Wissensmanagement für Universitäten
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8 management Ball – Eulen nach Athen? ORGANISATION Rafael Ball Eulen nach Athen? Wissensmanagement für Universitäten Die Universität gilt als die klassische Bildungs- und Forschungseinrichtung schlechthin. Wenn überhaupt in einem gesellschaftlichen Feld die Schaffung von Wissen – vielleicht sogar von Weisheit – behauptet und angenommen werden darf, dann in der Universiität. Universitäten und Hochschulen sind der zentrale Ort an dem Wissen nicht nur produziert wird, sondern die zentrale Ressource der gesamten Organisation darstellt. Als Einrich- tungen von Lehre und Forschung produzieren Universitäten enorme Mengen von Wissen in Form von wissenschaftlichem Output, den sie gleichzeitig den Studierenden vermit- teln. Brauchen nun Institutionen, die per definitionen Wissen produzieren, Wissen schaf- Know-how zum Thema Wissensmanagment halten die fen und Wissen vermitteln „knowledge management“? Während es für sehr viele, zu- Bibliotheken in den Hochschulen vor, wie hier im Bild in der Berliner Humboldt-Universität. mindest größere, Unternehmen selbstverständlich ist Wissensmanager zu beschäftigen, Foto: Eric A. Lichtenscheidt die Wissensmanagement betreiben und so das implizite Wissen der Mitarbeiter in expli- zites überführen, es sicht- und nutzbar machen, ist Wissensmanagement an deutschen Universitäten noch kein Thema. Eine Studie, in der die Universität und ihr gesamtes Wissen auch nur ansatzweise selbst Ge- genstand von Wissensmanagement geworden ist, gibt es nicht und so lässt jüngst die Deut- sche Universitätszeitung (DUZ) einen Wirtschaftsinformatiker erklären, dass an deutschen Hochschulen das Thema Wissensmanagement noch ein Fremdwort sei (Adelsberger 2003, S. 34). Willke sieht in seinem Beitrag „Dumme Universitäten – intelligente Parlamente“ (Will- ke 1997, S. 107-110) die Position der Universitäten im organisationalen Lernen eher kri- tisch. Laut Willke sind Universitäten organisatorisch eher dumm, weil sie ein riesiges Poten- zial ungenutzt lassen und daher nicht reformfähig sind. Ob wir der Kritik Willkes folgen wol- len oder nicht, es leuchtet mehr als ein, dass das große (Wissens)-Potenzial der Hochschu- len und Universitäten und vor allem das ihrer Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Studierenden nicht ungenutzt bleiben darf. Um den „Schatz“ zu heben bedarf es vielfältiger Bemühungen. Eine davon kann die Einführung von Wissensmanagement sein. Wissensgesellschaft und Wissen „Wissen“ ist von den Begriffen „Daten“ und „Information“ zu differenzieren. Daten sind das Ausgangsmaterial und der Rohstoff aus dem Informationen gewonnen werden, wenn diese in einen Kontext eingebunden sind. Informationen wiederum werden erst dann zu Wissen, wenn sie in einen gemeinsamen Erfahrungskontext integriert werden, das heißt wenn eine gemeinsame Erfahrung existiert, in der sich die Beteiligten bewegen. Allein das Abspeichern von Daten in Dokumenten oder Datenbanken ist noch nicht Information und erst recht kein Wissen (Willke 1998). Eine moderne Wissensgesellschaft in deren Rahmen die Universität Wissen produziert, prozessiert und vermittelt, ist durch die Zunahme von und die Befassung mit Information und Wissen gekennzeichnet. Dazu gehören die Systematik und Intensität, mit der Wissen produziert und genutzt wird, die Vielzahl der Institutionen und Berufe, die wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
