Ausbildung zum Katechisten für die Evangelisation 2017-2020
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1 Ausbildung zum Katechisten für die Evangelisation 2017-2020 Hochaltingen Radioakademie 4. Vortrag: KW 6 (07.02.2018) Sr. Dr. Theresia Mende OP Der Sündenfall und die Macht des Bösen in der Welt 2. Die Überwindung der Macht des Bösen und ihr Ende (Jer 10,5-15; Ijob 1,6-12; Offb 12,1-18)
2 Der Sündenfall und die Macht des Bösen in der Welt 2. Die Überwindung der Macht des Bösen und ihr Ende (Jer 10,5-15; Ijob 1,6-12; Offb 12,1-18) Im letzten Vortrag haben wir erkannt, dass Gott, weil er eine unwiderrufliche Herzensbindung an den Menschen besitzt (Gen 3,21), es „nicht übers Herz bringt“, die Menschheit, die sich von ihm abgewandt und der Macht des Bösen ausgeliefert hat, fallen zu lassen. Es wurde deutlich, dass er ihr immer wieder eine neue Chance gewährt und sie so, wenn auch auf Umwegen, zum Ziel ihrer Vollendung, d.h. in die ihr ursprünglich zugedachte ungetrübte Gemeinschaft mit Gott am Ende der Geschichte zurückführt. Aber der Weg zu diesem Ziel ist für das Gottesvolk – und das heißt für einen jeden von uns – ein mühevoller und ein gefahrvoller Weg. Es ist der Weg durch eine von der Ursünde gebrochene Welt; ein Weg der Anfechtung und Auseinandersetzung mit der Macht des Bösen, der wir selbst Tor und Tür in unsere Welt geöffnet haben, und ein Weg, auf dem die Macht des Bösen zunächst einmal ihr widergöttliches Wesen immer stärker enthüllt, bevor sie endgültig überwunden wird. Auf diesem Weg sind wir der Macht des Bösen jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Die erste und wichtigste Waffe, mit der wir ihr begegnen können, ist, dass wir sie überhaupt wahrnehmen als eine Realität und echte Bedrohung für einen jeden Einzelnen von uns, für die Menschheit wie für die gesamte Schöpfung. Hatte man in früheren Jahrhunderten möglicherweise zu viel vom Teufel gesprochen und Angst damit eingejagt, so verfällt man heute, wie schon angedeutet, in das andere Extrem: man leugnet seine Existenz. Aber nur den Feind kann man besiegen, den man kennt und um dessen Taktik man weiß. Papst Paul VI. lag genau dieses Problem auf dem Herzen: dass man heute den Feind nicht mehr kennt und ihm deshalb eine offene Flanke bietet. So stellte er schon 1972 in seiner Audienz am 15. November die Frage: „Was braucht die Kirche heute am dringendsten?“ Und er fährt fort: „Unsere Antwort soll euch nicht erstaunen, nicht einfältig oder geradezu abergläubisch und unrealistisch
3 vorkommen: eines der größten Bedürfnisse der Kirche ist die Abwehr jenes Bösen, den wir den Teufel nennen“1. Wenn wir dieses Bedürfnis nicht beachten, dann geben wir – so Paul VI. – „einem dunklen, feindlichen Täter, dem Teufel, Gelegenheit zu wirksamem Eingreifen in uns und unsere Welt. Das Böse … ist eine wirksame Macht, ein lebendiges, geistiges Wesen, verderbt und verderbend, eine schreckliche Realität, geheimnisvoll und beängstigend … Wir wissen [also], dass es dieses dunkle, Verwirrung stiftende Wesen tatsächlich gibt und dass es noch immer mit mörderischer Schlauheit am Werk ist. Es ist der verborgene Feind, der Verwirrung und Unglück in der Menschengeschichte sät“2. Dann schlussfolgert Papst Paul VI.: „Dieses Kapitel über den Teufel und über den Einfluss, den er auf die einzelnen Menschen wie auf die Gemeinschaft, auf ganze Gesellschaften oder auf die Ereignisse auszuüben vermag, wäre als ein sehr wichtiger Abschnitt der katholischen Lehre neu zu durchdenken, was heute aber kaum der Fall ist“3. Wir wollen heute einen kleinen Beitrag zu diesem neu Durchdenken leisten, indem wir den frühesten Zeugnissen über den Teufel und seinen Einfluss auf die Menschenwelt in der Heiligen Schrift nachgehen. I. Die Macht des Bösen als Antijahwe in Jes 10,5-15 Der erste biblische Text, den wir betrachten, ist Jesaja 10,5-15. Er zeigt uns, wie Israel überhaupt erst nach und nach erkannte, dass es eine verborgene, hinter der Geschichte wirkende Macht des Bösen gibt und dass es deren einziges Ziel ist, sich gegen Gott aufzulehnen, seinen Heilsplan in Schöpfung und Geschichte zu durchkreuzen und den Menschen in den Abgrund seiner zerstörerischen Auflehnung gegen Gott mit hinab zu reißen. 1 Paul VI., in: Johannes Paul II., die Engel. Sechs Papstkatechesen, Stein am Rhein, 2. Auflg. 1991, 43. 2 Ebenda, 45 und 47. 3 Ebenda, 48.
