Europäisches Verwaltungsrecht II
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Europäisches Verwaltungsrecht II Grundsätze des Vollzugs des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten und Europäischer Verwaltungsverbund § 1 Einführung und Grundbegriffe Univ.-Prof. Dr. Ulrich Stelkens Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwaltungsrecht
A) Vorlesungsziele, Vorlesungsgliederung und Literatur Ziele der Veranstaltung: • „In sich abgeschlossener Teil“ – keine zwingende Verknüpfung mit „Europäisches Verwaltungsrecht I) • Verständnis der EU als „Verwaltungsraum“ und Einblick in ein „Rechtsgebiet im Werden“ • Kennenlernen der Grundlagen für eine juristische (und rechtspolitische?) Bewertung der Europäisierung der Verwaltung, des Verwaltungsrechts und des verwaltungsrechtlichen Denkens • Kennenlernen des Beitrags des Verwaltungs- rechts zur „Vereinigung in Vielfalt“ • Kein Leistungsnachweis erforderlich
A) Vorlesungsziele, Vorlesungsgliederung und Literatur Gegenstand des Europäischen Verwaltungsrechts: • „Europaratsverwaltungsrecht“: Harmonisierungsansätze des Verwaltungsrechts der 47 Mitgliedstaaten des Europarates durch Aktivitäten des Europarats und die Europäische Menschenrechtskonvention • Recht der „EU-Eigenverwaltung“ (Verwaltungstätigkeit der Kommission und der Agenturen) • Recht des Vollzugs des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten sowie Vorgaben des EU-Rechts für den Vollzug nationalen Verwaltungsrechts • Recht der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander (ggf. unter Beteiligung der EU-Eigenverwaltung) – sog. Europäisches Verwaltungskooperationsrecht oder Recht des Europäischen Verwaltungsverbundes
A) Vorlesungsziele, Vorlesungsgliederung und Literatur §1 Einführung und Grundbegriffe Transposition – Implementation – Enforcement - Vollzugsformen: Was sind die Rechtsgrundlagen, wo sind Unterschiede, was heißt das und wozu braucht man das? §2 Europäisierung der nationalen Verwaltungsaufgaben und Verwaltungsorganisation „Wandel der Staatlichkeit“ auf Grund der Europäisierung §3 Die „Aufsicht“ der Kommission über den indirekten Vollzug des EU-Rechts Wie kann die EU auf eine einheitlichen Vollzug des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten hinwirken, welche Aufsichtsinstrumente gibt es? §4 Beeinflussung des "klassischen" Allgemeinen Verwaltungsrechts der Mitgliedstaaten §5 Europäisches Verwaltungskooperations- und Verbundverwaltungsrecht Transnationale Verwaltungsakte, Europäische Amtshilfe, Regulierungsverbund…
A) Vorlesungsziele, Vorlesungsgliederung und Literatur J.-B. Auby/J. Dutheil de la Rochère, Traité de droit administratif européen, 2. Aufl. 2014 P. Craig, EU Administrative Law, 3. Auflage 2018 T. v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008 H. Hofmann/G. C. Rowe/A. H. Türk, Administrative Law and Policy of the European Union, 2011 J. H. Jans/R. de Lange/S. Prechal/ R.J.G.M. Widdershoven, Europeanisation of Public Law, 2. Aufl. 2015 T. Siegel, Europäisierung des Öffentlichen Rechts, 2012 U. Stelkens, Europäisches Verwaltungsrecht, Europäisierung des Verwaltungsrechts und Internationales Verwaltungsrecht, in: P. Stelkens/H. J. Bonk/M. Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, Rn. 1 - 256 J. P. Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2011
A) Vorlesungsziele, Vorlesungsgliederung und Literatur Rechtsvergleichende Darstellungen zum Verwaltungsrecht in Europa: Armin v. Bogdandy/Sabino Cassese/Peter M. Huber, Handbuch Ius Publicum Europeum III, IV und V, 2010/2011/2014 Jens-Peter Schneider (Hrsg.): Verwaltungsrecht in Europa Bd.1 und 2, 2007/2009 (England, Spanien, Niederlande, Frankreich, Polen, Tschechien) Michel Fromont: Droit administratif des États européens, 2006
B) Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts: Grundlagen und Grundbegriffe I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht II. Verwirklichung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten: Transposition – Implementation – Enforcement III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht IV. Verfassungsrechtliche Besonderheiten für die Verwirklichung des Unionsrechts durch deutsche Behörden
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht • Vollzug und Anwendung (Verwirklichung) des Unionsrechts durch Unionsorgane (direkter Vollzug von Unionsrecht) • Vollzug und Anwendung Verwirklichung) des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten (indirekter Vollzug von Unionsrecht) - Verwirklichung von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht durch mitgliedstaatliche Behörden (unmittelbarer mitgliedstaatlicher Vollzug). Bsp.: Zollverwaltung, Argrarmarktordnungen - Verwirklichung von nationalen Rechtsnormen, die der Umsetzung von nicht unmittelbar anwendbarem Unionsrecht (Richtlinien) dienen (mittelbarer mitgliedstaatlicher Vollzug). Bsp.: EU-Ausländerrecht - Pflicht zur Beachtung von Unionsrecht beim Vollzug nationalen Rechts durch nationale Behörden („respektierender Vollzug“).
