FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln
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FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 Der Forschungsnewsletter der Deutschen Sporthochschule Köln INHALT PAPER / Handbewegungen und Gehirnerschütterungen – wie passt das zusammen? S.02 PROJEKTE / Homophobie und Transphobie im Sport? Ja! – erste flächendeckende europäische Studie S.04 PERSONEN / Oliver Jan Quittmann: „Beim Science Slam kann ich meine Leidenschaft für Wissenschaft, Sport und Musik ideal kombinieren“ S.06 NEWS / S.08
PAPER - Handbewegungen und Gehirnerschütterungen Was haben Handbewegungen während eines Gesprächs mit Gehirnerschütterungen im Sport zu tun? Bewegen Sport- lerinnen und Sportler, die schon mal eine Gehirnerschütterung erlitten haben, ihre Hände anders, als Sportlerinnen und Sportler ohne Gehirnerschütterung? Dr. Ingo Helmich hat hierzu Zusammenhänge untersucht und erstaunliche Ergebnisse zu Tage gefördert, die nun im renommierten Journal of Neurotrauma veröffentlicht wurden. KONTAKT Dr. Ingo Helmich Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation i.helmich@dshs-koeln.de +49 221 4982-7290 Wenn sich Menschen mit anderen Menschen unterhalten, ist es üblich, unter anderem in irregular-, on body- oder act on each other-Handbewe- dass sie mit den Händen gestikulieren. Zum Beispiel betonen sie anhand gungen. Streicht die Person etwa mit einer Hand über ihren Oberschenkel, von Gesten das Gesagte oder zeigen Richtungen an. Man spricht hierbei spricht man von einer on body-Handbewegung. Greift die eine auf die an- von nonverbalem Verhalten oder dem Handbewegungsverhalten. Neben be- dere Hand, ist die Spezifizierung act on each other erfüllt. „Unter irregu- wussten Gesten, etwa wenn jemand einen Weg erklärt, treten während einer lären on body-Handbewegungen verstehen wir Selbstberührungen, die im Unterhaltung auch unbewusste Bewegungen auf, z.B. Selbstberührungen, eigentlichen Sinn keine bewusste Funktion erfüllen, zum Beispiel unbe- wenn sich jemand kratzt oder sich selbst über den Arm streicht. Vermehr- wusstes Knibbeln mit den Fingern, im Englischen fidgeting“, beschreibt te Selbstberührungen wurden bereits bei mehreren Krankheitsbildern wie Helmich die spezifische Handbewegung, die bei seinen Experimenten ent- z.B. depressiven Störungen beschrieben. Da sportbedingte Gehirnerschüt- scheidend war. „Unseren Untersuchungen stellten wir die Hypothese voran, terungen oft mit ähnlichen Symptomen einhergehen, hat Dr. Ingo Helmich dass Athleten, die schon mal eine Gehirnerschütterung erlitten haben und nun in einem Experiment untersucht, ob das Handbewegungsverhalten von die damit verbundenen Symptome aufweisen, stärkere Knibbelbewegungen SportlerInnen während eines Gesprächs Rückschlüsse dazu erlaubt, ob der- mit den Händen machen als die gehirnerschütterten Probanden ohne Sym- oder diejenige schon mal eine Gehirnerschütterung erlitten hat und even- ptome und Athleten ohne Gehirnerschütterung“, sagt Helmich. tuell noch unter Symptomen leidet. Und tatsächlich: Die Ergebnisse zeigen eindeutige Zusammenhänge. Kern der Untersuchungen waren so genannte Anamnesegespräche, die der Wissenschaftler mit den Sportlerinnen und Sportlern im Rahmen eines Helmich hat sich auf die Forschung zu sportbedingten Gehirnerschütte- Concussion-Protokolls führte. Die insgesamt 40 StudienteilnehmerInnen rungen spezialisiert. Eines seiner Ziele ist dabei, die Diagnoseinstrumente waren dabei in drei Gruppen eingeteilt: Gehirnerschütterte mit Symptomen zu verbessern, um frühzeitig