Folgerungen für die zukünftige Ver kehrspolitik nach den Erfahrungen und dem Umgang mit der COVID 19 Pandemie - BMVI

 
WEITER LESEN
Folgerungen für die zukünftige Ver‐
kehrspolitik nach den Erfahrungen
und dem Umgang mit der COVID‐19‐
Pandemie

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister
für Verkehr und digitale Infrastruktur          Nr. 2/Jahr 2020

                                                         Seite 1
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

        Folgerungen für die zukünftige
       Verkehrspolitik nach den Erfah‐
     rungen und dem Umgang mit der
                 COVID‐19‐Pandemie
                                      Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
                        beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

                                                                 September 2020

Seite 2
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                          UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

      Inhaltsverzeichnis

1           Einleitung                                                             4
2           Politische Entscheidungen im Pandemiefall und Auswirkungen
            auf den Verkehr                                          6
3           Nachfrage im Personenverkehr                                          8
4           Angebot im öffentlichen Personenverkehr                               11
5           Güterverkehr und Logistik                                             13
6           Wettbewerbsverhältnisse im Verkehr                                    15
7           Ausblick: Krisen‐Resilienz im Verkehrssektor                          16
Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats                                         19

                                                                           Seite 3
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

          1   Einleitung

Die COVID‐19‐Pandemie mit den ge‐          ist von internationalen Beschränkungen
sundheits‐ und gesellschaftspolitischen    stark betroffen. Zudem schränken die
Reaktionen führt der Gesellschaft ihre     Hygieneregeln die Effizienz der Produk‐
Anfälligkeit, aber auch ihre Reaktions‐    tionsprozesse in Logistikzentren, Ter‐
fähigkeit vor Augen. Die Auswirkungen      minals und an den Rampen von Ver‐
sind überall in der Gesellschaft zu spü‐   sendern und Empfängern ein. Diese
ren, auch im Verkehr. Die verkehrliche     Veränderungen haben entsprechende
Seite der „Corona‐Krise“ hat viele Fa‐     Auswirkungen auf die Verkehrsunter‐
cetten: Die öffentlichen Verkehrsmittel    nehmen. Während kommunale Nah‐
sind stark betroffen, weil sie zeitweise   verkehrsanbieter am ehesten mit öf‐
nicht oder nur sehr eingeschränkt          fentlicher finanzieller Unterstützung
nutzbar waren und weil ihre Nachfrage      rechnen können, sind viele private An‐
stark rückläufig war und in Teilen noch    bieter mit zunehmender Dauer der
ist. Im Nahverkehr brach die Nachfrage     Krise in ihrer Existenz gefährdet.
ein, als Arbeits‐ und Ausbildungsplätze
                                           In dieser Kurzstellungnahme richtet der
geschlossen und Hygieneregeln vorge‐
                                           Wissenschaftliche Beirat beim Bun‐
schrieben wurden. Auf viele Fernreisen
                                           desminister für Verkehr und digitale
wurde wegen Reisewarnungen, Reise‐
                                           Infrastruktur den Blick auf die langfris‐
verboten oder Hygieneregeln im Zu‐
                                           tigen Auswirkungen der Krise auf den
sammenhang mit möglichen Infektio‐
                                           Verkehr und auf die möglichen Konse‐
nen verzichtet. Im Pkw‐Verkehr waren
                                           quenzen für die Verkehrspolitik. Im
die Rückgänge geringer und sind in der
                                           Vordergrund stehen also nicht die
Zwischenzeit fast wieder ausgeglichen.
                                           akuten Auswirkungen und das aktuelle
Im Radverkehr gab es Zuwächse bei
                                           Krisenmanagement. In langfristiger
Freizeitaktivitäten. Im internationalen
                                           Perspektive stellen sich folgende Fra‐
Reiseverkehr kam es zeitweise zu
                                           gen:
Grenzschließungen und kommt es in‐
                                                Wie werden die neuartigen Er‐
zwischen zu Quarantäne‐ oder Test‐
                                                   fahrungen der Bevölkerung, die
pflichten, welche die Nachfrage eben‐
                                                   sie durch die Pandemie und die
falls drücken. Auch der Güterverkehr
                                                   wegen der Pandemie ergriffe‐
mit seiner internationalen Ausrichtung

Seite 4
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                      UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