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht Begriffspaar direkt/indirekt bezieht sich auf die Verwaltungsebene (Union/Mitgliedstaaten) Begriffspaar mittelbar/unmittelbar auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten nationales Recht verwirklichen, das nicht unmittelbar anwendbare Unionsrechtsakte (Richtlinien) umsetzt, oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht (insbes. EU-Verordnungen, Primärrecht …)
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht „Echter Vollzug“: EU-Recht weist nationalen Behörden konkrete Aufgaben zu, die sie auf Grundlage EU-rechtlicher Vorschriften auch im Verhältnis zum Bürger zu erfüllen haben - Agency-Situation. („Ob“ und „Wie“ der Aufgabenerfüllung durch die Mitgliedstaaten sind EU-rechtlich geregelt) Beispiel: Vollzug des EU-Zollrechts durch die die nationalen Zollbehörden nach der VO (EU) Nr. 952/2013 zur Festlegung des Zollkodexes der Union Auch beim „echten Vollzug“: Ergänzung des „Vollzugsprogramms durch nationales Recht im Hinblick Zuständigkeitsordnung und Verfahren, soweit es an EU-rechtlichen Spezialvorschriften fehlt.
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht „Respektierender Vollzug“: Nationale Behörden vollziehen nationales Recht, haben hier aber EU-rechtliche Vorgaben zu beachten. EU-Recht setzt damit mitgliedstaatlichem Verwalten Grenzen, regelt aber nicht, „ob“ bestimmte Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, u. U. aber (mehr oder weniger weitgehend), wie sie zu erfüllen sind, wenn sie von den Mitgliedstaaten wahrgenommen werden. Beispiele: Mitgliedsstaatlicher Vollzug der • Grundfreiheiten (Art. 28 ff., Art. 45 ff., Art. 49 ff., Art. 56 ff., Art. 63 ff. AEUV) • VO (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personen-bezogener Daten, zum freien Datenverkehr (Datenschutz- Grundverordnung) • RL 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten • RL 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht Zwischenformen zwischen „echten“ und „respektierenden“ Vollzug EU-rechtlich determinierter Vollzug nationalen Rechts: Unionsrecht regelt ausschließlich das Verhältnis zwischen EU-Organen und Mitgliedstaaten, Verhältnis zum Bürger regelt mitgliedstaatliches Recht Beispiele: • EU-Agrarmarktförderung nach Maßgabe der VO (EU) Nr. 1306/2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik • EU- Fondsverwaltung nach Maßgabe der VO (EU) Nr. 1303/2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds
I. Formen administrativer Verwirklichung von Unionsrecht Zwischenformen zwischen „echten“ und „respektierenden“ Vollzug Erfüllung nationaler Aufgaben unter „strenger EU-Aufsicht“ Beispiel: • Vollzug des europäischen Beihilferechts (Art. 107 ff. AEUV) nach Maßgabe der VO (EU) 2015/1589 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (hierzu einführend Hilbert, Jura 2017, 1150 ff.)
