Die letzten ihrer Art - Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten - Bayerisches ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bayerisches Landesamt für Umwelt Merkblatt Artenschutz Die letzten ihrer Art – Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten Den Arten- und Naturschutz einem breiten Publikum nahe zu bringen und bedrohten Pflanzen ein Refugium zu bieten, gehört zu den zentralen Aufgaben Botanischer Gärten. Mit Erhal- tungskulturen wird in bestimmten Fällen das genetische Potential gefährdeter Pflanzenarten gesichert und mit Wiederansiedelungen aktiv zum Erhalt der Wildpopulationen beigetragen. Pflanzenarten. Das Augsburger Steppengreis- kraut, das nur auf den Lechheiden südlich von Augsburg wächst, gehört beispielsweise zu diesen weltweit einmaligen Raritäten. Durch ihre Einzigartigkeit hat der Freistaat Bayern in- ternational die alleinige Verantwortung für de- ren dauerhaften Erhalt. Daher wird seit Jahren versucht, die Lebens- räume dieser Pflanzen zu erhalten und durch eigens auf die jeweilige Pflanze abgestimmte Artenhilfsmaßnahmen die letzten Wildpopula- tionen zu vergrößern. So werden beispielswei- se die Habitate durch Schafbeweidung offen gehalten, Keimnischen geschaffen, Konkur- renzvegetation entfernt, die biologischen und ökologischen Ansprüche erforscht und mit Be- standszählungen die Entwicklung dokumen- tiert. Rettung in letzter Minute Anzuchtschalen im Botanischen Garten der Universität Regens- burg. Erhaltungskulturen können sinnvoll sein, um den Arten- schutz in der Landschaft zu ergänzen (Foto: Christina Meindl). Trotz aller Bemühungen können manche Popu- lationen nicht dauerhaft in ihrem ursprüngli- Artenschutz vor unserer Haustür chen Lebensraum überleben und stehen kurz vor dem Erlöschen. Um ein Aussterben zu ver- Unsere bayerische Flora beherbergt eine hindern und sie im Falle ihres Verschwindens Vielzahl botanischer Kostbarkeiten. Doch im Lebensraum für die Nachwelt zu erhalten, zahlreiche Lebensräume unserer heimischen werden seit einiger Zeit von bedrohten Wild- Pflanzen gehen mehr und mehr verloren. pflanzen auch Erhaltungskulturen angelegt. Besonders bedrohlich ist die Situation für Ar- Am besten eignen sich hierfür die Botani- ten, die ein sehr kleines Verbreitungsgebiet schen Gärten: Sie verfügen nicht nur über das haben und weltweit nur in eng begrenzten notwendige gärtnerische Fachwissen, son- Regionen vorkommen. In Bayern gibt es rund dern sind zudem in der Lage, ihre Besucher 50 von diesen als „endemisch“ bezeichneten mit dem Erhalt der Artenvielfalt vertraut zu
machen. Dadurch werden sie für nur eine zusätzliche Maßnahme den Schutz der heimischen Pflan- die Art zu retten. Dennoch sind zenwelt sensibilisiert und mobili- die Anzucht von Jungpflanzen und siert. Derartige Erhaltungskulturen die Saatgutgewinnung wichtige helfen vor allem kleine Populati- Maßnahmen für die Stützung oder onen vor dem Aussterben zu be- Neubegründung von Wildpopulati- wahren und neue Populationen an onen, um akut bedrohte Bestände langfristig gesicherten Stellen bzw. zu stabilisieren und der Art doch in Schutzzonen aufzubauen. Sinn- noch ein Überleben in freier Natur voll ist dies jedoch nur dann, wenn zu ermöglichen. zugleich die Faktoren verändert werden, die zum Rückgang der Art geführt haben. Qualität zählt Um den Arten nachhaltig zu hel- Erhaltungskulturen – ein fen, ist es unumgänglich bestimm- zweischneidiges Schwert? te Qualitätsstandards einzuhal- ten: Nicht jede in Botanischen