Food-Waste reduzieren - die einfachste Klimaschutzmassnahme? - Die Volkswirtschaft

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Food-Waste reduzieren - die einfachste Klimaschutzmassnahme? - Die Volkswirtschaft
FOOD-WASTE

Food-Waste reduzieren – die einfachste
Klimaschutzmassnahme?
Weggeworfenes Gemüse, Brot und Fleisch belasten die Umwelt stark. Der Bundesrat
erarbeitet deshalb einen Aktionsplan, um Food-Waste in der Schweiz einzudämmen.
Saskia Sanders, Laura Tschümperlin

Abstract Durch den Schweizer Konsum gehen pro Person und Jahr 330 Kilogramm                     grossen Angebot, welches gerade bei Frisch-
essbare Lebensmittel zwischen Acker und Teller verloren. Das macht rund ein Vier-               produkten auch stark vom Wetter abhän-
tel der durch die Ernährung verursachten Umweltbelastung der Schweiz aus und ent-               gig ist. Verluste können ebenfalls entstehen,
spricht etwa der halben Umweltbelastung des motorisierten Individualverkehrs der                wenn die Ernte aus technischen Gründen
Schweiz. Die Vermeidung von Food-Waste ist eine wichtige und effektive Massnah-                 nicht voll eingefahren oder verarbeitet wer-
me für Umwelt- und Klimaschutz. Deshalb enthält die UNO-Agenda 2030 für nachhal-                den kann oder Produkte bei der Ernte oder
tige Entwicklung ein konkretes Ziel dazu: die Halbierung der Lebensmittelabfälle bis            der Lagerung beschädigt werden.
2030. Damit die Schweiz dieses Ziel erreicht, erarbeitet der Bundesrat einen Aktions-               Die lebensmittelverarbeitende Indust-
plan gegen die Lebensmittelverschwendung.                                                      rie hat einen Anteil von 35 Prozent an den
                                                                                                vermeidbaren Lebensmittelverlusten der
                                                                                                Schweiz. Der Hauptgrund dafür ist ein fehlen-

J  edes Jahr werden in der Schweiz 2,8 Millio-
   nen Tonnen Lebensmittel weggeworfen –
verursacht durch den Konsum. Damit könnte
                                                 taurant. Nicht zum Food-Waste zählen die
                                                 unvermeidbaren Lebensmittelabfälle, die bei-
                                                 spielsweise beim Rüsten entstehen.
                                                                                                der oder zu kleiner Absatzmarkt für Neben-
                                                                                                produkte, die bei der Verarbeitung entste-
                                                                                                hen. Ein Beispiel für solch ein Nebenprodukt
man 150 000 Lastwagen füllen, die aneinan-          Am Anfang der Lebensmittelkette – in der    ist Kleie, die beim Mahlen von Getreide ent-
dergereiht eine Kolonne von Zürich bis nach      Landwirtschaft – fallen 20 Prozent der Le-     steht: Beim Weissmehl wird nur der innere
Madrid ergäben. Diese vermeidbaren Lebens-       bensmittelverluste an. Die Ursachen sind da-   Teil des Getreidekorns verwendet, die Scha-
mittelabfälle oder -verluste («Food-Waste»)      bei teilweise auf nachgelagerte Stufen zu-     le hingegen, welche das Getreidekorn umgibt
entstehen entlang der gesamten Wertschöp-        rückzuführen. Strenge Handelsnormen füh-
fungskette – beispielsweise beim Bauern, in      ren zum Aussortieren von Produkten, oder        Ein Mitarbeiter von «Äss-Bar», eines Projekts
der Fabrik, im Laden, zu Hause oder im Res-      die Nachfrage deckt sich nicht mit dem zu       gegen Food-Waste, holt altes Brot in einer
                                                                                                 ­Bäckerei in Zürich ab.