4 Der Text Jes 10,5-15 enthält einen Wehruf des Propheten über Assur. Assur ist jene Großmacht im Vorderen Orient, die vom 9. bis zum 7. Jh. v. Chr. Israel und Juda immer wieder militärisch bedrängte und auch für das Trauma der Eroberung und Zerschlagung des Nordreiches Israel verantwortlich war. In dem Auftreten solcher politischer Großmächte, die mit hasserfüllter und zerstörerischer Feindschaft gegen das Gottesvolk heranstürmten, erkannte Israel mehr und mehr im Hintergrund das Wirken einer übergeschichtlichen Macht des Bösen, die von Anfang der Schöpfung an gegen Jahwe und seine Heilspläne mit der Menschheit und der Schöpfung angetreten war. Die politischen Großmächte hatten sich lediglich von jener Macht in Dienst nehmen lassen; im Hintergrund aber war sie es eigentlich, jene übergeschichtliche Macht des Bösen, die gegen Gott aufstand, um durch die Vernichtung seines Volkes seinen Heilsplan in Schöpfung und Geschichte zu durchkreuzen. In Jes 10,5-15 wird nun in den verschiedenen Textschichten aus unterschiedlichen Zeiten erkennbar, wie jene Glaubenserkenntnis von einer übergeschichtlichen Macht des Bösen sich in Israel mehr und mehr durchsetzte. In der ältesten Textschicht in Jes 10,5-15 aus der Hand des Propheten selbst wird das Großreich Assur folgendermaßen beschrieben: Einerseits ist es eine politische Größe, die von Jahwe selbst als Vollstrecker seines Strafgerichtes über Israel in Dienst genommen und gegen Israel gesandt worden ist. Andererseits tritt Assur aber mit einem Machtgebaren auf, das die Grenzen seines Auftrags weit überschreitet und offenbar werden lässt, dass es aus seinem Dienst als Gerichtswerkzeug Jahwes ausgebrochen ist und nach Selbstverabsolutierung, also einem Sein wie Gott, strebt. So hat sich Assur zum Widersacher Gottes erhoben. Dementsprechend prahlt Assur in Jes 10,13-14: „13 Das alles – gemeint sind die Eroberung der umliegenden Reiche – habe ich mit meiner starken Hand und mit meiner Weisheit vollbracht; denn ich bin klug. Die Grenzen zwischen den Völkern habe ich aufgehoben, ihre Schätze geplündert, wie ein Held habe ich die Könige vom Thron gestoßen. 14 Wie man in ein Nest greift, so griff meine Hand nach dem Reichtum der Völker. Wie man verlassene Eier sammelt, so habe ich
5 alle Länder der Erde gesammelt. Da war keiner, der mit den Flügeln schlug, keiner, der den Schnabel aufriss und piepste.“ Der Gedanke Jesajas, dass Gott eine politische Großmacht mit ihren zerstörerischen Eroberungen als „Gerichtswerkzeug“ bestimmt und zur Bestrafung gegen sein eigenes, abtrünniges Volk schickt, erscheint uns heute auf den ersten Blick befremdlich. Er wird jedoch verständlich, wenn wir zwei Dinge bedenken: 1. Nach dem Geschichtsverständnis des Alten Testamentes entfaltet Geschichte nie eine aus dem reinen Machtspiel der Völker und der Willkürentscheidung ihrer Herrscher hervorgehende Eigendynamik, sondern ist immer Ausdruck der Führungsgeschichte Gottes mit den Menschen. In ihr üben neben dem auserwählten Volk Israel auch die übrigen Völker eine ihnen von Gott zugewiesene Funktion aus. Dabei ist nicht entscheidend, ob sie Jahwe anerkennen oder gar ein Wissen um die ihnen zugewiesene Aufgabe besitzen, sondern lediglich, dass sie Werkzeug in der Hand Jahwes, des Schöpfers und Herrn der Geschichte sind. Dass auch Assur in den Augen Jesajas eine solche Werkzeugfunktion ausübt, und zwar im Kontext des Gerichtshandelns Jahwes an Israel, machen u.a. die Metaphern „Stab meines Zornes“ und „Stock meines Grimmes“ (V.5) deutlich, die Gott für Assur gebraucht. 2. Die Rede vom Gericht Gottes, die im Alten Testament recht häufig begegnet, ist durch einen einfachen Denkvorgang zu verstehen: Nicht selten erkennen Menschen, die von einer tiefgreifenden Not oder einem Schicksalsschlag betroffen sind, darin nachträglich einen Segen, ohne dass sie die Not oder den Schicksalsschlag selbst im Nachhinein verherrlichen würden. Wenn sie gläubig sind, deuten sie das negative Ereignis als „Fügung“ – und das heißt als „Führung“ Gottes, der selbst die widrigen Ereignisse unseres Lebens nützt, um uns auf ein größeres, heilvolles Ziel hin zu führen. In diesem Sinne deuteten die Propheten die politischen Katastrophen Israels nicht selten als „Gericht“, durch das Jahwe sein Volk zur Umkehr bewegen und so zum Ziel seiner Rettung führen möchte. In den Feinden, meist den
6 Großmächten des Alten Orients, die jene Katastrophen herbeiführten, erkannten sie, entsprechend dem alttestamentlichen Geschichtsdenken, Gerichtswerkzeuge Jahwes, die zur konkreten Durchführung von ihm selbst bestimmt und gesandt worden waren. In dieser Funktion sieht Jesaja nach der großen Katastrophe der Eroberung und Zerschlagung des Nordreiches Israel auch die Großmacht Assur. Aber zugleich erkennt der Prophet mit Schrecken, dass Assur nicht nur als Gerichtswerkzeug Jahwes gegen Israel vorgeht, sondern darüber hinaus einen unheimlichen Drang zur Vernichtung und Ausrottung nicht weniger Völker entwickelt, ja sogar entschlossen ist zu einer weltweiten und hemmungslosen Expansionspolitik (10,7.13-14). Aus der Sicht des Propheten hat Assur damit seiner Beauftragung durch Jahwe endgültig eine Absage erteilt und sich stattdessen ein Welteroberungskonzept zueigen gemacht, das auf absoluter Autonomie gründet. Damit aber ist Assur für den Propheten zu einer Größe geworden, die er mit rein historischen Kategorien, nämlich als eine imperialistische Großmacht, nicht mehr zu fassen vermag. Was er an Assur kritisiert ist die Tatsache, dass es seine Werkzeugfunktion und damit seine Stellung unter Jahwe verlassen und sich in eine direkte und grundsätzliche Gegnerschaft zu Jahwe, dem einzigen Schöpfer und Herrn der Geschichte, gestellt hat. Assur ist zum Antijahwe geworden. Damit aber ist dem Propheten am Beispiel Assurs klar geworden: Es gibt in dieser Weltzeit das Wirken einer Macht, die unabhängig von einer konkreten historischen Ausprägung existiert. Sie verschafft sich im Verlauf der Geschichte immer wieder neu Ausdruck in verschiedensten Völkern und Personen. Es ist eine übergeschichtliche, metaphysische Macht, deren einziges Ziel es ist, sich gegen Gott aufzulehnen, seinen Heilsplan in Schöpfung und Geschichte zu durchkreuzen und den Menschen in den Abgrund seiner zerstörerischen Auflehnung gegen Gott mit hinab zu reißen.