Ausbringen von im Botanischen Garten Würzburg Allerdings wird die Anlage von Er- Gärten kultivierte Population kann vermehrten Jungpflanzen des Lothringer Leins am ursprünglichen Wuchsort (Foto: Gerd Vogg). haltungskulturen in der Fachwelt an beliebiger Stelle in der Natur immer wieder kontrovers disku- ausgebracht werden. Stammt die oder vorhandene Konkurrenzar- tiert. Kritiker sehen die Gefahr, Spenderpopulation beispielswei- ten. Dadurch würde die noch vor- dass es zu einer Verharmlosung se aus einem anderen Naturraum, handene Population geschwächt des grundlegenden Problems – so kann sie eine abweichende, und das Aussterberisiko verstärkt. dem Verlust von Lebensräumen regionaltypische Genausstattung Aus diesem Grund bedarf es ei- – kommt und Erhaltungskulturen aufweisen und würde unter Um- ner exakten Dokumentation von als Ausrede für die Zerstörung der ständen die genetische Identität Herkunftsort, Lebensraum und Lebensräume dieser Arten genutzt der ursprünglichen Population ver- Populationsgröße der kultivierten werden. Prioritäres Ziel des Natur- fälschen. Die Folge könnte sein, Pflanzen sowie einer sorgfältigen schutzes ist es aber immer, Wild- dass im Laufe der Evolution spezi- Kontrolle der genetischen Iden- populationen zu erhalten, die aus ell entwickelte Anpassungen der tität durch den Botanischen Gar- eigener Kraft an ihren Wuchsor- Pflanzen an regionale Gegeben- ten (Vermeidung von Vermischung ten lebensfähig sind. Der Erhalt heiten verloren gehen, wie etwa oder Verwechslung mit anderen von Arten in Kultur ist daher immer an Bodenbedingungen, Kleinklima Aufsammlungen). Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Umweltbedingungen in Gärten nicht denen am Wildstand- ort entsprechen können und so im Laufe der Kultivierungsphase eine ungewollte Auslese und damit eine Veränderung des genetischen Potentials stattfinden kann. Dieses Risiko ist artabhängig un- terschiedlich groß und tritt erst nach einigen Jahren der Kultivie- rung ein. Wesentlich schneller wir- ken sich dagegen Inzucht, geneti- sche Drift und Hybridisierung auf die meist recht kleinen Populatio- nen im Botanischen Garten aus. Einer Hybridisierung kann durch kontrollierte Bestäubung entge- gengewirkt werden, die eine inten- Präsentation seltener, regionaltypischer Pflanzenarten auf einer Führung im Alpengarten Schachen – einer Außenstelle des Botanischen Gartens München für alpine Pflanzen (Foto: Andreas Zehm). sive gärtnerische Betreuung vor-
aussetzt. Inzucht und Gendrift sind aufgrund der geringen genetische Variabilität der Kulturen kritisch. Im Extremfall können sie den Kul- turerfolg erheblich beeinträchti- gen und die Erhaltungskultur für Wiederansiedelungsversuche un- brauchbar machen. Welche Arten sind zu berück- sichtigen? Derzeit befinden sich mehr als 300 gefährdete heimische Arten in über 30 Botanischen Gärten in Deutschland (davon sechs bayeri- Auspflanzung des stark gefährdeten Felsen-Straußgras (Agrostis rupestris) aus einer von der Re- sche) in Erhaltungskultur. gierung von Niederbayern beauftragten Nachzucht durch das Stadtgartenamt Straubing. Zwei der Um die Arten zu identifizieren, für insgesamt fünf gepflanzten Gras-Horste sind gut angewachsen und blühen (Foto: Andreas Zehm). die Erhaltungskulturen notwen- dig sind, werden Prioritätenlisten Pflanzenwelt durch Informations- Herkunft bis zur Protokollierung erstellt, die die regionalen Verant- tafeln, Aktionstage und Führun- der Kulturergebnisse. wortlichkeiten für den Schutz der gen