Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...

Die Seite wird erstellt Louis-Stefan Lemke
 
WEITER LESEN
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
Antisoziale/Dissoziale
Persönlichkeitsstörung

    Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer
    Klinik für Forensische Psychiatrie
  Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
Gliederung

1. Persönlichkeitsstörungen
2. Antisoziale und Dissoziale Persönlichkeitsstörung
3. Ausblick ICD-11
4. Psychopathy
5. Biologische Befunde
6. Behandelbarkeit
7. Fazit
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
Persönlichkeit(sstörung)

Persönlichkeit als Summe aller psychischen Eigenschaften und
Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine eigentümliche,
unverwechselbare Individualität verleihen
→ Aspekte des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und der
   Beziehungsgestaltung.

Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn durch den Ausprägungsgrad und/
oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten
Merkmalen in den Bereichen des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens
und der Beziehungsgestaltung erhebliche subjektive Beschwerden und/oder
nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen.

                                                                     (Sass, 1987)
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
DSM-5-Definition der Persönlichkeitsstörung

A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten das zu
   klinisch bedeutsamem Leid oder Funktionsbeeinträchtigungen führt.
   Das Muster manifestiert sich in den Bereichen:
              1) Kognition
              2) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen
              3) Affektivität
              4) Impulskontrolle
B. Das Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher
   und sozialer Situationen
C. Das Muster führt zu Leiden und Beeinträchtigung
D. Das Muster ist stabil und langandauernd, d.h. es lässt sich bis in die
   Adoleszenz bzw. das frühe Erwachsenenalter zurückverfolgen
E. Das Muster ist nicht Folge einer anderen psychischen Störung
F. Das Muster ist nicht Folge einer Substanzwirkung oder körperlichen
   Erkrankung
Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische ...
Hauptgruppen der Persönlichkeitsstörungen
nach DSM-5

Cluster A
(paranoide, schizoide, schizotype PS)
sonderbar-exzentrisch, affektarm, misstrauisch

Cluster B
(histrionische, narzisstische, antisoziale, Borderline-PS)
dramatisch, emotional, launisch

Cluster C
(vermeidend-selbstunsichere, zwanghafte, dependente PS)
ängstlich-furchtsam
Klinische Bedeutung und Epidemiologie von
Persönlichkeitsstörungen

   3 - 10 % der Allgemeinbevölkerung

   40 - 60 % der psychiatrischen Patienten

   In Haftpopulationen bis zu 70 %
     Antisoziale Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 47 % der Männer und
       21 % der Frauen
     Borderline Störung bei 25 % der Frauen

   Suizidrisiko 3x höher als in Allgemeinbevölkerung

   Beeinflusst Verlauf und Prognose komorbider psychiatrischer
    Erkrankungen
ANTISOZIALE UND DISSOZIALE
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10)

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt
   sein
B. Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen
   vorliegen:
1. Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer
2. Deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung
   sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen
3. Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen, obwohl keine
   Schwierigkeit besteht, sie einzugehen
4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives,
   einschliesslich gewalttätiges Verhalten
5. Fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung,
   insbesondere Bestrafung, zu lernen
6. Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen
   für das Verhalten anzubieten, durch welches die Betreffenden in einen Konflikt
   mit der Gesellschaft geraten sind
Antisoziale Persönlichkeitsstörung (DSM-5)

A. Ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte
   anderer, das seit 15. Lebensjahr auftritt. Mindestens drei der folgenden
   Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Versagen, sich in Bezug auf gesetzmässiges Verhalten gesellschaftlichen
   Normen anzupassen, was sich in wiederholtem Begehen von Handlungen
   äussert, die einen Grund für eine Festnahme darstellen

2. Falschheit, die sich in wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen
   oder dem Betrügen anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äussert

3. Impulsivität oder Versagen, vorausschauend zu planen

4. Reizbarkeit und Aggressivität, die sich in wiederholten Schlägereien oder
   Überfällen äussert
Antisoziale Persönlichkeitsstörung (DSM-5)

5. rücksichtslose Missachtung der eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit
   anderer

6. durchgängige Verantwortungslosigkeit, die sich im wiederholten Versagen
   zeigt, eine dauerhafte Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen
   nachzukommen

7. fehlende Reue, die sich in Gleichgültigkeit oder Rationalisierung äussert,
   wenn die Person andere Menschen kränkt, misshandelt oder bestohlen hat

