Fakten über den Gazastreifen - Rosa Luxemburg Stiftung Israel
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Fakten über den Gazastreifen Israel-Büro der Rosa- Israel hat sich 2005 aus dem Gazastreifen zurück- Luxemburg-Stiftung gezogen und dort Siedlungen und Militärbasen geräumt. Aber Israel ist dort weiterhin Besatzungs macht und behält die effektive Kontrolle über den bitterarmen, dichtgedrängten Streifen. Die Abriegelung Gazas, die Kontrolle jeder Ein- und Ausreise, der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie über das Land, den Luftraum und die Küsten gewässer bleiben bis heute bestehen, was gravie rende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und die Energie-, (Ab)Wasser- und Kommunika tionsinfrastruktur hat. Am 30. März 2018 begann im Gazastreifen nahe der Gren- naher Terrorist*innen darstellen, Israels Grenzen zu infiltrie- ze zu Israel der Große Marsch der Rückkehr, eine groß ren, und folglich massive militärische Reaktionen als not- angelegte und langfristige Mobilisierung, die aus einer wendig erachten, kritisieren israelische Linke und Libera- Vielzahl von Protestaktionen besteht. Die Protestierenden le diese als unverhältnismäßig, indem sie auf die extreme fordern die Verwirklichung des Rechts auf Rückkehr der Asymmetrie bei den Opferzahlen hinweisen: Seit Beginn palästinensischen Flüchtlinge aus dem Krieg von 1948 der Proteste sind 205 Palästinenser*innen ums Leben ge- und ihrer Nachkommen – diese machen etwa Zweidrit- kommen und 21.288 verletzt worden, ein Israeli starb und tel der Bevölkerung im dichtbevölkerten Gazastreifen aus 37 Israelis wurden verletzt. Zudem, betonen sie, dass die – in ihre ehemaligen Heimatgemeinden im heutigen Israel. Proteste, auch wenn die Hamas diese zu vereinnahmen Konkret richteten sich die Proteste gegen die Abriegelung versucht, zunächst von zivilgesellschaftlichen Akteuren in- des Gazastreifens durch Israel, die seit der Machtübernah- itiiert wurden und sich vor allem gegen die Abriegelung me der islamistischen Hamas im Jahr 2007 fortbesteht – des Gazastreifens richten, die die israelischen Behörden mit gravierenden Folgen für die dortige Zivilbevölkerung. in Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Militärregime An den Protesten, die vor allem freitags stattfinden, neh- und der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramal- men mitunter mehrere Zehntausende Menschen aus den lah angeordnet haben. Diese Maßnahme wird vom israe- unterschiedlichsten Teilen der Bevölkerung teil: Männer lischen Friedenslager scharf kritisiert. und Frauen, Kinder und Alte, Linke und Rechte, Religiö- Im folgenden Beitrag haben wir – basierend auf Infor- se und Säkulare. mationen der israelischen Organisation Gisha – Zentrum Während Israels Mainstream-Medien und die politische für das Recht auf Bewegungsfreiheit eine Reihe von Fak- Führung die Proteste als den Versuch Hunderter Hamas ten über den Gazastreifen zusammengestellt.
HINTERGRUND Armee bombardierte Ziele im Gazastreifen aus der Luft und mit Artilleriefeuer und zum ersten Mal wurden Raketen von Der Gazastreifen ist ein rund 360 Quadratkilometer großes palästinensischer Seite vom Gazastreifen aus auf die um- Gebiet, in dem heute fast 1,9 Millionen Palästinenser*innen liegenden Gebiete in Israel abgeschossen. leben. Er ist mit 5.154 Menschen pro Quadratkilometer eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Der Gaza- Die «Entflechtung» 2005 streifen befindet sich an der Mittelmeerküste und grenzt im Süden an Ägypten und im Norden sowie im Osten an Israel. Im Rahmen der von Israel 2005 durchgeführten «Entflech- Der Gazastreifen und die Westbank sind die Gebiete des tung» (auf Deutsch häufig Abkoppelung genannt) wurde historischen Palästina, die im Krieg von 1948 nicht Teil des die Industriezone bei Erez geschlossen, die israelischen neu gegründeten Staates Israel wurden. Nach dem Krieg Siedlungen (in denen ca. 9.000 Menschen lebten) wur- von 1948 befand sich der Gazastreifen, in den sich viele den geräumt und die Gebäude zerstört, bevor die israeli- palästinensische Flüchtlinge gerettet hatten, unter ägyp- schen Bodentruppen sich aus dem Gebiet zurückzogen. tischer Kontrolle. Während des Krieges von 1956 erober- Israel kontrolliert weiterhin den Luftraum, die Küstenge- te die israelische Armee den Gazastreifen (und die Sinai- wässer und alle Zu- und Ausgänge des Gazastreifens für Halbinsel), musste allerdings aufgrund des internationalen Waren und Personen (zur südlichen Grenze mit Ägypten Drucks wieder abziehen. – siehe weiter unten). Im Krieg von 1967 eroberte Israel unter anderem auch den Gazastreifen, die Besatzung besteht bis heute fort. Die Herrschaft der Hamas israelische Besiedlung begann 1968 mit zwei Nachal-La- gern (das heißt mit Lagern der 1948 gegründeten Kämp- Nachdem die Hamas aus dem bewaffneten Konflikt mit der fenden Pionierjugend, die Militärdienst mit Landwirtschaft Fatah als Sieger hervorgegangen war und 2007 die Regie- verband) und der ersten Siedlung (1970) in Gusch Kat- rung im Gazastreifen übernommen hatte, verschärfte Is- if, dem Gebiet, das im Laufe der Zeit zu einem Siedlungs- rael (in Zusammenarbeit mit Ägypten) die nach den Wah- block (siehe hierzu Begriffsklärung im Glossar) wurde. Zu- len in den Palästinensergebieten im Jahr 2006 auferlegten dem wurde 1970 auch ein Industriegebiet bei Erez, am Sanktionen und begann mit der Abriegelung des Gazast- nördlichen Ende des Gazastreifens, errichtet, in dem isra- reifens, was die