FERTIG LUSCHTIG! Hinter den Bühnen gibt es oft wenig zu lachen - www.null41.ch
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Nach ELLE der neue Psychothriller mit Isabelle Huppert “DER BESTE THRILLER DES JAHRES” DEADLINE « Ein aussergewöhnlicher Film! » EL PAÏS Isabelle Chloë Grace « Der Höhepunkt von Almodóvars Karriere! » Huppert Moretz FOTOGRAMAS EIN FILM VON ALMODÓVAR Lass dich nicht ködern. ANTONIO BANDERAS UND DIE BESONDERE ZUSAMMENARBEIT VON PENÉLOPE CRUZ AB 23. MAI IM KINO 9. Mai im ascot-elite.ch DO 13 FR 14 SA 15 B—Sides Festival Sonnenberg Kriens/Luzern 13—15 Juni 2019
EDITORIAL Blick hinter die Kulisse: Arbeitsbedingungen in der Kultur möglichst viele Arbeitgeberinnen WEITER GEHT'S und -nehmer, Gewerkschafterinnen, Vorstandsmitglieder und Politi- kerinnen beteiligen. Denn es verän- IMMER dert nichts, wer sich nur unter Freunden bespricht oder beklagt. Und: Diese Ausgabe ist mein Alles hat seinen Preis. Um in der Kultur zu Abschied vom «041 – Das Kulturmagazin». arbeiten, nehmen viele Bedingungen in Kauf, Seit Oktober haben wir vieles ausprobiert, die oft nach ein paar Jahren Aus- zum Teil glückte es, andere Male lernten wir nahmezustand zu resignierender aus den Versuchen, aber es war stets eine Sophie Grossmann Ernüchterung führen. Zahlreiche Gelegenheit, Themen und Menschen zu Redaktionsleiterin Überstunden und tiefe Löhne begegnen und einen frischen Zugang zur gehören zum Alltag, kompensiert Kultur oder zumindest der Kulturpublizistik werden sie durch Leidenschaft. In der Mai- zu ermöglichen. ausgabe des «041 – Das Kulturmagazin» setzen wir uns anhand von drei Schwer- Es war stets mein Anliegen, den Wert des punktgeschichten mit den Arbeitsbedingun- Kulturjournalismus für ein breites Publikum gen in der Kultur auseinander – ein Thema, aufzuzeigen. Wir sind jünger und vielfältiger das eine hohe Brisanz hat und Betroffenheit geworden. Jetzt geht’s weiter – mit meiner auslöst, aber für eine zukünftig nachhaltige Nachfolgerin Anna Chudozilov. Arbeitsgestaltung in Kulturbetrieben aus- schlaggebend ist. Mit diesem Heft wollen wir Vorhang auf für das nächste Kapitel im einen konstruktiven Dialog anstossen, an langen Weiterleben von «041 – Das Kultur- dem sich hoffentlich magazin»! Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 3
INHALTSVERZEICHNIS Prekäre Zustände in Luzern: Urban Frye und Salva Leutenegger Ein Gespenst geht um in der Kultur > Seite 18 im Gespräch > Seite 12 LÄUFT Editorial > Seite 3 Guten Tag > Seite 5 Poliamourös SCHIEF Anna Chudozilov über Kunst, die Stadtaufwertung sein soll > Seite 6 Kosmopolitour Samuel Flores modelliert einen Dampfabzug in der Hitze Südspaniens > Seite 7 Warum sind die Arbeitsbedingungen am Luzerner Theater so viel prekärer als andernorts? Eine Recherche von Marlène Schnieper Stadt – Land > Seite 10 Blick durch die Linse aus Luzern und Malters > Seite 8 Überdacht Fabienne Schmucki und Julia Schiwowa über die Leidenschaft und das Leiden in der Kulturarbeit > Seite 22 HAUPTSACHE Nachschlag PROFESSIONELL Was bedeutet der Aufstieg der Kulturmanagerinnen und -manager Niko Stoifberg über essbare Hirngespinste > Seite 24 Käptn Steffis Rätsel > Seite 66 für Kulturinstitutionen und ihre Arbeit? > Seite 16 Gezeichnet > Seite 67 GOOD & BAD Über Praktikumserfahrungen in der Kultur und warum sie KULTURKALENDER so beliebt geworden sind > Seite 18 MAI 2019 Musik > Seite 26 Kunst > Seite 30 Bühne > Seite 32 Literatur > Seite 34 Kids > Seite 36 Veranstaltungen > Seite 38 Ausstellungen > Seite 55 Titelbild: Guido Von Deschwanden Ausschreibungen > Seite 62 Was unter und hinter der Bühne geschieht, bleibt dem Publikum verborgen. (Bild: Orchestergraben im Opernhaus Zürich) Adressen A-Z > Seite 64 4 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
GUTEN TAG GUTEN TAG, WINTEREINBRUCH! Die einen konnten kaum genug fluchen, als Du uns im April heimgesucht hast. Die anderen haben des GUTEN TAG, CVP KANTON LUZERN Winters Kommen seit Monaten herbeigesehnt. Letztere sitzen nun bibbernd Woche für Woche vor Stimmfreigabe? Das Schlimmste, was man haben ihren Bildschirmen, verfolgen mit parallel zu den könnte, wäre Haltung. Temperaturen steigender Spannung das «Spiel der Throne». Erstere sind sich sicher, Dich nicht so schnell Rebellisch, «041 – Das Kulturmagazin» wiedersehen zu müssen. Und verdrängen komplett, dass Winter im Mai bis vor wenigen Jahren total unspektakulär war. GUTEN TAG, INA KARR! So oder so klimabewusst, «041 – Das Kulturmagazin» Herzliche Gratulation! Sie sind die Nachfolgerin, die in die grossen Fussstapfen von Benedikt von Peter treten wird. Sie sind die erste Frau auf dem Intendantenposten in Luzern seit Barbara Mundel (1999–2004), deren Wirken noch bis heute nachhallt und die in Kürze Leiterin der Münchner Kammers- piele wird. Wir schweifen ab, excusé: Sie treten jeden- Anzeige falls die künstlerische Leitung am Luzerner Theater an. Sie waren nicht eine von den 65 Bewerberinnen, denen man allen abgesagt hat. Das spricht für Sie, die von der Findungskommission anvisiert, angefragt, geprüft, ausgewählt und für gut befunden wurde. Wir sind dankbar, dass Sie nach Luzern kommen – Sie werden es nicht bereuen: Das Theater ist uns nämlich viel wert. Zwar wird es keine Salle Modulable geben, mit der man Ihren Vorgänger lockte, doch immerhin ein neues Theater an der schönen Reuss (aber seien Sie gewarnt: Es wird noch dauern, der Kanton weiss noch nicht mal, woher das Geld kommen soll). Dass Ihre Stelle zudem «weniger sexy» (Stiftungsratspräsidentin Birgit Aufterbeck) sein soll als unter von Peter – easy: Hinter den Kulissen Verantwortung zu übernehmen, hat auch seinen Reiz. Jetzt müssen Sie nämlich erst mal eines: mehr Geld beschaffen! Selbst Regie zu führen, steht momentan nicht im Vordergrund. Aber wir schweifen wieder ab: Willkommen in Luzern! Gänzlich ironiefrei finden wir’s wunderbar, dass man sich für eine Frau entschieden hat. GESTALTERISCHER Bühne frei, «041 – Das Kulturmagazin» VORKURS JAHRESAUSSTELLUNG 1. Mai bis 4. Mai 2019 Sentimatt 1/Dammstrasse 6003 Luzern www.hslu.ch/vorkurs Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 5
