Fersenschmerzen... und keine Therapie hilft - Schulthess Klinik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss Fersenschmerzen... und keine Therapie hilft möglich mit der korrekten Diagnose zu versehen. Erschwerend wirkt sich aus, dass beide Pathologien in bestimmt 20 % der Fälle gleichzeitig auftreten. Eine gezielte Anamnese in Kombination mit ei- Dr. Anette Lanz ner einfachen Untersuchung macht es aber mög- Schulhessklinik, Zürich lich, dem Nerven-Kompressionssyndrom auf die Spur zu kommen. Die Fasciitis plantaris – wie kommt es dazu? Fast immer ist die Wadenmuskulatur verkürzt und Hauptursache dieser Pathologie. Dr. Pascal Rippstein Um «normal» gehen zu können, muss der Fuss — Schulhessklinik, Zürich während die Ferse aufsetzt und der Schritt getan wird — um mindestens 10° dorsalextendiert wer- Immer wieder stellen sich verzweifelte Patienten in den. In diesem Moment wird das Kniegelenk ge- unserer Sprechstunde vor, die monate- oder jahre- streckt, wobei sich die Wadenmuskulatur auf- lang von plantaren Fersenschmerzen geplagt wer- spannt. Ist letztere verkürzt, zieht und zerrt sie den und bei denen keine der bei Fasciitis plantaris direkt an der Achillessehne und ihrem Ansatz und üblichen Therapiemassnahmen anschlägt. indirekt an der Fascia plantaris – mit Auswirkun- Bei starker Ausprägung und im Laufe der Zeit gen auf deren Ursprung am Fersenbein und unter zunehmender Limitierung der Gehleistung bestim- Umständen auch ihren Ansatz an den Metatarsa- men die Schmerzen den Alltag und das Berufsleben le-Köpfchen. Die genannten Strukturen werden als der Patienten. Nicht selten resultieren invalidisie- «Flexorenkette» zusammengefasst und können iso- rende Zustände mit Arbeitsunfähigkeit und weit- liert oder kombiniert im Rahmen der dauernden reichenden Konsequenzen für die Betroffenen. Überstrapazierung über Entzündungsreaktionen Es lohnt sich somit sehr, von Beginn an eine we- schmerzen. Als Auslöser fungieren rezidivierende nig bekannte, jedoch nicht so seltene Ursache für Mikrotraumata z. B. bei Joggen oder Belastungen, Fersenschmerzen in die Differentialdiagnosen mit- denen Untrainierte beispielsweise bei längeren einzubeziehen: Das Kompressionssyndrom des mo- Wanderungen ausgesetzt sind. Fussfehlstellungen, torischen Nervenastes zur 5. Zehe. Übergewicht und ein höheres Alter gelten als Risi- Die folgende Gegenüberstellung dieser beiden kofaktoren. Krankheitsbilder, die mit der Ferse dasselbe «Zie- lorgan» haben und zum Teil ähnliche Symptome Was ist typisch für die Fasciitis plantaris … zeigen, soll dazu dienen, die Patienten so früh wie und was nicht? Die Betroffenen berichten von einem schleichen- den Beginn mit belastungsabhängigen Schmerzen beim Gehen und vor allem beim Anlaufen. Mor- gens sind die Anlaufschmerzen am stärksten, ma- chen sich aber auch tagsüber nach Tätigkeiten im 51
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss Abb. 1: Infiltrationspunkt des N. abductor Dig. V und Markierung der Druckstellen bei Fasciitis plantaris und Engpasssyndrom des moto- rischen Nervenastes zur 5. Zehe. Sitzen oder nach längeren Autofahrten bemerkbar dem Schritt störend bemerkbar macht. Die Fascii- und beeinträchtigen somit auch Personen mit tis plantaris kann also auch ohne Fersensporn vor- wechselbelastender Arbeit oft sehr. Nach dem Ein- kommen — umgekehrt zeigt sich auf 10 bis 20% laufen tritt eine passagere Besserung auf, wobei aller Röntgenbilder ein Sporn, ohne dass je Be- die Beschwerden über den Tag tendenziell zuneh- schwerden aufgetreten sind. men. In Ruhe bzw. im Sitzen sind die Patienten Werden die oben beschriebenen Symptome schmerzfrei, ein nächtliches Erwachen wegen Fer- geschildert, so haben wir es mit einer Fasciitis senschmerzen wird klar verneint. plantaris zu tun, die auf die üblichen Therapien, Der meistens als stechend beschriebene Schmerz d. h. Physiotherapie mit intensivem Stretching der kann in der Regel gut umschrieben medioplantar Wadenmuskulatur, entzündungshemmende Mass- anterior am Fersenbein lokalisiert werden (Abb. 1). nahmen (Ultraschall, Iontophorese, Elektrothe- Im Röntgenbild lässt sich nicht selten ein typischer Fersensporn nachweisen, der einer erworbenen Verknöcherung des Ursprungs der Aponeurosis plantaris entspricht. Wegen des Schmerzcharak- ters sind viele Betroffene davon überzeugt, dass es der Sporn ist, der bei jedem Schritt «sticht» – dabei ist es allein die Entzündung, die sich hier bei je- 52
