Forderungen zur Bundestagswahl 20051

Die Seite wird erstellt Horst-Adolf Jürgens
 
WEITER LESEN
Forderungen zur Bundestagswahl 20051

I. PRÄVENTION

Seit über zwanzig Jahren tritt die Deutsche AIDS-Hilfe u. a. durch Aufklärung und In-
formation für Bedingungen ein, die Menschen ein selbstbestimmtes Handeln im Um-
gang mit HIV und Aids ermöglichen. Dabei steht die Prävention für die besonders
bedrohten und betroffenen (vulnerablen) Gruppen nach wie vor im Vordergrund. Hier
arbeitet der Bundesverband mit seinen regionalen Mitgliedsorganisationen in Län-
dern und Kommunen Hand in Hand. Dank dieser zielgruppenspezifischen Arbeit und
des Zusammenspiels mit den übergreifenden Informations- und Aufklärungskampag-
nen für die gesamte Bevölkerung (BZgA) als Voraussetzung dafür, dass Prävention
in einem Klima der Solidarität und ohne Diskriminierung wirksam wird, kann Deutsch-
land insgesamt auf eine seit Jahren weitgehend stabile Zahl von ca. 2.000 jährlich
festgestellten HIV-Infektionen verweisen und schneidet damit im internationalen Ver-
gleich hervorragend ab.

2003 etwa kamen bei uns auf eine Million Einwohner 22 Neudiagnosen, während es
in Österreich 52 und in der Schweiz sogar 108 waren. Innerhalb dieses stabilen
Rahmens allerdings ist in jüngster Zeit ein Anstieg bei Männern festzustellen, die Sex
mit Männern haben (MSM) – sie stellten 2004 mit 55 % den größten Anteil der etwa
2.000 HIV-Neudiagnosen. Dieser Anstieg ist zwar in absoluten Zahlen sehr gering,
gibt aber im Zusammenhang mit der deutlich stärkeren Zunahme sexuell übertragba-
rer Krankheiten (STDs) bei MSM Anlass zur Sorge. Die DAH beobachtet diese Ent-
wicklung aufmerksam und berücksichtigt sie bei ihrer Präventionsarbeit.

Auf Menschen aus Ländern, in denen HIV und Aids in der Allgemeinbevölkerung weit
verbreitet sind (so genannte Hochprävalenzländer, HPL), entfielen 2004 21 % der
neu festgestellten HIV-Diagnosen; sie stellen damit die zweitgrößte Betroffenengrup-
pe dar. Es folgen jene, die sich beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr infiziert
haben (2004: 15 %) und intravenös Drogen Gebrauchende (2004: 8 %).

HIV und Aids bleiben auch in Deutschland eine aktuelle Herausforderung, vor
der die Politik ihre Augen nicht verschließen darf!

Ursache für den seit wenigen Jahren zu beobachtenden Trend steigender HIV-
Infektionszahlen sind Sorglosigkeit gegenüber HIV und Aids, unter anderem dadurch
begünstigt, dass die unmittelbare Todesgefahr durch die Behandlungsmöglichkeiten
scheinbar verschwunden ist. Es ist davon auszugehen, dass die Fortschritte in der
HIV-Therapie als ein Signal der Entwarnung empfunden werden. Aids hat seinen
Schrecken verloren! Leider haben einzelne Landesregierungen und Kommunalver-
waltungen dies zum Anlass genommen, die finanziellen Mittel für die Prävention –
meist unter Berufung auf die angespannte Hauhaltslage – zu kürzen. HIV und Aids
verschwinden somit mehr und mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein.

1
  Einige der hier aufgeführten Forderungen sind deckungsgleich mit denen des Paritätischen Wohl-
fahrtsverbandes (DPWV), dessen Mitglied wir sind; niedergelegt sind diese im DPWV-Positionspapier
„Respekt statt Ignoranz – Teilhabe statt Ausgrenzung. Forderungen an Parteien und Politik. Bundes-
tagswahl 2005“ (siehe z. B. unter http://www.wahl.paritaet.org).
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                  2

In den letzten Jahren werden vermehrt HI-Viren übertragen, die bereits resistent ge-
gen eines oder mehrere Medikamente sind. Die Therapiemöglichkeiten sind damit
eingeschränkt, Behandlungsergebnisse sind schlechter, und die Lebensqualität und
Lebenserwartung können deutlich verringert sein.

Die Prävention ist und bleibt die effektivste und wichtigste Maßnahme im Kampf ge-
gen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten, im Arbeitsfeld der Aidshilfen sind
dies hautsächlich HIV, STDs und Hepatitiden. Es sei an dieser Stelle daran erinnert,
dass jede verhinderte Infektion gleichzeitig eine enorme Kosteneinsparung für das
Gesundheitssystem bedeutet.

Erfolgreiche Prävention kann sich allerdings nicht isoliert auf sexuelles Verhalten
bzw. Drogengebrauch konzentrieren. Die Ausbreitung von HIV und anderen sexuell
übertragbaren Krankheiten hängt eng mit den sie begünstigenden sozialen und kultu-
rellen Faktoren zusammen. Erfolgreiche Prävention umfasst daher: Bereitstellung
von Bildung, Information, psychosoziale Beratung, Erreichen von Gendergerechtig-
keit, Reduktion von Armut, Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen, Aufhe-
bung der Marginalisierung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen.