sensibilisieren. • Die Anlage von Kulturbeeten, Arten festlegen. Neben der Ver- • Zur Sicherung der genetischen Anzuchtbecken und Samen- antwortung für den Erhalt aus glo- Vielfalt wurde 2009 ergänzend banken bedarf oft einer großen baler Sicht ist der Gefährdungs- im Projekt „Bayern Arche“ in Fläche. grad der Arten (Rote-Liste-Status; Kooperation mit der Universi- • Um Erfahrungen bei der Kulti- Bayernflora 2009) entscheidend. tät Regensburg eine Genbank vierung auszutauschen, ist eine Besonders im Blickpunkt stehen eingerichtet. Diese „Genreser- grenzüberschreitende Zusam- daher gefährdete Arten mit eng ve Bayern“ umfasst vor allem menarbeit und Kommunikation begrenztem Verbreitungsgebiet Samen von Arten für die Bayern erforderlich. und isolierte Vorposten mit eigener eine besondere oder gar welt- genetischer Ausstattung. weite Verantwortung besitzt. • Unterstützung der Schutzbe- Das Galionsartenprojekt Um ein weiteres Aussterben zu mühungen in freier Natur durch verhindern und der internationalen Samen oder Jungpflanzen. Um die gemeinsamen Anstren- Verantwortung gerecht zu werden, • Neubegründungen von Vorkom- gungen zum Schutz der Flora zu wurden für Bayern unter den rund men ermöglichen. verbessern und die Erhaltungs- 2.300 einheimischen Pflanzenar- • Bedrohte Arten in Botanischen kulturen effizienter zu vernetzen, ten 343 vorrangig zu fördernde Gärten präsentieren, um Wild- haben sich die Botanischen Gär- Pflanzenarten identifiziert. Für 222 populationen vor zu starkem ten Bayerns und das Landesamt Arten besteht sogar akuter Hand- Besucherdruck zu schützen. für Umwelt zusammengetan. Mit lungsbedarf (Woschée 2009). dem Ziel, die Öffentlichkeit stär- ker für das Thema „Arten- und Le- Probleme und Herausforde- bensraumschutz“ zu begeistern, Aufgaben und Ziele von rungen für Botanische Gärten übernehmen die bayerischen Bo- Erhaltungskulturen tanischen Gärten seit 2006 im • Hoher personeller und finanziel- Rahmen des „Galionsartenpro- • Stark gefährdete oder in der Na- ler Aufwand bei der Kultivierung jektes“ Patenschaften für beson- tur bereits erloschene Pflanzen- und Pflege der Pflanzen. ders gefährdete oder endemische arten für die Nachwelt erhalten. • Hoher Verwaltungsaufwand, Pflanzen aus ihrer Region. Mit • Erforschung der Biologie und angefangen bei der Einholung Ausstellungen, Aktionstagen und Ökologie gefährdeter Arten. der Genehmigungen für Ent- Informationstafeln zu diesen Ga- • Die Öffentlichkeit für die Belan- nahmen an Wildstandorten über lionsarten werben sie stellvertre- ge der heimischen, bedrohten die exakte Dokumentation der tend für die Schönheit und den Ar-
tenreichtum unserer heimischen noch zehn Individuen Saatgut ab- zung der Populationen dient diese Flora und präsentieren Besuchern genommen und in Kultur genom- Erhaltungskultur auch Forschun- unauffällige Schätze der Natur: men. Nachdem der Lebensraum gen zum besseren Verständnis der So kann man in Regensburg Ex- im Sommer 2008 wieder verbes- Ökologie dieser Art sowie für Un- emplare des Bodensee-Vergiss- sert wurde (entbuscht und der tersuchungen zur Optimierung der meinnichts bewundern, die wäh- Altgrasfilz aufgelockert), konnten Kulturführung. rend einer Untersuchung auf im August 2008 Samen aus Erhal- Noch mehr Highlights der heimi- lebensfähige Samen gekeimt sind. tungskultur ausgebracht werden. schen Flora können Sie in jedem Mit diesen Exemplaren konnte 2009 fanden sich bereits 23 teils der sechs bayerischen Botani- 2007 der zu dem Zeitpunkt letzte blühende