7 Der Verfasser der Sündenfallerzählung in Gen 3 knüpft an diese theologische Erkenntnis aus dem 8./7. Jh. v. Chr. an und verleiht ihr zu Anfang des 7. Jh. mit der Darstellung der Schlange in Gen 3 einen expliziten Ausdruck. Indem er sie, die Schlange, als eine dem Menschen gegenüber eigenständige Größe zeichnet, vollzieht er noch schärfer als Jesaja die Trennung zwischen der widergöttlichen Macht des Bösen einerseits und dem Menschen andererseits und macht nun deutlich, dass die Sünde darin besteht, dass der Mensch in Freiheit den Geist einer solch widergöttlichen Auflehnung nachahmt. Für den Autor von Gen 3 ist klar, dass diese Macht des Bösen weder in Gott hineingehört, noch eine Wesensstruktur des Menschen darstellt, sondern eine von Gott geschaffene, dem Menschen vorausliegende Größe ist, die sich, wenn der Mensch sich einmal in ihren Bann begeben hat, als ein erbitterter Feind des Menschen entlarvt. In der zweiten Hälfte des 7. Jh., zur Zeit des Königs Joschija von Juda, griff ein Bearbeiter von Jes 10,5-15 die Darstellung Assurs als Antijahwe wieder auf und verlieh ihr noch schärfere Konturen. Er zeichnete Assur nun in den Versen 7-11 als eine Großmacht, die nicht nur auf die Eroberung aller Völker, einschließlich Jerusalems, aus ist, sondern ausdrücklich auch die Vernichtung ihrer Götter – und nicht zuletzt Jahwes selbst – anvisiert. Diesen Antijahwe zeichnet somit in den Augen des Bearbeiters eine grenzenlose widergöttliche Hybris aus. Ca. 100 Jahre später, bald nach der Rückkehr Israels aus dem Babylonischen Exil, erfährt der Jesajatext eine letzte Bearbeitung. Das Großreich Assur war inzwischen untergegangen. Israel hatte nach dem Exil mit dem Wiederaufbau Jerusalems und seines Tempels begonnen. Die Einweihung des neuen Tempels bot dem nun aufrichtig um Frömmigkeit bemühten Volk Anlass, voll Hoffnung in die Zukunft zu schauen, wo man den Anbruch der ewigen Königsherrschaft Jahwes erwartete. In dieser Situation ergänzte ein Bearbeiter den Gedanken, dass mit jenem Anbruch der ewigen Gottesherrschaft am Ende der Zeiten auch die endgültige Abrechnung mit dem Antijahwe erfolgen wird. Er schreibt in V.12: „Wenn Jahwe sein Werk auf dem Berg Zion und in Jerusalem vollendet hat, dann straft er das hochmütige Gebaren und die dreiste Überheblichkeit des Königs von Assur“ (10,12).
8 Mit dieser eschatologischen, d. h. auf das Ende der Geschichte hin orientierten, Sicht vom Antijahwe war in Israel eine Glaubensvorstellung gewachsen, die in der Folgezeit im Alten Testament immer schärfere Konturen annahm, so z.B. in der Prophetie über Gog von Magog in Ez 38-39 oder in den apokalyptischen Textes des Buches Daniel (Dan 7,8.24-26; 8,9-11.23-25; 11,36-45) oder in der Gestalt des Königs Nebukadnezzar und seines Oberfeldherrn Holofernes im Buch Judit (1-3). Sie begegnet aber auch im Buch Ijob. Dieses Buch ist in mehreren Schüben in nachexilischer Zeit gewachsen. In ihm wird nun der Blick erstmals ausdrücklich auf die geistigen Vorgänge hinter der Geschichte geworfen und gezeigt, dass es dort eine mit widergöttlicher Hybris auftretende Macht des Bösen gibt, deren ganzes Sinnen darauf gerichtet ist, den Menschen seiner schöpfungsgemäßen Bestimmung, in Einklang und Gemeinschaft mit Gott zu leben – in der Sprache des Ijobbuches: ein Gerechter zu sein – zu entfremden. II. Die Macht des Bösen als Widersacher und Versucher des Menschen in Ijob 1,6-12 Für die Darstellung jenes Wirkens der Macht des Bösen hinter der Geschichte benützt der Autor des Ijobbuches ein im Alten Orient verbreitetes mythisches Bild, das von einer himmlischen Ratsversammlung spricht, in der Satan als Widersacher Gottes und des Menschen vor Gottes Thron hintritt. Er schreibt in Ijob 1,6-12: „(ID) 6 Nun geschah es eines Tages, da kamen die Gottessöhne, um hinzutreten vor Jahwe, und es kam auch der Satan in ihrer Mitte. 7 Da sprach Jahwe zum Satan: „Woher kommst du?" Und der Satan antwortete Jahwe und sprach: „Vom Umherschweifen auf der Erde und vom Umherwandern auf ihr". 8 Da sprach Jahwe zum Satan: „Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Ijob? Denn es gibt keinen wie ihn auf der Erde, einen Mann, fromm und rechtschaffen, der Gott fürchtet und das Böse meidet". 9 Und der Satan
9 antwortete Jahwe und sprach: „Ist Ijob umsonst gottesfürchtig? 10 Hast nicht du (selbst) um ihn und um sein Haus und um alles, was ihm gehört, ringsum einen Schutzwall gebaut? Das Werk seiner Hände hast du gesegnet, und sein Viehbesitz hat sich ausgebreitet im Land. 11 Aber strecke doch deine Hand aus und rühre an all das, was ihm gehört, wahrlich, er wird dir in dein Angesicht fluchen". 12 Da sprach Jahwe zum Satan: „Siehe, alles, was ihm gehört, sei in deiner Hand! Nur gegen ihn selbst darfst du deine Hand nicht ausstrecken!" Dann ging der Satan weg vom Angesicht Jahwes“ (1,6-12). Das Bild von einer himmlischen Ratsversammlung, in der Gott inmitten von Göttersöhnen thront, mutet uns heute eher befremdlich an. Es wurde von dem Ijobdichter aus den altorientalischen Mythen übernommen und als Bild für die allumfassende Weltherrschaft Gottes in Schöpfung und Geschichte verwendet. Im Rahmen dieses Bildes lässt nun der Ijobdichter Satan vor Gott hintreten, um von ihm, dem Herrn über Schöpfung und Geschichte und damit auch über die Menschen und die Göttersöhne, die Erlaubnis zu erwirken, den Frommen Ijob zu versuchen. Damit reißt der Ijobdichter sozusagen für einen kurzen Augenblick den Vorhang der Weltgeschichte auf, um dem Leser einen Blick auf jene Kräfte im Hintergrund zu gewähren, die in Wahrheit die Weltgeschichte lenken und auch das Lebensgeschick des Einzelmenschen bestimmen. Dabei lässt er uns die erschreckende Wahrheit erkennen, dass die Welt nicht nur unter dem guten Einfluss Gottes steht, sondern auch auf eine rätselhafte Weise an die böse Macht Satans ausgeliefert ist – wenngleich dies unter Zulassung Gottes, des unanfechtbaren Herrn der Geschichte geschieht. Diese Tatsache ist im Laufe der Geschichte immer wieder zum Stein des Anstoßes für die Menschen geworden. Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung formuliert dies mit Blick auf den Auftritt Satans im Ijobbuch mit einer unerbittlichen Härte: „Nun soll der treue Knecht Hiob grund- und nutzlos einer moralischen Belastungsprobe unterzogen werden, obschon Jahwe von dessen Treue und Standhaftigkeit überzeugt ist und überdies auf Grund seiner Allwissenheit - wenn er sie zu Rate zöge - in dieser Beziehung unzweifelhafte
10 Sicherheit hätte. Warum soll dann trotzdem der Versuch gemacht und eine Wette ohne Einsatz mit dem gewissenlosen Einflüsterer auf dem Rücken der machtlosen Kreatur ausgetragen werden? Es ist in der Tat kein erhebender Anblick, wenn man sieht, wie rasch Jahwe seinen treuen Knecht dem bösen Geiste preisgibt und wie unbekümmert und mitleidlos er ihn in den Abgrund physischer und moralischer Qualen fallen lässt. Das Verhalten des Gottes ist, vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, dermaßen empörend, dass man sich fragen muss, ob dahinter nicht ein tieferreichendes Motiv verborgen liegt?"4. Obgleich die Ausführungen C. G. Jungs den Eindruck erwecken, als habe er die Himmelsszene wörtlich, d.h. als Protokoll einer himmlischen Ratsversammlung missverstanden, so behält doch das von ihm angesprochene Problem seine Gültigkeit, nämlich die ungeheuerliche Tatsache, dass die Macht des Bösen unter den Augen Gottes einen so großen Freiraum in dieser Welt gewinnen darf. Wie aber ist dann die Himmelsszene zu begreifen? Und ist es möglich, dass ihre richtige Interpretation Licht auf das Problem des Bösen in dieser Welt und in unserem Leben wirft? Um die Himmelsszene im Ijobbuch richtig zu verstehen, ist es nötig zu beachten, dass es im Alten Testament Vorstellungen gibt, die der ganz konkreten Erfahrungswelt der damaligen Menschen entstammen, deren Inhalte uns heute aber nicht mehr selbstverständlich zugänglich sind. Sie dienten einst dazu, Wahrheiten über Gott tiefer und unmittelbarer zu erfassen, ohne dass man die Vorstellung als solche wörtlich nahm. Auch die Rede von der himmlischen Ratsversammlung ist hier einzuordnen. Überall, wo sie im Alten Testament begegnet – z. B. in Sach 3,1-8; 1 Kön 22,19-22; Jes 6,1ff. und Ps 82 – bringt sie den Glauben zum Ausdruck, dass hinter allem Weltgeschehen letztlich Gottes Welten- bzw. Geschichtsplanung steht. Das neuzeitlich-säkulare Geschichtsdenken, wonach der Mensch die Geschichte und damit auch sein persönliches Leben selbst in die Hand nimmt, 4 C. G. Jung, Antwort auf Hiob, Olten 1973,20f.