II. Verwirklichung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten: Transposition – Implementation – Enforcement Art. 4 Abs. 3 EUV Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unter- lassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Mitgliedstaaten = Gesetzgeber, Gerichte, Verwaltung Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art = Rechtsetzung, Zuweisung von Haushaltsmitteln, Verwaltungsvorschriften, Gerichtsentscheidungen, Verwaltungsakte Verpflichtungen aus Handlungen der Organe der Union = Sekundärrecht, Entscheidungen des EuGH, Beschlüsse der Kommission … Ergreifen zur Erfüllung = Verwirklichung des Unionsrechts
II. Verwirklichung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten: Transposition – Implementation – Enforcement • Was die Mitgliedstaaten „zur Erfüllung der Verpflichtungen“ tun müssen, wird im Deutschen oft als „Umsetzung“ unionsrechtlicher Vorgaben bezeichnet. • Hier in Anlehnung an den englischen („realization“) und französischen („mis en œuvre“) Sprachgebrauch als „Verwirklichung“ (englisch: realization/französisch mis en œuvre) bezeichnet • Unterscheidung - trotz fließender Übergänge – zwischen drei Stufen, die insbesondere in der englischsprachigen Europawissenschaft aber auch in der Praxis der EU-Institutionen mit dem Dreiklang „Transposition – Implementation – Enforcement“ beschrieben werden. Siehe hierzu z. B. Europäisches Parlament – Think Tank, Transposition, implementation and enforcement of Union law v. 15.11.2018 • Deutscher Übersetzungsvorschlag: „Umsetzung (i.e.S.) – Durchführung – Durchsetzung“
Drei Phasen der „Verwirklichungsverpflichtung“ aus Art. 4 Abs. 3 EUV Umsetzung i. e. S. Durchführung Durchsetzung (Transposition) (Implementation) (Enforcement) Überführung des Erlass von Ausführungs- Hinreichende Ausstattung Normprogramms nicht vorschriften für unmittel- von Behörden/Gerichten unmittelbar anwendbarer bar anwendbares EU- Effektive Aufsicht und EU-Rechtsakte (insbes. Recht (Verordnungen) und Kontrollen und Rechtsangleichungs- nationale (Richtlinien-) Durchsetzung von Richtlinien) in das nationale Umsetzungsgesetze Rechtspflichten Privater Recht in einer Weise, dass Beseitigung von Effektive Fehlerfolgen- die hiermit verfolgten Ziele Normwidersprüchen beseitigung/straf- (effets) praktisch wirksam Anwendung von EU-Recht rechtliche Sanktionen (utile) werden und Umsetzungsgesetzen Keine „Diskriminierung“ in Verwaltungs- und des EU-Rechts im Gerichtsverfahren praktischen Vollzug Zuständige Stellen: Zuständige Stellen: Zuständige Stellen: Nationaler Gesetzgeber Nationaler Gesetzgeber Nationaler (Haushalts-) Gerichte und Verwaltung Nationale Gerichte Gesetzgeber (nur) bei notwendiger Nationale Verwaltungen Nationale Gerichte Nachbesserung durch Nationale Verwaltungen unionskonforme Auslegung
II. Verwirklichung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten: Transposition – Implementation – Enforcement • Implementation und Enforcement ist bei jeden von den Mitgliedstaaten zu verwirklichende Unionsrechtsakt zu gewährleisten • Transposition muss vom Mitgliedstaat nur dann gewährleistet werden, wenn ein Unionsrechtsakt – wie insbesondere eine Richtlinie – nicht unmittelbar anwendbar ist und daher dessen Normprogramm vom nationalen Gesetzgeber in die nationale Rechtsordnung zu überführen ist. Wichtig: Die Verwendung dieser Begriffe im vorliegenden Zusammenhang beinhaltet nicht die Aussage, gleich- oder ähnlich lautende Begriffe im Primärrecht der Europäischen Union – z. B. in Art. 291 Abs. 1 AEUV oder Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – käme dieselbe Bedeutung zu bzw. würden exklusiv auf eine bestimmte „Verwirklichungsstufe“ Bezug nehmen
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Voraussetzung korrekter nationaler • Umsetzung i. e. S. (Transposition): Korrektes Verständnis • Durchführung (Implementation): unionsrechtlicher Vorgaben • Durchsetzung (Enforcement) von Unionsrecht Korrektes Verständnis Unionsweit einheitliches unionsrechtlicher Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Vorgaben / keine „nationalen Unionsrechte“