zu erkennen, ob eine Gehirnerschütterung (N = 14), Gehirnerschütterte ohne Symptome (N = 14) und SportlerInnen vorliegt, wann ein Athlet seinen Sport wieder aufnehmen kann und wie sich ohne Gehirnerschütterung (N = 12). Die Einteilung erfolgte mit dem „Sport ein verfrühter Wiedereinstieg vermeiden lässt. „Die Methoden, eine Gehirn- Concussion Assessment Tool – 3rd edition“ (SCAT3). Bei den Gehirnerschüt- erschütterung zu diagnostizieren, werden nach wie vor heiß diskutiert, terten mit Symptomen lag die Gehirnerschütterung im Mittel zwischen elf vor allem hinsichtlich Sensitivität, Objektivität, Reliabilität und Kosten. und 17 Monaten zurück, bei den Gehirnerschütterten ohne Symptome zwi- Oftmals kehren Athleten zu früh in ihren Sport zurück, bevor die Symptome schen zweieinhalb und fünf Jahren. Die Probanden wurden in dem zehn- vollständig abgeklungen sind“, erklärt Helmich. Die Studien der Abteilung bis 15-minütigen Gespräch zu ihrem sportlichen Hintergrund, ihren Erfah- für Neurologie, Psychosomatik und Psychiatrie der Deutschen Sporthoch- rungen mit Gehirnerschütterungen und bestehenden Symptomen befragt. schule Köln konnten bereits belegen, dass die funktionale Nah-Infrarot Vier zertifizierte und der Forschungsfrage gegenüber naive Rater werteten Spektroskopie (fNIRS) ein geeignetes bildgebendes Verfahren darstellt, um anschließend das Videomaterial mit dem NEUROGES-Kodiersystem aus. sportbedingte Gehirnerschütterungen funktional nachzuweisen. „Als wichtigstes Ergebnis sehen wir in den Analysedaten, dass die ir- Nun hat sich der Forscher einer völlig anderen Diagnosemethode ge- regulären Handbewegungen, sprich Knibbelbewegungen, bei den Gehirner- widmet: der Analyse des Handbewegungsverhaltens. Diese Idee geht auf schütterten mit Symptomen deutlich stärker ausgeprägt sind, also zeitlich Studien zum gestischen Verhalten in der Psychotherapie zurück, die bereits länger andauern, als bei Gehirnerschütterten ohne Symptome“, fasst Hel- zeigen konnten, dass Patienten mit Alzheimer-Erkrankung, Parkinson oder mich das Hauptergebnis zusammen. So ist etwa der Zusammenhang zwi- Depressionen, Veränderungen im nonverbalen Handbewegungsverhalten schen dem Symptom „Benommenheit/Schläfrigkeit“ und längeren Phasen aufweisen. Diese Analysen basieren auf dem NEUROGES-System, entwickelt von Knibbelbewegungen signifikant. Psychopathologische Untersuchungen von Univ.-Prof. Dr. Hedda Lausberg, Leiterin der Abteilung Neurologie, zeigen, dass irreguläre Handbewegungen ein Charakteristikum bei depres- Psychosomatik und Psychiatrie. NEUROGES steht für NEUROpsychological siven Patienten sind. Es ist außerdem bei Patienten mit Depression doku- GESture System. Bei dem Verfahren werden während eines Gesprächs Hand- mentiert, dass im Verlaufe einer erfolgreichen Psychotherapie die kontinu- bewegungen einer Person per Video aufgezeichnet, kategorisiert und ko- ierlichen Selbstberührungen abnehmen. Es wird angenommen, dass sich die diert und letztlich mit kognitiven, emotionalen und interaktiven Prozessen Patienten selbst berühren, um Stress oder Erregung zu regulieren und sich in Zusammenhang gebracht. Unterschieden werden die Handbewegungen selbst zu beruhigen. FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 2