B. Die Person ist mindestens 18 Jahre alt

C. Eine Störung des Sozialverhaltens war bereits vor Vollendung des 15.
   Lebensjahres erkennbar

D. Das antisoziale Verhalten tritt nicht ausschliesslich im Verlauf einer
   Schizophrenie oder einer bipolaren Störung auf
Prävalenz Antisoziale Persönlichkeitsstörung

•   Allgemeinbevölkerung: 0.2 – 3.3%

•   Gefängnis-/forensische Stichproben: 45-48%

•   Männer > Frauen (~ 3:1)

                 (APA, 2003, 2013; Fazel & Danesh, 2002; Mokros et al., 2017)
Diagnostik mittels DSM-5 / ICD-10

DSM-5 verweist auf die Störung der Sozialverhaltens vor 15. Lebensjahr

ICD-10 berücksichtigt Gefühlsarmut und Unfähigkeit, aus Bestrafung zu lernen

Beide Klassifikationssysteme:
 Konzentration auf leicht objektivierbare behaviorale Phänomene
 einseitige Betonung männlicher antisozialer Verhaltensstile
 hohe diagnostische Überlappung mit Substanzmissbrauch
 geringe Übereinstimmung mit der Forderung nach einer tiefgreifenden,
   verschiedene Funktionsebenen einbeziehende Störung
ICD-11
Problematik kategorialer PS-Diagnosen

1) Stigmatisierung durch Diagnose «Persönlichkeitsstörung»

2) Hohe Prävalenz der «nicht näher bezeichneten PS»

3) Hohe Komorbidität zwischen verschiedenen PS

4) Auf Kriterienlisten basierende, kategoriale PS-Diagnosen sind heterogen
   Uneinheitliche Störungsbilder trotz identischer Diagnose
   Erschwert Therapieplanung

5) Empirische Evidenz für Dimensionalität: Keine nennenswerten qualitativen
   Unterschiede zwischen normaler und pathologischer Persönlichkeit
   Höhere Reliabilität und Validität dimensionaler Ansätze

                (Herpertz, 2018; Stieglitz & Freyberger, 2018; Tyrer 2013)
Persönlichkeitsstörungen im ICD-11

1. Prüfung der allgemeinen Kriterien der PS

2. Orientierung an Schweregrad der PS:
   − Leicht
   − Moderat
   − Schwer

3. Optional: Spezifizierung einer oder mehrerer Domänen:
   0: Negative Affektivität
   1: Bindungslosigkeit/Distanziertheit
   2: Dissozialität
   3: Enthemmung
   4: Zwanghaftigkeit
   5: Borderline

                   (Stieglitz & Freyberger, 2018; Herpertz, 2018)
Allgemeine Kriterien der Persönlichkeitsstörung

− Funktionsbeeinträchtigung im Bereich Selbst (z.B. Identität, Selbstwert,
   Selbstbild, Selbststeuerung) und/oder interpersonelle Beziehungen (z.B.
   Beziehungen, Perspektivübernahme, Konfliktbewältigung in Beziehungen)
− Über längeren Zeitraum hinweg beobachtbar (z.B. 2 Jahre oder länger)
− Beeinträchtigungen zeigen sich im Bereich Kognition, emotionale Erfahrung,
   emotionaler Ausdruck und maladaptives Verhalten
− Beeinträchtigungen zeigen sich übergreifend in persönlichen und sozialen
   Situationen
− Verhaltensmuster sind dem Entwicklungsstand nicht angemessen und können
   nicht primär durch kulturelle Faktoren erklärt werden
− Störung geht einher mit Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im
   persönlichen, familiären, sozialen, beruflichen Leben etc.
Beurteilung des Schweregrads

Leichter Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung:

− Störungen in manchen, aber nicht allen Funktionsbereichen der
  Persönlichkeit, evtl. in manchen Kontexten nicht offensichtlich

− Probleme in vielen interpersonellen Beziehungen und/oder bei Erfüllung
  sozialer oder beruflicher Rollenerwartungen, aber manche Beziehungen
  werden aufrecht erhalten bzw. Rollenerwartungen erfüllt

− Üblicherweise nicht mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden

− Evtl. mit erheblicher Beeinträchtigung im persönlichen, familiären, sozialen,
  bildungs- oder berufsspezifischen oder andere wichtigen Funktionsbereichen
  verbunden, entweder in beschriebenen Bereichen (z.B. romantische
  Beziehungen, Beruf) oder in mehr Bereichen, aber in milderer Form
Beurteilung des Schweregrads