                                                                                                                                                      KEYSTONE

                                                                                                              Die Volkswirtschaft 11 / 2021      39
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und wertvolle Ballaststoffe, Vitamine und            Abb. 1: Food-Waste pro Kopf verursacht durch Schweizer Konsum (2017)
­Mineralien beinhaltet, bleibt als Kleie übrig.
 Beim Vollkornmehl wird hingegen auch die            Gemüse und Kartoffeln
 Schale gemahlen. Vollkornbrot ist also nicht        Käse (inkl. Molke)
 nur gesünder, sondern verantwortet auch             Brote und Backwaren
 weniger Food-Waste.
                                                     Exotische Früchte

                                                     Milchprodukte (ausser Käse)
Marktmacht nutzen
                                                     Frischobst und Beeren

                                                                                                                                                                                BERETTA UND HELLWEG (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Im Gross- und Detailhandel fällt mit einem           Zucker
Anteil von 10 Prozent vergleichsweise we-
                                                     Stärkebeilagen (Reis, Pasta, usw.)
nig Food-Waste an. Gründe für die Abfäl-
le sind unter anderem ungenaue Kenntnis-             Fleisch

se über die schwankende Nachfrage, ästhe-            Pflanzliche Öle, Fette, Nüsse/Samen
tische Präferenzen bei Frischwaren sowie             Fisch und Meeresfrüchte
eine immer grössere Sortimentsauswahl, die
                                                     Eier
bis Ladenschluss gewährleistet sein will. Dies
ist insbesondere bei frischem Brot proble-           Kaffee und Kakao
                                                                                            0     10     20     30      40       50     60    70     80    90       100   110
matisch, da so viel Überschuss anfällt, dass
                                                                                                                         Kilogramm pro Person und Jahr
auch Spendenorganisationen nicht alles ge-
brauchen können. Dank ihrer Marktmacht                 Landwirtschaft        Handel       Verarbeitung    Gastronomie         Detailhandel    Haushalte
können die grossen Detailhändler den Food-
Waste entlang der ganzen Wertschöpfungs-
                                                     Abb. 2: Umweltbelastung von Food-Waste pro Kopf (2017)
kette beeinflussen.
    Der Gastronomiesektor hat einen Anteil           Fleisch
von 7 Prozent am Food-Waste. Hier gehören            Gemüse und Kartoffeln
unter anderem ungenaue Gästeprognosen
                                                     Brote und Backwaren
und Warenbestellungen, zu grosse Portions-
                                                     Käse (inkl. Molke)
grössen und das Kundenverhalten zu den
Ursachen: Bei einem Buffet à discrétion ist die      Kaffee und Kakao

Gefahr beispielsweise gross, dass zu viel ge-        Milchprodukte (ausser Käse)

                                                                                                                                                                                BERETTA UND HELLWEG (2019) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
schöpft wird und es am Ende Tellerreste gibt.        Stärkebeilagen (Reis, Pasta, usw.)
Oder ein grosses Menüangebot führt zu mehr           Fisch und Meeresfrüchte
Küchenabfällen als eine kleine Auswahl.
                                                     Pflanzliche Öle, Fette, Nüsse/Samen
    Eine wichtige Rolle im Kampf gegen Food-
                                                     Exotische Früchte
Waste nehmen die Haushalte ein: Ihr Anteil an
den vermeidbaren Lebensmittelabfällen liegt          Frischobst und Beeren

bei 28 Prozent. Pro Personen werden in den           Eier
Haushalten jährlich 90 Kilogramm Esswaren            Zucker
weggeworfen. Unüberlegte Einkäufe, falsche
                                                                                            0    25      50      75     100      125    150    175   200   225      250   275
Lagerung oder nicht verwertete Resten kos-
                                                                                                              in 1000 Umweltbelastungspunkten pro Person und Jahr
ten jede Person jährlich im Durchschnitt über
600 Franken.                                           Landwirtschaft        Handel       Verarbeitung    Gastronomie         Detailhandel    Haushalte

