Von Nummerierungsabschnitten zu Katastralgemeinden Die Bildung von Verwaltungssprengeln im 18. und 19. Jhdt. From numbering sections to cadastral ...

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Vermessung & Geoinformation 1/2021, S. 19 – 24                                                               19

Von Nummerierungsabschnitten zu Katastralgemeinden
Die Bildung von Verwaltungssprengeln im 18. und 19. Jhdt.
         From numbering sections to cadastral districts
         The formation of administrative districts in the
         18th and 19th centuries

Christoph Twaroch, Wien

Kurzfassung
In der zweiten Hälfte des 18. Jhdt. wurden auf der Basis bestehender Strukturen – wie Herrschaften, Burgfrieden,
Ortsobrigkeiten, Jurisdiktionen, Pfarren u. a. – als flächendeckende Verwaltungseinheiten Steuergemeinden und
Katastralgemeinden gebildet, aus denen Mitte des 19. Jhdt. die politischen Gemeinden als selbständige Gebiets-
körperschaften entstanden.
Schlüsselwörter: Gemeinde, Katastralgemeinde, Grenzbeschreibung, Franziszeischer Kataster

Abstract
In the second half of the 18th century based on existing structures – such as lordships, truces, local authorities,
jurisdictions, parishes etc. – the area-wide administrative units tax community and cadastral community were
formed. The political municipalities emerged as independent regional authorities in the middle of the 19th century.
Keywords: municipalities, cadastral districts, border description, cadastre

1. Zum Begriff „Katastralgemeinde“                         wird im Wege [der Vermessung] für jede Gemein-
„Katastralgemeinden sind jene Teile der Erd-               de eine eigene Mappe verfaßt, …“.
oberfläche, die … im Zeitpunkt des Inkrafttretens
dieses Bundesgesetzes im Grundsteuerkataster                 Der „Begriff der Gemeinde“ wird in den Durch-
als solche bezeichnet sind.“ (§ 7 Abs. 1 der               führungsbestimmungen erstmals näher beschrie-
Stammfassung des VermG 1). Die Erläuternden                ben: „Die Vermessung zum Behufe des Catasters
Bemerkungen 2 weisen lediglich darauf hin, „daß            wird gemeindeweise vorgenommen. … Als Ge-
die Neuregelung keine Änderung der bestehenden             meinden werden in Beziehung auf die Operatio-
Katastralgemeinden zur Folge hat“, ohne den                nen für den stabilen Cataster diejenigen Körper
Begriff näher zu umschreiben.                              erklärt, die gegenwärtig als Steuergemeinden
   Die VermG-Novelle 1975 3 ändert die Legal­              schon bestehen“ 6.
definition: „Katastralgemeinden sind diejenigen
Teile der Erdoberfläche, die im Grenzkataster oder            Interessant ist die entsprechende Stelle in
im Grundsteuerkataster als solche namentlich be-           der Neufassung der Vermessungsinstruktion
zeichnet sind“. Die Änderung wird dahingehend              aus 1856: „Die Katastral = Vermessung wird ge-
erläutert, dass „die Definition … geändert werden          meindeweise vorgenommen. … Als Gemeinden
[mußte], da die bisherige Formulierung vor allem           werden in Beziehung auf die Operationen des
jene Fälle vernachlässigt hat, in denen nach In-           stabilen Katasters diejenigen Ortschaften erklärt,
krafttreten des Vermessungsgesetzes Katastralge-           deren Insassen unter einem eigenen Ortsvorsteher
meinden neu gebildet oder aufgelassen wurden“ 4.           vereinigt und deren Umfangs = Grenzen topogra-
   Wie diese Katastralgemeinden historisch ent-            phisch geschlossen sind, und im Grundsteuer =
standen sind, bleibt unbestimmt. Das franziszei-           Provisorium als selbstständige Steuergemeinden
sche Grundsteuerpatent 5 ordnete in Z 9 an: „Es            schon bestehen“ 7.
1)   BGBl. Nr. 306/1968                                    6) § 153 f der Instruction zur Ausführung der zum Behufe
                                                              des allgemeinen Catasters …. angeordneten Landesver-
2)   508 Blg NR 11.GP
                                                              messung, Wien 1824
3)   BGBl. Nr. 238/1975
                                                           7) § 150 f der Instruction zur Ausführung der zum Behufe
4)   1422 BlgNR 13.GP                                         des allgemeinen Katasters … angeordneten Landes-
5)   Patent vom 23.12.1817, PGS Bd 45                         Vermessung, Wien 1856.
20                                                                        Vermessung & Geoinformation 1/2021

