ERSTVERSORGUNG DES NEUGEBORENEN - F. EIFINGER, U. TRIESCHMANN UND B. ROTH

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Erstversorgung des Neugeborenen
F. Eifinger, U. Trieschmann und B. Roth

Einleitung:

Die Erstversorgung eines Neugeborenen stellt im Falle einer ungenügenden kardiorespi-
ratorischen Adaptation des Kindes eine spezielle Anforderung an jeden Ersthelfer dar. Die
Gründe hierfür liegen zum einen in den verschiedenen physiologischen Anpassungspro-
zessen unmittelbar postnatal, die sich im Falle einer gestörten Geburt und Adaptation zu
unterschiedlichen Krankheitsbildern entwickeln können. Zum anderen liegen sie in der
mangelhaften Erfahrung im Umgang und der Therapie von kranken Neugeborenen. Die
tritt bei der Erstversorgung von Frühgeborenen im verstärktem Maße auf. Ziel dieser
Übersicht soll die Vermittlung von Kenntnissen sein, um das Erkennen und die Behand-
lung einer gestörten kardiorespiratorischen Adaptation bei reifen Neugeborenen sicher zu
ermöglichen.
Ganz im Vordergrund steht dabei die Behandlung respiratorischer Störungen. Bei Früh-
und Neugeborenen kann häufig durch effektive Behandlung der (primär) respiratorischen
Erkrankung (z.B. mangelnde Lungenentfaltung, Surfactantmangel u.a.) die (sekundär)
deprimierte Kreislaufsituation günstig beeinflusst werden. Hierbei spielt die Rekrutierung
minder- bzw. unterbelüfteter Lungenareale eine entscheidene Rolle.
Insgesamt benötigen bis zu 5% aller reifen Neugeborenen eine Atemunterstützung unmit-
telbar nach Geburt (PEEP, Maskenbeatmung u.a.) und ca. 1% erweiterte Ersthelfermaß-
nahmen. Die Frage nach der Behandlungspflichtigkeit eines Neugeborenen richtet sich
u.a. nach folgenden Kriterien1:

 1. Ist das Kind ein termingerecht geborenes?
 2. Schreit das Neugeborene und atmet es ungehindert?
 3. Ist die Herzfrequenz über 100/min?
 4. Ist der Muskeltonus des Neugeborenen ausreichend?
 5. Ist das Fruchtwasser klar ? Gibt es Anzeichen für eine Infektion?
 6. Wie entwickelt sich das Hautkolorit des Neugeborenen?
 7. Gibt es Auffälligkeiten in der mütterlichen Anamnese (z.B. HELLP, Infektion)

Der APGAR-Score, als Kriterium zur Beurteilung der kardiopulmonalen sowie physiolo-
gischen Adaptation des Neugeborenen, wird z.B. von der American Academy of
Pediatrics (AAP) nicht nur bei gestörter Anpassung auf 20 Minuten ausgeweitert1. Sind
o.a. Kriterien im Normbereich, so besteht kein aktiver Handlungsbedarf zur weiteren
Diagnostik und Therapie des Kindes. Es kann in die Betreuung durch die Mutter und die
Hebamme übergeben werden.
Bei gestörter kardiolpulmonaler Adaptation im Neugeborenenalter sollten sich die Erst-
versorgungsmaßnahmen in Anlehnung an folgenden Maßnahmen orientieren:

 AA: allgemeine Maßnahmen (Absaugen, Stimulation, Warmhalten)
 A:    Atemwege sichern
 B:    Beatmung
 C:    Circulation (Herzdruckmassage)
 D:    Drugs (Medikation)

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Abb. 1: Neugeborenen-Reanimationsalgorithmus in Anlehnung an ILCOR2 und unter Berücksichtigung von 3,4