    nen Maßnahmen machte, ihr                  für zukünftige Krisenfälle auch
    zukünftiges Mobilitätsverhalten            ganz anderer Art gezogen wer‐
    beeinflussen?                              den?
   Wie wirken sich kriseninduzierte
                                        Der Wissenschaftliche Beirat betont die
    Maßnahmen auf den Verkehrs‐
                                        Notwendigkeit, entsprechende wissen‐
    sektor aus und wie können Kos‐
                                        schaftliche Untersuchungen zu initiie‐
    ten und Nutzen abgewogen
                                        ren. Die Forschung sollte in verkehrspo‐
    werden?
                                        litische Empfehlungen oder Optionen
   Wie haben sich die während der
                                        münden, bis hin zur Entwicklung kon‐
    Pandemie ergriffenen Maß‐
                                        kreter Maßnahmen oder Werkzeuge.
    nahmen auf die privaten und
    öffentlichen Verkehrsanbieter       In dieser Kurzstellungnahme können
    des Personen‐ und Güterver‐         die genannten Fragen nicht in Vollstän‐
    kehrs und ihre Strategien aus‐      digkeit adressiert oder gar abgearbeitet
    gewirkt bzw. werden sich wei‐       werden. Vielmehr werden schlaglicht‐
    terhin auswirken?                   artig einige Themenbereiche angespro‐
   Sind verkehrspolitische Ziele im    chen, die aus der Sicht des Wissen‐
    Lichte der langfristigen Auswir‐    schaftlichen Beirats als verkehrspoli‐
    kungen der Pandemie anzupas‐        tisch besonders wichtig erscheinen. Mit
    sen?                                der Formulierung von Forschungs‐ und
   Welche verkehrspolitischen          Entwicklungsfragen werden zugleich
    Maßnahmen sind zu ergreifen,        Hinweise auf einen möglichen konkre‐
    um die „neuen“ verkehrspoliti‐      ten verkehrspolitischen Handlungsbe‐
    schen Zielstellungen zu errei‐      darf gegeben.
    chen?
   Welche Lehren können aus die‐
    ser Krise und deren Krisenpolitik

                                                                         Seite 5
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

          2   Politische Entscheidungen im Pandemiefall
              und Auswirkungen auf den Verkehr

Eine Vielzahl der verabschiedeten           temrelevante“ Verkehre, gleichwohl
politischen Maßnahmen im Verlauf            entsteht auch hier Entscheidungsbe‐
der COVID‐19‐Pandemie wirken sich           darf, z.B. über Privilegien für Beschäf‐
stark auf den Verkehrssektor aus.           tigte im Ver‐ und Entsorgungsbereich.
Über die allermeisten Maßnahmen             Demnach eröffnet sich ein For‐
wurden aber nicht vom BMVI, son‐            schungsfeld „Governance und Kri‐
dern von anderen Ministerien, von           senmanagement“ für künftige Pan‐
Landesregierungen und von Kommu‐            demiefälle ebenso wie für den Fort‐
nen entschieden. Deshalb stellt sich        gang des aktuellen Krisenmanage‐
grundsätzlich die Frage, ob die Aus‐        ments. Dazu gehört zugespitzt auch
wirkungen dieser Maßnahmen auf              die Frage, welche Verkehre in wel‐
den Verkehrssektor vor ihrer Inkrafts‐      chem Krisenstadium mit welchen
etzung hinreichend untersucht und           Maßnahmen noch aufrecht zu erhal‐
mit anderen verkehrspolitischen Ziel‐       ten sind, und zwar im Zusammenspiel
stellungen abgewogen wurden. Es ist         von      privaten     und     öffentlich‐
auch nicht erkennbar, dass eine adä‐        rechtlichen Akteuren bei Transport‐
quate, auf den Verkehrsbereich abge‐        ketten im Personen‐ und im Güterver‐
stellte Abwägung von politischen            kehr sowie unter Berücksichtigung der
Maßnahmen gemessen am jeweiligen            Substitutionsmöglichkeiten zwischen
Stadium der Krise stattgefunden hat.        den Verkehrsträgern.
In der politischen Kommunikation
                                            Zu den politischen Reaktionen auf
wurden insbesondere die Lkw‐Fahrer
                                            europäischer Ebene gehörten auch
als „Helden der Logistik“ dargestellt,
                                            Grenzschließungen, die in den Mona‐
dies im Lichte der Erkenntnis, dass
                                            ten März / April ebenso umfassend
insbesondere der Güterverkehr als
                                            wie international unkoordiniert vor‐
„systemrelevant“ galt. Es stellt sich
                                            genommen wurden. Für zukünftige
daher die Frage, ob in verschiedenen
                                            Pandemien wäre im europäischen
Stadien der Krise gemessen am An‐
                                            Rahmen ein Mechanismus zielführen‐
spruch der Systemrelevanz auch je‐
                                            der, der nach einheitlichen Regeln bei
weils geeignete Schutzmaßnahmen
                                            zwingendem Erfordernis regionale
für den Güterverkehr ergriffen wur‐
                                            Bewegungsbeschränkungen        zulässt
den. Für den Personenverkehr gab es
                                            und zudem zwischen Personenver‐
wenig explizite Diskussion über „sys‐

Seite 6
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                        UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

kehr und Güterverkehr differenziert.      den. Auf die Etablierung eines solchen
Damit könnte räumlich genauer auf         Mechanismus sollte politisch hingear‐
die Infektionssituation reagiert wer‐     beitet werden.