  Die Überschrift zu § 151 lautet: „Begriff der                  In den Patenten und Verordnungen vor 1849 ist
Katastral = Gemeinde“; hier – also im Jahr 1856                meist nur von Gemeinden schlechtweg die Rede.
– wird erstmals der Begriff „Katastralgemeinde“                Nur selten wird das Wort näher umschrieben.
verwendet. Sie wird als topographisch geschlos-
senes Gebiet umschrieben. Ein Bezug zu den                     3. Erfassung der Bevölkerung und der Häuser
Ortsgemeinden (nach den Gemeindegesetzen der
                                                               Der Prozess der Staatswerdung in der frühen Neu-
Jahre 1848 bis 1862; siehe unten) wurde nicht
                                                               zeit weckte auch das Interesse von Herrschern und
hergestellt. Im größten Teil der Monarchie – den
                                                               Bürokratie an quantifizierbarem Wissen über Land
„erbländischen Provinzen“ – war die Katastralver-
                                                               und Leute. Eine zentrale Bevölkerungsevidenz
messung um diese Zeit schon abgeschlossen. Die
                                                               gehörte zum Selbstverständnis eines Staates zur
Vermessungsinstruktion 1856 kam nur mehr bei
                                                               Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Die Behörden
der Katastralvermessung in Kroatien und Teilen
                                                               bemühten sich um die Erfassung der Bevölkerung
von Ungarn zur Anwendung.
                                                               und des Wirtschaftslebens. Maria Theresia führte
                                                               Volkszählungen ein, um sich bei der Steuereinhe-
2. Vieldeutigkeit des Gemeindebegriffs
                                                               bung und bei der Einberufung zum Heer auf ein
Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jhdt. wurde                 effizientes System stützen zu können.
der Begriff „Gemeinde“ für die unterschiedlichsten
                                                                  Als eine grundsätzliche Neuordnung der
Gebilde verwendet, er war daher unscharf und
                                                               staatlichen Verwaltung vorgenommen und deren
interpretationsbedürftig.
                                                               Wirkungskreis immer mehr erweitert wurde, war
   „Gemeinde“ hatte ursprünglich eine doppelte                 es notwendig, neue kleinere, geschlossene und
Bedeutung. Man verstand darunter einerseits                    durchgreifende – d. h. die Gesamtheit der Sied-
den von einer Gruppe von Nachbarn gemeinsam                    lungen, der Bevölkerung und der Landesfläche
benutzten Grund und Boden – also die Gemein                    umfassende – Verwaltungseinheiten zu schaffen
(Gmoan), Almende oder – wie der Jurist heute                   (Wutte 14).
sagt – die agrarische Gemeinschaft, anderseits
                                                                  Erhebungseinheit der Steuerfassion des There-
eine Vielheit von Personen, die durch einen ge-
                                                               sianischen Katasters10 waren – in der Tradition der
meinsamen Wohnort, durch gemeinsame Interes-
                                                               ständischen Gültbücher – die Grundherrschaften,
sen, Rechte und Pflichten miteinander verbunden
                                                               deren Flächen, Nutzungen und Erträge aufgenom-
waren und nach außen hin als Einheit auftraten 8.
                                                               men, aber nicht kartographisch erfasst wurden.
Seit Joseph II werden auch räumlich begrenzte
                                                               Gliederungseinheit waren (weiterhin) die Grund-
Gebietseinheiten als Gemeinden bezeichnet (Wut-
                                                               herrschaften, die die Ortsobrigkeit innehatten.
te 8; Hummitsch 10).
                                                                 Im Interesse der Wehrfähigkeit des Reiches
   Der Gemeindebegriff des 1811 kundgemachten
                                                               ordnete Maria Theresia 1754 eine „Seelenkonsi-
ABGB 9 umfasst jede organisierte Personenmehr-
                                                               gnation“, die „Zählung aller in jedem Orte wirklich
heit, keinesfalls aber eine politische Ortsgemeinde
                                                               vorfindigen Inwohner und Untertanen“ und eine
in unserem heutigen Verständnis. Als Gemeinde
                                                               „Häuserkonskription“, die Zählung der „Ortschaf-
gilt eine „moralische Person“, die als „Gemein-
                                                               ten und darin gelegenen oder dazugehörigen be-
schaft“, „Körper“ aus „Mitgliedern“, besteht,
                                                               wohnten Häuser“ an (Gürtler 30; Starzer 3). Die
durch „Stellvertreter“ handelt und von „weltlichen
                                                               Zählung wurde „durch die weltliche Obrigkeit und
oder geistlichen Vorstehern“ geleitet wird (Brau-
                                                               Magistrate“, aber auch durch die Pfarrer durch-
neder 159).
                                                               geführt.
8) Das Tirolische Gubernium schrieb über den Gemeinde-
   begriff 1784 an die Wiener Zentralstelle: „In Tyroll wird      Die Zählung der Seelen und der Häuser sollte
   unter der Benambsung eine gewisse, bald größere             nach Ortschaften erfolgen; was aber als Ortschaft
   bald kleinere Anzahl beysammen liegender oder auch
   einzeln zerstreuten Häuser verstanden, die gewisse          zu behandeln ist, war nicht festgelegt. Die Bevöl-
   Nutzbarkeiten an Weyden, Waldungen und beurbarten           kerung und die Häuser wurden einerseits von den
   Gründen gemeinschaftlich und mit Ausschluß anderer          Pfarren nach Seelsorgesprengeln und anderseits
   Gemeinden genießen, einen gemeinschaftlichen Beutel
   oder Cassa führen und also gewisse gemeinschaftliche        über die Herrschaften ausschließlich ziffernmäßig
   Schuldigkeiten haben zB eine bestimmte Strecke eines        erhoben. Die doppelte Erfassung und die unklare
   Wildbaches oder Stromes zu verarchen.“ (TLA Inns-           Festlegung der Zählabschnitte führte zu großen
   bruck, OÖ Hofkammer, Kopialbuch Gutachten an Hof
   1784, Band 2, fol 249; zitiert nach Kohl 121)
                                                               Differenzen in den Ergebnisdaten (Straka 140).
9) JGS Nr. 946/1811                                            10) Systemalpatent vom 26.7.1748
C. Twaroch: Von Nummerierungsabschnitten zu Katastralgemeinden                                         21

