Eurokrise und Populismus - Inklusive und exklusive populistische Parteien in der Eurozone - DVPW

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Eurokrise und Populismus
    Inklusive und exklusive populistische Parteien in der Eurozone

Magdalena Breyer | Björn Mohr
E-Mail: magdalena.breyer@fu-berlin.de |bjoern.mohr@fu-berlin.de

ABSTRACT
Die Eurokrise hat den Zusammenhang zwischen Krise und Populismus zurück auf die Agenda
sowohl der Presse als auch der Sozialwissenschaften gesetzt. Jedoch wäre es zu einfach, von
einem unmittelbaren kausalen Effekt von Krise auf den Erfolg populistischer Parteien auszu-
gehen. Stattdessen sollten wir differenziertere Konzeptualisierungen entwerfen, die die fol-
gende Frage zu beantworten vermögen: Welche Art von Krise in welchem Kontext führt zu
welchem Typ von Populismus?
Wir untersuchen in dieser Arbeit die Frage, ob verschiedene Grade der Betroffenheit durch
die Eurokrise in den Ländern der Eurozone zu verschiedenen Populismustypen geführt ha-
ben. Dabei bedienen wir uns der Unterscheidung zwischen inklusivem und exklusivem Popu-
lismus, die von Mudde und Rovira Kaltwasser (2013) eingeführt wurde. Wir entwickeln dafür
einen Index, der populistische Parteien entlang des inklusiv-exklusiv Kontinuums einordnet,
basierend auf dem Inhalt ihrer Parteiprogramme. Der Index wurde von uns auf 17 populisti-
sche Parteien in elf Ländern der Eurozone angewandt und bedient sich Daten aus dem Eu-
romanifesto Projekt von 2014. Er misst inklusive und exklusive Parteipositionen auf einer
politischen, materiellen und symbolischen Dimension. Die Ergebnisse zeigen, dass inklusive
populistische Parteien auf allen Dimensionen inklusive Policies fordern. Interessanterweise
formulieren allerdings auch exklusive populistische Parteien vorrangig inklusive materielle
Positionen, das heißt vor allem redistributive sozialpolitische Maßnahmen. Dies deutet auf
eine wohlfahrtschauvinistische Position der exklusiven Parteien hin. Dafür sprechen auch
ihre eindeutig exklusiven Forderungen auf der symbolischen Dimension, welche vor allem
Fragen der Einwanderung und nationalen Identität umfasst.
Für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 zeigt unsere Analyse folgendes: Inklusive
populistische Parteien waren vor allem in jenen Ländern der Eurozone erfolgreich, die am
stärksten von der Krise und Rezession betroffen und auf Hilfsgelder aus dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus angewiesen waren. Griechenland und Spanien sind hier hervorzuhe-
ben. Im Gegensatz dazu waren exklusive populistische Parteien in weniger betroffenen Län-
dern erfolgreich, wie etwa in Finnland, den Niederlanden und Österreich.

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Inhaltsverzeichnis

1      Einleitung ............................................................................................................................ 1

2      Populismus in der Forschung ............................................................................................. 3

    2.1 Populismus und Krise ....................................................................................................... 3

    2.2 Inklusiver und exklusiver Populismus .............................................................................. 6

3      Quantitative Analyse populistischer Parteien in der Eurozone ....................................... 10

    3.1 Die Eurokrise .................................................................................................................. 10
       3.1.1 Überblick und wichtige Daten ................................................................................. 10
       3.1.2 Operationalisierung von ‚Gläubiger‘- und ‚Schuldnerländern‘ ............................... 11

    3.2 Einteilung in inklusive und exklusive populistische Parteien ......................................... 12
       3.2.1 Fallauswahl .............................................................................................................. 12
       3.2.2 Datengrundlage – das Euromanifesto-Projekt ........................................................ 13
       3.2.3 Operationalisierung von exklusivem und inklusiven Populismus ........................... 14
       3.2.4 Ergebnisse ............................................................................................................... 16
       3.2.5 Dimensionen des EXIN ............................................................................................ 18

    3.3 Zusammenhang mit der Rolle des Landes in der Eurokrise ........................................... 18

    3.4 Schlussfolgerungen für die qualitative Analyse ............................................................. 23

4      Qualitative Analyse der Performance von Krise............................................................... 24

    4.1 Vorgehensweise ............................................................................................................. 24
       4.1.1 Modell der Performance von Krise nach Moffitt .................................................... 24
       4.1.2 Methodisches Vorgehen – Critical Frame Analysis ................................................. 25
       4.1.3 Fall- und Materialauswahl ....................................................................................... 26

    4.2 Die Freiheitliche Partei Österreichs................................................................................ 27
       4.2.1 Die FPÖ – ein kurzer Überblick ................................................................................ 27
       4.2.2 Krisen-Performance der FPÖ ................................................................................... 28

    4.3 Podemos ......................................................................................................................... 31
       4.3.1 Podemos – ein kurzer Überblick ............................................................................. 31
       4.3.2 Krisen-Performance von Podemos .......................................................................... 32
5      Podemos und die FPÖ im Vergleich ................................................................................. 35

    5.1 Vergleich der Framinganalysen ...................................................................................... 35
       5.1.1 Gemeinsamkeiten ................................................................................................... 36
       5.1.2 Unterschiede ........................................................................................................... 36

    5.2 Krise und die Dimensionen des EXIN ............................................................................. 37

6      Fazit .................................................................................................................................. 39

Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 41

Anhang...................................................................................................................................... 55
1 Einleitung
Das Phänomen Populismus hat in den vergangenen Jahren ein besonders hohes Maß an
Aufmerksamkeit erhalten – nicht nur in der Presse, sondern auch in der politikwissenschaft-
lichen Forschung. Von besonderem Interesse ist hierbei der Zusammenhang zwischen Krisen
und dem Aufstieg populistischer Parteien (Kriesi/Pappas 2015a; Moffitt 2015; Rooduijn
2015). Dieser Forschungsstrang geht der Frage nach, ob politische und ökonomische Krisen,
wie die Weltwirtschaftskrise ab 2008 oder die Staatsschuldenkrise in der Eurozone ab 2010,
Bedingungsfaktoren für die Etablierung bzw. das Erstarken populistischer Parteien darstel-
len.
In der Tat konnten Font et al. (2016) bereits zeigen, dass sich infolge der so genannten Euro-
krise in Südeuropa eine Reihe populistischer Parteien etablieren konnten.1 Dabei handelt es
sich um einen inklusiven Typ von Populismus, welcher in Europa bislang nicht zu beobachten
war. Hierbei fällt unmittelbar auf, dass Spanien, Italien und Griechenland in unterschiedli-
chen Graden zu den Ländern der Eurozone gehören, welche Rettungsmaßnahmen durch die
Europäische Union erhalten haben oder erhalten sollten. Andererseits fällt auf, dass sich in
jenen Ländern, die keine solchen Hilfen in Anspruch nehmen mussten, überwiegend populis-
tische Parteien des exklusiven Typs etablieren konnten. So haben etwa Deutschland, Finn-
land und die Niederlande die Rolle von Gläubigern eingenommen und Austeritätsmaßnah-
men gefordert, während augenscheinlich exklusive populistische Parteien Wahlerfolge er-
zielten.
Unser Erkenntnisinteresse liegt demnach bei der Frage nach der Wirkung der Eurokrise auf
den Aufstieg inklusiver und exklusiver populistischer Parteien in der Eurozone. Aus dieser
Perspektive lässt sich mithin die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Eurokrise und
den Wahlergebnissen bestimmter populistischer Parteien präziser stellen:
      Kann die Rolle des Landes in der Eurokrise als Gläubiger oder Schuldner erklären, ob
      inklusiver oder exklusiver Populismus im jeweiligen Land entstanden oder erstarkt
      ist?
Dieser Fragestellung ist bisher noch niemand systematisch und datenbasiert nachgegangen.2
Um sie mit einer möglichst breiten Datenbasis bearbeiten zu können, wählen wir ein Mixed-
Methods-Design: die sequential explanatory strategy nach John W. Creswell (2009). Sie teilt
sich in drei Phasen der Analyse: Zunächst wird in einer quantitativen Analyse der vermutete
Zusammenhang im Allgemeinen getestet. Mithilfe der Daten des Euromanifesto-Projekts
führen wir eine deskriptive Analyse der Parteiprogramme aller populistischen Parteien der
Eurozone durch. Auf dieser Grundlage werden die Parteien dem inklusiven und exklusiven
Typ zugeordnet und dies anschließend mit der Rolle des jeweiligen Landes in der Krise abge-

