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Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Gliederung 1. Persönlichkeitsstörungen 2. Antisoziale und Dissoziale Persönlichkeitsstörung 3. Ausblick ICD-11 4. Psychopathy 5. Biologische Befunde 6. Behandelbarkeit 7. Fazit
Persönlichkeit(sstörung) Persönlichkeit als Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen → Aspekte des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und der Beziehungsgestaltung. Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn durch den Ausprägungsgrad und/ oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten Merkmalen in den Bereichen des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und der Beziehungsgestaltung erhebliche subjektive Beschwerden und/oder nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen. (Sass, 1987)
DSM-5-Definition der Persönlichkeitsstörung A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten das zu klinisch bedeutsamem Leid oder Funktionsbeeinträchtigungen führt. Das Muster manifestiert sich in den Bereichen: 1) Kognition 2) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen 3) Affektivität 4) Impulskontrolle B. Das Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen C. Das Muster führt zu Leiden und Beeinträchtigung D. Das Muster ist stabil und langandauernd, d.h. es lässt sich bis in die Adoleszenz bzw. das frühe Erwachsenenalter zurückverfolgen E. Das Muster ist nicht Folge einer anderen psychischen Störung F. Das Muster ist nicht Folge einer Substanzwirkung oder körperlichen Erkrankung
Hauptgruppen der Persönlichkeitsstörungen nach DSM-5 Cluster A (paranoide, schizoide, schizotype PS) sonderbar-exzentrisch, affektarm, misstrauisch Cluster B (histrionische, narzisstische, antisoziale, Borderline-PS) dramatisch, emotional, launisch Cluster C (vermeidend-selbstunsichere, zwanghafte, dependente PS) ängstlich-furchtsam
Klinische Bedeutung und Epidemiologie von Persönlichkeitsstörungen 3 - 10 % der Allgemeinbevölkerung 40 - 60 % der psychiatrischen Patienten In Haftpopulationen bis zu 70 % Antisoziale Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 47 % der Männer und 21 % der Frauen Borderline Störung bei 25 % der Frauen Suizidrisiko 3x höher als in Allgemeinbevölkerung Beeinflusst Verlauf und Prognose komorbider psychiatrischer Erkrankungen
ANTISOZIALE UND DISSOZIALE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10) A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein B. Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen: 1. Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer 2. Deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen 3. Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen, obwohl keine Schwierigkeit besteht, sie einzugehen 4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, einschliesslich gewalttätiges Verhalten 5. Fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung, insbesondere Bestrafung, zu lernen 6. Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten, durch welches die Betreffenden in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten sind
Antisoziale Persönlichkeitsstörung (DSM-5) A. Ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, das seit 15. Lebensjahr auftritt. Mindestens drei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. Versagen, sich in Bezug auf gesetzmässiges Verhalten gesellschaftlichen Normen anzupassen, was sich in wiederholtem Begehen von Handlungen äussert, die einen Grund für eine Festnahme darstellen 2. Falschheit, die sich in wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen oder dem Betrügen anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äussert 3. Impulsivität oder Versagen, vorausschauend zu planen 4. Reizbarkeit und Aggressivität, die sich in wiederholten Schlägereien oder Überfällen äussert