4. Nummerierungsabschnitte                            bildeten allerdings die Grundlage für die weitere
Im Jahr 1770 ordnete Maria Theresia mit zwei          räumliche Gliederung des Staates. Da sie aber
Patenten eine allgemeine Einwohnerzählung und         keine abgegrenzten Territorien sind, erwiesen sie
die systematische Nummerierung aller Häuser           sich folglich in all jenen Zweigen der Verwaltung
(Seelen- und Häuserkonskription) an, um verläss-      als unbrauchbar, in denen es um Grund und Bo-
liche Daten über die Bevölkerung zu erhalten. Bei     den ging.
dieser Volkszählung stand deutlich die Erfassung
der wehrfähigen männlichen Bevölkerung für die        5. Josephinischer Kataster
Heeresergänzung im Vordergrund. Die zentrale
                                                      Als daher unter Joseph II. die Grundsteuer regu-
Bevölkerungsevidenz sollte gleichzeitig aber auch
                                                      liert und zu diesem Zweck der gesamte Grund
fiskalischen und wirtschaftspolitischen Zwecken
                                                      und Boden vermessen und geschätzt wurde,
dienen. Die Zählung und die Häusernummerie-
                                                      musste das Staatsgebiet flächendeckend erfasst
rung erfolgte überwiegend durch Heeresoffiziere
                                                      und eine neue räumlich genau begrenzte Gebiets­
(Tantner 85).
                                                      einheit geschaffen werden: die Josephinische
   Die Grenzen der Länder und Kreise waren be-        Steuergemeinde.
reits relativ klar definiert. Doch musste der Raum
in immer kleinere territorial eindeutig abgegrenzte      Mit Hofdekreten vom 2. November 1784 und
Einheiten zerlegt werden. Die Nummerierung soll       20. April 1785 ordnete Joseph II. die Anlegung ei-
ortschaftsweise erfolgen. Jede Ortschaft, war sie     nes Steuerkatasters an, dessen Ziel die lückenlose
auch noch so klein, bildete einen eigenen Num-        Erfassung aller Grundstücke für die Grundsteuer
merierungsabschnitt. Die Häuser wurden jeweils        war. Mit den Grenzen dieser Grundstücke wurde
mit eins beginnend nummeriert, die Hausnummer         damit erstmals auch die Fläche einer Gemeinde
wird auf die Häuser aufgemalt (Tantner 61).           genauer erfasst.