Laut Helmichs Ergebnissen lässt sich also von der Art der Handbewe- gungen auf konkrete Symptome von Gehirnerschütterungen rückschließen. Somit könnte diese Methode als Diagnoseinstrument geeignet sein und davor schützen, dass SportlerInnen nach einer Gehirnerschütterung zu früh in den Sport zurückkehren, bevor alle Symptome vollständig abgeklungen sind. Das Verhalten von SportlerInnen mit Symptomatik nach Gehirner- schütterungen und späterer Entwicklung von chronischer traumatischer Enzephalopathie (CTE) wird oft als agitiert und ruhelos beschrieben. Daher stellt sich für Helmich in zukünftigen Studien die Frage, ob die systemati- sche Analyse von Handbewegungsverhalten langfristige Einschränkungen nach sportbedingten Gehirnerschütterungen vorhersagen kann. Dem Modell käme zugute, dass es relativ einfach umsetzbar und zudem nicht kostspie- lig wäre. „Die neuropsychologische Analyse des Handbewegungsverhaltens sollte daher künftig als neuropsychologischer Parameter bei Concussion Management Protokollen berücksichtigt werden“, empfiehlt Helmich. Weitere Infos: www.gehirnerschuetterungimsport.com Ein Video, das die Handbewegungen verdeutlicht, finden Sie hier. Text: Julia Neuburg FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 3
PROJEKTE - Homophobie und Transphobie im Sport? Ja! Der britische Fußballer Justin Fashanu war 1990 der erste aktive Profi, der sich outete. Acht Jahre später nahm er sich das Leben. In Deutschland war Thomas Hitzlsperger der erste Fußball-Profi, der sich zu seiner Homosexualität bekannte – allerdings erst nach seiner aktiven Karriere. Bislang hat sich noch kein aktiver deutscher Fußball-Profi geoutet. Homophobie ist im Sport nach wie vor weit verbreitet. Das zeigt eine Studie des Instituts für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln, unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ilse Hartmann-Tews. KONTAKT Tobias Menzel Institut für Soziologie und Gender- forschung +49 221 4982-4881 t.menzel@dshs-koeln.de Mehr als 5.500 Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und interse- Gibt es Sportarten, die sich als besonders homophob herausgestellt ha- xuelle Menschen (LGBTI+) aus allen 28 EU-Staaten nahmen an der On- ben? line-Befragung teil. Neun von zehn Befragten sind der Ansicht, dass es Es gibt ganz eindeutig ein paar Sportarten, die deutlich homophober und im Sport ein Problem mit Homophobie und Transphobie gibt. 16% derje- transphober sind als andere. Basketball ist bei uns der Spitzenreiter, da gibt nigen, die in den letzten zwölf Monaten sportlich aktiv waren, berichten es die meisten negativen Erfahrungen. Am anderen Ende der Skala stehen von negativen Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Yoga und Sportarten, die man häufig alleine macht. Fußball ist eher weit ihrer Geschlechtsidentität. Ein Interview mit Projekt-Mitarbeiter Tobias oben, aber nicht so weit oben, wie wir ursprünglich dachten. Generell ist zu Menzel. beobachten, dass homosexuelle Frauen im Fußball eine größere Akzeptanz finden, als homosexuelle Männer. Herr Menzel, Sie haben im Rahmen des Projektes Outsport die erste flächendeckende europäische Studie zur Diskriminierung aufgrund der Der Slogan des Projektes lautet: sei fair, sei selbstbewusst. Was kann sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität im Sport durchgeführt. das Projekt leisten, damit sich alle im Sport fair behandelt fühlen? Was sind die wichtigsten Ergebnisse? Eine Maßnahme, die wir im Rahmen des Projektes umsetzen, heißt „train the Ein ganz zentrales Ergebnis ist, dass mehr als neunzig Prozent der Befragten trainers“. Wir gehen mit unseren Ergebnissen gezielt an die Verbände heran ein Problem mit Homophobie und Transphobie im Sport sehen. Das ist zu- und speziell an die Trainer, um sie für das Thema zu sensibilisieren. Da geht nächst eine ganz allgemeine Einschätzung. Wenn wir uns