Ball – Eulen nach Athen? management 9 Wissen produzieren, die intensive Nutzung vernetzter Kommunikations- und Informations- medien und das exponentielle Wissenswachstum sowie die Geschwindigkeit der Wissens- entwicklung (Z_dossier 2001, S. 14). Dr. Rafael Ball ist Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszen- Eine Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung enthält heute mehr Informatio- trums Jülich. Seine In- teressenschwerpunkte nen, als ein Mensch des 17. Jahrhunderts vermutlich in seinem ganzen Leben aufgenom- sind das Management von Bibliotheken und men hat. Im Jahr 2003 werden weltweit mehr Informationen erzeugt worden sein, als in den die Informationsver- sorgung wissenschaft- letzten 300.000 Jahren zusammen (Zimmer 2000, S. 32). Gleichzeitig kann der Mensch ein licher Einrichtungen. Mehr an Information und Wissen nicht aufnehmen und verarbeiten. Er kann schlicht nicht mehr und nicht schneller lesen. Die Technik des „Browsens“ ist bereits eine Form des be- schleunigten Lesens, hoffentlich auch des beschleunigten Verstehens. Der Mensch ist „zum Flaschenhals der Informationswelt geworden, er hemmt die hemmungslose Verbreitung von Daten und ist gleichzeitig – ausgestattet mit der Kraft des Vergessens – die letzte Instanz einer organisierten Ignoranz zur Filterung der Datenflut“ (Bolz 1999). Somit benötigt der Mensch zumindest ein organisatorisches und persönliches Informati- onsmanagement, um in der Wissensgesellschaft überhaupt bestehen zu können. Wenn das Wissen als „intellectual capital“ nahezu ausschließlich in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter existiert, ist die Sicherung, Integration und Nutzung dieses Wissens eine der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens (Koenig 1996, S. 299-301). Wissensmanagement als Methode Das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter eines Unternehmens ist zu wertvoll, um es unge- nutzt oder zumindest nicht optimal genutzt dort zu belassen. Gleichzeitig werden an vielen Stellen eines Unternehmens Ideen und Prozesse entwickelt, die an anderer Stelle bereits vor- handen sind. Redundanz können und sollten sich Unternehmen besonders in Zeiten härter werdenden Marktgeschehens nicht mehr leisten. 90 Prozent (%) der deutschsprachigen Un- ternehmen nutzen nur 20 bis 40 % des internen Wissens. Bei IBM sollen zeitweise 49 Abtei- lungen in 27 Geschäftsbereichen die selben Wettbewerber analysiert haben, ohne dass man von einander wusste (Herbst 2000, S. 81). Um diesen Wissensschatz zu heben wird in vielen Unternehmen Knowledge Management eingesetzt. Dabei stützt sich diese Management- methode auf die grundlegenden Arbeiten von Nonaka und Takeuchi (Nonaka 1994, S. 14-37). Der Markt für Knowledge-Management-Systeme und -Consulting wächst. Bis 2006 schätzt man den Umsatz in diesem Segment allein in Westeuropa auf 4,2 Milliarden Euro, was einer Steigerung von 24 % für den Zeitraum 2001 bis 2006 entspräche (Knowledge Management 2002, S. 2). Dennoch kennen und verstehen nur gut die Hälfte (57 %) der Führungskräfte in deutschen, österreichischen und schweizerischen Unternehmen den Begriff (FAZ 2001). Ohnehin wird oft kritisiert, dass die Vernetzung von Wissen und Wissensmanagement in Deutschland nahezu nicht entwickelt sei. Der mangelnde Einsatz von Wissensmanagement in der gesamten Volkswirtschaft führe dazu, dass Deutschland nur noch aus Wissensinseln Wenn das Wissen als „intellectual bestehe und eine Vernetzung dieses ungeheuren Potenzials nicht erfolge (Seling 2002, S. capital“ nahezu ausschließlich in 17). Die entscheidende Frage, ob Wissensmanagement in Universitäten überhaupt einen den Köpfen der Mitarbeiterinnen Sinn macht, entfaltet sich im Spannungsfeld von Wissensmanagement und Wissen- und Mitarbeiter existiert, ist die schaftsmanagement. Wenn „Wissenschaft menschliches Denken nach bestimmten Regeln Sicherung, Integration und mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns [ist]“ (Timmermann 2001, S. 461-470), dann könnte Nutzung dieses Wissens eine der der Umgang mit diesen Erkenntnissen, also mit Wissen, die Organisation von Wissen selbst, wichtigsten Aufgaben eines die Organisation von Wissenschaft bedeuten. Unternehmens. wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