Mit Blick auf Männer, die Sex mit Männern haben, heißt das: Gesundheitsförderung
und strukturelle Prävention im Kontext von HIV/Aids und anderen sexuell übertragba-
ren Krankheiten können nur erfolgreich sein, wenn die gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen einen vorurteilsfreien und solidarischen Umgang mit Homosexuellen
und mit ihren Lebensweisen ermöglichen. Die Präventionserfolge der letzten 20 Jah-
re gründen sich auch auf die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Deutschland,
die zum Abbau der Ausgrenzung und Diskriminierung von Schwulen, Bisexuellen
und Lesben beigetragen haben. Es liegt in der Verantwortung der politischen Akteu-
re, dass diese Entwicklung fortgesetzt wird und Homosexuelle ein gleichberechtigter,
respektierter Teil der Gesellschaft sein können.

Auch bei Menschen mit Migrationshintergrund gilt: Mit Verhaltensprävention allein er-
reicht man wenig; im Rahmen der Verhältnisprävention müssen Ausgrenzung und
Diskriminierung abgebaut und gleiche gesundheitliche Chancen geschaffen werden.
Das erfordert ein besonderes Engagement für jene, deren soziokultureller und
sprachlicher Hintergrund sich deutlich von der deutschen Kultur unterscheidet, für
Migrant(inn)en ohne jegliches Aufenthaltsrecht oder mit ungeregeltem oder einge-
schränktem Aufenthaltsstatus und für jene Migrant(inn)en, die wegen dunkler Haut-
farbe oder ihres soziokulturellen Hintergrundes von Rassismus und Fremdenfeind-
lichkeit besonders betroffen sind.

Ähnliches gilt auch für Menschen in Haft. Die Gesundheit der Gefangenen betrifft die
Gesundheit aller und ist daher ein Thema der öffentlichen Gesundheit, denn Gefan-
gene sind Teil der Gesellschaft. Fakt ist jedoch: Menschen in Haft sind aufgrund der
Lebensbedingungen in Gefängnissen besonderen gesundheitlichen Belastungen und
Gefahren ausgesetzt, z. B. durch Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis, die in
Haft weit stärker verbreitet sind als außerhalb der Gefängnismauern, aber auch
durch die Einschränkungen der Intimsphäre, Überbelegung, Bewegungseinschrän-
kungen und alle Formen von Gewalt.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                  3

Die Einstellung der Spritzenvergabe in Haftanstalten, das defensive Vorgehen bei
Hepatitis-Impfungen sowie eine HIV-Behandlung, die nicht dem Standard außerhalb
von Haftanstalten entspricht, sind nicht nur inhuman und gesundheitspolitisch sehr
kurzsichtig, sondern auch rechtlich bedenklich, da sie das im Strafvollzugsgesetz
festgelegte Äquivalenzprinzip und den Gegensteuerungsgrundsatz missachten. Laut
Gesetz soll das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie
möglich angeglichen und schädlichen Folgen des Vollzugs entgegengewirkt werden.

Die oberste Zielsetzung der gegenwärtigen Drogenpolitik, Drogenkonsum und Han-
del zu unterbinden, vertraut in Theorie und Praxis immer noch auf das Mittel der
Strafverfolgung. Dies führte bislang zur Kriminalisierung und Illegalisierung von Dro-
gen gebrauchenden Menschen – Rahmenbedingungen, die präventive sowie Scha-
den minimierende Elemente der Drogenpolitik behindern und konterkarieren.

Der vom Gesetzgeber erwünschte Rückgang des Konsums illegalisierter Substanzen
bleibt nahezu überall aus. Dabei ist die aktuelle Situation besorgniserregend: Die
Zahl Cannabis konsumierender Jugendlicher nimmt dramatisch zu, ebenso ist eine
deutliche Steigerung der Zahl erstauffälliger Konsumenten harter Drogen zu ver-
zeichnen, und etwa drei Viertel aller intravenös Drogen Konsumierenden sind Hepati-
tis-C-infiziert.

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

      •   Projekte zu fördern, die sich mit spezifischen Angeboten oder Kam-
          pagnen an die von HIV am stärksten betroffenen Bevölkerungsgrup-
          pen wenden und die angesprochenen Menschen bei der Umsetzung
          von Strategien zu Gesundheitsförderung unterstützen;
      •   die Deutsche AIDS-Hilfe mit ihren regionalen Mitgliedsorganisationen
          sowie die BZgA als Kompetenzzentren der Primär-, Sekundär- und
          Tertiärprävention nachhaltig und verlässlich finanziell zu fördern –
          das ist unerlässlich, um in der Präventionsarbeit auch langfristig an-
          gelegte Strategien umsetzen zu können;
      •   ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen, welches die Vergabe
          der (Geld-)Mittel an die unterschiedlichen Akteure sowie deren Maß-
          nahmen bündelt und koordiniert;
      •   Programme zu unterstützen, welche die HIV-Prävention in die Präven-
          tion anderer sexuell übertragbarer Krankheiten einbetten. Diese, allen
          voran die Syphilis, nehmen nämlich in den letzten Jahren kontinuier-
          lich zu, begünstigen die Übertragung von HIV und erschweren unter
          Umständen die HIV-Behandlung (wie umgekehrt auch eine HIV-
          Infektion die Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten erschwe-
          ren kann);
      •   eine Integrationspolitik zu betreiben, in deren Fokus die Ermögli-
          chung von Teilhabe und die Verbesserung der Lebenssituation der
          schon hier lebenden sowie der noch zuziehenden Migrantinnen und
          Migranten steht; dazu gehören z. B. der gleichberechtigte Zugang
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                               4

