Folium - Institut für Hausarztmedizin
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Folium Kundenzeitschrift Zur Rose Suisse AG I Ausgabe 2 I 2011 Die Zukunft ist chronisch Briefwechsel Interview Steckbrief Hans-Ulrich Iselin und Fabian Kiyoshi Sugimoto über seine Die Rosengartenpraxis in Vaucher tauschen sich zum Einsätze als MSF-Arzt in ver- Wetzikon, sie ist komplett in Thema SD im Aargau aus. schiedenen Krisenregionen. Frauenhand, stellt sich vor.
Folium 2 I 2011 2020 werden zwei Drittel der über 65-Jährigen an mindes- tens einer chronischen Krankheit leiden. Um sie bedürfnisge- recht betreuen zu können, sind einschneidende Reformen nötig – und ein neues Selbstverständnis der (Haus-)Ärzte. Chroniker-Betreuung: Im Team zu besseren Ergebnissen Herbert, 60, ist Diabetiker und überge- wichtig, hat eine Hypertonie, raucht mindestens 20 Zigaretten und zeigt deut- liche Symptome einer COPD – Herbert ist multimorbid und Chroniker. Und verkör- pert damit die zentralen Herausforderun- gen für die medizinische Versorgung der Zukunft in industrialisierten Gesell- schaften: Nach Schätzungen der WHO werden 2020 mindestens 60 Prozent aller Erkrankungen chronischer Natur sein. Eine Auswertung von ICPC2-Codierun- gen aus dem FIRE-Projekt des Instituts für Hausarztmedizin und Versorgungs- forschung der Universität Zürich zeigt: Die Prävalenz der Multimorbidität bei hausärztlichen Patienten liegt bei Bemerkenswert 16% (von rund 520’000 Konsultatio- 16% nen) deutlich höher als die Prävalenz der häufigsten Einzeldiagnose (Hypertonie mit 12 Prozent). Wichtige Gründe für die fortschreitende Chronifizierung sind die zunehmende Alterung der Prof. Dr. med. Thomas Rosemann, Gesellschaft sowie gesundheitsgefähr- Direktor Institut für Hausarztmedizin, dendes Verhalten im Alltag. Universität Zürich Das heutige, auf die akutmedizinische „Die Zahl zeigt deutlich, dass Multimor- der hohen Nachfrage, andererseits weil Behandlung ausgerichtete Versorgungs- bidität zur entscheidenden Herausforde- sich die hausärztliche Sprechstunde in und Tarifsystem wird den Bedürfnissen rung in der hausärztlichen Praxis wird. den letzten 50 Jahren kaum verändert von chronisch kranken Patienten immer In der Altersgruppe der 70- bis 85- jäh- hat: Viele Abläufe wurden nie auf ihre weniger gerecht. Trotz offenkundiger rigen haben bereits ein Viertel der Pa- Effizienz hin durchleuchtet, ebenso we- Fortschritte in der Therapie vieler Krank- tienten fünf oder mehr Diagnosen. Das nig die Arbeitsteilung in der Praxis und heiten zeigen wissenschaftliche Unter- heutige Versorgungs- und Tarifsystem die Praxisstruktur. suchungen, dass chronisch Kranke hinkt dieser Entwicklung hinterher. - Es bestehen kaum Tarife für delegierte häufig nicht die Versorgung erhalten, Wir brauchen eine Kombination ver- die sie benötigen. Leistungen in der Praxis; folglich wird schiedener Organisationsmodelle und zu wenig delegiert. Kommt hinzu: Vor neuer Dienstleistungs- und Vergütungs- Die Gründe dafür sind vielfältig allem ältere Ärzte sind als Einzelkämpfer systeme. Nur so können wir das System - Namentlich die Hausärzte sind sozialisiert; sie sind es nicht gewohnt, vor dem drohenden Kollaps bewahren.“ dauernd in Zeitnot, einerseits wegen Verantwortung abzugeben. 4