   Die Abgrenzung erfolgte aber von Land zu Land         Der „Umfang der Häuser und Gründe, welcher
und teilweise auch innerhalb der Länder nach          unter dem Anfange und Schlusse eines Nume-
ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, wobei         rierungsabschnittes begriffen ist, [ist] als [“Steu-
unterschiedliche räumliche Ansatzpunkte gewählt       er“]Gemeinde“ zu betrachten. Da es aber „ganz
wurden. Vornehmlich ging man bei der Bildung          wahrscheinlich ist, daß hier Landes hie und da
der Nummerierungsabschnitte von den Siedlungs-        besonders in gebirgigen Gegenden gar zu kleine
einheiten der Pfarren aus – ohne Rücksicht auf        Numerierungsabschnitte ausfielen … so erheischt
gerichtliche oder grundherrliche Zugehörigkeit.       dieses die Vorsehung, daß man solcherfalls meh-
Das Gebiet der Grundherrschaften lag nämlich oft      rere Numerierungsabschnitte … in eine Gemeinde
räumlich weit verstreut, in manchen Dörfern waren     vereinigt, der alsdann der Name jener Ortschaft,
die Bauern jeweils anderen Herrschaften untertä-      welche darunter die stärkste ist, beizulegen wäre.
nig. Die Grenzen der Pfarren waren im Gegensatz       Eine dergleichen vereinigte Gemeinde muß daher
zu denen der Grundherrschaften und Landgerich-        wenigstens – es sei denn die Entfernung gar zu
ten am eindeutigsten, bei ihnen handelte es sich      groß – 40 oder 50 Häuser und Besitzungen in sich
am ehesten um geschlossene Territorien (Hum-          fassen“. 11
mitzsch 12).
                                                        Die Josephinische Steuergemeinde basierte in
   Einen Sonderfall stellt Kärnten dar: Hier wurde    den meisten Kronländern auf den zu Konskripti-
nicht auf die Pfarren zurückgegriffen, da diese we-   onszwecken geschaffenen Werbbezirken, die sich
gen der „allzu vermischten, untertheilten, und zer-   nach den Nummerierungsabschnitten der Militär-
streuten Laage“ nicht in Frage kommen, sondern        konskription zusammensetzten.
auf die Grenzen der Landgerichte und Burgfrieden
(Mitterauer 138).                                        Nach §§ 2 und 3 der „Belehrung für die Ortso-
                                                      brigkeiten, Jurisdizenten oder ihrer Stellvertreter
  Streng genommen bilden die 1770 geschaffe-          und Beamten; wie auch für die Gemeinden, wie
nen Nummerierungsabschnitte keine territorialen       sich dieselben bei dem bevorstehenden Geschäf-
Einheiten, da sie außerhalb des Siedlungsgebie-       te der Aufschreibung, Ausmessung und Fatierung
tes liegenden Flächen, wie z. B. Felder und Wälder
außer Acht lassen; sie umfassen nur eine Summe        11) So sind im Zuge der Schaffung des Josephinischen
                                                          Katasters etwa in der Steiermark aus 3576 Nummerie-
von Häusern, enthielten keine Flächenangaben              rungsabschnitten des Jahres 1770 (nur) 2620 Steuer-
und nannten keine Grenzen (Rabl u.a. 160). Sie            gemeinden gebildet worden (Straka, 25)
22                                                                      Vermessung & Geoinformation 1/2021