    zum Gesundheitssystem bzw. zu Maßnahmen der Prävention und Ge-
    sundheitsförderung, die Ausweitung der Integrationsprogramme und
    Sprachkurse, die Erleichterung des Zugangs zu einer beruflichen
    Ausbildung und zum Arbeitsmarkt sowie verbesserte Möglichkeiten
    des Familiennachzugs;
•   ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) vorzulegen, das die Belange al-
    ler Menschen einbezieht, die – z. B. im Rechtsverkehr – ungleich be-
    handelt werden. Dieses ADG ist wesentliche Voraussetzung für die
    vollständige Umsetzung des Diskriminierungsverbots unserer Ver-
    fassung. Der Artikel 3 Grundgesetz, das Behindertengleichstellungs-
    gesetz (BGG) und das ADG müssen insgesamt in allen Lebenslagen
    einen wirksamen Diskriminierungsschutz gewährleisten;
•   keine personenbezogenen intimen Daten zu speichern, die an die Ro-
    sa Listen der Nazi- oder der Adenauer-Zeit erinnern, also an eine Zeit,
    da das Bekanntwerden sexueller Handlungen zwischen Männern min-
    destens zur Vernichtung der bürgerlichen Existenz führte;
•   als sichtbares Zeichen für eine grundlegende Änderung der gesell-
    schaftlichen Haltung gegenüber homosexuellen Mitbürgern endlich
    eine Stiftung einzurichten und zu finanzieren, die u. a. der kollektiven
    Wiedergutmachung der Verfolgung schwuler Männer während des
    „dritten Reiches“ und bis 1969 dient; Ziel dieser Stiftung muss u. a.
    die Förderung solcher Selbsthilfe-Organisationen und Gruppierungen
    sein, die sich um die sozialen und gesundheitsförderlichen Belange
    Homosexueller kümmern;
•   eine humane Asylpolitik zu betreiben, die sich nicht durch juristische
    Spitzfindigkeiten aus ihrer geschichtlichen Verantwortung stiehlt;
    Asylrecht ist daher auch jenen zu gewähren, die wegen ihrer sexuel-
    len Orientierung und wegen ihres sexuellen Verhaltens in ihren Hei-
    matländern verfolgt werden bzw. ihre Identität verleugnen müssen;
•   dass Bleiberecht aus humanen Gründen auch allen Menschen mit
    HIV/Aids gewährt wird, die in ihren Heimatländern keinen Zugang zu
    menschenwürdiger Betreuung und Versorgung haben;
•   das Konzept der „Diversity“ als das für die Europäische Union ver-
    bindliche Programm der Integration und Partizipation von Minderhei-
    ten an Schulen und öffentlichen Einrichtungen zügig umzusetzen und
    auch in anderen Bereichen wie etwa der Wirtschaftspolitik zu veran-
    kern;
•   dass über eine/n zu installierende/n Bundesbeauftragte/n für gleich-
    geschlechtliche Lebensweisen und Transgender bundesweite Pro-
    gramme zum Abbau der Homophobie entwickelt werden (vorrangig in
    jenen Gruppen, die der Homosexualität aus kulturellen oder religiö-
    sen Gründen ablehnend gegenüberstehen);
•   dass homosexuelle Frauen und Männer, die eine andere Form des
    partnerschaftlichen Zusammenlebens und des Aufziehens von Kin-
    dern wollen, als es die bürgerlichen Konventionen und die bestehen-
    den Gesetze vorsehen, endlich die für ihre Lebensweisen angemes-
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                               5

