Forschungs-objekt: Astronaut - Spezial

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Forschungs-objekt: Astronaut - Spezial
Spezial

                                                                                                                  Forschungs-
                                                                                                                  objekt:
                                                                                                                  Astronaut
                                                                                                                  Anfang Mai hat der deutsche Astronaut
                                                                                                                  Matthias Maurer nach sechs Monaten
                                                                                                                  seinen Einsatz auf der internationalen
                                                                                                                  Raumstation ISS beendet und ist zur
                                                                                                                  Erde zurückgekehrt. In dem fliegenden
                                                                                                                  Weltraumlabor suchen Astronautinnen
                                                                                                                  und Astronauten gemeinsam mit
                                                                                                                  Forschern aus der ganzen Welt nach
                                                                                                                  Lösungen für globale
                                                                                                                  Herausforderungen wie Gesundheit und
                                                                                                                  Klimawandel. Gemeinsam mit
                                                                                                                  Wissenschaftlerinnen und
                                                                                                                  Wissenschaftlern aus dem Institut für
                                                                                                                  Luft- und Raumfahrtmedizin am
                                                                                                                  Deutschen Zentrum für Luft- und
                                                                                                                  Raumfahrt (DLR) in Köln forschte
                                                                                                                  Maurer an Bord der ISS zum Beispiel zu
                                                                                                                  Flüssigkeitsverschiebungen im Körper
                                                                                                                  während der Schwerelosigkeit.

                                                                                                                  von Jocelyne Naujoks

                                                                                  Mehr als ein
                                                                                Ausflug ins All
                                                               Über 100 Experimente hat Matthias
                                                               Maurer während seiner Mission auf
                                                                  der internationalen Raumstation
                                                                            durchgeführt, darunter
                                                                Untersuchungen zum sogenannten
                                                               Spaceflight Associated Neuroocular
                                                                       Syndrome (SANS). Mit einer
                                                             Augenlinse nahm Maurer dazu Bilder
                                                                   seiner Netzhaut auf der ISS auf.
                                                              So werden Augenveränderungen und
                                                             -bewegungen erfasst, untersucht und
                                                            ausgewertet. Zukünftig sollen mithilfe
                                                            von künstlicher Intelligenz eventuelle
                                                                       Netzhautveränderungen von
                                                                  Astronautinnen und Astronauten
                                                                     automatisch erkannt werden.

                                                                                          Foto groß: NASA/ESA
                                                                               Foto klein: NASA/ESA - M. Maurer

16   Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2022   Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2022                                                                   17
Forschungs-objekt: Astronaut - Spezial
Spezial