                                                    Umweltbelastung, die durch die anfallenden Food-Waste-Mengen pro Person und Jahr aufgrund des
Beitrag zum Klima                                   ­Schweizer Konsums entlang der Lebensmittelkette verursacht wird (gemessen in Umweltbelastungs­
                                                     punkten). Bei der Verarbeitung von Zucker und pflanzlichen Ölen fallen die Nebenprodukte Zuckermelasse
Über die gesamte Wertschöpfungskette hin-            und Presskuchen an, die als besonders effiziente Futtermittel genutzt werden können und dadurch die
weg betrachtet, hat Frischgemüse den gröss-          ­Umweltbelastung der Produktion einer herkömmlichen Futtermischung zu kompensieren vermögen.
ten Anteil an den Lebensmittelabfällen: Pro
Kopf werfen wir in der Schweiz jedes Jahr 104
Kilogramm an Gemüse und Kartoffeln weg,           Nährstoffen, sondern führt auch zu unnöti-                      vierenden Konsequenzen wie beispielswei-
oder sie bleiben bereits auf dem Feld liegen      ger Umweltbelastung. Zum Anbau von Le-                          se Biodiversitätsverlust und Freisetzung von
(siehe Abbildung 1). An zweiter Stelle folgt      bensmitteln und zur Haltung von Nutztieren                      Kohlenstoff, welcher in Bäumen und Biomas-
Käse, wobei insbesondere das Nebenpro-            werden beispielsweise Land und Wasser be-                       se gespeichert ist, einhergeht. Des Weiteren
dukt Molke ins Gewicht fällt, das in der Kä-      nötigt. Dabei belasten Pflanzenschutzmittel                     werden von der Bewirtschaftung der ­Felder
serei entsteht. Dahinter finden sich Brote und    Böden, Gewässer und Lebewesen. Und bei                          über den Transport, die Lagerung und die
Backwaren (insbesondere Müllereiverluste)         der Rinderzucht entstehen klimawirksame                         Verarbeitung von Lebensmitteln bis zur Zu-
sowie exotische Früchte.                          Verdauungsgase wie Methan. Zudem ­werden                        bereitung von Mahlzeiten entlang der ge-
    Jedes weggeworfene Lebensmittel ist je-       zur Produktion von Futtermitteln tropische                      samten Wertschöpfungskette fossile Brenn-
doch nicht nur eine Verschwendung von             Regenwälder abgeholzt, was mit vielen gra-                      stoffe eingesetzt, die ebenfalls Emissionen