1) Gestörte Adaptation – erste Massnahmen:
Sind die o.g. Kriterien (1-7) nicht oder nur teilweise erfüllt, so sollte die weitere Versor-
gung des reifen Neugeborenen unbedingt das Eröffnen bzw. Offenhalten der Atemwege
zum Ziel haben. Oftmals ist mit der mangelnden Entfaltung der Lungen und der ungenü-
genden Rekrutierung, der bei Früh- und Neugeborenen per se reduzierten funktionellen
Residualkapazität (FRC), eine gestörte respiratorische Adaptation vergesellschaftet (z.B.
nach Sectio caesarea)3-5. Taktile Stimulation des Kindes (Abtrocknen) sowie oropharyn-
geales Absaugen können eine erste sinnvolle Maßnahme sein. Desweiteren ist darauf zu
achten, dass das Neugeborene nicht in durchnässten Tüchern und Stoffwindeln verbleibt.
Der Wärmeverlust durch Konduktion, Konvektion, Strahlung und Verdunstung ist, je
unreifer das Neugeborene, erheblich und kann bei Frühgeborenen die gestörte Adaptation
durch Bradykardieneigung, Laktatazidose sowie der Gefahr einer Hirnblutung verstärken.
Die Überlebensrate z.B. von sehr kleinen Frühgeborenen (< 1500g Geburtsgewicht) ist
signifikant von der Körperkerntemperatur abhängig. Dieser direkte Einfluß besteht, wenn
auch in etwas geringerem Ausmaß, ebenso bei reifen Neugeborenen. Der Wärmeverlust
sollte durch externe Heizstrahler sowie das Schließen von nahegelegenen Türen und Fen-
stern reduziert werden6.

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Einzige Ausnahme von diesem Vorgehen ist die induzierte Hypothermie7 bei asphykti-
schen Neugeborenen (> 36.SSW) mit primärer Reanimationsbedürftigkeit (s.u.). Hier
sollte eine aktive externe Wärmezufuhr unterbleiben.
Zusätzlich erfolgt die Bestimmung der Herzfrequenz, Atemfrequenz sowie des Hautkolo-
rit und der Mikrozirkulation. Die nachfolgende Tab. 1 gibt Anhalt über die Normwerte bei
reifen Neugeborenen:

 Körpergewicht:       2800 - 4300 g
 Körperlänge:         46 - 58 cm
 Kopfumfang:          32,5 - 36,5 cm
 Herzfrequenz:        70 – 190 / min
 Atemfrequenz:        22 - 40 / min
 Systolischer RR:     50 - 70 mmHg
 Diastolischer RR:    28 - 45 mmHg

Tab. 1: Normwerte des reifen Neugeborenen (10 - 90. Perzentile)

Die Herzfrequenz lässt sich während der ersten Lebensminuten leicht an Hand des Nabel-
schnurpulses ermitteln. Ein kurzer Griff an den Nabelschnuransatz lässt die Herzfrequenz
sicher ermitteln. Danach erfolgt die auskultatorische Bestimmung. Alternativ sind neben
der Arteria brachialis noch die Aa. femorales sowie die Aa. dorsalis pedis und radialis
tastbar. Bei den beiden Letztgenannten ist ein sicheres Palpieren nicht immer möglich.
Die Atemfrequenz lässt sich an Hand der Thoraxexkursion bzw. durch die teilweise deut-
lich hörbaren Atemgeräusche feststellen. Neugeborene benötigen zur Eröffnung und zum
Offenhalten der Alveolen einen positiv-endexpiratorischen Druck (PEEP). Bei gestörter
respiratorischer Adaptation in Folge eines Lungenkollapses oder sonstiger neonatologi-
scher Grunderkrankungen (z.B. Surfactantmangel, Infektion u.a.) atmen Neugeborene
reflektorisch gegen stärker verschlossene Ligamenti vocali. Dieser endogene Mechanis-
mus erhöht den intrapulmonalen PEEP und stellt eine autoregulatorische Maßnahme des
Neugeborenen zur Rekrutierung der FRC dar. Dieses Atmen gegen eine teilweise ver-
schlossene Stimmritze bedingt auch die hörbaren Atemgeräusche wie exspiratorisches
Giemen und Stöhnen sowie interkostale, subphrenische und xiphoidale Einziehungen. Sie
sind u.a. Folge eines „weichen“, nicht verknöcherten, thorakalen Skelettes, welches durch
den erhöhten negativen intrapleuralen Druck als Folge vermehrter Atemarbeit entsteht.
Besteht dieser Zustand über einen längeren Zeitraum, kann daraus ein spontaner Pneumo-
thorax entstehen.
Das Hautkolorit des Neugeborenen spiegelt nur bedingt den Sauerstoffgehalt des Blutes
wider. Die intrauterine Sauerstoffsättigung des Feten liegt zwischen 70% bis 80%. Dieses
ist u.a. durch die linksverschobene Sauerstoffbindungskurve des fetalen Hämoglobins
bedingt. Bei Feten reicht ein pO2 von 20mmHg aus, um eine Sättigung von ca. 50% zu
erzielen. Postnatal kommt es infolge des Einsetzens der Lungenatmung zu einem drasti-
schen Anstieg der arteriellen Sauerstoffspannung (pO2 intrauterin: ca. 27-35mmHg, pO2
postnatal: ca. 70-100mmHg). Durch regelwidrige postnatale Adaptation kann, z.B. als
Folge erhöhten pulmonal-arteriellen Widerstandes durch einen Alveolarkollaps, die Lun-
gendurchblutung vermindert sein. Bedingt durch den erhöhten pulmonalen Widerstand
fließt ein Teil des venösen Blutes entsprechend dem geringeren Widerstands durch Shunts
(offenes Foramen ovale, offenen Ductus arteriosus Botalli) an der Lungenstrombahn vor-
bei und vermischt sich mit Blut aus dem linken Ventrikel (Persistierende Fetale Zirkula-
tion: PFC). Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass pulsoxymetrische Messungen
bei kranken Neugeborenen präduktal, d.h. an der rechten oberen Extremität, erfolgen
müssen. Nur hier ist eine orientierende Messung des aus der Lungenstrombahn gesättig-
ten Blutes möglich. U.u. kann es erforderlich sein, die Sättigung prä- und postduktal zu

