FERTIG LUSCHTIG! Hinter den Bühnen gibt es oft wenig zu lachen - www.null41.ch

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     Mai 2019
     SFr. 9.–

FERTIG
LUSCHTIG!
Hinter den Bühnen gibt es oft
wenig zu lachen
FERTIG LUSCHTIG! Hinter den Bühnen gibt es oft wenig zu lachen - www.null41.ch
Nach ELLE der neue Psychothriller mit Isabelle Huppert

                                                                 “DER BESTE THRILLER DES JAHRES”
                                                                                         DEADLINE
           « Ein aussergewöhnlicher Film! »
                                    EL PAÏS                                       Isabelle      Chloë Grace
   « Der Höhepunkt von Almodóvars Karriere! »                                   Huppert          Moretz
                                 FOTOGRAMAS

     EIN FILM VON
     ALMODÓVAR
                                                                                             Lass dich nicht ködern.

    ANTONIO BANDERAS
    UND DIE BESONDERE ZUSAMMENARBEIT VON

    PENÉLOPE CRUZ

                         AB 23. MAI IM KINO                                    9. Mai im                          ascot-elite.ch

 DO                                   13         FR                 14                 SA                     15

B—Sides Festival                                Sonnenberg Kriens/Luzern
                                                13—15 Juni 2019
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EDITORIAL

                                          Blick hinter die Kulisse: Arbeitsbedingungen in der Kultur

                                                                                                     möglichst viele Arbeitgeberinnen

WEITER GEHT'S                                                                                        und -nehmer, Gewerkschafterinnen,
                                                                                                     Vorstandsmitglieder und Politi-
                                                                                                     kerinnen beteiligen. Denn es verän-

IMMER                                                                                                dert nichts, wer sich nur unter
                                                                                                     Freunden bespricht oder beklagt.

                                                                                             Und: Diese Ausgabe ist mein
                      Alles hat seinen Preis. Um in der Kultur zu                  Abschied vom «041 – Das Kulturmagazin».
                      arbeiten, nehmen viele Bedingungen in Kauf,                  Seit Oktober haben wir vieles ausprobiert,
                      die oft nach ein paar Jahren Aus-                            zum Teil glückte es, andere Male lernten wir
                                 nahmezustand zu resignierender                    aus den Versuchen, aber es war stets eine
           Sophie Grossmann Ernüchterung führen. Zahlreiche                        Gelegenheit, Themen und Menschen zu
           Redaktionsleiterin    Überstunden und tiefe Löhne                       begegnen und einen frischen Zugang zur
                                 gehören zum Alltag, kompensiert                   Kultur oder zumindest der Kulturpublizistik
                      werden sie durch Leidenschaft. In der Mai-                   zu ermöglichen.
                      ausgabe des «041 – Das Kulturmagazin»
                      setzen wir uns anhand von drei Schwer-                       Es war stets mein Anliegen, den Wert des
                      punktgeschichten mit den Arbeitsbedingun-                    Kulturjournalismus für ein breites Publikum
                      gen in der Kultur auseinander – ein Thema,                   aufzuzeigen. Wir sind jünger und vielfältiger
                      das eine hohe Brisanz hat und Betroffenheit                  geworden. Jetzt geht’s weiter – mit meiner
                      auslöst, aber für eine zukünftig nachhaltige                 Nachfolgerin Anna Chudozilov.
                      Arbeitsgestaltung in Kulturbetrieben aus-
                      schlaggebend ist. Mit diesem Heft wollen wir                     Vorhang auf für das nächste Kapitel im
                      einen konstruktiven Dialog anstossen, an                     langen Weiterleben von «041 – Das Kultur-
                      dem sich hoffentlich                                         magazin»!

Mai 2019                             041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    3
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INHALTSVERZEICHNIS

     Prekäre Zustände in Luzern: Urban Frye und Salva Leutenegger                                   Ein Gespenst geht um in der Kultur > Seite 18
                         im Gespräch > Seite 12

LÄUFT
                                                                                   Editorial > Seite 3
                                                                                   Guten Tag > Seite 5
                                                                                   Poliamourös

SCHIEF
                                                                                   Anna Chudozilov über Kunst, die Stadtaufwertung sein soll > Seite 6

                                                                                   Kosmopolitour
                                                                                   Samuel Flores modelliert einen Dampfabzug
                                                                                   in der Hitze Südspaniens > Seite 7
Warum sind die Arbeitsbedingungen am Luzerner Theater
so viel prekärer als andernorts? Eine Recherche von Marlène Schnieper              Stadt – Land
> Seite 10                                                                         Blick durch die Linse aus Luzern und Malters > Seite 8

                                                                                   Überdacht
                                                                                   Fabienne Schmucki und Julia Schiwowa über die Leidenschaft und
                                                                                   das Leiden in der Kulturarbeit > Seite 22
HAUPTSACHE                                                                         Nachschlag
PROFESSIONELL
Was bedeutet der Aufstieg der Kulturmanagerinnen und -manager
                                                                                   Niko Stoifberg über essbare Hirngespinste > Seite 24

                                                                                   Käptn Steffis Rätsel > Seite 66
für Kulturinstitutionen und ihre Arbeit? > Seite 16                                Gezeichnet > Seite 67

GOOD & BAD
Über Praktikumserfahrungen in der Kultur und warum sie
                                                                                    KULTURKALENDER
so beliebt geworden sind > Seite 18
                                                                                    MAI 2019
                                                                                   Musik > Seite 26
                                                                                   Kunst > Seite 30
                                                                                   Bühne > Seite 32
                                                                                   Literatur > Seite 34
                                                                                   Kids > Seite 36
                                                                                   Veranstaltungen > Seite 38
                                                                                   Ausstellungen > Seite 55
Titelbild: Guido Von Deschwanden                                                   Ausschreibungen > Seite 62
Was unter und hinter der Bühne geschieht, bleibt dem Publikum verborgen.
(Bild: Orchestergraben im Opernhaus Zürich)                                        Adressen A-Z > Seite 64

4                                                  041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    Mai 2019
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GUTEN TAG

                                                                              GUTEN TAG, WINTEREINBRUCH!
                                                                         Die einen konnten kaum genug fluchen, als Du
                                                                    uns im April heimgesucht hast. Die anderen haben des
      GUTEN TAG, CVP KANTON LUZERN                                  Winters Kommen seit Monaten herbeigesehnt.
                                                                    Letztere sitzen nun bibbernd Woche für Woche vor
    Stimmfreigabe? Das Schlimmste, was man haben                    ihren Bildschirmen, verfolgen mit parallel zu den
könnte, wäre Haltung.                                               Temperaturen steigender Spannung das «Spiel der
                                                                    Throne». Erstere sind sich sicher, Dich nicht so schnell
Rebellisch, «041 – Das Kulturmagazin»                               wiedersehen zu müssen. Und verdrängen komplett,
                                                                    dass Winter im Mai bis vor wenigen Jahren total
                                                                    unspektakulär war.

      GUTEN TAG, INA KARR!                                          So oder so klimabewusst, «041 – Das Kulturmagazin»

      Herzliche Gratulation! Sie sind die Nachfolgerin,
die in die grossen Fussstapfen von Benedikt
von Peter treten wird. Sie sind die erste Frau auf dem
Intendantenposten in Luzern seit Barbara Mundel
(1999–2004), deren Wirken noch bis heute nachhallt
und die in Kürze Leiterin der Münchner Kammers-
piele wird. Wir schweifen ab, excusé: Sie treten jeden-             Anzeige

falls die künstlerische Leitung am Luzerner Theater
an. Sie waren nicht eine von den 65 Bewerberinnen,
denen man allen abgesagt hat. Das spricht für Sie,
die von der Findungskommission anvisiert, angefragt,
geprüft, ausgewählt und für gut befunden wurde.
      Wir sind dankbar, dass Sie nach Luzern kommen
– Sie werden es nicht bereuen: Das Theater ist uns
nämlich viel wert. Zwar wird es keine Salle Modulable
geben, mit der man Ihren Vorgänger lockte, doch
immerhin ein neues Theater an der schönen Reuss
(aber seien Sie gewarnt: Es wird noch dauern, der
Kanton weiss noch nicht mal, woher das Geld
kommen soll). Dass Ihre Stelle zudem «weniger sexy»
(Stiftungsratspräsidentin Birgit Aufterbeck) sein
soll als unter von Peter – easy: Hinter den Kulissen
Verantwortung zu übernehmen, hat auch seinen Reiz.
Jetzt müssen Sie nämlich erst mal eines: mehr Geld
beschaffen! Selbst Regie zu führen, steht momentan
nicht im Vordergrund.
      Aber wir schweifen wieder ab: Willkommen
in Luzern! Gänzlich ironiefrei finden wir’s wunderbar,
dass man sich für eine Frau entschieden hat.
                                                                                                       GESTALTERISCHER
Bühne frei, «041 – Das Kulturmagazin»                                                                         VORKURS
                                                                                                          JAHRESAUSSTELLUNG
                                                                                                           1. Mai bis 4. Mai 2019
                                                                                                        Sentimatt 1/Dammstrasse
                                                                                                                     6003 Luzern
                                                                                                           www.hslu.ch/vorkurs