10 management Ball – Eulen nach Athen? Stichwörter Universitäten und Wissensmanagement Wissensmanagement Kreativität ist besonders wichtig für Innovationsunternehmen. Die Universität ist ein Innovations- Hochschule unternehmen par excellence, lebt mithin nur von den neuen Ideen und der wissenschaftlichen Er- Bibliothek kenntnis in Forschung und Entwicklung. Die Innovationsmentalität der Führungskräfte (hier: Wissenschaftler) entscheidet über die Innovationskraft der Einrichtung. Das Gehirn als „informa- tionsverarbeitende Struktur“ leistet die Auswahl von relevanten und irrelevanten Informationen, (letztlich die einzige intellektuelle Leistung des Menschen bei der Reizbearbeitung). Sauter weißt darauf hin, dass individuelle und organisationale Lernprozesse unter Einbeziehung des gesam- ten Wissens der Unternehmung eine Notwendigkeit für alle Unternehmen und Bildungsinstitutio- nen seien, die in der Wissensgesellschaft ihre Wettbewerbsposition ausbauen wollen (Sauter 1999, S. 25-30). Auch die Definition von Knowledge-Management der Gartner Group aus dem Jahr 1998 schließt Universitäten keineswegs aus: „A discipline that promotes an integrated ap- proach to identifying, capturing, evaluating, retrieving and sharing all of an enterprise´s informa- tion assets“ (Dillon 1999, S. 4). Als wissensintensive und reflexive Organisationen sind Universitäten für Knowledge Manage- ment aber geradezu prädestiniert. Trotzdem war Knowledge Management für die Hochschulen offenbar nur von geringem Interesse. Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es aber Überlegungen – und auch den Einsatz (Cronin 2001, S. 129-137) – von Total Quality Mana- gement, Qualitätssicherung und anderen Managementstrategien. In diesem Zusammenhang ist man auch auf die Frage nach Knowledge Management zumindest beiläufig eingegangen (James 2000 S. 41-59). keywords Die Indiana University, Bloomington/USA, mit 95.000 Studenten, einem Jahresbudget von 1,9 knowledge management Milliarden US-Dollar und einer staatlichen Quote von nur einem Drittel des Gesamtbudgets university gleicht durchaus einem Wirtschaftsunternehmen vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Inve- library stitionen, Marketing und Finanzstrategien bei allen Unterschieden in der Personalstruktur und im Belohnungssystem etwa. Universitäten produzieren zwei unterschiedliche Arten von Wissen und das in zwei Kategorien: das Wissen der Fachdisziplinen in Lehre und Forschung („This know- ledge constitutes the main product of universities“, James 2000, S. 42) und das Wissen der Or- ganisation, manifest in der Art und Weise wie die Organisation der Einrichtung betrieben wird. Dies kann sich auch in der Politik und in den Werten einer Einrichtung äußern (Dieses Wissen ist eher implizit.). Universitäten haben allenthalben mit einem „information overload“ zu kämpfen, verfügen aber gleichzeitig nur selten über ein geeignetes Berichtswesen, das mit wenigen wichtigen Kennzahlen Entscheidungsträger informiert und erst handlungsfähig macht. Dieser Mangel an einem pragmatischen Controllingsystem lässt auch das unbestritten vorhandene organisatio- nale Wissen einer Universität nur unzureichend explizit und damit anwend- und nutzbar wer- den. Dennoch hat das Konzept des organisationalen Lernens Eingang gefunden in die Verwal- tung von Universitäten (Duke 1992). James nennt Gründe, warum das organisationale Lernen in Universitäten häufig gebremst wird: „feedback loops“ sind oft verspätet, die Beziehung zwi- schen Aktivitäten und „outcomes“ ist unklar, die individualistische Kultur der Universitäten und ihrer Einheiten in wissenschaftlicher Autonomie erschwert das Management von Wissen eben- so wie die Kluft zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Die Nutzung von organisationalem Wissen gelingt aber nur dort, wo die kleinste Einheit für organisationales Wissen identifiziert werden kann. Ob dies etwa auf Fakultäts-, Instituts- oder Arbeitsgruppenebene geschieht, kann hier nicht beantwortet werden. wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
Ball – Eulen nach Athen? management 11 „Individual learning was once the cornerstone of the university. This remains true, but there is summary also an imperative now for collective organisational learning. How universities manage their Commercial enterprises with a knowledge and how they construct new organisational knowledge from the information at their knowledge potential far from that disposal will be one indicator of their capacity to thrive in a uncertain future.“ (James 2000, S. 55) of universities quite naturally apply knowledge management (KM) Consultingunternehmen, deren Hauptressource vielleicht noch mehr als die der Universität aus to secure and utilize their human Wissen (und nur daraus) besteht, treiben erfolgreich Knowledge Management (Hansen/Noriah capital. Universities, in contrast, 1998, S. 43-57). Auch wenn Universitäten und Consultingfirmen nicht direkt verglichen werden are only just beginning to use können, ist es legitim zu fragen, warum Universitäten nicht ebenfalls ihr Wissen erfolgreich ma- knowledge management, although nagen können sollten. they have an enormous potential for this. The fields of application Praktische Umsetzung von Wissensmanagement an Universitäten under discussion are teaching, Wenn Universitäten und andere Bildungseinrichtungen zentrale gesellschaftliche Probleme lösen research and administration (with helfen wollen (und sollen), sind Erfolge häufig nur noch mit einem interdisziplinären Ansatz all the processes in personnel and möglich. Die kreative Überwindung und positive Verknüpfung der Disziplinen basiert in diesem resource management). Fall auf der Verknüpfung von Wissen, also auf Wissensmanagement (Timmermann, S. 466). Information specialists are Timmermann sieht Wissensmanagement durchaus im Dienste von Wissenschaftsmanagement capable of processing data, of und führt auch Beispiele aus der akademischen Praxis an. Das interne Wissen einer Universität structuring, evaluating and ist gewaltig und doch ist es weithin unklar, wie viel in Universitäten wirklich geleistet und an Wis- making them available, while the sen produziert wird und welche (institutionalisierten) Mechanismen genutzt und eingesetzt wer- library of a university is the place den, sich dieses Wissen selbst zu vergegenwärtigen, anderen zur Kenntnis zu bringen und – of interdisciplinarity, social etwa im Fundraising – gewinnbringend einzusetzen. Durch die Besonderheiten des Wissen- exchange and general communication. Libraries and schaftsbetriebs wird dieses Wissen einerseits meist nur den Fachkollegen zur Verfügung gestellt, librarians are presented as andererseits hemmt das oft ungenügend entwickelte Gefühl von Corporate Identity der Hoch- competent partners for the schule die interne „Vermarktung“ der eigenen Leistung. introduction of KM in universities. Das wirkliche Kapital einer Universität ist das Humankapital als gesammelte Kompetenz und Fähigkeit ihrer Mitglieder. Schneidewind sieht die Ebenen des Human- , Structural- , Customer- und Stakeholder-Kapitals als das intellektuelle Kapital in Hochschulen (Schneidewind 2001, S. 113). Er sieht klare