jetzt den Datensatz es zum Beispiel darum, dass jemand, der sich geoutet hat, einen Fürsprecher ein bisschen genauer angucken, dann war da eine Sache, die uns überrascht in der Mannschaft bekommt. Wir möchten Trainerinnen und Trainern dabei hat: Der homo- bzw. transphobe Sprachgebrauch, der als ein Indikator dafür unterstützen, mit Coming-outs und vergleichbaren Situationen fair umzuge- gesehen werden kann, dass das Umfeld homo- bzw. transphob sein könnte, hen. Wissensvermittlung spielt in unserem Projekt eine große Rolle. ist im Sport nicht weiter verbreitet, als zum Beispiel in der Schule, bei der Arbeit oder in der Freizeit. In all diesen Bereichen liegt er bei rund achtzig Welche konkreten Ziele verfolgen Sie? Prozent. Der Sport hat sich also an dieser Stelle nicht herauskristallisiert. Das oberste Ziel des Gesamtprojektes ist, ein Bewusstsein für die Situation Und was uns wirklich überrascht hat, war die Tatsache, dass von denjenigen, von LGBTI im Sport zu schaffen – und zwar nicht nur in der LGTBI-Szene, die in den letzten zwölf Monaten sportlich aktiv waren, nur – in Anfüh- sondern auch in einer breiten Öffentlichkeit. Ein Thema ist zum Beispiel rungsstrichen – sechzehn Prozent angeben, negative Erfahrungen aufgrund der homophobe Sprachgebrauch. Der Klassiker ist hier beispielsweise „der ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gemacht zu haben. Es schwule Pass“. Schwul wird als synonym für etwas Schlechtes verwendet und liegt also eine große Diskrepanz zwischen der Einschätzung des Sports im hier muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass das gewisse Leute Allgemeinen und den persönlichen Erfahrungen vor. Hier wollen wir jetzt verletzt, auch wenn es eventuell nicht böse gemeint ist. Ein weiteres Ziel ist, noch detaillierter in die Datensätze gehen und schauen, welche Faktoren dass wir Schwachstellen aufzeigen. Das kam nämlich auch bei der Befragung das Auftreten von homo- bzw. transphoben Vorkommnissen beeinflussen. Es raus, dass nur acht Prozent derjenigen, die eine schlechte Erfahrung gemacht könnte ja beispielsweise nach Ländern schwanken oder nach Sportart oder haben, dies offiziell gemeldet haben und dass knapp vierzig Prozent gar nicht nach Struktur – Vereinssport, Breitensport, Leistungssport. Wir gehen auch wissen, an wen sie sich wenden können. Und wir reden hier nicht nur von davon aus, dass die Zahl kleiner ist als erwartet, da wir uns die letzten zwölf einem blöden Spruch: bei zwanzig Prozent derjenigen, die eine negative Er- Monate angesehen haben. Es gibt viele andere Studien, in denen höhere fahrung gemacht haben, fand diese auf physischer Ebene statt. Ein weiteres Zahlen publiziert wurden, aber das sind Livetime-Erfahrungen: Irgendwann in Ziel ist natürlich auch, LGTBIs zu ermutigen, sich zu outen. Knapp ein Drittel einer sportlichen Laufbahn wurde eine homophobe Anfeindung erlebt. Hier unserer Befragten sind nicht geoutet, u.a. weil sie negative Folgen befürch- besteht die Hypothese, dass sich Personen mit LGBTI-Hintergrund im Laufe ten. Unser Projekt wirbt für Vielfalt im Sport. Vielfalt soll nicht unterdrückt ihrer Sportbiographie ein Umfeld suchen, das für sie persönlich sicher ist. werden, jeder soll sich frei entfalten können und je mehr sich outen, desto Hier werden wir weiter auswerten. breiter ist die Basis und desto breiter wird letztlich auch die Akzeptanz in der Gesellschaft. FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 4