Mai 2019                            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                   5
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POLIAMOURÖS

            Zuerst dachte ich ja, das sei Kunst. Wo   Baum wird die Bevölkerung um Mit-                Urban Forestry und Elon Musks Ra-
            sich früher Hundekotreste an Kippen       hilfe gebeten. Diese soll offenbar               keten (vielleicht als Backup, falls wir
            schmiegten und winzige Scherben-          darin bestehen, Abfallsäcke ausser-              das Klima derart zum Kochen brin-
                                      partikel mit    halb der neu gestalteten Baumschei-              gen, dass nur noch die Flucht ins Uni-
Text: Anna Chudozilov                 Spuckspuren     ben zu deponieren. Baumscheiben: So              versum bleibt).
Illustration: Anja Wicki              pubertieren-    heissen die zwei, drei von Beton ver-                  Dank Google verstehe ich dann
                                      der Schulkin-   schonten Quadratmeter rund um                    auch den kryptischen Hinweis auf
            der um die Wette funkelten, glänzen       einen Strassenbaum im Fachjargon.                «Grünstadt Schweiz». Es handelt sich
            nun blankgeputzte Steinchen.              Und Fachmänner sind hier offensicht-             dabei um «eine Auszeichnung für in-
            Frühlingsblümchen strecken keck           lich am Werk.                                    novative Städte und Gemeinden,
            ihre kleinen Köpfchen genau auf                 Denn heutzutage werden nicht               welche ein nachhaltiges Management
            Auspuffhöhe – kleine Botschafter der      nur Ausfallstrassen, Spielplätze und             ihrer Freiräume umsetzen und sich
            Natur mitten im urbanen Raum. Defi-       ganze Vororte von Profis aufgewertet,            für mehr Biodiversität im urbanen
                                                                                                       Raum engagieren». Luzern war 2017
                                                                                                       die erste Stadt der Schweiz, die das

Freiraum Stufe Gold                                                                                    Zertifikat erworben hat (nicht zuletzt
                                                                                                       dank der Umstellung auf eine biologi-
                                                                                                       sche Sportrasendüngung). Und zwar
                                                                                                       auf Stufe Silber.
                                                                                                             Vielleicht hofft man mit den op-
          nitiv als Hinweis auf Kunst wertete         sondern auch Baumstandorte. Verant-              timierten Baumscheiben die Quali-
          ich die wahnwitzige Idee, auf jedem         wortlich für das Unterfangen ist die             tätsstufe Gold in greifbare Nähe zu
          einzelnen neugestalteten Baum-              Stadtgärtnerei, der federführende                rücken. Gerade deshalb sollte man auf
          standort entlang der Bruchstrasse           Projektleiter ist auf jedem Plakat na-           das eine oder andere laminierte Blatt
          eine Latte in den Boden zu rammen,          mentlich aufgeführt, E-Mail-Adresse              verzichten. Überhaupt: Muss das sein,
          ein laminiertes Blatt Papier drauf zu       und Telefonnummer laden die Bevöl-               dieses komplett masslose Prahlen, nur
          tackern und das «Aufwertungspro-            kerung zum Austausch ein. Dank Lin-              weil man von Erdklumpen mit Un-
          jekt» zu feiern. Dutzende Male ist die      kedIn finde ich schnell heraus, dass             kraut auf Steinchen mit Blümlein um-
          Rede von Versuchsflächen für eine at-       sich der junge Mann für das i-Tree               gestellt hat? Mag sein, dass das bie-
          traktivere Bruchstrasse, von Baum zu        Europe Network interessiert, für                 nenfreundlich und ameisenfördernd
                                                                                                       ist. Aber es ist auch ein bisschen lä-
                                                                                                       cherlich, sich mit stolzgeschwellter
                                                                                                       Brust derart selbst zu rühmen.
                                                                                                             «Durch die vermehrte Verdich-
                                                                                                       tung im urbanen Raum steigen die
                                                                                                       Anforderungen an die Qualität der
                                                                                                       Freiräume, deren Erreichbarkeit und
                                                                                                       Funktionalität», schrieb die Stadt in
                                                                                                       der Medienmitteilung zur Auszeich-
                                                                                                       nung. Da bin ich d’accord, keine Frage.
                                                                                                       Doch mit «nachhaltigem Manage-
                                                                                                       ment ihrer Freiräume» sollte eine
                                                                                                       Stadt mehr erreichen als attraktive
                                                                                                       Baumscheiben für Insekten. Seien
                                                                                                       wir ehrlich: Städte sind für Menschen
                                                                                                       da. Um für diese attraktive Freiräume
                                                                                                       zu schaffen, muss man sich deutlich
                                                                                                       mehr einfallen lassen. Ich hielt das ja
                                                                                                       irrigerweise zuerst für Kunst. Doch
                                                                                                       vielleicht braucht es nicht viel mehr
                                                                                                       als eine Laminiermaschine, um aus
                                                                                                       der stadtgärtnerischen Lobhudelei
                                                                                                       wenigstens eine Demonstration für
                                                                                                       Freiraum zu machen, der den Namen
                                                                                                       wirklich verdient.

6                                              041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                     Mai 2019
FERTIG LUSCHTIG! Hinter den Bühnen gibt es oft wenig zu lachen - www.null41.ch
KOSMOPOLITOUR

«Wo ich schon mal hier bin, kann ich
auch noch ein bisschen bleiben.»
Samuel Flores modelliert seit letztem Sommer
3-D-Objekte für Videospiele
unter der Sonne Spaniens – in Valencia.
                                                                                                   Schweizer Game-Aficionado
                                                                                                         Samuel Flores

                 2012, Luzern:                            2017, Luzern:                    Meine ersten sind: ein Hundespiel-
                  Ich arbeite als Handlanger bei          Die drei Jahre für den Bachelor zeug, ein Dampfabzug und eine Elek-
            einer Elektroinstallationsfirma. Es fliegen nur so dahin. Kurz noch meine troherdplatte. Irgendjemand muss ja.
            geht viel zu früh los und endet viel zu Schuld am Vaterland begleichen, Und ich bekomme Einblicke in die
            spät. Die Bezahlung ist mit ein paar danach bin ich auf der Suche nach Welt der Videospiele, wie ich sie vorher
            Überstunden ganz ok. An einem Don- einem Job in der Videospiele-Branche. nur von Making-ofs gekannt habe.
            nerstagabend versende ich meine Be-                                                  Wir haben gleitende Arbeitszei-
            werbung für einen Job als Promoter.           2018, Luzern:                    ten. Natürlich fange ich möglichst
            Hauptsache weg. Mein jetziger Chef            Game-Studios in der Schweiz? früh an. So bleibt noch Zeit für Sonne,
            bietet mir 1 Franken pro Stunde mehr Eher weniger. Ausland? Überall.           Strand und die Suche nach grünen
            an. Ich kündige. Den neuen Job trete          Bewerbungen gehen in alle vier Flecken, die ich am Wochenende be-
            ich die Woche darauf an.                Himmelsrichtungen. Erste Absagen suchen kann, um zu entspannen und
                                                    trudeln ein. Ich lasse mich nicht de- zu lesen. An Valencia kann man sich
                  2013, Luzern:                     motivieren, und siehe da, eine positi- gewöhnen.
                  Ich bewerbe mich für den Ge- ve Rückmeldung. Bewerbungsge-                     Die Zeit vergeht wie nie zuvor.
            stalterischen Vorkurs. Es klappt dank spräch per Skype. Warten … Zusage. Schon ist Weihnachten. Zwei Wochen
            viel Fleiss und Hingabe. Auf der Arbeit Wann ich starten kann? So in etwa Schweiz. Meine Rückkehr fühlt sich
            läufts. Ich wechsle vom fliegenden zwei Monaten!? Dann verpass ich an, als würde ich von einer langen
            Promoter zum stationären Verkäufer. Grossmamas Geburtstag nicht. An- Arbeitswoche nach Hause kommen.
            So weit, so gut. Im September geht der statt zu packen entsorge ich 80 Pro- Kaum hier, geht's schon wieder zurück.
            Vorkurs los. Vom Pinsel zur Metall- zent meines Zimmers. Man soll ja nur
            platte, vom Holztisch zur digitalen aufbewahren, was Freude macht. Ich               2019, Valencia:
            Welt. In der bleib ich hängen. Irgend- nehme mit: Playstation, Arbeitscom-           Wo ich schon mal hier bin, kann
            wie … spannend. Kurzer Ausflug in die puter und ein paar Kleider. Zwei ich auch noch ein bisschen bleiben.
            Realität: Ich verliebe mich am Ping- grosse Koffer. Los geht's.
            pongtisch.
                   Zusammen mit einem Mitstu-             2018, Sommer, Valencia:
            denten kreiere ich mein erstes kleines        Heisseste Woche des Jahres:
            Videospiel. Er übernimmt das Pro- Check
            grammieren. Ich zeichne und animie-           Verständnis für Klimaanlage:
            re. Nach ein paar Wochen ist es fertig. No-Check
            Die Figur springt. In diese Richtung          Dank viel Glück finde ich schon
            soll es weitergehen. Die Bewerbung am zweiten Wochenende eine eigene
            für das Animationsstudium geht raus. Wohnung. Die Arbeit beginnt. Ich mo- Samuel Flores (*1989), geboren in Zug,
            Ich bin drin.                           delliere 3-D-Objekte für Videospiele. lebt in Valencia

