Kooperation
zur Summe der Kostenfunktionen der Einzelunternehmen gegeben.
Das Synergiepotential ist implizit abhängig von der Zeit t. Der Break-Even-Point
bestimmt den Zeitpunkt t, zu dem die Synergieeffekte bzgl. Kosten und Nutzen
sich aufheben. Er ist bestimmbar aus S(t)=0.

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Jürgen Bach, Dr. Marcus Mauser

Die Kostenfunktion K wird ermittelt mit Hilfe der Function Point Analyse. Daher
wird das funktionsorientierte Synergiepotenzial wie folgt definiert:

Da die Einzelkomponenten des Synergiepotentials messbar sind, ist auch die
Funktion S(t) messbar.

3      Das Modell
Um Synergien vergleichbar zu machen, ist die Definition des Scopes des Projekts
bzw. Produkts grundlegend. Bei unserem Vorgehen gehen wir von folgenden
Randbedingungen aus:

Abbildung 1:      Scope des Produkt-Life-Cycle
Die Klassifikation erfolgt in die Entwicklungsprojekte proprietäre Entwicklungs-
projekte, Erweiterungsprojekte, Integrationsprojekte und Migrationsprojekte.
Die Pflege umfasst die fachliche Optimierung durch Standard-Release-
Entwicklungen.
Wartung umfasst Fehlerbehebung, Betriebsaufrechterhaltung und technische
Optimierung durch Changemanagement.
Die Wertschöpfungskette umfasst den Projekt-Produktbaustein und das Produkt-
Produktportfolio. Das Produktportfolio ist ein System, das in Teilsysteme und
einzelne Systemkomponenten zerlegt werden kann (rekursive Modularität).

4      Beispiel zum Synergiepotential
Mit Hilfe der Function Point Methode ermitteln wir die Kosten für Firma A und
B, wenn sie das Projekt eigenständig ausführt bzw. die Kosten bei der
Zusammenführung der beiden Projekte. Der betrachtete Zeitraum umfasst vier

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Ermittlung von Synergiepotentialen auf Grundlage der Function Point Analyse

Jahre. Die Aufwände nach vier Jahren betragen bei einer getrennten Realisierung
in Summe 2.439.416 EUR (Jahr 1: 579.212 EUR, Jahr 2: 598.934 EUR, Jahr 3:
699.528 EUR, Jahr 4: 552.742 EUR). Bei einer gemeinsamen Bereitstellung des
Projekts entstehen Kosten in Höhe von 1.472.876 EUR (Jahr 1: 579.212 EUR,
Jahr 2: 341.394 EUR, Jahr 3: 399.528 EUR, Jahr 4: 152.742 EUR).
Mit Hilfe der Funktion zur Ermittlung des Synergiepotentials erhalten wir bereits
im dritten Jahr einen Return on Investment für die eingesetzte Zusammenführung.

    Beispiel aus dem Alltag: akkumuliertes Synergiepotenzial

                               Jahr 1              Jahr 2    Jahr 3      Jahr 4      Summe
    KA+KB                     579.212 €        598.934 €    699.528 €   552.742 €   2.439.416 €
    KA+B                      579.212 €        341.394 €    399.528 €   152.742 €   1.472.876 €
    Δ = KA+KB-KA+B                -            257.540 €    300.000 €   400.000 €    957.540 €
    Investition               370.214 €              -          -           -            -

     30%
                                            +24%

     20%                         +10%
     10%

     0%

    -10%

    -20%
                     -10%

    -30%

    -40%

    -50%

    -60%
           -64%

    -70%
            Jahr 1   Jahr 2      Jahr 3   Jahr 4

Abbildung 2                    Ermittlung des Synergiepotentials für t = 4 Jahre

Die Investitionskosten der Systemfusion lassen sich durch die Function Point
Analyse (FPA) und 4-Punkt-Schätzungen, kundenspezifischen Kennkurven oder
Expertensystemen abschätzen.
Pflegekosten lassen sich aus dem Funktionsumfang und der Standard-Release-
Entwicklung ableiten. Jährliche Wartungskosten lassen sich aus dem
Entwicklungsaufwand abschätzen (empirisch ca. 15%).
Die empirische Kostenfunktion ist konstruierbar. Die Verknüpfung von Funktio-
nalität und Synergiepotenzial ist möglich. Es existiert eine positive Korrelation
zwischen Synergiepotenzial und Produktivität.

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Jürgen Bach, Dr. Marcus Mauser

5      Zusammenfassung
Das Synergiepotenzial S kann als Funktion der Zeit in Abhängigkeit der
Teilsystem- und Gesamtsystemkosten ermittelt werden, insbesondere ist das
Synergiepotenzial vom betrachteten Zeithorizont t abhängig.
Damit können unrealistische Erwartungshaltungen im Projekt an die Synergie-
effekte durch gegenwärtige Plankosten entkräftet werden.
Die Auswirkungen von Kooperationen können bereits im Planungsstadium durch
das Synergiepotenzial quantifiziert und während der Projektphase kontinuierlich
gemessen werden.
Investitionen in Kooperationen, Produktbausteine, etc. (modulare Rekusivität)
zahlen sich in Form von Qualitäts- und Produktivitätssteigerungen aus.
Das hier vorgestellte Modell wurde bisher anhand von fünf Projekten validiert.
Unsere nächsten Schritte umfassen die Erweiterung des Synergiepotenzials auf
andere, geeignete Aggregationsstufen. Das Modell ist kontinuierlich auf der Basis
eines Plan-Ist-Vergleichs zu validieren bzw. zu kalibrieren. Dabei ist den Fragen
nachzugehen:
Welche Systemwechselwirkungen werden in der Praxis unter- bzw. überschätzt?
Welches Synergiepotenzial ist als Entscheidungskriterium bei Fusionen oder
Kooperationen verwendbar und akzeptabel?
Welches Synergiepotenzial ist bei der Bewertung von IT-Produktportfolios
verwendbar?

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