Moderater Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung:

− Störungen in zahlreichen Funktionsbereichen der Persönlichkeit, manche
  Bereiche sind jedoch vergleichsweise weniger betroffen

− Ausgeprägte Probleme in den meisten interpersonellen Beziehungen und/oder
  zu einem gewissen Grad bei Erfüllung sozialer/beruflicher Rollenerwartungen

− Beziehungen zeichnen sich am ehesten aus durch Konflikte, Vermeidung,
  Rückzug oder extreme Abhängigkeit

− Teilweise mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden

− Mit erheblicher Beeinträchtigung im persönlichen, familiären, sozialen,
  bildungs- oder berufsspezifischen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
  verbunden; Funktionalität in den beschriebenen Bereichen kann jedoch evtl.
  aufrecht erhalten werden
Beurteilung des Schweregrads

Schwerer Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung:

− Schwere Störungen in Funktionsbereichen der Persönlichkeit

− Probleme in der interpersonellen Funktionsfähigkeit betreffen praktisch alle
  Beziehungen

− Fähigkeit und Bereitschaft, soziale oder berufliche Rollenerwartungen zu
  erfüllen, sind nicht gegeben schwer beeinträchtigt

− Häufig mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden

− Mit schwerwiegender Beeinträchtigung in allen oder beinahe allen
  Lebensbereichen, darunter persönliche, familiäre, soziale, bildungs- oder
  berufsspezifische oder andere wichtige Funktionsbereichen verbunden
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster

Negative Affektivität
− Situational unangemessen intensives und häufiges Erleben negativer
  Emotionen
− Emotionale Labilität und schlechte Emotionsregultion
− Negative Einstellung
− Geringes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein
− Misstrauen

Bindungslosigkeit/Distanziertheit
– Soziale Distanziertheit
– Emotionale Distanziertheit
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster

Dissozialität
– Selbstbezogenheit
– Empathiemangel

Enthemmtheit
– Impulsivität
– Ablenkbarkeit
– Verantwortungslosigkeit
– Rücksichtslosigkeit
– Fehlende Planung
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster

Zwanghaftigkeit
– Perfektionismus
– Emotionale und Verhaltenseinschränkungen

Borderline
– Instabilität bzgl. Beziehungen, Selbstbild und Emotion
– Verlustängste
– Impulsives Handeln in Zuständen negativer Affektivität → potenziell
  selbstschädigendes Verhalten; Selbstverletzung
– Dauerhaftes Gefühl der Leere
– Starke Wutgefühle, Schwierigkeiten/Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren
– Vorübergehende dissoziative oder psychotische Symptome oder psychotische
  Symptome bei starker emotionaler Erregung
Persönlichkeitsstörungen im ICD-11
(Herpertz, 2018)
PSYCHOPATHY
Psychopathy nach Hare (2003)

1. Affektive Defizite (z.B. Empathiemangel, Mangel an Reue, geringe
   Empfindungsfähigkeit)

2. Interpersonelle Defizite (z.B. Manipulatives Geschick, übersteigerter
   Selbstwert, oberflächlicher Charme)

3. Unsteter Lebenswandel (z.B. Sprunghaftigkeit, Parasitismus, Sensation
   Seeking)

4. Antisoziales Verhalten (z.B. Schwache Verhaltenskontrolle, Delinquenz im
   Jugend- und Erwachsenenalter)
Psychopathy & Antisoziale/Dissoziale
Persönlichkeitsstörung
•   Psychopathy keine eigenständige Diagnose

•   Wird im DSM-5 und ICD-10 unter Antisozialer bzw. Dissozialer
    Persönlichkeitsstörung subsummiert

•   Findet Erwähnung im alternativen DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen
    bei Antisozialer Persönlichkeitsstörung
Psychopathy & Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Prävalenz von Psychopathy
• Allgemeinbevölkerung: ca. 1%
• Straftäter: 20 - 25%

                                                  Alle Straftäter
                                                      (100%)

                         ASPS         PCL-R       “White collar”?
                        ( 50%)   Psychopathen
                                     (≈ 25%)