Versorgung mit Waren sowie die Mobi- elische Unternehmen (billige) palästinensische Arbeitskräf- lität der dort lebenden Menschen stark beschränkte und te beschäftigten. Bau und Ausbau der Siedlungen, meist zu großer Not unter der Bevölkerung führte. Die Abriege- kooperative (landwirtschaftliche) Moschawim, wurden in lung besteht bis heute fort. den 1980er Jahren intensiviert, unter anderem durch den Es folgten daraufhin weitere Wellen der Gewalt: Rake- Zuzug von israelischen Siedler*innen, die Jamit (auf der tenbeschuss Israels vom Gazastreifen aus sowie verschie- Sinai-Halbinsel) im Zuge des Friedensvertrags mit Ägyp- dene kleinere und größere Angriffe der israelischen Armee ten (1979) hatten verlassen müssen. auf den Gazastreifen (darunter 2008 die Operation «Heißer Sommer», 2008/9 die Operation «Gegossenes Blei», 2012 Die Oslo-Abkommen die Operationen «Zurückkehrendes Echo» und «Wolken- säule», 2014 die Operation «Starker Fels»), bei denen je Im Zuge der Oslo-Abkommen wurde die Verwaltung des nach Zählung fast 100 Israelis, mehrheitlich Soldaten, und Gazastreifens (mit Ausnahme der israelischen Siedlungen mehr als 3.500 Bewohner*innen des Gazastreifens, mehr- und Armeelager) im Mai 1994 der palästinensischen Au- heitlich Zivilist*innen, getötet wurden. Zudem wurden Tau- tonomiebehörde übertragen. Das Industriegebiet bei Erez sende Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, öffentliche erlebte dadurch einen Aufschwung, weil die Möglichkeit, Einrichtungen und Infrastruktureinrichtungen im Gazast- in Israel zu arbeiten, nicht länger bestand. Um den Gazast- reifen zerstört. Auch in Israel, vor allem in den grenznahen reifen wurde auf der Grünen Linie [Begriffserklärung siehe israelischen Ortschaften, kam es zu Zerstörungen, wenn Glossar] eine Sperranlage errichtet (1994–1996). Allerdings auch in ungleich geringerem Ausmaße. Der Wiederaufbau beansprucht Israel darüber hinaus im Gazastreifen ein ur- geht im Gazastreifen aufgrund der Abriegelung nur schlep- sprünglich 50 Meter, heute 300 Meter breites «Sperrge- pend voran. 2016 waren 43 Prozent der Bevölkerung unter biet» (entlang der Anlage), das Palästinenser*innen nicht 15 Jahren, 70 Prozent erhielten humanitäre Hilfe, 47 Pro- betreten dürfen. Da dieses Gebiet als solches nicht mar- zent litten unter Ernährungsunsicherheit (sprich mussten kiert ist, werden dort immer wieder Menschen von der is- hungern oder waren von Unterernährung bedroht). Die Ar- raelischen Armee erschossen. beitslosigkeit war mit 42 Prozent eine der höchsten welt- weit, bei Menschen unter 29 Jahren lag sie bei 58 Prozent. Die Zweite Intifada DIE ABRIEGELUNG Am Anfang der Zweiten Intifada zerstörten Palästinen- ser*innen fast die ganze Sperranlage [siehe Glossarein- trag], aber Israel errichtete sie erneut (2000/01). Im Zuge der 1. Prinzipien und Folgen eskalierenden Gewalt während der Zweiten Intifada wur- Nachdem die Hamas die Regierung im Gazastreifen 2007 de unter anderem der Gazastreifen weitgehend abgeriegelt übernommen hatte, erklärte das israelische Sicherheitska- und der 1998 eröffnete Flughafen zerstört. Die israelische binett den Gazastreifen zu einem «feindlichen Gebiet» und 2
hat die Ein- und Ausreisefreiheit seiner Einwohner*innen Erez-Übergang für den Gazastreifen das einzige Tor zur üb- sehr viel weitergehender eingeschränkt als jemals zuvor. rigen Welt. Dies ist auch der kürzeste Weg zur Westbank. Auch die Einfuhr von Waren wurde auf ein absolutes Min- Im Jahr 2016 wurden monatlich nur 12.000 Ausrei- destmaß reduziert, das heißt, es wird gerade genug im- sen von Palästinenser*innen am Erez-Übergang regist- portiert, um eine unmittelbare humanitäre Krise zu vermei- riert, während es in den Monaten vor der Zweiten Intifada den. Die Ausfuhr von Waren aus dem Gazastreifen wurde im Jahr 2000 mehr als eine halbe Million waren. Zustän- dagegen ganz unterbunden. Die Einfuhr von Treibstoff un- dig für die Kontrolle der Ein- und Ausreisen am Grenz- terliegt sehr weitgehenden Restriktionen, und die vorher übergang Erez sind die israelischen Sicherheitsbehörden, schon begrenzten Möglichkeiten, vom Gazastreifen aus in die Kriterien für eine Reiseerlaubnis werden strikt ausge- die Westbank und nach Israel oder umgekehrt zu reisen, legt und unterliegen ständigen Änderungen. Selbst wenn wurden noch weiter eingeschränkt. Bewohner*innen des Gazastreifens eine Genehmigung Im Laufe der Zeit wurde eine Doktrin entwickelt, die das erhalten haben, kann es ihnen passieren, dass sie, wenn israelische Militär «Trennungspolitik» nennt. Demnach soll sie nach Erez kommen, dann doch nicht durchgelassen der Gazastreifen von der Westbank abgespalten und Be- werden. In Tausenden Fällen dürfen Antragsteller*innen ziehungen zwischen den beiden palästinensischen Ge- aus «Sicherheitsgründen» nicht den Gazastreifen verlas- bieten sollen unterbunden werden, obwohl (oder gerade sen, ohne dass sie hierzu eine weitere Auskunft erhalten. weil) internationalen Resolutionen und Abkommen zufol- Das widerfährt auch Händlern, die seit Jahren zwischen ge in diesen beiden Gebieten der palästinensische Staat dem Gazastreifen und Israel hin und her reisen, um in Is- entstehen soll. Sprecher*innen des israelischen Sicher- rael Waren einzukaufen. Nach Angaben des Koordinators heitsapparats erklären, dass die Trennungspolitik darauf der Regierungsaktivitäten in den [besetzten] Gebieten (CO- abziele, Druck auf die Hamas auszuüben und der Paläs- GAT) sank die Rate der Genehmigungen von Reiseanträgen