                                                                         Seite 7
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

          3   Nachfrage im Personenverkehr

In der aktuellen Krise hat sich das         politische Interventionen beeinflusst
Mobilitätsverhalten der Bevölkerung         werden. Dazu müssen die Hintergrün‐
geändert. Einige Veränderungen ent‐         de der Änderungen möglichst gut ver‐
sprechen den verkehrspolitischen            standen werden. Insbesondere muss
Zielen der Umweltverträglichkeit und        analysiert werden, wie aktuell gelten‐
der Verkehrsentlastung der Städte           de und weitere vorstellbare krisenbe‐
(z.B. verstärkte Nutzung des Fahr‐          zogene Maßnahmen mittel‐ und lang‐
rads), andere laufen diesen Zielen          fristig auf die Personenverkehrsnach‐
zuwider (z.B. verstärkte Nutzung des        frage wirken, und zwar differenziert
Pkw anstelle öffentlicher Verkehrsmit‐      nach den Verkehrsträgern.
tel).
                                            Die detaillierte Erfassung und Analyse
Die beobachtbaren kurzfristigen Ver‐        des Mobilitätsverhaltens während
änderungen des Mobilitätsverhaltens         der COVID‐19‐Pandemie ermöglicht
sind primär auf den Wegfall von We‐         eine sozial differenzierte Quantifizie‐
gen          (Ausgangsbeschränkungen,       rung der Auswirkungen von konkreten
Schließung von Betrieben und Einrich‐       verkehrsrelevanten Maßnahmen und
tungen, mobile Arbeit und auch Rei‐         damit eine Abwägung von Kosten und
sewarnungen), die Angst vor Anste‐          Nutzen. Zu den Auswirkungen gehö‐
ckung sowie den zeitweisen Wegfall          ren auch Veränderungen im Unfallge‐
von Mobilitätsangeboten zurückzu‐           schehen und bei Emissionen sowie im
führen. Stellenweise wurden kurzfris‐       weiteren Sinn Gesundheitswirkungen
tig infrastrukturelle Maßnahmen als         durch veränderte körperliche Bewe‐
Reaktion auf oder zur Unterstützung         gung.
von Verhaltensänderungen umge‐
                                            Die quantitativen Änderungen werden
setzt, z.B. die Ausweisung zusätzlicher
                                            beim motorisierten Verkehr in der
Radfahrstreifen.
                                            Regel flächendeckend gut erfasst so‐
Durch eine Verstetigung der kurzfris‐       wohl durch Dauerzählstellen der Inf‐
tigen Verhaltensanpassungen können          rastrukturbetreiber als auch durch
sich langfristige Veränderungen des         Floating‐Car‐Daten      kommerzieller
Mobilitätsverhaltens ergeben. Welche        Anbieter wie Inrix oder TomTom.
Änderungen in welchem Umfang ver‐           Schlechter abgedeckt ist die Erfassung
stetigt werden, kann durch verkehrs‐        der personenbezogenen Mobilität, die

Seite 8
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                         UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

aber wesentlich mehr Hintergrundin‐         office im erweiterten Sinne“) und
formationen liefert. Die dafür erfor‐       Videokonferenzen bisher unbekannte
derlichen Erhebungen, meistens GPS‐         Ausmaße. Da neben der Gewöhnung
Tracking oder Befragungen, sind viel        an die digitalen Werkzeuge auch die
aufwändiger als reine Verkehrszäh‐          technischen Voraussetzungen dafür
lungen. Aktuell laufen bereits mehre‐       verbessert wurden und die Nachfrage
re nationale und internationale Pro‐        nach digitalen Endgeräten sprunghaft
jekte, die zum Teil speziell in der Krise   anstieg, ist zu erwarten, dass diese
initiiert wurden und zum Teil bereits       Möglichkeiten in Zukunft nach Aufhe‐
vor dem Ausbruch begonnen wurden.           bung der Bewegungseinschränkungen
Die langfristigen, aggregierten Ände‐       öfter genutzt werden als bisher. Im
rungen des Mobilitätsverhaltens wer‐        Sinn der Krisenvorsorge und der lang‐
den durch die vom BMVI regelmäßig           fristigen Verkehrsvermeidung ist ein
beauftragten nationalen Mobilitätser‐       weiteres Bereithalten dieser Möglich‐
hebungen (MiD, SrV, MOP) gemessen.          keiten und ein weiterer Ausbau der
Diese Erhebungen sollten erweitert          technischen Voraussetzungen not‐
und gegebenenfalls ergänzt werden,          wendig.
um die Entwicklung des Mobilitäts‐
                                            Mobile Arbeit und Videokonferenzen
verhaltens möglichst genau zu verfol‐
                                            können auf mindestens zwei Aspekte
gen und zu verstehen. Hilfreich sind
                                            der Verkehrsnachfrage relevant ein‐
neben Befragungen auch Bewegungs‐
                                            wirken: Im Bereich des Fernverkehrs
profile aus Mobilfunkdaten und aus
                                            lassen sich durch Videokonferenzen
Navigationsanwendungen ebenso wie
                                            lange Anreisen vermeiden. Der Fern‐
Daten zur Verfügbarkeit und Nutzung
                                            verkehr macht einen erheblichen und
des ÖPNV (bei deren Verwendung
                                            wachsenden Anteil des Personenver‐
natürlich die Regeln des Datenschut‐
                                            kehrs aus, zudem wird ein großer Teil
zes zu beachten sind). Um das erho‐
                                            der Fernverkehrsleistung von einem
bene Verkehrsverhalten richtig inter‐
                                            kleinen Teil der Bevölkerung erbracht.
pretieren zu können, müssen parallel
                                            Der Ersatz eines Teils der überregio‐
die rechtlichen Randbedingungen
                                            nalen dienstlichen Zusammenkünfte
festgehalten werden, d.h. die in den
                                            durch Videokonferenzen mit hoch‐
Bundesländern gültigen Beschränkun‐
                                            qualitativer Technik führt zu einer
gen während der Pandemie.
                                            Einsparung an Personenkilometern
In der Verkehrsplanung wird schon           ohne wesentliche Einschränkungen
seit Jahrzehnten diskutiert, in wel‐        des Aktivitätenspektrums der Beteilig‐
chem Umfang physische Ortsverände‐          ten.
rungen durch Telekommunikation              Im Bereich des täglichen Pendlerver‐
ersetzt werden können. Während der          kehrs kann mobile Arbeit die Ver‐
COVID‐19‐Pandemie erreichte die             kehrssysteme entlasten. Zunächst
Nutzung von mobiler Arbeit („Home‐          lässt sich die Verkehrsmenge insge‐