Dem Sport werden viele positive Eigenschaften zugeschrieben: er ver- Die Online-Befragung war eine erste Teilstudie im Rahmen des Out- bindet, über kulturelle, sprachliche und soziale Unterschiede hinweg. sport-Projektes. In einer zweiten Studie werden Interviews in den Pro- Ist der Sport auch der perfekte Botschafter für einen fairen Umgang mit jektländern Italien, Schottland, Deutschland, Österreich und Ungarn ge- sexueller Vielfalt oder ist es gerade im Sport nötig, dafür zu werben, führt. Wann ist mit diesen Ergebnissen zu rechnen? weil Diskriminierung vorhanden ist? Das Outsport-Projekt, das von der Europäischen Kommission über das Eras- Das ist eine sehr gute Frage. Es ist Beides. Auf der einen Seite hat der Sport mus Plus-Programm kofinanziert wird, läuft Ende des Jahres aus. Gemeinsam ein großes Integrationspotenzial. Man sagt ja auch Integrationsmotor, da mit unseren Projektpartnern überlegen wir gerade Folgeanträge zu stellen. er eine einheitliche Sprache spricht: es sind zweiundzwanzig Spieler, zwei Im November veranstalten wir eine große Abschlusskonferenz in Budapest. Tore, ein Ball und alle wissen, was zu tun ist. Und wo jemand herkommt, Da werden wir alle Ergebnisse, auch die aus den Interviews, veröffentlichen. welche Sprache er spricht, welche Hautfarbe er hat – das ist alles egal. Das Dann werden wir noch für die beteiligten Projektländer Broschüren heraus- stimmt auch ein Stück weit. Aber auf der anderen Seite ist der Sport auch geben, die die Situation in den einzelnen Ländern darstellt und Handlungs- geprägt von Männlichkeitsbildern, vom Wettkampf und von Körperlichkeit. empfehlungen formuliert. Alle Ergebnisse werden dann auch über unsere Gerade Transsexuellen oder homosexuellen Männern wird unterstellt, dass Projektseite www.out-sport.eu publiziert. sie nicht so mutig, nicht so aggressiv und nicht so durchsetzungsstark wie heterosexuelle Männer sind. Das kann besonders in Mannschaftssportarten Interview: Lena Overbeck ein Problem werden, in denen solche Eigenschaften gefordert und belohnt werden, wie zum Beispiel im Fußball. Man will starke, durchsetzungskräftige Leute in seinen Reihen haben. Das begünstigt eine homophobe Atmosphäre, die eben auf jene Stereotype zurückzuführen ist. Man könnte aber auch an- ders argumentieren, nämlich: je vielfältiger eine Mannschaft, desto besser. Ich persönlich finde, dass man vom Sport nicht erwarten kann, dass er alle Probleme, die in der Gesellschaft vorhanden sind, lösen kann. Menschen, die im normalen Leben homophob sind, sind das wahrscheinlich auch im Sport. Sie bringen ihre Einstellung mit in den Sport. Es liegt dann an den Vereinen, Verbänden, den Strukturen und den Trainern, das Umfeld so zu gestalten, dass ein fairer Umgang möglich ist. Das Potential ist da, aber es muss richtig genutzt werden und das erfordert viel Arbeit. FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 5
PERSONEN - „Beim Science Slam kann ich meine Leidenschaft für Wissenschaft, Sport und Musik ideal kombinieren“ Wenn Oliver Jan Quittmann über Wissenschaft spricht, dann oft in außergewöhnlichem Umfeld. Dann steht er auf ei- ner hübsch beleuchteten Bühne, hält die Mundharmonika an die Lippen und startet mit Musik. Oliver Jan Quittmann (27) ist Wissenschaftler, Triathlet, Trainer und Musiker. Trainingswissenschaft und Para-Sport sind seine Leiden- schaft und ihm liegt viel daran, seine Begeisterung für diese Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Am liebsten bei einem Format, das all seine Interessen kombiniert. Im Interview gibt er einen Einblick in seine Faszination von Wissenschaft, die Forschungsprojekte, an denen er gerade arbeitet und sein