Defizite in der Lehr- und Forschungsorganisation, der Einbindung der Stu- dierenden als den eigentlichen Kunden und der gesellschaftlichen Einbindung der Universitäten. Da die Definition von Wissensmanagement selten eindeutig ist, fallen auch die angebotenen Lö- sungs- und Umsetzungsvorschläge sehr unterschiedlich aus. Häufig werden unter Knowledge Management rein virtuelle Lernumgebungen verstanden (Ferstl/Schnitz 2001, S. 13-22). So be- schreibt Schneidewind Hilfestellungen zur Errichtung von virtuellen Lernwelten und ihren Platt- formen, bleibt jedoch in seinem Beitrag eine echte Referenz auf Knowledge Management schul- dig und endet in einer Mischung irgendwo zwischen virtueller Bibliothek, E-Learning und Knowl- edge Management. Knowledge Management ist auch mehr als die von Schneidewind beschrie- bene räumliche Entkoppelung und Virtualisierung des Lerngeschehens. Blaise Cronin von der Indiana University macht in seinem Beitrag „Knowledge Management, or- ganizational culture and Anglo-American higher education“ konkrete Vorschläge, wie Knowledge Management in den beiden Bereichen Wissenschaft und Verwaltung an Universitäten umgesetzt werden könnte (Cronin 2001, S. 134). Für die Lehre nennt er den Aufbau von Sammlungen der Curricula aller Fachbereiche zum Nutzen der Studierenden und der Fakultäten, ein Evaluations- system für die verschiedenen eingesetzten Lehrmethoden und Praktika, besondere Beispiele er- folgreicher „Distance-education“-Programme und die Schaffung von Online-Foren sowie von „communities of practise“ für den Wissensaustausch der eigenen Erfahrung am Arbeitsplatz. wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
12 management Ball – Eulen nach Athen? Für den Bereich der Forschung empfiehlt er die Sammlung von Interessen und Erfahrungen, „work villages“ zum Erfahrungsaustausch und den Aufbau von Preprint-Archiven. Für den Ver- waltungssektor einer Universität nennt Cronin die drei Anwendungsfelder: Beschaffung/Einkauf, Fundraising/Ehemaligen-Betreuung und „student services“. Bibliotheken und Wissensmanagement Wenn man sich diese Beispiele ansieht, wird deutlich, dass die Bibliothek unbedingt in die Pla- nung und Umsetzung von Knowledge-Management-Aktivitäten eingebunden werden sollte. Tatsächlich spielt Knowledge Management in der Ausbildung für Bibliothekare eine immer wichtigere Rolle. Denn Wissen muss kodifiziert werden, damit es wieder abgerufen werden kann. Bibliothekare sind Wissensintegratoren, Wissensredakteure und Knowledge-Manage- ment-Broker. Sie erarbeiten Wissenslandkarten, Wissensportale und Wissensstädte (Z_dossier 2001, S. 37-38). Organisationen, die Knowledge Management einführen möchten, suchen für diesen Bereich zu- nehmend Absolventen aus dem Bereich „Library and Information Science“. Dabei wird überein- stimmend festgestellt, dass diese Grundqualifikation sehr gut geeignet ist, um im Knowledge- Management-Bereich erfolgreich mitzuarbeiten (Mendelsohn 2002, S. 10-12). Es ist eine der Zentralaufgaben von Bibliotheken, den Wissenschaftler in seiner Arbeit bei der Schaffung von Wissen zu unterstützen (FAZ 2002). Der Direktor von OCLC (Online Computer Library Center, Inc.), Martin Dillon, hat beschrieben, wie er die Rolle von Bibliotheken und Bibliothekaren beim Knowledge Management sieht und wie auch Universitäten von Knowledge Management (das dann die Bibliothek ausführt) profitieren (Dillon 1999, S. 3-11). Dabei identifiziert, selektiert, sammelt, organisiert, prozessiert, archiviert und verteilt die Bibliothek Wissen, während die Uni- versität als Ganzes Wissen verbraucht, produziert und formalisiert. Im Zusammenhang mit der Einführung von Knowledge Management wird neuerdings auch die Situation in Hochschulen diskutiert und