tinensischen Autonomiebehörde zu helfen. Aber in Wirk- von 80 Prozent im Jahr 2014 auf 46 Prozent im Jahr 2016. lichkeit schadet die Politik der Zivilbevölkerung im Gaza- In der Regel dürfen neben einer festgelegten wöchent- streifen. So können zum Beispiel Student*innen aus dem lichen Quote nur Händler mit speziellen Genehmigun- Gazastreifen nicht an Universitäten in der Westbank stu- gen, Kranke und sie begleitende Personen sowie weite- dieren; Ärzt*innen und andere im Gesundheitswesen Täti- re «außergewöhnliche humanitäre Fälle» den Übergang ge, Akademiker*innen und andere Fachleute können nicht passieren. vom Gazastreifen in die Westbank oder umgekehrt fahren, nicht einmal für Seminare und Fortbildungen. Obwohl es Ausreise aus dem Gazastreifen viele Familienbande zwischen Menschen im Gazastreifen über Ägypten und in der Westbank (und der palästinensischen Bevölke- rung in Israel) gibt, können im Gazastreifen lebende Fa- Der Übergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten milien ihre in der Westbank (oder in Israel) lebenden Ver- ist in Rafah. Seit dem Sturz des Mubarak-Regimes im Jahr wandten nicht treffen, es sei denn, es handelt sich um ganz 2011 bis Mitte 2013 war Rafah ein wichtiger Übergang für besondere Umstände wie zum Beispiel eine Hochzeit, eine die Menschen im Gazastreifen. Er war recht regelmäßig Beerdigung oder eine schlimme Erkrankung in der Fami- geöffnet, hier wurden zirka 40.000 Ein- und Ausreisen im lie. Aber auch in solchen Fällen haben nur Verwandte ers- Monat registriert. Das änderte sich im Juli 2013, nach- ten Grades das Recht, eine Reisegenehmigung zu bean- dem die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi an tragen, die aber nicht immer bewilligt wird. die Macht gekommen ist. Seitdem ist der Übergang die Mittlerweile wurden einige dieser Beschränkungen auf- meiste Zeit geschlossen. 2016 war der Übergang Rafah gehoben oder die Regeln verändert, aber im Prinzip hat im ganzen Jahr nur 42 Tage geöffnet, mit durchschnittlich sich nichts geändert, und das obwohl die Maßnahmen 3.520 Ein- und Ausreisen im Monat. Die Schließung des ihr ursprünglich erklärtes Ziel, «die Hamas zu Fall zu brin- Übergangs Rafah erhöht Israels Verantwortung: Während gen», nicht erreicht haben. Sie konnten auch nicht verhin- Student*innen aus dem Gazastreifen früher über Rafah zu dern, dass Raketen vom Gazastreifen aus auf israelisches Universitäten im Ausland reisen konnten, brauchen sie Gebiet abgefeuert werden. Was die Beschränkungen je- jetzt israelische Genehmigungen, um über Israel und Jor- doch bewirkt haben, ist eine gewaltige Verschlechterung danien ins Ausland reisen zu können. Der frühere israe- der dortigen Lebensbedingungen. In einem Bericht der lische Verteidigungsminister Moshe Ya’alon erklärte dies Vereinten Nationen heißt es dazu, der Gazastreifen wer- 2015 wie folgt: «Der heutige Gazastreifen ist vom Staat de im Jahr 2020 unbewohnbar sein, falls nicht sofort ent- Israel abhängig. Der Weg über Ägypten wurde geschlos- schlossen gehandelt wird. sen, einschließlich der Tunnel. Der Zugang des Gazastrei- fens zur Welt führt über uns.» 2. Die Ein- und Ausreise 3. Die Ein- und Ausfuhr von Waren Gegenwärtig gibt es nur zwei Übergänge zum Gazastrei- fen, an denen Menschen zu Fuß (Autos werden in der Re- Der Gazastreifen hat nur einen einzigen funktionieren- gel nicht durchgelassen) ein- und ausreisen können: in den Übergang für den Warentransport, den Kerem-Scha- Rafah (nach Ägypten) und in Erez (nach Israel). Wenn der lom-Übergang, der am südöstlichen Rand liegt und ganz Rafah-Übergang geschlossen ist, wie dies seit dem Som- von Israel kontrolliert wird. Seit Beginn der Abriegelung mer 2013 meist der Fall ist, ist der von Israel kontrollierte 2007 bis zum Mavi-Marmara-Vorfall (im Rahmen der 3
Ship-to-Gaza-Aktion) 2010 gab es eine - niemals offiziell acht Jahren, dass Tomaten und Auberginen aus dem Ga- veröffentlichte - Liste von Waren, die eingeführt werden zastreifen in Israel verkauft werden konnten. Die Genehmi- durften. Alles andere war verboten, unter vielen anderen gung wurde für ein sogenanntes Schmita-Jahr erteilt, ein Dingen zum Beispiel auch echter Koriander, Toilettenpa- Jahr, in dem nach jüdischen religiösen Vorschriften Land in pier, Kinderspielzeug und Schokolade. Gegenwärtig er- jüdischem Besitz brachliegen soll. Die Genehmigung wur- laubt Israel die Einfuhr fast aller Waren, allerdings unter- de am Ende des Schmita-Jahres zwar nicht aufgehoben, liegen Waren, die nach israelischer Ansicht neben ihrem aber es wurden auch keine weiteren Produkte zugelassen. eigentlichen Zweck auch für militärische Zwecke verwen- Bis 2007 waren Israel und die Westbank die Hauptab- det werden können, starken Beschränkungen, in einigen satzmärkte für Produkte aus dem Gazastreifen; dorthin Fällen ist ihre Einfuhr ganz verboten. Die Liste der Dinge, gingen 85 Prozent der ausgeführten Waren. Mit Beginn die aus israelischer Sicht eine solche doppelte Nutzungs- der Abriegelung 2007 erlaubte Israel nur noch die Aus- möglichkeit haben, ist sehr lang und unklar. Unter anderem fuhr von Produkten aus dem Gazastreifen ins Ausland (das enthält sie medizinische und kommunikationstechnische heißt, nicht länger nach Israel oder in die Westbank). Und Geräte und Holzbretter. Die Liste schadet der Wirtschaft so verließen monatlich nur eine Handvoll Lkws den Gaza- im Gazastreifen, was die Chancen eines Wiederaufbaus streifen. Der Verlust des Zugangs zu den natürlichen Ab- oder Wirtschaftswachstums