  Gränzen der Gemeinde Packein
  Dieße Gemeinde hat die gränzen von den sogenannten Petternelly-Kreuz an der Weinstraße unter
  Pogersdorf, von da nach der Straße ganz hinunter bis an das bettler Kreuz unter Woblstorf, da durch die
  gatter den Weg links bey den Bauer Taschek vorbey hinunter über das bachl an der Klampferer Keische,
  von da den Fahrtweeg an das Lassein Kreuz, weiters den Fahrweeg an die beyerisch Keusche. Von den
  Fahrtweg bey den zacko Keischler rechts vorbey durch das Dorf althofen, an die zu Rosenbichl gehörig
  Haußmüll weiter aufwärts, durch denselben Hof nach dem Weeg an das dorf Thonn aldort rechts vorbey
  nach dem zaun bey der großen Gemeinweid unter den Eichbäumen bis gegen Werda. Von da den Fußsteig
  durch den berg gegen Pogersdorf am Ende dieses berg link bey einem großen Farchbaum vorbey über
  ein klain bachl nach besagtem Fußsteig nach Poggersdorf und dem Petternelly Kreuz an der Landstraße
  sich beschliesset.
                            Josephinische Grenzbeschreibung der Steuergemeinde Packein in Kärnten
                                                                        Zitiert nach Hummitsch, 22