 Unterschiede zwischen Psychopathy und ASPS vornehmlich im affektiven
  Bereich
Die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R;
Hare, 2003, dt. Version Mokros et al., 2017)

•   Goldstandard bei der Erfassung psychopathischer Merkmale

•   Fremdbeurteilungsinstrument mit 20 Items

•   Auswertung basierend auf semistrukturiertem Interview und
    Begleitinformationen (z.B. Gerichtsurteile, Gutachten, Patientenakten etc.)
Die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R)

Faktor 1: Psychopathy-                          Faktor 2: Soziale Devianz
Kernpersönlichkeitsmerkmale
 Interpersonell                                 Lebenswandel
 • Sprachliche Gewandtheit                      • Stim.bed./Anfälligkeit Langeweile
 • Übersteigertes Selbstwertgefühl              • Sprunghaftigkeit
 • Pathologisches Lügen                         • Verantwortungslosigkeit
 • Betrügerisch/manipulativ                     • Parasitärer Lebenswandel
                                                • Mangel an realistischen Zielen

 Affektiv                                       Antisozial
 • Mangel an Reue/Schuldgefühl                  • SchwacheVerhaltenskontrolle
 • Geringe Empfindungsfähigkeit                 • Frühe Verhaltensauffälligkeiten
 • Herzlos/Mangel an Empathie                   • Jugenddelinquenz
 • Fehlende Verantwortungsübernahme             • Widerruf einer bedingten Entlassung
                                                • Kriminelle Vielseitigkeit

+ 2 Items ohne faktorielle Zuordnung (Promiskuität & zahlreiche ehe(ähn)liche Beziehungen)
PCL-R: Orientierung an Ausprägungsgraden
(Hare, 2003; Mokros et al., 2017)

     PCL-R-Gesamtwert   Level      Beschreibung

          33-40           5          sehr hoch

          25-32           4            hoch

          17-24           3            mittel

           9-16           2           niedrig

           0-8            1         sehr niedrig
Schweregradeinteilung und Rückfälligkeit
(Mokros & Eher, eingereicht)

Prozentuale Häufigkeit von Rückfällen nach PCL-R-Schweregradeinteilung (N = 702)
BIOLOGISCHE BEFUNDE
Genetische Korrelate

•   Einfluss verschiedener Genvarianten (z.B. COMT, MAOA, SLC6A4 etc.) auf
    antisoziales Verhalten, ASPS und Psychopathy

•   Kein deterministischer Einfluss einzelner Gene/Genvarianten auf Ausprägung
    von Antisozialität, sondern Interaktion zahlreicher Gene

•   Ca. 40-50% der Varianz von antisozialem Verhalten und ASPS können durch
    genetische Einflüsse erklärt werden

       (Ferguson, 2010; Ficks & Waldman, 2014; Rhee & Waldman, 2002; Rosenström et al., 2017)
Gen x Umwelt-Interaktion

Caspi et al. (2002):
Interaktionseffekt zwischen Polymorphismus des MAOA-Gens und körperlichem
Missbrauch
Bildgebungsstudien

ASPS
• Reduziertes Volumen und Funktionalität des präfrontalen Kortex
• Aber: ASPS kann kaum unabhängig untersucht werden, da oftmals
  Komorbiditäten (z.B. Substanzmissbrauch, Psychopathy) bestehen, die sich
  ebenfalls auf Gehirnfunktion und .struktur auswirken

Psychopathy
• Auffälligkeiten bzgl. Gehirnaktivität im limbischen, präfrontalen und insularen
  Bereich
   → Funktionelle Zusammenhänge zwischen Psychopathie und semantischer
   Sprachverarbeitung, Handlungsausführung und Schmerzverarbeitung, soziale
   Kognition und Belohnungsverarbeitung
• ASPS und Psychopathy gehen möglicherweise auf unterschiedliche
   neurobiologische Prozesse zurück.