stark beeinträchtigt. satzmärkten war hauptverantwortlich für die Lähmung der Zu den Dingen, die aus israelischer Sicht eine doppelte Wirtschaft im Gazastreifen, was die Schließung von Fir- Nutzungsmöglichkeit haben, gehören auch die wichtigs- men, eine hohe Arbeitslosigkeit sowie eine weitgehende ten Baumaterialen, wie zum Beispiel Zement und Stahl, Abhängigkeit von humanitärer Hilfe nach sich zog. Der- die nach israelischer Ansicht auch zum Tunnelbau verwen- zeit beträgt das Bruttoinlandsprodukt des Gazastreifens det werden können. Gegenwärtig erfolgt die Einfuhr von nur die Hälfte desjenigen der palästinensischen Bevölke- Zement und Stahl fast nur im Rahmen des sogenannten rung in der Westbank. Koordinationsmechanismus für die Einfuhr von Bauma- Trotz der Erleichterungen ist das Problem der Warenaus- terialien und Waren (Gaza-Wiederaufbau-Mechanismus/ fuhr noch bei Weitem nicht gelöst. Der Umfang der Wa- GRM), auf den sich Israel und die Palästinensische Au- renausfuhr ist immer noch sehr gering und die Wirtschaft tonomiebehörde unter Aufsicht der Vereinten Nationen steht immer noch still. Es gibt immer noch Hürden, die geeinigt haben und der auf Israels Verlangen nach der die Rentabilität beeinträchtigen und es verhindern, dass Militäroperation «Starker Fels» (2014) eingeführt wurde. mehr Menschen in die Wirtschaft eingebunden werden. Demnach müssen alle größeren Bauvorhaben im Gaza- Seit den Erleichterungen hat sich die wirtschaftliche Si- streifen von Israel genehmigt werden. Auch die Liste der tuation nur sehr langsam verbessert. Seit Beginn der Ab- Lieferanten, Händler und Bauunternehmer, die an Projek- sperrung in 2007 bis Ende 2014 verließen im Monat durch- ten im Rahmen des GRM beteiligt sein können, bedarf is- schnittlich 14,7 Lkws mit Waren den Gazastreifen. 2016 raelischer Genehmigung. Wenn nach israelischer Ansicht waren es durchschnittlich 178 Lkws im Monat. Aber das irgendetwas nicht ganz korrekt ist, kann Israel die Einfuhr sind immer noch lediglich 16 Prozent des Umfangs der von Baumaterialien einstellen und Lizenzen, die zum Bei- Ausfuhren, die vor dem Beginn der Abriegelung im Jahr spiel an Händler oder Ziegelfabrikbesitzer vergeben wur- 2007 stattfanden. den, aufheben. Im Rahmen der Operation «Starker Fels» (2014) wur- 4. Israelische Kontrolle über Land, den im Gazastreifen nach Angaben der Vereinten Nati- Luft und Küsten onen 18.000 Wohneinheiten zerstört oder unbewohnbar gemacht. Bereits vor der Eskalation fehlten 71.000 Woh- Die israelische Kontrolle beschränkt sich nicht auf die Über- nungen. Stark beeinträchtigt sind auch Produktionsstätten gänge für den Waren- und Personenverkehr. Auch die Küs- sowie die Bereiche Elektrizität und Wasser. Der Wieder- tengewässer und der Luftraum über dem Gazastreifen sind aufbau schreitet langsam voran. Nur 11 Prozent der zer- unter direkter israelischer Kontrolle sowie das von Israel im störten Wohneinheiten sind inzwischen wiederaufgebaut Gazastreifen ausgewiesene «Sperrgebiet». Dieses «Sperr- worden. Der Wiederaufbau ist weiter auf umfangreiche in- gebiet», das auch Gebiet mit beschränktem Zugang (Ac- ternationale Unterstützung angewiesen. Die Zahlung von cess Restricted Area/ARA) genannt wird, ist ein 300 Meter in Kairo (Oktober 2014) von verschiedenen Ländern ge- breites Gebiet im Gazastreifen entlang der Sperranlage an machten Zusagen für den Wiederaufbau des Gazastrei- der israelischen Grenze. Offiziell ist es Bäuerinnen und Bau- fens steht etwa zur Hälfte noch aus. ern erlaubt, sich bis auf 100 Meter der Grenze zu nähern, Gegen Ende des Jahres 2014 hatte Israel bekanntgege- unter der Bedingung, dass sie dies vorher mit den zustän- ben, dass es eine der restriktivsten wirtschaftlichen Sankti- digen israelischen Stellen abgeklärt haben. Die Organisa- onen gegen den Gazastreifen aufheben wolle, nämlich das tion Gisha kennt aber bisher keine Fälle, in denen solche Verbot, Produkte aus dem Gazastreifen zum Verkauf in die Absprachen funktioniert hätten. Die israelische Kontrolle Westbank auszuführen. Im November 2014 fuhr nach sie- über das Gebiet entlang der Sperranlage bedeutet nicht ben Jahren der erste LKW mit Waren aus dem Gazastrei- nur, dass regelmäßig auf Bauern und andere Zivilist*innen, fen noch Hebron (in der Westbank). Ihm folgten weitere die das «Sperrgebiet» betreten, geschossen wird. Ende mit Holz, Textilien und anderen Produkten aus dem Gaza- 2015 hat die israelische Armee zum ersten Mal zugegeben, streifen, die zum Verkauf in die Westbank gebracht wur- dass sie Gebiete im Gazastreifen entlang der Sperranlage den. Im März 2015 erlaubte Israel zum ersten Mal nach mit Herbiziden besprüht, damit die Armee freie Sicht hat. 4