POLIAMOURÖS Zuerst dachte ich ja, das sei Kunst. Wo Baum wird die Bevölkerung um Mit- Urban Forestry und Elon Musks Ra- sich früher Hundekotreste an Kippen hilfe gebeten. Diese soll offenbar keten (vielleicht als Backup, falls wir schmiegten und winzige Scherben- darin bestehen, Abfallsäcke ausser- das Klima derart zum Kochen brin- partikel mit halb der neu gestalteten Baumschei- gen, dass nur noch die Flucht ins Uni- Text: Anna Chudozilov Spuckspuren ben zu deponieren. Baumscheiben: So versum bleibt). Illustration: Anja Wicki pubertieren- heissen die zwei, drei von Beton ver- Dank Google verstehe ich dann der Schulkin- schonten Quadratmeter rund um auch den kryptischen Hinweis auf der um die Wette funkelten, glänzen einen Strassenbaum im Fachjargon. «Grünstadt Schweiz». Es handelt sich nun blankgeputzte Steinchen. Und Fachmänner sind hier offensicht- dabei um «eine Auszeichnung für in- Frühlingsblümchen strecken keck lich am Werk. novative Städte und Gemeinden, ihre kleinen Köpfchen genau auf Denn heutzutage werden nicht welche ein nachhaltiges Management Auspuffhöhe – kleine Botschafter der nur Ausfallstrassen, Spielplätze und ihrer Freiräume umsetzen und sich Natur mitten im urbanen Raum. Defi- ganze Vororte von Profis aufgewertet, für mehr Biodiversität im urbanen Raum engagieren». Luzern war 2017 die erste Stadt der Schweiz, die das Freiraum Stufe Gold Zertifikat erworben hat (nicht zuletzt dank der Umstellung auf eine biologi- sche Sportrasendüngung). Und zwar auf Stufe Silber. Vielleicht hofft man mit den op- nitiv als Hinweis auf Kunst wertete sondern auch Baumstandorte. Verant- timierten Baumscheiben die Quali- ich die wahnwitzige Idee, auf jedem wortlich für das Unterfangen ist die tätsstufe Gold in greifbare Nähe zu einzelnen neugestalteten Baum- Stadtgärtnerei, der federführende rücken. Gerade deshalb sollte man auf standort entlang der Bruchstrasse Projektleiter ist auf jedem Plakat na- das eine oder andere laminierte Blatt eine Latte in den Boden zu rammen, mentlich aufgeführt, E-Mail-Adresse verzichten. Überhaupt: Muss das sein, ein laminiertes Blatt Papier drauf zu und Telefonnummer laden die Bevöl- dieses komplett masslose Prahlen, nur tackern und das «Aufwertungspro- kerung zum Austausch ein. Dank Lin- weil man von Erdklumpen mit Un- jekt» zu feiern. Dutzende Male ist die kedIn finde ich schnell heraus, dass kraut auf Steinchen mit Blümlein um- Rede von Versuchsflächen für eine at- sich der junge Mann für das i-Tree gestellt hat? Mag sein, dass das bie- traktivere Bruchstrasse, von Baum zu Europe Network interessiert, für nenfreundlich und ameisenfördernd ist. Aber es ist auch ein bisschen lä- cherlich, sich mit stolzgeschwellter Brust derart selbst zu rühmen. «Durch die vermehrte Verdich- tung im urbanen Raum steigen die Anforderungen an die Qualität der Freiräume, deren Erreichbarkeit und Funktionalität», schrieb die Stadt in der Medienmitteilung zur Auszeich- nung. Da bin ich d’accord, keine Frage. Doch mit «nachhaltigem Manage- ment ihrer Freiräume» sollte eine Stadt mehr erreichen als attraktive Baumscheiben für Insekten. Seien wir ehrlich: Städte sind für Menschen da. Um für diese attraktive Freiräume zu schaffen, muss man sich deutlich mehr einfallen lassen. Ich hielt das ja irrigerweise zuerst für Kunst. Doch vielleicht braucht es nicht viel mehr als eine Laminiermaschine, um aus der stadtgärtnerischen Lobhudelei wenigstens eine Demonstration für Freiraum zu machen, der den Namen wirklich verdient. 6 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
KOSMOPOLITOUR «Wo ich schon mal hier bin, kann ich auch noch ein bisschen bleiben.» Samuel Flores modelliert seit letztem Sommer 3-D-Objekte für Videospiele unter der Sonne Spaniens – in Valencia. Schweizer Game-Aficionado Samuel Flores 2012, Luzern: 2017, Luzern: Meine ersten sind: ein Hundespiel- Ich arbeite als Handlanger bei Die drei Jahre für den Bachelor zeug, ein Dampfabzug und eine Elek- einer Elektroinstallationsfirma. Es fliegen nur so dahin. Kurz noch meine troherdplatte. Irgendjemand muss ja. geht viel zu früh los und endet viel zu Schuld am Vaterland begleichen, Und ich bekomme Einblicke in die spät. Die Bezahlung ist mit ein paar danach bin ich auf der Suche nach Welt der Videospiele, wie ich sie vorher Überstunden ganz ok. An einem Don- einem Job in der Videospiele-Branche. nur von Making-ofs gekannt habe. nerstagabend versende ich meine Be- Wir haben gleitende Arbeitszei- werbung für einen Job als Promoter. 2018, Luzern: ten. Natürlich fange ich möglichst Hauptsache weg. Mein jetziger Chef Game-Studios in der Schweiz? früh an. So bleibt noch Zeit für Sonne, bietet mir 1 Franken pro Stunde mehr Eher weniger. Ausland? Überall. Strand und die Suche nach grünen an. Ich kündige. Den neuen Job trete Bewerbungen gehen in alle vier Flecken, die ich am Wochenende be- ich die Woche darauf an. Himmelsrichtungen. Erste Absagen suchen kann, um zu entspannen und trudeln ein. Ich lasse mich nicht de- zu lesen. An Valencia kann man sich 2013, Luzern: motivieren, und siehe da, eine positi- gewöhnen. Ich bewerbe mich für den Ge- ve Rückmeldung. Bewerbungsge- Die Zeit vergeht wie nie zuvor. stalterischen Vorkurs. Es klappt dank spräch per Skype. Warten … Zusage. Schon ist Weihnachten. Zwei Wochen viel Fleiss und Hingabe. Auf der Arbeit Wann ich starten kann? So in etwa Schweiz. Meine Rückkehr fühlt sich läufts. Ich wechsle vom fliegenden zwei Monaten!? Dann verpass ich an, als würde ich von einer langen Promoter zum stationären Verkäufer. Grossmamas Geburtstag nicht. An- Arbeitswoche nach Hause kommen. So weit, so gut. Im September geht der statt zu packen entsorge ich 80 Pro- Kaum hier, geht's schon wieder zurück. Vorkurs los. Vom Pinsel zur Metall- zent meines Zimmers. Man soll ja nur platte, vom Holztisch zur digitalen aufbewahren, was Freude macht. Ich 2019, Valencia: Welt. In der bleib ich hängen. Irgend- nehme mit: Playstation, Arbeitscom- Wo ich schon mal hier bin, kann wie … spannend. Kurzer Ausflug in die puter und ein paar Kleider. Zwei ich auch noch ein bisschen bleiben. Realität: Ich verliebe mich am Ping- grosse Koffer. Los geht's. pongtisch. Zusammen mit einem Mitstu- 2018, Sommer, Valencia: denten kreiere ich mein erstes kleines Heisseste Woche des Jahres: Videospiel. Er übernimmt das Pro- Check grammieren. Ich zeichne und animie- Verständnis für Klimaanlage: re. Nach ein paar Wochen ist es fertig. No-Check Die Figur springt. In diese Richtung Dank viel Glück finde ich schon soll es weitergehen. Die Bewerbung am zweiten Wochenende eine eigene für das Animationsstudium geht raus. Wohnung. Die Arbeit beginnt. Ich mo- Samuel Flores (*1989), geboren in Zug, Ich bin drin. delliere 3-D-Objekte für Videospiele. lebt in Valencia Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 7
STADT 29. MÄRZ, KAFFEE KIND, LUZERN – DARK ENTRIES «Grossstädtische Unaufgeregtheit – eine Spur Berlin in der Baselstrasse» Bild & Wort: DUKE 8
LAND 5. APRIL, GLEIS 5, MALTERS – ALBIN BRUN TRIO & ISA WISS «Stille Hingabe trifft Leidenschaft» Bild & Wort: Daniel Winkler 9
