Somatoforme Störungen - Ärzte-Fortbildung Kinderkliniken Darmstadt 17.6.2010 N. Kohl, Psychosomatische Abt., Kinderkliniken Darmstadt ...
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Somatoforme Störungen Ärzte-Fortbildung Kinderkliniken Darmstadt 17.6.2010 N. Kohl, Psychosomatische Abt., Kinderkliniken Darmstadt
Definition n Körperliche Symptome oder Schmerzen ohne organische Ursache n Kennzeichen: Wiederholte Präsentation körperlicher Symptome Hartnäckige Forderg. nach medizin. Untersuchungen trotz wiederholt negativer Ergebnisse evtl. vorhandene Befunde erklären nicht Art und Ausmass der Symptome/Schmerzen
ICD-Klassifikation F 45 n Somatisierungsstörung n Undifferenzierte Somatisierungsstörung n Hypochondrische Störung n Somatoforme autonome Funktionsstörung n Anhaltende Schmerzstörung n Sonstige somatoforme Störung n Nicht näher bezeichnete somatof. Störung
Somatisierungsstörung F 45.0 n Multiple, wiederholt auftretende, wechselnde Symptome > 2 Jahre (Kinder evtl: > ½ Jahr) n Oft lange, komplizierte Patientenkarriere mit vielen negativen Untersuchungen n Symptome können sich auf jeden Körperteil und jedes Körpersystem beziehen n Chronischer Verlauf mit sozialen Folgen
Anmerkung n Die manchmal von Ärzten und Schwestern gehörte Äusserung: „der somatisiert“ erkennt zwar, dass wahrscheinlich keine organische Ursache vorliegt, aber n sie unterstellt auch eine Absicht n entwertet evtl. und nimmt nicht ernst (der hat ja im Grunde nichts) n verleugnet das Unbewusste n missachtet evtl. seelischen Schmerz
Beispiel: Peter, 15 Jahre n Seit 2005 diverse Symptome mit zunächst v.a. Bauchschmerzen, im Verlauf dann Kopfschmerzen, Brustschmerzen, Schwindel, Sehstörung, Erbrechen, Übelkeit, Gewichtsabnahme n 2006 V.a. Somatisierungsstörung n 2007 Appendektomie n Untersuchungen: EKG, Sono, Röntgen-Harnwege, EEG, CT-Abdomen, Coloskopie, c-MRT u.a. n 7 x in Kliniken, mehrfach Notfall-Ambulanz n 2008 stationär PSO Kinderklinik Darmstadt
Peter, 15 Jahre Mosaik aus: n Lernschwäche mit vermutlich TL - Schwächen und Störungen der Basisfunktionen n Schulische Misserfolge n Familiäre Interaktionsstörung n Familiäre Gewalterfahrung mit Alkoholismus des Vaters à Identifikation mit problemat. Anteilen des Vaters à emotionale Störung n Vernachlässigung durch berufstätige Mutter n Negativer Einfluss der peer-group à Ängste
Undifferenzierte Somatisierungsstörung F 45.1 Wenn nicht alle Kriterien der F 45.0 – Diagnose erfüllt sind (meist bei Kindern, da hier kürzere Zeitdauer)
Hypochondrische Störung F 45.2 n Beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren, fortschreitenden körperlichen Erkrankungen zu leiden n Einengung des Denkens u. Fokussierung auf ein oder zwei Organe oder Organsysteme n Allgemeine und normale Körpererscheinungen werden als anormal und erlebt, Schmerzen ggfs. verstärkt wahrgenommen n Häufig begleitend Angst und Depression
Somatoforme autonome Funktionsstörung F 45.3 n Symptome, die sich auf die (inneren) Organe mit vor- wiegend vegetativer Innervation beziehen n eine körperliche Erkrankung wird vom Pat. unter- stellt, die Symptomatik weist aus ärztl. Sicht aber nicht auf eine organische Erkrankung hin n Zwei Gruppen: 1. mit objektivierbaren Symptomen der vegetativen Stimulation wie Herzklopfen, Schwitzen, HV o.ä. 2. mit subjektiven Beschwerden unspezifischer und wechselnder Natur wie Globusgefühl, Brennen u.ä.
