Traditionelle Chinesische Medizin bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
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Traditionelle Chinesische Medizin bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Dr. med. Stefanie Joos TCM – Geschichte und Konzept punktur einer großen Beliebtheit in west- lichen Ländern, insbesondere auch in Die Traditionelle Medizin (TCM) ist eine Deutschland. Zusammenfassung vieler verschiedener Das grundlegende Konzept der TCM Lehrmeinungen, die zum größten Teil auf ist die Vorstellung einer einheitlichen detaillierten Beobachtungen von Natur „Lebensenergie“, des „Qi“, welches allem und Mensch gründen und vom Taoismus Leben, sowohl in seinen materiellen wie und Konfuzianismus geprägt sind. Erst- psychischen Ausprägungen zugrunde mals zusammenfassend niedergeschrie- liegt. Dies unterscheidet sich grundlegend ben wurden diese Lehrmeinungen zirka von der westlichen Philosophie, die auf 400 v. Chr im „Buch des Gelben Kaisers zur der Annahme eines Dualismus von Leib Inneren Medizin“ (Huang Di Nei Jing). und Seele basiert. Im heutigen China existieren die tradi- Eines der wichtigsten philosophischen tionelle und die westliche Medizin neben- Konzepte in China findet sich darge- einander. Seit etwa 10 bis 15 Jahren erfreut stellt in dem alten chinesischen Zeichen sich die TCM und allem voran die Aku- (s. Abb. 1), in dem das Dunkle (Yin) und 50 Komplementärmedizinische Methoden BR 2 /2008
Flusses und damit zu Krankheit. Die Teile des Körpers, insbesondere die Organe, aber auch z.B. das vegetative Nervensy- stem mit Sympathikus und Parasympathi- kus lassen sich Yin und Yang zuordnen. Auch der Verlauf einer Erkrankung lässt Rückschlüsse zu: akute Erkrankungen deuten auf ein Dominieren des Yang hin, während chronische oder schleichenden Abb. 1: Chinesische Monade. Erkrankungen auf ein Überwiegen des Yin hinweisen. Die TCM kennt äußere und innere das Helle (Yang) immerwährend in Bewe- krankmachende Faktoren: die sechs gung sind, sich ergänzen und auseinan- äußeren klimatischen Faktoren sind: der hervorgehen, das Zeichen symboli- Wind, Kälte, Wärme, Feuer, Feuchtigkeit, siert ein dynamisches Gleichgewicht. Trockenheit. Die sieben inneren emotio- Aus dieser zentralen Idee des sich nalen Faktoren sind: Zorn, Freude, Sorgen, immer wieder neu formenden Gleichge- Grübeln, Trauer, Angst, Schock. wichtes entwickelte die chinesische Medi- Außerdem kann es durch externe Fak- zin ihre Vorstellung, wie Gesundheit erhal- toren wie falsche Ernährung oder Drogen ten wird und wie Krankheit entsteht. Die zu Krankheit kommen. Chinesen unterscheiden neben dem aus- In der Vorstellung der TCM zirkuliert geglichenen Zustand (Gesundheit) vier das Qi auf den „Meridianen“, welche die unausgeglichene Verhältnisse von Yin Akupunkturpunkte verbinden. Über die und Yang (Krankheit) (s. Abb. 2). Meridiane werden die Organe mit Qi ver- Das Gleichgewicht von Yin und Yang sorgt. Die Akupunkturpunkte dienen als bestimmt den ungehinderten Fluss des Qi. Schleusen, um das Qi in den Meridianen Das Ungleichgewicht, welches gemäß der zu bewegen. TCM-Theorie durch verschiedene krank- Das diagnostische Vorgehen inner- machende Faktoren verursacht werden halb der TCM besteht aus Befragen, Beo- kann, führt zu einer Behinderung des Qi- bachten (auch Hören/Riechen) und Beta- Abb. 2: Zustände des Ungleichgewichtes von Yin und Yang Yang-Fülle Yang-Leere Yin-Fülle Yin-Leere BR 2 / 2008 Komplementärmedizinische Methoden 51
sten. Wesentliche Unterschiede zur west- CED in der Traditionellen lichen Medizin bestehen in der Bedeutung Chinesischen Medizin von Zunge und Puls als diagnostische Kriterien. Die chinesische Medizin kennt die west- lichen Diagnosen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nicht. In der TCM werden Die Behandlungsmethoden Erkrankungen, die ähnliche Symptome der TCM wie bei CED aufweisen, als „feucht-heißer Durchfall“ bezeichnet. „Feucht“ bedeutet: Die TCM bedient sich fünf Behandlungs- der Stuhl ist dünnflüssig, während „heiß“ methoden: bedeutet, dass der Stuhl eitrig, teilweise blutig ist, begleitet von brennend schmerz- Therapiemethoden der TCM haftem Stuhldrang. Diese Beschreibung Chinesische Arzneimitteltherapie trifft besonders auf das Stadium der Akupunktur hohen