Das Sprühen der Herbizide schadet den Pflanzen auf den zu 90 Prozent Grundwasser (von dem allerdings 96 Pro- Feldern weit über die 300 Meter des «Sperrgebiets» hin- zent aufgrund viel zu hoher Nitrat- und Chloridwerte nicht aus und untergräbt damit die Existenzgrundlage der loka- als Trinkwasser genutzt werden sollte), während 4 Pro- len Bäuerinnen und Bauern. Die Langzeitauswirkungen für zent von einer Wasseraufbereitungsanlage (Entsalzung) die Gesundheit von Mensch und Tier sind nicht bekannt. im Gazastreifen bereitgestellt und etwa 6 Prozent von Is- Derzeit beschränkt Israel die Zone, in der im Mittelmeer rael (gegen Bezahlung) geliefert werden. Die Wasserver- gefischt werden darf, auf maximal sechs Seemeilen (zirka sorgung ist nicht nur qualitativ schlecht, sondern auch 11 km) vor der Küste des Gazastreifens. Auf Fischer, die unzureichend. 2015 standen jedem Menschen im Gazast- nach Ansicht der israelischen Kriegsmarine zu weit hin- reifen durchschnittlich 85 Liter Wasser am Tag zur Verfü- ausgefahren sind, wird geschossen, ihre Boote werden gung, während gemäß der Weltgesundheitsorganisation konfisziert und mitunter werden sie verhaftet. Fischen vor ein Mensch mindestens 100 Liter Wasser pro Tag benö- der Küste des Gazastreifens ist zu einem gefährlichen Be- tigt. Zum Vergleich: Im selben Jahr lag der Pro-Kopf-Ver- ruf geworden. Da das Gebiet, in dem Israel das Fischen brauch in Israel bei 236 Litern. erlaubt, so klein ist, kam es im Laufe der Jahre zu Überfi- schung und zur Zerstörung von Fischbrutstätten. Übersetzt von Ursula Wokoeck Wollin Darüber hinaus verbietet Israel den Bau eines Hafens im Gazastreifen, der dem Personen- und Warenverkehr die- Dieser Artikel basiert auf Berichten von nen könnte, und verhindert auch den Wiederaufbau des Gisha – Legal Center for Freedom of Movement. Die israelische NGO setzt sich Flughafens, der 2001 durch einen israelischen Luftangriff seit 2005 für die durch israelisches und zerstört wurde. internationales Recht garantierte Bewe- gungsfreiheit der Palästinenser*innen ein, vor allem für die von Bewohner*innen des Gazastreifens. 5. Infrastruktur im Gazastreifen: Energie, Wasser, Abwasser Nach einem detaillierten Bericht der Organisation Gisha kontrolliert Israel «den Schalter» der gesamten zivilen Infra- strukturen im Gazastreifen, das heißt den Zugang zu Strom, Wasser, Kommunikation etc. Mit anderen Worten: Israel ist in der Lage, die gesamte Versorgung zu regulieren, sie auszubauen, sie zu reduzieren oder ganz zu unterbinden. Energie: Es stehen im Stromnetz im Gazastreifen ge- genwärtig im besten Fall 208 Megawatt pro Tag zur Verfü- gung, wobei 120 Megawatt von Israel (gegen Bezahlung) geliefert werden, 60 Megawatt vom einzigen Kraftwerk im Gazastreifen, das von der Dieseleinfuhr, die Israel kon- trolliert, abhängig ist, und 28 Megawatt von Ägypten. Ge- braucht würden allerdings gegenwärtig zirka 350 bis 450 Megawatt. Die Folge dieses riesigen Defizits ist, dass es täglich Stromausfälle von 8 bis 12, mitunter sogar 20 Stun- den gibt – mit verheerenden Folgen für andere Teile der In- frastruktur, Krankenhäuser, Schulen, Betriebe und private Haushalte, die alle versuchen müssen, sich soweit mög- lich mit Stromgeneratoren zu behelfen. Gas zum Kochen bietet keine wirkliche Alternative, da gegenwärtig nur die Hälfte des dazu benötigten Gases durch den Warenüber- gang in Kerem Schalom eingeführt werden kann. Ein ähn- liches Problem gibt es mit der Solarenergie. Sonnenlicht gibt es genügend, aber Solaranlagen erfordern zu Beginn relativ hohe Investitionen. Außerdem erlaubt Israel meist nicht die Einfuhr der dafür benötigten Stromspeicher, weil diese aus israelischer Sicht eine «doppelte Nutzungsmög- lichkeit» aufweisen. Abwasser: Strommangel und Einfuhrbegrenzungen ha- ben unter anderem auch zur Folge, dass das Abwasser des Gazastreifens meist ganz ungeklärt ins Meer fließt, eben in jenen beschränkten Bereich, in dem Israel das Fi- schen erlaubt. Wasserversorgung: Ähnlich katastrophal ist die Was- serversorgung. Das zur Verfügung stehende Wasser ist 5
Der Gazastreifen – nach wie vor besetzt Auch wenn Israel seine Siedlungen und Militärbasen im Kontrolle über die Bevölkerung: Gazastreifen im Zuge der «Entflechtung» 2005 geräumt hat, bleibt der Gazastreifen nach wie vor besetzt und Isra- Israel kontrolliert weiterhin das palästinensische Bevöl- el bleibt nach wie vor die Besatzungsmacht. Amnesty in- kerungsregister sowohl der Einwohner*innen des Gaza- ternational definiert eine Besatzung wie folgt: streifens als auch der Westbank, sodass alle Ausweis- dokumente (einschließlich Reisepässe) eine israelische «Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich Genehmigung benötigen. Außerdem ist der Gazastreifen in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Die weiterhin für seine Stromversorgung weitgehend von Is- Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo die- rael abhängig. se Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann.» Art. 42 Haager Landkriegsordnung (1907) Militärische Operationen: Der Schlüsselbegriff ist hier die «tatsächliche Kontrolle Seit 2005 setzt Israel seine militärischen Einfälle in den Ga- bzw. Gewaltausübung». Wenn die Besatzungsmacht ihre zastreifen fort, bei denen israelische Truppen regelmäßig Truppen aus dem ganzen Gebiet oder einem Teil abzieht, Felder und landwirtschaftlichen Besitz in Gebieten in der aber weiterhin Schlüsselelemente der Herrschaftsgewalt Nähe der von ihm gezogenen Grenze zerstören. Mehrere einer Besatzungsmacht innehat, kann dies für den Tatbe- große Militäroperationen während der letzten Jahre hat- stand der tatsächlichen Kontrolle bzw. Gewaltausübung ten verheerende Folgen; und israelische Truppen schie- ausreichen. ßen regelmäßig mit scharfer Munition auf palästinensi- sche Zivilist*innen, insbesondere auf Bauern/Bäuerinnen Alleinige Kontrolle der Infrastruktur: und Fischer*innen. Israel hat weiterhin die alleinige Kontrolle über den Luft- Überwachung: raum über dem Gazastreifen und über dessen Küstenge- wässer, und es lässt weiterhin keinen Personen- oder Wa- Israel überwacht den Gazastreifen permanent mit hochent- renverkehr per Luft- oder Seeweg zu. Israel kontrolliert, bis wickelten unbemannten Flugzeugen, Satellitenaufnahmen auf einen, alle Landübergänge des Gazastreifens und hält und anderen Mitteln. Zusammengenommen ermöglichen weiterhin drei der vier Warenverkehrsübergänge geschlos- diese Politik und Maßnahmen Israel, selbst ohne perma- sen; auch beschränkt es weiterhin den Umfang des Im- nente militärische Präsenz vor Ort die tatsächliche Gewalt ports von grundlegenden Gütern und verbietet den Export im Gazastreifen auszuüben. Somit ist Israel weiterhin die von Waren aus dem Gazastreifen weitgehend. All dies hat Besatzungsmacht im Gazastreifen und ist auch weiterhin ernste Konsequenzen für die humanitäre und sozioökono- an das internationale Besatzungsrecht gebunden. mische Situation im Gazastreifen. 6