Beispiel: Carina, 12 Jahre n Übergewicht schon immer n Seit 2 Jahren Schulschwierigkeiten m. Leistungsabfall n Seit 1 Woche Kopf- und Bauchschmerzen, dann Stechen in der Brust und Luftnot, schliesslich HV n Nach stationärer Aufnahme weiter Hyperventilation n Äussert Sorgen um kranke Eltern n Schliesslich Mitteilung: sexueller Missbrauch durch Nachbarn
Anhaltende Schmerzstörung F 45.4 n Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F 45.40 n Chron. Schmerzstörung m. somatischen und psychischen Faktoren F 45.41
F 45.40 n Andauernder schwerer quälender Schmerz n Durch physiolog. Prozesse oder körperliche Störung nicht hinreichend erklärbar n In Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen, die die Hauptrolle bei Beginn, Schweregrad, Exazerbation und Aufrechterhaltung der Schmerzen spielen
F 45.41 n Seit 6 Monaten Schmerzen n Ausgang in physiolog. Prozess oder körperl. Störung n Psyche beeinflusst Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen n Führt zu sozialer Beeinträchtigung
SFS - Symptome oft multiple u. rezidivierend n Kopfschmerzen, n Bauchschmerzen n Schwindel, Übelkeit, Erbrechen n Durchfälle, Pollakisurie n Müdigkeit, Erschöpfung n Schmerzen in Armen, Beinen, Gelenken n Thoraxschmerzen n Globusgefühl, Hyperventilation, Singultus
Differentialdiagnosen n In 1. Linie müssen organische Diagnosen weitgehend ausgeschlossen werden (z.B. Entzündung, Tumor) n In 2. Linie andere Psycho-Diagnosen erwägen: Akute Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen Posttraumatische Belastungsstörung Angst- und Panikstörungen Depressionen Dissoziative Störungen
Cave n Immer an ein Münchhausen-Syndrom bzw. Münchhausen by proxy denken n Nach psychischen Erkrankungen oder Belastungen in der Familie fragen
Cave 2 n Rückenschmerzen bei Kindern etwa bis zum 12. Lebensjahr sind primär immer verdächtig auf organische Prozesse n Psychiatrische Komorbidität bei SFS ist Risikofaktor für eine Chronifizierung
Epidemiologie 1 n 30% aller Schulkinder haben mindest. 1x in der Woche KS oder BS (Markwort) n 50% aller Jugendlichen kennen somatoforme Beschwerden n 3-10 % der Erwachsenen leiden unter SFS (4.4%) – häufigste psychische Erkrankung n 2,7 – 11 % (-20%%) der Jugendlichen in BRD haben somatoforme Störungen (Ki-Jugendmedizin 5/09) n 20-30% der station. Patienten in der Inneren Medizin haben funktionelle Störungen n 40-60% aller GI-Beschwerden sind funktionell
Epidemiologie 2 n 4-20 % der SFS-Patienten chronifizieren (das Risiko dafür steigt bei wiederholter organischer Diagnostik) n Behandlungs-Kosten von Patienten mit SFS sind 14 – mal höher als der Durchschnitt
Komorbiditäten n 47 % Major depression n 30 % Angst-/Panikstörung n 10 % Zwangsstörung n 20 % Alkoholabusus
Stichworte SFS n Bei Jugendlichen öfter Kopfschmerzen, bei Kindern öfter Bauchschmerzen n Erfahrung: in Pubertät/Adoleszenz häufig BS n Insgesamt bei SFS schwierige Interaktion Arzt-Patient, oft Behandlungsabbruch und doctor-hopping n selten Behandlungsmotivation für PT/PSO
Beispiel chronische Bauchschmerzen n Empfohlen wird parallele pädiatrische und psychologische Abklärung n Kritische Auswahl der körperlichen Untersuchungsverfahren notwendig n Keine Evidenz für weiterführende Diagnostik bei chron. BS incl. Sono und Labor, wenn Warnsymptome fehlen
Warnsignale für körperliche Erkrankungen bei chron. BS n Gewichtsverlust, Wachstumsstillstand n GI-Blutverlust n Chron. Erbrechen/chron. Durchfall n Unklares Fieber n Lokalisation der Schmerzen im re Ober- oder re Unterbauch n Positive Familien- Anamnese für CED n Perianale Veränderungen n Organomegalie oder tastbare Resistenzen