11 selbst Geschichte macht, und zwar eine Geschichte ohne Gott, das ist dem alttestamentlichen Menschen zutiefst fremd. Wenn aber die himmlische Ratsversammlung ein Bild für Gottes Geschichtslenkung ist, welche Rolle spielt dann in ihr der Satan, der doch offenbar, so lehrt es der Text, entscheidend die Welt mitlenkt? Wer ist Satan, der als Widersacher Gottes und der Menschen einen so großen Freiraum in Gottes Weltenplan gewinnt? Die Palette der Antworten bei den Theologen ist vielfältig. Gemeinsam ist fast allen, wie schon im letzten Vortrag gezeigt, dass sie aus Furcht vor einem platten Dualismus zwischen einer guten göttlichen Macht einerseits und einer bösen satanischen Macht andererseits Satan keine eigenständige Wirklichkeit zuerkennen. Wenn das Alte Testament vom Satan spreche, dann verstehe es ihn als ein Bild, eine Hilfsvorstellung oder ein literarisches Mittel, um einen abstrakten Sachverhalt plastisch darzustellen. So sei Satan quasi eine Verkörperung; in Ijob 1 handle es sich um eine Verkörperung des göttlichen Zweifels an der Echtheit und Uneigennützigkeit der menschlichen Frömmigkeit – so der evangelische Alttestamentler Georg Fohrer5 - oder eine Verkörperung der Bedrohung des fehlsamen Menschen von Seiten der göttlichen Welt – so ebenfalls Georg Fohrer6 - oder eine Verkörperung des „unheimlichen Aspekts" in Gott – so der evangelische Alttestamentler Victor Maag7 – oder eine Verkörperung des „Zweifelsgedankens" Gottes an der Treue des Menschen bzw. eine Verkörperung des „Gottesauges, das die Welt durchstreift“, um die Sünden des Menschen aufzuspüren und anzuklagen – so der Psychologe C. G. Jung8. Eine Lösung liefern alle diese Antworten jedoch nicht. Sie verlagern den Dualismus zwischen Gut und Böse lediglich in Gott selbst hinein, was letztlich noch schlimmere Folgen zeitigt. Denn damit wird Gott zu einem unberechenbaren Willkürdämon gemacht und den Menschen jede Zuflucht vor 5 Georg Fohrer, Das Buch Hiob, KAT XVI, Gütersloh 1963, 83. 6 Ebenda. 7 Victor Maag, Hiob, FRLANT 128, Göttingen 1982,73. 8 C. G. Jung, Antwort auf Hiob, 20.
12 der Macht des Bösen geraubt. Aber wie ist dann die Gestalt Satans zu verstehen? Die Begriffsuntersuchung der hebräischen Wurzel von „Satan" – „satán“ – lässt erkennen, dass das Wort ursprünglich rein profaner Natur war. Die Grundbedeutung des Verbs „satán“ kann mit „anfeinden“, die des Nomens mit „Widersacher, Ankläger" wiedergegeben werden. Beides wird für Menschen verwendet, die in allen möglichen Widerfahrnissen als Feinde anderer auftreten (Ps 38,21; 55,4; 71,13; 109,4.20.29; 1 Sam 29,4; 2 Sam 19,23; 1 Kön 5,18 u. ö.). Erst in nachexilischer Zeit begegnet an drei Stellen des Alten Testaments das Nomen „Satan" in einem theologischen Kontext, wo es den überirdischen Widersacher bezeichnet – so in 1 Chr 21,1; Sach 3,1-8; Ijob 1,6-12; 2,1-7). Das macht deutlich, dass das Alte Testament keine ausgeprägte Lehre über den Satan besitzt, ja in vorexilischer Zeit noch nicht einmal von einem Satan im Sinne einer überindividuellen dämonischen Unheilsmacht unter Gott spricht. Doch lässt dies nun nicht umgekehrt den Schluss zu, dass die mit „Satan" gemeinte Wirklichkeit überhaupt nicht existiert. Vielmehr konnte Israel zunächst, wenn es seinen Glauben an Jahwe, den einen und ewigen Gott, rein erhalten wollte, überhaupt nicht oder nur vorsichtig von Satan sprechen. Denn es lebte ja in einer heidnischen Umwelt, die geradezu von Engel- und Dämonenwesen wimmelte, welche nach Vorstellung ihrer Verehrer mehr oder weniger göttlichen Rang besaßen und zusammen einen unberechenbaren Götterhimmel bildeten, vor dem die Menschen sich in knechtischer Furcht ducken mussten. Israel hingegen stach unter diesen Völkern hervor durch seinen Glauben an den einen und ewigen Gott, den Herrn über alles, was sich Götter nennt, den Schöpfer und einzigen Lenker der Welt, dem selbst die dämonischen Mächte untertan sind. Israel war sich dieses Glaubens, wie die zahlreichen Spottlieder auf die Götzen seiner Umwelt in den Prophetenbüchern zeigen (Jes 40,18-20; 44,12-20; Jer 10,1ff. u. a.), voller Stolz bewusst, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es in ihm erfahren durfte: Vor diesem Herrn von Schöpfung und