die Frage nach einer neuen Informationsinfrastruktur an Universitäten gestellt. Insbesondere die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur digitalen Informationsversorgung (Wissenschaftsrat 2001) als auch die im Auftrage des BMBF durchge- führte „Stefi-Studie“ (Klatt/Gavriilidis/Kleinsimlinghaus/Feldmann 2001) lassen Universitäts- bibliothekare allmählich über eine mögliche Bibliotheken: Bibliotheken: Portfolioanpassung der Hochschulbibliothe- • Schaffung von Kommunikations- • Hilfe bei Filterung, Standardisierung und ken nachdenken. Allerdings wird dies zu häu- räumen und Kommunikations- Katalogisierung von implizitem Wissen fig in einem zunehmend nicht mehr nachvoll- unterstützung • Schaffung von Dokumenten als Daten- bank/Printout/Archiv ziehbaren Hierarchiekontext der unterschied- lichen „Dienstgrade“ an Universitätsbibliothe- Sozialisation Externalisierung ken getan. Aufgabenfelder eines neuen Infor- mations- und Wissensmanagements in Bi- implizit implizit implizit explizit bliotheken werden ausschließlich als „neue implizit explizit explizit explizit Aufgabenfelder für das Personal des Höheren Dienstes an Rechenzentren und Bibliotheken“ Internalisierung Kombination/Systematisierung (Raffelt, Sühl-Strohmenger 2002, S. 233- 244) formuliert und in einer falsch verstan- Bibliotheken: denen oder zumindest eigenwilligen Interpre- • Verfügbarmachen der Primärquellen tation von Knowledge Management als Mithil- • Unterstützung der Internalisierung durch Sekundärressourcen fe bei der Vermittlung der Information Liter- Abb. 1: Kategorisierung von Transferprozessen nach Wissensarten und der Ansatz von Bibliotheken acy kanalisiert. wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
Ball – Eulen nach Athen? management 13 Literatur Schlüsselqualifikationen für „Information Professionals“ Adelsberger, H., Wissen austauschen, in: DUZ Deutsche Universitäts-Zeitung 2003, H.1/2, S. 34. Bolz, N., Die Wirtschaft des Unsichtbaren, Spiritualität ◆ Umfassende Kenntnisse über Trägereinrichtung, – Kommunikation – Design – Wissen, Die Produktiv- kräfte des 21. Jahrhunderts, München 1999. das Gesamtunternehmen und die Unternehmensstrategie Cronin, B., Knowledge Management, organizational ◆ Vertrautheit mit den Verantwortungsbereichen culture and Anglo-American higher education, in: Journal of Information Science 27 (3) 2001, p. 129-137. und Aufgaben der Führungskräfte Dillon, M., Knowledge Management Opportunities for ◆ Querschnittsdenken Libraries and Universities, in: Library and Information Science Annual 7 (1999), p. 3-11. ◆ Flexibilität im jeweiligen Arbeitsgebiet, gelegentlicher Wechsel Duke, C., The learning university, Towards a new Paradigm Buckingham, Society for Research into der Tätigkeiten Higher Education and Open University Press, o.O. 1992. ◆ Unternehmerisches Denken Kuhlen, R., Ein Schisma der Bibliotheken? Eingereichter Originaltext Frankfurter Allgemeine ◆ Konsequente Kundenorientierung Zeitung (FAZ) v. 12.11.2001, Rubrik Wirtschaft, modifiziert in der FAZ vom 8.4.2002. ◆ Bedarfsorientiertheit Ferstl, O./Schnitz, K., Integrierte Lernumgebungen für virtuelle Hochschulen, in: Wirtschaftsinformatik 43 ◆ Kostenbewusstsein (2001) 1, S. 13-22. Grüneberg, U./Katenkamp, O. u.a. (Projektgruppe ◆ Prozessorientierung Wissensmanagement), Einführung von Wissens- managementsystemen in Wirtschaft und Wissen- ◆ Innovationsfreudigkeit und -fähigkeit schaft, Thesen für die Tagung am 12. April 2002, Sozialforschungsstelle Dortmund. ◆ Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft Heiker, F.