der Gründe zu benehmen haben“ 12 musste vor                Überblick über die Besitzverhältnisse bei Grund
Inangriffnahme der Grundabmessung die Gren-                und Boden (Drobesch 167).
zen der „dermalen wirklich bestehenden sowie der
… [neu] gebildeten Gemeinden genau bestimmt                   Abgesichert wurde die vollständige Erfassung
werden“.                                                   der Grundstücke durch die Bestimmung, dass
   Vor der Ausmessung der Gründe erfolgte also             das Verschweigen von Grundflächen bei der Fas-
eine genaue Feststellung ihrer Grenzen mit nach-           sion den Besitzverlust zur Folge hatte: „Dagegen
folgender Versteinung, die den Zweck hatte, alle           erklären und verordnen wir, daß, wenn einmal die
Grundstücke an der Gemeindegrenze, die leicht              neuen Bekenntnisse abgegeben und eingesam-
verschwiegen werden können, sicher zu erfassen.            melt sind, alle diejenigen Grümde, die nicht fatirt
Sehr häufig wurden alte Grenzen von Herrschafts-           worden, … als ein ganz verlassenes, Niemanden
ämtern als Gemeindegrenzen übernommen. Noch                gehöriges Gut anzusehen, und daher demjenigen,
heute sind josephinische Gemeindegrenzsteine,              der hievon … die Anzeige macht, unentgeltlich
erkennbar an ihrer Größe und der Jahreszahl,               und erblich als sein Eigenthum zu überlassen sind
zu finden. Die Gemeindegrenze wurde mit Hilfe              (§ 8 des Steuerpatents)“.
sichtbarer Anhaltspunkte wie Flüsse, Höhenrü-
cken, Grenzsteinen oder auch Bäumen sowie mit
Hinweisen auf die Besitzer der Grenzparzellen              6. Franziszeischer Kataster
beschrieben (Komlosy 65; Lego 16).
  Der Josephinische Kataster stellt somit die              Mit dem Conscriptions- und Recrutierungs-Patent
erste offizielle Feststellung, Vermarkung und              von Franz I (II) aus 1804 wurde das System der
Dokumentation der Gemeindegrenzen dar. Das                 Erfassung von Bevölkerung, Zugvieh und Häusern
gesamte Land ist flächendeckend mit einem                  wesentlich verfeinert, Regeln für die Erfassung er-
Netz aus Grundstücken und (Steuer-)Gemeinden               lassen und Erfassungsformulare erstellt. Mit dem
bedeckt 13. Da die räumlichen Einheiten erstmals           Grundsteuerpatent wurde eine vollständige und
vermessen wurden, erhielt der Staat zum ersten             gemeindeweise 14 Vermessung und karthographi-
Mal einen länderübergreifenden und flächenhaften           sche Darstellung des ganzen Landes angeordnet.
12) Anhang zum Patent Kaiser Josephs II. von dem neu-
    en Steuerfusse vom 20.4.1785. Beide abgedruckt bei
    Kropatschek, Handbuch aller unter der Regierung Jo-       Die Abgrenzungen der franziszeischen Katas-
    sephs des II. ergangenen Verordnungen und Gesetze      tralgemeinden hielten sich grundsätzlich an die
    VIII (1787)
                                                           sich aus den Steuergemeinden des Josephini-
13) Heute ist durch Art. 116 Abs. 1 des Bundes-Verfas-
    sungsgesetzes sichergestellt, dass es in Österreich    schen Katasters vorgegebenen Gebietseinheiten
    keine gemeindefreien Gebiete gibt. Das gesamte         (Mitterauer 143), sehr kleine Steuergemeinden
    Staatsgebiet ist in Gemeinden eingeteilt, wobei auch   wurden jedoch zu größeren Einheiten zusammen-
    alle Gewässer, Berge und sonstigen unbewohnten Ge-
    biete stets Teil einer Gemeinde sind.                  14) Vgl. die Einleitung
C. Twaroch: Von Nummerierungsabschnitten zu Katastralgemeinden                                                  23

  Grenze der Gemeinde Gaaden
  … ein 4 eckichter Markstein auf welchem auf der einen Seite rechter Hand ein + mit der Jahreszahl
  1642, und seiner anderen Seite Nr 7 eingegraben ist, dann an seiner 3ten Seite die Buchstaben I:S. und
  die Jahreszahl 1801. Die 4te Seite aber unbezeichnet ist, eingegraben sind. Von dannen in gerader Linie
  auf ebenen Wege geht man zwischen den Waldungen Mühlparz, rechterhand dem Stifte hl. Kreuz und
  links der Herrschaft Johannstein gehörig, zwischen welcher Waldung ein Ausschnitt von zwei Klafter
  breit, und zwar 1 Klafter Breite von dem Stift hl. Kreuz, und die zwote Klafter Breite von der Herrschaft
  Johannstein auf immer unterhalten werden solle, und gelangt man zum 4 eckigen Markstein Nr 8,
  welcher auf der rechten Seite ein + und der linken Seite die Buchstaben I:S. und die Jahreszahl 1801
  aufweist, auch von dem letztgenannten Markstein 90 Klafter und 2 Schritt entlegen ist. …