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss rapie, NSAR lokal und oral) und fokussierte Stosswellen, innerhalb von drei Monaten eine Besserungstendenz zeigen sollte. Unterstützend können orthopädische Schuheinlagen mit Fer- senweichbettung und Korrektur einer allfälligen Fussfehlstellung verordnet werden. Ausnahmsweise, bei starken Schmerzzuständen und unmittelbarem Handlungsbedarf, kann Corti- son a loco dolenti infi ltriert werden (von medial her und nicht von plantar). Die Beschwerden, die hingegen von einer Kom- pression des motorischen Nervenastes zur Kleinze- he ausgehen, unterscheiden sich von diesem typi- schen Bild. Der kleine, an der Innenseite der Ferse vom Nervus plantaris lateralis zuerst abzweigende Nervenast (Abb. 2) innerviert nicht nur den Mu- sculus abductor der 5. Zehe, sondern versorgt mit seinem sensiblen Anteil auch das Periost der Calca- neus-Unterseite. Die von ihm bei einer Einengung ausgehenden Schmerzen treten nicht nur belas- tungsabhängig, sondern auch in Ruhe und nachts auf. In fortgeschrittenen Fällen können Einschlaf- und Durchschlafstörungen den Leidensdruck ver- stärken. Die Schmerzen werden diff us an der plantarseiti- gen Ferse angegeben, sind oft auch hufeisenförmig oder lateroplantar lokalisiert. Der Schmerzcharak- ter wird als brennend und einschiessend oder auch als dumpf beschrieben. Dauerschmerzen oder elek- trisierende Sensationen, die von der Innenseite der Ferse ausgehen und nach plantar ausstrahlen, sind Abb. 2: N. tibialis und seine Äste Hinweise für das Engpassyndrom. Anders als bei der Fasciitis plantaris steigert sich der Schmerz bei längerem Stehen. Ein weiteres Unterscheidungs- merkmal ist das geringe oder fehlende Ansprechen ein Zusammenhang zwischen ihren Fersenschmer- auf die üblichen Analgetika bzw. entzündungshem- zen und dem intensiv betriebenen Aquajogging mende Medikamente (Neuropathie!). Patienten mit festgestellt werden konnte, wahrscheinlich hervor- unter Umständen mehrjährigem Verlauf berichten, gerufen durch die Überbeanspruchung des M. qua- alle möglichen Therapien inklusive Stosswellenthe- dratus plantae. Ansonsten werden als Risikofakto- rapie ohne Erfolg durchlaufen zu haben. Bezeich- ren der Knickfuss mit übermässigem Rückfuss nend ist, dass Einlagen oft nutzlos waren oder gar valgus und eine Hypermobilität im Rückfussbe- einen gegenteiligen Effekt hatten. reich beschrieben, was eine repetitive Überdeh- nung und Irritation des Nervs bewirken kann. Wer bekommt ein Kompressionssyndrom? Nicht zuletzt kann eine Fasciitis plantaris bei Fakt ist, dass der kleine Nervenast zwischen der ausgeprägtem Entzündungszustand mit lokaler tiefen Faszie des M. abductor hallucis und dem me- Schwellung ebenfalls ein Kompressionssyndrom dialen kaudalen Rand des M. quadratus plantae an hervorrufen, weswegen die Kombination beider Pa- der Innenseite der Ferse verläuft, bevor er nach thologien nicht selten ist. Oft bleibt die Ursache plantar abtaucht. Die Faszie des M. abdcutor hallu- aber ungeklärt. cis kann zu einer Einklemmung dieses Nervenas- tes führen. Selten kann eine Atrophie einer oder beider dieser Muskeln auch zu einer Einklemmung führen. In unserer Sprechstunde hatten wir bei- spielsweise den Fall einer Patientin, bei welcher 53
