Essen und Moral. Geniessen war auch schon einfacher - ZRWP - Stiftungsversammlung proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz

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Essen und Moral. Geniessen
war auch schon einfacher

 Stiftungsversammlung proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz
 Spiez, 19. Juni 2019

 Prof. Dr. Markus Huppenbauer markus.huppenbauer@uzh.ch

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Ein neues Wort: «Orthodiät»

•    Was wir essen sollen und
     dürfen, ist zu einem Schauplatz
     erbitterter Kämpfe und
     Gewissenskonflikte geworden.
•    Im Zentrum steht die Frage der
     richtigen Ernährung (=
     Orthodiät).

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Zwei Themen
  1. ethisch korrekte Ernährung:                          Vegetarismus
     Fleischkonsum ist mit ethisch
     problematischen Folgen verbunden
     (Lebensrecht von Tieren, Tierwohl
     und Ökologie).

 2. gesunde Ernährung: Wer sich                           Gesundheit
    ungesund ernährt ist
    (a) unklug (gemessen am Ideal von
    Gesundheit, Fitness und Schönheit),
    (b) hat sich selbst nicht im Griff.

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                                         Orthodiät I: Vegetarismus und Veganismus
alphatiere-braet-horde-rindtiere-fleisch-mich/
http://www.fiftyfine.de/2011/06/18/horde-

                                                 Faktisch sind in der Schweiz 8.4% der Befragten strenge
                                                 Vegetarier und Veganer.                                   http://morgenlandfahrende.blogspot.ch/2012/04/di
                                                                                                           e-neuen-vegetarier.html

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Argumente für Vegetarismus & Veganismus

1. Argument der Empfindungsfähigkeit:
   Haltung, Transport und Tötung
   empfindungsfähiger Tiere sind häufig mit
   Leiden, Stress und Angst verbunden.
    Konflikt mit Wert «Tierwohl»
2. Ressourcenargument: Die Produktion
   von Fleisch ist ineffizient und trägt zu
   ökologischen Problemen bei
   (Treibhausgasemissionen, Landverbrauch
   usw.)
3. Tötungsverbot: Bestimmte Tiere haben
   ein Recht auf Leben, d.h. Menschen
   dürfen sie nicht zu töten.

                                                          http://www.ausgemolken.net/umwelt/

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Wie mit den Argumenten umgehen?

•     Argument 1 und 2 sprechen nicht
      grundsätzlich gegen Konsum von Fleisch.
•     Hohe Standards im Bereich des
      Tierwohls und aus ökologischen
      Gründen weniger Fleischkonsum sind
      sinnvolle Forderungen.
•     Motto: Weniger, dafür qualitativ
      besseres Fleisch – wenn möglich aus            https://www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/ich-muss-meine-sauen-vor-den-
                                                     menschen-schuetzen-1435275

      der Region.

 Argument 3: Hier scheiden sich die Geister! Pro und Kontra-Argumente haben
 Schwächen.

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Tiere töten: mögliche Argumentation

      Warum essen wir Menschen und unsere Heimtiere («pets») nicht?
     Warum schützen oder pflegen wir schwache und kranke Menschen?

 •     Mit Menschen sind Formen der Gemeinschaft
       (Beziehung und Kommunikation) möglich, die
       einzelne Menschen mit einzelnen Tieren haben
       können, aber nicht mit Tieren generell.
        Ängste, Hoffnungen, Ziele und Geschichten und
       natürlich auch moralische Fragen teilen.
 •     Moralische Rechte sind nicht die Voraussetzung,
       um zur Gemeinschaft («zu uns») zu gehören,
       sondern deren Folge.                                  http://de.depositphotos.com/9932484/stock-
                                                             photo-happy-and-joyful-old-senior.html
 •     Das Recht nicht getötet zu werden haben nur
       Mitglieder der Gemeinschaft.

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Orthodiät II: gesunde Ernährung
Wer sich ungesund ernährt, ist
1. unklug (gemessen an einem Ideal von
   Gesundheit, Fitness und Schönheit),
2. hat sich selbst nicht im Griff –
   trainiert zu wenig.

 Wie wichtig ist der orthodiätische Wert
 «Gesundheit» wirklich?

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Ein Einstieg ins Thema

•    Metastudie zum Alkohol in The Lancet (23.
     August 2018): «No level of alcohol
     consumption improves health»
•    Im «Echo der Zeit» (24. August 2018)
     «Massvoll mit Genussmitteln umgehen» habe
     ich dazu eine These vertreten:
      Vernünftige Person, die an einem guten
     Leben interessiert sind (wozu auch der Genuss
     gehöre), lassen sich von solchen Studien nicht
     abschrecken.
      Sie machen für sich eine Güterabwägung und geniessen trotz eines
     kleinen gesundheitlichen Risikos Alkohol in Massen.
•    Beim Ombudsmann ging am 25.8.2018 eine Beschwerde ein, die den
     Radiomachern vorwarf, ich würde den Alkoholkonsum verharmlosen.
•    Der Ombudsmann hat die Beschwerde abgelehnt.