    senen rechtlichen Rahmenbedingungen bekommen, die es ihnen er-
    lauben, verantwortlich füreinander einzustehen;
•   Menschen in Haft Prävention und Behandlung nach den gleichen
    Standards zu ermöglichen, wie sie außerhalb von Haftanstalten gültig
    sind. Konkret umfasst dies Maßnahmen zur HIV- und Hepatitispräven-
    tion (Spritzen- und Kondomvergabe, Hepatitis-A- und -B-Impfung,
    Behandlung von Hepatitis C und HIV);
•   eine komplette Neuorientierung in der Drogenpolitik einzuleiten und
    bisher illegalisierte Drogen schrittweise zu legalisieren, um die Kon-
    trolle über gehandelte Drogen zu gewinnen, gesundheitliche Schäden
    bei Konsumierenden zu minimieren sowie durch das Drogenverbot
    verursachte gesellschaftliche und individuelle Folgekosten zu redu-
    zieren;
•   als Gegenentwurf zum derzeitigen Drogenpolitikmodell im Rahmen
    einer Legalisierung eine wirkliche Kontrolle von Handel, Stoffqualität
    und Konsum zu gewährleisten;
•   das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (ProstG) nachzubes-
    sern und dabei insbesondere die Schaffung von Rechtssicherheit für
    die in der Sexindustrie Arbeitenden als vorrangiges Ziel zu unterstüt-
    zen;
•   auf eine vollständige Gleichstellung sexueller Dienstleistungen mit
    anderen Dienstleistungen hinzuwirken;
•   dass Frauen und Männern, die nach Deutschland kommen wollen, um
    in der Sexindustrie zu arbeiten, einen entsprechenden Antrag stellen
    können, mit dem ihnen ein Arbeits- und Aufenthaltsrecht gewährt
    wird;
•   dass migrierte Sexarbeiter/innen in vollem Umfang Zugang zu allen
    sozialen und gesundheitlichen Versorgungsangeboten erhalten.
    Zugleich gilt es, die im Sozial- und Gesundheitswesen tätigen Fach-
    kräfte durch Fort- und Weiterbildung entsprechend zu qualifizieren;
•   zu verhindern, dass die Bekämpfung des Menschenhandels zu einer
    Bekämpfung der Sexarbeit wird;
•   Projekte zu fördern, die für berufsmäßig oder gelegentlich in der Sex-
    arbeit Tätige wie auch für Frauen und Männer, die ihren Drogenkon-
    sum durch den Verkauf sexueller Dienstleistungen finanzieren, adä-
    quate Angebote der HIV/STD-Prävention und Gesundheitsförderung
    bereithalten. Zu fördern sind insbesondere Einrichtungen, die speziell
    migrierte Sexarbeiter/innen unterstützen;
•   Projekte zu fördern, die darauf zielen, Nachfrager sexueller Dienstleis-
    tungen bei der Entwicklung verantwortlichen Handelns in Bezug auf
    ihre eigene Gesundheit und die ihrer Sexualpartner/innen zu unter-
    stützen.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                   6

II. GESUNDHEIT

Immer mehr Leistungen werden aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversiche-
rung (GKV) herausgenommen und müssen privat abgesichert werden. Den gesetzli-
chen Krankenversicherungen wurde die Möglichkeit eröffnet, in Kooperation mit pri-
vaten Krankenversicherungsunternehmen Versicherungen anzubieten, die entweder
Leistungen, die aus dem GKV-Katalog gestrichen wurden, wieder absichern oder
darüber hinausgehende Leistungen anbieten.

Davon können Menschen mit HIV aber nicht oder nur unter sehr schlechten Bedin-
gungen profitieren. Gleiches gilt bei privaten Pflegezusatz-, Berufsunfähigkeits-, Ren-
ten- und Lebensversicherungen.

Für HIV-Infizierte und andere chronisch Kranke bedeutet dies zumeist den Aus-
schluss von einer Versicherung, den Ausschluss von auf das Krankheitsbild bezoge-
nen Versicherungsleistungen – also eigentlich genau den Leistungen, die sie versi-
chern wollen – oder Risikozuschläge in einer Höhe, die eine Versicherung unrentabel
machen.

Darüber hinaus verfügen Menschen mit HIV und Aids zumeist nicht über lückenlose
Erwerbsbiografien. Dies führt zu massiven Absicherungsproblemen insbesondere vor
dem Hintergrund, dass in den Erwerbphasen angesparte Beträge in den Erwerbslü-
cken zumeist wieder aufgebraucht werden müssen.

Infolge des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) werden Menschen mit HIV durch
die vollständige Selbstzahlung der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medika-
mente (OTC- [= Over-the-counter-]Präparate) belastet, auf die sie entweder ursäch-
lich oder im Rahmen des Nebenwirkungsmanagements (Fieber, Schmerzen, Übel-
keit, Erbrechen usw.) angewiesen sind. Bei HIV ist dies von besonderer Bedeutung,
da die Erkrankung bzw. die Therapie unterschiedliche Organsysteme betrifft. Praxis-
gebühren und Zuzahlungen belasten noch darüber hinaus.

Die Deutsche AIDS-Hilfe begrüßt die im Rahmen des GMG erfolgte Einführung der
„Patientenbank“ im Gemeinsamen Bundesausschuss, an der sie auch direkt und
somit personell beteiligt ist. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings, dass diese
Beteiligung mit einem hohen Ressourceneinsatz verbunden ist, der eine finanzielle
Kompensation notwendig macht.

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

      •   das Solidarprinzip in der Sozialversicherung beizubehalten, da die
          meisten Menschen mit HIV und Aids von privaten Versicherungen
          ausgeschlossen sind;
      •   von privaten Versicherungen finanzierbare Risikozuschläge, akzep-
          table Karenzzeiten und einen Kontrahierungszwang für Menschen mit
          chronischen Erkrankungen einzufordern;
      •   vor dem oben geschilderten Hintergrund den Einsatz von gendiag-
          nostischen Verfahren durch private und öffentliche Versicherungen
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                              7