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v­erursachen. Würde nur so viel produziert,     Molkenproteinpulver als Nahrungsergänzung            Neben den Massnahmen ist auch das Mo-
 wie auch konsumiert wird, könnten diese        für Sportler weiterverarbeitet. Für die Gast-    nitoring ein wichtiger Bestandteil des Ak-
 Umwelteinwirkungen vermieden werden.           ronomie wurden verschiedene digitale Hilfs-      tionsplans des Bundesrats. Die Fortschritte
     Um die zahlreichen Umwelteinwirkungen      mittel, wie beispielsweise Prognosetools,        sollen regelmässig aufgezeigt werden, und
 in Relation zueinander zu setzen, werden sie   entwickelt, und die Brancheninitiative United    anhand der Daten können weitere wichtige
 in der Einheit Umweltbelastungspunkte (UBP)    Against Waste unterstützt Gastronomen mit        Massnahmen identifiziert sowie deren Wir-
 festgehalten: Genauso wie sich die Herstel-    einem Coachingangebot dabei, Lebensmit-          kung evaluiert werden. Messungen in Unter-
 lungskosten eines Produkts in Franken be-      telabfälle zu reduzieren.                        nehmen helfen auch, Mitarbeitende und
 rechnen lassen und sich aus verschiedenen          Zur Sensibilisierung der Haushalte hat die   Führungspersonen zu sensibilisieren und zu
 Aspekten wie Rohstoffpreisen und Lohnkos-      Umweltorganisation Pusch die Informations-       motivieren, sich eigene Reduktionsziele zu
 ten zusammensetzen, lassen sich Umweltein-     kampagne «Save Food. Fight Waste» ins Le-        setzen.
 wirkungen wie beispielsweise der Verbrauch     ben gerufen. Diese vermittelt die wichtigs-          Mit einem Food-Waste-Tagebuch lässt
 von Wasser sowie die Emissionen von Pflan-     ten Massnahmen zur Vermeidung von Food-          sich das auch leicht im eigenen Haushalt tes-
 zenschutzmitteln in UBP ausdrücken.            Waste im Haushalt: Einkäufe planen, gute         ten. Hängen Sie einfach ein Blatt Papier an
     Die grösste Umweltbelastung entsteht       Lagerung, richtige Interpretation von Halt-      den Kühlschrank und notieren Sie alles, was
 durch weggeworfenes Fleisch (siehe Abbil-      barkeitsdaten und verschiedene Verwer-           Sie wegwerfen. Motivieren Sie auch Freunde
dung 2), obwohl Fleisch mengenmässig – im       tungsmöglichkeiten von Lebensmitteln. Die        und Familie, dasselbe zu tun, und sprechen
Vergleich zu Gemüse – viel weniger ins Ge-      Kampagne wird durch eine breite Allianz von      Sie darüber. Niemand möchte Lebensmittel
wicht fällt. Dies ist vor allem auf den hohen   über 70 Organisationen getragen, unter ih-       wegwerfen, aber allen passiert es. Gemein-
Flächenbedarf und die Methanemissionen          nen wichtige Verbände und Unternehmen            sam können wir das ändern.
zurückzuführen. Auch die Produktion von         der Lebensmittelwirtschaft sowie Behörden,
Kaffee und Kakao in tropischen Gebieten ist     Stiftungen, Konsumenten- und Umweltorga-
flächenintensiv.                                nisationen. Auch das Bundesamt für Umwelt
     Am Ende der Wertschöpfungskette – also     (Bafu), das Bundesamt für Landwirtschaft
in den Haushalten und in der Gastronomie –      (BLW) sowie das Bundesamt für Lebensmit-
fällt die Umweltbelastung grundsätzlich am      telsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind
grössten aus. Denn die Lebensmittel wur-        Partner. Auf diesen Projekten gilt es nun auf-
den bereits transportiert, gekühlt, verarbei-   zubauen.
tet und zubereitet.
     Die Reduktion von Food-Waste ist also      Aktionsplan des Bundesrats                           Saskia Sanders
eine effektive Massnahme, um unseren Fuss-                                                           Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion
abdruck zu verringern und das Klima zu          Die Bedeutung der Reduktion von Food-                Konsum und Produkte, Bundesamt für
                                                                                                     Umwelt (Bafu), Ittigen BE
schützen. Bereits mit einer Halbierung der      Waste ist auch der internationalen Politik
vermeidbaren Lebensmittelverluste können        bewusst. Die UNO-Agenda 2030 für nach-
die Umweltbelastung und die Treibhausgas-       haltige Entwicklung enthält deshalb ein kon-
emissionen, die im Zusammenhang mit unse-       kretes Ziel dazu: die Halbierung der Lebens-
rer Ernährung verursacht werden, um 10 bis      mittelabfälle bis 2030. Mit der Annahme des
15 Prozent reduziert werden.                    Postulats 18.3829 der GLP-Nationalrätin Isa-
                                                belle Chevalley im März 2020 hat der Bun-
Vielfältige Lösungsansätze                      desrat den Auftrag erhalten, einen Aktions-
                                                plan zu erarbeiten, damit dieses Ziel auch in
Food-Waste ist ein Problem mit vielen Ursa-     der Schweiz erreicht wird. Die Federführung
chen und Akteuren und erfordert vielfälti-      für die Erarbeitung liegt beim Bafu. Es wur-         Laura Tschümperlin
ge Lösungsansätze. Entlang der ganzen Le-       de eine Auslegeordnung der bestehenden               Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion
bensmittelkette wurden bereits Massnah-         Massnahmen gemacht und verschiedene                  Konsum und Produkte, Bundesamt für
men ergriffen: In der Landwirtschaft werden     Lösungsansätze mit Akteuren der Lebens-              Umwelt (Bafu), Ittigen BE
unverkaufte Produkte wo möglich direkt an       mittelwirtschaft diskutiert. Die Verabschie-
Endkonsumenten verkauft. Im Detailhandel        dung des Aktionsplans durch den Bundesrat
werden Gemüse und Früchte, welche nicht         ist für Anfang 2022 vorgesehen. Auch die EU        Literatur
dem gängigen Schönheitsideal entsprechen,       will bis Ende 2023 verbindliche Food-­Waste-       Beretta, C. und Hellweg, S. (2019). Lebensmittelverluste
                                                                                                     in der Schweiz: Mengen und Umweltbelastung. Wis-
unter neuen Labels angeboten, wodurch           Reduktionsziele für die Mitgliedsstaaten             senschaftlicher Schlussbericht, ETH Zürich. Studie im
Kunden sensibilisiert werden. Molke wird zu     festlegen.                                           Auftrag des BAFU, Oktober.

                                                                                                                 Die Volkswirtschaft 11 / 2021         41
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