13 Geschichte können wir in Freiheit aufrecht stehen ohne jede knechtische Furcht vor göttlichen Launen. So verzichtete man in Israel zunächst auf die Rede von einer eigenständigen überirdischen Macht des Bösen in der Welt, um das Missverständnis zu vermeiden, es könnte sich bei ihr um eine Art Gegengott zu Jahwe handeln. In der gesamten vorexilischen Zeit findet sich deshalb kein einziges Mal die Rede von Satan, bis schließlich in nachexilischer Zeit neue Umstände dazu zwangen. Es war das überdimensionale Anwachsen der Macht des Bösen in einer jahrhundertelangen Unterdrückung und Ausbeutung Israels durch die heidnischen Großmächte. Hinzu kam, dass Israel jetzt, nach dem Ende des Exils, wo es von Jahwe selbst begnadigt und wieder als Gottesvolk angenommen worden war, die heidnischen Mächte nicht mehr als Gerichtswerkzeuge in Gottes Hand betrachten konnte. Mit aller Wucht spürte es stattdessen, dass hinter den Gewalttaten der Heidenvölker das Aufbegehren einer eigenständigen von Gott losgelösten satanischen Macht steht, die zum Kampf gegen Gott um die Herrschaft in dieser Welt angetreten ist. Um jedoch jedes falsche Verständnis dieser Macht im Sinne eines Gegengottes zu Jahwe auszuschalten und jedem Dualismus unmissverständlich vorzubeugen, wies man Satan einen untergeordneten Platz unter Gott zu – im Bild gesprochen – einen Platz neben anderen Mitgliedern in der himmlischen Ratsversammlung (Sach 3,1-8; Ijob 1,6-12; 2,1-7). In diesem Sinne lässt der Ijobdichter in V. 6 Satan inmitten der Gottessöhne auftreten. Die Gottessöhne sind nach alttestamentlicher Vorstellung Engelwesen, die der überirdischen Welt angehören und aufgrund ihrer größeren Gottesnähe Einblick in Gottes Geschichtsplanung besitzen. Indem der Ijobdichter Satan in ihre Reihen einordnet, bringt er jedoch nicht nur dessen Unterordnung unter Gott zum Ausdruck, sondern auch den Glauben, dass selbst Satan einst zu der ursprünglich guten Schöpfung Gottes gehörte. Wie es allerdings dazu kam, dass aus dem Engel ein Satan wurde, aus dem ursprünglich guten Geschöpf Gottes ein Widersacher Gottes und der Menschen,
14 das lässt der Ijobdichter ebenso im Dunkeln wie der Verfasser der biblischen Urgeschichte das Werden der Schlange. Erst in viel späterer Zeit dachte man darüber nach und entwickelte zunächst im spätjüdischen außerkanonischen Schrifttum den Gedanken vom Engelsturz, dem eine schwere Versündigung der Engel vorausgeht – so z.B. im Henochbuch (15f; 69) oder in Jubilaen 10. Das Neue Testament nahm dann diesen Gedanken auf, indem es von Engeln sprach, „die ihre Würde nicht wahrten" – so im Judasbrief 6) – und sich gegen Gott „versündigten" – so in 2 Petr 2,4. Die Theologie der Kirchenväter und die spätere dogmatische Lehrentwicklung der Kirche stützen sich auf dieses neutestamentliche Zeugnis. So schreibt Augustinus in seinem Werk "De nuptiis et concupiscentia" um 419: „Der Teufel selbst ist ein unreiner Geist, und zwar gut, weil er Geist ist, böse, weil er unrein ist; Geist ist er von Natur, unrein durch seine Schuld, das erste von beiden ist von Gott, das zweite von ihm selbst"9. Das IV. Laterankonzil 1215 n. Chr. formuliert schließlich dieselbe Lehre verbindlich gegen die Albigenser und Katharer: „Der Teufel und die anderen Dämonen sind von Gott zwar von Natur aus gut erschaffen worden, durch sich selbst sind sie aber böse geworden"10. Letztlich bleibt jedoch auch hier das „Wie" und „Warum" der Sünde der Engel im Dunkeln. Es entzieht sich in seinen Wurzeln grundsätzlich dem menschlichen Überblick und verweigert sich jeder rationalen Einordnung. So schwebt Satan als eine stetige irrationale Urbedrohung über der Menschenwelt, was der Ijobdichter in V. 7 mit den Worten Satans selbst zum Ausdruck bringt, als er auf die Frage Gottes, woher er komme, antwortet: „Vom Umherschweifen auf der Erde und vom Umherwandern auf ihr“. In den folgenden Versen 8-11 offenbart Satan sich dann unverhüllt als Widersacher Gottes und der Menschen, und zwar insbesondere derjenigen Menschen, die sich in Treue Gott zugewandt haben. Im Hintergrund steht die bittere Erfahrung der Frommen in nachexilischer Zeit, dass ihre Treue zu Jahwe 9 Augustinus, zitiert nach J. Auer, Die Welt – Gottes Schöpfung. Kleine Katholische Dogmatik III, Regensburg 1975, 502. 10 DS 800 – D 428 – NR 295, 918.