         zur Beurteilung der gesundheitlichen Entwicklung eines Versiche-
         rungsnehmers zu verbieten;
     •   nicht verschreibungspflichtige Medikamente (OTC-Präparate), auf die
         Menschen mit HIV angewiesen sind, in die Ausnahmeliste aufzuneh-
         men;
     •   die Kosten für Resistenztestungen zu Beginn der medikamentösen
         Therapie von den Krankenkassen übernehmen zu lassen;
     •   Grundsicherungsempfänger von der Praxisgebühr und den Zuzah-
         lungen zu Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln zu befreien, ihnen vom Arzt
         verordnete nicht verschreibungspflichtige Medikamente durch die
         Krankenkassen zu erstatten bzw. sie von den Trägern der Sozialhilfe
         oder der Grundsicherung als Mehrbedarf zu gewähren und andern-
         falls die Kosten für OTC-Präparate bei der Berechnung der Belas-
         tungsgrenze (Chronikerregelung) einzubeziehen sowie die Mehr-
         wertsteuer für OTC-Präparate grundsätzlich von derzeit 16 % auf 7 %
         wie bei anderen Mitteln des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, Zeitun-
         gen usw.) zu senken, mindestens aber für schwerwiegend chronisch
         Kranke (Medikamente sind bei chronisch Kranken Mittel des täglichen
         Bedarfs!);
     •   für Menschen, deren Einkommen knapp oberhalb der Grundsiche-
         rungsleistungen liegt, Härtefallregelungen einzuführen.

Zur Minderung finanzieller Härten bei chronisch kranken Menschen sind dar-
über hinaus folgende Maßnahmen umzusetzen:

     •   Menschen mit HIV und Menschen, die substituiert werden, sind auf
         spezielle Behandlungszentren angewiesen, die sie teilweise täglich
         aufsuchen müssen. Dies ist insbesondere in ländlichen Regionen,
         aber auch in Ballungszentren fast immer mit hohen Fahrtkosten ver-
         bunden. Das GMG hat zu massiven Einschränkungen der Fahrtkos-
         tenerstattung geführt, somit werden HIV-Infizierte und Substituierte
         überproportional belastet. Aus diesem Grund sind den genannten
         Personengruppen entsprechende Fahrten mit dem ÖPNV wieder zu
         erstatten.
     •   Viele Menschen mit HIV entwickeln aufgrund ihrer Erkrankung und
         der medikamentösen Therapien das so genannte Lipodystrophie-
         Syndrom. Diese Fettversteilungsstörung führt häufig (unter anderem)
         zu entstellenden Veränderungen im Gesicht, wodurch die HIV-
         Infektion für andere sichtbar wird. Da dies nicht ursächlich behandelt
         werden kann, darf die kompensatorische Möglichkeit des „New Fill“ –
         eine „Auffüllung“ des fehlenden Körperfettes durch den Arzt – von
         den Krankenkassen nicht länger als „kosmetische“ Maßnahme defi-
         niert werden, sondern muss als voll zu erstattende Regelleistung an-
         erkannt werden, vergleichbar mit plastischen Rekonstruktionen bei
         Tumorerkrankungen.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                 8

Darüber hinaus ruft die Deutsche AIDS-Hilfe die Kandidatinnen und Kandidaten
für die Wahl zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzu-
setzen,

      •   ambulante Rehabilitationsangebote, insbesondere ambulante thera-
          peutische Rehabilitationsdienste und Nachsorgeangebote für chro-
          nisch kranke Menschen, auszubauen;
      •   dass der in § 39 a SGB V „Stationäre und ambulante Hospizleistun-
          gen“ für diesen Zweck vom Gesetzgeber vorgeschriebene Betrag pro
          Versichertem von den Krankenkassen auch tatsächlich verausgabt
          wird;
      •   den notwendigen Ausbau der Palliativpflege und -versorgung sowohl
          im ambulanten als auch im stationären Bereich voranzutreiben und
          ausreichend zu finanzieren. Dies betrifft insbesondere ambulant ar-
          beitende Palliative-Care-Teams und die Berücksichtigung im Fallpau-
          schalensystem der stationären Versorgung;
      •   dass die Selbsthilfeförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
          von allen Trägern der sozialen Sicherungssysteme übernommen
          wird, um Verschiebebahnhöfe zu verhindern. Eine Entbürokratisie-
          rung der Selbsthilfeförderung kann nur durch die Einrichtung eines
          gemeinsamen Förderpools auf den Ebenen des Bundes, der Länder
          und der Kommunen erreicht werden;
      •   dass der in § 20 Abs. 4 SGB V „Prävention und Selbsthilfe“ für diesen
          Zweck vom Gesetzgeber vorgeschriebene Betrag pro Versichertem
          von den Krankenkassen auch tatsächlich verausgabt wird;
      •   die Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen an allen
          Entscheidungen, welche die Gesundheitsversorgung betreffen, zu be-
          teiligen.

III. PFLEGE UND VERSORGUNG

Die Deutsche AIDS-Hilfe setzt sich dafür ein, dass Infizierte möglichst lange mög-
lichst gut und gesund leben können (Krankheits- und Therapiemanagement) und
dass Kranke möglichst selbstbestimmt bedürfnisgerecht versorgt und gepflegt wer-
den. Infolge der Kombinationstherapie hat sich die Lebenssituation der Menschen mit
HIV und Aids grundlegend verändert. Infizierte leben in der Regel viele Jahre, bevor
es zum Ausbruch der Krankheit kommt. Durch die Einnahme der Medikamente ha-
ben viele Menschen mit HIV allerdings zum Teil schwerwiegende Nebenwirkungen
zu bewältigen, was vielfache Einschränkungen in den Lebensvollzügen zur Folge
hat. Auch nach Ausbruch der Krankheit liegt die Lebenserwartung weit höher als
noch vor Jahren, was die Pflege- und Versorgungsstrukturen unter einen hohen Fle-
xibilitätsdruck stellt.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                               9