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messen. Sollte sich eine Sättigungsdifferenz zwischen den beiden Meßpunkten zeigen, so
ist von einem erhöhten pulmonalen Gefäßwiderstand auszugehen. Liegt trotz schlechter
Sättigungswerte keine Sättigungsdifferenz vor, so spiegelt dieses primär die schlechte
pulmonale Oxygenierung (z.B. Pneumonie, Lungenödem, Surfactantmangel u.a.) wider.
Abb.2 zeigt eindrucksvoll eine prä- und postduktale Sättigungsdifferenz bei einem Neu-
geborenen mit ausgeprägtem PFC-Syndrom.

Abb. 2: Präduktal (rechte Thoraxapertur sowie rechte obere Extremität) erscheint das Hautkolorit im Vergleich
zu postduktal „rosiger“ und von besserer Sauerstoffsättigung.

Eine Blutdruckmessung ist bei Neugeborenen nur unter Zuhilfenahme spezieller Neuge-
borenenmanschetten und spezieller Meßgeräte möglich und sollte wegen des Zeitaufwan-
des der erweiterten Reanimation vorbehalten bleiben.
Für alle o.g. Basisuntersuchungen steht nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung. In
aller Regel sollte nach ca. 30 Sekunden bei regelwidriger kardiorespiratorischer Adapati-
on eine Aussage über die Herzfrequenz, die Atemfrequenz, das Atemmuster sowie die
Oxygenierung des kranken Neugeborenen gemacht werden können.

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2) Sauerstoffgabe:
Es gibt zur Zeit keine ausreichende Evidenz für die Festlegung der optimalen Sauerstoff-
konzentration zu Beginn oder im Rahmen einer Neugeborenenreanimation. Verschiedene
Studien der letzten Jahre erwägen eine potentielle Schädigung von reinem Sauerstoff auf
die Atemphysiologie und den zerebralen Kreislauf sowie Gewebsschädigung durch freie
Sauerstoffradikale sowie die zelluläre Schädigung durch den eigentlichen Sauerstoffman-
gel selbst. Eine eindeutige Empfehlung lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht herleiten,
jedoch scheint die Verwendung von Raumluft die Mortalität günstiger als die Verwendung
von 100% Sauerstoff zu beeinflussen8-10.
Wir empfehlen die Verwendung eines Sauerstoffmischers bzw. Sauerstoffblenders und
beginnen i.d.R. mit der Gabe von 40 – 60% Sauerstoff. Dabei orientieren wir uns in der
Steuerung der Sauerstoffkonzentration an den präduktalen pulsoxymetrischen Messwer-
ten. Die Datenlage ist derzeit nicht ausreichend um ein Oxygenierungsziel zu definieren.
Ziel sollte es jedoch sein, den Sauerstoff schnellstmöglich zu senken. Es sind jedoch auch
Ausnahmen (pulmonaler Hypertonus u.a.) und andererseits (relative) Kontraindikationen
für die Verwendung von Sauerstoff zu beachten: Hypoplastisches Linksherz-Syndrom,
Linksherz-Obstruktionen, große links-rechts Shunt-Vitien, z.B. DORV (double outlet
right ventricle), Mitralklappenatresie, hypoplastischer Aortenbogen, AV-Kanal, druckan-
gleichender VSD.