Antisoziale Persönlichkeitsstörung (DSM-5) 5. rücksichtslose Missachtung der eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit anderer 6. durchgängige Verantwortungslosigkeit, die sich im wiederholten Versagen zeigt, eine dauerhafte Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen nachzukommen 7. fehlende Reue, die sich in Gleichgültigkeit oder Rationalisierung äussert, wenn die Person andere Menschen kränkt, misshandelt oder bestohlen hat B. Die Person ist mindestens 18 Jahre alt C. Eine Störung des Sozialverhaltens war bereits vor Vollendung des 15. Lebensjahres erkennbar D. Das antisoziale Verhalten tritt nicht ausschliesslich im Verlauf einer Schizophrenie oder einer bipolaren Störung auf
Prävalenz Antisoziale Persönlichkeitsstörung • Allgemeinbevölkerung: 0.2 – 3.3% • Gefängnis-/forensische Stichproben: 45-48% • Männer > Frauen (~ 3:1) (APA, 2003, 2013; Fazel & Danesh, 2002; Mokros et al., 2017)
Diagnostik mittels DSM-5 / ICD-10 DSM-5 verweist auf die Störung der Sozialverhaltens vor 15. Lebensjahr ICD-10 berücksichtigt Gefühlsarmut und Unfähigkeit, aus Bestrafung zu lernen Beide Klassifikationssysteme: Konzentration auf leicht objektivierbare behaviorale Phänomene einseitige Betonung männlicher antisozialer Verhaltensstile hohe diagnostische Überlappung mit Substanzmissbrauch geringe Übereinstimmung mit der Forderung nach einer tiefgreifenden, verschiedene Funktionsebenen einbeziehende Störung
ICD-11
Problematik kategorialer PS-Diagnosen 1) Stigmatisierung durch Diagnose «Persönlichkeitsstörung» 2) Hohe Prävalenz der «nicht näher bezeichneten PS» 3) Hohe Komorbidität zwischen verschiedenen PS 4) Auf Kriterienlisten basierende, kategoriale PS-Diagnosen sind heterogen Uneinheitliche Störungsbilder trotz identischer Diagnose Erschwert Therapieplanung 5) Empirische Evidenz für Dimensionalität: Keine nennenswerten qualitativen Unterschiede zwischen normaler und pathologischer Persönlichkeit Höhere Reliabilität und Validität dimensionaler Ansätze (Herpertz, 2018; Stieglitz & Freyberger, 2018; Tyrer 2013)
Persönlichkeitsstörungen im ICD-11 1. Prüfung der allgemeinen Kriterien der PS 2. Orientierung an Schweregrad der PS: − Leicht − Moderat − Schwer 3. Optional: Spezifizierung einer oder mehrerer Domänen: 0: Negative Affektivität 1: Bindungslosigkeit/Distanziertheit 2: Dissozialität 3: Enthemmung 4: Zwanghaftigkeit 5: Borderline (Stieglitz & Freyberger, 2018; Herpertz, 2018)
Allgemeine Kriterien der Persönlichkeitsstörung − Funktionsbeeinträchtigung im Bereich Selbst (z.B. Identität, Selbstwert, Selbstbild, Selbststeuerung) und/oder interpersonelle Beziehungen (z.B. Beziehungen, Perspektivübernahme, Konfliktbewältigung in Beziehungen) − Über längeren Zeitraum hinweg beobachtbar (z.B. 2 Jahre oder länger) − Beeinträchtigungen zeigen sich im Bereich Kognition, emotionale Erfahrung, emotionaler Ausdruck und maladaptives Verhalten − Beeinträchtigungen zeigen sich übergreifend in persönlichen und sozialen Situationen − Verhaltensmuster sind dem Entwicklungsstand nicht angemessen und können nicht primär durch kulturelle Faktoren erklärt werden − Störung geht einher mit Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im persönlichen, familiären, sozialen, beruflichen Leben etc.