Mai 2019                           041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                              7
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STADT
     29. MÄRZ, KAFFEE KIND, LUZERN – DARK ENTRIES

    «Grossstädtische Unaufgeregtheit – eine Spur
                      Berlin in der Baselstrasse»
                                                    Bild & Wort:   DUKE

8
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LAND
                           5. APRIL, GLEIS 5, MALTERS – ALBIN BRUN TRIO & ISA WISS

«Stille Hingabe trifft
Leidenschaft»
Bild & Wort:   Daniel Winkler

                                                                                     9
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FOKUS:KULTURARBEIT

     EINE GESCHICHTE
     DER ABSAGEN –
     UND EIN TROTZDEM

10       041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT

           «Der Luzerner Intendant Benedikt von Peter inszeniert             dient als das künstlerische Personal. Aber auch hier orten
           Mozarts ‹Don Giovanni› und zeigt einmal mehr, warum               Gewerkschafter Nachholbedarf. Der Mindestlohn eines
           sein Theater zurzeit das interessanteste der Schweiz              gelernten Schreiners etwa beläuft sich nach dem national
                              ist.» So las man in der «NZZ» nach der         gültigen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf 4985 Franken
Text: Marlène Schnieper       Premiere vom 13. Januar. Das Lob               pro Monat, am Luzerner Theater beträgt er 3893 Fran-
                              war nicht neu. Die Irritation von Seh-         ken, also 1092 Franken weniger. Auch diesem Handwer-
           und Hörgewohnheiten, die Überblendung von Bildern,                ker ist schon aufgefallen, dass das Geld nie fehlt, um etwa
           eine multimediale Annäherung an den klassischen                   ein Bühnenbild dreimal neu zu konzipieren, während er
           Stoff – vieles, was diesen «Don Giovanni» charakteri-             finanziell kurzgehalten wird.
           siert, steht für von Peters künstlerischen Impetus
           schlechthin. Der 41-jährige Deutsche startete in Luzern                  Wie im biblischen Gleichnis
           mit der Spielzeit 2016/17 und wird seine Zeit hier in der                Die einen kündigen, die andern harren aus. Bei
           Saison 20/21, einem Ruf nach Basel folgend, definitiv             manchen wächst die Einsicht, dass sie sich gewerkschaft-
           beenden. Selten sind die Kritiken für das Luzerner The-           lich stärker engagieren müssen. Woher die Unruhe? Wes-
           ater (LT) so enthusiastisch gewesen wie für die Ära, die          halb gewinnt man den Eindruck, einige in Benedikt von
           er mit einem festen Stab und teils illustren Gästen               Peters Truppe seien am Anschlag? Diese Fragen wollten
           prägte. Das Haus an der Reuss hat damit auch neue                 wir mit Leuten diskutieren, die nach unserem Dafürhal-
           Sponsoren und gelegentlich auch ein neues, jüngeres               ten dazu berufen wären. Bald fühlten wir uns wie der
           Publikum gewonnen.                                                König im biblischen Gleichnis, der die Notabeln seines
                                                                             Reichs zum Hochzeitsmahl lädt und lauter Absagen
                 «Du fühlst dich als Systemtölpel»                           erhält.
                 Bei allem Glanz und Spektakel mehren sich freilich                 Da ist zum Beispiel der Zweckverband für die
           die Zeichen, dass es an der Basis rumort. In seiner dritten       grossen Kulturbetriebe, über den Stadt und Kanton
           Spielzeit in Luzern verdiene er nur unwesentlich mehr             Luzern im laufenden Jahr 28,3 Mio. Franken an fünf Ins-
           als den Mindestlohn, klagte der Schauspieler Yves Wüth-           titutionen fliessen lassen. Davon geht der Löwenanteil –
           rich am 26. März auf dem Onlineportal «Zentralplus».              20,2 Mio. Franken – an das Luzerner Theater. Der Rest
           Für einen, der einen Hochschulabschluss habe, sei das             verteilt sich auf das Luzerner Sinfonieorchester, das
           «schlichtweg zu wenig». Im Kindergarten in Basel habe             Kunstmuseum, das Lucerne Festival und das Ver-
           er einst einen Vogel gespielt, in Jena als Profi auch den         kehrshaus der Schweiz. Die städtische Delegierte in
           Hamlet. Die Bühne fasziniere ihn, erzählte Wüthrich. Im           diesem Zweckverband, Rosie Bitterli Mucha, und ihr
           Alter von bald 40 Jahren müsse er sich indes eingestehen,         kantonales Pendant Stefan Sägesser räumen zwar ein,
           dass ein Künstler vom Applaus allein nicht leben könne.           dass die Arbeitsbedingungen am Luzerner Theater und
           Er sei darum froh, dass er sein Budget mit sporadischen           bei anderen Kulturbetrieben ein wichtiges Thema seien.
           Einsätzen bei Film und Fernsehen aufbessern könne. In             Mit dem Einwand, die Personalpolitik dieser Betriebe sei
           zwanzig Drehtagen verdiene er so viel wie in einem                gewiss nicht ihre Sache, reichen sie das heisse Eisen aber
           halben Jahr als Ensemblemitglied am LT.                           gleich weiter.
                 Wüthrich lässt sich namentlich zitieren. Andere                    Adrian Balmer verfügt als Verwaltungsdirektor des
           fürchten, sich diesen Luxus nicht leisten zu können,              LT über personelle und finanzielle Kompetenzen. Auch
           selbst wenn sie ähnlich empfinden. Die Mindestgagen               er schlägt unsere Einladung aus. Am Theater sei gerade
           für das künstlerische Personal am LT gehören heute zu             ein Prozess in Gang, der die Strukturen «im Sinne einer
           den schlechtesten, die Theater hierzulande bezahlen. In           innovativen Organisationsentwicklung» überprüfe,
           der laufenden Spielzeit beträgt die Mindestgage in                man beleuchte «die aktuelle Situation wie die mittelfris-
           Luzern 3700 Franken, das entspricht einem Brutto-Mo-              tige Zukunft». «Nach interner Rücksprache» auch mit der
           natslohn. Künstlerinnen und Künstler der verschiede-              Stiftungsratspräsidentin Birgit Aufterbeck Sieber wolle
           nen Sparten arbeiten dafür sechs Tage die Woche, vor              man «während dieses laufenden Prozesses keine exter-
           Premieren oft bis in alle Nacht. Die Malocherei ginge ja          nen Verlautbarungen abgeben».
           noch, wenn sich bei ihr nicht gleichzeitig so etwas wie Re-              Martin Wyss ist Geschäftsleiter des VPOD
           signation eingeschlichen hätte, sagt eine junge Kollegin          Zentralschweiz und Präsident des technischen und ad-
           Wüthrichs, die einen Berufswechsel erwägt: «Du lässt              ministrativen LT-Personals. Prompt zieht er sich eben-
           dich zu Höchstleistungen anspornen, doch der Chef                 falls zurück. Verhandlungen für einen besseren GAV spe-
           kennt dich nicht und grüsst dich nicht im Lift. Da fühlst         ziell für das Haus an der Reuss stehen an. Die will Wyss
           du dich als Systemtölpel.»                                        nicht gefährden.
                 Zum System Theater gehört, dass das technische                     «041 – Das Kulturmagazin» jedoch hält am Thema
           Personal, das im Verband des Personals öffentlicher               fest, wie das Gespräch mit zwei Sachkundigen zeigt, die
           Dienste (VPOD) organisiert ist, tendenziell besser ver-           seiner Einladung trotz allem folgten.

Mai 2019                                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                 11
FOKUS: KULTURARBEIT

«HUNGERLÖHNE AN THEATERN
MÖGEN USANZ SEIN, NORMAL
IST DAS NICHT»
Das Luzerner Theater holt zu künstlerischen Höhenflügen aus, das Bodenpersonal murrt.
Was ist passiert? Ist der Ehrgeiz des Intendanten mit ihm durchgebrannt,
wirkt der Spardruck nach, oder rühren die Spannungen von strukturellen Problemen?
Mit der Arbeitnehmervertreterin Salva Leutenegger und dem Grünen-Politiker
Urban Frye sprach Marlène Schnieper.