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

     •   den schwerpunktmäßig an körperlichen Einschränkungen orientier-
         ten Pflegebegriff so zu erweitern, dass der besondere Pflegebedarf
         geistig behinderter, psychisch kranker und demenzerkrankter Men-
         schen berücksichtigt wird;
     •   Sachleistungen für die ambulante Pflege tatsächlich an den Bedürf-
         nissen und Wünschen der Pflegebedürftigen zu orientieren und jene
         für die stationäre Pflege nach dem tatsächlichen Pflegeaufwand aus-
         zurichten;
     •   die Leistungen der Pflegeversicherung zu dynamisieren und die Ent-
         geltsätze entsprechend den Kostensteigerungen zu erhöhen;
     •   Anreize für Prävention, Rehabilitation und aktivierende Pflege zu set-
         zen;
     •   die Ergebnisqualität in der Pflege – unter Berücksichtigung der Inte-
         ressen der Pflegebedürftigen – zu definieren und zu prüfen und
         gleichzeitig Einrichtungsträger von bürokratischen Eingriffen in die
         Ablauforganisation zu befreien;
     •   den notwendigen Ausbau der Palliativpflege und -versorgung sowohl
         im ambulanten als auch im stationären Bereich voranzutreiben und
         ausreichend zu finanzieren. Dies betrifft insbesondere ambulant ar-
         beitende Palliative-Care-Teams;
     •   die absehbaren Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung
         nachhaltig zu lösen, damit sichergestellt ist, dass auch künftig eine
         finanzielle Unterstützung für Pflegeleistungen im Bedarfsfall möglich
         ist;
     •   die Patientenrechte zu stärken. Dies betrifft zum einen die Beweis-
         lastumkehr von den Patienten zu den Akteuren des Gesundheitsver-
         sorgungssystems. Zum anderen müssen für die aus Behandlungsfeh-
         lern resultierenden finanziellen Belastungen – angesichts der sich
         über Jahre hinziehenden Gerichtsverfahren – zeitnahe Formen der
         Kompensation eingeführt werden;
     •   eine rechtsgültige Patientenverfügung auszuarbeiten, die den Patien-
         tenwillen – also das Recht auf Selbstbestimmung – als höchste In-
         stanz festlegt. Dabei muss gewährleistet werden, dass der schriftlich
         niedergelegte Wille prinzipielle Gültigkeit besitzt, von allen Akteuren
         des Gesundheitsversorgungssystems zu befolgen ist und der „inter-
         pretatorische Spielraum“ auf ein Mindestmaß begrenzt wird. Die Pati-
         entenverfügung muss für alle Lebens- und Krankheitsphasen Gültig-
         keit besitzen, nicht nur angesichts des nahenden Todes.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                10

IV. ARBEIT, BESCHÄFTIGUNG UND LEBENSUNTERHALT

Mit den verbesserten Behandlungsmöglichkeiten hat sich die Lebenserwartung der
von HIV und Aids betroffenen Menschen erheblich erhöht und die Lebensqualität
verbessert. Damit handelt es sich bei der beschriebenen Zielgruppe, ähnlich wie bei
anderen von chronischen Erkrankungen und Behinderungen betroffenen Menschen,
um eine für den Arbeitsmarkt relevante Gruppe. Dies ist bei Entscheidungsträgern in
der Arbeits- und Sozialpolitik noch nicht ausreichend bekannt.

Grundsätzlich ist für Menschen mit schwankenden Krankheitsverläufen, wie es bei
Menschen mit HIV und Aids der Fall ist, eine Einteilung in „erwerbsfähig“ und „nicht
erwerbsfähig“ fragwürdig, wenn es also darum geht, potenzielle Arbeitnehmer in ein
sozialmedizinisches Raster von durchschnittlicher täglicher Erwerbsfähigkeit von
mehr oder weniger als drei Stunden einzupassen. Erfahrungen aus der ersten Jah-
reshälfte 2005 weisen darauf hin, dass die sozialmedizinische Begutachtung der
Zielgruppe nicht nach einheitlichen Kriterien verläuft.

Für die Beantragung von Mehrbedarfszuschlägen im Rahmen des SGB II ist eine Of-
fenlegung des HIV-Status (z. B. beim Ernährungszuschlag) unabdingbar. Aufgrund
der bestehenden Diskriminierung und Stigmatisierung bringt dies aber nach wie vor
eine Benachteiligung beim Zugang zum Arbeitsmarkt mit sich.

Für Menschen mit chronischen Erkrankungen ist das Leben mit zusätzlichen Ausga-
ben verbunden. Zuschläge wie der Hygienemehrbedarf, die im Rahmen des BSHG
gewährt wurden, sind im heutigen SGB II nicht vorgesehen und werden bisher auch
nicht gewährt. Mit der Pauschalierung auf die ohnehin schon gering ausgestatteten
Regelsätze stellt das Leben mit einer chronischen Erkrankung eine zusätzliche Härte
dar und erschwert bzw. verhindert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Das SGB IX wurde bisher nicht vollständig realisiert. Die Aufgaben der so genannten
Servicestellen, welche die unterschiedlichen Rehabilitationsträger koordinieren sol-
len, sind nicht klar. Die Beteiligungs- und Anhörungsrechte von Verbänden und be-
troffenen Menschen bleiben wirkungslos. Gesetzliche Fristen zur Klärung von Zu-
ständigkeiten werden zu häufig überschritten.