DD: Funktionelle Bauchschmerzen vs. organische Erkrankung Keine diff.-diagnostische Aussagekraft haben: n Häufigkeit der Schmerzepisoden n Schmerzintensität n Zeitpunkt des Auftretens (z.B. postprandial) n Nächtliche Schmerzen n Gleichzeitiges Auftreten mehrerer Symptome (wie KS, Übelkeit, Gelenkschmerzen)
Hinweise für somatoforme Störungen n Verlangen nach weiteren medizinischen US n Häufig wechselnde körperliche Symptome n Symptomfreiheit in Ferienzeiten bzw. enge Symptombindung an Stress n Zusätzliche psychische Auffälligkeiten, v.a. Angst und Depression n Familiäre Belastung (körperliche Krankheit oder psychische Auffälligkeit der Eltern)
Cave n Patienten mit Depressionen oder Ängsten können gleichzeitig körperlich krank sein n Patienten mit somatoformen Störungen können im Verlauf körperlich erkranken
Cave n Es gibt keine Fragebögen, die valide zwischen organischen, funktionellen und somato- formen Störungen unterscheiden n Schmerzkalender sollen funktionelle und somatoforme Schmerzen bessern durch bewusstes Fokussieren, n man kann sich damit den Pat. und seine Beschwerden aber auch vom Leib halten
Funktionelle Bauchschmerzen n Funktionelle Dyspepsie n Reizdarmsyndrom (Mikro-Entzündung?) n Abdominelle Migräne n Enger Bezug zu Darmmotilität, zu sekreto- rischer Dysfunktion, zum Immunsystem u. zu Hormonen sowie zum zum vegetativen NS n Bedeutung vorhergehender Infektionen n Bedeutung von innerem Stress
Übergänge n Organische Störung (makroskopisch) n Funktionelle Störung (mikroskopisch) n Somatoforme Störung (molekular) n Simulation, Münchhausen by pr.
Funktionelle Schmerzen n Zwischen organischer Erkrankung und somatoformer Schmerzstörung n Organische Krankheit auf biochemischer/ physiologischer bzw. molekularer Ebene? n Enge Beziehungen zum Stress-Konzept und zum vegetativen Nervensystem n Bedeutung der Schmerzerwartung, die die Schmerzwahrnehmung bahnt. n Dies ist wiederum abhängig von Vorerfahrungen und der gesamten emotionalen Situation
Risikofaktoren für SFS n Somatoforme oder psychiatrische Störungen der Eltern n Dysfunktionale Familien n Somatische Erkrankungen des Kindes n Vegetative Reagibilität n Angst/Depression n Biographische Vulnerabilität (PTBS)
Erklärungsmodelle n Genetische Einflüsse n Bahnung durch Infekte n Fetale/postnatale Programmierung n Tiefenpsychologisch (z.B. Resomatisierung) n Lernen am Modell n systemtheoretisch – familiendynamisch n Stress-Theorie n Änderung von Schmerzwahrnehmung n Neurobiologie – Änderung im Serotonin-Stoffwechsel
Tiefenpsychologische Modelle n Verdrängung n Symbolisierung und Symptom n De- und Resomatisierung n Spaltung n Körperliche und psychische Abwehr
Ätiologie n Körpersymptome bei SFS sind Resultat oder Abwehr psychischer Auffälligkeiten n Sie finden sich bei: n Affekthemmmung n Alexithymie (mangelnde Fähigkeit zum Gefühlsausdruck) n Abspaltung, Dissoziation n früher Depression (Resomatisierung) n Akuter Belastung, Depression, PTBS
Psychosomsatik n Früher Dualismus Leib– Seele n heute integrative Sicht (Psychophysiologie, Psychoimmunologie u. -neuroendokrinolgie Psychoneurobiologie, Epigenetik) n Prae- und postnatale Programmierung n Bsp. Lichtenergie: Welle und Teilchen n Submolekular: Schwingungen und Rhythmus n Frage: Wie kommunizieren Zellen unterein- ander und mit der Umwelt