Beurteilung des Schweregrads Leichter Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung: − Störungen in manchen, aber nicht allen Funktionsbereichen der Persönlichkeit, evtl. in manchen Kontexten nicht offensichtlich − Probleme in vielen interpersonellen Beziehungen und/oder bei Erfüllung sozialer oder beruflicher Rollenerwartungen, aber manche Beziehungen werden aufrecht erhalten bzw. Rollenerwartungen erfüllt − Üblicherweise nicht mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden − Evtl. mit erheblicher Beeinträchtigung im persönlichen, familiären, sozialen, bildungs- oder berufsspezifischen oder andere wichtigen Funktionsbereichen verbunden, entweder in beschriebenen Bereichen (z.B. romantische Beziehungen, Beruf) oder in mehr Bereichen, aber in milderer Form
Beurteilung des Schweregrads Moderater Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung: − Störungen in zahlreichen Funktionsbereichen der Persönlichkeit, manche Bereiche sind jedoch vergleichsweise weniger betroffen − Ausgeprägte Probleme in den meisten interpersonellen Beziehungen und/oder zu einem gewissen Grad bei Erfüllung sozialer/beruflicher Rollenerwartungen − Beziehungen zeichnen sich am ehesten aus durch Konflikte, Vermeidung, Rückzug oder extreme Abhängigkeit − Teilweise mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden − Mit erheblicher Beeinträchtigung im persönlichen, familiären, sozialen, bildungs- oder berufsspezifischen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verbunden; Funktionalität in den beschriebenen Bereichen kann jedoch evtl. aufrecht erhalten werden
Beurteilung des Schweregrads Schwerer Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung: − Schwere Störungen in Funktionsbereichen der Persönlichkeit − Probleme in der interpersonellen Funktionsfähigkeit betreffen praktisch alle Beziehungen − Fähigkeit und Bereitschaft, soziale oder berufliche Rollenerwartungen zu erfüllen, sind nicht gegeben schwer beeinträchtigt − Häufig mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden − Mit schwerwiegender Beeinträchtigung in allen oder beinahe allen Lebensbereichen, darunter persönliche, familiäre, soziale, bildungs- oder berufsspezifische oder andere wichtige Funktionsbereichen verbunden
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster Negative Affektivität − Situational unangemessen intensives und häufiges Erleben negativer Emotionen − Emotionale Labilität und schlechte Emotionsregultion − Negative Einstellung − Geringes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein − Misstrauen Bindungslosigkeit/Distanziertheit – Soziale Distanziertheit – Emotionale Distanziertheit
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster Dissozialität – Selbstbezogenheit – Empathiemangel Enthemmtheit – Impulsivität – Ablenkbarkeit – Verantwortungslosigkeit – Rücksichtslosigkeit – Fehlende Planung
Persönlichkeitsmerkmale oder -muster Zwanghaftigkeit – Perfektionismus – Emotionale und Verhaltenseinschränkungen Borderline – Instabilität bzgl. Beziehungen, Selbstbild und Emotion – Verlustängste – Impulsives Handeln in Zuständen negativer Affektivität → potenziell selbstschädigendes Verhalten; Selbstverletzung – Dauerhaftes Gefühl der Leere – Starke Wutgefühle, Schwierigkeiten/Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren – Vorübergehende dissoziative oder psychotische Symptome oder psychotische Symptome bei starker emotionaler Erregung
Persönlichkeitsstörungen im ICD-11 (Herpertz, 2018)
PSYCHOPATHY
Psychopathy nach Hare (2003) 1. Affektive Defizite (z.B. Empathiemangel, Mangel an Reue, geringe Empfindungsfähigkeit) 2. Interpersonelle Defizite (z.B. Manipulatives Geschick, übersteigerter Selbstwert, oberflächlicher Charme) 3. Unsteter Lebenswandel (z.B. Sprunghaftigkeit, Parasitismus, Sensation Seeking) 4. Antisoziales Verhalten (z.B. Schwache Verhaltenskontrolle, Delinquenz im Jugend- und Erwachsenenalter)
Psychopathy & Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung • Psychopathy keine eigenständige Diagnose • Wird im DSM-5 und ICD-10 unter Antisozialer bzw. Dissozialer Persönlichkeitsstörung subsummiert • Findet Erwähnung im alternativen DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen bei Antisozialer Persönlichkeitsstörung
Psychopathy & Antisoziale Persönlichkeitsstörung Prävalenz von Psychopathy • Allgemeinbevölkerung: ca. 1% • Straftäter: 20 - 25% Alle Straftäter (100%) ASPS PCL-R “White collar”? ( 50%) Psychopathen (≈ 25%) Unterschiede zwischen Psychopathy und ASPS vornehmlich im affektiven Bereich
Die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R; Hare, 2003, dt. Version Mokros et al., 2017) • Goldstandard bei der Erfassung psychopathischer Merkmale • Fremdbeurteilungsinstrument mit 20 Items • Auswertung basierend auf semistrukturiertem Interview und Begleitinformationen (z.B. Gerichtsurteile, Gutachten, Patientenakten etc.)