Folgen fehlerhaften Verständnisses unionsrechtlicher Vorgaben für die Mitgliedstaaten Folgen der Unterschätzung von Folgen der Überschätzung von Verwirklichungspflichten durch Verwirklichungspflichten durch Mitgliedstaaten Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren Verkennung politischer Spielräume (Art. 258 AEUV) mit ggf. harschen durch unbewusstes „Gold Plating“ finanziellen Sanktionen (Art. 260 Überflüssige Zurückdrängung AEUV) bewährter nationaler Regelungen Sekundärrechtliche „Aufsichts- Überflüssige Belastung des nationalen instrumente“ der EU-Kommission, ggf. Haushalts und Erhöhung von Büro- mit finanziellen Folgen (Anlastungen/ kratieaufwand durch weder unions- Finanzkorrekturen/Haftung für rechtlich geforderte noch von natio- unterlassene Mittelerhebung) naler Politik gewollte nationale Maß- „Private Enforcement“ von EU-Recht nahmen vor nationalen Gerichten / Steigerung der „EU-Verdrossenheit“ Staatshaftungsansprüche durch „Fake Union Law“ Teilweise erheblicher Politisch und praktisch schwere „Korrekturaufwand“ wegen „Zurückfahrbarkeit“ übererfüllender notwendiger „Nachbesserungen“ Verwirklichungsmaßnahmen
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben (Geringe) Möglichkeiten der Vergewisserung des korrekten Verständnisses von Unionsrecht (vgl. Stelkens/Payrhuber, NVwZ 2018, 195, 196 f.) Vor konkreten Verwirklichungsmaßnahmen (in allen Phasen): • Antrag auf Auskunft bei EU-Kommission (i.d.R. aber keine „Selbstbindung der Kommission im Unrecht“) • Kenntnisnahme von (bereits erlassenen) Mitteilungen, Empfehlungen und sonstigem „EU-Soft-Law“ (i.d.R. aber keine „Richtigkeitsgewähr“, nicht immer vorhanden, selten vollständig) Nach konkreten Verwirklichungsmaßnahmen (in allen Phasen): • Nur für Gerichte: Vorlage zum EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Mehrsprachigkeit des Unionsrechts als besonderes Problem: • Sprachliche Unmöglichkeit klarer Begriffsbildung durch Mehrsprachigkeit • Forderung nach Reduzierung der verbindlichen Amtssprachen unrealistisch (Guilloud-Colliat, RDP 2014, 1337, 1344 ff.; so aber Kreße, ZRP 2014, 11 ff.) • Europarechtswissenschaft findet ohnehin in allen Amtssprachen statt (nicht nur auf Englisch, sondern insbesondere auch auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch) Probleme werden teilweise reduziert durch • Kreation von „Eurospeak“ • Legaldefinitionen im Sekundärrecht • zunehmende Systematisierung des sekundären Unionsrechts Guilloud-Colliat, RDP 2014, 1337, 1362 ff.; Kjær, in: Koch u. a. (Hrsg.), Europe – The New Legal Realism – Essays in Honour of Hjalte Rasmussen, 2010, S. 297 ff.; ferner Müller, in: Festschrift Heinz Mayer, 2011, S. 391 ff.
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Unabhängig vom Mehrsprachigkeitsproblem: • EuGH und Kommission können sich (schon aus Kapazitätsgründen) nur punktuell zu einzelnen Fragen der Auslegung des EU-Rechts äußern • Anerkennung der „klassischen“ Interpretationsmethoden (grammatikalische, systematische, historische und teleologische Auslegung) durch EuGH stellt einheitliches Verständnis des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten nicht sicher • Weiterbildungsinitiativen der EU (Art. 81 Abs. 2 lit. h), Art. 82 Abs. 1 lit. c), 197 AEUV) sind i.d.R. auf Grundfragen bzw. einzelne Politikbereiche beschränkt • Bisher nur langsamer Aufbau einer einheitlichen „Unionsrechtswissenschaft“ – Befassung vornehmlich mit Grundfragen und Rechtsprechungsanalysen, nicht mit einzelnen Sekundärrechtsakten • Vermittlung unionsrechtlicher Kenntnisse erfolgt im Rahmen der nationalen Juristenaus- und -weiterbildung, so dass Unionsrecht immer in den nationalen Verständniskontext eingebunden ist • Es fehlen unionsweit einheitliche Rechtsanwendungsroutinen für den täglichen Umgang mit dem Unionsrecht durch nationale Gerichte und Behörden
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Unterschiedliche Routinen in den Mitgliedstaaten, wie Gesetzestexte, Gerichtsentscheidungen und rechtswissenschaftliche Texte zu lesen, zu verstehen, zu deuten und zu schreiben sind, • führen zu unterschiedlichen Methodenkulturen in den Mitgliedstaaten • sind auch Folge unterschiedlicher Modelle der Juristenausbildung in der EU mit Folge unterschiedlicher „Praxisrelevanz“ der Rechtswissenschaft Siehe hierzu Kilian, Modelle der Juristenausbildung in Europa, 2010; Baldus/Finkenbauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011 • führen dazu, dass derselbe Text wird von Juristen unterschiedlicher Herkunft unterschiedlich ausgelegt werden wird: Nicht überall besteht Ideal der einzig richtigen Entscheidung, Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge, Unterscheidung von Auslegung zur Rechtsfortbildung Siehe hierzu: Classen EuR Beih 1 2016, 79 ff.; Hatje/Makowski, EuR 2014, 155 ff.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl. 2018, EuR Rn. 211a ff., 216 ff.; Wahl, in: Trute u. a. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 869, 890 ff.; ders., JZ 2012, 861, 866 ff.