Ungefähr fünfzig Prozent aller Menschen mit HIV leben am Existenzminimum. Dies
betrifft insbesondere Jüngere, die häufig bereits nach wenigen Berufsjahren aufgrund
ihrer Erkrankung berentet wurden.

Nach wie vor haben Frauen weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt; die Rollenver-
teilung von Frauen und Männern in Familie und Arbeit ist nicht gerecht. Im Umfeld
der Aidshilfen haben sich Familien- und Versorgungsmodelle entwickelt, von denen
der Gesetzgeber (mit Ausnahme der eingetragenen Lebenspartnerschaften) bisher
keinerlei Kenntnis genommen hat. Frauen und Männer, auch nicht verwandte, über-
nehmen Verantwortung und unterstützen Menschen mit HIV und Aids, ohne dass
dies arbeitsrechtlich berücksichtig wird.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                             11

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

     •   gleichberechtigte Zugangmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt für Men-
         schen mit HIV und Aids zu schaffen und in gleichem Maße Diskrimi-
         nierung und Stigmatisierung in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung
         abzubauen, vor allem bei den arbeitsmarktpolitischen Akteuren. In
         diesem Zusammenhang ist auch die Forderung nach einem Antidis-
         kriminierungsgesetz relevant, dass der Benachteiligung aufgrund von
         Erkrankungen und Behinderungen entgegenwirken würde;
     •   bei so weit reichenden Entscheidungen wie der Leistungseinteilung
         nach SGB II und SGB XII und der sich daraus ableitenden Berechti-
         gung zur Teilhabe am Erwerbsleben die mehr oder weniger willkürlich
         definierten Anforderungen an die Bedarfslage anzupassen;
     •   die Beantragung von Mehrbedarfszuschlägen aufgrund des HIV-
         Status (SGB II) von der Beratung durch den Fallmanager abzukop-
         peln, um ein so genanntes Zwangsouting und somit Diskriminierung
         bei der Arbeitsvermittlung zu verhindern;
     •   die im BSHG vorgesehenen Zuschläge für den erhöhten Lebensbe-
         darf für chronisch kranke Menschen auch auf das heutige SGB II zu
         übertragen;
     •   das SGB IX zügig zu realisieren, wobei die Aufgaben der Servicestel-
         len zur Koordination der Rehabilitation klar definiert und die Mitwir-
         kungsrechte der Betroffenen und ihrer Verbände wirkungsvoll umge-
         setzt werden müssen;
     •   Strukturen zu schaffen, um früh berenteten Menschen sinnstiftende
         Beschäftigungen zu ermöglichen;
     •   die Sätze von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II und Grundsicherung an-
         zuheben, um der um sich greifenden Armut in Deutschland entgegen-
         zuwirken;
     •   die Bemessung des Regelsatzes der Sozialhilfe wissenschaftlich-
         methodisch neu zu unterlegen und an den aktuellen Bedarfen zu ori-
         entieren. Dies muss öffentlich, transparent und unter Einbeziehung
         politisch unabhängiger Fachleute stattfinden;
     •   das Existenzminimum zukünftig nicht mehr über den Verordnungs-
         weg, sondern in einem parlamentarischen Verfahren mit parlamenta-
         rischer Beratung festzulegen;
     •   Maßnahmen zu fördern, die strukturelle Verbesserungen zum Errei-
         chen von Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Ar-
         beitsmarkt herbeiführen. Genannt seien hier beispielsweise Modelle
         zur zeitlichen und räumlichen Flexibilisierung von Arbeit und Qualifi-
         zierung;
     •   das traditionelle Angehörigenverständnis auszuweiten und das En-
         gagement von Frauen und Männern, die Aidskranke pflegen und
         betreuen und sich zudem im Arbeitsprozess befinden, stärker zu
         würdigen.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                               12

V. FORSCHUNG

Um die HIV-Prävention zukünftig noch effektiver gestalten, die Diagnose präzisieren
und Nebenwirkungen minimieren, bald einen Impfstoff gegen HIV finden, die Ge-
sundheit der Menschen mit HIV und Aids möglichst lange erhalten und die Belange
der an Aids Erkrankten gut vertreten zu können, bedarf es der Förderung industrie-
unabhängiger Forschung.