Interview: Marlène Schnieper
Bilder: Herbert Zimmermann

        Eine junge Dramaturgin stellt fest, dass ihr Einkommen                gross wäre, versteckt man sich gern hinter dem Subventi-
        am Luzerner Theater unter dem liegt, was sie während                  onsgeber. «Unser finanzieller Rahmen ist beschränkt, wir
        des Studiums an der Migroskasse verdiente. Ein                        müssen uns nach der Decke strecken, es geht ja auch nicht
        Schauspieler sagt, dass ihm zwanzig Drehtage beim                     an, dass Künstler mehr verdienen als Techniker.» So und
        Film gleich viel einbringen wie ein halbes Jahr Arbeit im             ähnlich lauten die Ausflüchte.
        Haus an der Reuss. Frau Leutenegger, ist das normal?
              Salva Leutenegger: Ja, leider verhält sich das seit Langem            Wachsendes Unbehagen äussert freilich nicht nur
        so. Es wird sich auch nicht ändern, wenn wir uns nicht alle           das künstlerische, sondern auch das technische
        zusammen ernsthaft wehren.                                            Personal. Der monatliche Mindestlohn eines Schreiners
                                                                              am Luzerner Theater liegt fast 1100 Franken unter
              Ist das in der ganzen Schweiz so oder nur in Luzern?            dem Mindestlohn im national gültigen Gesamtarbeits-
              Leutenegger: Soweit wir sehen, sind die Gagen im Be-            vertrag. Wussten Sie das, Herr Frye?
        reich von Oper und Theater überall sehr tief, das gilt für                  Urban Frye: Ich wusste es, doch das Publikum ist sich
        Festangestellte wie für die freie Szene. Mit einer Mindestga-         der prekären Arbeitsbedingungen oft nicht bewusst. Hun-
        ge von derzeit 3700 Franken pro Monat bildet Luzern aller-            gerlöhne mögen an Theatern Usanz sein, dennoch halte ich
        dings zusammen mit Biel/Solothurn das Schlusslicht der in-            es nicht für normal, dass hochqualifizierte Fachkräfte, eine
        stitutionellen Theater.                                               Tänzerin mit Diplom, ein Dramaturg mit Masterabschluss,
                                                                              auf der Stufe von ungelerntem Servicepersonal entlöhnt
               Selten erhielt das Luzerner Theater künstlerisch so            werden.
        viel Lob wie unter der Intendanz von Benedikt von
        Peter. Weshalb zahlt sich das nicht aus für all jene, die vor               Bühnenkunst handelt von Macht und Ohnmacht,
        und hinter den Kulissen bis zum Umfallen schuften?                    von existenzieller Not und Ausbeutung, dabei sind die
               Leutenegger: Als Arbeitnehmerorganisation kämpft               Protagonisten selber die Ausgebeuteten. Ein Paradox?
        der Schweizerische Bühnenkünstlerverband (SBKV) seit                        Leutenegger: Tatsächlich erfahren Künstlerinnen und
        Jahren für eine gerechtere Aufteilung der jeweils vorhande-           Künstler nur zu oft, wie zerbrechlich und austauschbar sie
        nen Mittel. Im Vorstand des Schweizerischen Bühnenver-                sind. Vielleicht führen sie uns gerade deshalb die Nichtigkeit
        bandes (SBV), also der Arbeitgebervertretung, sitzt auch              menschlichen Strebens so eindringlich vor Augen.
        Adrian Balmer, der Verwaltungsdirektor des Luzerner The-                    Frye: Die Krux ist, dass das Luzerner Theater, das einst
        aters. Wenn wir in der gemeinsamen Tarifkommission mit                ein Stadttheater war, inzwischen eine Stiftung ist, also eine
        unserem Sozialpartner um Hebung der Mindestgagen                      Einrichtung auf privatrechtlicher Basis, unabhängig von der
        ringen, stehen wir häufig auf verlorenem Posten – auch das            öffentlichen Hand. Damit hat man die Asymmetrie der
        landesweit. In Luzern, wo der Nachholbedarf besonders                 Macht quasi institutionalisiert. Das oberste Kader kann

12                                            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT

                                                Urban Frye, 57-jährig,
                                                ist Kulturwissen-
                                                schaftler und kultur-
                                                politisch engagierter
                                                Kantonsrat der Grünen.
                                                Er hat einen Master-
                                                abschluss in Wirt-
                                                schaftsrecht mit
                                                Schwerpunkt Vertrags-
                                                recht. Aus eigenen
                                                Mitteln hat er jüngst
                                                3,5 Millionen Franken in
                                                die Music Box gesteckt,
                                                ein Studentenwohnheim
                                                an der St. Karli-Strasse
                                                71c in Luzern, wo
                                                junge Musikerinnen
                                                und Musiker leben und
                                                arbeiten können.

Salva Leutenegger,
53-jährig, leitet seit
2015 die Geschäftsstel-
le des Schweizerischen
Bühnenkünstlerver-
bandes SBKV in Zürich.
Seit 25 Jahren vertritt
sie bei Berufsver-
bänden die Interessen
der Mitglieder. 2008
baute sie die Zürcher
Geschäftsstelle des
Journalistenverbandes
Impressum auf und
leitete sie während
sechs Jahren. Zuvor
war sie Geschäfts-
leiterin beim Musiker-
verband SMV.
FOKUS: KULTURARBEIT

     schalten und walten, wie ihm beliebt. Wem's nicht passt, der
     kann gehen. Unter dem Primat der Kunst ist jede und jeder
     ersetzbar, für eine offene Stelle stehen hundert andere an.

            Das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), Partner des
     KKL und des Theaters, ist ebenfalls privatrechtlich
     organisiert. Es holt sich nicht nur künstlerisch Meriten,
     seine Mitglieder sind auch finanziell vergleichsweise gut
     gehalten. Liegt das am rührigen Intendanten Numa
     Bischof Ullman oder woran sonst?
            Leutenegger: Musikerinnen und Musiker sind traditio-
     nell bessergestellt. Dass sie am Hof spielten, der weltlichen
     oder kirchlichen Macht nahestanden, wirkt bis heute nach.
     Mittlerweile lernten sie zudem, für ihre Rechte solidarisch
     einzustehen.
            Frye: In Luzern hielt niemand Hof. Als Musiker brauch-
     te man in dieser Stadt früher ein Bettler- und Hausiererpa-
     tent. Der zweite Umstand, den Frau Leutenegger anspricht,
     fällt stärker ins Gewicht: Orchestermusiker sind inzwischen
     gewerkschaftlich besser organisiert als andere Künstler. Sie
     kennen ihren Wert, können nebenbei unterrichten und arbei-
     ten in der Regel bis zur Pension. Die Karriere einer Tänzerin
     endet im Alter von etwa 35 Jahren, danach muss sie sich um-
     schulen lassen. Ihre Gage trägt dem kaum Rechnung. So erge-
     ben sich krass unterschiedliche Verhältnisse innerhalb der
     künstlerischen Sparten.

            Über den Zweckverband von Stadt und Kanton
     fliessen derzeit jährlich mehr als 28 Millionen Franken an
     die grossen Luzerner Kulturbetriebe. Gut 20 Millionen
     Franken gehen allein an das Theater, drei Millionen
     an das LSO. Daran hat der Regierungsrat die Erwartung
     geknüpft, dass diese Betriebe «marktgerechte Arbeits-
     bedingungen bieten und eine Personalpolitik nach
                                                                                   «In Luzern, wo der Nachholbedarf
     ethischen Grundsätzen betreiben». Das klingt gut, doch                                   besonders gross wäre,
     wer verleiht dem Nachdruck?
           Leutenegger: Herr Frye hat es erwähnt, als Stiftung ist
                                                                                      versteckt man sich gern hinter
     ein Kulturbetrieb grundsätzlich unabhängig auch vom Sub-                               dem Subventionsgeber.»
     ventionsgeber. Kein Politiker, keine Politikerin wird sich in
                                                                                                                     Salva Leutenegger
     die Personalplanung, geschweige denn in das künstlerische
     Programm eines solchen Betriebs einmischen wollen. Doch
     böten sich im Rahmen eines Subventionsvertrages durch-
     aus Möglichkeiten, den Finger auf wunde Punkte zu legen.
     Darf ein Theater unter Spardruck mit den Gagen knausern,
     derweil ein Regisseur weisse und handgefertigte Gummi-              darum bemüht sein, die Mindestgagen auf ein anständiges
     stiefel für eine bestimmte Szene aus London ordern kann,            Mass zu heben, ehe er festlegt, welche Anzahl von Produkti-
     auch wenn die Stiefel am Ende vielleicht gar nicht gebraucht        onen und wie viel Extravaganz die verfügbaren Finanzen ge-
     werden? Solche kritischen Rückfragen wären einer gerech-            statten? Mangelt es am dafür notwendigen Verantwortungs-
     teren Aufteilung der gegebenen Mittel förderlich. Da könn-          gefühl, sollte es der Stiftungsrat anmahnen. Aber die Mitglie-
     ten die öffentlichen Geldgeber schon mutiger sein. Darauf           der dieses Gremiums wählen sich selbst, sie üben ihr Amt so
     hat unser Verband in einer nationalen Kampagne im vergan-           lange aus, wie sie wollen. In Luzern hat man von dieser Seite
     genen Jahr hingewiesen.                                             lange nichts gehört. Tauglicher wäre vielleicht ein Verein, in
           Frye: Dieser Aspekt ist mir wichtig. Bei aller Achtung        dessen Vorstand Personalvertreter einsässen. Die Basis
     für die künstlerische Freiheit eines Intendanten – sollte er        könnte sie wählen und abwählen und damit auch in die
     nicht zusammen mit dem Verwaltungsdirektor zuerst                   Pflicht nehmen.

