ERSTE ERKENNTNISSE ZU POST-COVID UND FATIGUE SYNDROM - BERICHT AUS DER REHA-PRAXIS
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Rehabilitationswissenschaftliches Seminar von Universität und Universitätsklinikum Würzburg Wintersemester 2021/2022 17. November 2021: Teil 2 ERSTE ERKENNTNISSE ZU POST- COVID UND FATIGUE SYNDROM - BERICHT AUS DER REHA-PRAXIS Prof. Dr. med.Volker Köllner Abteilung Verhaltenstherapie & Psychosomatik Rehazentrum Seehof der DRV Bund und Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation der Charité 14513 Teltow/Berlin Volker.koellner@charite.de 1 REHAZENTRUM SEEHOF DER DEUTSCHEN RENTENVERSICHERUNG • 100 Betten & 15 Tagesklinikplätze Psychosomatik • 80 Betten & 15 Tagesklinikplätze Kardiologie • Über 30 Jahre Kooperation mit dem Deutschen Herzzentrum zur Rehabilitation nach Herztransplantation oder Implantation eines Herzunterstützungssystems • Inzwischen 32 Rehaplätze „Psychokardiologie“ mit integrierter kardiologisch-psychosomatischer Reha (Fächerübergreifend, doppelter Facharztstandard; Duale Reha). • Reha-Konzeptentwicklung und Forschung im Rahmen der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charitè. 2
WELCHE PANDEMIEFOLGEN SEHEN WIR IN DER PSYCHOSOMATIK? 1. Patienten nach kompliziertem oder prolongiertem Covid-Verlauf - PTBS nach schwerem Verlauf – etwa 25% der beatmeten Patienten (Teufel et. al, 2021) sowie Angststörungen und Depression - Post Covid / Chronisches Erschöpfungssyndrom, Dyspnoe und kognitive Einschränkungen auch nach leichten Verläufen 2. Angehörige / Hinterbliebene - path. Trauer bei fehlender Möglichkeit zum Abschied 3. Beschäftigte im Gesundheitswesen - Burnout - Covid-spezifische Ängste 3 WELCHE PANDEMIEFOLGEN SEHEN WIR IN DER PSYCHOSOMATIK? 4. Covid-bedingte Existenzbedrohung / -Verlust Î Depression, Verbitterungsstörung 5. Folgen häuslicher Gewalt 6. Folgen der sozialen Isolation Î Dekompensation einer vorbestehenden Depression. Anstieg von Angststörungen und Depression in D etwa 15% (Piquero AR, 2021) 7. Nur selten als primäres Problem, aber gelegentlich im Verlauf: Probleme mit der Maske (vor allem bei Traumapatienten) 4
POST-COVID-19-SYNDROM: DEFINITION DER WHO, OKTOBER 2021 5 POST-COVID-19-SYNDROM: • Tritt spätestens innerhalb von 3 Monaten nach einer Covid-19-Infektion auf • Dauert mindestens 2 Monate an • Leitsymptome sind • Fatigue • Kurzatmigkeit • Kognitive Störungen (V. a. Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen) • Symptomatik ist nicht durch einen anderen Krankheitsprozess erklärbar. 6
WARUM WISSEN WIR NOCH SO WENIG ÜBER LONG COVID? • In der ersten Welle gab es nur sehr wenige Betroffene • Die Betroffenen der dritten Welle kommen jetzt erst langsam in den Zeitbereich für ein Post- COVID-Syndrom. • Wir hatten bisher also nur wenige Monate, um an den Betroffenen der 2. Welle Erfahrungen zu sammeln. • Dabei zeigte sich, dass vieles, was wir über Folgezustände bei anderen Viruserkrankungen wissen, auf LONG COVID übertragbar ist. • Die Erkenntnisse wurden Mitte Juli in einer Leitlinie zusammengestellt, die auch Grundlage unserer Rehabilitation ist: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020- 027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-07.pdf 7 WAS SIND DIE SYMPTOME VON POST- COVID? • Inzwischen mehr als 200 Symptome bekannt • Alle Organsysteme betroffen Die Diagnose eines Post- • Häufig insbesondere: /LONG COVID- • Atemnot, Husten Syndrom kann weder • Herzrasen durch eine einzelne • Brustschmerz Laboruntersuchung noch • Kognitive Einschränkungen (brain fog) durch ein Panel an • Angststörungen/Depression Laborwerten • Schlafstörungen diagnostiziert bzw. • Kopfschmerzen objektiviert werden. • Riech- und Geschmacksstörungen Ebenso schließen • Fatigue (chron. Müdigkeit / Erschöpfung) normale Laborwerte ein • Eingeschränkte Belastbarkeit, Muskelschwäche Post-/LONG COVID- • Gerinnungsstörungen Syndrom nicht aus! • Chronische Nierenerkrankungen • Haarausfall