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

      •   industrieunabhängige HIV-Forschung und bestehende medizinische
          Forschungsverbünde wie das Kompetenznetz HIV/AIDS zur Erfor-
          schung von medizinischen Fragestellungen und Grundlagen für die
          Entwicklung wirksamer und nebenwirkungsarmer Therapien, dia-
          gnostischer Verfahren und von Impfstoffen sowie zur Erforschung
          von Fragestellungen wie der Therapietreue im Rahmen der antiretro-
          viralen Medikation zu fördern;
      •   der frauenspezifischen Forschung einen besonderen Stellenwert ein-
          zuräumen, da neueste Studien belegen, dass es geschlechtsspezifi-
          sche Unterschiede u. a. hinsichtlich der Nebenwirkungen der medi-
          kamentösen Therapie gibt;
      •   sozialwissenschaftliche Forschung zur veränderten Risikobereitschaft
          in einzelnen Bevölkerungsgruppen, zu Vulnerabilitätskriterien unter
          Berücksichtigung kultureller und geschlechtsspezifischer Faktoren
          sowie die Evaluierung von Präventionsmaßnahmen zu finanzieren;
      •   bei der Umsetzung von Forschungsvorhaben die Belange der Patien-
          ten etwa hinsichtlich des Datenschutzes oder des ethischen Vorge-
          hens zu berücksichtigen und den Vertreterinnen und Vertretern der
          Patientenselbsthilfe Sitz und Stimme in allen relevanten Gremien,
          z. B. in der sich in Planung befindlichen Gendiagnostikkommission,
          zu gewähren.

VI. EUROPA

Die Europäische Union muss sich auch den sozialen Herausforderungen stellen, de-
nen ihre Mitgliedsstaaten gegenüberstehen. Hier bedarf es stärkerer sozialer Akzen-
te, um allen Bürgerinnen und Bürgern die ihnen zustehende soziale Sicherheit zu
ermöglichen.

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

      •   das soziale Profil der Europäischen Union zu stärken, indem bei allen
          Entscheidungen der Kommission und anderer EU-Organe die sozia-
          len Konsequenzen mitbedacht und in der Entscheidungsfindung be-
          rücksichtigt werden. Klare Kompetenzabgrenzungen und die Einhal-
          tung des Prinzips der Subsidiarität sind notwendig, um ein unkoordi-
Forderungen zur Bundestagswahl 2005                                13

          niertes Nebeneinander regionaler, nationaler und europäischer Sozi-
          alpolitik zu vermeiden;
      •   im Bereich der Daseinsvorsorge die besondere Bedeutung gemein-
          wohlorientierter Dienstleistungen für das Individuum und die Gesell-
          schaft anzuerkennen;
      •   soziale Dienste und Gesundheitsdienste aus dem Anwendungsbe-
          reich der Dienstleistungsrichtlinie herauszunehmen, um die Qualität
          der Dienste und die Interessen der Konsumenten bestmöglich zu
          wahren und die Einführung des Herkunftslandprinzips (mit der Kon-
          sequenz eines Dumpingwettbewerbs zu Lasten sozialer Standards) zu
          verhindern.

VII. INTERNATIONALE VERANTWORTUNG

Trotz entscheidender Entwicklungen im Bereich der HIV-Grundlagenforschung und
HIV-Therapie stellt die Immunschwächekrankheit Aids weltweit weiterhin eine im-
mense medizinische und gesellschaftliche Herausforderung dar. In vielen ärmeren
Ländern verbreitet sich HIV nahezu ungebremst, da es nach wie vor keinen immuni-
sierenden Impfstoff gibt und Medikamente zur Behandlung sowie medizinische Ver-
sorgungsstrukturen fehlen bzw. nur unzureichend vorhanden sind. Oft haben die
Menschen keinen Zugang zu präventiven Angeboten, und in vielen Ländern existie-
ren keine kulturadäquaten Aufklärungskampagnen.

HIV und Aids wird in vielen Kulturen tabuisiert. Gesellschaftliche Bedingungen wie
ein restriktiver Umgang mit Drogen gebrauchenden Menschen, sexuelle Tabus oder
die schwächere soziale Position von Frauen erhöhen die Gefahr einer HIV-
Übertragung. Aids stellt für Menschen in diesen Ländern oft nur eine von vielen exi-
stenziellen Bedrohungen wie Armut oder Krieg dar.

Die Deutsche AIDS-Hilfe ruft die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl
zum Deutschen Bundestag und ihre Parteien auf, sich dafür einzusetzen,

      •   politische Verantwortung für die globale Herausforderung, die HIV für
          die Staatengemeinschaft darstellt, zu übernehmen;
      •   sich finanziell angemessen an der Bereitstellung von zusätzlichen Fi-
          nanzmitteln – beispielsweise im Rahmen des Global Funds – für wirk-
          same, kulturadäquate Präventionsprogramme zu beteiligen;
      •   sich für den Zugang zu lebensnotwendigen, unentbehrlichen Medi-
          kamenten für Menschen in den ärmeren Ländern sowie für die Siche-
          rung und den Aufbau der nötigen Strukturen in den dortigen Gesund-
          heitssystem einzusetzen;
      •   sich entschieden für einen Schuldenerlass einzusetzen, um auch in
          den betroffenen Ländern Mittel zur Aidsbekämpfung freizusetzen;
      •   sich für eine Entstigmatisierung von HIV-Positiven einzusetzen sowie
          dafür, dass Aids sowohl auf nationaler als auch auf internationaler
          Ebene immer wieder zum Thema gemacht wird. Nur so kann dem
          Vergessen und der Tabuisierung entgegengewirkt werden.
Forderungen zur Bundestagswahl 2005   14

Herausgeberin:

Dieffenbachstraße 33
10967 Berlin
Tel.:          +49 (0) 30 – 69 00 87 -0
Fax:           +49 (0) 30 – 69 00 87 -42
E-Mail:        dah@aidshilfe.de
Homepage:      www.aidshilfe.de

August 2005
Sie können auch lesen