1
 Podemos in Spanien, Movimento 5 Stelle in Italien und SYRIZA in Griechenland.
2
 Maria Daniela Poli (2017) beschreibt einen ähnlichen Zusammenhang. Allerdings verwendet sie die weniger
präzisen Kategorien „links“ und „rechts, bzw. „EU-Gegner“ und „EU-Reformer“ und belegt ihre Thesen nicht
empirisch.
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glichen. Damit kann ein erster Überblick zu Form und Ausmaß des Zusammenhangs erstellt
werden, welcher uns dabei hilft, die Fälle für die qualitative Analyse auszuwählen.
Im zweiten Schritt dieses Designs, untersuchen wir mit qualitativen Methoden das Wie des
Zusammenhangs. Welche Bedeutung hat die Eurokrise beim Erfolg inklusiver und exklusiver
populistischer Parteien in Ländern mit unterschiedlichen Rollen in der Eurokrise? Hierzu
werden mithilfe der Critical Frame Analysis (Verloo/Lombardo 2007) die Verlautbarungen
von FPÖ und Podemos untersucht, die zwei diverse Fälle für inklusiven und exklusiven Popu-
lismus darstellen (vgl. Seawright/Gerring 2008). Geleitet wird die Analyse von Benjamin Mo-
ffitts Konzeptualisierung von Krise als festem Bestandteil von Populismus (siehe Abschnitt
2.1.4). Ein Vergleich der beiden Parteien mit Blick auf ihre Interpretationen von Krise hilft
uns, die unterschiedliche Entwicklung zu inklusivem und exklusivem Populismus zu verste-
hen.
Im dritten Abschnitt des Designs führen wir die Ergebnisse der beiden vorigen Phasen zu-
sammen und gleichen sie miteinander ab. Hierdurch wird sichtbar, inwieweit sich quantitati-
ve und qualitative Ergebnisse plausibel ergänzen und an welchen Stellen sich unsere Erwar-
tungen bestätigen. Dies stellt einen großen Vorteil der Vorgehensweise dar, denn sie erlaubt
den Gegenstand von zwei unterschiedlichen Perspektiven aus zu beleuchten. Ein weiterer
Vorteil ist laut Creswell die „straightforward nature“ (2009: 211) der sequential explanatory
strategy, welche sie unmittelbar einleuchtend und relativ einfach anzuwenden macht.
Mit dieser Arbeit gehen wir nicht der allgemeineren Frage nach, ob Krise ein objektiver Be-
dingungsfaktor von Wahlerfolgen populistischer Parteien ist.3 Stattdessen wollen wir die
Forschung zum Zusammenhang von Krise und Populismus in zweierlei Hinsicht fortsetzen:
Zum einen erhoffen wir uns durch die Betrachtung von Krise und verschiedenen Typen von
Populismus neue Erkenntnisse zum Zusammenspiel dieser beiden Phänomene. Zum anderen
wenden wir als Erste systematisch die von Moffitt (2015) vorgeschlagene Konzeptualisierung
von Krise als festem Bestandteil von Populismus an: Populismus als Performance von Krise.
Im folgenden Abschnitt werden der Forschungsstand zum Zusammenhang von Populismus
und Krise, sowie zur Unterscheidung zwischen inklusivem und exklusivem Populismus vorge-
stellt und daraus Erwartungen für unsere Ergebnisse abgeleitet. Daran schließt sich die
quantitative Untersuchung der Parteien im Sinne unserer Fragestellung an, aus welcher auch
die Fallauswahl für die anschließende qualitative Analyse folgt. Im Anschluss an den Ver-
gleich der beiden Fälle werden im letzten Abschnitt alle Ergebnisse zusammengeführt und
wir präsentieren unsere Schlussfolgerungen.

3
 Die Frage, ob Krise ein Bedingungsfaktor für den Erfolg populistischer Parteien ist, wurde bereits von Kriesi
und Pappas (2015a) bearbeitet.
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2 Populismus in der Forschung
2.1 Populismus und Krise
Der Begriff Populismus ist so umstritten, wie es die meisten Konzepte in der Politikwissen-
schaft sind. Während sich wohl noch weitgehende Einigkeit darüber herstellen lässt, welche
Akteure als populistisch zu bezeichnen sind, gibt es große Unterschiede bei der Art und Wei-
se wie verschiedene Forschungsstränge das Phänomen definieren (van Kessel 2015: 2).
Im Folgenden sollen verschiedene Definitionsansätze mit ihren Stärken und Schwächen vor-
gestellt werden. Eine besondere Rolle für unser Erkenntnisinteresse spielt hierbei das Ver-
hältnis von Populismus zum Phänomen der Krise, welches ebenfalls beleuchtet werden soll.
Abschließend stellen wir Benjamin Moffitts Konzeptualisierung von Populismus als Perfor-
mance von Krise vor.

Populismus als Ideologie
Margaret Canovan, Pionierin der Populismusforschung, äußerte in den früher 1980er Jahren
noch Zweifel an der Möglichkeit, eine einheitliche Definition für das Phänomen zu finden. Sie
führte an, dass eine solche entweder zu eng angelegt sei, um alle Spielarten von Populismus
auf der Welt zu erfassen oder zu breit, um etwas Bedeutsames über die erfassten Fälle sagen
zu können (Canovan 1982: 544).
Seitdem ist die Literatur um eine Reihe von Definitionen bereichert wurde. Die meisten Zeit-
schriftenartikel beginnen mit der sehr breit gefassten Konzeptualisierung von Cas Mudde. In
dieser Definition wird Populismus als eine Ideologie betrachtet:

         “a thin-centred ideology that considers society to be ultimately separated into two
         homogeneous and antagonistic groups, ‘the pure people’ and ‘the corrupt elite’,
         and which argues that politics should be an expression of the volonté générale
         (general will) of the people.” (Mudde 2007: 23)

Diese Ideologie ist deshalb ‘dünn’, weil sie – neben dem moralisch aufgeladenen Konflikt
zwischen Volk und Elite – wenig substanziellen Inhalt hat und dadurch mit vielen andere
ideologischen Versatzstücken kompatibel ist. Mudde zufolge muss sie gar in Kombination
mit anderen ideologischem Gehalt auftreten, da sie für sich genommen zu wenig Inhalt hat.
Dies sei die Ursache dafür, dass wir derart verschiedene Ausprägungen des Phänomens be-
obachten können. Paul Taggart spricht von einem „Chamäleon“, welches sich der jeweiligen
politischen Umgebung anpasst (Taggart 2000). Die Stärke dieser Konzeptualisierung ist, dass
sie aufgrund ihrer Breite viele Fälle einschließt und sich daher für internationale bzw. inter-
kontinentale Vergleiche eignet (Moffitt/Tormey 2014: 383).
Das Verhältnis zwischen Populismus und Krise wird in dieser Konzeption jedoch nicht aufge-
klärt. Cas Mudde lehnt nicht grundsätzlich ab, der Verbindung zwischen Populismus und Kri-
se nachzugehen, kritisiert aber die Ungenauigkeit des Begriffs ‚Krise‘. So könne man für jedes
Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts eine Krise ausmachen, in der man sich vermeintlich
befunden habe (Mudde 2007: 205).