Krankheitsaktivität, charakteri- Diätetik siert durch starke Bauchschmerzen, eine Massage (Tuina) sehr hohe Stuhlfrequenz, lose schleimig- Bewegung und Meditation eitrige Stühle eventuell mit Blutbeimen- (Qi Gong, Tai Chi) gungen, Brennen im Anus, Fieber usw. zu. Die Zunge ist in diesem Fall oft rötlich In China wird am häufigsten die Arzneimit- mit gelbem, schmierigem Belag und der teltherapie, die sich hauptsächlich pflanz- Puls schnell (Störungsmuster „Ansamm- licher Arzneimittel bedient, angewandt. lung von Feuchtigkeit und Hitze“). In westlichen Ländern hat sich die Aku- Demgegenüber treten im Stadium der punktur stark verbreitet. Neben der traditi- leichten bis mittleren Krankheitsaktivität onell chinesischen Körperakupunktur gibt oft andere Störungsmuster in den Vor- es zahlreiche andere Akupunkturformen dergrund, von denen eines, nämlich die (z.B. Ohrakupunktur, Schädelakupunktur „Milz-Qi-Schwäche“, als grundlegendes usw.), die allerdings zu anderen Zeiten Störungsmuster bei Patienten mit CED und Orten entstanden sind und denen betrachtet werden kann. Charakteristisch andere Erklärungsmodelle zugrunde lie- für Patienten mit „Milz-Qi-Schwäche“ sind gen. weiche, eher breiige Stühle, gelegentlich 52 Komplementärmedizinische Methoden BR 2 /2008
mit Schleimbeimengung, leicht bis mäßig erhöhte Stuhlfrequenz, Appetitman- gel, leichte, ziehende Bauchschmerzen, fahle Gesichtsfarbe; besonders kenn- zeichnend ist ein ausgeprägtes Müdig- keits- und Abgeschlagenheitsgefühl. Die Zunge ist blass, geschwollen mit Zahn- eindrücken an den Seitenrändern und der Puls ist ebenfalls schwach. Leiden die Patienten besonders unter frühmorgendlichen Durchfällen, einem ständigen Kältegefühl begleitet von kal- Umwelteinflüsse) als auch inneren Fakto ten Füßen und zusätzlich Beschwerden ren (z.B. emotionale Unausgeglichenheit, im Lendenwirbelsäulenbereich und den erbliche Dispostion etc.) begründet. Diese Kniegelenken, so spricht dies im Sinne der Vorstellung lässt sich sehr gut in Überein- TCM für eine Beteiligung des „Nierenfunk- stimmung bringen mit der Hypothese der tionskreislaufes“. „Schulmedizin“, die mehrere Faktoren Sind die Patienten leicht reizbar oder (genetische, immunologische, infekti- depressiv und klagen über eine ständige öse, ernährungsbedingte, psychosoma- nervöse Anspannung/innere Unruhe, tische Faktoren) für die Entstehung bzw. weist dies im TCM-Sinne auf eine Beteili- Aufrechterhaltung der CED verantwort- gung des „Leberfunktionskreislaufes“ hin. lich macht. Außerden können bei diesen Patienten oft folgende Symptome beobachtet werden: Druckgefühl im Oberbauch, Verschlechte- Studienlage rung bei Stress und emotionaler Anspan- nung, bitterer Mundgeschmack, bei Frauen Während mittlerweile zahlreiche große Menstruationsschmerzen (Dysmenorrhoe) Studien zu Erkrankungen wie z.B. Knie- und Spannungsgefühl in der Brust. Die und Rückenschmerzen mit positivem Zunge kann rote Seitenränder aufweisen, Ergebnis vorliegen und die Akupunktur und der Puls ist „saitenförmig“. bei diesen beiden Erkrankungen auch von Natürlich können nicht immer alle der gesetzlichen Krankenkasse übernom- Symptome in ein Störungsmuster einge- men wird, liegen für chronische entzünd- ordnet werden, jedoch finden sich in den liche Darmerkrankungen leider immer meisten Fällen Leitsymptome, die dem noch nur wenige, kleinere Studien vor. In Therapeuten die Einordnung in eines der diesen Studien deutet sich ein positiver Störungmuster erleichtern, wobei man in Effekt von Akupunktur hinsichtlich der der Praxis am häufigsten Kombinationen Beeinflussung von Symptomen wie z.B. aus o.g. Störungsmustern findet. Bauchschmerzen, Stuhlhäufigkeit, aber Die TCM sieht die Ursachen der bei CED auch des Allgemeinbefindens ab (Joos S vorkommenden Störungsmuster sowohl et al. Digestion 2004; Joos S et al. Scand in äußeren Faktoren (z.B. Klima- und J Gastroenterol 2006). BR 2 / 2008 Komplementärmedizinische Methoden 53