FOKUS:KULTURARBEIT EINE GESCHICHTE DER ABSAGEN – UND EIN TROTZDEM 10 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT «Der Luzerner Intendant Benedikt von Peter inszeniert dient als das künstlerische Personal. Aber auch hier orten Mozarts ‹Don Giovanni› und zeigt einmal mehr, warum Gewerkschafter Nachholbedarf. Der Mindestlohn eines sein Theater zurzeit das interessanteste der Schweiz gelernten Schreiners etwa beläuft sich nach dem national ist.» So las man in der «NZZ» nach der gültigen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf 4985 Franken Text: Marlène Schnieper Premiere vom 13. Januar. Das Lob pro Monat, am Luzerner Theater beträgt er 3893 Fran- war nicht neu. Die Irritation von Seh- ken, also 1092 Franken weniger. Auch diesem Handwer- und Hörgewohnheiten, die Überblendung von Bildern, ker ist schon aufgefallen, dass das Geld nie fehlt, um etwa eine multimediale Annäherung an den klassischen ein Bühnenbild dreimal neu zu konzipieren, während er Stoff – vieles, was diesen «Don Giovanni» charakteri- finanziell kurzgehalten wird. siert, steht für von Peters künstlerischen Impetus schlechthin. Der 41-jährige Deutsche startete in Luzern Wie im biblischen Gleichnis mit der Spielzeit 2016/17 und wird seine Zeit hier in der Die einen kündigen, die andern harren aus. Bei Saison 20/21, einem Ruf nach Basel folgend, definitiv manchen wächst die Einsicht, dass sie sich gewerkschaft- beenden. Selten sind die Kritiken für das Luzerner The- lich stärker engagieren müssen. Woher die Unruhe? Wes- ater (LT) so enthusiastisch gewesen wie für die Ära, die halb gewinnt man den Eindruck, einige in Benedikt von er mit einem festen Stab und teils illustren Gästen Peters Truppe seien am Anschlag? Diese Fragen wollten prägte. Das Haus an der Reuss hat damit auch neue wir mit Leuten diskutieren, die nach unserem Dafürhal- Sponsoren und gelegentlich auch ein neues, jüngeres ten dazu berufen wären. Bald fühlten wir uns wie der Publikum gewonnen. König im biblischen Gleichnis, der die Notabeln seines Reichs zum Hochzeitsmahl lädt und lauter Absagen «Du fühlst dich als Systemtölpel» erhält. Bei allem Glanz und Spektakel mehren sich freilich Da ist zum Beispiel der Zweckverband für die die Zeichen, dass es an der Basis rumort. In seiner dritten grossen Kulturbetriebe, über den Stadt und Kanton Spielzeit in Luzern verdiene er nur unwesentlich mehr Luzern im laufenden Jahr 28,3 Mio. Franken an fünf Ins- als den Mindestlohn, klagte der Schauspieler Yves Wüth- titutionen fliessen lassen. Davon geht der Löwenanteil – rich am 26. März auf dem Onlineportal «Zentralplus». 20,2 Mio. Franken – an das Luzerner Theater. Der Rest Für einen, der einen Hochschulabschluss habe, sei das verteilt sich auf das Luzerner Sinfonieorchester, das «schlichtweg zu wenig». Im Kindergarten in Basel habe Kunstmuseum, das Lucerne Festival und das Ver- er einst einen Vogel gespielt, in Jena als Profi auch den kehrshaus der Schweiz. Die städtische Delegierte in Hamlet. Die Bühne fasziniere ihn, erzählte Wüthrich. Im diesem Zweckverband, Rosie Bitterli Mucha, und ihr Alter von bald 40 Jahren müsse er sich indes eingestehen, kantonales Pendant Stefan Sägesser räumen zwar ein, dass ein Künstler vom Applaus allein nicht leben könne. dass die Arbeitsbedingungen am Luzerner Theater und Er sei darum froh, dass er sein Budget mit sporadischen bei anderen Kulturbetrieben ein wichtiges Thema seien. Einsätzen bei Film und Fernsehen aufbessern könne. In Mit dem Einwand, die Personalpolitik dieser Betriebe sei zwanzig Drehtagen verdiene er so viel wie in einem gewiss nicht ihre Sache, reichen sie das heisse Eisen aber halben Jahr als Ensemblemitglied am LT. gleich weiter. Wüthrich lässt sich namentlich zitieren. Andere Adrian Balmer verfügt als Verwaltungsdirektor des fürchten, sich diesen Luxus nicht leisten zu können, LT über personelle und finanzielle Kompetenzen. Auch selbst wenn sie ähnlich empfinden. Die Mindestgagen er schlägt unsere Einladung aus. Am Theater sei gerade für das künstlerische Personal am LT gehören heute zu ein Prozess in Gang, der die Strukturen «im Sinne einer den schlechtesten, die Theater hierzulande bezahlen. In innovativen Organisationsentwicklung» überprüfe, der laufenden Spielzeit beträgt die Mindestgage in man beleuchte «die aktuelle Situation wie die mittelfris- Luzern 3700 Franken, das entspricht einem Brutto-Mo- tige Zukunft». «Nach interner Rücksprache» auch mit der natslohn. Künstlerinnen und Künstler der verschiede- Stiftungsratspräsidentin Birgit Aufterbeck Sieber wolle nen Sparten arbeiten dafür sechs Tage die Woche, vor man «während dieses laufenden Prozesses keine exter- Premieren oft bis in alle Nacht. Die Malocherei ginge ja nen Verlautbarungen abgeben». noch, wenn sich bei ihr nicht gleichzeitig so etwas wie Re- Martin Wyss ist Geschäftsleiter des VPOD signation eingeschlichen hätte, sagt eine junge Kollegin Zentralschweiz und Präsident des technischen und ad- Wüthrichs, die einen Berufswechsel erwägt: «Du lässt ministrativen LT-Personals. Prompt zieht er sich eben- dich zu Höchstleistungen anspornen, doch der Chef falls zurück. Verhandlungen für einen besseren GAV spe- kennt dich nicht und grüsst dich nicht im Lift. Da fühlst ziell für das Haus an der Reuss stehen an. Die will Wyss du dich als Systemtölpel.» nicht gefährden. Zum System Theater gehört, dass das technische «041 – Das Kulturmagazin» jedoch hält am Thema Personal, das im Verband des Personals öffentlicher fest, wie das Gespräch mit zwei Sachkundigen zeigt, die Dienste (VPOD) organisiert ist, tendenziell besser ver- seiner Einladung trotz allem folgten. Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 11
FOKUS: KULTURARBEIT «HUNGERLÖHNE AN THEATERN MÖGEN USANZ SEIN, NORMAL IST DAS NICHT» Das Luzerner Theater holt zu künstlerischen Höhenflügen aus, das Bodenpersonal murrt. Was ist passiert? Ist der Ehrgeiz des Intendanten mit ihm durchgebrannt, wirkt der Spardruck nach, oder rühren die Spannungen von strukturellen Problemen? Mit der Arbeitnehmervertreterin Salva Leutenegger und dem Grünen-Politiker Urban Frye sprach Marlène Schnieper. Interview: Marlène Schnieper Bilder: Herbert Zimmermann Eine junge Dramaturgin stellt fest, dass ihr Einkommen gross wäre, versteckt man sich gern hinter dem Subventi- am Luzerner Theater unter dem liegt, was sie während onsgeber. «Unser finanzieller Rahmen ist beschränkt, wir des Studiums an der Migroskasse verdiente. Ein müssen uns nach der Decke strecken, es geht ja auch nicht Schauspieler sagt, dass ihm zwanzig Drehtage beim an, dass Künstler mehr verdienen als Techniker.» So und Film gleich viel einbringen wie ein halbes Jahr Arbeit im ähnlich lauten die Ausflüchte. Haus an der Reuss. Frau Leutenegger, ist das normal? Salva Leutenegger: Ja, leider verhält sich das seit Langem Wachsendes Unbehagen äussert freilich nicht nur so. Es wird sich auch nicht ändern, wenn wir uns nicht alle das künstlerische, sondern auch das technische zusammen ernsthaft wehren. Personal. Der monatliche Mindestlohn eines Schreiners am Luzerner Theater liegt fast 1100 Franken unter Ist das in der ganzen Schweiz so oder nur in Luzern? dem Mindestlohn im national gültigen Gesamtarbeits- Leutenegger: Soweit wir sehen, sind die Gagen im Be- vertrag. Wussten Sie das, Herr