Ernährungskommunikation auf Social-Media-Plattformen und Ernährungshandeln der Nutzer*innen
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70 WISSENSCHAFT 5 | 2021 Urheberrechtlich geschützt © bigtunaonline/iStock Editorial/Getty Images Plus Ernährungskommunikation auf Social-Media-Plattformen und Ernährungshandeln der Nutzer*innen Auf Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram sind ernährungsbezogene Inhalte allgegenwärtig. In Publikumsmedi en werden häufig Zusammenhänge zwischen dieser digitalen Ernäh rungskommunikation und dem tatsächlichen Ernährungshandeln der Nutzer*innen konstatiert. So heißen die Schlagzeilen bspw. „Social Media verändern unsere Esskultur“. Welche wissenschaftlichen Be züge die Grundlage solcher Behauptungen bilden und welcher Er kenntnisstand zum Zusammenhang zwischen Ernährungskommuni kation auf Social-Media-Plattformen und dem Ernährungshandeln der Nutzer*innen bisher festgestellt werden kann, wurde in einem Scoping-Review erfasst. Das Review zeigt die Bandbreite der wissen schaftlichen Auseinandersetzung zum Thema und fasst zentrale For schungsergebnisse zusammen.
DGEwissen WISSENSCHAFT 71 Vorgehen Theorie des geplanten Verhaltens oder sozial-kognitive Theo rie). Ernährungskommunikation wird hier als externe Variable betrachtet und der Fokus liegt darauf, wie sie sich auf das Mit einer Schlagwortsuche wurden in den Datenbanken Web individuelle Verhalten auswirkt. Es wird versucht, Korrelatio of Science 102 und PubMed 177 englischsprachige, peer- nen und Kausalitäten herauszustellen, wobei der Zusammen reviewte Journalartikel aus den Jahren 2004 (Start von Face hang zwischen Kommunikation und Handeln theoretisch- book) bis 2020 identifiziert. Nach Entfernung der Duplikate hypothetisch hergeleitet wird. Im Mittelpunkt der Studien wurden die Abstracts von 267 Artikeln gescreent. Ausge steht die Untersuchung von Offline-Variablen, beispielsweise schlossen wurden 243 Artikel, da in ihnen u. a. kein Bezug sich aus der Exposition der Social-Media-Kommunikation er zum Ernährungsverhalten bzw. -handeln oder zu Social- gebende Verhaltensintentionen, Einstellungen oder auch die Media-Plattformen hergestellt wird, der Fokus auf dem Kauf tatsächliche Lebensmittelaufnahme. verhalten liegt oder es sich um Interventionsstudien handelt, in denen Social-Media-Plattformen Teil des Forschungsde Die zweite Perspektive B ist auch ernährungsbezogen, legt signs sind. Letztendlich ließen sich 24 Artikel selektieren, de aber Ernährungshandeln als Ausgangspunkt zugrunde. ren Volltexte in die Analyse eingegangen sind. Theoretische Bezüge sind meist aus der Soziologie, v. a. pra xistheoretische Bezüge spielen eine Rolle. Kommunikation wird hier als konstituierender Prozess angesehen und der Fo Wissenschaftliche Zugänge zum Zusammen- kus liegt auf den Dynamiken des sozialen Handelns. Es wird hang zwischen Ernährungskommunikation auf versucht, Rekursivitäten zwischen der Kommunikation und Social-Media-Plattformen und dem Ernährungs- dem Handeln aufzuzeigen, wobei der Zusammenhang v. a. handeln der Nutzer*innen theoretisch und empirisch beleuchtet wird. D. h. zum einen wird aus der Theorie abgeleitet, wie digitale Ernährungskom munikation mit dem tatsächlichen Handeln im Alltag zusam Urheberrechtlich geschützt Durch die detaillierte Analyse der Studien können drei grund menhängt, zum anderen wird auf der Grundlage der Aussa legende Perspektiven herausgestellt werden, mit denen der gen der untersuchten Personen auf diesen Zusammenhang Zusammenhang zwischen Ernährungskommunikation auf geschlossen. Im Mittelpunkt dieser Studien steht die Untersu Social-Media-Plattformen und dem Ernährungshandeln der chung von Online-Konstruktionen, woraus wiederum Rück Nutzer*innen wissenschaftlich hergestellt wird (s. Tab. 1). schlüsse auf das Offline-Ernährungshandeln gezogen