-R., Forschung und Entwicklung im digitalen Zeitalter, Zwischen freiem Wissensaustausch und Schutz der eigenen Interessen, in: Wissenschafts- ◆ permanente Weiterqualifikation („life-long-learning“) management Special 2002, H. 1, E-Science, S. 4-5. Herbst, D., Erfolgsfaktor Wissensmanagement, Berlin 2000. Abb. 2: Schlüsselqualifikationen von Wissensmanagern James, R., Quality Assurance and the Growing Puzzle of Managing Organisational Knowledge in Universities, in: Journal of the Programme on Institutional Management in Higher Education 12 (2000), o. S. Bei der Einführung von Wissensmanagement entpuppen sich Wissensmanagementprojekte zu Klatt, R./Gavriilidis, K./Kleinsimlinghaus, K./Feldmann, M., Nutzung elektronischer wissenschaftlicher Infor- häufig als „normale“ DV-Projekte mit Rationalisierungshintergrund. Diese Ergebnisse präsentier- mation in der Hochschulausbildung, Barrieren und Potenziale der innovativen Mediennutzung im Lern- te die Projektgruppe Wissensmanagement der Sozialforschungsstelle Dortmund, die im Pro- alltag der Hochschulen, Dortmund 2001. jektauftrag des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung auf einem Workshop die Massive growth predicted für European Knowledge management market, in: Knowledge Management, „Einführung von Wissensmanagementsystemen in Wirtschaft und Wissenschaft“ untersucht hat 12/02, 1/03 S. 2. (Grüneberg, Katenkamp 2002). Technische Dominanz führe sehr häufig zu den oft beklagten Da- Koenig, M., Intellectual capital and Knowledge Management, in: IFLA Journal 22 (1996) 4, p. 299-301. tenfriedhöfen, während hingegen organisatorische Erweiterungen für die Einführung von Knowl- Mendelsohn, S., Time to move off the shelf, in: edge Management notwendig seien. Wie auch „Die Zeit“ in ihrer Ausgabe 24/2000 berichtet, ist Knowledge Management, April 2002, p. 10-12. es nicht der technokratische Ansatz, der Wissensmanagement zum Erfolg führt, sondern der Nonaka, I., A Dynamic Theory of Organizational Know- ledge Creation, in: Organization Science 5 (1994) 1, Faktor „Mensch“ (von Randow 2000). Und das ist ein weicher Faktor. p. 14-37. Raffelt, A./Sühl-Strohmenger, W., Neue Informations- Wissensmanager müssen einen Überblick über das Gesamtunternehmen haben. Sie kennen die infrastruktur an den Universitäten?, Gedanken zur Rolle der Bibliothek im Kontext von Informations- und Strategie und das Unternehmensziel. Auch eine Reihe weiterer Qualifikationen der Informations- Wissensmanagement, in: BIT-Online 5 2002 (3), S. 233-44. spezialisten lassen sich leicht auf Knowledge-Management-Qualifikationen übertragen (Abbil- Randow, G. von, Know-how für alle!, in: Die Zeit, dung 2). Das alles läuft in einer Bibliothek zusammen. Sie ist – gerade in Hochschulen – die Zen- 24/2000. trale für den Campus. Hier trifft man sich. So kann Bibliothek auch einen Raum schaffen für Wis- Sauter, W., Methodik des vernetzten Denkens, in: Wissenschaftsmanagement 5 (1999) 4, S. 25-30. sensmanagement. Schaut man auf die zentralen Transferprozesse beim Wissensmanagement, Schneidewind, U., Wissensmanagement in der so wird die Einsatzmöglichkeit der Bibliothek deutlich (Abbildung 1). Wissensproduktion von Universitäten, in: Haasis, H.-D. (Hrsg.), Wissensmanagement in Produktion und Umweltschutz, o. O. 2001, S. 109-121. Auch bei den technischen Softwarelösungen, die hier nicht beschrieben werden müssen, können Seling, S., Eher gefährlich. In: DUZ Deutsche sich Bibliotheken einbringen (Abbildung 3). Universitäts-Zeitung 2002, H. 4, S. 17. Timmermann, Manfred: Wissenschaftsmanagement Bibliotheken und Bibliothekare sind Spezialisten für die Strukturierung von Informationen. Wenn und Wissensmanagement. In: Beiträge zur Mikro- und zur Makrooekonomik. Hrsg: S. Berninghaus (2001). man die „Codification Strategy“ (Hansen/Nohria 1999, S. 106-116) von Knowledge Management zugrunde legt, dann sind hier Bibliotheken und ihr Know-how bei der Umsetzung gefragt. Sie wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
