Fisch und Gemüse aus der Stadt - Berufsverband Hauswirtschaft
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Nachhaltige Ernährung
Fisch und Gemüse
aus der Stadt
Die Strahlen der Aprilsonne erwärmen die Gewächshäuser der
Stadtfarm im Berliner Bezirk Lichtenberg mitten im Landschaftspark
Herzberge. Der Salat wächst üppig, in den Fischbecken blubbert es.
Auf 2000 Quadratmetern werden hier jährlich 50 Tonnen Fisch und
30 Tonnen Salat, Kräuter und Gemüse mitten in der Stadt in einem
Fisch-Pflanzen-Kreislauf nachhaltig produziert. Die Menge reicht, um
200 Menschen mit Gemüse und 500 Menschen mit Fisch zu versorgen.
„Das Verfahren „Aqua-Terra-Ponik“ Fischbecken, die im Halbkreis im Ge- Viele der Teiche und Seen werden wäh-
verbindet Fischzucht und Gemüseanbau wächshaus angeordnet sind. Hier leben rend der Trockenzeit immer kleiner, so
in Erde in einer Kreislaufanlage“, erklärt 2000 Fische. „Wir haben lange nach dass die Fische auch in ihrem natürli-
Anne-Kathrin Kuhlemann, Mitgründe- dem optimalen Fisch gesucht. Der afri- chen Lebensraum eng zusammenrücken
Fotos: TopFamers GmbH und Beatrix Flatt
rin und Geschäftsführerin von TopFar- kanische Raubwels (Clarias gariepinus), müssen. „Deshalb punktet unser System
mers GmbH. Das Wasser aus der Fisch- auch bekannt als Catfish, ist besonders beim Tierwohl. Untersuchungen haben
haltung wird aufbereitet, Nährstoffe aus für Aqua-Terra-Ponik geeignet. „Diese gezeigt, dass unsere Fische keinerlei
dem Wasser versorgen die Pflanzen. Fische lieben es eng und kuschelig“, Stresshormone haben. Es geht ihnen also
Diese reinigen das Wasser, das direkt erklärt die Geschäftsführerin. Die Hei- wirklich gut“, versichert Kuhlemann.
wieder in die Fischbecken fließt. Anne- mat der Süßwasserfische ist Afrika, wo Ein weiterer Vorteil dieser Welsart ist die
Kathrin Kuhlemann öffnet eines der sie meist in stehenden Gewässern leben. gute Futterverwertung. Aus „einem Ki-
1 Infodienst online Mai 2021
Anne-Kathrin Kuhlemann zeigt
die Regenwürmer, die Fischkot
in Humus verwandeln.
logramm Futter entsteht ein Kilogramm einem befreundeten Ehepaar habe sie
Fisch.“ Und das wichtigste ist: „Der sich Gedanken gemacht und viel recher-
Fisch schmeckt auch noch gut. Das ist chiert, wie man Lebensmittel nachhalti-
entscheidend“, so die Geschäftsführerin. ger produzieren könnte. 2011 begann
„Das Produkt kann noch so nachhaltig das Team auf einer Berliner Terrasse in
sein, wenn es nicht schmeckt, hat es einem Zehn-Quadratmeter-Gewächs-
wenig Chancen auf dem Markt.“ haus zu experimentieren. „Die Fische
nicht nur in einem Haltemedium wie schwammen damals in der Regen-
zum Beispiel Steinwolle, sondern wirk- tonne“, lacht sie heute. „Dieser Test hat
Die Fische kommen als Jungtiere im lich in Erde wachsen. „Wir betrachten funktioniert, deshalb haben wir das
Wie funktioniert Aqua-Terra-Ponik?