Gazas Abriegelung 9 Fischerei Zone Abstand von der Küste in Seemeilen 6 Regelung im Oslo-Abkommen 20 Erez-Grenzübergang 2009-2012 3 3 Einziger Grenzübergang für die Ein-und Ausreise 2016 6-9 von oder nach Israel Diese Einschränkung wird von der israelischen Kriegsmarine durchgesetzt Jabalia Beit Sderot Hanoun Gaza Stadt Kfar Aza Nahal Oz Grenzübergang für Brennstoffe. Seit 2010 geschlossen Gaza Kraftwerk wegen Kriegsschäden nur teilweise betriebsfähig Karni-Grenzübergang Deir al-Balah für kommerzielle Güter Seit 2007 geschlossen Sperrgebiet 300m innerhalb des Gazastreifens Kisufim zugänglich für landwirtschaftliche Arbeit bis zu 100m zum Grenzzaun, mit besonderer Sicherheitsprüfung. Nirim 50 km zwischen dem Gazastreifen und Gaza Flughafen Hebron 2009 bombardiert. Die Mehrheit der Seit 2000 geschlossen Bevölkerung des Rafah Gazastreifens darf die Rafah-Grenzübergang Westbank nicht besuchen, obwohl 25% von ihnen Grenzübergang zwischen dem direkte Verwandte dort Gazastreifen und Ägypten haben. selten geöffnet 50 km Hebron Sufa-Grenzübergang Nir Yitshak Gazastreifen Kerem Grenzübergang für Shalom Baumaterial Seit 2008 geschlossen Kerem Shalom Einziger Grenzübergang für Güter und Material 7
Die Grüne Linie Bewohner*in-nen von Hebron, die dann Glossar Die in den Waffenstillstandsabkommen am Ende des Krieges von 1948 (1947–1949) 1936 von der britischen Mandatsregierung gezwungen wurden, die Stadt zu verlassen. Nach der Eroberung im Krieg von 1967 vereinbarten Demarkationslinien wurden zu ließen sich radikale jüdische Siedler*innen Arabisch-palästinensische Israels international anerkannten Grenzen. im Stadt- Infolge des Krieges von 1967 besetzte zentrum sowie in der 1970/71 gegründeten Minderheit in Israel Israel Gebiete über diese Grenzen hinaus. Siedlung Kirjat Arba am Stadtrand nieder. Die nach dem Krieg von 1948 auf dem Die Grüne Linie bezeichnet jene internatio- Hebron wurde zum Zentrum gewaltbereiter Territorium des neu gegründeten Staates nal anerkannte Grenze, die Israel selbst und Siedler*innen. 1994 verübte ein in Kirjat Israel verbliebenen Palästinenser*innen (ca. die besetzten Gebiete voneinander trennt. Arba lebender Siedler ein Massaker an 150.000 Menschen, einschließlich der Aufgrund der Regierungspolitik, die die palästinensischen Betenden in der Ibrahimi- «anwesenden Abwesenden») erhielten die Grüne Linie aus Landkarten und Schulbü- Moschee. Trotz des Oslo-II-Abkommens israelische Staatsbürgerschaft. Sie wurden chern löschen lässt, und wegen des (1995) weigerte sich Israel, die Stadt zu jedoch von 1948 bis 1966 einer Militärre- Zuzugs von immer mehr jüdischen räumen. Stattdessen wurde die Stadt auf- gierung unterstellt, wodurch ihre Men- Siedler*innen in die besetzten Gebiete grund des Hebron-Abkommens (1997) in schen- und Bürgerrechte stark einge- verschwindet die Grüne Linie zunehmend zwei Zonen aufgeteilt: H1 (ca. 80 Prozent) schränkt wurden. Auch nach der formellen aus dem israelischen kollektiven und H2 (ca. 20 Prozent), wobei nur H1 Aufhebung der Militärregierung blieben Bewusstsein. geräumt wurde. Die palästinensische Diskriminierung und fehlende staatsbürger- Bevölkerung in H2 ist seitdem in ihrer liche Gleichheit ein zentrales Problem Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt dieser Minderheit, der gegenwärtig fast 1,8 Hamas (so ist Palästinenser*innen etwa das Betre- Millionen Menschen angehören und die Hamas ist ein Akronym des arabischen ten der zentralen Schuhada-Straße damit etwa 20 Prozent der Gesamtbevölke- Namens der palästinensischen islamischen verboten), Hunderte Geschäfte mussten rung ausmacht. Widerstandsbewegung, die, inspiriert von schließen. Folglich schrumpft die palästi- den ägyptischen Muslimbrüdern, 1987 nensische Bevölkerung in H2 beträchtlich. gegründet und aufgrund ihrer Opposition Gazastreifen zur PLO zunächst von israelischer staatli- cher Seite gefördert wurde. Die einst Intifada (Erste) Mit rund 360 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von fast 1,9 Millionen quietistische Hamas, die sich vor allem der Intifada (arabisch für abschütteln) bezeich- Palästinenser*innen ist der Gazastreifen Islamisierung der palästinensischen net den Aufstand der palästinensischen eines der am dichtesten besiedelten Gesellschaft widmete, verwandelte sich Bevölkerung in der Westbank (einschließ- Gebiete der Welt. Er befindet sich an der zunehmend in einen Gegenspieler Israels lich Ost-Jerusalem) und im Gazastreifen Mittelmeerküste und grenzt im Süden an und der PLO, unter anderem dadurch, dass gegen die israelische Besatzung. Die Erste Ägypten und im Norden sowie Osten an sie sich dafür aussprach, die besetzten Intifada begann im Dezember 1987 und Israel. Der Gazastreifen und die Westbank Palästinensergebiete, falls erforderlich, dauerte in unterschiedlicher Intensität bis sind die Gebiete des historischen auch mit Gewalt zu befreien. Die Hamas zur Unterzeichnung der Oslo-Verträge 1993. Palästinas, die im Krieg von 1948 nicht Teil erkennt den Staat Israel nicht an, ist aber Sie war ein spontaner Volksaufstand, der des neu gegründeten Staates Israel zu einem Waffenstillstand bereit, falls sich nicht durch die im Exil befindliche PLO wurden. Nach 1948 befand sich der Israel aus den 1967 besetzten Gebieten orchestriert wurde. Die Mittel des Gazastreifen, in den sich viele palästinen- zurückzieht. 