                                                                           Seite 9
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

samt reduzieren, aber den größeren          Ein bereits erkanntes Hemmnis ist die
Effekt wird die Flexibilisierung der        mangelnde Datensicherheit der meis‐
Präsenzzeiten am Arbeitsplatz haben,        ten verfügbaren Werkzeuge für Vide‐
weil dadurch die morgendlichen und          okonferenzen und eine Rechtslage,
abendlichen Verkehrsspitzen abge‐           die für bestimmte Vorgänge immer
flacht werden, während denen in der         noch Präsenz fordert. Hier müssen
Regel sowohl die Straßen als auch die       Plattformen und Cloud‐Dienste so
öffentlichen Verkehrsmittel überlastet      gestaltet werden, dass sie den Anfor‐
sind. Langfristig könnte allerdings die     derungen an Daten‐ und Rechtssi‐
dauerhafte Zunahme der Möglichkei‐          cherheit gerecht werden. Sodann wä‐
ten für mobile Arbeit zu einer verän‐       re anzustreben, dass Telepräsenz
derten Wohnort‐ oder Arbeitsplatz‐          rechtlich der physischen Präsenz
wahl führen, bei der größere Entfer‐        gleichgestellt werden kann. Auch digi‐
nungen akzeptiert werden, wodurch           tale Bürgerdienste der Verwaltung,
zumindest die Gewinne bei der Per‐          die ohne physische Anwesenheit der
sonenverkehrsleistung wieder verlo‐         Bürger auskommen, sollten ausgewei‐
rengehen könnten.                           tet werden.
Ausgehend von den Erfahrungen der
                                            Die Verwaltungen in Kommunen, Mi‐
letzten Monate sind die quantitativen
                                            nisterien. Landes‐ und Bundesämter
Potentiale von mobiler Arbeit und
                                            bei den Kommunikationsmöglichkei‐
Videokonferenzen zur Vermeidung
                                            ten sind schlechter auf die neuen An‐
von Wegen und zur Abflachung von
                                            forderungen vorbereitet als private
Verkehrsspitzen zu untersuchen und
                                            Unternehmen, Hochschulen und pri‐
Hemmnisse der Nutzung zu identifi‐
                                            vate Haushalte. Die Ursachen hierfür
zieren. Dabei müssen auch die lang‐
                                            liegen sowohl in der technischen Aus‐
fristigen Auswirkungen auf Wohnort‐
                                            stattung     (fehlende     Mikrofone,
und Arbeitsplatzwahl und auf die Ver‐
                                            Webcams, VPN‐Anschlüsse) als auch
kehrsnachfrage betrachtet werden.
                                            in einschränkenden oder fehlenden
Für politische Entscheidungen sind
                                            Regeln (z.B. Bedenken des Personal‐
auch die sozialen und psychologischen
                                            rats).
Effekte der mobilen Arbeit und die
Auswirkungen auf die Produktivität zu
berücksichtigen.

Seite 10
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                         UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