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Populismus als das Ergebnis von Krise
In der Politischen Theorie stammt der einflussreichste Ansatz zur Definition von Populismus
von Ernesto Laclau (2005), welcher Populismus ausdrücklich nicht als abschätzigen Begriff
versteht. Ihm zufolge besteht Populismus darin, radikale Alternativen zu präsentieren und
dabei den Scheideweg, vor dem die Gesellschaft steht, als besonders dramatisch, wenn nicht
gar existenziell zu präsentieren. Demnach ist Populismus kein Defekt der Demokratie, son-
dern Ausdruck des Politischen schlechthin, nämlich der Präsentation einer grundlegend al-
ternativen Politik.
Der Vorteil dieser Definition ist, dass sie Populismus eine Funktion innerhalb des demokrati-
schen Systems zuschreibt, sodass das Phänomen hinsichtlich seines Mehrwerts für die De-
mokratie betrachtet werden kann. Jedoch vernachlässigt diese Konzeption jene antidemo-
kratischen, antipluralistischen Tendenzen, die in Verbindung mit Populismus auftreten kön-
nen und unter anderem von Müller (2016) kritisiert wurden.
Krisen spielen in dieser Perspektive eine wichtige Rolle. Laclau sieht die Krise als eine not-
wendige Bedingung für den Aufstieg von Populismus (2005: 177). Dieser Gedanke wird auch
von anderen Vertreter*innen der Essex School, wie etwa Yannis Stavrakakis vertreten. Die-
ser argumentiert, dass durch Krisen die hegemonialen Diskurse aufgebrochen werden und
somit die Möglichkeit besteht radikal andere Diskurse zu etablieren (Stavrakakis 2005: 247).
Ein ähnliches Verständnis hat Chantal Mouffe (2005), der zufolge Populismus aus Krisen der
Repräsentation heraus entsteht.

Populismus als Politikstil
Jagers und Walgrave verstehen Populismus als einen Politik-Stil und unterscheiden zwischen
„thin“ und „thick populism“ (2007: 322). Ersterer stellt demnach nur einen Kommunikations-
stil dar, welcher sich auf ‚das Volk‘ bezieht und von verschiedenen Akteuren angewendet
werden kann. Nur „thick populism“ beschreibt Organisationen, die per sé als populistisch
beschrieben werden können. Moffitt und Tormey (2014) sind ebenfalls der Auffassung, dass
sich Populismus am besten als politischer Stil konzeptualisieren lässt. Sie legen den Fokus auf
performative und ästhetische Elemente, um populistische Kommunikation zu identifizieren
und zu verstehen.
Laut Moffitt und Tormey ist die gegenwärtige Politik einer „stylisation“ und „mediatisation“
(2014: 387) ausgesetzt. So werde das Politische spektakulärer, Diskurse vereinfacht, Lösun-
gen verkürzt dargestellt und generell die Performance von Politik wichtiger. Ein politischer
Stil, verstanden als „the repertoires of performance that are used to create political relati-
ons” (Moffitt/Tormey 2014: 387), muss jedoch nicht zwangsläufig populistisch sein. Ein wei-
terer politischer Stil sei beispielsweise der erfolgreichere technokratische Stil, dessen promi-
nente Vertreterin Angela Merkel sei. Moffitt und Tormey bilden zudem ein induktives Modell
von Populismus. Es ordnet dem Konzept als politischem Stil drei Charakteristika zu, die aller-
dings nicht als Essenz oder idealtypische Eigenschaften verstanden werden sollen: Dies sind

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der Bezug zum ‚Volk‘, die Beschwörung einer Krise und bad manners, also bewusste Regel-
brüche, durch Populist*innen (Moffitt/Tormey 2014: 390–392).
Der Vorteil dieser Konzeption von Populismus ist, dass er das Phänomen nicht an einzelnen
Akteuren festmacht, sondern den Blick auf die Art der Kommunikation lenkt, die Populismus
ausmacht. So können auch Fälle miteinbezogen werden, die sich nicht konsequent populis-
tisch verhalten (Moffitt/Tormey 2014: 393). Denn Populismus wird nicht als ‚Ding‘ verstan-
den, sondern als zu ‚performender‘ Stil. Auch der relationale Charakter von politischer Re-
präsentation als Vertretungsanspruch gegenüber einem Publikum wird so berücksichtigt.
Zudem besteht keine Schwierigkeit mehr, Populismus über das politische Spektrum hinweg
zu identifizieren und untersuchen, da sowohl linke als auch rechte Politiker*innen populis-
tisch kommunizieren können (Moffitt/Tormey 2014: 392–393). Die Schwäche dieser Defini-
tionen liegt in der Abgrenzbarkeit, denn es lässt sich nur schwer festlegen, was nach den
gebotenen Kriterien als Populismus zu gelten hat und was nicht.

Populismus als ‚performing crisis‘
Die Betrachtung von Populismus als politischem Stil ist gut geeignet, um das Verhältnis von
Populismus und Krise zu untersuchen. Benjamin Moffitt hat einen Ansatz entwickelt, in dem
Krise nicht länger als exogener Faktor für Populismus zählt, sondern ebenso sehr von Popu-
lismus selbst ‚ausgelöst‘ wird (2016, 2015). Gleichzeitig überwindet er eine der größten Hür-
den in der Forschung zum Nexus von Populismus und Krise – die Definition von Krise. Eine
Krise ist nach Moffitt sozial konstruiert und hängt von dem intersubjektiven Verständnis der
Situation ab. Sie lässt sich als Akt der Identifizierung von verschiedenen Defekten oder Stö-
rungen verstehen, der diese verknüpft und als systemisches Versagen darstellt (Moffitt
2015: 197). Dies können zum Beispiel Defekte des finanziellen oder politischen Systems sein.
Populistische Akteure tragen zur Konstruktion einer Krise wesentlich bei, indem sie diese
‚performen‘.
Krise kann weder in der Wissenschaft noch in der Politik objektiv dargelegt werden, sondern
muss immer als solche vermittelt werden (Moffitt 2015: 195). Ein Defekt verlangt noch nicht
automatisch, dass unmittelbar gehandelt werden muss, während eine Krise diese Dringlich-
keit impliziert (Moffitt 2015: 197). Moffitt legt dar, dass dies ein wichtiger Bestandteil popu-
listischer Kommunikation ist. Er beschreibt sechs Stufen, in denen Populist*innen Probleme
identifizieren und auf das Niveau einer Krise heben, die Verantwortung den Eliten zuweisen
und durch geschicktes Erscheinen in den Medien ein positives Selbstbild propagieren (2015:
198–210). Der Begriff Performance soll signalisieren, dass die Konstruktion von Krise über
inhaltliche Diskurse hinausgeht und den Kontext sowie Formate der Kommunikation wie
Videos, Plakate, Events oder Memes miteinbezieht. In Abschnitt 4.1.1 erläutern wir, wie wir
diese Überlegungen in der Analyse umsetzen.