3) Maskenbeatmung / Intubation:
Wenn nach den initialen Massnahmen (siehe 1.) keine ausreichende Spontanatmung vor-
handen ist, hat die Belüftung und Entfaltung der Lungen oberste Priorität. Primäres Kri-
terium zur Beurteilung einer adäquaten Lungenentfaltung ist das Heben und Senken des
Thorax. Sekundäres Kriterium ist die Verbesserung der Herzfrequenz, der Oxygenierung
u.a. Vitalparameter.

Die Maskenbeatmung sollte mit einem geeigneten Beatmungsbeutel durchgeführt wer-
den. Hierzu gehört die Verwendung eines Sauerstoffreservoirs mit Sauerstoffanschluß, ein
PEEP-Ventil sowie ein Überdruckventil, welches sich bei ca. 40mbar automatisch öffnet
und manuell verschlossen werden kann. Zudem sind unterschiedliche Masken (Größe 00,
0, 1) vorzuhalten. Der optimale Beatmungsspitzendruck (PiP) kann nicht pauschal ange-
geben werden und orientiert sich an der thorakalen Exkursion.

Falls vorhanden, sollte zur Rekrutierung der FRC ein continous-flow System angewendet
werden. Hierbei wird über einen kurzen Zeitraum von etwa 20 Sekunden, eingestellt
über den Gas-Flow, ein Spitzendruck von bis zu 25mbar über die Beatmungsmaske appli-
ziert3 (z.B. Bubble-CPAP-System, Benveniste-Ventil, Neopuff™ u.a.). Danach ist von
einer ausreichenden Lungenrekrutierung auszugehen. Im Anschluß kann dann mit einer
Maskenbeatmung oder CPAP-Atemunterstützung fortgefahren werden.

Sollte ein solches System nicht vorhanden sein, so ist zu bedenken, dass herkömmliche
Beatmungsbeutel dieses lange Inspirations-Plateau von 25mbar nicht aufrechterhalten
können. Trotzdem sollte zunächst eine Beutelbeatmung erfolgen und das inspiratorische
Plateau über 2 und 3 Sekunden aufrecht erhalten werden. Das PEEP-Ventil sollte auf
mindestens 5mbar eingestellt werden. Im weiteren Verlauf liegt das inspiratorische Pla-
teau dann bei einer Sekunde und einer Beatmungfrequenz von ca. 30/min. Eine Hypokap-
nie sollte dabei vermieden werden (Gefahr der zerebralen Ischämie).

Das Neugeborene sollte sich hierzu in Rückenlage und Kopfmittelstellung befinden. Zur
adäquaten Kopflagerung kann ein Handtuch unter die Schultern des Neugeborenen gelegt
werden. Um die Atemwege bei einem hypotonen Neugeborenen zu eröffnen, kann der
Esmarch-Handgriff oder ein oropharyngealer Tubus hilfreich sein. Eine suffiziente Mas-
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kenbeatmung kann über einen größeren Zeitraum (>10 Minuten) eine ausreichende Oxy-
genierung sicherstellen, jedoch ist zu beachten, das das Legen einer Magensonde und das
Entlüften des Magens im Verlauf einer längerfristigen Maskenbeatmung meistens erfor-
derlich wird.