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Unterschiedliche Routinen in den Mitgliedstaaten, wie Gesetzestexte, Gerichtsentscheidungen und rechtswissenschaftliche Texte zu lesen, zu verstehen, zu deuten und zu schreiben sind, • werden oft als „implizites Wissen“ der täglichen Rechtsarbeit zu Grunde gelegt, für selbstverständlich und universell anwendbar gehalten • sind letztlich Ergebnis und Ausdruck unterschiedlicher Vorstellungen von der Intensität der Bindungswirkung des Gesetzes für die Gerichte und die Verwaltung • Begründen Gefahr unbewusster Kreation „nationaler Unionsrechte“
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben • „Gesetzesbindung wird in einem strengen Sinne nur gelingen, wenn Methodenbindung gelingt" (Hassemer, ZRP 2007, 213, 216).“ • Gleiches Verständnis, gleiche Anwendung und Durchsetzung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten ist Forderung der Gleichheit der Unionsbürger • Gleiches Verständnis, gleiche Anwendung und Durchsetzung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten ist auch Notwendigkeit gleicher Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten (und ihrer Wirtschafts- und Sozialsysteme)
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Nationale Routinen des Gesetzesverständnisses, der Gesetzesanwendung und das nationale Verständnis der „Intensität der Gesetzesbindung“ lassen sich nicht einfach ändern. Dies gilt insbesondere, wenn • nicht klar ist, in welche Richtung eine Änderung wünschenswert sein könnte, da sich noch keine gemeineuropäischen Routinen für die Anwendung des Unionsrechts entwickelt haben. • der Änderungsanlass in keinem Verhältnis zum Änderungsaufwand insbesondere bei der täglichen „Rechtsarbeit“ steht („echte“ unionsrechtliche Fragestellungen lassen sich nach wie vor noch recht gut von rein nationalen Rechtsproblemen abschichten). • sich viele als „Großkonflikte“ zwischen unionalen und nationalen „Regelungsdesigns“ geschilderte Probleme bei näherer Betrachtung als Probleme der spezifischen Umsetzung einzelner EU-Richtlinien oder EU- Verordnungen ins nationale Recht auf Grund unzureichender „Einpassung“ in den nationalen Regelungskontext erweisen.
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben „Problembewusstsein steigern“ als realistische „zweitbeste“ Lösung durch • Analyse spektakulär gescheiteter Versuche des Unionsrechts im eigenen Mitgliedstaat • Identifizierung typischer Fehlerquellen bei der Umsetzung des Unionsrechts („worst practices“) im eigenen Mitgliedstaat • Analyse der Umsetzung von EU-Rechtsakten in anderen Mitgliedstaaten und Vergleich der dort aufgetretenen Probleme mit den Problemen, die bei der Umsetzung im eigenen Mitgliedstaat aufgetreten sind (auch unter Heranziehung einschlägiger „Problemberichte“ der Kommission) • Lernen aus Fehlern!
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben „Beliebte“ Fehler bei der Auslegung und Anwendung des EU-Rechts • Annahme, dass EU-Rechtsakte i.d.R. wie deutsche Gesetze zu verstehen sind – als konditionale, in Tatbestand und Rechtsfolge zu zergliedernde Normen, bei denen jedem Wort eine spezifische Funktion zukommt • Hiermit verbunden: Verständnis eines final konzipierten Rechtssatzes (Vorgabe von Ziel und Mitteln zur Zielerreichung) als konditional formulierter Rechtssatz (Verständnis als abschließend formulierte „Wenn-Dann-Norm“) • Hiermit verbunden: Unterschätzung der Möglichkeit, dass der EU-Gesetzgeber den zur Umsetzung des Unionsrechts zuständigen nationalen Stellen (Gesetzgeber, Behörden, Gerichte) implizit einen Entscheidungs-spielraum auch dann gewähren kann, wenn dies im Wortlaut des anzuwen-denden EU-Rechts bei „deutscher Lesart“ nicht zum Ausdruck kommt? Hierzu: B. Huber, NVwZ 2014, 293 f.; U. Stelkens, DVBl. 2010, 1078, 1085 • Hiermit verbunden: Reduzierung der Verwirklichungsverpflichtungen aus Art. 4 Abs. 3 EUV auf „buchstabengetreue“ Umsetzung (auf der ersten Stufe) und selbstzweckhaftes Verständnis der unionsrechtlichen Forderung der „praktischen Wirksamkeit“ unionsrechtlicher Vorgaben im innerstaatlichen Recht