         4     Angebot im öffentlichen Personenverkehr

                                           schutzes in den allgemeinen Zielka‐
Die Angebote des öffentlichen Ver‐
                                           non integriert werden kann. Sicherlich
kehrs (ÖV) sind weitgehend davon
                                           wäre dieses Ziel nicht konfliktfrei zu
gekennzeichnet, dass in großen Fahr‐
                                           den zuvor genannten umweltorien‐
zeugen jeweils viele Personen zu‐
                                           tierten Zielen, insbesondere unter
sammen befördert werden und im
                                           Berücksichtigung der finanziellen Im‐
Zugangsbereich regelmäßig hohe Per‐
                                           plikationen.
sonenkonzentrationen auftreten. Das
läuft     Infektionsschutzmaßnahmen        Es folgen einige Impulse, wie das Ziel
zuwider, die Abstandsgebote vorse‐         des Infektionsschutzes im ÖV künftig
hen. In der ersten Phase der Pande‐        intensiver verfolgt werden kann. Die
mie war die Nachfrage im ÖV stark          Infektionsmechanismen in Systemen
zurückgegangen, weil andere Ver‐           des öffentlichen Verkehrs sind noch
kehrsmittel gewählt oder Wege ganz         nicht ausreichend bekannt. Voraus‐
vermieden wurden. Bei wieder stei‐         setzung für eine angemessen zu defi‐
gender Nachfrage müssen vorüberge‐         nierende „infektionssichere“ Gestal‐
hend Maßnahmen zur Sicherstellung          tung des öffentlichen Verkehrs (die
des Infektionsschutzes im ÖV ergriffen     natürlich nie perfekt sein kann) ist die
werden.                                    Erforschung der Infektionswege in
                                           Fahrzeugen und Anlagen des ÖV.
Dabei geht es auch um die Stabilisie‐
                                           Dabei ist auch der Einfluss der in Fahr‐
rung des allgemeinen Vertrauens in
                                           zeugen, Bahnhöfen oder Warteräu‐
den ÖV, da davon auszugehen ist,
                                           men eingesetzten Klimatechnik zu
dass der ÖV in der Bevölkerung zu‐
                                           untersuchen. Eine Herausforderung
künftig als vergleichsweise unsicher
                                           besteht dabei darin, die Infektionswe‐
bewertet wird, auch hinsichtlich ande‐
                                           ge auch für ganz andere Erreger als
rer Infektionen wie der Grippe. Dies
                                           bei COVID‐19 zu erforschen.
könnte den Zielen der Umweltverträg‐
lichkeit und der Entlastung der Städte     Im Anschluss stellt sich die Frage, wie
zuwiderlaufen, da die bisher gewollte      ein möglichst „infektionssicherer Be‐
Verlagerung des MIV auf den ÖV be‐         trieb“ des ÖV aussehen kann. Wie in
hindert wird, insbesondere bei sol‐        vielen anderen Bereichen der Technik
chen Personengruppen, die den ÖV           mit Gefahrenpotenzial sollte auch für
bisher noch nicht sehr intensiv nut‐       eine generelle Infektionsgefahr in öf‐
zen. Es stellt sich somit die Frage, in‐   fentlichen Verkehrsmitteln eine Stan‐
wieweit das Ziel des Infektions‐           dardisierung von Gegenmaßnahmen

                                                                          Seite 11
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

‐ unter Berücksichtigung der Kosten ‐       sprechende Vorbeugemaßnahmen zu
angestoßen werden. Daraus können            entwickeln. Erfahrungen mit ver‐
neue Klimatisierungssysteme oder            gleichbaren Herausforderungen (zum
Luftfilter, besondere Materialien für       Beispiel Unfallforschung mit Crash‐
Sitze und Halterungen, Sitzabstände,        test‐Dummies, die über Jahrzehnte
Reinigungskonzepte, Verhaltensregeln        entwickelt werden) zeigen, dass man
und ihr Enforcement abgeleitet wer‐         sich auf einen langen und kostenin‐
den. Um die Wirksamkeit der Maß‐            tensiven Weg einstellen muss.
nahmen zu belegen und eine lösungs‐
                                            Parallel dazu sollte die Entwicklung
neutrale industrielle Entwicklung zu
                                            von Systemen zur Information der
forcieren, werden auch neue Testkon‐
                                            Fahrgäste über den aktuellen und
zepte zu entwickeln sein, die eine
                                            erwarteten Füllgrad der Fahrzeuge
Nachprüfbarkeit der Einhaltung von
                                            im öffentlichen Nahverkehr gefördert
Grenzwerten gewährleisten. Die soll‐
                                            werden. Auch wenn keine Pandemie
ten die gängigen Übertragungsme‐
                                            vorherrscht, ist es von Vorteil, wenn
chanismen im öffentlichen Raum, die
                                            die Fahrgäste überfüllte Fahrzeuge
Tröpfchen‐, die Aerosol‐ und die
                                            vermeiden können.
Schmierinfektion, abdecken, um ent‐

Seite 12
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                         UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

        5     Güterverkehr und Logistik

Zunächst verursachte der Lockdown in       gen Prozessketten aller Verkehrsträ‐
China einen Abriss der Lieferketten        ger, d.h. neben dem Straßen‐ und
aus Fernost nach Europa. Mit jedem         Schienengüterverkehr auch der Luft‐
weiteren Land, das die Grenzen             frachtverkehr, die Binnenschifffahrt,
schloss und einen Lockdown verord‐         Kurzstreckenseeverkehre sowie die
nete, hat sich dieses Phänomen ver‐        damit verbundenen Umschlags‐ und
breitet und verschärft. Zu krisenbe‐       Lagereinrichtungen. Institutionell be‐
dingten Veränderungen im Güterver‐         trifft dies Logistikdienstleister (Spedi‐
kehr und in der Logistik zählen dem‐       tionen und Transportunternehmen),
nach auch die zeitweise Schließung         Logistikeinrichtungen von Industrie‐
von Grenzen, das temporäre Ausfallen       und Handelsunternehmen, digitale
einzelner Verkehrsträger wie etwa des      Plattformen (Frachtenbörsen und di‐
Luftverkehrs und damit auch das            gitale Speditionen) sowie die Betrei‐
Wegfallen der sogenannten Belly‐           ber von Infrastruktureinrichtungen
Kapazitäten. Mit dem Lockdown in           (z.B. Terminals, Güterverkehrszen‐
Deutschland setzten zugleich Hams‐         tren). Bereits die temporäre Schlie‐
terkäufe im Pharma‐ und Hygienepro‐        ßung eines zentralen Hubs einer
dukte‐Bereich sowie generell im Onli‐      Stückgutkooperation kann mehrere
ne‐Handel ein, so dass mit dem             hundert Logistikdienstleister lahmle‐
sprunghaften Anstieg der Nachfrage         gen. Dies betrifft dann wellenförmig
sich die Probleme der Versorgung von       nahezu alle Branchen, in denen Stück‐
Industrie, Handel und Konsumenten          gut zu transportieren ist.
verschärften. Der Abbruch der Liefer‐
                                           Diesem Gedankengang folgend stellt
ketten hatte indessen vielfältige Ursa‐
                                           sich die Frage, was überhaupt zu kriti‐
chen, beispielsweise auch Schließun‐
                                           schen Gütern zu zählen ist. Auf dieser
gen von Produktionswerken im In‐
                                           Basis können neue, spezifische Lo‐
und Ausland. Mithin wurde das Phä‐
                                           gistikkonzepte für sogenannte „kriti‐
nomen in der Logistik sichtbar, war
                                           sche“ Güter entworfen werden, ggf.
aber kein reines Logistikproblem. Gü‐
                                           verbunden mit staatlichen Vorsorge‐
terverkehr und Logistik sind demnach
                                           maßnahmen für den Krisenfall („Zen‐
zugleich von einem Angebotsschock
                                           tren der Krisenfall‐Logistik“). Danach
und einem Nachfrageschock betrof‐
                                           steht im Raum, internationale Güter‐
fen.
                                           verkehrs‐ und Logistiksysteme hin‐
Typisch für Güterverkehr und Logistik
                                           sichtlich ihrer Anfälligkeit gegenüber
ist die Exponiertheit von feingliedri‐
                                           externen Störungen und einem be‐