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss Tab. 1: Kriterien für die Unterscheidung der beiden Pathologien Fasciitis plantaris Nerven-Entrapment Schmerzcharakter stechend brennend-elektrisierend-dumpf-einschiessend- ausstrahlend Wo punktuell: diffus: Ursprung Fascia plantaris gesamte Ferse plantar Mitte der Innenseite Fersenbein Wann Gehen Ruhe- und Nachtschmerz Anlaufen Gehen und Stehen Dauerschmerz Weshalb Wadenmuskulatur verkürzt Kompression des Nervenastes zwischen tiefer Faszie rezidivierende Mikrotraumata des M. abductor hallucis und medialem caudalem Rand des M. quadratus plantae Druckdolenz Ursprung Fascia plantaris Mitte der Innenseite Fersenbein Tinel-Phänomen nein möglich Wadenmuskulatur verkürzt nicht zwingend verkürzt Abduktion 5. Zehe rechts/links symmetrisch evtl. betroffene Seite schwach / fehlt (pathognomonisch!) NSAR wirksam Geringes oder fehlendes Ansprechen Procedere Physiotherapie/Einlagen Infiltration Innenseite Ferse Therapie Immer konservativ häufig operativ Die gezielte Anamnese – was frage ich Wenn der Patient diese Fragen bejahen kann, meinen Patienten? dann kann es sich um ein Engpasssyndrom des mo- Tritt der Schmerz rein belastungsabhängig auf und torischen Nervenastes zur Kleinzehe handeln. ist beim Anlaufen am schlimmsten? Ist er gut loka- lisierbar und tritt reproduzierbar immer an dersel- Worauf muss ich bei der Untersuchung ben Stelle auf? Hat er einen stechenden Charakter? schauen? Ist längeres Stehen ohne Schmerzverstärkung In Hinsicht auf die Unterscheidung dieser beiden möglich? Sprechen die Schmerzen auf entzün- Pathologien ist es wichtig, den Patienten zunächst dungshemmende Medikamente gut an? zu bitten, den Schmerz mit einem Finger zu «zei- Wenn diese Fragen mit «ja» beantwortet werden, gen». Der Fasciitis plantaris-Patient weist hierbei hat man es ziemlich sicher mit einer Fasciitis planta- auf den Ursprung der Fascia plantaris am Calca- ris zu tun. neus medioplantar anterior (Abb. 1), wo der Unter- Tritt der Schmerz in Ruhe, also nachts oder im sucher eindeutig eine Druckdolenz auslösen kann. Sitzen auf? Kommt es schmerzbedingt zu einem Bei einer Einklemmung des motorischen Nerven- Erwachen aus dem Nachtschlaf? Wandert der astes zur Kleinzehe kann meist keine eindeutige Schmerz an der Ferse? Hat er brennenden oder Lokalisierung vorgenommen werden. Der Schmerz elektrisierenden Charakter? Kommt es zu Aus- wird flächig an der plantarseitigen Ferse angege- strahlungen? Sind Missempfi ndungen zu verzeich- ben. Bei der Untersuchung kann dann sehr punk- nen? Haben Schmerzmittel kaum geholfen? tuell eine Druckdolenz oder sogar ein Tinel-Phäno- men direkt auf der Mitte der medialen Fläche des Calcaneus ausgelöst werden, wo der kleine Nerven- ast nach seinem Abgang aus dem Nervus plantaris lateralis verläuft (Abb. 1 und 2). Er versorgt mit sei- nem sensiblen Anteil das Periost der Calcaneus- 54
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss Unterseite, weswegen dort die Schmerzen verspürt werden, ohne sensible Ausfälle zu verursachen. Motorisch innerviert der Nerv den Musculus ab- ductor digiti minimi, weswegen die Abduktions- fähigkeit der 5. Zehe bei der Untersuchung geprüft werden muss: wenn auf der betroffenen Seite die 5. Zehe nicht, auf der Gegenseite aber kräftig abge- spreizt werden kann, ist dies pathognomonisch für das Kompressionssyndrom. Es kommt aber durch- aus vor, dass der Patient die 5. Zehen symmetrisch abduzieren kann, obwohl er an einem Engpasssyn- drom leidet. Grund ist, dass die sensiblen Fasern empfi ndlicher als die motorischen sind und zuerst auf den Druck reagieren. 