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben „Beliebte“ Fehler durch Unterschätzung der Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtssysteme, auf die das Unionsrecht stößt • Annahme, dass sich eine bestimmte unionsrechtliche Regelung in allen Mitgliedstaaten gleich auswirkt und ähnlichen Änderungsbedarf auslöst Für ein Beispiel: Stelkens/Payrhuber, NVwZ 2018, 195, 197 ff.) • Unterlassen der Untersuchung, ob bestimmte Fragen, die in Deutschland zur Umsetzung einer unionsrechtlichen Regelung gestellt werden, auch in anderen Mitgliedstaaten gesehen werden – und wenn nein, warum nicht
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben „Beliebte“ Fehler bei der Analyse von EuGH-Entscheidungen • Annahme, dass Entscheidungen des EuGH so zu verstehen sind, wie Entscheidungen deutscher Höchstgerichte, so dass ihren Formulierungen (selbstverständlich) als verallgemeinerungsfähig angesehen werden Zur „Praxis der inkrementellen Konkretisierung“ in der EuGH- Rechtsprechung treffend Thym, DÖV 2014, 941, 942 f.; ferner Arnull, E.L. Rev. 43 (2018). 904 ff.; Coutron, RTD eur. 2009, 643 ff.; Everling, EuR 1994, 127, 136 ff.; Hahn, ThürVBl. 2004, 228; Michl, EuR 2018, 456 ff. • Hiermit verbunden: Vorschnelle Ableitung allgemeiner Grundsätze aus Entscheidungen des EuGH, die sich eigentlich nur auf ein bestimmtes (spezielles) fachrechtliches Problem beziehen
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Vorsicht bei der „schulmäßigen Auslegung“ von EU-Rechtstexten mit deutschem juristischen Handwerkszeug! • Gefahr, dass „Rechtsarbeit“ vorzeitig abgebrochen wird, da die „einzig richtige Entscheidung“ nach deutschen Methoden bzw. Anwendungsroutinen schon gefunden scheint • Gefahr, dass unionsrechtliche Verpflichtungen unter- oder überschätzt werden • Gefahr der Sinnentleerung unionsrechtlicher Vorgaben durch „buchstabengetreue Verwirklichung“ – mit erheblichen Folgen auf allen drei Stufen des Verwirklichungsprozesses
III. Voraussetzungen korrekter nationaler Verwirklichung von Unionsrecht: Korrektes Verständnis unionsrechtlicher Vorgaben Gefahrvermeidung ist v. a. Aufgabe der nationalen Politik und Gesetzgebung • Notwendigkeit, die mit einer unionsrechtlichen Regelung verfolgten Ziele schon bei der Umsetzung auf der ersten Stufe richtig zu erfassen • Notwendigkeit, die mit einer unionsrechtlichen Regelung verfolgten Ziele so konsequent zu verwirklichen, wie „selbstbestimmtes“ Politikziel verwirklicht würde … auch wenn dieses Politikziel nicht geteilt oder nicht für dringlich angesehen wird und man mit guter Verwirklichung des Unionsrechts i.d.R. keine Wahlen gewinnen kann • Streben nach „Minimalverwirklichung“ des Unionsrechts im nationalen Recht durch „1:1 Umsetzung“ geht fast immer schief
IV. Verfassungsrechtliche Besonderheiten für die Verwirklichung des Unionsrechts durch deutsche Behörden 1. Verwaltungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 2. Unionsrecht als „Gesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG 3. Besonderheiten beim mittelbaren mitgliedstaatlichen Vollzug
1. Verwaltungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Sinngemäße Geltung der Art. 83 ff. GG • Länder vollziehen Unionsrecht i.d.R. als eigene Angelegenheit • Bundesvollzugskompetenzen nur, wenn sich aus den Art. 86 ff. GG eine solche herleiten lässt (z. B. für Bundeszollverwaltung Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG) • Keine Besonderen Weisungskompetenzen des Bundes, aber: Art. 104a GG (1) Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt. (2) bis (5) […]. (6) Bund und Länder tragen nach der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung die Lasten einer Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. […]. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
1. Verwaltungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Ausführungsgesetz zu Art. 104a Abs. 6 GG: Gesetz zur Lastentragung im Bund- Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen (Lastentragungsgesetz - LastG) Art. 104a Abs. 6 GG soll jedenfalls folgende Fälle umfassen • Zwangsgeldverpflichtungen des Bundes nach Art. 260 Abs. 2 und 3 AEUV, die durch Unionsrechtsverletzungen der Länder verursacht werden • Entschädigungspflichten des Bundes nach Art. 41 EMRK, die durch den Ländern zuzurechnende Konventionsverletzungen verursacht werden • EU-Anlastungen und Finanzkorrekturen Hierzu: U. Stelkens, Die Haftung zwischen Bund und Ländern, in: Härtel (Hrsg.), Handbuch des Föderalismus II, 2012, § 42 Rn. 81 ff.
1. Verwaltungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Regelung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU • nach Art. 23 Abs. 4 bis 6 GG • ausgestaltet durch Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union • Umfasst auch die Abstimmung in den Fällen, in denen der Bund Verfahren vor dem EuGH führt, die Länderangelegenheiten betreffen
2. Unionsrecht als „Gesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG OVG Münster, 13 B 762/17 v. 25.8.2017 Abs. 39 = NVwZ-RR 2018, 54 Abs. 21: „Die durch Art. 20 Abs. 3 GG angeordnete Bindung von Verwaltungsbehörden und Gerichten an Recht und Gesetz schließt mithin die vorrangige Anwendung des Unionsrechts gegenüber entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Regelungen ein, ebenso wie sich der Bürger trotz entgegenstehender mitgliedstaatlicher Regelungen auf vorrangig anwendbares Unionsrecht berufen kann, soweit sich für ihn hieraus unmittelbar Rechte ergeben.“ BVerwG, 8 B 47/12 v. 17.10.2012, Abs. 13 = NVwZ-RR 2013, 97 Abs. 13 „Seine Rüge, die Berufungsentscheidung verletze das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG […] übersieht, dass die Bindung an Recht und Gesetz die Bindung an das die Mitgliedstaaten verpflichtende Unionsrecht einschließt. Die gerichtliche Durchsetzung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten ist Teil des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven (Individual-)Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), steht also nicht im Widerspruch zur Aufgabe der Verwaltungsgerichte, den Schutz subjektiver Rechte zu gewähren.[…].“
2. Unionsrecht als „Gesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber mitgliedstaatlichem Recht: Ständige Rechtsprechung des EuGH (seit EuGH, Rs. 6-64 v. 15.7.1964, Slg. 1964, 1251, 1269 f. [„Costa/E.N.E.L“]): Unbedingter Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht, insbesondere auch vor nationalem Verfassungsrecht (EuGH, Rs. 11-70 v. 17.12.1970, Abs. 3 f. [„Internationale Handelsgesellschaft“]) Zum Streit mit BVerfG: Saarheimer-Verträge-Fall m.w.N. Keine Nichtigkeit der innerstaatlichen Norm bei Verstoß gegen EU-Recht, sondern nur (automatisch) Unanwendbarkeit grundlegend: EuGH, Rs. 106/77 v. 6.3.1978, Abs. 17 [„Simmentahl II“]) Gibt es Fälle, in denen der nationale Gesetzgeber nachbessern muss?
2. Unionsrecht als „Gesetz“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG Kein Nicht-Anwendungsmonopol des BVerfG analog Art. 100 Abs. 1 GG: Zulässigkeit einfacher Nicht-Anwendung (auch) nationaler Parlamentsgesetze bei Annahme der Unvereinbarkeit mit Unionsrecht durch die Gerichte. Hierzu: OVG Münster, 13 B 238/17 v. 22.6.2017 = NVwZ-RR 2018, 43 ff.: „Verwerfung“ gesetzlich angeordneter Vorratsdatenspeicherung wegen Unvereinbarkeit mit Unionsrecht, das seinerseits im Lichte EU-CRh auszulegen ist Pflicht der Verwaltung zur Nicht-Anwendung unionsrechtswidrigen nationalen Rechts bei Unvereinbarkeit mit Unionsrecht Hierzu: OVG Saarlouis, 3 W 14/06 v. 22.1.2007 = NVwZ-RR 2008, 95 ff ; Burger, DVBl 2011, 985 ff.; Demleitner, NVwZ 2009, 1525 ff. Aber: Keine Berechtigung deutscher Behörden und deutscher (Fach-)Gerichte Unionsrecht als „ultra vires“ unangewendet zu lassen (insoweit scheint BVerfG von einem Kontroll-Monopol auszugehen: BVerfG, 2 BvE 2/08 u.a. v. 30.6.2009, Abs. 241 = BVerfGE 123, 267, 354 f. [Lissabon)
3. Besonderheiten beim mittelbaren mitgliedstaatlichen Vollzug Verwaltung verwirklicht gleichzeitig • nationales Recht, das das Normprogramm einer Richtlinie nach Maßgabe des Verständnisses und den politischen Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers in die nationale Rechtsordnung integriert • Unionsrecht, das der Angleichung der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten dient und deshalb in allen Mitgliedstaaten einheitlich zu verstehen ist, und deshalb von den Mitgliedstaaten zu verwirklichen ist, dass seine „effets utile“ werden können. Probleme: • Gibt es besondere verfassungsrechtliche Vorgaben für den Vollzug von nationalem Recht, dass der Umsetzung von Richtlinien dient? • Gibt es besondere Auslegungsregeln für nationales Recht, das der Umsetzung von Richtlinien dient? • Können und müssen nationale Verwaltungen und Gerichte Defizite bei der „Transformation“ unter gleichzeitiger Beachtung des der Gestaltungspielräume des nationalen Gesetzgebers bei der Richtlinienumsetzung korrigieren?