14                                       041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT

                  Herr Frye, Sie haben im Herbst im Kantons-                    be. Der Regierungsrat hat das Postulat abgelehnt, der zu-
           parlament postuliert, dass Institutionen, die wesentlich             ständige Kulturminister Reto Wyss drückte aber die Erwar-
           durch öffentliche Gelder finanziert werden, die Saläre               tung aus, dass die einzelnen Institutionen von sich aus ihre
           ihrer Führungskräfte publik machen. Dabei dachten Sie                Spitzensaläre offenlegen. Selbst beim FC Luzern hat man
           auch an die grossen Kulturbetriebe. Was versprechen                  unterdessen begriffen, was es diesbezüglich geschlagen hat.
           Sie sich davon?                                                      Nur bei den Kulturbetrieben hapert es. Der Verwaltungsdi-
                  Frye: Die Grüne Partei, die ich vertrete, hat verlangt,       rektor des Theaters ist seit Jahrzehnten im Amt. Er fürchtet,
           dass für die leitenden Funktionen subventionierter Betrie-           vielleicht nicht ganz zu Unrecht, dass kein Stein auf dem
           be, also vor allem des Luzerner Theaters und des LSO, künf-          andern bleibt, wenn man einen Eckpfeiler des Gemauschels
           tig die gleiche Lohntransparenz gilt wie für die obersten            herauszieht. Auch der Stiftungsrat sperrt sich.
           Kader der Luzerner Kantonalbank oder der Verkehrsbetrie-
                                                                                      Was nützt es dem kleinen Schauspieler, wenn er
                                                                                erfährt, dass seine Intendantin eine halbe Million
                                                                                verdient, während für ihn ein Jahreslohn von 50 000
                                                                                Franken abfällt?
                                                                                      Leutenegger: Die Einsicht in das Lohngefälle wird hof-
«Die Karriere einer Tänzerin endet                                              fentlich nicht nur den kleinen Schauspieler, sondern auch
                                                                                das grosse Publikum dazu anregen, das Ungleichgewicht
im Alter von etwa 35 Jahren, danach                                             zugunsten der schwächsten Akteure zu korrigieren. Darum
muss sie sich umschulen lassen.                                                 unterstützen wir die Forderung nach Lohntransparenz für
                                                                                die oberen Kader, auch wenn sie an Schweizer Theatern ge-
Ihre Gage trägt dem kaum Rechnung.»                                             nerell nicht populär ist.
Urban Frye                                                                            Frye: Für den Stiftungsrat des Luzerner Theaters
                                                                                scheint Lohntransparenz vorläufig ein Fremdwort zu sein.
                                                                                Seine Dialogbereitschaft tendiert gegen null. Damit begeht
                                                                                er politisch einen kapitalen Fehler. Persönlich werde ich je-
                                                                                denfalls keinem Theaterneubau zustimmen, wenn sich ver-
                                                                                waltungstechnisch nicht ebenfalls etwas bewegt.

                                                                                       Künstlerinnen und Künstler sind nicht unbedingt
                                                                                geborene Gewerkschafter – was heisst das für Sie?
                                                                                       Leutenegger: Es stimmt, eine Tänzerin ist meist unter
                                                                                zwanzig, ein Schauspieler wenig darüber beim ersten Auf-
                                                                                tritt. In diesem Alter denken sie noch nicht an AHV und
                                                                                Rente. Das kommt erst, wenn sie eine Familie gründen
                                                                                wollen. Doch selbst dann sind Bühnenkünstler ganz Lei-
                                                                                denschaft für ihr Metier und deshalb leicht auszunützen.
                                                                                Das auferlegt uns als Berufsverband, ihre Interessen be-
                                                                                harrlich und gleichzeitig behutsam wahrzunehmen. Nicht
                                                                                immer dringen wir mit dieser Strategie bei unserem Sozi-
                                                                                alpartner, dem Schweizerischer Bühnenverband, durch. In
                                                                                diesem Gremium sitzen ja nicht harte Kontrahenten, wie
                                                                                sie eine Gewerkschaft wie die Unia oft vor sich hat. Viel-
                                                                                mehr treffen wir auf Theaterdirektoren, die Meister in der
                                                                                Empörungsbewirtschaftung sind und uns stets wieder
                                                                                versichern, dass wir letztlich alle am gleichen Strick ziehen.
                                                                                Solcher Ambivalenz müssten wir uns in Zukunft vielleicht
                                                                                noch pointierter stellen.
                                                                                       Frye: In Luzern steht die öffentliche Debatte über ein
                                                                                neues Theater an. Ob Neubau oder Umbau – die Kosten
                                                                                wird meine Partei und wohl auch die Bevölkerung nur mit-
                                                                                tragen, wenn auch die inneren Perimeter so verändert
                                                                                werden, dass für das Bühnenpersonal arbeitsrechtliche
                                                                                Mindeststandards gelten, die in anderen Branchen selbst-
                                                                                verständlich sind.

Mai 2019                                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    15
FOKUS: MAS KULTURMANAGEMENT

BEHAUPTUNGSZWANG
IM DIPLOM-DSCHUNGEL
Der MAS Kulturmanagement der Hochschule Luzern wird
nach zwei Jahrzehnten revidiert – weil die Studierenden fehlen.
Es gilt zu fragen: Sind Kulturmanager und -managerinnen
überhaupt noch gefragt?
Text: Pascal Zeder
Illustration: Gabi Kopp

16                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Mai 2019
FOKUS: MAS KULTURMANAGEMENT

           Kaum ein Berufsfeld ist so ambivalent wie die Kultur. Für         Gerade für Kulturschaffende ein Investment, das sich
           die meisten bedeutet es Selbstbestimmung und das Aus-             auf lange Sicht auszahlen muss. Dafür will das Kultur-
           leben von Kreativität, dafür sehen viele grosszügig über          managementstudium kulturelle Arbeit als bezahlten
           die harschen Arbeitsbedingungen, die zweifellos eben-             Beruf legitimiere – vor den in der Kultur Tätigen selbst,
           falls zur Branche gehören, hinweg. So bestreitet man              aber auch innerhalb der Gesellschaft und der Politik.
           einen andauernden Balanceakt zwischen tiefer Bezah-               Studienleiter Jörg Weidmann sagt: «Kultur ist Arbeit
           lung und erfülltem Berufsleben. Dazu kommt, dass «kul-            und Arbeit ist nicht gratis. Kultur leistet aber viel für die
           turschaffend» kein offizielles Diplom ist. Doch die für al-       Gesellschaft, das nicht monetär gemessen werden
           ternative Kulturzentren charakteristische (und essenzi-           kann.» Da Kultur nicht nach wirtschaftlichen Kriterien
           elle) Do-it-yourself-Mentalität wird als Nachweis für             funktioniere, brauche es finanzielle Mittel seitens Pri-
           Fachkenntnis oft nicht als gleichwertig mit einem Hoch-           vater und der öffentlichen Hand. Nur ein professionel-
           schulabschluss gesehen, zumindest ausserhalb des Kul-             ler Umgang mit diesen Geldern schaffe die Legitimati-
           turkosmos. Alternatives Kulturschaffen als Beruf zu               on für Kulturarbeit, so Weidmann. Dies sei umso wich-
           sehen, damit tat und tut sich unsere Gesellschaft schwer.         tiger in einem Umfeld wie dem Kanton Luzern, in dem
                 Dabei hat Kultur in der (Zentral-)Schweiz in den            die Politik der Sparmassnahmen zunehmend die Ar-
           letzten Jahrzehnten einen Professionalisierungsschub              beitsbedingungen beeinträchtigten, ergänzt er. Die Kul-
           erlebt. Vielleicht exemplarisch – oder symbolisch – dafür         turmanagement-Absolventen walten in diesem Sinne
           ist der Wandel von der frei organisierten Boa zum insti-          als «Kulturlobbyistinnen».
           tutionalisierten Südpol. Oder die fortschreitende Profes-                Ob diese Anerkennung gesamtgesellschaftlich be-
           sionalisierung von Radio 3fach oder dem Sedel. In                 reits eingetreten ist, lässt sich bezweifeln. Branchenin-
           diesem Kontext entstand die Ausbildung MAS Kultur-                tern aber scheint die Ausbildung ihre Wirkung zu haben.
           management. Seit 19 Jahren bietet die Hochschule                  Marc Schwegler, Vorstandspräsident des Vereins Südpol
           Luzern das berufsbegleitende Masterstudium an. Zu-                und Mitbetreiber von Präsens Editionen, meint, in Be-
           nächst beliebt, kränkelte der Studiengang in letzter Zeit.        werbungsverfahren werde ein Nachweis des Kulturma-
           Die sinkenden Studierendenzahlen bringen die Hoch-                nagement-Know-hows heute vorausgesetzt. Er sagt dies
           schule Luzern jetzt dazu, den Studiengang zu revidie-             auch mit Blick auf die vergangenen Monate, in denen der
           ren. Damit ergeht es der HSLU wie Basel und Winter-               Südpol im Zuge seiner Neuausrichtung zahlreiche Stel-
           thur zuvor, welche diesen Umbauprozess bereits hinter             len neu besetzte. Marco Liembd, Geschäftsführer des
           sich haben. Im Herbst wurde Jörg Weidmann zum                     Konzerthauses Schüür und selber Kulturmanager,
           neuen Studienleiter ernannt, um die drei Ausbildungs-             meint: «Besetzt man eine Stelle neu, können die meisten
           module den gesellschaftlichen und technologischen                 Bewerber heute dieses Diplom vorweisen.» Interessierte,
           Entwicklungen – Stichwort Digitalisierung – anzupas-              die in der Kultur arbeiten wollen, kämen so unter Zug-
           sen. Ab Winter 2020 startet der revidierte MAS Kultur-            zwang, sich mit der Ausbildung auseinanderzusetzen.
           management. Für die Kulturarbeitenden stellen sich da             Wer den MAS Kulturmanagement vorweisen kann, ge-
           mehrere Fragen:                                                   hört heute also zur Mehrheit.
                                                                                    Er hilft sicherlich dem Lebenslauf, doch ein Hoch-
           Was ist der Wert der Ausbildung für                               schulstudium alleine reicht nicht. Marc Schwegler meint,
           die Absolventinnen und Absolventen?                               bei den Südpolbewerbungen habe man neben Praxiser-
                                                                             fahrung und Ausbildung grossen Wert auf zwischen-
           Verbessert er die Arbeitsbedingungen                              menschliche Kriterien gelegt: Team- und Konsensfähig-
           in der Kultur?                                                    keit zum Beispiel. Und da wird auch der neue Kulturma-
                                                                             nagement-Master nicht helfen können. Wie dieser zu-
           Und nicht zuletzt: Was bietet der neu                             künftig konkret aussieht, will Weidmann übrigens nicht
           gestaltete Studiengang?                                           verraten. Der Praxisbezug des bisherigen Studiengangs
                                                                             soll bleiben, in der Lehre will man sich an neuen Kultur-
                 Seitens der Ehemaligen hört man Verschiedenes.              modellen, -strukturen und -arbeitsformen orientieren.
           Da ist die Kritik, die Ausbildung kratze nur an der Ober-         Weidmann denkt da zum Beispiel an Zwischennutzun-
           fläche der meisten Themen. Es werden, wie auch in an-             gen und deren Community-Gedanken als jüngeres Phä-
           deren Masterstudiengängen, Generalistinnen ausgebil-              nomen der professionellen Kultur. «Früher waren Kul-
           det. Auf der anderen Seite entspricht aber genau dies             turbetriebe stark hierarchisch aufgebaut. Diese Formen
           dem kulturellen Alltag: Man koordiniert Grafik, Buch-             sind heute nicht mehr zeitgemäss», sagt er. Die Kultur-
           haltung, Marketing, ohne selber Grafikerin oder Buch-             management-Ausbildung habe lange nur auf die Praxis
           halter zu sein. Dann sind da die Kosten, bisher rund              reagiert. Künftig möchte man proaktiv neue Modelle an-
           18 000 Franken – ab 2020 steigen diese sogar noch an auf          regen und damit kontinuierlich die Arbeitslegitimierung
           20 000 Franken. Prüfungsgebühren nicht eingerechnet.              und Arbeitsbedingungen verbessern.