WIE HÄUFIG IST LONG COVID? • Je schwerer die eigentliche COVID-Infektion verlief (z.B. schwere Lungenentzündung mit Beatmung), um so häufiger gibt es Folgesymptome, die zu relevanter Beeinträchtigung führen. Insgesamt sprechen diese aber gut auf (meist pneumologische) Rehabilitation an. • Bei leichter Betroffenen zeigten • 13,3% der Test-SRVLWLYHQ6\PSWRPH7DJH • EHL:RFKHQXQG • EHL:RFKHQ'DXHU • Formal wird Symptompersistenz über 2 Monate als Post-Covid-Syndrom gewertet, das sagt aber nichts über die Schwere einer Beeinträchtigung aus! • Über den Langzeitverlauf (Jahre) sind noch keine Aussagen möglich! 9 PSYCHOSOMATISCHE ASPEKTE • Es ist hinreichend belegt, dass psychische und psychosomatische Vorerkrankungen Risikofaktoren für das Auftreten von psychischen Post-COVID Symptomen darstellen. • Zudem legen psychoneuroimmunologische Konzepte nahe, dass insbesondere Stress zur Verschlechterung und Chronifizierung von inflammatorischen Erkrankungen beitragen kann • Viele patienten reagieren auf die Symptome mit Angst, Depression oder ungünstigem Krankheitsverhalten und benötigen Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung. • Zur Verhinderung einer wechselseitigen Chronifizierung ist daher zu empfehlen, frühzeitig diagnostisch und therapeutisch aktiv vorzugehen, da präventive Effekte einer psychosomatischen Behandlung zu erwarten sind. • In einer aktuellen französischen Kohortenstudie mit über 26.000 Teilnehmern, davon 1.091 mit positiver Serologie (JAMA, 2021) war die Post-Covid-Symptomatik deutlich stärker mit der Überzeugung, infiziert zu sein verknüft als mit dem Immunstatus. • Nach einem schweren COVID-19 Verlauf sind psychische Folgeerkrankungen u. a. Posttraumatische Belastungsstörung,Angststörung) häufig. 10
POST COVID SYNDROM – EINE HERAUSFORDERUNG FÜR DIE REHABILITATION • Bei jetzt schon über 5 Mio. Infizierten werden selbst bei einer Inzidenz von 2% relevanter Post Covid–Syndrome 100.000 Menschen betroffen sein. • Bereits über 100.000 Covid-Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt. • Welle von Betroffenen kommt zum Anstieg psychischer Erkrankungen hinzu. • Starke öffentliche Wahrnehmung des Krankheitsbildes. • Wir brauchen evaluierte Konzepte zur Rehabilitation von Post Covid! 11 REHABILITATION BEI LONG COVID SYNDROM 12
WER BRAUCHT WELCHE REHA? • Patienten mit Lockdown- und Pandemiefolgen profitieren entsprechend ihres Störungsbildes von einer psychosomatischen Reha. • Patienten mit Post Covid und relevanten Organschäden (v. a. Lunge, ZNS) profitieren von einer entsprechenden somatischen Reha, möglichst mit psychologischer (VOR) oder kombinierter psychosomatischer Betreuung (duale Reha). • Patienten mit long covid, bei denen keine relevante Organschädigung vorliegt, können von der psychosomatischen Reha profitieren, wenn folgende Angebote vorgehalten werden: - Atemtherapie - spezifisches Bewegungsprogramm - kognitives Training • Herausforderung: In kurzer Zeit spezifische Konzepte entwickeln und evaluieren! 13 KONZEPT AM REHAZENTRUM SEEHOF • Betreuung internistisch/psychosomatisch auf der Psychokardiologie-Station (duale Reha) • Aufnahme in geschlossenen Gruppen (6-8 Patienten) • Kernelemente: • Psychoedukation / Patientenschulung • Kogn. Verhaltenstherapie, ACT, Achtsamkeitstaining • Spezifisches Programm der Bewegungstherapie (individuelles Ausdauertraining und Körperwahrnehmung) • Atemtherapie • Entspannungstraining • Kognitives Training Vor Einführung des Konzepts eher unzufriedene Post Covid-Patienten: „Ihr habt für unsere Erkrankung kein Konzept!“ Seitdem über 30 Patientinnen und Patienten rehabilitiert mit durchweg guten Ergebnissen und hoher Zufriedenheit. 14