a) Gibt es besondere verfassungsrechtliche Vorgaben für den Vollzug von nationalem Recht, dass der Umsetzung von Richtlinien dient? • Keine geringere demokratische Legitimation von Umsetzungsgesetzen Vgl. Funke (Umsetzungsrecht, 2010, S. 160 ff.) und Karpenstein (in: FS Sellner, 2010, S. 125 ff.) gegenüber der Idee von Payandeh (DVBl. 2007, 741 ff.) • Besonderheiten beim Grundrechtsschutz (auch von Bedeutung für die Auslegung bzw. die Handhabung von Ermessensspielräumen): Deutsche Grundrechte gelten nur, soweit dem deutschen Gesetzgeber ein Umsetzungsspielraum zusteht. BVerfG, 2 BvR 2236/04 v. 18.7.2005, Abs. 80 ff. = BVerfGE 113, 273, 300 ff.; BVerfG, 1 BvF v. 13. 3. 2007, Abs. 68 f. = BVerfGE 118, 79, 95 f.; BVerfG, 1 BvR 256, 263, 586/08 v. 2. 3. 2010, Abs. 180 ff. = BVerfGE 125, 260, 306 f.; BVerfG, 1 BvL 3/08 v. 4.10.2011, Abs. 46 = BVerfGE 129, 186, 199; BVerfG, 1 BvR 1585/13 v. 31.5.2016, Abs. 115 = BVerfGE 142, 74, 112 f. Siehe hierzu auch den Freigesetzt-Fall bei den Saarheimer-Fällen Zum Parallelproblem in Frankreich Haguenau-Moizard, AJDA 2015, 2036 ff.
a) Gibt es besondere verfassungsrechtliche Vorgaben für den Vollzug von nationalem Recht, dass der Umsetzung von Richtlinien dient? • Kein Verbot der „Inländerdiskriminierung“: Keine Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG bei Nichterstreckung der nationalen Regelung auf von einer Richtlinie nicht erfasste Sachverhalte Vgl. z. B. BVerwG, 1 C 17.09 v. 16.11.2010, Abs. 15 = NVwZ 2011, 495 Abs. 15; BVerwG, 1 C 23.09 v. 11.1.2011, Abs. 16 = NVwZ 2011, 871 Abs. 16; BVerwG 1 C 11.10 v. 22.6.2011 Abs. 11 = NVwZ 2012, 52 Abs. 11 Allgemein Gundel, DVBl 2007, S. 269, 271 ff.; Riese/Noll, NVwZ 2007, S. 516, 520 ff. für Handwerksrecht etwa Albers, JZ 2008, 708, 712 ff.; Bösch, Jura 2009, 91, 93 ff.; Kormann/Hüppers, GewArch 2008, 273, 274 ff.
b) Gibt es besondere Auslegungsregeln für nationales Recht, das der Umsetzung von Richtlinien dient? • An sich: Anwendung „normalen“, wenn auch teilweise „fremdbestimmten“ nationalen Rechts, das „an sich“ wie nationales Recht auszulegen und anzuwenden ist (deutlich: BVerfG [K], 2 BvR 2216/06 u. a. v. 26.9.2011 Rn. 44 ff. = NJW 2012, 669), aber • Besonderheiten bei der Auslegung von Richtlinienumsetzungsgesetzen auf Grund des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV (BVerfG, 1 BvL 3/08 v. 4. 10. 2011, Abs. 46 = BVerfGE 129, 186, 199) • Gebot richtlinienkonformer Auslegung nach Maßgabe der nationalen Methodenlehren (ausführlich Brennecke, EuR 2015, 440 ff.; Herresthal, JuS 2014, 289 ff.; Kühling, JuS 2014, 481 ff.; Leenen, Jura 2012, 753 ff.; Michael, Der Staat 54 (2015), 349 ff.; Michael/Payandeh, NJW 2015, 2392 ff.; Reimer, JZ 2015, 910 ff.) • Kann insbes. dazu führen, dass Begriffen in einem Richtlinienumsetzungsgesetz eine andere Bedeutung zukommt als sonst in der nationalen Rechtssprache. Begründung der Richtlinie kann Hinweise zur teleologischen Auslegung auch des Umsetzungsgesetzes dienen.
b) Gibt es besondere Auslegungsregeln für nationales Recht, das der Umsetzung von Richtlinien dient? • Keine Meta-Regel, dass der nationale Gesetzgeber Richtlinien nur „1:1“ umsetzt und sog. „Gold Plating“ vermeidet oder vermeiden muss. • Zweifelhaftigkeit „gespaltener“ Auslegung bei überschießender Umsetzung (vgl. z. B. Kuhn, EuR 2015, 216 ff.) • „Verbot“ richtlinienkonformer Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist? • Keine „Analogieunfähigkeit“ von Umsetzungsgesetzen: Grundsatz der vollständigen Integration der Umsetzungsgesetze in den nationalen „Rechtskorpus“ • Kein „selbstzweckhaftes“ Verständnis des Richtlinienzwecks und der Beachtung des Umsetzungsgesetzes • Notwendigkeit sorgfältiger Bestimmung des mit dem Normprogramm einer Richtlinie verfolgten Regelungsziels, um „ungewolltes Gold-Plating“ durch Überschätzung der Richtlinienanforderungen zu vermeiden Siehe hierzu Payrhuber/Stelkens, EuR 2019, 190 ff.; Stelkens/Payrhuber, NVwZ 2018, 195 ff.
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