Psychosomatik n Verbindung von physiologischen/ biochemischen Vorgängen im Körper mit seelischen Vorgängen n Zentral dabei sind: n Das limbische System n Das vegetative Nervensystem n Hormone und Neurotransmitter n Das Immunsystem
Stichworte Psychosomatik n Psychosomatische Reaktionen im Alltag n Stress und funktionelle Störungen n Psychische Überlastung und Krankheit n Überforderung, innere und familiäre Konflikte, Ambivalenz, life events wie Trennungen, Verluste, Traumata
Diagnosestellung n Anamnese mit Eltern n Anamnese und Einzel-Exploration mit Kind/ Jugendlichen, dabei direkte Fragen und projektive Tests (Zeichentests, SET/Sceno) n Ggfs. Fragebögen: Giessener Beschwerde-Fragebogen, SOMS, AFS, Depressionsinventar, CBCL
Stichpunkte zur Anamnese mit den Eltern n Schw.schaft, Geburt und die ersten Lebens- jahre des Kindes (Bindungsaspekt) n Entwicklung des Kindes (auch kognitiv) n Evtl. traumatische Vorerfahrungen n Life-events, Verluste, Trennungen n Erkrankungen in der Familie bes. psychische Erkrankungen der Eltern, Krht. Geschwister n Geschwister- und Familiensituation
Aktuellle Anamnese n Symptombeginn und evtl. Auslöser n Lebenssituation und evtl. life-events in den Monaten vor 1. Auftreten der Symptome n Umstände beim wiederholten Auftreten der Symptome n Schulverweigerung, Ängste n Sekundärer Krankheitsgewinn ?
Allgem. Anamnese n Nach Krankheitskonzept der Eltern und des Kindes/Jugendlichen fragen n Einstellung zum Thema Psychosomatik n Psychotherapeutische Vorbehandlung n Wünsche der Eltern
Procedere 1 n Aufklärungs-/Abschlussgespräch mit Eltern und Kind/Jugendl. n Zurückhaltung hinsichtlich definitiver psych. Zuschreibung, eher als Möglichkeit erwägen n ggfs. Stress-Konzept bemühen (da neutral) n Evtl. Fragen (z.B. was würde es bedeuten…) oder Test-Intervention (z.B. über fiktiven Anderen sprechen) bei best. Vermutungen n Mitteilung darüber, was PSO ist und was PSO macht
Procedere 2 n Angebot weiterer Gespräche oder WV in PSO- Ambulanz bei Persistenz/ Verschlechterung n Empfehlung funktioneller Methoden (z.B. KG, Autogenes Training, Yoga) n Ansprechen alternativer Heilmethoden n Thema Lebensweise (Essen, Sport, Schlaf) n Vermittlung in ambulante Psychotherapie n Angebot stationärer Behandlung PSO
Indikation für stationäre PSO-Behandlung n Keine Besserung > 3 Monate n Biographische Belastung n AU bzw. Schulfehlzeiten n Psychische Komorbidität n Behandlungswunsch n Evtl. medikamentöse Behandlung (SSRI)
Für Pädiater: Beachten bei V.a. SFS n Möglichst nicht sagen: „Du bist gesund“ eventuell: „es ist körperlich nichts ernstes“ n Offen sein für weitere Diagnostik, gleichzeitig diese begrenzen n Mögliche Zusammenhänge zu Stress/ Belastungen aufzeigen n Evtl. fragen: „wie wäre es für Sie, wenn psych. Faktoren eine Rolle spielen würden?“ n Aber nie Symptome am Anfang psychogen deuten
Jeder Mensch hat seine Geschichte n Das Symptom hat eine Geschichte n Der Mensch hat eine Lebensgeschichte n Familien haben eine eigene Geschichte n Eltern haben eine eigene Geschichte n Es sind Geschichten mit bedeutsamen Anderen und bedeutsamen Erlebnissen
Was brauchen wir für die Beratung u. Psychotherapie Raum Zeit
Danke …… für die Aufmerksamkeit
Literatur n Noeker: Funktionelle und somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter n Morschitzky: Somatoforme Störungen n Kinder- und Jugendmedizin 5/09 n Monatsschrift Kinderheilkunde 10/08 n Kinder- und Jugendarzt 5/07
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