WAS WISSEN WIR ÜBER DIE URSACHE? • „Die Pathogenese des Post-/LONG COVID-Syndroms ist nicht geklärt, sie ist multifaktoriell und nicht bei jedem Patienten gleich. Mögliche Trigger sind langdauernde Gewebeschäden, eine Persistenz von Viren oder Virusbestandteilen sowie eine chronische (Hyper-) Inflammation und/oder Autoimmunphänomene. “ (Interdisziplinäre Leitlinie vom Juli 2021) • Viren oder Virusbestandteile lassen sich im Labor auch bei einem Teil der symptomfreien Patienten nachweisen, das Virus kann also nicht die (alleinige) Ursache von LONG COVID sein. 15 WAHRSCHEINLICHES ERKLÄRUNGSMODELL: • Die länger dauernde Aktivierung des Immunsystems durch Hyperinflammtion oder Autoimmunreaktionen belastet den Stoffwechsel durch Abbauprodukte und führt zu oxidativem Stress. • Als oxidativen Stress bezeichnet man eine Stoffwechsellage, bei der eine das physiologische Ausmaß überschreitende Menge reaktiver Sauerstoffverbindungen gebildet wird bzw. vorhanden ist. • Normale Zellen im Organismus halten ihre Fähigkeit, reduzierende oder oxidierende Stoffe zu neutralisieren, aufrecht, indem sie oxidierende bzw. reduzierende Stoffe produzieren und bevorraten. Ein Ungleichgewicht zwischen diesen Pools, das die normale Reparatur- und Entgiftungsfunktion einer Zelle überfordert und folglich zu einer Schädigung aller zellulären und extrazellulären Makromoleküle führen kann, wird als oxidativer Stress bezeichnet. 16
M U LT I FA K TO R I E L L E S ERKLÄRUNGSMODELL: 17 WIE LÄSST SICH DAS GLEICHGEWICHT WIEDER HERSTELLEN? • Wichtig ist, die Krankheit und die damit verbundenen meist vorübergehenden Einschränkungen zu akzeptieren. Hierbei kann Psychotherapie helfen. • Regelmäßiges, der individuellen Belastbarkeit angepasstes Ausdauertraining kann oxidativen Stress reduzieren. Erste Studien zeigen, dass es sich auch günstig auf die durch COVID-19 ausgelösten Immunveränderungen günstig auswirkt. • Dem Körper ausreichend Schlaf und Erholungspausen geben. • Zusätzlicher Stress wirkt sich ungünstig aus Î Stressbewältigung, Entspannungstraining, Schlafregulation. • Um die eigenen Grenzen besser erkennen zu können, helfen Körperwahrnehmungs- und Achtsamkeitstraining. • Unterstützend wirkt eine gesunde Ernährung, nicht hilfreich oder sogar schädlich sind Nahrungsergänzungsmittel und Vitaminpräparate. • Alltagsdrogen wie vor allem Alkohol und Rauchen verstärken den oxidativen Stress massiv. 18
WIE WIRD LONG COVID CHRONISCH? EIN HILFREICHES KONZEPT AUS DER SCHMERZTHERAPIE: akute Erschöpfung fröhliche oder ver- Ärztliche Beratung ängstliche Vermeider •normale möglichst Aktivität fortsetzen, (etwa 80%) bissene Durchhalter KEINE vermehrte Bettruhe “Ich darf mich auf keinen (etwa 20%) • Extreme Anstrengung und Überlastung Fall überlasten, das könnte „Ich will am Wochenende vermeiden, Aktivität dem Leistungs- katastrophale Folgen haben.“ wieder Halbmarathon vermögen anpassen, laufen!“ • aus kurzfristiger Verschlechterung lernen • Einschränkungen vorrübergehend akzeptieren Chronifizierung schneller Chronifizierung Beschwerderückgang 19 UNSER REHA-KONZEPT Alltag BEI LONG COVID Alltag „Zu viel tun“ Alltag Überforderung „Zu wenig tun“ „wohlbedachtes Tun“ Absolute Schonung Pacing & Auftrainiern 20
PROBLEM: DIE FATIGUE-DEBATTE • Durch politisch sehr aktive Selbsthilfegruppen wird teilweise der Eindruck erweckt, das Post-Covid-Syndrom wäre deckungsgleich mit dem ME/CFS –Syndrom. • Hierbei wird eine Meningoencephalitis als alleinige Ursache der Symptomatik postuliert und weitere moderierende Faktoren werden weitgehend geleugnet. Es wird postuliert, dass ein zu intensives Ausdauertraining zu lang anhaltenden Folgeschäden bis hin zur Pflegebedürftigkeit führt. Hierdurch waren einzelne Post-Covid-patienten sehr verunsichert. • Die aktuelle Datenlage sagt folgendes: • Inidividuell dosiertes Aufbautraining ist auch bei CFS sicher (White PD, Etherington J, J of Psychosomatic research, 2021) • Ausdauertraining wirkt sich positiv auf immunulogische Veränderungen nach einer Covid-Infektion aus (de Sousa RAL et al., Neurological Sciences, 2021) • In ersten Studien ist der positive Effekt von Ausdauertraining auf die Post-Covid-Symptomatik nachgewiesen, es fanden sich keine „serious adverse events“ (Daynes E et al., Chronic Respiratory Diseases, 2021) 21 MULTICENTERSTUDIE POCORE • Bedeutung des Post-COVID-Syndroms innerhalb der Rehabilitation der DRV (PoCoRe) • Eingeschlossen werden in2022 möglichst 1.000 Patienten • Beteiligt sind 7 Kliniken (Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Psychosomatik) • 3 Messzeitpunkte: Prä / Post / nach 6 Monaten • Fragestellung: • Welche Funktionseinschränkungen liegen zu Beginn der Reha vor? • Wie effektiv ist das Reha-Basisprogramm • Welche Patienten benötigen eine (zusätzliche) neurologische Reha? • Gibt es Verlaufsprädiktoren? • Gibt es Patienten, denen das Bewegungsprogramm schadet/ die nicht profitieren? 22
ERHEBUNGSINSTRUMENTE POCORE- STUDIE • Strukturierte und quantitative Erfassung der primären COVID-19 und der aktuellen Symptomatik sowie der relevanten Vorgeschichte (ReCORD und PoCABEKS-V1, (~AE-FS)), • WHO-DAS zur Lebensqualität und Funktionalität, • MoCA Test zum Screening der kognitiven Fähigkeiten, TAP Test zur quantitativen Messung von verschiedenen arbeitsmedizinisch relevanten kognitiven Leistungsparametern (z.B. Alertness, Ausdauer) • Fatigue mittels FMCS. • Objektivierung der körperlichen Leistungsfähigkeit mittels 6-Minuten Geh-Test, • Objektivierung der muskulären / pneumologischen Situation mittels Spiroergometrie und Laktat- Test, so diese in der jeweiligen Klinik in der Routine vorgesehen sind (Abbruchkriterium muskuläre oder konditionelle Erschöpfung). • Psychische Belastung, wie Depressivität und Ängste werden mittels HADS, die somatischen Symptome mittels PHQ 15 zu Beginn (T1) und Ende (T2) der Rehabilitation sowie nach 6 Monaten (T3) gemessen. 23 SOZIALMEDIZINISCHE ASPEKTE • Die bisherige Beobachtung (N = 30) in unserem Rehazentrum zeigt die Post-Covid-Patienten nicht als besondere sozialmedizinische Problemgruppe: Die große Mehrheit plant die Rückkehr ins Erwerbsleben und wünscht sich hierbei Unterstützung. • Wahrscheinlich wird es aber einzelne Patienten geben, bei denen die Symptomatik so stark ausgeprägt ist, dass eine Rückkehr ins Erwerbsleben zumindest kurzfristig nicht möglich sein wird. • Die 5-wöchige Psychosomatische Rehabilitation bietet einen ausreichenden Beobachtungszeitraum, um das Vorliegen relevanter Beeinträchtigungen im Sinne der ICF valide einzuschätzen. • Die Begutachtung orientiert sich an einer valide nachgewiesenen Beeinträchtigung im Sinne der ICF und nicht an Laborwerten oder Befunden der Bildgebung – dies ist vergleichbar zu anderen Störungsbildern! 24
FAZIT • Das Post Covid–Syndrom stellt eine Herausforderung für die Rehabilitation dar. • Mit unserem multimodalen Konzept und der Erfahrung bei der Rehabilitation von Menschen mit chronischen Erkrankungen haben wir gute Voraussetzungen, diese Herausforderung erfolgreich zu bewältigen. • Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die große Mehrheit der Betroffenen eine Rückkehr ins Erwerbsleben anstrebt und mit Unterstützung der Rehabilitation auch erreichen kann. • Spezielle Konzepte zur Post Covid–Reha sind sinnvoll. Besondere Beachtung benötigen hier die kognitiven Einschränkungen. • Dabei gibt es allerdings unterschiedliche Verläufe und wir haben noch keine abgesicherten Prognosefaktoren. • Weitere Forschung ist dringen notwendig! 25 VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT 26
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