Folium 2 I 2011 Unbestritten ist, dass die Betreuung von - Neuer Risikostrukturausgleich: Noch chronisch Kranken zu den Domänen der immer sind chronisch Kranke für die Hausarztmedizin gehört; je nach Praxis Versicherer ein schlechtes Geschäft. machen sie 60 bis 80 Prozent der Konsul- Dies ist so rasch wie möglich zu ändern tationen aus. Doch die Kapazität wird (die Berücksichtigung der Spitaltage im immer knapper: Das Schweizerische Ge- Vorjahr genügt längst nicht). sundheitsobservatorium geht davon aus, - Neue Wirtschaftlichkeitsverfahren für dass sich die Lücke zwischen nachge- Ärzte: Wer einen hohen Anteil an chro- fragten und angebotenen Konsultationen nisch Kranken hat, darf unter keinen beim Hausarzt von 2010 bis 2030 um Umständen dem Verdacht ausgesetzt eine halbe Million pro Jahr vergrössert. sein, er praktiziere zu teuer. Deshalb ist es dringend nötig, die haus- ärztlichen Leistungen auf mehr Fachper- - Neue eHealth-Instrumente: Diese sonen zu verteilen und den Teamansatz müssen mit möglichst vielen Praxis- zu pflegen, zumal die Betreuung von und Klinikinformationssystemen chronisch kranken Patienten zeitintensiv kommunizieren können, um die lücken- ist: Beratung, Schulung, Coaching, Kont- lose Dokumentation der Patienten zu rollen, Monitoring – und viel Zuhören. gewährleisten. Fazit: Multimorbidität und chronische Lösungsansätze gibt es mehrere Krankheiten bieten Hausärzten die - Einbezug von nichtärztlichem Per- einmalige Chance, ihre Zukunftsfähigkeit sonal, allen voran der MPA: Speziell zu sichern und sich als «Facharzt für qualifizierte Praxisassistentinnen kön- komplexe Betreuungssituationen» zu nen einen substanziellen Teil der Be- positionieren – eine Rolle, die ihnen nie- treuungsaufgaben in der Hausarztpraxis mand glaubwürdig streitig machen kann. wahrnehmen. Sie kennen die Patienten, sprechen ihre Sprache und haben häu- Möchten Sie Ihre Meinung teilen? fig ein Vertrauensverhältnis zu ihnen. Studien im Ausland zeigen, dass die Dann senden Sie uns Ihren Patienten den (vermehrten) Einbezug ausgefüllten Antwort-Talon! von nichtärztlichem Personal schätzen. - Neue Praxisstrukturen: Der Trend zu Gruppenpraxen oder Gesundheitszen- Home Care tren mit Grundversorgern, Spezialisten Zur Rose stellt sich schon und nichtärztlichem Fachpersonal heute den beschriebenen erlaubt einen Grossteil der Betreuung Herausforderungen und nimmt unter einem Dach. die Verantwortung wahr, die Multimorbidität: neue Heraus- - Bereichsübergreifende Kooperations- wir gegenüber den Patienten forderung für die Hausärzte modelle: Statt unter einem Dach kann haben: Home Care heisst die verstärkte Kollaboration auch dem unsere spezialisierte Dienst- Behandlungspfad entlang erfolgen, zum leistung für chronisch kranke Beispiel vom Hausarzt zum Spezialisten Menschen. In Absprache mit - Ausserdem besteht eine latente Angst dem verschreibenden Arzt vor Deprofessionalisierung: Wer mag zu stationären Einrichtungen, weiter zu Spitex und zu Sozialdiensten. besuchen spezifisch geschulte schon zugeben, dass gewisse (Routine-) Pflegefachpersonen die Pati- Aufgaben – zum Beispiel Blutdruck Damit sich die strukturierte, disziplinen- enten zu Hause. Dort werden messen, Füsse begutachten, Vibrations- übergreifende Betreuung von chronisch sie und ihre Angehörigen bei empfinden prüfen – ebenso gut von Kranken rascher etabliert, sind einige der richtigen Anwendung der der Medizinischen Praxisassistentin Voraussetzungen zu erfüllen: Medikamente und der medizi- erledigt werden können? nischen Hilfsmittel betreut. Mit - Neue Vergütungsmodelle: Dies können - Die oft lückenhafte IT-Infrastruktur in neue Tarmed-Positionen für nichtärzt- Home Care integrieren wir die der ambulanten Grundversorgung ist liche Leistungen sein (in einem Unter- Medikationstherapie in den All- nicht auf die Betreuung von chronisch kapitel Chronic Care Managment) oder tag der Patienten, ergänzend kranken Patienten und die Integration Komplexpauschalen über die ganze zu den bereits vorhandenen weiterer Leistungserbringer ausgerichtet. Behandlungskette. Betreuungsformen. 5
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