Frye? reich von Oper und Theater überall sehr tief, das gilt für Urban Frye: Ich wusste es, doch das Publikum ist sich Festangestellte wie für die freie Szene. Mit einer Mindestga- der prekären Arbeitsbedingungen oft nicht bewusst. Hun- ge von derzeit 3700 Franken pro Monat bildet Luzern aller- gerlöhne mögen an Theatern Usanz sein, dennoch halte ich dings zusammen mit Biel/Solothurn das Schlusslicht der in- es nicht für normal, dass hochqualifizierte Fachkräfte, eine stitutionellen Theater. Tänzerin mit Diplom, ein Dramaturg mit Masterabschluss, auf der Stufe von ungelerntem Servicepersonal entlöhnt Selten erhielt das Luzerner Theater künstlerisch so werden. viel Lob wie unter der Intendanz von Benedikt von Peter. Weshalb zahlt sich das nicht aus für all jene, die vor Bühnenkunst handelt von Macht und Ohnmacht, und hinter den Kulissen bis zum Umfallen schuften? von existenzieller Not und Ausbeutung, dabei sind die Leutenegger: Als Arbeitnehmerorganisation kämpft Protagonisten selber die Ausgebeuteten. Ein Paradox? der Schweizerische Bühnenkünstlerverband (SBKV) seit Leutenegger: Tatsächlich erfahren Künstlerinnen und Jahren für eine gerechtere Aufteilung der jeweils vorhande- Künstler nur zu oft, wie zerbrechlich und austauschbar sie nen Mittel. Im Vorstand des Schweizerischen Bühnenver- sind. Vielleicht führen sie uns gerade deshalb die Nichtigkeit bandes (SBV), also der Arbeitgebervertretung, sitzt auch menschlichen Strebens so eindringlich vor Augen. Adrian Balmer, der Verwaltungsdirektor des Luzerner The- Frye: Die Krux ist, dass das Luzerner Theater, das einst aters. Wenn wir in der gemeinsamen Tarifkommission mit ein Stadttheater war, inzwischen eine Stiftung ist, also eine unserem Sozialpartner um Hebung der Mindestgagen Einrichtung auf privatrechtlicher Basis, unabhängig von der ringen, stehen wir häufig auf verlorenem Posten – auch das öffentlichen Hand. Damit hat man die Asymmetrie der landesweit. In Luzern, wo der Nachholbedarf besonders Macht quasi institutionalisiert. Das oberste Kader kann 12 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT Urban Frye, 57-jährig, ist Kulturwissen- schaftler und kultur- politisch engagierter Kantonsrat der Grünen. Er hat einen Master- abschluss in Wirt- schaftsrecht mit Schwerpunkt Vertrags- recht. Aus eigenen Mitteln hat er jüngst 3,5 Millionen Franken in die Music Box gesteckt, ein Studentenwohnheim an der St. Karli-Strasse 71c in Luzern, wo junge Musikerinnen und Musiker leben und arbeiten können. Salva Leutenegger, 53-jährig, leitet seit 2015 die Geschäftsstel- le des Schweizerischen Bühnenkünstlerver- bandes SBKV in Zürich. Seit 25 Jahren vertritt sie bei Berufsver- bänden die Interessen der Mitglieder. 2008 baute sie die Zürcher Geschäftsstelle des Journalistenverbandes Impressum auf und leitete sie während sechs Jahren. Zuvor war sie Geschäfts- leiterin beim Musiker- verband SMV.
FOKUS: KULTURARBEIT schalten und walten, wie ihm beliebt. Wem's nicht passt, der kann gehen. Unter dem Primat der Kunst ist jede und jeder ersetzbar, für eine offene Stelle stehen hundert andere an. Das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), Partner des KKL und des Theaters, ist ebenfalls privatrechtlich organisiert. Es holt sich nicht nur künstlerisch Meriten, seine Mitglieder sind auch finanziell vergleichsweise gut gehalten. Liegt das am rührigen Intendanten Numa Bischof Ullman oder woran sonst? Leutenegger: Musikerinnen und Musiker sind traditio- nell bessergestellt. Dass sie am Hof spielten, der weltlichen oder kirchlichen Macht nahestanden, wirkt bis heute nach. Mittlerweile lernten sie zudem, für ihre Rechte solidarisch einzustehen. Frye: In Luzern hielt niemand Hof. Als Musiker brauch- te man in dieser Stadt früher ein Bettler- und Hausiererpa- tent. Der zweite Umstand, den Frau Leutenegger anspricht, fällt stärker ins Gewicht: Orchestermusiker sind inzwischen gewerkschaftlich besser organisiert als andere Künstler. Sie kennen ihren Wert, können nebenbei unterrichten und arbei- ten in der Regel bis zur Pension. Die Karriere einer Tänzerin endet im Alter von etwa 35 Jahren, danach muss sie sich um- schulen lassen. Ihre Gage trägt dem kaum Rechnung. So erge- ben sich krass unterschiedliche Verhältnisse innerhalb der künstlerischen Sparten. Über den Zweckverband von Stadt und Kanton fliessen derzeit jährlich mehr als 28 Millionen Franken an die grossen Luzerner Kulturbetriebe. Gut 20 Millionen Franken gehen allein an das Theater, drei Millionen an das LSO. Daran hat der Regierungsrat die Erwartung geknüpft, dass diese Betriebe «marktgerechte Arbeits- bedingungen bieten und eine Personalpolitik nach «In Luzern, wo der Nachholbedarf ethischen Grundsätzen betreiben». Das klingt gut, doch besonders gross wäre, wer verleiht dem Nachdruck? Leutenegger: Herr Frye hat es erwähnt, als Stiftung ist versteckt man sich gern hinter ein Kulturbetrieb grundsätzlich unabhängig auch vom Sub- dem Subventionsgeber.» ventionsgeber. Kein Politiker, keine Politikerin wird sich in Salva Leutenegger die Personalplanung, geschweige denn in das künstlerische Programm eines solchen Betriebs einmischen wollen. Doch böten sich im Rahmen eines Subventionsvertrages durch- aus Möglichkeiten, den Finger auf wunde Punkte zu legen. Darf ein Theater unter Spardruck mit den Gagen knausern, derweil ein Regisseur weisse und handgefertigte Gummi- darum bemüht sein, die Mindestgagen auf ein anständiges stiefel für eine bestimmte Szene aus London ordern kann, Mass zu heben, ehe er festlegt, welche Anzahl von Produkti- auch wenn die Stiefel am Ende vielleicht gar nicht gebraucht onen und wie viel Extravaganz die verfügbaren Finanzen ge- werden? Solche kritischen Rückfragen wären einer gerech- statten? Mangelt es am dafür notwendigen Verantwortungs- teren Aufteilung der gegebenen Mittel förderlich. Da könn- gefühl, sollte es der Stiftungsrat anmahnen. Aber die Mitglie- ten die öffentlichen Geldgeber schon mutiger sein. Darauf der dieses Gremiums wählen sich selbst, sie üben ihr Amt so hat unser Verband in einer nationalen Kampagne im vergan- lange aus, wie sie wollen. In Luzern hat man von dieser Seite genen Jahr hingewiesen. lange nichts gehört. Tauglicher wäre vielleicht ein Verein, in Frye: Dieser Aspekt ist mir wichtig. Bei aller Achtung dessen Vorstand Personalvertreter einsässen. Die Basis für die künstlerische Freiheit eines Intendanten – sollte er könnte sie wählen und abwählen und damit auch in die nicht zusammen mit dem Verwaltungsdirektor zuerst Pflicht nehmen. 