2006 beteiligte sich die Hamas Aufstands reichten von zivilem Ungehor- sische Flüchtlinge gerettet hatten, unter an den Wahlen der palästinensischen sam (Streiks, Graffiti) über Steinewerfen ägyptischer Kontrolle. Während des Autonomiebehörde und gewann mit 44 (daher die Bezeich- Krieges von 1956 eroberte die israelische Prozent der Stimmen die Mehrheit der nung Intifada der Steine), vor allem durch Armee den Gazastreifen (und die Sinai- Sitze, was ihr die Regierungsbildung Kinder und Jugendliche, bis zum Einsatz Halbinsel), musste allerdings aufgrund des erlaubte. Aufgrund des von den USA und von Molotowcocktails. Bei dem Versuch, internationalen Drucks wieder abziehen. der EU ausgeübten Drucks ging die Hamas die Intifada mit Gewalt zu beenden, verletz- Im Krieg von 1967 eroberte Israel den eine Große Koalition mit der Fatah ein. te die israelische Armee Zehntausende Gazastreifen erneut. Im Zuge der Oslo-Ab- Diese Regierung wurde aber von den USA Kinder und Jugendliche und tötete über kommen wurde die Verwaltung des und von der EU finanziell nicht unterstützt, 1.000 Palästinenser*innen. Die israelische Gazastreifens (mit Ausnahme der bis zu was zusammen mit Spannungen hinsicht- Seite beklagte zirka 100 tote Zivilist*in- deren Aufgabe in 2005 bestehenden lich der Kontrolle der Sicherheitsbehörden nen sowie 60 tote Armee angehörige. israelischen Siedlungen und Armeelager) zu offenen Kampfhandlungen zwischen im Mai 1994 der palästinensischen den Koalitionspartnern führte. Seitdem sind Autonomiebehörde übergeben. Doch die Palästinensergebiete zweigeteilt: Die Intifada (Zweite) Israel kontrolliert bis heute den Luftraum Hamas regiert den Gazastreifen, die Fatah Die Zweite Intifada, auch Al-Aqsa-Intifada und die Küstengewässer sowie die die Enklaven in der Westbank, anstehende genannt, wurde im September 2000 durch Grenzübergänge zu Israel. Nach der Wahlen finden nicht statt. Weder die EU den provokativen Besuch Ariel Scharons Regierungsübernahme durch die Hamas noch die USA unterhalten diplomatischen auf dem Tempelberg/al-Haram al-Scharif 2007 verschärfte Israel (in Zusammenar- Kontakt zur Hamas, da sie als Terrororgani- und durch die gewaltsame Unterdrückung beit mit Ägypten) eine Reihe von auferleg- sation eingestuft wird. palästinensischer Proteste dagegen ten Sanktionen und begann eine bis heute ausgelöst. Anders als bei der Ersten andauernde Abriegelung des Gazastrei- Hebron (arabisch: Al-Chalil) Intifada wurde der Aufstand zunehmend fens, die den Zu- und Ausgang von Waren von den palästinensischen Parteien und Personen stark beschränkt und zu Stadt in der Westbank, in der heute mehr orchestriert und mithilfe von großer Not unter der Bevölkerung führte. als 200.000 Palästinenser*innen und um Selbstmordattentäter*innen und Waffen Seit der vollständigen Abriegelung kam es die 1.000 israelische Siedler*innen leben. geführt, auch innerhalb Israels. Israel setzte zu mehreren bewaffneten Auseinanderset- Hebron ist für Jüdinnen und Juden eine im Gegenzug Panzer und die Luftwaffe ein. zungen zwischen der israelischen Armee heilige Stadt, die jüdischen Gemeinden vor Die Gewaltbereitschaft beider Seiten führte und Bewohner*innen des Gazastreifen mit Ort haben eine lange Geschichte. Steigen- zu zahlreichen Opfern, nach Schätzungen Tausenden von Toten, zum großen Teil de Spannungen zwischen der indigenen etwa 3.000 Palästinenser*innen und 1.000 palästinensische Zivilist*innen, und arabischen Bevölkerung und der zionisti- Israelis. Die Zweite Intifada wurde 2005 enormen Zerstörungen im Gazastreifen. schen Bewegung mündeten 1929 in ein offiziell durch das in Scharm el-Scheikh Massaker an den jüdischen geschlossene Abkommen zwischen dem 8
palästinensischen Präsidenten Mahmoud der israelischen Siedlungen in den der Grünen Linie begonnen. Während der Abbas und dem israelischen Premierminis- besetzten Gebieten, die Zukunft von Zweiten Intifada (2000), in deren Rahmen ter Ariel Scharon beendet. Jerusalem, das Ausmaß der Kontrolle und Anschläge in Israel verübt wurden, Präsenz der israelischen Armee in den beschloss die israelische Regierung, eine palästinensischen Autonomiegebieten durchschnittlich 60 Meter breite Sperranla- Krieg von 1948 sowie das Recht auf Rückkehr der ge (siehe: www.btselem.org/topic/ Die offizielle israelische Bezeichnung für palästinensischen Flüchtlinge. separation_barrier) an der gesamten diesen Krieg ist meist Unabhängigkeits- Strecke entlang zu bauen. Diese wurde krieg oder Befreiungskrieg; von allerdings zumeist nicht auf der Grünen Palästinenser*innen wird er als Nakba Palästinensische Linie errichtet, sondern in der Westbank (arabisch für Katastrophe) bezeichnet. Der Befreiungsorganisation (mitunter bis zu 20 Kilometer von der Grünen Linie entfernt), um israelische Krieg begann 1947 zwischen jüdischen und (PLO) Siedlungen von der übrigen Westbank zu palästinensischen Milizen infolge des UNO-Teilungsplans. Nach der Gründung Die Dachorganisation verschiedener trennen (wobei auch ca. 23.000 des israelischen Staates im Mai 1948 palästinensischer Organisationen (unter Palästinenser*innen, die dort leben, von der beteiligten sich auch reguläre Militäreinhei- denen die 1959 gegründete Fatah – übrigen Westbank getrennt wurden, ohne ten aus Ägypten, Syrien, dem Libanon, Akronym des arabischen Namens der dass sie – im Gegensatz zu den israelischen Jordanien und dem Irak. Der Krieg endete Palästinensischen Nationalen Befreiungsbe- Siedler*innen – Zugang nach Israel hätten). 