wer den. Beispielsweise wird untersucht, wie „Geschmack“ auf Die erste, in den analysierten Studien dominanteste Perspek Tripadvisor kommunikativ konstruiert wird und daraus ge tive A, legt ein modellhaftes Verständnis von Ernährungs- schlossen, wie diese Konstruktionen die Auswahl von Restau verhalten zugrunde und zieht entsprechend Verhaltensmo rants im Alltagshandeln leiten. delle hinzu, um den Zusammenhang zu betrachten (z. B. Tab. 1: Zusammenhang zwischen Ernährungskommunikation auf Social-Media-Plattformen und Ernährungshandeln der Nutzer*innen Perspektiven A und B: ernährungsbezogen Perspektive C: medial-technisch Ausgangspunkt Ernährungsverhalten Ernährungshandeln Online-(Ernährungs-)Verhalten Theoretischer Zugang Verhaltensmodelle Handlungstheorien Digital-Media-, Big-Data-Theorien Verständnis und Rolle von externe Variable konstituierender Prozess Repräsentationsmedium Ernährungskommunikation Zu klärendes Phänomen Auswirkungen auf indivi- Dynamiken des sozialen (ernährungsbezogenes) Online- duelles Verhalten Handelns Verhalten Kausalitäten & Korrelationen Rekursivitäten Repräsentationen Hergestellter Zusammen- theoretisch-hypothetisch theoretisch-empirisch methodisch-analytisch hang zwischen Kommunika- tion & Handeln Methodische Umsetzung Untersuchung von Offline- Untersuchung der sozialen Untersuchung digitaler Verhal- Variablen Online-Konstruktionen tensvariablen Messung des Outputs/ Rückschlüsse auf Off- Rückschlüsse auf Offline-Variablen abhängige Variablen line-Variablen
72 WISSENSCHAFT 5 | 2021 Die dritte, medial-technische Perspektive C geht vom On- möglicht wird. Es wurden drei allgemeine Social-Media- line-Verhalten aus, statt vom Ernährungsverhalten oder Nutzungspraktiken identifiziert: das Identitäts-, Bezie -handeln und legt Digital-Media- oder Big-Data-Theorien zu hungs- und Informationsmanagement (Schmidt 2006, 2009). grunde. Hier wird die Kommunikation auf den Social-Media- Sie lassen sich auf die in den analysierten Studien adressier Plattformen als Repräsentation des Offline-Verhaltens ange ten Variablen des Ernährungshandelns beziehen und dadurch sehen und der Zusammenhang methodisch-analytisch be interessante Zusammenhänge aufzeigen. gründet, z. B. wird auf der Grundlage geogetaggter Daten (Angaben zur geografischen Position) untersucht, wie der Die Studien haben Zusammenhänge zwischen Kommunikati Ernährungsalltag der Kommunikator*innen raum-zeitlich on und Handeln in Bezug auf das Identitätsmanagement strukturiert ist. Es werden digitale Verhaltensvariablen unter der Nutzer*innen aufgezeigt. Untersucht wurden dabei v. a. sucht und daraus Rückschlüsse auf das Offline-Handeln ge intrapersonelle Variablen des Ernährungshandelns wie Ein zogen. stellungen oder Überzeugungen. Nutzer*innen bilden im Umgang mit Social-Media-Plattformen eine ernährungsbezo gene Identität aus. Sie werden sich in dieser Kommunikation Bewertung klar über ihre Ernährungsform und -weise und einer entspre chenden Positionierung. Es zeigt sich, dass die Ansätze der einzelnen Studien in Be Eng damit verknüpft ist das Beziehungsmanagement, in zug auf ihre erkenntnistheoretischen Grundlagen recht un Bezug auf welches v. a. interpersonelle Variablen, wie soziale terschiedlich sind. Die Zusammenhänge zwischen der digita und kulturelle Normen, untersucht wurden. len Ernährungskommunikation und dem ernährungsbezoge nen Verhalten bzw. Handeln der Nutzer*innen werden auf Hier zeigen die Studien, dass auf den Plattformen zuneh der Grundlage sehr unterschiedlicher Annahmen diskutiert. mend kultureller und sozialer Austausch in Bezug auf Ernäh Urheberrechtlich geschützt Gegenstandsbezogene Theorien, die den Zusammenhang rung stattfindet, Online-Netzwerke geformt werden, die als explizit beschreiben, sind in den analysierten Studien nicht soziale Unterstützung für das Ernährungshandeln