                     (Glenn, Johnson, & Raine, 2013; Poeppl et al., 2018)
Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Frontale Dysfunktion

Mangelnde Selbstkontrolle             Enthemmtes Verhalten
(kognitiv und motorisch)

Mangelnde kognitive Flexibilität      Mangelnde Verhaltensanpassung

Untererregung                         Reizsuche

Nicht-Wahrnehmung von Belohnung und   Keine Angst vor Strafe, Wunsch nach sozialer
Bestrafung                            Anerkennung nicht verhaltensregulierend

Limbische Dysfunktion
Gefühlsarmut                          Mangelnde emotionale Hemmung und
                                      Empathie

Verminderte konditionierte Angst      Geringes Vermeidungsverhalten

Schwierigkeiten, emotionale           Angst des Opfers induziert keine
Gesichtsausdrücke zu erkennen         Aggressionshemmung
BEHANDELBARKEIT
Cochrane-Studie zu Behandlung von ASPS
(Gibbon et al., 2011)
•   11 prospektive RCT-Studien
•   Behandlung von ASPS stand nur selten im Fokus (zumeist Drogen- und
    Substanzmissbrauch bei Patienten mit ASPS)
•   Legalbewährung und Aggression nur in zwei bzw. einer Studie(n) berichtet
•   Positive Effekte auf ASPS-spezifische Aspekte (z.B. Delinquenz, Aggression,
    Impulsivität) in keiner Studie berichtet
•   Psychotherapie (11 Studien): keine Behandlungseffekte in Bezug auf
    Antisozialität im Hinblick auf Legalbewährung; anderweitige positive Effekte in
    vier Studien
•   Psychopharmakologisch (8 Studien): Kriterium Aggressivität (2 Studien),
    davon eine mit positivem Effekt (Phenytoin)
Pharmakotherapie bei ASPS und Psychopathy
(Felthous, Standford, & Saß, 2018)
Wichtig: Verwendung von antiimpulsiv bzw. –aggressiv wirksamen
Medikamenten (AIAA) nur nach sorgfältiger Abwägung
• Schwere der Aggression
• Treten Aggressionen aufgrund einer psychischen Störung (z.B. Depression,
  ADHS) auf, steht die Behandlung der Störung im Vordergrund
• Wirkung der AIAA auf allfällige komorbide Störungen (z.B. Depressionen,
  bipolare Störung, Borderline) beachten
• Wechselwirkung mit anderen Medikamenten beachten
• Kontraindikationen beachten (z.B. Schwangerschaft, körperliche
  Erkrankungen, Alter)
Pharmakotherapie bei ASPS und Psychopathy
(Felthous, Standford, & Saß, 2018)
•   Pharmakotherapie dient lediglich als zusätzlicher Baustein für umfassendes
    Therapiekonzept

•   Fokus auf impulsiver Aggression (≠ instrumentelle Aggression)

•   Top-down/bottom-up-Hypothese: Impulsive Aggression entsteht durch
    Ungleichgewicht zwischen Aggressionsimpuls (hyperaktive Amygdala) und
    Kontrollimpuls (hypoaktiver präfrontaler Kortex)

•   Positive Effekte für einige anti-impulsive, anti-aggressive agents (AIAA):
    • Fluoxetin, Valproat/Divaloprex, Carbamazepin/ Oxcarbazepin, Phenytoin,
      Lithiumsalze
    • Phenytoin insbesondere geeignet bei schwerer impulsiver Aggression
      und/oder Psychopathy

•   Falls AIAA ineffektiv oder kontraindiziert sind, ist Behandlung mit Neuroleptika
    möglich (aber: stärkere Nebenwirkungen)
Antisoziale Persönlichkeitsstörung
Persönlichkeitsprofile und Behandelbarkeit

    Negative       Dissozialität   Enthemmung   Zwanghaftigkeit   Distanziertheit
   Emotionalität
Behandlung dissozialer Straftäter (Fiedler, 2018)

•   Therapieoptimismus als zentraler Erfolgsprädiktor bei schwieriger
    Patientenklientel

•   Günstigere Prognose bei dissozialer Persönlichkeitsstörung und komorbiden
    affektiven Störungen (d.h., Ängste, Depression)

•   Interventionen sind idealerweise verhaltenstherapeutisch fundiert und
    hochstrukturiert

•   Trotzdem Berücksichtigung individueller Defizite und Kompetenzen
Zentrale Bestandteile erfolgreicher Therapie
von dissozialen Patienten (Fiedler, 2018)
Verbesserung zwischenmenschlicher und sozialer Kompetenzen
→ Rollenspiele
→ Sympathiewerbung und –vermittlung
→ Ärger- und Wutmanagement
→ Bindungsstile und intime Beziehungsmuster

Opferempathie
→ Tatanalyse (Auseinandersetzung mit Konsequenzen von Straftaten
  auf Opfer im Allgemeinen und in Bezug auf eigene Straftat(en), Anfertigung
  von Briefen an/von Opfer)