Alter von einem Monat mit etwa zehn die Erde nicht als Halte- und Stütz- System erweitert, um den Kreislauf
Gramm in die Becken der Stadtfarm, die element für die Pflanzen, sondern als die noch besser zu verstehen. 2013 bauten
überwiegend mit regenerativen Ener- ideale Rahmenbedingung für ein gesun- sie dafür in einer Berliner Berufsschule
gien auf zirka 26 Grad geheizt werden. des Pflanzenwachstum. Unsere Maß- auf 100 Quadratmetern ein weiteres
Etwa sechs Monate leben die Fische in nahmen zielen nach dem Vorbild der Testlabor. Nachdem auch das funktio-
den Becken, bevor sie mit einem Ge- Natur darauf ab, das lebendige System niert hatte, suchte das Team einen geeig-
wicht von 1500 Gramm im Berliner Terra-Boden zu fördern und zu ernäh- neten Ort, um es im größeren Stil zu
Fischmarkt von Stadtfarm-Mitarbeitern ren.“ praktizieren und vor allem, um ein Un-
geschlachtet werden. Das gefilterte Wasser aus der Fischzucht ternehmen zu gründen. „Wir wollten
„Im Fisch schmeckt man die Wasser- durch- und umspült die Pflanztöpfe. Die nicht neu bauen, sondern suchten im
qualität“, ist Kuhlemann überzeugt. Sie Pflanzen holen sich alle Nährstoffe, die Sinne der Nachhaltigkeit ein bestehen-
streift mit der Hand in das klare Wasser, sie brauchen, aus dem Wasser und reini- des Gewächshaus.“ Im Berliner Land-
hält die Nase nah ans Wasser – kein gen dieses dabei, so dass das Wasser mit schaftspark Herzberge baute bis zur
Fischgeruch. „Das liegt an dem Kreis- „Teichqualität“ wieder in die Fisch- Wende das „Volkseigene Gut Garten-
laufsystem der ausgetüftelten Anlage. becken geleitet wird. „Wir haben also bau“ im großen Stil Schnittblumen in
Das Wasser bleibt im System und wird kein Abwasser in unserem Kreislauf.“ Gewächshäusern an. Der Betrieb wurde
in mehreren Stufen gefiltert und gerei- Anfang der 90er Jahre abgewickelt, die
nigt.“ meisten Gewächshäuser abgerissen – bis
Kuhlemann führt zu einem großen ge- auf drei. Mit 2500 Quadratmetern war
Vom Experiment auf der Terrasse
mauerten Filterbecken. Auf den ersten Kuhlemann hat Betriebswirtschaft stu- das für das Gründerteam die optimale
zur Stadtfarm
Blick sind nur Sägespäne zu sehen. Sie diert, beschäftigt sich aber schon seit Fläche, um 2017 mit der Stadtfarm an
bohrt mit der Hand etwas tiefer und hat über 20 Jahren mit Nachhaltigkeit. „Und den Start zu gehen. 2000 Quadratmeter
jede Menge Regenwürmer in der Hand. da kommt man schnell zum Thema werden für die Fischzucht und den
„Wir haben hier 2017 zum Start 10 000 Ernährung, denn die Art, wie wir uns Pflanzenanbau genutzt, auf der restli-
Regenwürmer reingesetzt. Mittlerweile ernähren, hat einen großen Einfluss auf chen Fläche befindet sich ein Hofladen
sind es viel mehr, da sie sich weiter ver- die Zukunft unseres Planeten“, be- mit Besucherzentrum.
mehren.“ Hier wird der Fischkot heraus- schreibt die engagierte Frau ihre Moti-
gefiltert, den die Würmer zu Humus ver- vation. Gemeinsam mit ihrem Mann und
arbeiten. Im nächsten Becken verwan- Kuhlemann betont, dass in diesem
Neue Kund*innen durch Corona
deln Bakterien das giftige Ammoniak, Unternehmen keine öffentlichen Gelder
das sich durch die Ausscheidungen der Der Afrikanische Wels ist ein Spitzen- stecken – weder in der Experimentier-
Fische im Wasser anreichert, zu Nitrit fisch der gehobenen Gastronomie. phase noch jetzt im laufenden Betrieb.
und dann Nitrat. Dieses dient als Nähr- Sein Fleisch ist mild im Geschmack, „Ich habe ein Unternehmergen in mir
stoff für die Pflanzen im Gewächshaus. von angenehm fester Struktur und und schon während des Studiums meine
Damit ist die Grundlage für den Ge- von Natur aus annähernd grätenfrei. erste Firma gegründet. Wir haben unse-
müseanbau gelegt: Humus und Nähr- Ernährungsphysiologisch besitzt der re Arbeit in den letzten Jahren weder als
stoffe aus der Fischzucht. Die Gemüse- Wels einen überdurchschnittlich Hobby noch als Projekt gesehen. Wir
pflanzen – in erster Linie Salate, Kräu- hohen Gehalt an wertvollen Omega-3 denken als Unternehmer und da ist bei
ter, Gurken, Paprika und Tomaten – und Omega-6 Fettsäuren. Er ist her- einer Innovation eine Entwicklungs-
wachsen in kleinen Töpfen, die mit Erde vorragend für die gesundheitsbe- phase normal.“ Und Kuhlemann ergänzt
gefüllt sind. Kuhlemann erklärt, dass es wusste Ernährung geeignet. Sein gleich: „Ja wir sind profitabel. Wieder!“
für sie wichtig sei, dass die Pflanzen Fettgehalt liegt unter fünf Prozent. Bis März 2020 gingen 70 Prozent der
www.femeg.de/fisch/
afrikanischer-wels-clarias-gariepinus.html
Infodienst online Mai 2021 2
Nachhaltige Ernährung
produzierten Lebensmittel an Firmen- schiedenen Fertigprodukten aus der gleich groß sein. „Wir wissen, dass das
kunden, also Gastronomen und Caterer eigenen Küche in der Tiefkühltruhe. System in dieser Größe funktioniert,
für die Gemeinschaftsverpflegung in „Besonders beliebt bei den Kunden ist deshalb bleiben wir dabei.“ Allerdings
Berlin. Dieser Absatzmarkt brach mit der zuckerfreie Ketchup aus eigenen To- wird es dort einen eigenen Schlachtbe-
dem ersten Lockdown von einem Tag maten und Süße aus der selbst angebau- trieb für die Fische und eine größere
auf den anderen weg. Also musste sich ten Steviapflanze.“ Kuhlemann erklärt, Küche geben.