                        Gränzbeschreibung des Burgfriedens oder der Dorffreyheit des Dorfes Gaaden,
                                                                                        Quelle: BEV

gelegt 15. Vor der Detailaufnahme der Grundstücke            und gewährleistet werde, zur Geltung gebracht
wurde durch eine Kommission, bestehend aus                   wird“ 16.
einem Geometer, einem Politischen Kommissär,
dem Gemeindevorsteher, zweier mit dem Grenz-
                                                                Diese neu geschaffene „politische Gemeinde“
verlauf vertrauter Gemeindemitglieder und Vertre-
                                                             oder „Ortsgemeinde“, ist mit besonderen Rechten
tern der angrenzenden Gemeinde, die (Katastral)
                                                             ausgestattet (öffentlich-rechtlicher Gemeindebe-
Gemeindegrenzen begangen und das Ergebnis in
                                                             griff). Die politische, autonome Gemeinde, unters-
„vorläufigen Grenzbeschreibungen“ festgehalten
                                                             te Zelle im staatlichen Aufbau, hat sich formal
(Linden § 323).
                                                             endgültig von der Katastralgemeinde als adminis-
                                                             trativer Einheit getrennt, auch wenn die territoriale
7. Politische Gemeinden                                      Gliederung zunächst noch an die Katastralge-
                                                             meinde anknüpft. Zusammenfassungen mehrerer
In Österreich sind die (politischen) Gemeinden               Katastralgemeinde zu einer Ortsgemeinde wurden
erst ab 1848 auf der Grundlage des „Provisori-               durch die Gesetzgebung zwar zugelassen, soll-
schen Gemeindegesetzes“ aus dem Jahr 1849,                   ten aber nicht der Regelfall sein (Mitterauer 144;
des Gemeindegesetzes 1859 und des Reichsge-                  Starzer 8).
meindegesetzes von 1862 geschaffen worden.
Allen diesen Gesetzen ist als territoriales Prinzip
                                                                Eine strittige Frage bei der Konstituierung der
gemeinsam, dass sie die Ortsgemeinde auf der
                                                             politischen Gemeinde war die territoriale Festle-
Basis der Katastralgemeinde konstituieren.
                                                             gung des Gemeindegebietes. Das Gemeindege-
                                                             setz nahm die (auf den josephinischen Steuer-
   „Als Ortsgemeinde hat in der Regel die als
                                                             gemeinden basierenden) Katastralgemeinden des
selbständiges Ganzes vermessene Katastral-
                                                             Franziszeischen Katasters als Grundlage. Gegen
Gemeinde zu gelten“ (§ 1 des provisorischen Ge-
                                                             die Bestrebungen, größere, mehrere Ortschaften
meindegesetzes 1849). In den Durchführungsbe-
                                                             umfassende Gebietseinheiten zu schaffen, setz-
stimmungen heißt es weiter: „Das Gesetz erkennt
                                                             ten sich die bestehenden Kleingemeinden durch,
die Katastral-Gemeinde als Ortsgemeinde deshalb
                                                             die in der Regel auf einer Ortschaft als Kern des
an, weil 1. dadurch jede Gemeinde ein abge-
                                                             Gemeindegebietes beruhten (Komlosy 74).
schlossenes, genau begrenztes Gebieth erhält,
2. weil dadurch der faktische Bestand aufrecht
gehalten und das Recht jeder faktisch bestehen-                Die Struktur der Ortsgemeinden hat sich bis
den Ortsgemeinde, daß ihre Existenz anerkannt                1962 weitgehend erhalten. Durch Gemeindezu-
15) So wurden in Niederösterreich 4579 Ortschaften zu        sammenlegungen hat sich die Zahl der Gemein-
    3169 Katastralgemeinden zusammengezogen (Tafeln          den von 1962 bis 1971 von 3999 auf 2656 und
    zur Statistik der österr. Monarchie, zusammengestellt    derzeit auf 2.095 (Stand 1. Jänner 2020) reduziert.
    von der k. k. Direktion der administrativen Statistik,
    1847).                                                   16) Erlass des Ministeriums des Inneren, Zl 2335 aus 1849
24                                                                         Vermessung & Geoinformation 1/2021