14 management Ball – Eulen nach Athen? Literatur (Fortsetzung) Willke, H., Dumme Universitäten – intelligente Parla- mente, in: Grossmann, Ralf (Hrsg.), Wie wird Wissen Bibliothek Bibliothek wirksam?, IFF-Texte, Bd. 1, Wien/New York 1997, S. 107-110. Willke, H., Systemisches Wissensmanagement, Messaging/ Stuttgart 1998. E-Mail Wissenschaftsrat (Hrsg.), Empfehlungen zur digitalen Personal Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken, Information Intranet Greifswald, 13. Juli 2001. Management Archiving/ Z_dossier 01 06/01. Document Management Zimmer, D., Die Bibliothek der Zukunft, Text und Schrift in Zeiten des Internet, Hamburg 2000. Anwendungsbeispiele für Knowledge Management in Workflow Groupware den Unternehmen McKinsey, Brain & Company, Management (z.B. Lotus Notes) Andersen Consulting und Ernst & Young finden sich Simulation Search and bei: Hansen, M./Nohria, N. u.a., What´s Your Strategy and modeling For Managing Knowledge?, in: Harvard Business retrieval Review 3-4, 1999, p. 106-116; McKinsey & Company: tools Managing Knowledge and Learning, Harvard Business Push School, 9-396-357. Einen allgemeinen Überblick über Technologies den Einsatz von Knowledge Management in Unternehmen (u.a. auch bei Ernst & Young) geben: Davenport, T., De Long, D. et al.: Successful Knowledge Management Projects, in: Sloan Management Review, winter 1998, p. 43-57. Wissens- Lokalisieren Transferieren Wissens- Integration generierung und Erfassen und Teilen anwendung der Wissens- prozesse Bibliothek Bibliothek Bibliothek Abb. 3: Aktuell relevante Software-Toolklassen im Kontext von Wissensmanagement können und sollten beitragen. Exemplarisch sei hier die Zentralbibliothek der Forschungszentrum Jülich GmbH genannt, die den wissenschaftlichen Instituten ein Dokumenten-Management-Sys- tem nach Kundenwünschen zur Verfügung stellt. Mit dessen Hilfe organisieren die Institute un- terschiedlichste Wissens- und Informationsbedürfnisse. Fazit und Ausblick Universitäten beginnen erst zögerlich mit dem Einsatz von Knowledge Management. Als Einsatz- bereiche kann die Verwaltung (mit allen Prozessen im Personal- und Ressourcenmanagement) identifiziert werden, sowie umfangreiche Einsatzfelder in Lehre und Forschung. Die Bibliothek und ihre Mitarbeiter sollten unbedingt beim Einsatz von Knowledge Management in Universitäten beteiligt werden: Als Informationsspezialisten sind sie in der Lage, Daten aufzubereiten, zu struk- turieren, zu bewerten und zur Verfügung zu stellen, während die Bibliothek einer Universität ein Ort der Interdisziplinarität, von sozialem Austausch und allgemeiner Kommunikation ist. Diese Kompetenz wird in Hochschulen noch zu selten wirkungsvoll eingesetzt. Wie immer man sich jedoch die Universität der Zukunft vorstellen mag, ob als programmorien- tierte Einrichtung oder als wissensbasierte New-Economy-Institution, über die Notwendigkeit von Knowledge Management wird nicht mehr diskutiert. Auch wenn künftig E-Science einen Kontakt: „Beitrag zur Vernetzung der traditionell oft isoliert gewachsenen Prozesse zu einer integrierten Dr. Rafael Ball und strukturierten Wertschöpfungskette aus Wissenschaft, Forschung und Kapital“ (Heiker Leiter der Zentralbibliothek der Forschungszentrum Jülich GmbH 2002, S. 5) leisten soll, wird Knowledge Management bei allen beteiligten Partnern selbstver- D-52425 Tel.: +49 (0)24 61/61-30 13 ständlich werden müssen. Die Bibliotheken stehen bereit – als Raum, Struktur und mit Know- Fax.: +49 (0)24 61/61-61 03 E-Mail: r.ball@fz-juelich.de how. Man muss sie nur fordern. wissenschaftsmanagement 3 • mai/juni • 2003
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