im Alltag vorzufinden. dienen oder auch der Aufnahme und Pflege sozialer Bezie hungen außerhalb der Online-Welt dienlich sind. Social-Media-Nutzungspraktiken als Grundlage Auf der Ebene des Informationsmanagements wurden für Zusammenhänge zwischen Kommunikation v. a. informationsbezogene Umweltvariablen des Ernäh und Handeln rungshandelns untersucht. Hier zeigen die Studien, dass es Nutzer*innen mehr darum geht, sich über andere und ihre Ansichten und Vorlieben zu informieren und weniger darum, Unter Rückbezug auf mediensoziologische Forschung lassen verlässliche und glaubwürdige wissenschaftliche Informatio sich die bisherigen Erkenntnisse aus den analysierten Studien nen zu finden. trotz dieses Desiderats hinsichtlich der Zusammenhänge zwi schen digitaler Ernährungskommunikation und dem Handeln Zu ergänzen ist, neben den mediensoziologisch bereits he der Nutzer*innen aggregieren. Die mediensoziologische Be rausgestellten Nutzungspraktiken von Social-Media-Plattfor trachtung legt den Fokus auf die Social-Media-Nutzungs men, in Bezug auf das Ernährungshandeln aus den analysier praktiken, durch die ein Zusammenhang zwischen digitaler ten Studien das Alltagsmanagement. Hier wurden v. a. er Ernährungskommunikation und Handeln überhaupt erst er fahrungsbezogene Variablen sowie physische und soziale © SasinParaksa/iStock/Getty Images Plus Nutzer*innen geht es mehr darum, sich über andere zu informieren und weniger, glaubwürdige wissenschaftliche Informationen zu finden.
DGEwissen WISSENSCHAFT 73 © monkeybusinessimages/iStock/Getty Images Plus Nutzer*innen ziehen die Ernährungskommunikation Urheberrechtlich geschützt auf Social-Media-Plattformen zur Handlungsorientierung und -planung im Alltag hinzu. Umweltvariablen untersucht und herausgestellt, dass die Nutzer*innen die Ernährungskommunikation auf Social- Media-Plattformen zur Handlungsorientierung und -planung men in Ernährungsfragen. Es war daher von einer einge im Alltag hinzuziehen. Es wurde bspw. gezeigt, dass sich die schränkten Erklärbarkeit auszugehen. Was dieses Review Nutzer*innen bei der Entscheidung, wo sie in der Mittags aber zeigt ist, dass ein neues Verhältnis zwischen Kommuni pause auf einem Universitätscampus essen gehen, daran ori kation und Handeln in den Theorien und Modellen zum Er entieren, wo ihre Kommiliton*innen zuvor gegessen haben nährungsverhalten bzw. -handeln notwendig erscheint und und dies mit geogetaggten Fotos auf Facebook kundgetan mit Bezug zu Social-Media-Plattformen eine gegenstandsbe haben. zogene Theoriebildung notwendig ist. Dazu besteht noch weiterer Forschungsbedarf, der sich insbesondere lohnt, da Social-Media-Plattformen neue, bisher ungenutzte For Fazit schungsräume und Möglichkeiten für die Forschung zum Ernährungsverhalten bzw. -handeln eröffnen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Forschungs Dr. Tina Bartelmeß, bereich zum Zusammenhang zwischen Ernährungskommuni Prof. Dr. Jasmin Godemann, kation und -handeln im Kontext von Social-Media-Plattfor Justus-Liebig-Universität Gießen men noch nicht sehr erschlossen ist. Im aktuellen For schungsdiskurs lassen sich nur unabhängige Zusammenhän ge ausfindig machen. Unklar ist, wie die Variablen in Literatur Wechselwirkung stehen und welche Variablen auf welcher Ebene wie den Ernährungsalltag der Nutzer*innen genau Schmidt JH: Social Software: Onlinegestütztes Informations-, Identitäts- und mitbestimmen. Beziehungsmanagement. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen. Jg. 19 (2006) 37–47 Die Komplexität des Ernährungshandelns ist allseits bekannt Schmidt JH, Lampert C, Schwinge C: Nutzungspraktiken im Social Web – Impulse – nicht nur in Bezug zur Nutzung von Social-Media-Plattfor für die medienpädagogische Diskussion. In: Jahrbuch Medienpädagogik 8 (2009)
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