14 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT Herr Frye, Sie haben im Herbst im Kantons- be. Der Regierungsrat hat das Postulat abgelehnt, der zu- parlament postuliert, dass Institutionen, die wesentlich ständige Kulturminister Reto Wyss drückte aber die Erwar- durch öffentliche Gelder finanziert werden, die Saläre tung aus, dass die einzelnen Institutionen von sich aus ihre ihrer Führungskräfte publik machen. Dabei dachten Sie Spitzensaläre offenlegen. Selbst beim FC Luzern hat man auch an die grossen Kulturbetriebe. Was versprechen unterdessen begriffen, was es diesbezüglich geschlagen hat. Sie sich davon? Nur bei den Kulturbetrieben hapert es. Der Verwaltungsdi- Frye: Die Grüne Partei, die ich vertrete, hat verlangt, rektor des Theaters ist seit Jahrzehnten im Amt. Er fürchtet, dass für die leitenden Funktionen subventionierter Betrie- vielleicht nicht ganz zu Unrecht, dass kein Stein auf dem be, also vor allem des Luzerner Theaters und des LSO, künf- andern bleibt, wenn man einen Eckpfeiler des Gemauschels tig die gleiche Lohntransparenz gilt wie für die obersten herauszieht. Auch der Stiftungsrat sperrt sich. Kader der Luzerner Kantonalbank oder der Verkehrsbetrie- Was nützt es dem kleinen Schauspieler, wenn er erfährt, dass seine Intendantin eine halbe Million verdient, während für ihn ein Jahreslohn von 50 000 Franken abfällt? Leutenegger: Die Einsicht in das Lohngefälle wird hof- «Die Karriere einer Tänzerin endet fentlich nicht nur den kleinen Schauspieler, sondern auch das grosse Publikum dazu anregen, das Ungleichgewicht im Alter von etwa 35 Jahren, danach zugunsten der schwächsten Akteure zu korrigieren. Darum muss sie sich umschulen lassen. unterstützen wir die Forderung nach Lohntransparenz für die oberen Kader, auch wenn sie an Schweizer Theatern ge- Ihre Gage trägt dem kaum Rechnung.» nerell nicht populär ist. Urban Frye Frye: Für den Stiftungsrat des Luzerner Theaters scheint Lohntransparenz vorläufig ein Fremdwort zu sein. Seine Dialogbereitschaft tendiert gegen null. Damit begeht er politisch einen kapitalen Fehler. Persönlich werde ich je- denfalls keinem Theaterneubau zustimmen, wenn sich ver- waltungstechnisch nicht ebenfalls etwas bewegt. Künstlerinnen und Künstler sind nicht unbedingt geborene Gewerkschafter – was heisst das für Sie? Leutenegger: Es stimmt, eine Tänzerin ist meist unter zwanzig, ein Schauspieler wenig darüber beim ersten Auf- tritt. In diesem Alter denken sie noch nicht an AHV und Rente. Das kommt erst, wenn sie eine Familie gründen wollen. Doch selbst dann sind Bühnenkünstler ganz Lei- denschaft für ihr Metier und deshalb leicht auszunützen. Das auferlegt uns als Berufsverband, ihre Interessen be- harrlich und gleichzeitig behutsam wahrzunehmen. Nicht immer dringen wir mit dieser Strategie bei unserem Sozi- alpartner, dem Schweizerischer Bühnenverband, durch. In diesem Gremium sitzen ja nicht harte Kontrahenten, wie sie eine Gewerkschaft wie die Unia oft vor sich hat. Viel- mehr treffen wir auf Theaterdirektoren, die Meister in der Empörungsbewirtschaftung sind und uns stets wieder versichern, dass wir letztlich alle am gleichen Strick ziehen. Solcher Ambivalenz müssten wir uns in Zukunft vielleicht noch pointierter stellen. Frye: In Luzern steht die öffentliche Debatte über ein neues Theater an. Ob Neubau oder Umbau – die Kosten wird meine Partei und wohl auch die Bevölkerung nur mit- tragen, wenn auch die inneren Perimeter so verändert werden, dass für das Bühnenpersonal arbeitsrechtliche Mindeststandards gelten, die in anderen Branchen selbst- verständlich sind. Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 15
FOKUS: MAS KULTURMANAGEMENT BEHAUPTUNGSZWANG IM DIPLOM-DSCHUNGEL Der MAS Kulturmanagement der Hochschule Luzern wird nach zwei Jahrzehnten revidiert – weil die Studierenden fehlen. Es gilt zu fragen: Sind Kulturmanager und -managerinnen überhaupt noch gefragt? Text: Pascal Zeder Illustration: Gabi Kopp 16 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: MAS KULTURMANAGEMENT Kaum ein Berufsfeld ist so ambivalent wie die Kultur. Für Gerade für Kulturschaffende ein Investment, das sich die meisten bedeutet es Selbstbestimmung und das Aus- auf lange Sicht auszahlen muss. Dafür will das Kultur- leben von Kreativität, dafür sehen viele grosszügig über managementstudium kulturelle Arbeit als bezahlten die harschen Arbeitsbedingungen, die zweifellos eben- Beruf legitimiere – vor den in der Kultur Tätigen selbst, falls zur Branche gehören, hinweg. So bestreitet man aber auch innerhalb der Gesellschaft und der Politik. einen andauernden Balanceakt zwischen tiefer Bezah- Studienleiter Jörg Weidmann sagt: «Kultur ist Arbeit lung und erfülltem Berufsleben. Dazu kommt, dass «kul- und Arbeit ist nicht gratis. Kultur leistet aber viel für die turschaffend» kein offizielles Diplom ist. Doch die für al- Gesellschaft, das nicht monetär gemessen werden ternative Kulturzentren charakteristische (und essenzi- kann.» Da Kultur nicht nach wirtschaftlichen Kriterien elle) Do-it-yourself-Mentalität wird als Nachweis für funktioniere, brauche es finanzielle Mittel seitens Pri- Fachkenntnis oft nicht als gleichwertig mit einem Hoch- vater und der öffentlichen Hand. Nur ein professionel- schulabschluss gesehen, zumindest ausserhalb des Kul- ler Umgang mit diesen Geldern schaffe die Legitimati- turkosmos. Alternatives Kulturschaffen als Beruf zu on für Kulturarbeit, so Weidmann. Dies sei umso wich- sehen, damit tat und tut sich unsere Gesellschaft schwer. tiger in einem Umfeld wie dem Kanton Luzern, in dem Dabei hat Kultur in der (Zentral-)Schweiz in den die Politik der Sparmassnahmen zunehmend die Ar- letzten Jahrzehnten einen Professionalisierungsschub beitsbedingungen beeinträchtigten, ergänzt er. Die Kul- erlebt. Vielleicht exemplarisch – oder symbolisch – dafür turmanagement-Absolventen walten in diesem Sinne ist der Wandel von der frei organisierten Boa zum insti- als «Kulturlobbyistinnen». tutionalisierten Südpol. Oder die fortschreitende Profes- Ob diese Anerkennung gesamtgesellschaftlich be- sionalisierung von Radio 3fach oder dem Sedel. In reits eingetreten ist, lässt sich bezweifeln. Branchenin- diesem Kontext entstand die Ausbildung MAS Kultur- tern aber scheint die Ausbildung ihre Wirkung zu haben. management. Seit 19 Jahren bietet die Hochschule Marc Schwegler, Vorstandspräsident des Vereins Südpol Luzern das berufsbegleitende Masterstudium an. Zu- und Mitbetreiber von Präsens Editionen, meint, in Be- nächst beliebt, kränkelte der Studiengang in letzter Zeit. werbungsverfahren werde ein Nachweis des Kulturma- Die sinkenden Studierendenzahlen bringen die Hoch- nagement-Know-hows heute vorausgesetzt. Er sagt dies schule Luzern jetzt dazu, den Studiengang zu revidie- auch mit Blick auf die vergangenen Monate, in denen der ren. Damit ergeht es der HSLU wie Basel und Winter- Südpol im Zuge seiner Neuausrichtung zahlreiche Stel- thur zuvor, welche diesen Umbauprozess bereits hinter len neu besetzte. Marco Liembd, Geschäftsführer des sich haben. Im Herbst wurde Jörg Weidmann zum Konzerthauses Schüür und selber Kulturmanager, neuen