Rückfallprävention
→ Wichtig: schriftliche Ausarbeitung
→ Auflistung von Rückfallbedingungen
→ Planung von Bewältigungsschritten
→ Definition von Rückfallsignalen
Weitere Hinweise (Fiedler, 2018)

Beziehungsgestaltung

→ Patienten im Vorfeld der Gruppentherapie individuell aufklären

→ Bei problematischen Patienten Gründe für Motivationsmangel im
  Einzelgespräch klären

→ Wichtig: Abschluss von Therapieprogramm wirkt sich auch bei vergleichsweise
  geringer Motivation positiv auf Rückfallrisiko aus
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit
Die pessimistische Position

Oak Ridge Study:
• Behandlungsprogramm für Straftäter mit Persönlichkeitsstörungen
•   Mittlerer Katamnesezeitraum: 8 Jahre 4 Monate
•   176 behandelte Patienten; 146 unbehandelte Patienten
                                                                               100
                                                                                               Untreated   Treated

                                                 % Rückfällige Gewaltdelikte
 Ergebnis oftmals Grundlage für An-                                            80

    nahme, dass Therapie Psychopathen                                           60
  gefährlicher mache                                                            40
 Aber: Effekt vermutlich auch auf Art                                          20
  der (unkonventionellen) Interventionen                                         0
  zurückführbar                                                                      Nonpsychopaths         Psychopaths

                            (Rice, Harris, & Cormier, 1992)
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit
Die differenzierte Position

                                 90
                                 80      Untreated       Treated
       Wiederverurteilungsrate

                                 70
                                 60
                                 50
                                 40
                                 30
                                 20
                                 10
                                  0
                                              Low Factor 1                   High Factor 1

                                  (N = 278; Hare, Clark, Grann & Thornton; Behav Sci Law, 2000)
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit
Die pessimistische Position

Replikation der Ergebnisse (Hare, Clark, Grann & Thornton, 2000)

• Behandlung fokussiert auf Aggressionskontrolle und Verbesserung sozialer
  Kompetenz (eher kurzfristig)

• Katamneseintervall: 2 Jahre

• PCL-R “alter” Faktor 1 (Interpersonell/Affektiv) als starker Prädiktor für
  Rückfälligkeit, auch in Abhängigkeit von Behandlung ja/nein

 Aber: Katamneseintervall lediglich 2 Jahre

 Ergebnisse bedeuten nicht, dass alle Behandlungsformen die Legalbewährung
  von Psychopathen beeinträchtigen
Ist Psychopathy behandelbar?
Die optimistische Position

• Behandlungsprogramme zur Senkung der Rückfallgefahr zeigen durchaus
  positive Effekte auf psychopathische Patienten (aber: quasiexperimentelle
  Designs)
• Psychopathische Eigenschaften verändern sich im Laufe des Lebens, allerdings
  eher im Bereich Lebenswandel/Antisozialität als im Bereich affektiver und
  interpersoneller Defizite
• Je mehr sich die Patienten in der Behandlung veränderten, desto geringer die
  Rückfallrate
• Hinweise auf schädliche Effekte der Behandlung (i.S. einer Verbesserung
  manipulativer Fertigkeiten) fraglich

                                 (Polaschek, 2014)
FAZIT
Fazit

− Antisoziale Persönlichkeitsstörung ist kein soziales Artefakt

− Es existieren stabile Befunde zu organischen und genetischen Korrelaten

− Die diagnostischen Voraussetzungen werden sich in den nächsten Jahren
  deutlich verändern
  → Problematik wird häufiger adressiert werden

−   Therapeutische Optionen sind fraglich
    → Wichtig erscheint die Differenzierung zwischen impulsiv, ängstlichen bzw.
      sozial unsicheren und unempathisch, kühlen, angstfreien Personen