Populismus und Krise – Ein Zwischenfazit
Cas Mudde liefert mit seiner Minimaldefinition bereits eine nützliche Grundlage, um das
Phänomen Populismus von anderen zu isolieren. Ihre weite Verbreitung dürfte damit zu-
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sammenhängen, dass die in ihr enthaltenen Elemente tatsächlich in allen Parteien zu finden
sind, die im Allgemeinen für populistisch gehalten werden. Die Minimaldefinition bildet auch
in dieser Arbeit die Grundlage für die Fallauswahl im quantitativen Teil. Das Universum der
Fälle enthält somit alle Parteien innerhalb der Eurozone, die die Gesellschaft in zwei homo-
gene Gruppen („korrupte Elite“ und „reines Volk“) aufteilen und von einem objektiven
Volkswillen („volontée générale“) ausgehen.
Wie wir dargelegt haben, genügt Muddes Definition jedoch nicht für unsere Fragestellung,
da sie die Beziehung zwischen Krise und Populismus nicht hinreichend beleuchtet. Um zu
betrachten, welche Formen der Populismus im Anschluss an die Eurokrise in Europa ange-
nommen hat, eignet sich ein performatives Verständnis von Populismus, wie es Benjamin
Moffitt formuliert hat (Moffitt 2015; Moffitt/Tormey 2014). Mithilfe seines und Simon
Tormeys Ansatzes, Populismus als politischen Stil zu betrachten, gehen wir im qualitativen
Teil der Frage nach, wie die Krise in eben jenen Stil inkorporiert wurde. Der Mehrwert dieser
Definition liegt also weniger in der Eingrenzung des Gegenstandsbereichs, welche von Mud-
des Definition bereits geleistet wird, sondern in der Öffnung einer Analyseperspektive zur
Beantwortung unserer Fragestellung. Die beiden Konzeptualisierungen schließen einander
hierbei nicht aus, da sie auf unterschiedlichen Ebenen liegen und unterschiedliche Funktio-
nen innerhalb des Forschungsdesigns einnehmen.

2.2 Inklusiver und exklusiver Populismus
Dimensionen von inklusivem und exklusivem Populismus
Die Unterscheidung von einem inklusiven und einem exklusiven Typen des Populismus zielt
grundsätzlich darauf ab, ideologische Unterschiede zwischen populistischen Akteuren oder
Parteien systematisch darzustellen. Dabei ist dementsprechend die Annahme wichtig, dass
ideologisch und programmatisch verschieden geprägte Bewegungen populistisch sein kön-
nen. Wir berufen uns in der Arbeit nicht auf die gängige Unterscheidung zwischen linkem
und rechtem Populismus,4 sondern auf jene zwischen inklusivem und exklusivem Populis-
mus, die vor allem den Einschluss oder Ausschluss bestimmter Gruppen in den Vordergrund
stellt. Dies hat den Vorteil einer systematischeren inhaltlichen Definition der beiden Subty-
pen, da unter links und rechts breitere, vielfältigere Aspekte vereint werden.
Mudde und Rovira Kaltwasser (2013) entwickelten die Subtypen des inklusiven und exklusi-
ven Populismus anhand der regionalen Unterschiede zwischen europäischem und latein-
amerikanischem Populismus. Sie bauen auf den drei Dimensionen von Filc (2010: 128–138)
auf: Dies sind die materielle, die politische sowie die symbolische Dimension. Filc entwickelte
die genannten Dimensionen in einer Studie zu rechten politischen Strömungen in Israel, je-
doch definierten erst Mudde und Kaltwasser sie in einer systematischen Weise (2013: 158).
Wichtig ist, dass die drei Dimensionen kein Teil einer Definition von Populismus sind, son-

4
 Die Unterscheidung zwischen linkem und rechtem Populismus nutzen beispielsweise Rooduijn (2014), Kriesi
und Pappas (2015b: 5) und Rovira Kaltwasser (2014: 496).
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dern Subtypen kennzeichnen. Somit sind inklusive oder exklusive Positionen keine spezifisch
populistischen Eigenschaften.
Die materielle Dimension betrifft die Verteilung von öffentlichen Mitteln, die finanziell sein
können, aber nicht müssen. Eine inklusive Position wäre hier die Forderung, bestimmten
Gruppen mehr Ressourcen zukommen zu lassen, zum Beispiel um Diskriminierung gegen sie
zu überwinden. Materielle Exklusion würde dagegen bedeuten, bestimmten Gruppen den
Zugang zu öffentlichen Mitteln wie Wohlfahrtsleistungen zu verwehren (Mudde/Rovira
Kaltwasser 2013: 158–159). Auf der politischen Dimension definieren Mudde und Rovira
Kaltwasser Inklusion und Exklusion im Sinne der zwei Grundprinzipien der Demokratie nach
Robert Dahl (1979), politischer Partizipation und Wettbewerb um politische Macht. Exklusi-
on bedeutet, die Teilnahme oder Repräsentation einer Gruppe in der politischen Arena zu
verhindern. Dagegen ist es inklusiv, die erhöhte Teilhabe oder Repräsentation der Bevölke-
rung insgesamt oder einer spezifischen Gruppe zu fordern (Mudde/Rovira Kaltwasser 2013:
161). Darunter fallen etwa die Forderungen nach plebiszitären Elementen oder nach der
Ausweitung politischer Rechte auf marginalisierte Gruppen.
Schließlich betrifft die symbolische Dimension die Art und Weise, wie die Grenzen ‚des Vol-
kes‘ und ‚der Elite‘ definiert und kommuniziert werden. Wenn bestimmte Gruppen für popu-
listische Bewegungen nicht Teil ‚des Volkes‘ sind, würde das eine exklusive Einordnung be-
deuten. Andersherum werden Gruppen symbolisch in ‚das Volk‘ eingeschlossen, wenn sie
explizit in dessen Definition vorkommen. Als Beispiel nennen Mudde und Kaltwasser die In-
klusion von indigenen Völkern in die Definition ‚des Volkes‘ in Bolivien (Mudde/Rovira Kalt-
wasser 2013: 164). Die Autoren zeigen, dass die bei ihnen betrachteten Fälle5 alle sowohl
inklusive als auch exklusive Positionen vertreten. Anhand der drei Dimensionen lassen sich
populistische Akteure und Bewegungen jedoch recht klar dem einen oder anderen Subtypus
zuordnen, je nach überwiegendem Trend. Die europäischen, rechten Populisten sind ihnen
zufolge überwiegend exklusiv, während die lateinamerikanischen, linken Populisten vor al-
lem inklusiv sind (2013: 167). Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass für den inklusiven la-
teinamerikanischen Populismus die sozioökonomische bzw. materielle Dimension sehr wich-
tig ist, während der exklusive europäische Populismus vor allem eine dominierende soziokul-
turelle bzw. symbolische Dimension aufweist (Mudde/Rovira Kaltwasser 2013: 167).