15 nicht Segen, sondern Fluch auf sie herabrief: „Um deinetwillen werden wir dahingemordet Tag für Tag“, klagt ein Beter in Ps 44,23. So wuchs mehr und mehr die Einsicht, dass der im Hintergrund der Geschichte sich vollziehende Kampf Satans gegen Gott um die Herrschaft in dieser Welt letztlich ein erbitterter Kampf Satans gegen das Volk Gottes ist, ja dass letzteres gar zur ersten Zielscheibe seines Angriffs wird. Denn es ist sozusagen die innerste Festung, der ureigene Machtbereich Gottes, den der Feind um jeden Preis stürmen muss, um wirklich Sieger zu sein. Diese Festung Gottes, sein ureigener Machtbereich wird in der Himmelsszene repräsentiert durch den Frommen Ijob, in dem die Frommen des Gottesvolkes sich selber sahen. Gott bestätigt ihre Frömmigkeit auf vierfache Weise und hebt ausdrücklich hervor, dass sie aufgrund ihrer Treue ihm auf eine unübertreffliche Weise nahegekommen sind: „Es gibt keinen wie ihn auf der Erde", spricht Gott zu Satan, „einen Mann, fromm und rechtschaffen, der Gott fürchtet und das Böse meidet" (V. 8b); und schließlich nennt Gott Ijob bzw. die Frommen sogar seine Knechte, d. h. seine Erwählten, zu denen er ein einzigartiges Verhältnis der Liebe und des Vertrauens besitzt (V. 8a). Genau dieses Verhältnis ist jedoch das eigentliche Angriffsziel Satans. Schon bei seinem ersten Auftreten hatte Satan sich ja als der bezeichnet, dessen Hauptbetätigung im ruhelosen und missgünstigen Umherschweifen in der Menschenwelt besteht. Er ist unablässig darauf aus, eine ungeschützte Flanke in ihr zu finden, um in sie den Keil des Misstrauens zwischen Gott und den Menschen einzutreiben. Satan ist, so will der Ijobdichter sagen, seinem ganzen Wesen nach auf Zerstörung ausgerichtet, und zwar auf die Zerstörung des personalen Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Deshalb diffamiert er im Gespräch mit Jahwe Ijobs Frömmigkeit als Eigennutz und zweifelt Gottes Urteil, sein vertrauensvolles Urteil über den Menschen, als falsch an (V. 9-11). Ärgerniserregend ist dann die Antwort, die Gott gibt: „Siehe, alles, was ihm gehört, sei in deiner Hand! Nur gegen ihn selbst darfst du deine Hand nicht ausstrecken!" (V. 12). Eigentlich müsste man erwarten, dass Gott seinen treuen
16 Knecht gegen die ungerechtfertigten Angriffe Satans in Schutz nimmt und Satan selbst in die Flucht schlägt. Doch im Gegenteil, er lässt Satan gewähren und gibt ihm widerstandslos eine fast uneingeschränkte Macht über den Menschen: Seinen ganzen Besitz, d.h. sämtliche Segensgaben Gottes, darf Satan vernichten; nur das nackte Leben des Menschen darf er nicht antasten. Im Hintergrund steht, wie schon oben erkannt, die dunkle Erfahrung Israels in nachexilischer Zeit, dass Jahwe es scheinbar ungerührt dem Machtspiel der heidnischen Großvölker ausgeliefert und ihm so alle Segensgüter genommen hat. Es musste hilflos zusehen, wie die Macht des Bösen mehr und mehr triumphierte, so dass die Geschichte den Eindruck erweckte, als sei sie nicht mehr in Gottes, sondern in Satans Hand. Das war eine wahrhaft erschreckende und ärgerniserregende Erfahrung für Israel, die seinen Glauben, seine personale Beziehung zu dem Gott Jahwe, der doch einst zu seinem Volk gesagt hatte: „Ich bin da für euch, zu eurer Rettung und zu eurem Heil“, einer schweren Belastungsprobe unterzog: Wer ist nun der eigentliche Herr der Geschichte, Jahwe oder der Satan? Ist es Jahwe, warum setzt er dann seine personale Beziehung zu seinem Volk einer so furchtbaren Prüfung aus, wo doch die Gefahr besteht, dass sein Volk ihr unterliegt und Gott flucht, wie der Satan in V. 11 erwartet? Die letzte Antwort auf diese Frage gibt Gott selbst in seinem Sohn Jesus Christus, in dessen Tod er die Macht Satans endgültig überwunden hat. Im Blick auf den leidenden Menschen kann der Christ deshalb zuversichtlich sagen, wie Helmut Thielicke es einmal formulierte: „Im Grunde weiß das Neue Testament auf jeder Seite, dass wir Menschen immer in der Bedrängnis stehen; aber es weiß auch, dass Gott gerade das, was uns so unter Druck setzt, zu einem Material des Glaubens machen und uns daran die große, souveräne Freiheit der Kinder Gottes verdeutlichen will. Wer nur im Sonnenlicht lebte und sich die reifen Früchte in den Mund wachsen ließe, hätte sozusagen keine Chance, das Dennoch des Glaubens überhaupt zu erlernen. Darum begnadet uns Gott mit Druck und Anfechtung; und die wahren Kinder Gottes haben es deshalb immer gewusst, was sie dem Schweren und Bedrückenden verdanken, auch wenn es
17 ihnen meist erst in der Rückschau aufgegangen ist wie etwa dem Knecht Gottes Hiob"11. Auch der Ijobdichter weiß, dass das Leiden des frommen, um Gott bemühten Menschen eine Anfechtung seines Glaubens ist, nicht ein Ausfluss der Bosheit Gottes, und dass es sich für den Leidenden schließlich zur Gnade wandelt. Denn das Ringen um Gott in Klage und Anklage, wie wir es dann in der anschließenden Ijobdichtung ab Kap. 3 erleben, führt zu einer Begegnung mit Gott, aus der der Leidende gewandelt und – von Gott auf eine neue umfassendere Weise angenommen – gestärkt hervorgeht. III. Die Macht des Bösen als Antichrist (der Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt) in Offb 12,1-17 Die bis hierher aufgezeigten alttestamentlichen Glaubenstraditionen von der Todfeindschaft der Macht des Bösen gegen das Gottesvolk bzw. gegen jeden einzelnen Menschen im Verlauf der Geschichte und das Wissen um ihre endgültige Besiegung am Ende der Zeiten, fließen alle in die apokalyptische Schilderung von Offb 12 im Neuen Testament ein. Dort fügen sie sich unter dem Vorzeichen der Erfahrung mit Jesus Christus, der gekommen ist, um die Macht des Bösen am Kreuz endgültig zu besiegen, zu einem ganz neuen Bild zusammen. Zunächst wird das ausdrückliche Bemühen des Verfassers, sich in eine Linie mit der alttestamentlichen Glaubensüberlieferung zu stellen, unmissverständlich deutlich an seiner Kennzeichnung der Macht des Bösen. Er greift nämlich sämtliche im Alten Testament vorhandenen Begriffe für jene Macht auf – so den Begriff „Drache“ (Offb 12,3f.7.9.13.16) aus Jes 27,1 (vgl. auch Ps 74,13; Ijob 7,12; Jes 51,9 u. ö.), den Begriff „Schlange“ (12,9.14.15) aus Gen 3 (vgl. auch Jes 27,1; 14,29; 65,25) und die Bezeichnungen „Teufel“ (12,9.12) und „Satan“ (12,9) aus Ijob 1-2; 1 Chr 21,1 und Sach 3,1-8. 11 Helmut Thielicke, Von der Freiheit, ein Mensch zu sein, Freiburg 1981,34.