das Unternehmen neu organisieren. dass die Preise für Tomaten im Hoch-
Mittlerweile geht die Ware fast komplett sommer während der Haupterntezeit fal-
an Privatkunden – über Gemüsekisten, len. „Diesen Preiskampf machen wir
Immer noch ein bisschen besser
Fischboxen, zwei eigene Wochenmärkte allerdings nicht mit.“ Stattdessen landen Die Entwicklung geht immer weiter: Im
und nachhaltiger
und über den eigenen Hofladen im die nicht verkauften Tomaten aus dem Moment besteht das Fischfutter zu je
Gewächshaus der Stadtfarm. „Mittler- Gewächshaus der Stadtfarm im eigenen einem Drittel aus Fischmehl, Soja und
weile sind wir wieder profitabel“, freut Ketchup. „Die Nachfrage ist viel größer Weizen. „Hier wollen wir noch besser
sich Kuhlemann. als unser Angebot.“ werden“, formuliert sie das Ziel. „Das
Bei der Umstellung zu Beginn der Ökosystem Meer ist durch Verschmut-
Corona-Pandemie hat die eigene Küche zung und Überfischung bedroht. Wir
mit zwei festangestellten Köchen sehr sollten die Meere in Ruhe lassen, des-
Berlin bekommt
geholfen. Hier werden ständig neue Die Stadtfarm mit ihrem geschlossenen halb wollen wir in Zukunft auch kein
eine zweite Stadtfarm
Produkte für den Verkauf entwickelt. So Kreislauf produziert Gemüse und Fisch Fischmehl mehr verwenden.“ Die Pio-
gibt es Bratwürste aus Fisch, Fischbäll- mitten in der Stadt. Lange Transportwe- niere der Stadtfarm haben an einer öko-
chen in Tomatensoße, Fischbolognese ge entfallen. „Wir sind keine Konkur- logischen Variante des Fischfutters ge-
etc. Die Küche sei aber auch wichtig, renz zur bestehenden Landwirtschaft, tüftelt. „Wir haben ein rein vegetari-
um die eigenen Reste, also nicht ver- aber eine wichtige Ergänzung“, stellt sches Fischfutter aus heimischen Ei-
kaufte Lebensmittel, durch Verarbeitung Kuhlemann klar. Noch in diesem Jahr weißpflanzen entwickelt. Der Catfish ist
zu edlen Produkten aufzuwerten. „Diese soll die zweite Stadtfarm in Berlin an in der Lage, das pflanzliche Eiweiß in
Flexibilität hat uns im letzten Jahr geret- der Rummelsberger Bucht direkt an der körpereigenes Eiweiß umzusetzen.“
tet“, ist Kuhlemann überzeugt. Was Spree auf dem Gelände eines Energie- Noch ist die neue Rezeptur nicht im
während des Lockdowns nicht verkauft konzerns in unmittelbarer Nähe zu Einsatz, da die Stadtfarm bisher keine
werden konnte, wurde verarbeitet. So einem neuen Wohnquartier eröffnen. Mühle gefunden hat, die das Futter her-
stehen heute die unterschiedlichsten „Hier gibt es zwar keine alten Gewächs- stellen kann oder will. „Wenn wir keine
Pestosorten oder verschiedene Blüten- häuser, aber früher wurde schon einmal Mühle finden, müssen wir die 50 Ton-
essigsorten in den Verkaufsregalen. Der die Abwärme aus dem Kraftwerk zum nen Futter pro Jahr selber herstellen.“
Catfish landet nicht nur als Matjes in Beheizen von Gewächshäusern ge- Auch bei der Beschaffung der Jung-
Foto: clipdealer
Gläsern, sondern auch in Form von ver- nutzt.“ Die zweite Stadtfarm wird etwa fische wird es Änderungen geben: Noch
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1/12 Mai 2021
Mitten in Berlin wachsen in einem
Fisch-Pflanzen-Kreislauf Salat und
Gemüse sowie afrikanische Welse
auf kleiner Fläche nachhaltig und
ressourcenschonend.