Inklusiver und exklusiver Populismus in der Eurokrise
Stavrakakis und Katsambekis (2014: 135) zeigen allerdings anhand einer Untersuchung von
Syriza in Griechenland, dass die regionale Unterteilung in lateinamerikanischen inklusiven
Populismus und europäischen exklusiven Populismus nicht mehr gilt. Sie argumentieren,
dass die europäische Krise diese schematische Einteilung verkompliziert habe und dazu füh-
re, dass auch in Europa inklusive populistische Kräfte entstehen können (2014: 135). Hier
setzen Font, Graziano und Tsakatika (2016) an: Sie untersuchen, inwiefern die populistischen
Bewegungen in den von der Weltwirtschaftskrise stark betroffenen südeuropäischen Län-

5
  Dies sind Jean-Marie Le Pen - FN, Jörg Haider - FPÖ, Evo Morales - Movimiento al Socialismo und Hugo Chávez
- Partido Socialista Unido de Venezuela.
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dern Beispiele für einen inklusiven Populismus sind. Dabei vergleichen sie Syriza in Griechen-
land, Podemos in Spanien und das Movimento 5 Stelle in Italien. Auch Font et al. nutzen als
Operationalisierung des inklusiven Subtypus die drei Dimensionen von Filc (2010). Aus der
Analyse ergibt sich, dass Podemos und Syriza recht nah an einem Idealtyp des inklusiven
Populismus sind, während das Movimento 5 Stelle auf der materiellen und politischen Di-
mension nicht als inklusiv bezeichnet werden könne (Font et al. 2016: 29).
Font et al. schließen aus der Untersuchung, dass die Rezession Gelegenheiten für den Auf-
stieg von populistischen Parteien geschaffen habe (2016: 30). Warum in Südeuropa aber
inklusive und keine exklusiven Bewegungen entstanden seien, müsse noch genauer unter-
sucht werden. Zwei mögliche Erklärungen seien jedoch denkbar: Einerseits könnten die in-
klusiven Populist*innen den Konflikt zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung
neu und erfolgreich besetzen und dabei das Augenmerk wieder auf die sozioökonomische
Dimension lenken, während rechte politische Kräfte politische und kulturelle Konflikte be-
tont hätten (Font et al. 2016: 30). Andererseits könnte eine Krise der Sozialdemokratie dazu
geführt haben, dass die neuen Parteien mit inklusivem Populismus erfolgreich sind. Denn
sozialdemokratische Politik, insbesondere keynesianische Wirtschaftspolitik, sei aufgrund
der Konsequenzen der Globalisierung und europäischen Integration schwieriger zu verwirkli-
chen, was zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit dieser Parteien geführt habe (Font et al.
2016: 31).
Der Begriff des exklusiven Populismus wurde dagegen in der Forschung noch nicht konkret
mit der Eurokrise in Verbindung gebracht. Stattdessen soll hier kurz die Forschung zum gän-
gigeren Typ des Rechtspopulismus und seinem Zusammenhang mit ökonomischen Krisen
dargelegt werden. Mudde zeigt, dass die Große Rezession in Europa entgegen vieler Erwar-
tungen zu keinem starken Zuwachs der Unterstützung für rechtspopulistische Parteien in
Europa führte (2014). Allerding stammt dieser Artikel aus der Zeit vor der Europawahl 2014
und er betrachtet auch explizit rechtsradikale und rechtsextreme Parteien, unter die zu die-
sem Zeitpunkt die AfD und UKIP nicht fallen. Mudde zufolge ist die von ihm empirisch beleg-
te Entwicklung plausibel, da Wirtschaftskrisen zwar oft politische Unzufriedenheit hervorrie-
fen, diese sich aber keineswegs vor allem in der Wahl rechtspopulistischer Parteien zeige
(2014: 24). Stattdessen könnten auch etablierte Oppositionsparteien sowie andere alte und
neue Protestparteien profitieren. Genau wie Font et al. sieht auch Mudde sozioökonomische
Themen nicht als Kerninhalte rechtspopulistischer Parteien, weswegen sie die steigende
Aufmerksamkeit gegenüber der wirtschaftlichen Krise auch nicht direkt ausnutzen könnten
(Mudde 2014: 24).
Auch van Kessel (2015) sieht ökonomische Krisen eher als Erfolgschance für linkspopulisti-
sche Parteien denn für Rechtspopulisten. Jedoch könnten die Folgen der Krise auch rechts-
populistischen Parteien nützen:

        „Yet economic hardship can be expected to benefit populist parties without a left-
        wing ideology as well, if the economic situation instigates a more general mood of
        dissatisfaction with the political establishment.” (van Kessel 2015: 25)

                                                                                             8
Deswegen betrachtet van Kessel ökonomische Not generell als Katalysator für den Erfolg
populistischer Parteien. Durch die Rezession ab 2008 könnten auch rechtspopulistische Par-
teien ihre sozioökonomischen Positionen überdenken und priorisieren, um mit wohlfahrts-
chauvinistischen Programmen mehr Wähler zu erreichen (van Kessel 2015: 26).
Kriesi und Pappas (2015a) zufolge ist es vor allem die Kombination einer politischen Krise mit
der ökonomischen Krise, welche Populismus begünstigt (Pappas/Kriesi 2015: 324). Die Re-
zession könne den schon bestehenden Erfolg der europäischen rechtspopulistischen Partei-
en durch steigende ökonomische Ungleichheit und politische Unzufriedenheit weiter ver-
stärken. Die Schuldenkrise führe zudem zu einem Konflikt zwischen ‚Schuldner‘- und ‚Gläubi-
gerländern‘ und erlaube es sowohl linken als auch rechten Populist*innen, neben nationalen
Eliten auch supranationale Eliten wie die ‚Troika‘ oder Eliten aus anderen Ländern zu atta-
ckieren (Kriesi/Pappas 2015b: 8)
Auf diesem Stand der Forschung aufbauend, formulieren wir folgende Erwartungen an den
Typus der entstandenen populistischen Parteien in den verschiedenen Ländern der Eurozo-
ne:
   1. Die Rolle eines Landes in der Eurokrise beeinflusst den Typ des dort erstarkten Popu-
       lismus.
   2. In ‚Schuldnerländern‘, die am stärksten von der Krise betroffen waren, entstanden
       und erstarkten inklusive populistische Parteien.
   3. In ‚Gläubigerländern‘ entstanden oder erstarkten exklusive populistische Parteien.
   4. Erfolgreiche populistische Parteien bieten, der Rolle ihres Landes in der Eurokrise
       entsprechend, inklusive oder exklusive Interpretationen der Krise an.

                                                                                            9
3 Quantitative Analyse populistischer Parteien in der Eurozone
Die quantitative Analyse erfolgt in folgenden Schritten: Ein kurzer Überblick über die Euro-
krise dient zunächst dazu, die Operationalisierung der unabhängigen Variable der Rolle der
Länder zu erläutern. Daran schließt sich eine Beschreibung unseres Fallauswahlverfahrens
und unserer Datengrundlage, dem Euromanifesto-Projekt an. Wir bilden den EXIN-Index aus
den Indikatoren des Euromanifesto-Projekts, um die Parteien als inklusiv oder exklusiv ein-
zuordnen und daraufhin unsere Forschungsfrage zu beantworten.