18 Darüber hinaus stellt er durch die beiden Kennzeichnungen der Macht des Bösen als „Verführer der ganzen Welt“ und als „Ankläger unserer Brüder“ – so in Offb 12,9 und 10 – eine ausdrückliche Beziehung zur Rolle der Schlange in Gen 3 her und weist so auf ihre universale Dimension, d.h. auf ihren den gesamten Raum von Schöpfung und Geschichte umfassenden Aktionsradius hin. Denn im Sturz des Drachen, den er in 12,9 schildert, vollendet sich für ihn das heilvolle Handeln Gottes, das schon am Anfang der Schöpfung mit der Verfluchung der Schlange begann und sich trotz aller Widerstände im Verlauf der Geschichte bis zu jener endgültigen Besiegung am Ende durchsetzte. Schauen wir nun im Einzelnen auf den Text von Offb 12: In V. 1-2 ist davon die Rede, dass ein großes Zeichen am Himmel erscheint, eine Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen um ihr Haupt. Sie ist schwanger und schreit in Geburtsqualen. Die Frau verkörpert zunächst das alttestamentliche Gottesvolk, bestehend aus zwölf Stämmen, das im Rahmen der nun hier beginnenden Endzeitereignisse wieder ganz in seine ursprüngliche Würde als Ebenbild und Zeuge Gottes eingesetzt ist. Dabei versinnbildlichen die lichttragenden Schöpfungselemente wie Sonne, Mond und Sterne die Herrlichkeit Gottes, die der widergöttlichen Finsternis diametral entgegengesetzt ist. Dass sie die Frau umgeben, bedeutet, dass das durch das Gericht der Endzeit hindurch gerettete Gottesvolk wieder in Harmonie mit dem Kosmos lebt und von der Herrlichkeit Gottes umgeben und erfüllt ist. Und nicht zuletzt weist auch das Erscheinen der Frau am Himmel, losgelöst also von jeder historisch-geographischen Lokalisierung, auf die Universalität der Aufgabe des Gottesvolkes in der Endzeit im gesamten Kosmos hin. Dass die Frau in Wehen und Geburtsqualen schreit, also offensichtlich schwanger und kurz davor ist zu gebären, weist darauf hin, dass das alttestamentliche Gottesvolk den Messias hervorbringen wird. Die Wehen und
19 Geburtsqualen widersprechen dabei seiner endzeitlichen Würde nicht. Wehen und Geburtsqualen sind ja im Alten Testament Ausdrucksweisen für die Reaktion der sündigen Schöpfung auf die Begegnung mit Gott am Ende der Zeiten (vgl. Jes 26,16ff.; Mich 4,9-10, im NT Joh 16,21ff.). Und das Gottesvolk selbst ist, solange es in dieser Welt lebt, einbezogen in jene sündige Schöpfung. Gerade als solches, von Gott in seine ursprüngliche Würde wieder eingesetztes Gottesvolk aber, das überdies auch noch den Messias hervorbringt, ist das Israel der Endzeit natürlich die Zielscheibe besonders heftiger Angriffe durch die Macht des Bösen (V. 3f.). Denn diese dämonische Macht, die alles Sinnen und Trachten darauf setzt, den Menschen von Gott zu trennen, kann die Wiederherstellung der Freundschaft zwischen Gott und Mensch nicht ertragen. Sie muss sie um jeden Preis verhindern. Zugleich weiß sie, dass ihr mit dem Kommen des Messias der Todesstoß versetzt wird. So gehört es geradezu zur Kennzeichnung des endzeitlichen Israel, dass es ausgerechnet wegen seiner Würde besonders viel zu leiden hat und zusammen mit dem Messias von der Macht des Bösen mit tödlichem Hass verfolgt wird. V. 5 markiert dann den Umbruch in der allegorischen Darstellung der Frau: Durch die Geburt des Kindes, d.h. durch die Ankunft des Messias, wandelt sich das altbundliche Gottesvolk Israel, weil es den Messias hervorgebracht hat, zum neubundlichen Gottesvolk der Endzeit, der Kirche. Die Aussage, dass das Kind der Frau „über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird“, ist ein Ausdruck der eschatologisch-apokalyptischen Messiaserwartung im Alten Testament (Ps 2,9). Sie findet gleich im Anschluss ihre christliche Ergänzung in der Aussage, dass das Kind „zu Gott und zu seinem Thron entrückt wurde“. In Jesus Christus, will der Autor sagen, der nach seinem Sieg über die Macht des Bösen in seiner Passion und Auferstehung erhöht wurde zum „Thron“, d.h. in die Herrlichkeit Gottes, und der nun von dort die Ausübung der ewigen Gottesherrschaft übernommen hat, in diesem Jesus Christus hat sich jene alttestamentliche Erwartung des Messias, der am Ende der Zeiten mit eisernem Zepter über alle Völker herrschen wird, erfüllt.
20 In den Versen 7-12 wird dann sozusagen die „Kamera“ umgeschwenkt und der Blick in eine metahistorische Wirklichkeit, eine geistige Welt hinter der Geschichte, frei gegeben. Diese enthüllt die tieferen, unsichtbaren Wurzeln der historischen Vorgänge. In dieser geistigen Welt sehen wir einen dramatischen Kampf im Himmel zwischen Michael und seinen Engeln einerseits und dem Drachen oder Teufel oder Satan und seinen Anhängern andererseits. Im Verlauf dieses Kampfes wird der Drache samt seinen Anhängern besiegt und auf die Erde gestürzt. Eine laute Stimme vom Himmel deutet das Geschehen folgendermaßen: „Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes …, denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder“ (12,10). Doch unvermittelt lenkt die deutende Stimme den Blick wieder in die Geschichte hinein, indem sie verkündet: Der Drache, Satan oder Teufel, wurde besiegt „durch das Blut des Lammes“ (12,11). Der Sieg Gottes über die Macht des Bösen, die im Rahmen der apokalyptischen Bildwelt als das Ergebnis eines machtvollen Kampfes im Himmel dargestellt wurde, ist historisch errungen worden durch die demütige Hingabe Gottes in die Ohnmacht des Kreuzesopfers Jesu Christi. Im Hintergrund dieser Verse 7-12 stehen verschiedene alttestamentliche Traditionen, die hier zusammenfließen. Allen sind zwei theologische Aussagen gemeinsam: 1. dass die Macht des Bösen eine eigenständige, metahistorische Größe ist, deren Angriffe vordergründig auf das Gottesvolk, hintergründig aber auf die Entthronung Jahwes selber zielen, weshalb diese Macht auch als Antijahwe bezeichnet werden muss; 2. dass es Jahwe selbst ist und nur er, der mächtiger ist als jene Macht und sie am Ende besiegen und vernichten wird. Beide theologische Aussagen werden in Offb 12 aufgegriffen und im Licht Jesu Christi weitergeführt:
21 Erstens offenbart die Macht des Bösen die Widergöttlichkeit ihrer Angriffe nun ungeschminkt, indem sie zuallererst auf die Vernichtung des Kindes, des Messias, zielt (V.5) und erst in zweiter Linie, als diese misslingt und sie ihrer Entmachtung durch Gott gewahr wird, den Auserwählten Gottes den Krieg erklärt (V. 13b-17). Insofern es jedoch eigentlich Jesus Christus ist, dem ihr Angriff gilt, ist sie letztlich als „Antichrist“ zu bezeichnen – in Entsprechung zu dem alttestamentlichen Antijahwe. Zweitens ist es auch in Offb 12 Gott allein, der mächtiger ist als die Macht des Bösen; denn der Drache wurde von Gott gestürzt (12,9) und der rettende Sieg und die Herrschaft Gottes ausdrücklich proklamiert. Hingegen kämpft, anders als in den alttestamentlichen Texten, in Offb 12 nicht Gott selbst, sondern der mit Gottes Auftrag und Vollmacht ausgestattete Erzengel Michael. Dies ist eine Ausdrucksweise, die dem schon im Alten Testament sich mehr und mehr herausbildenden Bewusstsein von der Erhabenheit Gottes Rechnung trägt; aber letztlich meint sie niemand anderen als Gott selbst. Das entscheidend Neue gegenüber der alttestamentlichen Glaubenstradition besteht jedoch in der Tatsache, dass der Sieg Gottes über die Macht des Bösen letztlich nicht durch das Schwert, wie in Jes 27,1 z.B., also nicht durch ein machtvolles Strafgericht Gottes in einer gewaltigen apokalyptischen Schlacht und unter den kosmischen Begleiterscheinungen einer Theophanie in der Zukunft erwartet wird, sondern dass dieser Sieg durch das „Blut des Lammes“ (V.11), d.h. durch die demütige Hingabe Gottes in der Passion seines Sohnes am Kreuz schon jetzt errungen worden ist. In dieser Hingabe Gottes hat sich das im Alten Testament in vielfacher Gestalt erwartete Endgericht über die sündige Schöpfung schon vollzogen und ganz anders vollzogen, als erwartet. In ihr wurde die todbringende Macht des Bösen endgültig gebrochen und in der Auferstehung Jesu das ewige Leben geschenkt. In ihr hat Gott somit seinen in der Schöpfung grundgelegten Heilsplan mit der Menschheit zur Vollendung geführt.