                                                                           Seite 13
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

stimmten Niveau an Versorgungssi‐           und Logistikbranche ist mit einer
cherheit neu zu bewerten.                   demnächst einsetzenden, massiven
                                            Insolvenzwelle zu rechnen, die nicht
Ein weiteres, langfristig schwerwie‐
                                            nur viele Arbeitslose zur Folge hat,
gendes Problem zeichnet sich indes‐
                                            sondern dem Markt auf Dauer Lo‐
sen mit fortlaufender Aufrechterhal‐
                                            gistikkapazitäten entzieht. Hier stellt
tung der Pandemie‐Maßnahmen ab:
                                            sich angesichts der oben angespro‐
die anhaltenden und massiven Nach‐
                                            chenen Systemrelevanz die verkehrs‐
frageeinbrüche in vielen Branchen.
                                            politische Frage, ob man diese Ent‐
Güterverkehr und Logistik bedienen
                                            wicklung ohne staatliche Abfede‐
eine derivative Nachfrage und halten
                                            rungsmaßnahmen zulassen möchte.
für ein geplantes Nachfrageniveau
                                            Ansonsten könnte sich ungeachtet
Kapazitäten vor. Diese Kapazitäten
                                            möglicher Knappheitsphänomene in
sind nun seit Monaten massiv unter‐
                                            der Folge in Spezialbereichen des
ausgelastet, teilweise um 40‐50% und
                                            Marktes die Wettbewerbsintensität
mehr. In Verbindung mit den generell
                                            deutlich verringern.
niedrigen Margen der Güterverkehrs‐

Seite 14
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                         UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

        6     Wettbewerbsverhältnisse im Verkehr

Die COVID‐19‐Pandemie und die in           die langfristigen Auswirkungen deut‐
der Folge erlassenen Einschränkungen       lich werden.
des gesellschaftlichen Lebens haben
                                           In einem oder mehreren Forschungs‐
tiefgreifende wirtschaftliche Auswir‐
                                           vorhaben müsste ein Gesamtbild über
kungen, die wiederum einschneiden‐
                                           die wirtschaftlichen und wettbewerb‐
de wirtschaftspolitische Maßnahmen
                                           lichen Auswirkungen der Krise und
nach sich ziehen. Nicht alle Branchen
                                           der wirtschaftspolitischen Maßnah‐
und Unternehmen sind in gleicher
                                           men auf die Verkehrsbranche erstellt
Weise betroffen; insbesondere unter‐
                                           werden. Welche Konkurse, Fusionen
nehmensspezifische Rettungsmaß‐
                                           und Verschiebungen von Marktantei‐
nahmen sind nicht wettbewerbsneut‐
                                           len haben stattgefunden? Sind neue
ral.
                                           Marktteilnehmer aufgetreten? Haben
Der Wissenschaftliche Beirat ist be‐       sich Plattformen (Apps) verstärkt
sorgt, dass wichtige Anbieter von Ver‐     durchgesetzt? Welche Auswirkungen
kehrsdienstleistungen vom Markt ver‐       hatten die zeitweisen Grenzschlie‐
schwinden und in der Folge ganze           ßungen?
Verkehrsmodi wegfallen könnten oder
                                           Zu betrachten sind vor allem die
dass in einigen Segmenten die Markt‐
                                           Marktsegmente, in denen Wettbe‐
konzentration wesentlich zunehmen
                                           werb vorhanden, aber tendenziell
könnte. Daher ist es wichtig, die wirt‐
                                           gefährdet ist oder sein könnte, näm‐
schaftlichen Auswirkungen der Krise
                                           lich der Luftverkehr, der Schienengü‐
auf Unternehmen und Wettbewerbs‐
                                           terverkehr, der öffentliche Personen‐
verhältnisse im Verkehrssektor zu
                                           nahverkehr sowie der Personenfern‐
beobachten. Gegebenenfalls sind Vor‐
                                           verkehr in intermodaler Perspektive
schläge für politische Maßnahmen zu
                                           (Bahn, Fernbusse, Flugzeuge, Mitfahr‐
erarbeiten, die geeignet sind, Unter‐
                                           gelegenheiten). Daneben wären auch
nehmen das Überleben zu sichern und
                                           solche Marktsegmente zu beobach‐
Marktkonzentrationen vorzubeugen
                                           ten, in denen viele familiäre Kleinst‐
oder sie später wieder abzubauen.
                                           unternehmen tätig sind (Lkw, Binnen‐
Diese Forschung könnte mit einer
                                           schiffe, Taxis), die gegebenenfalls be‐
Datensammlung und Ereignisverfol‐
                                           sonders in ihrer Existenz bedroht sind.
gung bald beginnen, sollte aber
schwerpunktartig in den kommenden
Jahren durchgeführt werden, wenn