3 Da viele Patienten die 5. Zehen anlagebedingt nicht abspreizen können, kann dieses Zeichen lei- Abb. 3: Operationssitus Innenseite Ferse: Nach Aufsuchen des Ner- der nicht immer geprüft werden. (siehe Tab. 1) venastes erkennt man die einengende Faszie. Was bringt die Bildgebung? Das konventionelle Röntgenbild, im lateralen Strahlengang und idealerweise standardisiert un- ter Belastung angefertigt, zeigt – wie oben er- wähnt – ggf. einen Fersensporn, was Hinweise auf das Vorliegen einer Fasciitis plantaris geben kann und womit sonstige knöcherne Veränderungen ausgeschlossen werden können. Die Anfertigung eines MRI kann Sinn machen, wenn bei sehr starken Fersenschmerzen eine Stressfraktur oder ein Knochenmarködem des Cal- caneus ausgeschlossen werden müssen. Bei Be- schwerden, die pathognomonisch für eine Fasciitis 4 plantaris sind, sollte man auf das MRI verzichten, da der Nachweis von lokalen Entzündungszeichen und / oder eine Verdickung der Plantarfaszie keine Abb. 4: Operationssitus Innenseite Ferse: Die komprimierende Faszie besonderen therapeutischen Konsequenzen hat wird mit dem Instrument angehoben. und der Kosten- / Nutzenaufwand in keinem Ver- hältnis stehen. Der Nerv könnte schuld sein … was jetzt? Wenn der Verdacht auf ein Entrapment des Ner- venastes aufkommt und die üblichen Therapien keinen Durchbruch gebracht haben, stellt sich die Frage nach den weiteren diagnostischen Möglich- keiten. Da der betroffene Nervenast dünnkalibrig ist, helfen weder bildgebende Verfahren noch eine 5 neurologische Untersuchung weiter. Abb. 5: Operationssitus Innenseite Ferse: Nach Spaltung des Ban- des liegt der Nerv frei und kann sich erholen. 55
Fortbildung und Informationen für Fachleute 7 | 2017 Der Fuss Als erste Massnahme schlagen wir unseren Pati- enten vor, eine diagnostische und gleichzeitig thera- Kurz und gut – was merke ich mir? peutische Infiltration machen zu lassen. Hierfür Therapieresistente Fersenschmerzen werden ca. 2 ml eines Gemischs aus einem Steroid- müssen den Verdacht auf ein Engpass- präparat mit einem Lokalanästhetikum an die In- Syndrom des motorischen Nervenastes zur nenseite der Ferse infiltriert. Zuvor wird der Haupt- Kleinzehe lenken. schmerzpunkt, der im Idealfall dem anatomischen Bei der Anamnese nach Ruhe- und Nacht- Verlauf des Nervs entspricht, aufgesucht und mar- schmerzen fragen. kiert (Abb. 1). Bei korrektem Sitz der Infiltration, die Die Schmerzen an der Ferse vom Patienten etwa in einem 45 °-Winkel durchgeführt wird, tritt «zeigen» lassen. Typisch für die Neuro- nicht selten nach wenigen Minuten ein «Wattege- pathie ist, dass die Schmerzen am Fersen- fühl» an der Ferse plantar mit Nachlassen der bein «wandern» und eher diff us plantar Schmerzen auf. Es bleiben dann die kurz-, mittel- lokalisiert sind. oder langfristigen Effekte des Cortisons abzuwar- Bei der Untersuchung nach einem Druck- ten; erfolgreich in Hinsicht auf die Diagnostik ist die schmerz an der Mitte der Innenseite der Infiltration, wenn die Schmerzen oder zumindest Ferse suchen und die Abduktionskraft der die Nachtschmerzen für einige Tage verschwinden. 5. Zehen beidseits prüfen. Bei gutem, jedoch nicht anhaltendem Ansprechen wiederholen wir die Infiltration. Eher selten kommt es nach einer einzigen Infiltration zur dauerhaften Beschwerdefreiheit. Einlagen helfen nicht und ha- ben oft einen kontraproduktiven Effekt. Im Gegensatz zur Fasciitis plantaris, die wir stets konservativ behandeln, kann der neuropathisch bedingte Fersenschmerz bei ausbleibendem Infi lt- rationserfolg operativ angegangen werden. Nach Aufsuchen des Nervenastes an der Innenseite der Ferse kann der einengende Anteil der Muskelfas- zie durchtrennt und dem Nervenast Platz geschaff t werden. (Abb. 3–5) Wenn der Nerv intraoperativ von normaler Struktur ist und nicht verfettet erscheint, kann mit einem sukzessiven Rückgang der Symptome ge- rechnet werden. Dem Patienten muss vor dem Ein- griff klargemacht werden, dass der Prozess der Er- holung längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Unmittelbare Erfolgserlebnisse sind aber nicht sel- ten – es kommt immer wieder vor, dass quälende Nachtschmerzen direkt nach der Operation ver- schwunden sind. Der Eingriff ist in Lokalanästhesie (Fussblock) möglich, die Nachbehandlung kann funktionell erfolgen, wobei der Fuss bis zur Abheilung der Wunde hochgelagert und geschont werden sollte, damit sich keine übermässigen Vernarbungen ausbilden, die den Nerven dann wieder kompro- mittieren. 56
Sie können auch lesen