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Gesundheit als oberster Wert

•    Medizinische Studien und deren Rezeption in
     der Öffentlichkeit fokussieren auf
     medizinische Gesundheit.
      Präventionsmediziner*innen und
     Gesundheitspolitiker*innen neigen dazu,
     andere Aspekte auszublenden.
•    Orthodiät-Formel:
     low-or-no-fat-sugar-alcohol-or-whatsoever
     = X Jahre länger leben

    Entscheidende Frage: Was ist Lebensqualität, was ist ein gutes Leben?

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Diät und Training
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                                                              dem-eigenen-koerpergewicht/

 •     Medizinische Sichtweise: Wir sollen uns im
       Hinblick auf Gesundheitsziele kontrolliert ernähren
       und trainieren.
        Versuchung des Paternalismus und des
       verordneten «Asketismus»
 •     Im Leben ist Üben wichtig: z.B. sich Ziele setzen
       und erreichen; Trieb- und Affektkontrolle; Umgang
       mit Rausch und Exzess usw.
 •     Ernährung und Gesundheit ist Teil von guter Lebensführung.
        Relevanz von kontrollierter Lebensführung durch «Diät» und
       Training im Hinblick auf Fitness und Gesundheit!

     Das Problem: Wenn orthodiätetische Disziplin alles dominiert und Genuss als
     Nebenfolge, nicht als Ziel eines guten Lebens gilt.

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Medizinische Ernährung statt genussvolles Essen

               Kartoffelsalat mit Mayonnaise-Joghurt-
               Sauce

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Kulinarische Praktiken und gutes Leben
 •    Orthodiätetische Sichtweise auf
      Ernährung blendet wichtige Aspekte
      des Essens aus.
 •    Kulinarische Praktiken sind für ein
      gutes Leben wichtig («Grenzen der
      Orthodiät»).
 •    Fleischgenuss ist bei uns kulturell
      ein wichtiger Bestandteil dieser
      Praktiken.                                 https://www.wohnpark-binzen.de/magazin/inspiration/eine-gelungene-
                                                 grillparty/
       Grillparty und «Sonntagsbraten»
       Früher die Metzgete auf dem
      Land mit dem sozialen Teilen des
      Fleisches

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Soziale Funktion von Essen

•    Essen in der Gemeinschaft mit anderen
     hat zivilisierende Aspekte (vgl. Ess-
     manieren und traditionelle «Rechte der
     Gastfreundschaft»).
•    Besonders deutlich in den Rollen von Gast
     und Gastgeber*in:
      (a) «Dienen» und «Sich-bedienen-
     lassen» sowie (b) Gastgeschenke und
     «Fülle» des offerierten Essens
      Ein dichtes Band sozialer Beziehungen
     entsteht.
•    Ohne Übung und Pflege gelingt das nicht.

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Was gehört zu einem guten Leben?

 1. Beziehungen in Familie, Freundschaft, Liebe, sowie in Vereinen, sozialen
    Netzwerken und Unternehmen;
 2. ökonomisch nicht per se aufwendige Tätigkeiten wie Sport, Tanzen, Kochen
    und Essen, Musik machen, Meditation, Palavern, Herumhängen, Rausch
    und Ekstase usw.;
 3. fundamentale Sicherheiten (ökonomisch und politisch);
 4. die Möglichkeit selbstbestimmt Leben und Arbeiten zu können, sowie in der
    Politik mitbestimmen zu können.

  Gesundheit ist ein wichtiger, aber letztlich nicht-notwendiger Bestandteil
  eines guten Lebens. Wir müssen eine Balance zwischen Medizin und Genuss
  finden!

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Fazit
  •    Die Frage nach dem richtigen Essen
       (Orthodiät) verdrängt vielerorts die
       Frage nach dem genussvollen Essen
       als Teil eines guten Lebens.
  •    Kulinarische Praktiken (auch Fleisch-
       essen) tragen zu einem guten Leben
       bei.
  •    Zentral ist die soziale Bedeutung von
       Essen: Gast und Gastgeber*in zu sein                  http://www.herzhaftessen.at/5-gruende-warum-wir-gerne-fleisch-essen/
       sowie gemeinsam zu geniessen stiftet
       Lebenssinn.

                   Essen Sie keine «Nährstoffe und -werte»;
               geniessen Sie Ihr Essen gemeinsam mit anderen;
             gönnen Sie sich gelegentlich einen krachenden Exzess!

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