Der Goldstandard zur Sicherung der Atemwege ist die Intubation, jedoch erfordert dies
ein gewisses Maß an Übung und Erfahrung und sollte daher dem „Erfahrensten“ obliegen.
Zur Verfügung stehen Tuben unterschiedlicher Hersteller. Diese müssen in verschiedenen
Größen (2.0, 2.5, 3.0, 3.5) vorgehalten werden. Bei reifen Neugeborenen ist i.d.R. die
Tubusgrösse 3.0 zu wählen, wobei u.U. auch eine Reduktion in Erwägung gezogen wer-
den muß (z.B. bei Mißbildungen, Ödem u.a.). Ggf. kann ein äußerer Druck auf den Kehl-
kopf die Einstellung unter laryngoskopischer Sicht erheblich verbessern. Zur Intubation
sind cufflose Tuben u.E. zu bevorzugen11, es werden aber auch gecuffte Tuben für Neu-
geborene angeboten12. Es ist überdies zu beachten, dass, je kleiner der Tubusdurchmesser
ist, um so grösser die Gefahr einer Tubusobstruktion ist, insbesondere bei starker Sekret-
und Schaumbildung (z.B. RDS, Mekoniumaspiration u.a.). Wenn immer möglich, ist
angewärmtes und angefeuchtetes Beatmungsgas zu verwenden. Wenn dies nicht möglich
ist, sollte die Verwendung einer „feuchten Nase“ zur Reduktion des exspiratorischen
Wasserdampfverlustes angewandt werden. Die Tubustiefe und die zu verwendenden
Tubusgrößen sind in Tabelle 2 dargestellt. Eine orale Intubation hat den Vorteil, dass sie
schnell und meistens ohne Hilfsmittel wie z.B. einer Magill-Zange, durchgeführt werden
kann. Hier sei jedoch erwähnt, dass die Fixierung und Tubusdislokation eine nicht zu
unterschätzende Gefahr darstellt, da das „Tubusspiel“ fixierungsbedingt einige Millimeter
betragen kann. Alternativ kann eine Rachen-Tubus-Ventilation (Nasale Tubustiefe über-
prüfen, ca. 5cm) angewandt werden.

 Gewicht (g)                         Tubustiefe (nasal in cm)   Tubusgröße ID (mm)
 500                                 7                          2 - 2,5
 1000                                7,5                        2,5
 2000                                8 - 10                     2,5 - 3,0
 3000                                11                         3,0 - 3,5
 4000                                11,5                       3,5

Tab. 2: Nasale Tubustiefe bei reifen Neugeborenen

Zur endotrachealen Lagekontrolle sind die in Tab.3 aufgeführten Kriterien zu beachten:

 - sichtbare Stimmbänder?
 - symmetrische Thoraxexkursion?
 - Magenblase wird nicht prominent
 - seitengleiche Auskultation?
 - kein Flow-Geräusch über der Magenblase
 - Tubus-CO2-Messung (z.B. Easy-cap®) positiv
 - Verbesserung der peripheren Sauerstoffsättigung
 - Verbesserung der Herzfrequenz

Tab. 3: Kriterien zur endotrachealen Lagekontrolle

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Neugeborene sind obligate Nasenatmer. Durch iatrogene Verlegung eines Nasenloches
(z.B. Tubus, Magensonde u.a.) kann, ohne dass gleichzeitig eine ausreichende Ventilation
gesichert ist, das Neugeborene in eine kritische Situation gebracht werden. Ggf. kann das
Verwenden von verdünnter Oxymetazolin-Lösung zur Nasenschleimhautabschwellung
hilfreich sein.

4. Herz-Druck-Massage und Defibrillation
Bei einer persistierenden Herzfrequenz unter 60 Schlägen pro Minute wird bei Früh- und
Neugbeborenen mit einer Herzdruckmassage begonnen, wenn trotz Sauerstoffzufuhr bzw.
Maskenbeatmung und erfolgter Rekrutierung der FRC kein positiver Effekt auf die Herz-
frequenz zu erkennen ist (maximal 15-30 Sekunden ventilieren, dann Herzfrequenz über-
prüfen). Der Druckpunkt sollte das untere Drittel des Sternums intermamillär sein. Die
Eindrücktiefe sollte ca. 1/3 des thorakalen Durchmessers betragen. Die Herzdruckmassa-
ge wird mit zwei Fingern durchgeführt. Das Neugeborene sollte auf einer festen Unterla-
ge liegen. Das Verhältnis zwischen Herzdruckmassage und Maskenbeatmung beträgt 3:1.
Ziel sollte es sein, innerhalb einer Minute mindestens koordiniert 90 Herzdruckmassagen
und 30 Beatmungshübe durchzuführen. Nach jeweils 30-60 Sekunden wird eine orientie-
rende Überprüfung der Vitalparameter durchgeführt. Sollte die Herzfrequenz nicht mehr
als 60 Schläge pro Minute betragen, wird die Herzdruckmassage bis zum Einsetzen einer
eigenständigen höheren Herzfrequenz (>60/min) fortgeführt. Die Adrenalininjektion wird
alle 1-3 Minuten wiederholt. Die Entscheidung über die Behandlung mittels Hypothermie
(32-34°C über 72 Stunden) ist nachfolgend aufgeführt. Wichtig ist in diesem Zusammen-
hang der frühzeitige Beginn der Kühlung. Dieses schließt auch die Beendigung externer
Wärmequellen (z.B. Wärmelampe) ein.
Ein defibrillierbarer Rhythmus (Kammertachykardie, Kammerflimmern) wird nur sehr
selten primär als Ursache eines Herz-Kreislaufstillstandes bei Neugeborenen angetroffen.
Eine Defibrillation erfolgt standardisiert mit 4J/kg KG. Ein eigenständiger Algorithmus
ist nicht vorhanden.