− Psychopaths im Sinne von Hare stellen eine besonders problematische
  Klientel dar
Danke für Ihre
                             Aufmerksamkeit

elmar.habermeyer@puk.zh.ch
Referenzen

American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.).
    Washington, DC: American Psychiatric Association.
Caspi, A., McClay, J., Moffitt, T. E., Mill, J., Martin, J., Craig, I. W., . . . Poulton, R. (2002). Role of
    genotype in the cycle of violence in maltreated children. Science, 297(5582), 851-854.
Fazel, S., & Danesh, J. (2002). Serious mental disorder in 23 000 prisoners: A systematic review of 62
    surveys. The Lancet, 359(9306), 545-550.
Ferguson, C. J. (2010). Genetic contributions to antisocial personality and behavior: A meta-analytic
    review from an evolutionary perspective. The Journal of Social Psychology, 150(2), 160-180.
Felthous, A. R., Stanford, M. S., & Saß, H. (2018). Zur Pharmakotherapie impulsiver Aggression bei
    antisozialen und psychopathischen Störungen. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie,
    12(3), 266-278.
Ficks, C. A., & Waldman, I. D. (2014). Candidate genes for aggression and antisocial behavior: A meta-
    analysis of association studies of the 5HTTLPR and MAOA-uVNTR. Behavior Genetics, 44(5), 427-
    444.
Fiedler, P. (2018). Multimodale Psychotherapie der dissozialen Persönlichkeitsstörung: aktuelle Konzepte
    in der Straftäterbehandlung. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 12(3), 229-237.
Referenzen

Gibbon, S., Duggan, C., Stoffers, J., Huband, N., Völlm, B. A., Ferriter, M., & Lieb, K. (2010).
    Psychological interventions for antisocial personality disorder. Cochrane Database of Systematic
    Reviews, (6).
Glenn, A. L., Johnson, A. K., & Raine, A. (2013). Antisocial personality disorder: A current review. Current
    Psychiatry Reports, 15(12), 427.
Hare, R. D. (2003). The Hare Psychopathy Checklist–Revised (2nd ed.). Toronto, ON: Multi-Health
    Systems.
Hare, R. D., Clark, D., Grann, M., & Thornton, D. (2000). Psychopathy and the predictive validity of the
    PCL‐R: An international perspective. Behavioral Sciences & the Law, 18(5), 623-645.
Herpertz, S. C. (2018). Neue Wege der Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen in ICD-11.
    Fortschritte der Neurologie· Psychiatrie, 86(03), 150-155.
Mokros, A. & Eher, R. (2017). Offender subtypes based on psychopathic traits: A latent class factor
    analysis. Manuskript eingereicht.
Mokros, A., Hollerbach, P., Nitschke, J., & Habermeyer, E. (2017). Deutsche Version der Hare
    Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) von R. D. Hare: Manual. Göttingen: Hogrefe.
Poeppl, T. B., Donges, M. R., Mokros, A., Rupprecht, R., Fox, P. T., Laird, A. R., ... & Eickhoff, S. B.
    (2018). A view behind the mask of sanity: meta-analysis of aberrant brain activity in psychopaths.
    Molecular Psychiatry, 24(3), 463-470.
Referenzen

Polaschek, D. L. (2014). Adult criminals with psychopathy: Common beliefs about treatability and change
    have little empirical support. Current Directions in Psychological Science, 23(4), 296-301.
Rhee, S. H., & Waldman, I. D. (2002). Genetic and environmental influences on antisocial behavior: A
    meta-analysis of twin and adoption studies. Psychological Bulletin, 128(3), 490.
Rice, M. E., Harris, G. T., & Cormier, C. A. (1992). An evaluation of a maximum security therapeutic
    community for psychopaths and other mentally disordered offenders. Law and Human Behavior,
    16(4), 399-412.
Rosenström, T., Ystrom, E., Torvik, F. A., Czajkowski, N. O., Gillespie, N. A., Aggen, S. H., ... &
    Reichborn-Kjennerud, T. (2017). Genetic and environmental structure of DSM-IV criteria for antisocial
    personality disorder: A twin study. Behavior Genetics, 47(3), 265-277.
Stieglitz, R.-D. & Freyberger, H. J. (2018). Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen in ICD10/11 und
    DSM-5. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 66(2), 71-83.
Tyrer, P. (2013). The classification of personality disorders in ICD‐11: Implications for forensic psychiatry.
    Criminal Behaviour and Mental Health, 23(1), 1-5.
World Health Organization (2004). International statistical classification of diseases and health related
    problems, tenth revision (2nd ed.). Genf: WHO.
World Health Organization. (2018). International statistical classification of diseases and related health
    problems, 11th revision. Abgerufen unter https://icd.who.int/browse11/l-m/en
Sie können auch lesen