Faible für das Format Science Slam. KONTAKT Oliver Jan Quittmann Institut für Bewegungs- und Neuro- wissenschaft +49 221 4982-7170 o.quittmann@dshs-koeln.de Herr Quittmann, Wissenschaft, Triathlon, Coaching und Musik. Eine Laktatkinetik bestimmt, um nachzuvollziehen, in welchem Umfang die ziemlich ungewöhnliche Kombination. Wie bekommen Sie all das unter energiebereitstellenden Systeme aktiviert sind. Die Probanden haben da- einen Hut? bei verschiedene Belastungsprotokolle absolviert: einen Stufentest bis zur Ich glaube, ich habe einfach das Glück, genau das machen zu dürfen, was Ausbelastung, einen 15-sekündigen Sprinttest und einen 30-minütigen mich täglich begeistert. Ich forsche an interessanten Fragestellungen, ar- Dauertest bei der individuell berechneten anaeroben Schwelle. Die Erkennt- beite mit motivierten Athleten zusammen, habe nette Kolleginnen und nisse sind interessant: Vor allen Dingen die Schultermuskeln werden stark Kollegen und unterrichte interessierte Studierende. Für mich ist das ein beansprucht, und je nach Belastungssituation verändert sich das Belas- absoluter Traum. So entsteht eine Leidenschaft, die Vieles möglich macht. tungsspektrum. Das können wir jetzt über Muskelaktivierung erklären. Besonders wichtig ist Ihnen dabei der Paralympische Sport. Wie hat ihr Die meisten Artikel sind bereits geschrieben und Sie planen, Ihre Pro- Engagement in diesem Bereich richtig begonnen? motion dieses Jahr abzuschließen. Womit beschäftigen Sie sich mo- Ersten Kontakt zum Paralympischen Sport hatte ich im Rahmen der Para- mentan? badminton-EM und -WM, die in meiner Heimatstadt Dortmund ausgetragen Ich hoffe es… mein Personalausweis läuft am 20. Dezember dieses Jahres wurden. Als Linien- und Schiedsrichter habe ich die Athleten live erlebt ab… (lacht). Momentan mache ich eine Studie, die mit meiner Promoti- und ihre Einstellung zum Sport hat mich sehr beeindruckt! Im November on gar nichts zu tun hat. Wir untersuchen gerade das metabolische Profil 2014, da war ich gerade zwei oder drei Monate Hilfskraft am Institut für im Laufen. Wir wollen bereits etablierte Parameter, wie zum Beispiel die Bewegungs- und Neurowissenschaft, kam Benjamin Lenatz zu uns, der vom maximale Sauerstoffaufnahme, die prozentuale Ausschöpfung der Sauer- Rollstuhlbasketball zum Triathlon umsteigen wollte. Auch wenn ich mich stoffaufnahme an der so genannten Laktatschwelle und die Laufökonomie im Rahmen meiner Bachelorarbeit mit Paratriathlon beschäftigt hatte, mit einem „neuen“ Parameter in Verbindung setzen: der maximalen Lak- wusste ich noch nicht, wie man das Training in dieser Startklasse gestaltet. tatbildungsrate. Diese stellte sich im Rahmen einer Vorstudie bereits als Ich bin da also mit einer gewissen Naivität und viel Neugier reingegangen. sehr reliabel heraus. Simulationsansätze würden sagen: Je höher die Lak- Nach den ersten Trainingsplänen und tatbildungsrate, desto niedriger die fraktionelle Diagnostiken hat sich nicht nur Benny, Ausschöpfung. Das wollen wir nun empirisch sondern auch unsere Freundschaft weiter- überprüfen. Außerdem setzen wir die Laktatbil- entwickelt. Momentan befindet er sich in dungsrate mit dem individuellen Pacing – der der Vorbereitung auf die Paralympics in Geschwindigkeitsregulation im Rennen – in Ver- Tokio 2020. bindung. In der Praxis gibt es dazu leider noch keine Erkenntnisse. Für Ihre Promotion forschen Sie auch im Bereich des Paralympischen Sports. Und die wollen Sie jetzt liefern? Wie sieht die Was genau haben Sie untersucht? Testung aus? Ich habe Messungen im Handcycling ge- Wir führen innerhalb einer Woche alle Tests zur macht, die sich aus zwei Bereichen zu- Bestimmung des metabolischen Profils durch, sammensetzen. Der eine Bereich ist die das heißt eine Messung des Körperfetts, einen Biomechanik. Hier haben wir die Kräfte, Gelenkwinkel und die muskulä- Stufentest zur Bestimmung der Laufökonomie und einen Rampentest zur re Aktivierung im Sinne einer komplexen Bewegungsanalyse untersucht. Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahme. Diese Testbatterie haben Den anderen Bereich, die Physiologie, haben wir über die Messung der wir um zwei Tests erweitert: Um einen 100-Meter-Sprint-Test zur Bestim- FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 6
mung der Laktatbildungsrate und um einen 5.000-Meter-Lauf auf Zeit zur Bei der Wissenschaftsshow steht die Sportart Paratriathlon und damit mein Bestimmung des Pacings. So können wir überprüfen, was die Athleten im Schützling Benjamin Lenatz im Fokus. Leute, die sich schon immer gefragt Endeffekt auf die Bahn bringen können und wie sich diese Performance haben, wie man als Rolli-Nutzer einen Triathlon machen kann und wie das durch das individuelle metabolische Profil erklären lässt. für den Trainer ist, werden auf jeden Fall Einiges erfahren. Und es wird auch musikalisch, aber eher mehr in die Richtung, die meinem Athleten Benny Was bedeutet das für die Leistungsdiagnostik in der Zukunft? gefällt. (lacht) Es würde mich freuen, wenn sich die Testbatterie, die wir entwickelt ha- ben, auch in der Praxis etabliert. Zusätzlich auch die Laktatbildungsrate Was begeistert Sie daran, Wissenschaft auf der Bühne zu präsentieren? zu bestimmen, erfordert wenig Zeit und Aufwand; verbessert aber die Ein- Ich könnte mir kein Format vorstellen, bei dem ich meine Leidenschaft für schätzung der individuellen Stärken und Schwächen im Sinne des metabo- Wissenschaft, Sport und Musik besser kombinieren kann, als beim Science lischen Profils. Durch diese Erweiterung der Leistungsdiagnostik können Slam. Ich finde es aber generell wichtig für uns Wissenschaftler, unsere wir besser einschätzen, wo ein Athlet steht und wie er oder sie ein Rennen Erkenntnisse weiterzugeben. Immerhin werden wir durch öffentliche Gelder angehen kann. Generell kann man aber finanziert. Wenn eine künstlerische Darbietung sagen: Je kürzer die Disziplin ist, desto die Leute dazu motiviert, sich weiter mit einem mehr gewinnt die Laktatbildungsrate an Thema zu beschäftigen, finde ich das toll. Wenn Bedeutung. Bei längeren Laufdistanzen man einfach nur eine Tabelle zeigt, kommt viel- wie beim Marathon, Ultramarathon oder leicht mehr Inhalt rüber, aber weniger Faszinati- Triathlon kann hingegen eine eher niedri- on. Beim Science Slam ist das anders. Man prä- gere Laktatbildungsrate von Vorteil sein. sentiert dabei auch immer die eigene Faszination. Und ich denke, man darf auch nach außen tragen, Werden diese neuen Erkenntnisse Teil dass man froh, glücklich, dankbar und eben auch Ihres nächsten Auftritts bei der Kölner fasziniert von dem ist, was man jeden Tag tut. Wissenschaftsshow am 19. Mai 2019 sein? Interview: Marilena Werth FORSCHUNG AKTUELL # 3-2019 - Deutsche Sporthochschule Köln, Presse und Kommunikation 7