Die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) Faktor 1: Psychopathy- Faktor 2: Soziale Devianz Kernpersönlichkeitsmerkmale Interpersonell Lebenswandel • Sprachliche Gewandtheit • Stim.bed./Anfälligkeit Langeweile • Übersteigertes Selbstwertgefühl • Sprunghaftigkeit • Pathologisches Lügen • Verantwortungslosigkeit • Betrügerisch/manipulativ • Parasitärer Lebenswandel • Mangel an realistischen Zielen Affektiv Antisozial • Mangel an Reue/Schuldgefühl • SchwacheVerhaltenskontrolle • Geringe Empfindungsfähigkeit • Frühe Verhaltensauffälligkeiten • Herzlos/Mangel an Empathie • Jugenddelinquenz • Fehlende Verantwortungsübernahme • Widerruf einer bedingten Entlassung • Kriminelle Vielseitigkeit + 2 Items ohne faktorielle Zuordnung (Promiskuität & zahlreiche ehe(ähn)liche Beziehungen)
PCL-R: Orientierung an Ausprägungsgraden (Hare, 2003; Mokros et al., 2017) PCL-R-Gesamtwert Level Beschreibung 33-40 5 sehr hoch 25-32 4 hoch 17-24 3 mittel 9-16 2 niedrig 0-8 1 sehr niedrig
Schweregradeinteilung und Rückfälligkeit (Mokros & Eher, eingereicht) Prozentuale Häufigkeit von Rückfällen nach PCL-R-Schweregradeinteilung (N = 702)
BIOLOGISCHE BEFUNDE
Genetische Korrelate • Einfluss verschiedener Genvarianten (z.B. COMT, MAOA, SLC6A4 etc.) auf antisoziales Verhalten, ASPS und Psychopathy • Kein deterministischer Einfluss einzelner Gene/Genvarianten auf Ausprägung von Antisozialität, sondern Interaktion zahlreicher Gene • Ca. 40-50% der Varianz von antisozialem Verhalten und ASPS können durch genetische Einflüsse erklärt werden (Ferguson, 2010; Ficks & Waldman, 2014; Rhee & Waldman, 2002; Rosenström et al., 2017)
Gen x Umwelt-Interaktion Caspi et al. (2002): Interaktionseffekt zwischen Polymorphismus des MAOA-Gens und körperlichem Missbrauch
Bildgebungsstudien ASPS • Reduziertes Volumen und Funktionalität des präfrontalen Kortex • Aber: ASPS kann kaum unabhängig untersucht werden, da oftmals Komorbiditäten (z.B. Substanzmissbrauch, Psychopathy) bestehen, die sich ebenfalls auf Gehirnfunktion und .struktur auswirken Psychopathy • Auffälligkeiten bzgl. Gehirnaktivität im limbischen, präfrontalen und insularen Bereich → Funktionelle Zusammenhänge zwischen Psychopathie und semantischer Sprachverarbeitung, Handlungsausführung und Schmerzverarbeitung, soziale Kognition und Belohnungsverarbeitung • ASPS und Psychopathy gehen möglicherweise auf unterschiedliche neurobiologische Prozesse zurück. (Glenn, Johnson, & Raine, 2013; Poeppl et al., 2018)
Antisoziale Persönlichkeitsstörung Frontale Dysfunktion Mangelnde Selbstkontrolle Enthemmtes Verhalten (kognitiv und motorisch) Mangelnde kognitive Flexibilität Mangelnde Verhaltensanpassung Untererregung Reizsuche Nicht-Wahrnehmung von Belohnung und Keine Angst vor Strafe, Wunsch nach sozialer Bestrafung Anerkennung nicht verhaltensregulierend Limbische Dysfunktion Gefühlsarmut Mangelnde emotionale Hemmung und Empathie Verminderte konditionierte Angst Geringes Vermeidungsverhalten Schwierigkeiten, emotionale Angst des Opfers induziert keine Gesichtsausdrücke zu erkennen Aggressionshemmung
BEHANDELBARKEIT