                                                                         Seite 15
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

           7   Ausblick: Krisen‐Resilienz im Verkehrssektor

Die aktuelle Krise stellt den Verkehrs‐         gen Kapazitätserhöhung erschlos‐
sektor vor vielfältige Herausforderun‐          sen werden können.
gen. Langfristig gehört deshalb die            Bei Unterforderung der Kapazität
Auseinandersetzung mit Resilienz im             ist die wirtschaftliche Resilienz zu
Personen‐ und Güterverkehr zu den               betrachten. Letztendlich geht es
zentralen Forschungsbereichen.                  dann um die Frage: Wie können
                                                die Verkehrsunternehmen und
Im Bereich des Personenverkehrs
                                                Kommunen auch bei geringen
steht die Frage im Zentrum, was der
                                                Fahrgastzahlen über einen länge‐
ÖV in welchen Krisensituationen leis‐
                                                ren Zeitraum das gewünschte An‐
ten soll und wie dies erreicht werden
                                                gebot aufrechterhalten? Die Ant‐
kann.
                                                wort kann auch die Beförderungs‐
 Krisen‐Vorsorge‐Pläne: Welches
                                                tarifgestaltung für den Normalfall
    Personenverkehrsangebot wird
                                                beeinflussen.
    für welchen vorhersehbaren Kri‐
                                               Im Krisenfall können Schutzmaß‐
    senfall angestrebt und wie lässt
                                                nahmen sowohl für Fahrpersonal
    sich dieses Angebot unter den an‐
                                                und anderes Betriebs‐ und Ser‐
    genommenen Bedingungen orga‐
                                                vicepersonal als auch für die Be‐
    nisieren? Je nach Krisenfall kann
                                                förderten erforderlich werden, die
    eine Über‐ oder Unterforderung
                                                ihrerseits zu unpopulären Ein‐
    der Kapazität des ÖV‐Systems die
                                                schränkungen oder Auflagen füh‐
    Konsequenz sein.
                                                ren können. Diese Maßnahmen
 Bei der Sicherstellung der Beför‐
                                                sollten möglichst schon vor einem
    derung im Falle von Engpässen an
                                                Krisenfall definiert sowie deren
    personellen und materiellen Res‐
                                                praktische Um‐ und Durchsetzbar‐
    sourcen müssen Konzepte erarbei‐
                                                keit gesichert werden. Über eine
    tet werden, wie die Kapazität
                                                den Definitionsprozess begleiten‐
    schnell an das benötigte Angebot
                                                de Forschung in den Bereichen der
    angepasst werden kann. Dazu soll‐
                                                Medizin und der Verkehrsorgani‐
    te erforscht werden, wie durch
                                                sation, aber auch der Psychologie
    Kopplung des ÖV an andere Berei‐
                                                und Soziologie sollte der Vorsor‐
    che, beispielsweise den privaten
                                                geplan für Schutzmaßnahmen an
    Reisebus‐Sektor, im Krisenfall zu‐
                                                den Stand der Wissenschaft ange‐
    sätzliche Potenziale zur kurzzeiti‐
                                                passt werden.

Seite 16
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                        UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