22 Allerdings – so wird dann im dritten Abschnitt, in Offb 12,13-17 deutlich – geht das Leiden des Gottesvolkes des Neuen Bundes, d.h. das Leiden der Kirche und eines jeden Gliedes in ihr, unter dem Ansturm Satans auch jetzt noch unvermindert weiter; ja es scheint sich unter der ohnmächtigen Wut des entmachteten und zu Tode getroffenen Widersachers noch gesteigert zu haben. Kein Wunder, dass daraus der Kirche im 1. Jh. n. Chr. eine schmerzliche Glaubensanfechtung erwuchs: Hat Gott wirklich die Macht des Bösen besiegt? Und wenn ja, warum überlässt er uns dann immer noch ihrer Gewalt und damit dem Tod? Das ist eine Anfechtung, die die Menschen gerade auch heute befällt, denkt man an den unfasslichen Terror fanatisierter Gruppen, der inzwischen auch in unser Land eingezogen ist und überall bis in die privatesten Lebensbereiche hinein als eine beständige Bedrohung erlebt wird. Der Autor von Offb 12 antwortet seiner Gemeinde – und damit auch uns heute – mit einer wichtigen Offenbarungserkenntnis. Er unterscheidet zwischen der grundsätzlichen Besiegung und Entmachtung Satans durch den Tod, die Auferstehung und Erhöhung Jesu beim Vater einerseits, und seiner endgültigen Vernichtung bei der Wiederkunft Jesu Christi am Ende der Zeit andererseits. Die dazwischenliegende Zeit, die Zeit der Kirche – es ist die Zeit, in der wir heute leben –, ist keine bequeme Ruhe- oder gar langweilige Wartezeit. Sie ist die Zeit eines großen geistlichen Kampfes, der sich verborgen hinter den Vorgängen der Weltgeschichte abspielt. Es ist ein unerbittlicher Kampf der Mächte der Finsternis gegen die Kirche und alle, die sich zu Jesus Christus bekennen. Denn wie in einem letzten Aufbäumen sammelt die schon zu Tode getroffene Macht des Bösen noch einmal alle Kräfte, um einen verzweifelten, weil aussichtslosen, Krieg gegen die Menschheit und insbesondere gegen das von Jesus erlöste neue Gottesvolk zu entfesseln, um damit letztlich Gott selbst zu treffen. „Das Problem des Bösen bleibt eines der größten, ständigen Probleme für den menschlichen Geist, auch nach der sieghaften Antwort, die Jesus
23 Christus darauf gegeben hat“12, sagt Papst Paul VI. in seiner zu Anfang erwähnten Audienz. Mit Hilfe dieser Offenbarungserkenntnis vermögen wir Christen heute unsere gegenwärtig bedrohliche Situation und die in ihr wirkenden Mächte tiefer zu deuten, denn wir leben ja mitten in dieser soeben beschriebenen Zwischenzeit der Kirche. In all der grausamen und sinnlosen Gewalt, die uns sowohl in dem offenen Morden in rücksichtslosen Eroberungskriegen als auch in dem feigen hinterhältigen Morden bei Selbstmordattentaten und Amokläufen entgegentritt, dürfen wir sicherlich u.a. dieses letzte Aufbäumen der schon zu Tode getroffenen Macht des Bösen sehen. Wir wissen ja, dass sie sich immer historische Mächte dienstbar macht, um das Gottesvolk zu vernichten und damit im Letzten Gott selbst zu entthronen. Bedenkt man dazu noch, dass die IS und ähnliche radikal-muslimische Gruppen ihre Terrorakte explizit gegen „Rom“, das Zentrum der Kirche und damit der christlichen Welt, richten und eine ausdrücklich antichristliche Weltherrschaft anstreben, dann tritt ihr dämonischer Charakter noch offener zutage. In ihnen kommt uns in der Tat jener in der Offenbarung des Johannes angekündigte „Antichrist“ – oder alttestamentlich gesprochen: „Antijahwe“ – entgegen, der am Ende der Zeit noch einmal seine ganze dämonische Macht entfaltet. Doch wir Christen dürfen in all dem Leiden unter dem Antichrist und seiner dämonischen Machtentfaltung wissen, dass seine Macht schon längst gebrochen ist. Für uns gibt es keine Zweifel an der Erlösungstat Jesu, denn es gilt für uns, wie der Autor des Hebräerbriefes sagt, dass Jesus „Fleisch und Blut angenommen (hat), um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel“ (Hebr 2,14). Und in Joh 16,11, sagt Jesus:„Der Herrscher dieser Welt ist gerichtet!“ Darüber hinaus ist uns Christen in der Zwischenzeit von Gott eine geistliche Waffenrüstung im Kampf gegen den Satan zur Verfügung gestellt. Sie macht 12 Paul VI., in: Johannes Paul II., die Engel. Sechs Papstkatechesen, Stein am Rhein, 2. Auflg. 1991, 49f..
24 uns letztlich unbesiegbar für ihn. Der Apostel Paulus spricht davon in Eph 6,10- 13: „6,10 Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn! 11 Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels wiederstehen könnt. 12 Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs. 13 Darum legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt.“ Und nicht zuletzt gilt der gesamten Kirche sowie jedem Einzelnen in ihr die Verheißung: „Der Gott des Friedens aber wird den Satan bald unter euren Füßen zermalmen“ (Röm 16,20).
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