3.1 Die Eurokrise
3.1.1 Überblick und wichtige Daten
Der Begriff der Eurokrise bündelt verschiedene Aspekte einer Staatsschuldenkrise, einer
Bankenkrise und einer Finanzkrise in der Europäischen Union. Während die weltweite Fi-
nanzkrise 2007 ausbrach, begann die Eurokrise im Anschluss daran im Dezember des Jahres
2009. Zu diesem Zeitpunkt wurde die bevorstehende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands
bekannt, dessen Staatsschulden bei 125% des Bruttoinlandsproduktes lagen (Illing 2017: 53).
Im April 2010 musste Griechenland das erste Mal Finanzhilfen beantragen, um eine Staatsin-
solvenz zu verhindern (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg o. J.).
Seit Mai 2010 verabschiedeten die Staaten der Eurozone, die Europäische Zentralbank (EZB)
und der Internationale Währungsfonds (IWF) verschiedene Maßnahmen, um der Krise ent-
gegenzutreten. Zudem wurde schon 2010 ein institutionalisierter Rettungsmechanismus von
den Staats- und Regierungschefs beschlossen, der auch weitere Länder wie Irland und Portu-
gal auffangen sollte. Zunächst gehörten dazu die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität
(EFSF), der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und Kredite des IWF mit
einem Gesamtumfang von bis zu 750 Milliarden Euro (Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg o. J.). Ab Oktober 2012 ersetzte der Europäische Stabilitätsmechanis-
mus (ESM) als dauerhafter Krisenmechanismus die EFSF. Entsprechende Hilfspakete wurden
für Irland (2010) und Portugal (2011) bereitgestellt. Zudem zeigte sich die EZB bereit, Staats-
anleihen von kreditbedürftigen Ländern aufzukaufen, zunächst nur von Ländern, die Hilfspa-
kete erhalten hatten, ab August 2011 dann zusätzlich von Italien und Spanien.
Im Rahmen eines zweiten Hilfspaketes für Griechenland wurde Mitte 2012 – am Höhepunkt
der Eurokrise – ein Schuldenschnitt durchgeführt, der sich allerdings nur auf private Gläubi-
ger bezog (Stratenschulte 2013). Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich im
Juni 2012 zudem auf eine zentrale Bankenaufsicht für die Währungsgemeinschaft, die es
dem ESM ermöglichen sollte, angeschlagenen Banken direkt Geld zu leihen. Dies entsprach
vor allem einer Forderung Spaniens (Landeszentrale für politische Bildung Baden-
Württemberg o. J.). Danach, Mitte bis Ende 2012, beantragte Spanien Hilfen aus dem Ret-
tungsschirm für den überschuldeten Bankensektor.
Auch das hoch verschuldete Zypern stellte Mitte 2012 einen Antrag auf Hilfen aus dem ESM,
die Anfang 2013 gewährt wurden. Dagegen stellte Italien, obwohl es ebenfalls hoch ver-
schuldet war und von den Ratingagenturen herabgestuft wurde, keinen Antrag auf Hilfe, da
                                                                                            10
es zu harte Sparauflagen verhindern wollte. Denn die Länder, die Mittel aus dem Rettungs-
fond erhalten, müssen sich der Prüfung durch die Troika – bestehend aus Vertreter*innen
der EU-Kommission, der EZB und des IWF – stellen. Nur wenn Sparauflagen erfüllt wurden
und sich ein Erfolg der Reformen einstellt, erhält das Land neue Hilfsmittel (Landeszentrale
für politische Bildung Baden-Württemberg o. J.).
Obwohl die Rezession anhielt, war ab Ende 2012 eine Stabilisierung und Normalisierung der
Situation zu beobachten, sodass die Euro-Zone nicht mehr in akuter Gefahr schien. Das deu-
tet Illing als Ende der Eurokrise, da auch der Begriff ‚Krise‘ langsam aus den Medien und der
Öffentlichkeit verdrängt wurde (Illing 2017: 122). Die wirtschaftliche Lage und Arbeitslosen-
quote in den am meisten betroffenen Ländern blieben jedoch kritisch. Auch 2014 konnte
noch nicht von einer wirklichen Erholung gesprochen werden: Trotz der leicht gestiegenen
Kreditwürdigkeit von Griechenland und Spanien und des Ausstiegs Portugals und Spaniens
aus dem ESM versuchte die EZB weiterhin, die Wirtschaft mit niedrigem Leitzins anzukurbeln
(Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg o. J.). Somit lässt sich im Gegen-
satz zum Beginn der Eurokrise kein definitiver Schlusspunkt feststellen, da auch nach unse-
rem Betrachtungszeitraum des Jahres 2014 vor allem die Wahlen in Griechenland 2015 wie-
der Aufmerksamkeit auf das Thema zogen. Außerdem wurde im August 2015 ein drittes Ret-
tungspaket für Griechenland beschlossen (Rose 2016).
3.1.2 Operationalisierung von ‚Gläubiger‘- und ‚Schuldnerländern‘
Den Staaten der Eurozone teilen wir jeweils eine Rolle in der Eurokrise zu, um anschließend
zu untersuchen, wie sich die Rolle als ‚Gläubiger‘- oder ‚Schuldnerland‘ auf den inklusiven
oder exklusiven Typ der populistischen Parteien auswirkt. ‚Schuldnerländer‘ sind nach unse-
rer Einteilung jene Länder, die Mittel aus Rettungsschirmen der EU erhalten haben, also aus
dem ESM oder seinen Vorgängern. Konkret sind das Griechenland, Portugal, Irland, Spanien
und Zypern (Rose 2016). Somit legen wir keine ‚objektiven‘ Krisenindikatoren wie etwa die
Staatsschuldenquote an, da die Länder sich aktiv für einen Antrag der Rettungspakete ent-
scheiden mussten. Wie oben erwähnt, entschied sich Italien nicht dafür. Auch Slowenien,
das als weiterer Kandidat für den Rettungsschirm gehandelt wurde, stellte keinen Antrag auf
Hilfsmittel (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg o. J.).
Da alle Länder der Eurozone – auch die ‚Schuldner‘ – Kapital in den ESM einzahlen bzw. ab-
rufbares Kapital garantieren (Bundesministerium der Finanzen o. J.), lassen sich die ‚Gläubi-
gerländer‘ weniger intuitiv identifizieren. Für diese Arbeit gelten alle Länder als ‚Gläubiger‘,
die kein Rettungspaket beantragten und erhielten. Es ist anzunehmen, dass diese Länder
aufgrund des eingezahlten oder garantierten Kapitals großes Interesse an strengen Vorgaben
für die ‚Schuldner‘ haben.
Allerdings räumen wir in dieser Operationalisierung Platz für Grenzfälle ein: Denn Italien und
Slowenien entschieden sich vor allem gegen die Beantragung von Mitteln aus dem ESM, um
zu harte Sparauflagen zu verhindern. Trotzdem werden sie weithin als ‚Krisenländer‘ aufge-
fasst (Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg o. J.), weswegen beide Län-
der hier in eine dritte Kategorie des Grenzfalls eingeordnet werden.
                                                                                             11
3.2 Einteilung in inklusive und exklusive populistische Parteien
3.2.1 Fallauswahl
Welche Arten von populistischen Parteien sind in welchen Ländern der Eurozone entstanden
oder erstarkt? Wir betrachten hier nur Länder, die bereits während der Eurokrise ab 2009
Mitglieder der Eurozone waren. Somit fallen Lettland (Mitglied seit 2014) und Litauen (Mit-
glied seit 2015) heraus. Bei der Auswahl der Parteien war Kriterium, dass sie gemäß unserer
Definition populistisch sind. Zudem wurden nur relevante Parteien ausgewählt, hier definiert
als solche, die bei der Wahl zum europäischen Parlament im Jahr 2014 mehr als 2 Prozent
der Stimmen in ihrem Land gewinnen konnten. Eine Einschränkung ergibt sich aus unserer
Entscheidung, für die Einteilung in exklusive und inklusive populistische Parteien das Euro-
manifesto Project für die Europawahl 2014 zu nutzen. Allerdings ist die luxemburgische Al-
ternativ Demokratesch Reformpartei ist die einzige relevante und populistische Partei, die
nicht im Euromanifesto-Datensatz vertreten ist. Die Datengrundlage wird im Abschnitt 3.2.2
genauer erläutert.
Als populistisch fassen wir für die Fallauswahl der Arbeit solche Parteien auf, die die Gesell-
schaft in zwei homogene Gruppen – die ‚korrupte Elite‘ und das ‚reine Volk‘ – aufteilen und
von einem objektiven Volkswillen ausgehen (Definition nach Mudde 2007: 23). Um die rele-
vanten populistischen Parteien zu identifizieren, verlassen wir uns auf in der Forschung be-
währte Einordnungen der Parteien, die mit unserer Populismusdefinition übereinstimmen.
Stijn van Kessel leistet solch eine überzeugende Übersicht populistischer Parteien in Europa
(2015: 11). Als weitere Grundlage für die Fallauswahl dient das 2014 Chapel Hill Expert Sur-
vey (CHES), eine von Experten vorgenommene Einschätzung der Parteien (Bakker et al.
2015). Diese Quelle ist im Sinne einer breiteren und somit verlässlicheren Datenbasis sinn-
voll. Im CHES wird die Wichtigkeit von anti-elitärer Rhetorik einer Partei auf einer Skala von 0
bis 10 eingeschätzt. Nach dem Vorbild von Hernández und Vidal (2016) gelten für uns Partei-
en als populistisch, die auf dieser Skala über dem Wert von 7,5 liegen. Jene Parteien, die
sowohl van Kessel als auch das CHES als populistisch einteilen, sind als unumstrittene Fälle
auch in unsere Fallauswahl aufgenommen.6
Strittige Fälle, die von van Kessel und dem CHES unterschiedlich eingeschätzt werden, wur-
den von uns nach weiterer Literaturrecherche eingeordnet. So gehörten zu den strittigen
Fällen, die wir letztendlich aufgrund des Forschungsstandes als populistisch einstuften die
Alternative für Deutschland (Decker 2016: 9–11; Lewandowsky 2015), die kommunistische
KKE aus Griechenland (Gemenis/Dinas 2010: 188), Die Linke aus Deutschland und Forza Italia
aus Italien (für beide siehe van Hauwaert/van Kessel 2017: 8). Die griechische Goldene Mor-
genröte wurde nicht aufgenommen, da sie vor allem rechtsextrem, nicht aber populistisch
ist (van Kessel 2015: 49). Tabelle 1 zeigt die ausgewählten Parteien. Einige Länder der Euro-
zone – Portugal, Slowenien, Malta, Estland, Zypern – sind nicht aufgeführt, da es dort keine
relevante populistische Partei gibt. Dies ist besonders interessant, da Portugal und Zypern
zwei ‚Schuldnerländer‘ sind und Slowenien zumindest ein Grenzfall ist. Der Zusammenhang