Studienleiter ernannt, um die drei Ausbildungs- meint: «Besetzt man eine Stelle neu, können die meisten module den gesellschaftlichen und technologischen Bewerber heute dieses Diplom vorweisen.» Interessierte, Entwicklungen – Stichwort Digitalisierung – anzupas- die in der Kultur arbeiten wollen, kämen so unter Zug- sen. Ab Winter 2020 startet der revidierte MAS Kultur- zwang, sich mit der Ausbildung auseinanderzusetzen. management. Für die Kulturarbeitenden stellen sich da Wer den MAS Kulturmanagement vorweisen kann, ge- mehrere Fragen: hört heute also zur Mehrheit. Er hilft sicherlich dem Lebenslauf, doch ein Hoch- Was ist der Wert der Ausbildung für schulstudium alleine reicht nicht. Marc Schwegler meint, die Absolventinnen und Absolventen? bei den Südpolbewerbungen habe man neben Praxiser- fahrung und Ausbildung grossen Wert auf zwischen- Verbessert er die Arbeitsbedingungen menschliche Kriterien gelegt: Team- und Konsensfähig- in der Kultur? keit zum Beispiel. Und da wird auch der neue Kulturma- nagement-Master nicht helfen können. Wie dieser zu- Und nicht zuletzt: Was bietet der neu künftig konkret aussieht, will Weidmann übrigens nicht gestaltete Studiengang? verraten. Der Praxisbezug des bisherigen Studiengangs soll bleiben, in der Lehre will man sich an neuen Kultur- Seitens der Ehemaligen hört man Verschiedenes. modellen, -strukturen und -arbeitsformen orientieren. Da ist die Kritik, die Ausbildung kratze nur an der Ober- Weidmann denkt da zum Beispiel an Zwischennutzun- fläche der meisten Themen. Es werden, wie auch in an- gen und deren Community-Gedanken als jüngeres Phä- deren Masterstudiengängen, Generalistinnen ausgebil- nomen der professionellen Kultur. «Früher waren Kul- det. Auf der anderen Seite entspricht aber genau dies turbetriebe stark hierarchisch aufgebaut. Diese Formen dem kulturellen Alltag: Man koordiniert Grafik, Buch- sind heute nicht mehr zeitgemäss», sagt er. Die Kultur- haltung, Marketing, ohne selber Grafikerin oder Buch- management-Ausbildung habe lange nur auf die Praxis halter zu sein. Dann sind da die Kosten, bisher rund reagiert. Künftig möchte man proaktiv neue Modelle an- 18 000 Franken – ab 2020 steigen diese sogar noch an auf regen und damit kontinuierlich die Arbeitslegitimierung 20 000 Franken. Prüfungsgebühren nicht eingerechnet. und Arbeitsbedingungen verbessern. 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FOKUS: KULTURARBEIT KULTURPRAKTIKUM. DIE UNERHÖRTEN STIMMEN Sie sind jung. Sie wollen lernen. Und sie wollen arbeiten. Und machen deshalb ein Praktikum in den Kulturhäusern dieser Stadt. Ein Austausch über Hingabe und Verausgabung, Prekarität und Fairness und über die Frage: Was tun? Ein Gespenst geht um in der Kulturlandschaft. Das Ge- tragen schnell viel Verantwortung, erhalten den Lead bei spenst der «Generation Praktikum». Doch nachdem der Veranstaltungen und können eigene Projekte realisieren. Ausdruck durch die Medien geisterte, brachte der Bun- Doch auch während intensiver Phasen müssen die alltäg- desrat die lauter werdenden Stimmen lichen Routinearbeiten erledigt werden. Dadurch lernen Michel Rebosura wieder zum Verstummen. Die Bedeutung sie den Arbeitsaufwand einzuschätzen, mit dem Druck Text und Bilder der Praktika sei «insgesamt relativ gering», umzugehen und sich selbstständig zu organisieren. Alle weshalb es «keinen Handlungsbedarf» gebe. sind dankbar für die Erfahrungen. «Ich glaube, so ein Deshalb gibt es weder für den Kanton noch für die Stadt Büro oder so einen Arbeitsort werde ich nirgendwo Luzern offizielle Zahlen dazu. Und selbst im Arbeits- anders finden. Deshalb ist diese Zeit einzigartig, die ich recht existieren sie nicht. Da ist nichts, wo etwas sein sicher nie vergessen werde», schliesst Léon Schulthess, sollte. Oder da ist etwas, wo nichts sein sollte. So be- der sein Praktikum im Treibhaus macht. Ist der Luzerner schreibt der Kulturtheoretiker Mark Fisher das «Ge- Kulturbereich also eine «Insel der Glückseligen»? spenstische», das uns heimsucht und ein «Unbehagen in der Kultur» verbreitet. «Im privaten Austausch ist es Hingabe und Verausgabung extrem ein Thema. Und macht mich wütend.» Durch die Identifikation mit der Arbeit und die un- «Ich habe auch schon Praktika ohne Lohn gemacht. Die regelmässigen Arbeitszeiten besteht natürlich die Gefahr traurige Wahrheit ist, dass es noch schlimmer geht.» der Selbstausbeutung. Diese Tendenz zur Verausgabung Woher kommen diese unerhörten Stimmen? Wer sind hat auch mit der Hingabe zur Kultur zu tun. Benjamin sie? Und was wollen sie? Hören wir ihnen zu. Spies, der vor Kurzem sein Praktikum im Neubad «Ich wollte in einem professionellen Kontext Er- begann, erläutert: «Solche Orte könnten nie mit einer ‹ge- fahrungen sammeln. Lernen, wie grosse Organisations- sunden› Arbeitseinstellung existieren. Es braucht schon strukturen funktionieren. Im Offspace waren es immer ein bisschen Selbstaufopferung. Das ist nicht nur ein Ar- selbst aufgebaute Strukturen», sagt Johannes Mall, der beitsplatz, sondern ein Ort, der von den mitwirkenden letztes Jahr im Neubad sein Praktikum begann. Und Menschen geprägt wird. Das kann sehr vereinnahmend, Laura Breitschmid erzählt mir über ihr Praktikum im sic! aber auch ein super Gefühl sein.» Jon Gyr, der vor sieben Raum für Kunst, den sie nun selber führt: «Ich habe ganz Jahren am Südpol ein Praktikum als Techniker absolvier- viele tolle Leute kennengelernt und wäre sonst nie auf te, sagt dazu: «Gerade dann ist es wichtig, dass man Prak- die Idee gekommen, Ausstellungen zu machen.» tikanten mit ihrem geringen Lohn davor schützt.» Und rührt damit das Schweizer Tabu an. Struktur und Atmosphäre Alle schätzen die flachen Hierarchien und die Der prekäre und der faire Lohn freundschaftliche Atmosphäre in den Betrieben. Und Laura Breitschmied erhielt für ihr 20-Prozent-Pens- obwohl es keine vereinbarten Ausbildungspläne gibt, um 300 Franken brutto, Léon Schulthess für seine 50 werden sie in alle Bereiche und Prozesse involviert. Sie Prozent 900 Franken und die Praktikantinnen vom 18 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT «Ich wäre sonst nie auf die Idee gekommen, Ausstellungen zu machen.» Laura Breitschmid (31), Luzern Laura Breitschmid studierte in Basel Kunstgeschichte und Wirtschaft, arbei- tet gegenwärtig als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunstmuseum Luzern und ist Ausstellerin im sic! Raum für Kunst. Durch das Catering vom Blauring für das sic! erfuhr sie vom 20-Prozent-Praktikum. «Das Treibhaus ist kein eigentlicher Arbeitsort für mich.» Léon Schulthess (19), Luzern Im Zwischenjahr nach seiner Matura an der Kanti Musegg macht Léon Schulthess ein 50-Prozent-Praktikum im Treibhaus. Er sei ein Perfektionist, weshalb er sich manchmal zu viel Druck mache. Er hofft, am Ende des Prakti- kums besser damit umgehen zu können. «Für meinen Lebensweg bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung.» Lina Kunz (25), Luzern Lina Kunz studiert an der Uni Luzern Kulturwissen- schaften und Soziologie und schreibt gegenwärtig ihre Bachelorarbeit. Davor benötigte sie «neue Inputs», woraufhin sie von 2017 bis 2018 ein Prakti- kum im Neubad machte, in dessen Rahmen sie auch die «Neubad Lectures» entwickelte. Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 19