Cochrane-Studie zu Behandlung von ASPS (Gibbon et al., 2011) • 11 prospektive RCT-Studien • Behandlung von ASPS stand nur selten im Fokus (zumeist Drogen- und Substanzmissbrauch bei Patienten mit ASPS) • Legalbewährung und Aggression nur in zwei bzw. einer Studie(n) berichtet • Positive Effekte auf ASPS-spezifische Aspekte (z.B. Delinquenz, Aggression, Impulsivität) in keiner Studie berichtet • Psychotherapie (11 Studien): keine Behandlungseffekte in Bezug auf Antisozialität im Hinblick auf Legalbewährung; anderweitige positive Effekte in vier Studien • Psychopharmakologisch (8 Studien): Kriterium Aggressivität (2 Studien), davon eine mit positivem Effekt (Phenytoin)
Pharmakotherapie bei ASPS und Psychopathy (Felthous, Standford, & Saß, 2018) Wichtig: Verwendung von antiimpulsiv bzw. –aggressiv wirksamen Medikamenten (AIAA) nur nach sorgfältiger Abwägung • Schwere der Aggression • Treten Aggressionen aufgrund einer psychischen Störung (z.B. Depression, ADHS) auf, steht die Behandlung der Störung im Vordergrund • Wirkung der AIAA auf allfällige komorbide Störungen (z.B. Depressionen, bipolare Störung, Borderline) beachten • Wechselwirkung mit anderen Medikamenten beachten • Kontraindikationen beachten (z.B. Schwangerschaft, körperliche Erkrankungen, Alter)
Pharmakotherapie bei ASPS und Psychopathy (Felthous, Standford, & Saß, 2018) • Pharmakotherapie dient lediglich als zusätzlicher Baustein für umfassendes Therapiekonzept • Fokus auf impulsiver Aggression (≠ instrumentelle Aggression) • Top-down/bottom-up-Hypothese: Impulsive Aggression entsteht durch Ungleichgewicht zwischen Aggressionsimpuls (hyperaktive Amygdala) und Kontrollimpuls (hypoaktiver präfrontaler Kortex) • Positive Effekte für einige anti-impulsive, anti-aggressive agents (AIAA): • Fluoxetin, Valproat/Divaloprex, Carbamazepin/ Oxcarbazepin, Phenytoin, Lithiumsalze • Phenytoin insbesondere geeignet bei schwerer impulsiver Aggression und/oder Psychopathy • Falls AIAA ineffektiv oder kontraindiziert sind, ist Behandlung mit Neuroleptika möglich (aber: stärkere Nebenwirkungen)
Antisoziale Persönlichkeitsstörung
Persönlichkeitsprofile und Behandelbarkeit Negative Dissozialität Enthemmung Zwanghaftigkeit Distanziertheit Emotionalität
Behandlung dissozialer Straftäter (Fiedler, 2018) • Therapieoptimismus als zentraler Erfolgsprädiktor bei schwieriger Patientenklientel • Günstigere Prognose bei dissozialer Persönlichkeitsstörung und komorbiden affektiven Störungen (d.h., Ängste, Depression) • Interventionen sind idealerweise verhaltenstherapeutisch fundiert und hochstrukturiert • Trotzdem Berücksichtigung individueller Defizite und Kompetenzen
Zentrale Bestandteile erfolgreicher Therapie von dissozialen Patienten (Fiedler, 2018) Verbesserung zwischenmenschlicher und sozialer Kompetenzen → Rollenspiele → Sympathiewerbung und –vermittlung → Ärger- und Wutmanagement → Bindungsstile und intime Beziehungsmuster Opferempathie → Tatanalyse (Auseinandersetzung mit Konsequenzen von Straftaten auf Opfer im Allgemeinen und in Bezug auf eigene Straftat(en), Anfertigung von Briefen an/von Opfer) Rückfallprävention → Wichtig: schriftliche Ausarbeitung → Auflistung von Rückfallbedingungen → Planung von Bewältigungsschritten → Definition von Rückfallsignalen