Pflänzchen. schen Gärten (Würzburg, Bay- Bestand am bayerischen Boden- reuth, Erlangen, Regensburg, see nach einem zeitweiligen Aus- Den Böhmischen Fransenenzi- Augsburg, München) entdecken sterben wiederhergestellt werden an (Gentianella bohemica) hat der und die vielfältigen Lebensweisen (Zehm et al. 2008). Ökologisch-Botanische Garten der und Anpassungen dieser Galions- Universität Bayreuth seit 2004 er- arten auf speziellen Informations- Eine andere Rarität Bayerns steht folgreich in Erhaltungskultur. Der tafeln kennenlernen. im Würzburger Botanischen Gar- sehr seltene Endemit des Böhmi- ten im Fokus: Der Garten konn- schen Massivs ist eine zweijährige te auf einem der zwei Wuchsorte Art, die in ihrem Lebensraum in Literatur des vom Aussterben bedrohten, einer speziellen Pilzsymbiose lebt kleinwüchsigen Lothringer Leins und deren Kultur dadurch aufwän- Bayernflora (2009): www.bayernflora.de. (Linum leonii) die Population ver- dig und schwierig ist. Neben der Woschée, R. (2009): Prioritätenliste für den doppeln. 2007 wurde von den nur Gewinnung von Samen zur Stüt- botanischen Artenschutz in Bayern. – Un- veröff. Bericht i. A. des Bay. Landesamtes für Umwelt, 12 S. mit Tabellen, Augsburg. Beispiele von Galionsarten, Zehm, A., Brackel, W. v. & Mitlacher, K. die in den Bayerischen Bota- (2008): Hochgradig bedrohte Strandra- senarten - Artenhilfsprogramm am baye- nischen Gärten nachgezüch- rischen Bodenseeufer unter besonderer tet und präsentiert werden: Berücksichtung der Diasporenbank. – Na- turschutz und Landschaftspflege, 40(3): 73–80, Ulmer, Stuttgart. Augsburg • Deutsche Tamariske (Myricaria • Augsburger Steppengreiskraut germanica) (Tephroseris integrifolia subsp. • Kies-Steinbrech (Saxifraga mu- vindelicorum) tata) Impressum Bayreuth • Münchener Aurikel (Primula Herausgeber: • Bleiche Weide ( Salix starkea- auricula var. monacensis) Bayerisches Landesamt für Umwelt Bürgermeister-Ulrich-Straße 160 na) Regensburg 86179 Augsburg • Böhmischer Enzian (Gentianella • Ausdauernder Lein (Linum poststelle@lfu.bayern.de bohemica) perenne) Internet: • Kordigast-Mehlbeere (Sorbus • Bodensee-Vergissmeinnicht www.lfu.bayern.de cordigastensis) (Myosotis rehsteineri) Autor/in: Christina Meindl, Dr. Andreas Zehm • Froschkraut (Luronium natans) • Busch-Nelke (Dianthus seguieri Erlangen subsp. glaber) Bearbeiter/innen: Dr. Andreas Gröger, Karsten Horn, Dr. Marian- • Gößweinsteiner Mehlbeere (Sor- • Frühlings-Küchenschelle (Pulsa- ne Lauerer, Dr. Gerd Vogg, Walter Welß bus pulchra) tilla vernalis) Ansprechpartner: • Österreichischer Beifuß (Artemi- • Herzlöffel (Caldesia parnassifolia) Dr. Andreas Zehm (LfU, Referat 54) sia austriaca) Würzburg Druck: • Pillenfarn (Pilularia globulifera) • Apenninen-Sonnenröschen (Heli- Druckerei Joh. Walch, 86179 Augsburg • Weicher Schildfarn (Polystichum anthemum apenninum) Stand: Mai 2010 braunii) • Graues Sonnenröschen (Helian- Gedruckt auf Papier aus 100% Altpapier. München themum canum) Diese Druckschrift wurde mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Eine Gewähr für die Rich- • Alpen-Korpelkraut (Chondrilla • Lothringer Lein (Linum leonii) tigkeit und Vollständigkeit kann dennoch chondrilloides) • Silberscharte (Jurinea cyanoides) nicht übernommen werden. Sofern in dieser Druckschrift auf Internetangebote Dritter hin- • Bayerisches Löffelkraut (Coch- • Würzburger Mehlbeere (Sorbus gewiesen wird, sind wir für deren Inhalte learia bavarica) herbipolitana) nicht verantwortlich.
Sie können auch lesen