FOKUS: KULTURARBEIT «Das Neubad ist ein spezieller Ort, der nicht mit anderen Orten zu vergleichen ist.» Linus Pfrunder (24), Luzern Linus Pfrunder studierte an der Uni Luzern Kulturwissen- schaften und Geschichte. Nach dem Zivildienst arbeitete er beim Bundesamt für Kultur und in einem Sport- museum. Zusammen mit Benjamin Spies begann er die- ses Jahr mit seinem Praktikum im Neubad, wo er die freundschaftliche Atmosphäre schätzt. Ausser beim Tischtennis, «da gibts keine Freundschaften». «Warum nicht mal nach Luzern gehen?» Johannes Mall (31), Pforzheim Johannes Mall studierte Graphic Design und Kommunikation, lebte in Berlin und betätigte sich im Offspace. Über zahllose Zufälle bewarb er sich beim Neubad für ein Praktikum. Und «kam mit nichts und kannte niemanden». Er ist der Kopf hinter den «Diskogedanken». «Jeder möchte der beste Praktikant sein, den das Haus je gesehen hat.» Benjamin Spies (32), Pforzheim Benjamin Spies studierte Kultur- wissenschaften in Hildesheim, Berlin und an der Karlsruher ZkM und kannte Johannes bereits aus Leipziger Offspace-Tagen. Mit Linus Pfrunder begann er vor Kurzem sein Praktikum im Neubad. Sein «gefährlicher wie absurder Wunsch» ist: «Wenn man geht, dann möchte man immer, dass alle danach an mir gemessen werden.» 20 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
FOKUS: KULTURARBEIT Neubad und Südpol für ihre 80 Prozent etwas über 1000 Franken. Wobei das Essen inklusive ist. Gerechtfertigt und kompensiert wird der Betrag durch den Berufsein- stieg, die Ausbildung, die Selbstentfaltung, die Vernet- zung und die Referenz. Das Praktikum ist ein Verspre- chen, dessen Einhaltung nur die Zukunft geben kann und das deshalb prinzipiell ungewiss ist. Bereits diese zeitliche Unsicherheit macht die befristete Anstellung prekär. Gerade im Kulturbereich. Wenige schaffen es, viele fallen heraus. Wer scheitert, ist selbst schuld, denn es gilt das «Prinzip Eigenverantwortung». Für manche stellt daher bereits das regelmässige Einkommen des Praktikums eine Sicherheit dar. «Ich habe die letzten zehn Jahre relativ prekär gelebt. Deshalb ist das für mich fast schon ein Aufstieg», erzählt mir Johannes Mall offen. Dennoch. Die Lohnbedingungen bleiben proble- matisch. Und das Thema heikel. «Ich will nicht, dass es so rüberkommt, als ob ich wütend auf einzelne Personen wäre. Schuld ist das System, nicht die einzelnen Akteure. «Ich habe den Nagel Aber ich will, dass du das so schreibst. Denn es wird viel zu wenig darüber geschrieben», sagt Lina Kunz und er- auf den Kopf getroffen mit zählt: «Klar, man unterschreibt und weiss: Das reicht dem Praktikum. Es war so nicht fürs Leben. Was auch so kommuniziert wird. Aber ziemlich eine Erfolgsstory.» wenn du ein Teil vom Team wirst und diesem Unterneh- Jon Gyr (28), Luzern men einen Mehrwert gibst, dann wurmt das einen mit Nach seiner Lehre als Landschaftsgärtner der Zeit. Und wenn die Eltern jeden Monat Geld überwei- orientierte sich Jon Gyr um und fing 2012 sen müssen, geht das in meinen Augen einfach nicht auf. am Südpol ein Praktikum als Techniker an. Danach konnte er dort eine Lehre als Gleichzeitig war ich mir auch meiner privilegierten Situ- Veranstaltungstechniker beginnen und ist ation bewusst. Jemand anderes, der diese Unterstützung nun Inhaber und Angestellter der «luciferVox nicht hat, könnte sich ein Praktikum schlicht nicht leis- GmbH», welche auf Ton- und Lichttechnik für den Kulturbereich spezialisiert ist. ten. Deshalb habe ich ihnen gesagt, dass ich den Lohn nicht in Ordnung finde. Es geht doch bloss darum, zu leben. Ganz bescheiden, ohne sich gross etwas zu gönnen. Das ist doch der Unterschied zwischen Prakti- Löhnen durch. Damit man sieht: So viel Geld müsste da kum und fester Stelle: Ich kann davon knapp leben versus sein. Dann weiss man, wie viel man beantragen muss. privilegierter Lebensstil.» Und darauf pochen! Denn wenn alle nur knapp rechnen Als einen «fairen Lohn» nennen sie übereinstim- und eine knappe Eingabe machen, bekommen alle nur mend 1800 bis 2000 Franken für ein 100-Prozent-Pens- wenig vom Kuchen ab.» um. Gleichzeitig sind sie sich der Realitäten bewusst. So Entscheidend ist auch der gesellschaftliche Dis- sagt Linus Pfrunder, der ebenfalls vor Kurzem sein Prak- kurs, der die Bedeutung der Kultur und Kulturarbeiterin- tikum im Neubad begann: «Wenn man wirtschaftlich ar- nen für die Gemeinschaft herausstellt. Und die der Prak- gumentiert, kann man sagen, das rentiert sich einfach tikanten. «Ich leistete ja auch etwas für die Stadt. Für die nicht, und darum kriegst du auch nicht mehr Lohn. Wenn Menschen, die hier leben. Mehr Lebensqualität für alle», du das Praktikum willst, hast du keine Wahl.» Was bleibt, sagt Lina Kunz und wird von Johannes Mall bestätigt: ist die Ambivalenz. Und die Alternativlosigkeit. Was also «Kultur ist auch stadtprägend. Städte wie Berlin sind auch tun? coole Städte geworden, weil da einfach ein grosses Ange- bot ist – was auch ausstrahlt.» Kultur ist nicht einfach da. Die negative und die positive Spirale Sie muss kultiviert werden. Durch Experimente, die Wie kann die negative Spirale von niedrigen scheitern können, aber auch Neues entstehen lassen. Sie Löhnen, prekärer Lebensform, öffentlichem Bild der Kul- braucht Feedback. Sie braucht Förderung. Wie eine Land- turarbeit und schwindender Kulturförderung in eine po- schaft, in der die Kultur wachsen und wuchern kann. sitive umgedreht werden? Braucht es mehr Organisation Und in der ein Gespenst umhergeht, das Léon Schulthess und Regulierung oder mehr Unternehmertum und Inno- so einfängt: «In meinem perfekten Kulturbereich sind vation? Oder etwa beides? Der Selbstständige Jon Gyr alle gleichwertig, auf der gleichen Stufe, wo alle genau sieht vor allem die Kulturarbeitenden in der Pflicht: gleich viel mitentscheiden können, alle die gleiche «Man müsste sagen: So, jetzt rechnen wir alles mit fairen Stimme haben.» Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 21