Mai 2019                                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                   17
FOKUS: KULTURARBEIT

KULTURPRAKTIKUM.
DIE UNERHÖRTEN STIMMEN
Sie sind jung. Sie wollen lernen. Und sie wollen
arbeiten. Und machen deshalb ein Praktikum
in den Kulturhäusern dieser Stadt.
Ein Austausch über Hingabe und Verausgabung,
Prekarität und Fairness und über die Frage:
Was tun?

             Ein Gespenst geht um in der Kulturlandschaft. Das Ge-           tragen schnell viel Verantwortung, erhalten den Lead bei
             spenst der «Generation Praktikum». Doch nachdem der             Veranstaltungen und können eigene Projekte realisieren.
             Ausdruck durch die Medien geisterte, brachte der Bun-           Doch auch während intensiver Phasen müssen die alltäg-
                          desrat die lauter werdenden Stimmen                lichen Routinearbeiten erledigt werden. Dadurch lernen
Michel Rebosura           wieder zum Verstummen. Die Bedeutung               sie den Arbeitsaufwand einzuschätzen, mit dem Druck
Text und Bilder           der Praktika sei «insgesamt relativ gering»,       umzugehen und sich selbstständig zu organisieren. Alle
                          weshalb es «keinen Handlungsbedarf» gebe.          sind dankbar für die Erfahrungen. «Ich glaube, so ein
             Deshalb gibt es weder für den Kanton noch für die Stadt         Büro oder so einen Arbeitsort werde ich nirgendwo
             Luzern offizielle Zahlen dazu. Und selbst im Arbeits-           anders finden. Deshalb ist diese Zeit einzigartig, die ich
             recht existieren sie nicht. Da ist nichts, wo etwas sein        sicher nie vergessen werde», schliesst Léon Schulthess,
             sollte. Oder da ist etwas, wo nichts sein sollte. So be-        der sein Praktikum im Treibhaus macht. Ist der Luzerner
             schreibt der Kulturtheoretiker Mark Fisher das «Ge-             Kulturbereich also eine «Insel der Glückseligen»?
             spenstische», das uns heimsucht und ein «Unbehagen in
             der Kultur» verbreitet. «Im privaten Austausch ist es                  Hingabe und Verausgabung
             extrem ein Thema. Und macht mich wütend.»                              Durch die Identifikation mit der Arbeit und die un-
             «Ich habe auch schon Praktika ohne Lohn gemacht. Die            regelmässigen Arbeitszeiten besteht natürlich die Gefahr
             traurige Wahrheit ist, dass es noch schlimmer geht.»            der Selbstausbeutung. Diese Tendenz zur Verausgabung
             Woher kommen diese unerhörten Stimmen? Wer sind                 hat auch mit der Hingabe zur Kultur zu tun. Benjamin
             sie? Und was wollen sie? Hören wir ihnen zu.                    Spies, der vor Kurzem sein Praktikum im Neubad
                   «Ich wollte in einem professionellen Kontext Er-          begann, erläutert: «Solche Orte könnten nie mit einer ‹ge-
             fahrungen sammeln. Lernen, wie grosse Organisations-            sunden› Arbeitseinstellung existieren. Es braucht schon
             strukturen funktionieren. Im Offspace waren es immer            ein bisschen Selbstaufopferung. Das ist nicht nur ein Ar-
             selbst aufgebaute Strukturen», sagt Johannes Mall, der          beitsplatz, sondern ein Ort, der von den mitwirkenden
             letztes Jahr im Neubad sein Praktikum begann. Und               Menschen geprägt wird. Das kann sehr vereinnahmend,
             Laura Breitschmid erzählt mir über ihr Praktikum im sic!        aber auch ein super Gefühl sein.» Jon Gyr, der vor sieben
             Raum für Kunst, den sie nun selber führt: «Ich habe ganz        Jahren am Südpol ein Praktikum als Techniker absolvier-
             viele tolle Leute kennengelernt und wäre sonst nie auf          te, sagt dazu: «Gerade dann ist es wichtig, dass man Prak-
             die Idee gekommen, Ausstellungen zu machen.»                    tikanten mit ihrem geringen Lohn davor schützt.» Und
                                                                             rührt damit das Schweizer Tabu an.
                  Struktur und Atmosphäre
                 Alle schätzen die flachen Hierarchien und die                      Der prekäre und der faire Lohn
            freundschaftliche Atmosphäre in den Betrieben. Und                    Laura Breitschmied erhielt für ihr 20-Prozent-Pens-
            obwohl es keine vereinbarten Ausbildungspläne gibt,              um 300 Franken brutto, Léon Schulthess für seine 50
            werden sie in alle Bereiche und Prozesse involviert. Sie         Prozent 900 Franken und die Praktikantinnen vom

18                                           041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT

                                                                                                             «Ich wäre sonst nie auf
                                                                                                             die Idee gekommen,
                                                                                                             Ausstellungen zu machen.»
                                                                                                             Laura Breitschmid (31), Luzern

                                                                                                             Laura Breitschmid studierte in Basel
                                                                                                             Kunstgeschichte und Wirtschaft, arbei-
                                                                                                             tet gegenwärtig als wissenschaftliche
                                                                                                             Mitarbeiterin im Kunstmuseum Luzern
                                                                                                             und ist Ausstellerin im sic! Raum für
                                                                                                             Kunst. Durch das Catering vom
                                                                                                             Blauring für das sic! erfuhr sie vom
                                                                                                             20-Prozent-Praktikum.

 «Das Treibhaus ist kein
 eigentlicher Arbeitsort für mich.»
 Léon Schulthess (19), Luzern

 Im Zwischenjahr nach seiner Matura an der Kanti
 Musegg macht Léon Schulthess
 ein 50-Prozent-Praktikum im Treibhaus. Er sei
 ein Perfektionist, weshalb er sich manchmal zu
 viel Druck mache. Er hofft, am Ende des Prakti-
 kums besser damit umgehen zu können.