Für den Güterverkehr empfehlen sich            ter Berücksichtigung regionaler
dabei folgende Forschungsfelder:               Wettbewerber, und Kommunika‐
 Güterflussbezogene Sichtweise:               tionsarrangements von privatwirt‐
   Benötigt es neue, das Ausfallrisiko         schaftlichen Güterverkehrs‐ und
   berücksichtigende Lager‐ sowie              Logistikunternehmen in Krisensi‐
   Bereitstellungs‐ und Bevorra‐               tuationen        zu     identifizieren.
   tungskonzepte (Umfang, Zeit‐                Arrondierend sollte sich die For‐
   raum, Ort) für definierte Produkt‐          schung mit neuen betriebswirt‐
   gruppen? Wie können Logistikkno‐            schaftlichen Finanzinstrumenten
   ten und Güterverkehrszentren als            des Supply Chain Finance beschäf‐
   krisenrelevante Hubs in Güterver‐           tigen, mit denen die Vorbeugung,
   kehrssystemen identifiziert und             die Abfederung und das Manage‐
   dimensioniert werden? Wie lassen            ment      von       Krisensituationen
   sich „kritische Infrastrukturen“,           sichergestellt werden kann.
   bei deren Ausfall oder Beeinträch‐         Entscheidungspolitische Sichtwei‐
   tigung nachhaltig wirkende Ver‐             se: Es stellt sich die grundsätzliche
   sorgungsengpässe, erhebliche Stö‐           Frage, wie in Störfallsituationen
   rungen der öffentlichen Sicherheit          die Struktur und Steuerung von
   oder andere schwerwiegende Fol‐             politischen Entscheidungspfaden
   gen eintreten würden, noch bes‐             und die Entscheidungshoheit im
   ser schützen?                               Spannungsfeld zwischen bundes‐
 Organisatorische Sichtweise: Aus             staatlicher und föderaler Regulie‐
   organisatorischer Sicht spielt die          rung sowie unternehmerischer
   betriebswirtschaftliche Forschung           Handlungsfreiheit zu gestalten
   zur „Coopetition“, also der zeit‐           sind. Hierbei geht es auch um den
   weisen und partiellen Kooperation           Konflikt zwischen ordnungspoliti‐
   zwischen Wettbewerbern, eine                schen staatlichen Entscheidungen
   wesentliche Rolle. Ziel ist eine            im Sinne der Daseinsvorsorgever‐
   verbesserte, engpass‐ und be‐               pflichtung und marktwirtschaftli‐
   darfsorientierte Steuerung von              chen unternehmerischen Ver‐
   Güterverkehrs‐ und Logistiksyste‐           handlungslösungen. Die Forschung
   men durch eine bewusste und in‐             sollte sich mit dem Potential und
   tendierte Zusammenarbeit der Ak‐            der Ausgestaltung von obligatori‐
   teure im Krisenfall. Die Forschung          schen Krisenmanagementsyste‐
   hat sich demnach mit geeigneten             men in Güterverkehrs‐ und Lo‐
   Kooperations‐ und Koordinations‐            gistiksystemen als Vorsorgein‐
   formen in Güterverkehrs‐ und Lo‐            strumente einerseits hinsichtlich
   gistiksystemen zu befassen. Dabei           der Mitarbeitersicherheit, ande‐
   sind u.a. geeignete Governance‐             rerseits hinsichtlich der Aufrecht‐
   Strukturen und Steuerungspro‐               erhaltung der Versorgungssicher‐
   zesse für Kooperationen, auch un‐           heit befassen.

                                                                            Seite 17
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

   Digitalisierungsorientierte Sicht‐          basierte Mustererkennung zur
    weise: Als Voraussetzung für einen          Vermeidung      von     Bullwhip‐
    leistungsfähigen Güterverkehr und           Effekten in Versorgungsketten
    eine agile Logistik sind belastbare         mittels Demand Chain Manage‐
    und eindeutige Kommunikations‐              ment und Data Analytics. Dies soll‐
    und Entscheidungsprozesse we‐               te in digital‐orientierte For‐
    sentlich. Hierfür empfiehlt sich            schungsprojekte zur Initiierung,
    Forschung zu digitalen Plattform‐           Begleitung und Unterstützung ei‐
    Organisationen für einebedarfs‐             nes „Digitalen Testfeldes Krisen‐
    orientierte Güterverteilung, eine           management in Güterverkehr
    Automatisierung der Datenbereit‐            und Logistik“ münden.
    stellung durch Sensoren zur digita‐
    len Kommunikation sowie eine KI‐

Seite 18
FOLGERUNGEN FÜR DIE ZUKÜNFTIGE VERKEHRSPOLITIK NACH DEN ERFAHRUNGEN UND DEM
                        UMGANG MIT DER COVID‐19‐PANDEMIE

         Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

    Prof. Dr.‐Ing. Hartmut Fricke                        Dresden

    Prof. Dr.‐Ing. Markus Friedrich                      Stuttgart

    Prof. Dr.‐Ing. Regine Gerike                         Dresden

    Prof. Dr. Astrid Gühnemann                           Wien

    Prof. Dr. Hans‐Dietrich Haasis                       Bremen

    Prof. Dr. Natalia Kliewer                            Berlin

    Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr                     Speyer

    Prof. Dr.‐Ing. Ullrich Martin                        Stuttgart

    Prof. Dr. Kay Mitusch (Vorsitzender)                 Karlsruhe

    Prof. Dr. Stefan Oeter                               Hamburg

    Prof. Dr. Tibor Petzoldt                             Dresden

    Prof. Dr. Gernot Sieg                                Münster

    Prof. Dr. Wolfgang Stölzle                           St. Gallen

    Prof. Dr.‐Ing. Peter Vortisch                        Karlsruhe

    Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner                   Darmstadt

                                                                        Seite 19
GUTACHTEN DES WISSENSCHAFTLICHEN BEIRATS BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR UND
DIGITALE INFRASTRUKTUR

Impressum
Herausgeber
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
Invalidenstr. 44, 10115 Berlin

Stand
September 2020

Redaktion
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium Verkehr und digitale Infrastruktur

Weitere Informationen im Internet unter
www.bmvi.de

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist
nicht zum Verkauf bestimmt.

Seite 20
Sie können auch lesen