1949 mit einem Waffenstillstand. Die wegung – die größte ist) wurde 1964 in Bisher wurden ungefähr 70 Prozent der Waffenstillstandslinien wurden zu Israels Kairo gegründet und trat für den bewaffne- Sperranlage fertiggestellt. Seit 2014 wird international anerkannten Grenzen, die im ten Kampf gegen Israel ein. 1974 wurde der Weiterbau von der Regierung nicht Zusammenhang mit den 1967 besetzten die PLO auf der Konferenz der Arabischen weiter forciert, insbesondere aufgrund der Gebieten auch als Grüne Linie bezeichnet Liga als einzig legitime Vertretung des Kritik von Siedler*innen, die in der werden. palästinensischen Volkes anerkannt und Sperranlage einen potenziellen Verzicht auf erhielt Beobachterstatus in den Vereinten die übrigen Teile der Westbank sehen. Nationen. Als Jordanien 1988 weitgehend Krieg von 1967 auf seinen Herrschaftsanspruch auf die Westbank verzichtete, verabschiedete der Westbank Die offizielle israelische Bezeichnung für den vom 5. bis 10. Juni 1967 andauernden Palästinensische Nationalrat, ein zentrales Die Westbank, auf Deutsch auch Westjord- Krieg ist meist Sechstagekrieg; von Organ der PLO, die Palästinensische anland genannt, ist ein fast 5.900 Quadrat- arabischer Seite wird er mitunter auch als Unabhängigkeitserklärung, in der der kilometer großes Gebiet, in dem heute um Naksa (arabisch für Rückschlag) bezeich- palästinensische Staat ausgerufen und die 2,8 Millionen Palästinenser*innen sowie net. Er fand zwischen Israel auf der einen Israel in den Grenzen, wie sie vor dem etwa 550.000 israelische Siedler*innen und Ägypten, Jordanien und Syrien auf der Krieg von 1967 bestanden hatten, de facto leben. Im Norden, Westen und Süden anderen Seite statt, wobei Israel die anerkannt wurde. Mit den Oslo-Abkommen grenzt die Westbank (zu der auch Ost-Jeru- Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, den erkannte die PLO Israel dann formell an, salem gehört) an Israel und im Osten, Gazastreifen und die Westbank (einschließ- und Israel wiederum erkannte die PLO als entlang des Jordan-Flusses, an Jordanien. lich Ost-Jerusalem) eroberte. Nach der Vertretung des palästinensischen Volkes an. Die Westbank und der Gazastreifen sind Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Die im Rahmen der Oslo-Abkommen die Gebiete von Palästina, die im Krieg von Friedensabkommens 1979 räumte Israel entstandene Palästinensische Autonomie- 1948 nicht Teil des neu gegründeten den Sinai. Die Besatzung der anderen behörde ist kein Teil der PLO, jedoch Staates Israel wurden. Nach dem Krieg von Gebiete besteht fort. besteht eine Personalunion: Jassir Arafat 1948 stand die Westbank unter jordani- (1929–2004), der die PLO seit 1969 führte, scher Kontrolle und wurde 1950 von stand der Autonomiebehörde vor, wie auch Jordanien annektiert (was allerdings Krieg von 1973 sein Nachfolger Mahmoud Abbas (Abu international kaum anerkannt wurde). Im Mazen). Krieg von 1967 eroberte Israel unter Die offizielle israelische Bezeichnung ist anderem auch die Westbank, deren meist Jom-Kippur-Krieg; auf arabischer Besatzung bis heute fortbesteht. Seite wird er meist Oktober-Krieg genannt. Siedlungen An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, griffen die Armeen einer von Der Begriff bezeichnet die für jüdische Ägypten und Syrien geführten Koalition Israelis errichteten Ortschaften oder Israel an und begannen einen Krieg, auf Stadtviertel in den 1967 eroberten und den Israel aufgrund einer Fehleinschätzung daraufhin besetzten Gebieten. 2014 lebten nicht vorbereitet war und der in Israel ein ca. 350.000 Siedler*innen in 125 von der nationales Trauma zur Folge hatte. israelischen Regierung genehmigten Siedlungen und in etwa 100 nicht geneh- migten, aber mit staatlicher Hilfe gebauten Oslo-Abkommen sogenannten Outposts in der Westbank. Hinzu kommen etwa 200.000 Siedler*innen Zwei aufeinanderfolgende Abkommen im besetzten Ost-Jerusalem sowie einige zwischen der israelischen Regierung und Tausende auf den von Israel annektierten der PLO: das 1993 in Washington unter- Golanhöhen. Die Siedlungen gelten als der zeichnete Oslo I sowie das 1995 in Taba Hauptgrund für das Scheitern von unterzeichnete Oslo II. Im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Israel Abkommen erkannte Israel die PLO als und den Palästinenser*innen. Verhandlungspartner an und Teile der besetzten Palästinensergebiete wurden einer begrenzten Selbstverwaltung, der zu Sperranlage diesem Zweck geschaffenen Palästinensi- schen Autonomiebehörde, unterstellt. (Mitunter auch Trennungszaun, -mauer Zentrale Fragen sollten in späteren oder -barriere, Sicherheitszaun oder -mauer, Verhandlungen geklärt werden, darunter Mauer, Apartheidmauer oder -zaun der Grenzverlauf zwischen Israel und dem genannt). Bereits im Zuge der Ersten palästinensischen Gemeinwesen (dessen Status noch zu definieren ist), die Zukunft Intifada wurde 1992 mit der Errichtung einer teilweisen Trennungsbarriere entlang rosalux.org.il 9
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