Für die Wirksamkeit von chinesischer pro Behandlung gestochenen Nadeln ist Arzneimitteltherapie gibt es bisher kaum variabel, im Mittel werden zwischen acht international anerkannte Studien. In einer und 18 Punkten gestochen. Die Einstich- kleinen Vorab-Studie zeigte die Verabrei- tiefe variiert mit dem individuell vorlie- chung des chinesischen Arzneimittels genden Störungsmuster und der Lokali- Tripterygium wilfordii (chin.: lei gong teng) sation der Punkte zwischen wenigen Milli positive Effekte bei Crohn-Patienten (Ren metern (z.B. Gesicht) und mehreren Zenti- J et al. Dig Dis Sci. 2007). Hinsichtlich der metern (z.B. Oberschenkel). weiteren Therapiemaßnahmen der TCM Ausgehend von den obengenannten existieren derzeit noch keine internatio- Störungsmustern wird für jeden Patien nal anerkannten Studien. ten eine individuelle Punktekombina- tion zusammengestellt, die im Laufe der Behandlung – je nach Änderung der Sym- Praktische Hinweise ptomatik – variiert werden kann. Bei Vor- liegen bestimmter Störungsmuster kommt Alle hier dargestellten Therapiemaß- zusätzlich eine Behandlung mit Moxa nahmen verstehen sich als begleitende in Frage, besonders wenn die Patienten Therap iemaßnahmen. Sie sollten unbe- über ein Frösteln und Kältegefühl kla- dingt unter Beibehaltung der aktuellen gen. Moxa ist Beifußkraut und wird in der medikamentösen Therapie und in Abspra- TCM zur Erwärmung bei Kälte-/Mangel- che mit dem behandelnden Arzt durchge- Symptomen verwendet. Es wird meist führt werden. punktuell über bestimmtem Akupunktur- punkten abgebrannt und verbreitet dabei Akupunktur eine wohlige, milde Wärme. Nach den Vorstellungen der TCM erfor- Akupunktur ist in den Händen gut aus- dert die Behandlung chronischer Erkran- gebildeter Behandler mit ausreichenden kungen durch Akupunktur mehrere anatomischen Kenntnissen nachgewie- Behandlungen über einen längeren Zeit- senermaßen eine sehr sichere Methode. raum, was je nach Arzt und Krankheits- Nur in seltenen Fällen wurde von ernst- bild variieren kann. Auch die Anzahl der haften Komplikationen bei der Behand- lung mit Nadeln berichtet. Einige Patien ten berichten über eine ausgeprägte Müdigkeit nach der Behandlung, die zu einer Einschränkung der Verkehrstüch- tigkeit führen kann. Darüberhinaus kann es zu einem sogenannten „Nadelkollaps“ kommen, besonders häufig während der ersten Akupunktursitzung und bei sehr ängstlichen und angespannten Patienten. Zur Vermeidung ist darauf zu achten, dass insbesondere die ersten Behandlungen im Liegen erfolgen. 54 Komplementärmedizinische Methoden BR 2 /2008
Chinesische Arzenimitteltherapie In Deutschland sind chinesische Arznei mittel über ausgewählte Apotheken erhältlich. Hierbei ist es wichtig, auf Quali tät und Herkunft der Arzneimittel zu ach- ten, da schon häufiger Fälle von Verunrei- nigungen der Arzneimittel z.B. mit Schwer- metallen auftraten. Ernährung Die chinesische Ernährungslehre basiert Dr. med. Stefanie Joos wie die Arzneimitteltherapie auf den TCM- ist Fachärztin für Allgemeinmedizin Prinzipien. Demnach gibt es im Unter- an der Abteilung Allgemeinmedizin & schied zur westlichen Ernährungslehre Versorgungsforschung des Universitäts in der chinesischen Vorstellung keine klinikums Heidelberg. Ernährungsform, die für alle Menschen E-Mail: stefanie.joos@med.uni-heidelberg.de gleichermaßen gesundheitsfördernd bzw. -erhaltend ist. Ebenso gibt es auch keine typische Ernährungsempfehlung für Patienten mit CED, sondern diese leiten sich individuell aus dem zugrunde liegen- ein positiver Einfluss durch Bewegung und den Störungsmuster ab. entspannungsfördernden Effekte von positiven Studienergebnissen bei ande- Tai Chi/Qi Gong ren Erkrankungen abgeleitet werden. Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch Somit sind diese Verfahren in der beglei- keine Studien zur Wirksamkeit von Qi tenden Therapie der CED zum jetzigen Gong oder Tai Chi bei CED vorliegen, kann Zeitpunkt durchaus zu empfehlen. Die Traditionelle Medizin (TCM) ist eine Zusammenfassung verschiedener, auf detaillierten Beobachtungen von Natur und Mensch gründenden Lehrmeinungen, die von Taoismus und Konfuzianismus geprägt sind. Das grundlegende Konzept der TCM ist die Vorstellung einer einheitlichen „Lebensenergie“. „Krankheit“ ist die Behínderung des Flusses dieser Lebens ernergie. Hinsichtlich der Wirksamtkeit bei CED gibt es erste, positive Studien zur Akupunktur. Zu den weiteren Therapie maßnahmen der TCM existieren derzeit noch keine international anerkannten Studien. BR 2 / 2008 Komplementärmedizinische Methoden 55
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