Einschlusskriterien für die Hypothermiebehandlung (in Anlehnung an Horn et al.7):
1) asphyktische Neugeborene (>=36 SSW) definiert als:
              -10-Minuten-APGAR-Score = 16 mmol/l im Nabelschnurblut oder sonstiger Blutprobe
              innerhalb der ersten Lebensstunde
UND
2) Enzephalopathie mit abnormen Reflexmuster, muskulärer Hypotonie, Krampfanfällen,
              pathologisches EEG (HIE-Score nach Sarnat13)

5. Medikamentöse Reanimation

Adrenalin:
Bei einer Herzfrequenz < 60/min, die nicht auf eine adäquate Thoraxkompression und
Ventilation ansteigt, ist der Einsatz von Adrenalin zu erwägen. Ist kein intravenöser oder
intraossärer Zugang vorhanden, jedoch das Neugeborene endotracheal intubiert, so ist die
endotracheale (e.t.) Gabe in einer Dosis von 0,1mg/kg durchzuführen. Die intravenöse
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(i.v.) Applikation ist ansonsten der endotrachealen immer vorzuziehen. Für die intravenö-
se oder intraossäre Applikation wird eine Dosis von 0,01mg/kg empfohlen. Eine Dosis-
steigerung erzielt keinen Nutzen. Bei Nichtansprechen wird diese Dosis entsprechend
wiederholt gegeben. Offizielle Angaben über den Zeitraum, nachdem die Adrenalindosis
wiederholt werden sollte, gibt es nicht. Eine repetitive Gabe bei Nichtansprechen erscheint
nach ca. 1-3 Minuten sinnvoll.
Bei Bradykardien kann Atropin in einer Dosis von 0,01mg/kg infundiert werden (e.t.
0,1mg/kg). Stellt sich trotz Atropingabe und Sauerstoffzufuhr keine Steigerung der Herz-
frequenz ein, so sollte auf weitere Gaben zu Gunsten von Epinephrin verzichtet werden.

Volumenexpansion:
Studien zur Volumenexpansion im Rahmen der Reanimation gibt es nicht. Die Volumen-
substitution sollte aber mit isotoner Vollelektrolytlösung erfolgen. Die Initial-Dosis
beträgt 10 – 20 ml/kg i.v., je nach Kreislaufsituation sollten Folge-Dosen bis max.
50 ml/kg erfolgen.
Parallel bzw. nach hämodynamischer Stabilisierung können kolloidale Lösungen
(10-20ml/kg) infundiert werden. Erythrozytenkonzentrate sollten erwogen werden, wenn
nach 40 – 50 ml/kg kolloidaler und/oder kristalloider Lösungen keine Stabilisierung ein-
tritt und/oder die Hb-Schwelle von < 12 g% unterschritten wird.
Hypotone Infusionslösungen (z.B. Glucose 10%) sind zur Volumensubstitution ungeeig-
net und gefährlich. Durch die rasche Metabolisierung von Glucose, v.a. in Stresssituatio-
nen, bleibt freies Wasser zurück und kann bei entsprechender Menge eine hypotone
Hyperhydratation begünstigen.

Monitoring der Blutmetaboliten:
Während der Reanimation ist es besonders wichtig, regelmässig den aktuellen Stand der
Blutgase (i.d.R. kapillär) incl. Blutzucker und Laktat zu bestimmen (im Abstand von
jeweils 5-10 Minuten). Diese engmaschige Kontrolle ist zum einen für den weiteren Ver-
lauf der Reanimation von Bedeutung (Pufferung, Hypo-, Hyperventilation etc.) zum
anderen für die zeitnahe Dokumentation der Wiederbelebung (Protokoll).
Eine Hypoglykämie kann zusätzlichen zerebralen Schaden verursachen. Deshalb muss
ebenfalls der Blutzucker engmaschig gemessen werden.
Ein zusätzlicher Nutzen der Pufferung mit Natrimbikarbonat ist nicht belegt. Im Rahmen
einer langandauernden Wiederbelebung (> 20-30min) kann dies jedoch erwogen werden.
Natriumbikarbonat wird prinzipiell nur nach Kenntnis des Säure-Basen-Status appliziert
(i.d.R. 6-8 mmol/kg KG).
Auf die assoziierten Pathologien beim Schock des Neugeborenen sei hier besonders hin-
gewiesen: Pneumothorax, Pneumomediastinum, Pneumopericard, Pleuraerguß und Peri-
carderguß. Die notfallmäßige Entlastung eines Pneumothorax erfolgt mit einer kleinen
Venenverweilkanüle in Bülau-Position, d.h. 4. bis 5. interkostaler Raum in der vorderen
Axillarlinie14. Die Diaphanoskopie erleichtert die Diagnose eines Pneumothorax.