kommen die kleinen Tiere von einem den Kreislauf und das Ökosystem ver- mann erklärt: „Die Regenwürmer pro-
Züchter aus Mecklenburg-Vorpommern, stehen. Gerade als Startup brauchen wir duzieren Enzyme, die wir in den Kreis-
der aber seinen Betrieb aufgibt. Der Menschen, die mitdenken und aufgrund lauf überführen. Sie stärken das Immun-
nächste Züchter, der diese Tiere liefern von Vorwissen schnell den Rest dazuler- system der Fische und schützen auch die
kann, ist in Holland. „Das ist uns zu nen“, bringt es die Geschäftsführerin auf Pflanzen vor Krankheiten. Im Gewächs-
weit“, so Kuhlemann. „Ich gehe davon den Punkt. haus kommen keine Pestizide zum Ein-
aus, dass wir demnächst unsere eigenen satz. „Wenn es mal Probleme mit Schäd-
Jungtiere züchten werden.“ Sie lacht: lingen gibt, dann setzten wir Nützlinge
„Wenn wir von innovativ sprechen, ein.“
Ressourcenschonend, nachhaltig
dann heißt das oft, dass wir jeden Teil- Kuhlemann und ihre Mitgründer sind Die Produkte der Stadtfarm haben kein
und smart
prozess selber machen müssen, da es von dem Aqua-Terra-Ponik-Verfahren Biosiegel, „denn das gibt es nicht für
keine passende Lösung auf dem Markt überzeugt. Im Vergleich zur konventio- Fisch aus Becken“, erklärt Kuhlemann.
gibt.“ nellen Landwirtschaft werden zirka 90 „Für unsere Kunden sind Siegel nicht
Für die Stadtfarm arbeiten 27 Men- Prozent weniger Wasser und 80 Prozent relevant, da sie sich jederzeit von der
schen. Es ist ein buntes Team aus Mit- weniger Fläche verbraucht. Der CO2- Produktion überzeugen können.“ Und
arbeitenden mit unterschiedlichen Kom- Ausstoß liegt um 88 Prozent niedriger. falls Fragen kommen, lautet die Ant-
petenzen. Ein gelernter Gärtner und Darüber hinaus entfallen die Liefer- wort: „Siegel sind gut, Stadtfarm ist
Einzelhandelsexperte kümmert sich als wege, da Fisch und Gemüse nah am Ver- smarter.“
Betriebsleiter um die ganze Anlage. In braucher mitten in der Stadt heranwach- Kuhlemann ist nicht nur Unternehmerin,
der Produktion arbeiten Gärtner und sen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die sondern auch Visionärin. Sie ist über-
Angler, in der Küche ausgebildete Kö- Meere durch Fischkonsum nicht noch zeugt, dass die Stadtfarm mit Besucher-
che, um die Wochenmärkte und das zusätzlich belastet werden. „Mit unse- zentrum und Hofladen Menschen für
Marketing kümmert sich eine Event- rem Fisch wollen wir aber nicht nur das Thema Ernährung und Nachhaltig-
fachfrau. „Das Wissen, das man hier Fisch aus den Meeren ersetzen, sondern keit sensibilisiert. „Die Menschen kön-
braucht, wird an keiner Uni gelehrt und generell eine bessere Lösung für tieri- nen sehen, wo und wie die Nahrungs-
steht in keinen Lehrbüchern. Wer hier in sche Produkte und Proteine bieten.“ mittel produziert werden.“ Vor der Pan-
der Produktion arbeitet, lernt die Spezi- Die Pflanzen brauchen keine Pestizide demie gab es Führungen und Schul-
fika vor Ort kennen und muss vor allem und die Fische keine Antibiotika. Kuhle- klassen waren regelmäßig zu Besuch.
„Wir versuchen zu vermitteln, dass wir
uns an den Kreisläufen der Natur orien-
tieren und diese als Vorbild nehmen.“
Kuhlemann sieht die Stadtfarm als ein
Element auf dem Weg zu einer Ernäh-
rungswende hin zu einer regionalen,
ökologischen und nachhaltigen Ernäh-
rung an.
Beatrix Flatt
Der Infodienst 2/2021, der im Juni erscheint,
enthält noch weitere Beiträge zu einer nach-
haltigen und ressourcenschonenden Ernäh-
rung.
Infodienst online
Infodienst 1/12 4
Mai 2021
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