6
    Siehe Tabelle I im Anhang, die die Kriterien der Fallauswahl darlegt.
                                                                                             12
zwischen Krise und dem Aufkommen oder Erstarken von Populismus bestätigt sich also zu-
mindest in diesen drei von insgesamt 17 Ländern nicht.
Tabelle 1: Fallauswahl - Populistische Parteien in der Eurozone

Land                    Partei                    Kürzel               Wahlergebnis     Veränderung zu
                                                                         2014 in %7          2009 in %
Belgien                 Vlaams Belang             VB                              4,3             - 5,6
                        Die Linke                 Linke                           7,4             - 0,1
Deutschland             Alternative für           AfD                             7,1             +7,1
                        Deutschland
Finnland                Perussuomalaiset          PS                             12,9             +3,1
Frankreich              Front National            FN                             24,9            +18,6
                        Syriza                    Syriza                         26,6            +21,9
                        Kommounistiko             KKE                             6,1             - 2,2
                        Komma Elladas
Griechenland
                        Anexartitoi Ellines       ANEL                            3,5             +3,5
                        Laikos Orthodoxos         LAOS                            2,7             - 4,5
                        Synagermos
Irland                  Sinn Féin                 SF                             19,5              +8,3
                        Movimento 5 Stelle        M5S                            21,5             +21,5
Italien                 Forza Italia              FI                             16,8          - 18,458
                        Lega Nord                 LN                              6,2              - 4,1
Niederlande             Partij voor de Vrijheid   PVV                            13,2              - 3,7
Österreich              Freiheitliche Partei      FPÖ                            19,7             +7,0
                        Österreichs
Slowakei                Obyčajní ľudia a          OL'aNO                          7,5             +7,5
                        nezávislé osobnosti
Spanien                 Podemos                   Podemos                         8,0             +8,0
Eigene Darstellung

3.2.2 Datengrundlage – das Euromanifesto-Projekt
Die oben dargelegten drei Dimensionen, die einen exklusiven oder inklusiven Populismus
kennzeichnen, beinhalten vor allem inhaltliche, ideologische Kriterien. Insofern ist es sinn-
voll, die Parteien anhand inhaltlicher Positionen auf der materiellen, politischen und symbo-
lischen Dimension einzuordnen. Hierfür eignen sich Parteiprogramme, da sie die inhaltlichen
Schwerpunkte einer Partei zusammenfassen. Sie werden intern debattiert und entschieden,
weswegen sie die gesamte Partei gut repräsentieren können (Cole 2005: 209). Dahinter
steht die Annahme, dass Parteien eigenständige Akteure darstellen und ihre eigenen Positi-
onen bestimmen, die sich über Fremdeinschätzungen oder Positionen der Wähler*innen nur
indirekt erfassen lassen. Allerdings nehmen Parteiprogramme Parteien als einheitliche Ak-
teure wahr.

7
    Ergebnis bei der Europawahl 2014
8 Forza Italia war 2009 Teil des Parteienbündnisses   Il Popolo della Libertà.
                                                                                                           13
Daten zu den in Programmen vertretenen Positionen von Parteien finden sich vor allem im
Manifesto Project Database. Allerdings sind hier nicht für alle Parteien in der Fallauswahl
aktuelle und vergleichbare Daten verfügbar, da die Programme jeweils zu den nationalen
Wahlterminen kodiert werden. Für unser Projekt ist deswegen das 2014 Euromanifesto Pro-
ject (Schmitt et al. 2016b) besser geeignet. Denn so kann die Arbeit auf Informationen zu
Programmen zugreifen, die zu einem gleichen oder sehr ähnlichen Zeitpunkt in der Eurokrise
von den Parteien formuliert wurden. Als Teil der European Election Studies zur Europawahl
2014 kodierte das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung im Rahmen des
Euromanifesto Project 199 Parteiprogramme mit einem Kategoriensystem, dass stark auf
dem ursprünglichen Comparative Manifesto Project aufbaut. Die Kodierer*innen weisen
nach diesem Vorgehen den Sinneinheiten der Programme, die Quasisätze genannt werden,
anhand der Methode der Inhaltsanalyse Kategorien zu (Schmitt et al. 2016a: 19–24).9 Die
Kategorien sollen vor allem die thematischen Schwerpunkte und Positionen der Parteien
erfassen.10
Auch die Aktualität ist ein Vorteil gegenüber dem Manifesto Projekt, in welchem zum Bei-
spiel die letzte enthaltene österreichische Wahl jene des Jahres 2008 ist. Ein Problem könnte
eher darin liegen, dass die Europawahlprogramme einiger Parteien recht kurz sind und dass
eine überzeugende Einteilung der Partei anhand weniger Quasisätze nicht möglich sein
könnte. Das Movimento 5 Stelle hat zur Europawahl 2014 ein Programm mit sieben Sätzen
beziehungsweise neun kodierten Quasisätzen herausgegeben (Movimento 5 Stelle 2014).11
Zudem fallen diese Sätze nicht in die drei Dimensionen des inklusiven oder exklusiven Popu-
lismus, sodass wir das M5S in dieser Arbeit nicht einordnen konnten.12 Die anderen Parteien
ließen sich bezüglich der Anzahl der Quasisätze jedoch ohne Probleme einteilen.
3.2.3 Operationalisierung von exklusivem und inklusiven Populismus
Wir teilen die ausgewählten populistischen Parteien – anhand ihrer inhaltlichen Positionen
in ihren jeweiligen Europawahlprogrammen – mit einem Index in inklusive oder exklusive
Parteien ein. Hierbei handelt es sich um eine Vorgehensweise der deskriptiven Datenanalyse
(Gerring 2012: 142–143). Der von uns entworfene Index, den wir EXIN nennen, soll die Ex-
klusivität bzw. Inklusivität als Attribut der Parteien messen und vergleichbar machen. Er be-
steht aus der materiellen, politischen sowie symbolischen Dimension (siehe Abbildung 1). Als
Indikatoren gelten ausgewählte Kategorien des Kategoriensystems des Euromanifesto-
Projektes (siehe Tabelle 2).