NEWS Kraft- und Ausdauertraining bei MS Weltweit leiden rund 2,5 Millionen Menschen an Multipler Sklerose (MS), davon rund 200.000 in Deutschland. Zahlreiche Studien zeigen, dass Bewegungsinterventionen motorischen, kognitiven und affektiven Symptomen von MS effizient entgegenwirken und die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen können. Für eine aktuelle Kraft- und Ausdauerstudie sucht das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln Betroffene mit MS im Alter von 18 bis 45 Jahren. Mehr lesen... Bettruhe und Isolation für die Forschung Die Deutsche Sporthochschule Köln ist an zwei Studien zur Weltraumforschung beteiligt: AGBRESA, eine 60-tägige Bettruhestudie im :Envihab des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und SIRIUS, eine 122-tägige Isolationsstudie in Moskau. Mehr lesen... Adjunct Associate Professorship an der Waseda University Juniorprofessor Dr. Tobias Vogt ist zum Adjunct Associate Professor an der Waseda University, Faculty of Sport Sciences, ernannt worden. Seit 2016 ist Vogt, Institut für Vermittlungskompetenz in den Sportarten, regelmäßig an der Waseda University in Japan in Forschung und Lehre aktiv. In diesem Zusammenhang leitete er in 2017 und 2018 ein vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördertes Austauschprogramm zum Aufbau eines internationalen Graduiertenkollegs zu „Performance control in sports: Skill-related motor behaviour of sports-speci- fic movement techniques in novices and athletes“. Mehr lesen... Sportbezogene Entwicklungsarbeit in der Türkei Seit 2011 hat die Türkei mehr als 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Dies bedeutet für die türkischen Bildungseinrichtungen und Behörden große Herausforderungen, u.a. um ein friedliches Miteinander von türkischer und syrischer Bevölkerung zu gewährleisten. Hier setzt das BILSY-Programm an, an dem auch Dr. Karen Petry, stell- vertretende Leiterin des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, beteiligt ist. BILSY zielt darauf ab, die organisatorischen Kompetenzen und die Arbeit von Bildungseinrichtungen in der Türkei zu stärken und einen interkulturellen Austausch zu ermöglichen. Das Institut war in dem Zusammenhang für die Evaluation von Lernworkshops zuständig. Die Ergebnisse wurden nun auf der Abschlusskonferenz an der Hacettepe Universität in Ankara/Türkei vorgestellt. Mehr lesen... TEAMWORKscience: Mentoringprogramm für junge Wissenschaftlerinnen Junge Wissenschaftlerinnen aller sportwissenschaftlichen Disziplinen zu fördern, das ist das Ziel von TEAMWORK- science, dem Mentoring-Programm der Deutschen Sporthochschule Köln. Durch Fort- und Weiterbildungsangebote, Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwicklung und die gezielte Unterstützung durch MentorInnen, sollen Nach- wuchswissenschaftlerinnen unterstützt werden. Langfristig, so hoffen die Verantwortlichen, soll dadurch auch der Frauenanteil in Spitzenpositionen der Sportwissenschaft steigen. Ein neuer Mentoring-Jahrgang hat das Programm nun erfolgreich abgeschlossen. Mehr lesen... Ehrenpräsidentschaft des AK Sportökonomie für Heinz-Dieter Horsch Im Rahmen der Jahrestagung des Arbeitskreises Sportökonomie wurde im April Prof. Heinz-Dieter Horch für sein Wirken für die Entwicklung der Sportökonomie in Deutschland unter großem Beifall die Ehrenpräsidentschaft ver- liehen. In seiner Laudatio wurden die Leistungen und das Engagement des emeritierten Professors der Deutschen Sporthochschule Köln für die Entwicklung dieser jungen Disziplin sowie für die des Arbeitskreises Sportökonomie betont. Mehr lesen... IMPRESSUM Redaktion: Deutsche Sporthochschule Köln, Stabsstelle Akademische Planung und Steuerung, Abt. Presse und Kommunikation Am Sportpark Müngersdorf 6 | 50933 Köln, Telefon: +49 (0)221 4982-3850, E-Mail: presse@dshs-koeln.de, www.dshs-koeln.de/forschungaktuell
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