Weitere Hinweise (Fiedler, 2018) Beziehungsgestaltung → Patienten im Vorfeld der Gruppentherapie individuell aufklären → Bei problematischen Patienten Gründe für Motivationsmangel im Einzelgespräch klären → Wichtig: Abschluss von Therapieprogramm wirkt sich auch bei vergleichsweise geringer Motivation positiv auf Rückfallrisiko aus
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit Die pessimistische Position Oak Ridge Study: • Behandlungsprogramm für Straftäter mit Persönlichkeitsstörungen • Mittlerer Katamnesezeitraum: 8 Jahre 4 Monate • 176 behandelte Patienten; 146 unbehandelte Patienten 100 Untreated Treated % Rückfällige Gewaltdelikte Ergebnis oftmals Grundlage für An- 80 nahme, dass Therapie Psychopathen 60 gefährlicher mache 40 Aber: Effekt vermutlich auch auf Art 20 der (unkonventionellen) Interventionen 0 zurückführbar Nonpsychopaths Psychopaths (Rice, Harris, & Cormier, 1992)
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit Die differenzierte Position 90 80 Untreated Treated Wiederverurteilungsrate 70 60 50 40 30 20 10 0 Low Factor 1 High Factor 1 (N = 278; Hare, Clark, Grann & Thornton; Behav Sci Law, 2000)
Psychopathy, Behandlung und Rückfälligkeit Die pessimistische Position Replikation der Ergebnisse (Hare, Clark, Grann & Thornton, 2000) • Behandlung fokussiert auf Aggressionskontrolle und Verbesserung sozialer Kompetenz (eher kurzfristig) • Katamneseintervall: 2 Jahre • PCL-R “alter” Faktor 1 (Interpersonell/Affektiv) als starker Prädiktor für Rückfälligkeit, auch in Abhängigkeit von Behandlung ja/nein Aber: Katamneseintervall lediglich 2 Jahre Ergebnisse bedeuten nicht, dass alle Behandlungsformen die Legalbewährung von Psychopathen beeinträchtigen
Ist Psychopathy behandelbar? Die optimistische Position • Behandlungsprogramme zur Senkung der Rückfallgefahr zeigen durchaus positive Effekte auf psychopathische Patienten (aber: quasiexperimentelle Designs) • Psychopathische Eigenschaften verändern sich im Laufe des Lebens, allerdings eher im Bereich Lebenswandel/Antisozialität als im Bereich affektiver und interpersoneller Defizite • Je mehr sich die Patienten in der Behandlung veränderten, desto geringer die Rückfallrate • Hinweise auf schädliche Effekte der Behandlung (i.S. einer Verbesserung manipulativer Fertigkeiten) fraglich (Polaschek, 2014)
FAZIT
Fazit − Antisoziale Persönlichkeitsstörung ist kein soziales Artefakt − Es existieren stabile Befunde zu organischen und genetischen Korrelaten − Die diagnostischen Voraussetzungen werden sich in den nächsten Jahren deutlich verändern → Problematik wird häufiger adressiert werden − Therapeutische Optionen sind fraglich → Wichtig erscheint die Differenzierung zwischen impulsiv, ängstlichen bzw. sozial unsicheren und unempathisch, kühlen, angstfreien Personen − Psychopaths im Sinne von Hare stellen eine besonders problematische Klientel dar
Danke für Ihre Aufmerksamkeit elmar.habermeyer@puk.zh.ch
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