8. Schluss                                                     Kohl Gerald: Die Forstservitutenablösung im Rahmen der
                                                                 Tiroler Forstregulierung von 1847; in: Die Agrargemein-
Die Katastralgemeinden des Franziszeischen                       schaften in Tirol, Wien 2010, 105
Katasters und die 1849 eingerichteten Ortsge-                  Komlosy Andrea: Grenze und ungleiche regionale Entwick-
meinden beruhen somit zumindest indirekt auf                     lung, Wien 2003
den bei der Konskription von 1770 geschaffenen                 Lego Karl: Geschichte des Österreichischen Grundkatas-
Einheiten. Die Nummerierungsabschnitte der                       ters, Wien oJ. [1968]
Theresianischen Zeit blieben im Wesentlichen bis               Lechner Karl: Entstehung, Entwicklung und Verfassung der
auf den heutigen Tag bestehen.                                   ländlichen Gemeinde in NÖ, in: Mayer Theodor (Hrsg):
                                                                 Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, Stuttgart
   Die Gemeinde als Gebietskörperschaft der                      1964
Kommunalebene wird in Österreich nunmehr all-                  Linden Joseph: Die Grundsteuerverfassung in den deut-
gemein „Gemeinde“ genannt, im Artikel 115 des                     schen und italienischen Provinzen der österr. Monarchie,
Bundes-Verfassungsgesetzes      „Ortsgemeinde“.                   mit vorzüglicher Berücksichtigung des stabilen Katasters,
Gelegentlich wird zur Präzisierung die Bezeich-                   Wien 1840
nung „politische Gemeinde“ verwendet – zum                     Mitterauer Michael: Pfarre und ländliche Gemeinde in den
                                                                 österr. Ländern, Stuttgart 1979, 123
Beispiel um die Unterscheidung zwischen (poli-
                                                               Rabl Gunther/Tantner Anton/Unger Eva-Maria: Von der See-
tischer) Gemeinde und Katastralgemeinde (Ver-
                                                                 lenkonskription und Häusernummerierung zum Adressre-
messungseinheit) zu verdeutlichen.                               gister, in: 200 Jahre Kataster, Wien 2017, 157
                                                               Starzer Albert: Die Konstituierung der Ortsgemeinden in Nie-
Referenzen                                                       derösterreich, Wien 1904
Brauneder Wilhelm: Von der moralischen Person des ABGB         Straka Manfred: Die Einrichtung der Numerierungsabschnit-
  zur Juristischen Person der Privatrechtswissenschaft,           te in der Steiermark 1770 als Vorstufe der Steuergemein-
  in Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechtes,        den, in: Festschrift für Otto Lamprecht, Graz 1968, 138
  Frankfurt/Main 1994, 159
                                                               Tantner Anton: Ordnung der Häuser, Beschreibung der See-
Drobesch Werner: Bodenerfassung und Bodenbewertung               len – Hausnummerierung und Seelenkonskription in der
  als Teil der Staatsmodernisierung, Theresianische Steuer-      Habsburgermonarchie, Wien, 2007
  rektifikation, Josephinischer Kataster und Franziszeischer   Wießner Hermann: Beiträge zur Geschichte des Dorfes und
  Kataster in: Geschichte der Alpen, Zürich 2009, 165            der Dorfgemeinde in Österreich, Klagenfurt 1946
Gürtler Alfred: Die Volkszählungen Maria Theresias und Jo-     Wutte Martin: Die Bildung der Gemeinde in Kärnten, Carin-
  sef II. 1753-1790, Innsbruck 1909                             thia I, 113, 1923
Hummitzsch Alfred: Die territoriale Entwicklung der Ortsge-
  meinden in Kärnten, Schriftenreihe für Raumforschung         Anschrift des Autors:
  und Raumplanung, Klagenfurt 1962                             Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Christoph Twaroch, Technische
Knechtel Gerhard: Die Rechtlichkeit des Raumes, darge-         Universität Wien, Department für Geodäsie und Geoinfor-
  stellt am Beispiel der österreichischen Katastralvermes-     mation, Rötzergasse 3/30, 1170 Wien.
  sung, in: Festschrift Winkler, 1997                          E-Mail: ch.twaroch@live.at
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