ÜBERDACHT «Warum tut man sich das an – arbeiten in der Kultur?» «Es ist immer der Sache ist, wie ich auch. Im Büro läuft den ganzen Tag lang gute Mu- eine Wahl.» sik, und dazu habe ich fast aus- schliesslich mit Menschen zu tun, deren Leben mich interessieren und deren Musik mich bewegt. Natürlich gehören zu meinem Arbeitsalltag auch unliebsame Tä- tigkeiten und schwierige Phasen. Ich kenne die Überbelastung und Zeiten hoher Erschöpfung, und es gibt Momente, da schimpfe ich über Bei meiner Arbeit in einer werden Konzertbesuche beispiels- die schlechte Bezahlung von uns al- Musikagentur und einem Musikla- weise zur Matchmaking-Plattform len, die sich – «pardon my french» – bel geht es im Kern um den Aus- oder private Festivalbesuche im den Arsch aufreissen für die Förde- tausch und die Ausein- Ausland zu Geschäftsreisen. rung einer unabhängigen Schweizer Text: Fabienne Schmuki andersetzung mit Men- Diesen Preis zahle ich aber Musikszene und dafür häufig nur schen, deren Sprache gerne, wenn ich mir vor Augen wenig Wertschätzung aus anderen (auch) die Musik ist. Da arbeiten in führe, dass mein Job und meine Po- Kreisen, namentlich der (Kultur-) der Kultur in meinen Augen primär sition in dieser Unternehmung (in Politik o. Ä. kriegen. Am Ende aber arbeiten in der Vermittlung bedeu- der ich seit zehn Jahren arbeite) so ist es immer eine Wahl: Ich habe tet – egal ob es um verschiedene Eth- vieles mit sich bringen, was mir mich für diesen Weg entschieden, nien, Kultursparten, -szenen oder wichtig ist: f lexible Arbeitszeiten, und wenn ich damit nicht mehr -disziplinen geht –, steht für mich höchste Transparenz innerhalb des glücklich bin, liegt es an mir, einen die Vermittlungsarbeit also im Zent- Unter nehmens, keine L ohnun- anderen Weg einzuschlagen. Doch rum des Kulturschaffens. gleichheiten, keine Benachteiligung bis dieser Tag kommt, geniesse ich Zurück zur Leitfrage: Warum aufgrund von Alter / Herkunft / Ge- alle Freiheiten und Vorteile, die ich tue ich mir die Arbeit in der Kultur schlecht, kein Dresscode. Darüber mit meiner Arbeit in der Kultur ver- an? Weil ich der Meinung bin, mit hinaus kann ich wählen, mit wem binde. Vermittlung ist der erste Schritt zu ich einen geschäftlichen Kontakt mehr gegenseit igem Verst ä nd- pflegen möchte, und das Aushalten Fabienne Schmuki ist nis,und damit mehr gegenseitigem von unangenehmen «K lienten» Co-Geschäftsführerin bei der Respekt getan. Tönt idealistisch? kenne ich ebenso wenig, wie ich mir Musikagentur Irascible. Sie hat Ich wage zu behaupten, dass die einen respektlosen Umgangston ge- einen Master of Art Education meisten Menschen, die im kulturel- fallen lassen muss. Ich profitiere von in Kulturvermittlung, Vertiefung len Sektor tätig sind, idealistische maximaler Eigenständigkeit und Publizieren & Vermitteln, und Tendenzen haben. Wen wundert’s? hoher Verantwortung, bei der ich setzt sich seit zehn Jahren Die Löhne liegen meist knapp über aber – sollte die Belastung zu hoch für die unabhängige Musikszene oder auch unter dem Mindestlohn, werden – im Team stets auf Unter- in der Schweiz ein. die Arbeitsbelastung ist durch das stützung zählen kann. Mein gemüt- Volumen und die hohe Identifika- liches Büro erreiche ich mit meinem tion mit dem Beruf sehr hoch. An- Fahrrad innert sieben Minuten. Und fang und Ende eines Arbeitstages zu schliesslich erwarten mich da im- bestimmen ist häufig unmöglich, mer liebe Leute, die einen wichtigen beruf liche und private Netzwerke Platz in meinem Leben einnehmen: vermischen sich. In meinem Fall ein Team, das genauso engagiert bei 22 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Mai 2019
ÜBERDACHT «Überdacht», das sind zwei Antworten auf eine Frage: Profis aus Theorie und Praxis äussern sich monatlich und aktuell zu Kultur und ihren Wirkungsbereichen. zum Frass vorwerfen. Wie man die Kultur fairer gestalten kann? In sei- nem eigenen Umfeld Menschlichkeit und respektvollen Umgang einzufor- dern, ist ein erster Schritt. Aber wie die Arbeit von «art but fair» gezeigt hat, ist die sogenannte «Selbstver- pflichtung» nicht sehr wirkungsvoll. Vielmehr müssen Situationsdesigns auf struktureller Ebene entworfen werden, die Anreize schaffen, sich fair zu verhalten. Dies erfordert auch «Selbstverpflichtung die Mithilfe der Kulturpolitik. Eine Möglichkeit besteht darin, Subventi- ist nicht sehr wirkungsvoll.» onen an Bedingungen in Bezug auf die Einhaltung gewisser Gagen- und Verhaltensstandards von Kulturins- titutionen zu knüpfen. Ein Kul- tur-Gütesiegel ist nach wie vor ein er- strebenswertes Ziel. Im Konzertsaal. Menschen sind ge- lich-schwärmerische «Die Welt ge- Für die Zukunft soll die Arbeit kommen, um gemeinsam Musik zu hört mir» reibt sich immer mehr an von «art but fair» deshalb noch mehr erleben. Die geballte Aufmerksam- Realitäten. Diese Realitäten können in der Entwicklung, Erforschung und keit konzentriert sich auf je nach Lebensverlauf ganz unter- Bewertung von kulturpolitischen Illustration: Till Lauer ein Medium, welches Emo- schiedlich ausfallen und der wenig Konzepten und Strategien liegen, die Text: Julia Schiwowa tionen an die Oberf läche profilierte Traum weicht im besten so auf die öffentliche Meinungsbil- spült und das Zeitempfin- Falle gelebter Erfahrung.Und: Wie dung, Politik, Interessenvertretun- den verschiebt. In solchen Momen- wäre es, ab und zu eine ganz persönli- gen und betroffenen Institutionen ten fliessen gebündelte Energien, die che Bilanz zu ziehen, und im Extrem- Einfluss nehmen. wie eine Droge wirken. Die Kultur fall gar sein Ego zu überwinden und Arbeiten in der Kultur – warum bietet unbestritten eine Plattform für einen geplatzten Traum anzuerken- tut man sich das an? Weil und solange Lebensträume. nen? Am besten bevor man für die man seinen Beruf leidenschaftlich Vielleicht waren es solche magi- Aufrechterhaltung einer längst über- liebt, in der Vorstellung wie auch in schen Momente in der Kindheit, die holten Traumvorstellung Kompro- der Realität. den Anstoss für eine Laufbahn in der misse eingeht, die die eigenen Gren- Kultur gaben. Vielleicht wurde man zen sprengen. Für mich ist es die Vor- aber auch vom Elternhaus gezwun- stellung, die Bedingungslosigkeit des Julia Schiwowa studierte klassi- gen, ein erkanntes Talent zu fördern Kindertraums zu schützen, das ei- schen Gesang in Zürich. Seit und jeden Tag mehrere Stunden zu gene Handeln aber mit der Verant- zehn Jahren leitet sie ihre eigene üben. Oder es lag ein Instrument he- wortung des Erwachsenen zu um- Formation schiwowa & band, rum und man hat es spielerisch ent- hüllen. mit der sie eigene Chanson- deckt. Es gibt wohl so viele diverse Das Kapital der Musik ist neben Programme auf die Bühne bringt. Szenarien wie Menschen in der Kul- dem Handwerk die Lebensenergie, Sie ist Mitbegründerin turszene. Es ist, als ob im Verlaufe des und genauso sollte man diese pflegen der Initiative «art but fair» und Lebens eine Art Desillusionierungs- und der so fanatischen intrinsischen seit 2015 Geschäftsführerin des prozess stattfinden würde. Das kind- Motivation nicht sein eigenes Fleisch Singstimmzentrums Zürich. Mai 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 23
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