9
  Im Euromanifesto-Projekt wird die Inter-Coder-Reliabilität durch einen eigens dafür erstellten Test und einen
Trainingsworkshop für die Kodierer sichergestellt (Schmitt et al. 2016a: 44, 60-61).
10
   Das vollständige Euromanifesto-Kategoriensystem findet sich im Anhang in Tabelle II.
11
   Zum Vergleich: Die durchschnittliche Länge der hier betrachteten Programme liegt bei über 500 Quasisätzen.
12
   Auch Font, Graziano und Tsakatika (2016: 28) hatten Schwierigkeiten bei der Einordnung des M5S. Es weise
zwar einige inklusive Elemente auf, diese rechtfertigten aber im Vergleich zu Syriza oder Podemos nicht seine
Einordnung als inklusive populistische Partei.
                                                                                                            14
Abbildung 1: Der EXIN-Index

                      Inklusiv bzw. Exklusiv
       Politisch                           Materiell                         Symbolisch
                                                                            Multikulturalismus,
    Menschenrechte                        Wohlfahrtsstaat
                                                                             Einwanderung

   Ausweitung        Beschränkung       Ausweitung       Beschränkung          Positiv   Negativ

Eigene Darstellung

Im Euromanifesto-Projekt gibt es separate Kategorien für positive oder negative Erwähnun-
gen eines Themas oder einer Position. Jeweils die positive Kategorie ist im EXIN der Indikator
für eine inklusive Position, da die positive Kategorie in den von uns ausgewählten Dimensio-
nen eine Ausweitung von Rechten, Ressourcen oder Anerkennung bedeutet. Die negativen
Kategorien sprechen sich bei den ausgewählten Indikatoren immer dagegen aus, sodass sie
für eine exklusive Position stehen.
Tabelle 2: Indikatoren des EXIN

 Dimension            Kategorie im Euromanifesto                           Exklusiv       Inklusiv
                      Human Rights                                             -              +
 Politisch
                      Human Rights Refugees                                    -              +
                      Welfare State General                                    -              +
                      Welfare State Pensions                                   -              +
                      Welfare State Health                                     -              +
 Materiell
                      Welfare State Social Housing                             -              +
                      Welfare State Child Care                                 -              +
                      Welfare State Job Programs                               -              +
                      Multiculturalism                                         -              +
                      Immigration:
                                                                               -              +
                      EU Citizens, beyond EU and unspecified
                      Underprivileged Minority Groups:
 Symbolisch           General, Handicapped, Homosexuals, Immigrants and        -              +
                      Foreigners (EU Citizens, beyond EU and unspecified)
                      Non-economic Demographic Groups:
                      General, Women, Old People, Young People, Linguistic     -              +
                      Groups
Eigene Darstellung, Kategorien des Euromanifesto-Projektes (Schmitt et al. 2016a)
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Im Euromanifesto-Datensatz werden allen Kategorien Werte zugewiesen: diese sind die pro-
zentualen Anteile der Erwähnung einer Kategorie am gesamten Programm. Ein Wert von
fünf für die positive Kategorie Welfare State Pensions würde beispielsweise bedeuten, dass
die Partei fünf Prozent ihres Programms der Forderung nach der Ausweitung von Renten
widmet.
Der Index wird additiv zusammengesetzt; es werden also die Werte der ausgewählten Kate-
gorien addiert. Um zwischen exklusiven und inklusiven Parteien zu unterscheiden, werden
alle inklusiven Anteile von den exklusiven subtrahiert. Folglich kennzeichnet ein negativer
Wert des EXIN eine inklusive Partei, da bei dieser die inklusiven Positionen überwiegen. Die-
ses Vorgehen beruht auf der bewährten Links-Rechts-Skala (Rile) des Comparative Manifesto
Project (Budge/Meyer 2013). Die Extremwerte des EXIN liegen bei -100 für eine Partei, die
nur inklusive Positionen vertritt bis +100 für eine Partei, die ausschließlich exklusive Forde-
rungen äußert.
In der politischen Dimension war es schwieriger als bei den anderen Dimensionen, geeignete
Kategorien des Euromanifesto-Projektes zu finden. Zusätzlich zu den ausgewählten Katego-
rien (Menschenrechte bzw. Menschenrechte für Geflüchtete) schien auf den ersten Blick die
Kategorie Democracy geeignet. Jedoch betonen fast alle Parteien ihre Unterstützung für
Demokratie in ähnlichem Maße, sodass wir diese Kategorie als zu wenig spezifisch erachten
und nicht in den Index aufnehmen. Die Kategorie Social Justice wurde ähnlich verbreitet von
den Parteien genutzt, zudem sind explizit materielle Themen in dieser Kategorie enthalten,
sodass sie sich für die politische Dimension nicht gut eignet. Die gewählten Kategorien zu
Menschenrechten eignen sich hingegen sehr gut, da sie die die politischen Teilhaberechte
umfassen, die Mudde und Rovira Kaltwasser in der politischen Dimension beschreiben.
3.2.4 Ergebnisse
Parteien mit einem negativen EXIN-Wert lassen sich – wie im letzten Absatz erläutert – als
inklusive Parteien einordnen, während Parteien mit einem positiven Wert als exklusive Par-
teien gelten. Die beobachteten Parteien betonen generell häufiger inklusive Positionen, da
diese tendenziell populärer sind, etwa die Forderung nach einem Ausbau des Wohlfahrts-
staates. Explizite Äußerungen, die sich für den Abbau von Sozialleistungen aussprechen, ver-
traten dagegen nur wenige Parteien.13 Deswegen verschieben wir den Mittelpunkt der Skala
leicht in den negativen Bereich, und zwar um 1,7 Prozentpunkte. Nach dieser Verschiebung
liegt der durchschnittliche Indexwert aller Parteien bei rund 0, sodass nun von einer Skala
ausgegangen werden kann, deren Mittelpunkt 0 ist und bei der sinnvoll zwischen negativen
und positiven Werten unterschieden werden kann. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 darge-
stellt, ebenso wie die Rolle des Landes in der Eurokrise, welche in Abschnitt 3.1.2 operatio-
nalisiert wurde. Interessant ist, dass der EXIN ein fast kontinuierliches Spektrum von sowohl
moderaten als auch ausgeprägten inklusiven und exklusiven Parteien feststellt. Eine rein

13
  Die finnische PS widmete sechs Prozent ihres Programmes Forderungen nach Sozialabbau. Die anderen Par-
teien betonten diese Kategorie entweder gar nicht oder nur in unter einem Prozent des gesamten Program-
mes.
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