                                «Für meinen Lebensweg bin ich
                                sehr dankbar für diese Erfahrung.»
                                Lina Kunz (25), Luzern

                                Lina Kunz studiert an der Uni Luzern Kulturwissen-
                                schaften und Soziologie und schreibt gegenwärtig
                                ihre Bachelorarbeit. Davor benötigte sie «neue
                                Inputs», woraufhin sie von 2017 bis 2018 ein Prakti-
                                kum im Neubad machte, in dessen Rahmen sie auch
                                die «Neubad Lectures» entwickelte.

Mai 2019                                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                            19
FOKUS: KULTURARBEIT

                                                                          «Das Neubad ist ein spezieller Ort,
                                                                          der nicht mit anderen Orten zu
                                                                          vergleichen ist.»
                                                                          Linus Pfrunder (24), Luzern

                                                                          Linus Pfrunder studierte an der Uni Luzern Kulturwissen-
                                                                          schaften und Geschichte. Nach dem Zivildienst arbeitete
                                                                          er beim Bundesamt für Kultur und in einem Sport-
                                                                          museum. Zusammen mit Benjamin Spies begann er die-
                                                                          ses Jahr mit seinem Praktikum im Neubad, wo er die
                                                                          freundschaftliche Atmosphäre schätzt. Ausser beim
                                                                          Tischtennis, «da gibts keine Freundschaften».

«Warum nicht mal
nach Luzern gehen?»
Johannes Mall (31), Pforzheim

Johannes Mall studierte Graphic
Design und Kommunikation,
lebte in Berlin und betätigte sich im
Offspace. Über zahllose Zufälle
bewarb er sich beim Neubad für ein
Praktikum. Und «kam mit nichts
und kannte niemanden». Er ist der
Kopf hinter den «Diskogedanken».

                                                                                                          «Jeder möchte der
                                                                                                          beste Praktikant
                                                                                                          sein, den das Haus
                                                                                                          je gesehen hat.»
                                                                                                          Benjamin Spies (32), Pforzheim

                                                                                                          Benjamin Spies studierte Kultur-
                                                                                                          wissenschaften in Hildesheim,
                                                                                                          Berlin und an der Karlsruher ZkM
                                                                                                          und kannte Johannes bereits aus
                                                                                                          Leipziger Offspace-Tagen. Mit Linus
                                                                                                          Pfrunder begann er vor Kurzem
                                                                                                          sein Praktikum im Neubad. Sein
                                                                                                          «gefährlicher wie absurder
                                                                                                          Wunsch» ist: «Wenn man geht, dann
                                                                                                          möchte man immer, dass alle
                                                                                                          danach an mir gemessen werden.»

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FOKUS: KULTURARBEIT

           Neubad und Südpol für ihre 80 Prozent etwas über 1000
           Franken. Wobei das Essen inklusive ist. Gerechtfertigt
           und kompensiert wird der Betrag durch den Berufsein-
           stieg, die Ausbildung, die Selbstentfaltung, die Vernet-
           zung und die Referenz. Das Praktikum ist ein Verspre-
           chen, dessen Einhaltung nur die Zukunft geben kann
           und das deshalb prinzipiell ungewiss ist. Bereits diese
           zeitliche Unsicherheit macht die befristete Anstellung
           prekär. Gerade im Kulturbereich. Wenige schaffen es,
           viele fallen heraus. Wer scheitert, ist selbst schuld, denn
           es gilt das «Prinzip Eigenverantwortung». Für manche
           stellt daher bereits das regelmässige Einkommen des
           Praktikums eine Sicherheit dar. «Ich habe die letzten
           zehn Jahre relativ prekär gelebt. Deshalb ist das für mich
           fast schon ein Aufstieg», erzählt mir Johannes Mall offen.
                  Dennoch. Die Lohnbedingungen bleiben proble-
           matisch. Und das Thema heikel. «Ich will nicht, dass es so
           rüberkommt, als ob ich wütend auf einzelne Personen
           wäre. Schuld ist das System, nicht die einzelnen Akteure.
                                                                                                             «Ich habe den Nagel
           Aber ich will, dass du das so schreibst. Denn es wird viel
           zu wenig darüber geschrieben», sagt Lina Kunz und er-
                                                                                                             auf den Kopf getroffen mit
           zählt: «Klar, man unterschreibt und weiss: Das reicht                                             dem Praktikum. Es war so
           nicht fürs Leben. Was auch so kommuniziert wird. Aber                                             ziemlich eine Erfolgsstory.»
           wenn du ein Teil vom Team wirst und diesem Unterneh-                                              Jon Gyr (28), Luzern
           men einen Mehrwert gibst, dann wurmt das einen mit
                                                                                                             Nach seiner Lehre als Landschaftsgärtner
           der Zeit. Und wenn die Eltern jeden Monat Geld überwei-                                           orientierte sich Jon Gyr um und fing 2012
           sen müssen, geht das in meinen Augen einfach nicht auf.                                           am Südpol ein Praktikum als Techniker an.
                                                                                                             Danach konnte er dort eine Lehre als
           Gleichzeitig war ich mir auch meiner privilegierten Situ-
                                                                                                             Veranstaltungstechniker beginnen und ist
           ation bewusst. Jemand anderes, der diese Unterstützung                                            nun Inhaber und Angestellter der «luciferVox
           nicht hat, könnte sich ein Praktikum schlicht nicht leis-                                         GmbH», welche auf Ton- und Lichttechnik
                                                                                                             für den Kulturbereich spezialisiert ist.
           ten. Deshalb habe ich ihnen gesagt, dass ich den Lohn
           nicht in Ordnung finde. Es geht doch bloss darum, zu
           leben. Ganz bescheiden, ohne sich gross etwas zu
           gönnen. Das ist doch der Unterschied zwischen Prakti-             Löhnen durch. Damit man sieht: So viel Geld müsste da
           kum und fester Stelle: Ich kann davon knapp leben versus          sein. Dann weiss man, wie viel man beantragen muss.
           privilegierter Lebensstil.»                                       Und darauf pochen! Denn wenn alle nur knapp rechnen
                  Als einen «fairen Lohn» nennen sie übereinstim-            und eine knappe Eingabe machen, bekommen alle nur
           mend 1800 bis 2000 Franken für ein 100-Prozent-Pens-              wenig vom Kuchen ab.»
           um. Gleichzeitig sind sie sich der Realitäten bewusst. So               Entscheidend ist auch der gesellschaftliche Dis-
           sagt Linus Pfrunder, der ebenfalls vor Kurzem sein Prak-          kurs, der die Bedeutung der Kultur und Kulturarbeiterin-
           tikum im Neubad begann: «Wenn man wirtschaftlich ar-              nen für die Gemeinschaft herausstellt. Und die der Prak-
           gumentiert, kann man sagen, das rentiert sich einfach             tikanten. «Ich leistete ja auch etwas für die Stadt. Für die
           nicht, und darum kriegst du auch nicht mehr Lohn. Wenn            Menschen, die hier leben. Mehr Lebensqualität für alle»,
           du das Praktikum willst, hast du keine Wahl.» Was bleibt,         sagt Lina Kunz und wird von Johannes Mall bestätigt:
           ist die Ambivalenz. Und die Alternativlosigkeit. Was also         «Kultur ist auch stadtprägend. Städte wie Berlin sind auch
           tun?                                                              coole Städte geworden, weil da einfach ein grosses Ange-
                                                                             bot ist – was auch ausstrahlt.» Kultur ist nicht einfach da.
                Die negative und die positive Spirale                        Sie muss kultiviert werden. Durch Experimente, die
                 Wie kann die negative Spirale von niedrigen                 scheitern können, aber auch Neues entstehen lassen. Sie
           Löhnen, prekärer Lebensform, öffentlichem Bild der Kul-           braucht Feedback. Sie braucht Förderung. Wie eine Land-
           turarbeit und schwindender Kulturförderung in eine po-            schaft, in der die Kultur wachsen und wuchern kann.
           sitive umgedreht werden? Braucht es mehr Organisation             Und in der ein Gespenst umhergeht, das Léon Schulthess
           und Regulierung oder mehr Unternehmertum und Inno-                so einfängt: «In meinem perfekten Kulturbereich sind
           vation? Oder etwa beides? Der Selbstständige Jon Gyr              alle gleichwertig, auf der gleichen Stufe, wo alle genau
           sieht vor allem die Kulturarbeitenden in der Pflicht:             gleich viel mitentscheiden können, alle die gleiche
           «Man müsste sagen: So, jetzt rechnen wir alles mit fairen         Stimme haben.»