Beendigung der Reanimation:
Sollte trotz maximaler mechanischer, medikamentöser sowie kardiopulmonaler Reanima-
tionsmassnahmen kein eigenständiger Kreislauf zu erreichen sein, so kann eine Beendi-
gung dieser maximalen Therapie nach frühestens 30 Minuten erwogen werden.

Zugangsarten:
iv.- Zugang:
Die rasche Anlage eines peripheren Venenverweilkatheters (PVK) gelingt nicht immer
und ist umso schwieriger, je unreifer und hypotoner die Patienten sind. Insbesondere
während einer Reanimation gestaltet sich die Anlage oftmals nicht einfach. Auf die Mög-
58
lichkeit der endotrachealen Epinephrininstillation sei hier erneut hingewiesen. Als Punk-
tionsstellen kommen Handrücken, Fußrücken, Kopfvenen (Verwechselung mit Arterien
leicht möglich!) sowie Cubitalvenen in Frage. Abb. 3 zeigt die schrittweise Anlage eines
PVK´s. Infusionen sollten eine Osmolalität von 800 mosmol/l nicht überschreiten.
Dadurch könnten die Gefäßwände gereizt bzw. zerstört werden und die Infusionen para-
venös laufen. Insbesondere die hyperosmolare Natriumbikarbonatlösung sollte nur ver-
dünnt appliziert werden, wenn die Gabe über periphere Venen erfolgt.

Abb. 3: Anlage eines PVK bei einem Neugeborenen

Nabelvenenkatheter:
Einen einfachen und zugleich zentralvenösen Zugang stellt der Nabelvenenkatheter dar.
Hierbei ist unter sterilen Bedingungen die Nabelvene mit einem Katheter zu punktieren
bzw. zu kanülieren. In Frage kommen 2 - 4 French Katheter. Bei reifen Neugeborenen
sollte die Kathetertiefe 8-10 cm ab Nabelring nicht überschreiten. Der Katheter muss sich
leicht anspülen lassen und es sollte Blut zu aspirieren sein.
Ebenfalls kann die sichtbare Nabelvene seitlich mit einem großlumigen PVK punktiert
werden, das Ende der „offenen“ Nabelschnur zugebunden bzw. verschlossen und so die
Nabelvene als „periphere“ Vene genutzt werden.
Bei allen Anlagen ist auf eine ausreichene Nabelschnurlänge zu achten und es muss steril
gearbeitet werden. Es empfiehlt sich also, das Neugeborene nicht zu kurz (> 5cm) abzu-
nabeln.

Intraossärer Zugang:
Die Anlage eines intraossären Zugangs ist immer an spezielle Kriterien gebunden, die
allesamt erfüllt sein müssen:

 1. frustraner iv-Anlage Versuch (mehr als 3 Versuche innerhalb 2 Minuten) unter Reani-
    mation und
 2. systemische Applikation von lebenserhaltenden Medikamenten unter Reanimation
     erforderlich und
 3. keine Nabelvenenkatheter-Anlage möglich

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Als Lokalisation kommt die proximale Tibia, sicher entfernt von der Wachstumsfuge zwei
Finger unterhalb der Tuberositas ossis tibiae, in Betracht (Abb.4). Ein Aspirationsversuch
ist nur in ca. 50% der Fälle positiv. Es können Druckinfusionen über diesen Zugang gege-
ben werden (bis zu 40 ml/min). Bei Frühgeborenen kann auch eine „Butterfly“ verwendet
werden (Abb. 5).

Abb. 4: Intraossärer Zugang an typischer Stelle bei einem Neugeborenen.

Abb. 5: Intraössarer Zugang bei einem Frühgeborenen mittels „Butterfly“.

60
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