Mai 2019                                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                             21
ÜBERDACHT

«Warum tut man sich das an –
arbeiten in der Kultur?»
«Es ist immer                                                                                             der Sache ist, wie ich auch. Im Büro
                                                                                                          läuft den ganzen Tag lang gute Mu-

eine Wahl.»                                                                                               sik, und dazu habe ich fast aus-
                                                                                                          schliesslich mit Menschen zu tun,
                                                                                                          deren Leben mich interessieren und
                                                                                                          deren Musik mich bewegt.
                                                                                                                Natürlich gehören zu meinem
                                                                                                          Arbeitsalltag auch unliebsame Tä-
                                                                                                          tigkeiten und schwierige Phasen.
                                                                                                          Ich kenne die Überbelastung und
                                                                                                          Zeiten hoher Erschöpfung, und es
                                                                                                          gibt Momente, da schimpfe ich über
                  Bei meiner Arbeit in einer                 werden Konzertbesuche beispiels-             die schlechte Bezahlung von uns al-
                  Musikagentur und einem Musikla-            weise zur Matchmaking-Plattform              len, die sich – «pardon my french» –
                  bel geht es im Kern um den Aus-            oder private Festivalbesuche im              den Arsch aufreissen für die Förde-
                                tausch und die Ausein-       Ausland zu Geschäftsreisen.                  rung einer unabhängigen Schweizer
Text: Fabienne Schmuki          andersetzung mit Men-              Diesen Preis zahle ich aber            Musikszene und dafür häufig nur
                                schen, deren Sprache         gerne, wenn ich mir vor Augen                wenig Wertschätzung aus anderen
                  (auch) die Musik ist. Da arbeiten in       führe, dass mein Job und meine Po-           Kreisen, namentlich der (Kultur-)
                  der Kultur in meinen Augen primär          sition in dieser Unternehmung (in            Politik o. Ä. kriegen. Am Ende aber
                  arbeiten in der Vermittlung bedeu-         der ich seit zehn Jahren arbeite) so         ist es immer eine Wahl: Ich habe
                  tet – egal ob es um verschiedene Eth-      vieles mit sich bringen, was mir             mich für diesen Weg entschieden,
                  nien, Kultursparten, -szenen oder          wichtig ist: f lexible Arbeitszeiten,        und wenn ich damit nicht mehr
                  -disziplinen geht –, steht für mich        höchste Transparenz innerhalb des            glücklich bin, liegt es an mir, einen
                  die Vermittlungsarbeit also im Zent-       Unter nehmens, keine L ohnun-                anderen Weg einzuschlagen. Doch
                  rum des Kulturschaffens.                   gleichheiten, keine Benachteiligung          bis dieser Tag kommt, geniesse ich
                         Zurück zur Leitfrage: Warum         aufgrund von Alter / Herkunft / Ge-          alle Freiheiten und Vorteile, die ich
                  tue ich mir die Arbeit in der Kultur       schlecht, kein Dresscode. Darüber            mit meiner Arbeit in der Kultur ver-
                  an? Weil ich der Meinung bin, mit          hinaus kann ich wählen, mit wem              binde.
                  Vermittlung ist der erste Schritt zu       ich einen geschäftlichen Kontakt
                  mehr gegenseit igem Verst ä nd-            pflegen möchte, und das Aushalten            Fabienne Schmuki ist
                  nis,und damit mehr gegenseitigem           von unangenehmen «K lienten»                 Co-Geschäftsführerin bei der
                  Respekt getan. Tönt idealistisch?          kenne ich ebenso wenig, wie ich mir          Musikagentur Irascible. Sie hat
                  Ich wage zu behaupten, dass die            einen respektlosen Umgangston ge-            einen Master of Art Education
                  meisten Menschen, die im kulturel-         fallen lassen muss. Ich profitiere von       in Kulturvermittlung, Vertiefung
                  len Sektor tätig sind, idealistische       maximaler Eigenständigkeit und               Publizieren & Vermitteln, und
                  Tendenzen haben. Wen wundert’s?            hoher Verantwortung, bei der ich             setzt sich seit zehn Jahren
                  Die Löhne liegen meist knapp über          aber – sollte die Belastung zu hoch          für die unabhängige Musikszene
                  oder auch unter dem Mindestlohn,           werden – im Team stets auf Unter-            in der Schweiz ein.
                  die Arbeitsbelastung ist durch das         stützung zählen kann. Mein gemüt-
                  Volumen und die hohe Identifika-           liches Büro erreiche ich mit meinem
                  tion mit dem Beruf sehr hoch. An-          Fahrrad innert sieben Minuten. Und
                  fang und Ende eines Arbeitstages zu        schliesslich erwarten mich da im-
                  bestimmen ist häufig unmöglich,            mer liebe Leute, die einen wichtigen
                  beruf liche und private Netzwerke          Platz in meinem Leben einnehmen:
                  vermischen sich. In meinem Fall            ein Team, das genauso engagiert bei

22                                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                Mai 2019
ÜBERDACHT

                                                                                                                          «Überdacht», das sind zwei
                                                                                                                          Antworten auf eine Frage:
                                                                                                                          Profis aus Theorie und Praxis
                                                                                                                          äussern sich monatlich und
                                                                                                                          aktuell zu Kultur und ihren
                                                                                                                          Wirkungsbereichen.

                                                                                                                zum Frass vorwerfen. Wie man die
                                                                                                                Kultur fairer gestalten kann? In sei-
                                                                                                                nem eigenen Umfeld Menschlichkeit
                                                                                                                und respektvollen Umgang einzufor-
                                                                                                                dern, ist ein erster Schritt. Aber wie
                                                                                                                die Arbeit von «art but fair» gezeigt
                                                                                                                hat, ist die sogenannte «Selbstver-
                                                                                                                pflichtung» nicht sehr wirkungsvoll.
                                                                                                                Vielmehr müssen Situationsdesigns
                                                                                                                auf struktureller Ebene entworfen
                                                                                                                werden, die Anreize schaffen, sich
                                                                                                                fair zu verhalten. Dies erfordert auch

«Selbstverpflichtung                                                                                             die Mithilfe der Kulturpolitik. Eine
                                                                                                                Möglichkeit besteht darin, Subventi-

ist nicht sehr wirkungsvoll.»                                                                                   onen an Bedingungen in Bezug auf
                                                                                                                die Einhaltung gewisser Gagen- und
                                                                                                                Verhaltensstandards von Kulturins-
                                                                                                                titutionen zu knüpfen. Ein Kul-
                                                                                                                tur-Gütesiegel ist nach wie vor ein er-
                                                                                                                strebenswertes Ziel.
                       Im Konzertsaal. Menschen sind ge-           lich-schwärmerische «Die Welt ge-                   Für die Zukunft soll die Arbeit
                       kommen, um gemeinsam Musik zu               hört mir» reibt sich immer mehr an           von «art but fair» deshalb noch mehr
                       erleben. Die geballte Aufmerksam-           Realitäten. Diese Realitäten können          in der Entwicklung, Erforschung und
                                  keit konzentriert sich auf       je nach Lebensverlauf ganz unter-            Bewertung von kulturpolitischen
Illustration: Till Lauer          ein Medium, welches Emo-         schiedlich ausfallen und der wenig           Konzepten und Strategien liegen, die
Text: Julia Schiwowa              tionen an die Oberf läche        profilierte Traum weicht im besten           so auf die öffentliche Meinungsbil-
                                  spült und das Zeitempfin-        Falle gelebter Erfahrung.Und: Wie            dung, Politik, Interessenvertretun-
                       den verschiebt. In solchen Momen-           wäre es, ab und zu eine ganz persönli-       gen und betroffenen Institutionen
                       ten fliessen gebündelte Energien, die       che Bilanz zu ziehen, und im Extrem-         Einfluss nehmen.
                       wie eine Droge wirken. Die Kultur           fall gar sein Ego zu überwinden und                 Arbeiten in der Kultur – warum
                       bietet unbestritten eine Plattform für      einen geplatzten Traum anzuerken-            tut man sich das an? Weil und solange
                       Lebensträume.                               nen? Am besten bevor man für die             man seinen Beruf leidenschaftlich
                             Vielleicht waren es solche magi-      Aufrechterhaltung einer längst über-         liebt, in der Vorstellung wie auch in
                       schen Momente in der Kindheit, die          holten Traumvorstellung Kompro-              der Realität.
                       den Anstoss für eine Laufbahn in der        misse eingeht, die die eigenen Gren-
                       Kultur gaben. Vielleicht wurde man          zen sprengen. Für mich ist es die Vor-
                       aber auch vom Elternhaus gezwun-            stellung, die Bedingungslosigkeit des        Julia Schiwowa studierte klassi-
                       gen, ein erkanntes Talent zu fördern        Kindertraums zu schützen, das ei-            schen Gesang in Zürich. Seit
                       und jeden Tag mehrere Stunden zu            gene Handeln aber mit der Verant-            zehn Jahren leitet sie ihre eigene
                       üben. Oder es lag ein Instrument he-        wortung des Erwachsenen zu um-               Formation schiwowa & band,
                       rum und man hat es spielerisch ent-         hüllen.                                      mit der sie eigene Chanson-
                       deckt. Es gibt wohl so viele diverse              Das Kapital der Musik ist neben        Programme auf die Bühne bringt.
                       Szenarien wie Menschen in der Kul-          dem Handwerk die Lebensenergie,              Sie ist Mitbegründerin
                       turszene. Es ist, als ob im Verlaufe des    und genauso sollte man diese pflegen         der Initiative «art but fair» und
                       Lebens eine Art Desillusionierungs-         und der so fanatischen intrinsischen         seit 2015 Geschäftsführerin des
                       prozess stattfinden würde. Das kind-        Motivation nicht sein eigenes Fleisch        Singstimmzentrums Zürich.

Mai 2019                                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                       23
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