           E
                      s ist der 6. Mai 2022, als Astronaut Matthias         Relativ neu sei die Entdeckung, dass in der Schwere­
                      Maurer an Bord einer Crew Dragon-Kapsel auf       losigkeit Flüssigkeitsverschiebungen im Körper in
                      die Erde zurückkehrt. Insgesamt sechs Mona-       Richtung Kopf zu einer Erhöhung des Hirndrucks
                      te hat der Saarländer auf der Internationalen     ­führen können. Bei einigen Astronautinnen und Ast-
             Raumstation ISS verbracht. Auf der Erde angekommen,       ronauten sei eine Veränderung des Augenhintergrunds
             fliegt Maurer umgehend weiter nach Köln. Nach der         festgestellt worden, wie sie bei einer Stauungspapille
             Landung auf dem militärischen Teil des Köln-Bonner        auftritt, jedoch ohne neurologische Beschwerden zu
             Flughafens geht es für den Astronauten nicht nach         verursachen, berichtet Jordan. Doch anders als auf der
             Hause, sondern auf direktem Weg in das angrenzende        Erde gebe es im All keinen Augenarzt, der die Unter-
             Forschungszentrum :envihab des DLR-Instituts für          suchung vornehmen könne. „Wir müssen Methoden
             Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. Hier habe Maurer      entwickeln, die es den Astronautinnen und Astro­
             wie schon viele seiner Vorgänger die ersten Tage auf      nauten erlauben, die Untersuchungen selbst durch­
             der Erde mit medizinischen Untersuchungen und wis-        zuführen.“ Aktuell fänden solche Experimente, die
            senschaftlichen Experimenten verbracht, erzählt Pro-       auch Maurer bei sich selbst durchgeführt habe, etwa
            fessor Dr. Jens Jordan, der das Institut unmittelbar       vierhundert Kilometer von der Erdoberfläche entfernt
            neben dem Europäischen Astronautenzentrum (EAC)            statt - ein Katzensprung sozusagen. In einer solchen
            leitet. Im Rahmen des sogenannten Direct Return wer-       Entfernung sei mithilfe der Telemedizin medizinische
            den die Astronautinnen und Astronauten nach vielen         Expertise von der Erde jederzeit verfügbar. „Die
            Monaten im All einerseits wieder an das Leben auf der      ­Astronauten können im Zweifelsfall mit einem Arzt
            Erde gewöhnt, andererseits setzen sie ihre Mission mit      sprechen, der bestimmte Untersuchungsmethoden per
            zahlreichen wissenschaftlichen Experimenten fort.           Videoübertragung steuern kann. In dem Moment aber,
            Ärztinnen und Ärzte des Instituts untersuchen zum           in dem Raumfahrt auf dem Mond oder Mars statt-
            Beispiel, wie der Körper der Astronauten auf die            findet, sind die Funksignale so stark verzögert, dass
            ­Bedingungen im All reagiert hat und ob körperliche         wir ­autonome Systeme brauchen, die zum Beispiel
             Veränderungen aufgetreten sind.                            selbst Diagnosen stellen können“, nennt Jordan nur
                                                                        eine der vielen Herausforderungen der Weltraum­
            Für viele Probleme                                          medizin.
            nur wenige Lösungen
                                                                             Vieles ist im
                „Im Weltall herrschen sehr harsche Umweltbedin-              Weltraum schlichtweg
             gungen, die sich von denen auf der Erde stark unter-            nicht möglich.
            scheiden“, erklärt Jordan, der selbst Internist und
            klinischer Pharmakologe ist. Diese stellten den               Eine weitere Belastung für die Astronauten sind
            menschlichen Körper vor enorme Herausforderungen.          dem Internisten zufolge die Isolation und das Einge-
            Einer der großen Unterschiede zwischen dem Leben           sperrtsein auf engem Raum. „Es lässt sich vor dem
            auf der Erde und im All sei die Schwerelosigkeit. Da       Start einer Mission nur schlecht einschätzen, wer bes-
            der Körper auf die Schwerkraft ausgerichtet sei, reagie-   ser und wer schlechter damit umgehen kann oder wie
            re er in der Schwerelosigkeit mit einer Reihe an Verän-    ein Team zusammengesetzt sein muss, um die Iso­lation
            derungen, erklärt Jordan. „Muskeln und Knochen             besser zu ertragen. Es gibt aktuell auch keine Gegen-
            werden entlastet und bauen sich ab. Das Herz-Kreis-        maßnahmen, mit denen wir die Auswirkungen der
            lauf-System wird weniger leistungsfähig.“ Zwei Prob-       Isolation auf die Raumfahrenden abmildern können“,
            leme, die in der Raumfahrt schon länger bekannt sind.      sagt Jordan. Die Psyche der Astronautinnen und Ast-
            Trotzdem wirken entsprechende Gegenmaßnahmen               ronauten spiele eine enorme Rolle für den Erfolg einer
            nur bedingt und kosten vor allem viel Zeit. Zeit, die      Mission. Nicht nur ihre psychische, auch ihre physische
            kostbar ist im Weltraum. Zwei Stunden pro Tag müssen       Gesundheit leide, wenn zum Beispiel die Motivation
            die Astronautinnen und Astronauten trainieren. Völlig      fehle, um jeden Tag zu trainieren. Dann sei nicht nur
            verhindern kann aber auch das intensive Training den       die Sicherheit des Teams, sondern die gesamte Mis­sion
            Muskelabbau nicht. „Als die Raumfahrt noch in den          gefährdet.
            Kinderschuhen steckte, waren die Astronauten nach             Ziel sei es daher herauszufinden, was genau im
            ihrer Rückkehr fast komplett immobilisiert. Auch ­heute    Körper passiere und geeignete Präventionsmaßnah-
            können wir dies mithilfe von Ernährung, Wasser- und        men zu entwickeln. „Wir wollen wissen, ob es Prädi-
            Salzzufuhr sowie entsprechendem Training nicht voll-       katoren gibt, die auf gewisse Risiken frühzeitig hin-
            ständig verhindern“, erklärt Jordan. Nach ein paar         weisen und wie und wo wir ansetzen können, um die
            Tagen auf der Erde normalisiere sich der Zustand           Auswirkungen der Umweltbedingungen auf den Men-
            ­allerdings wieder. „Wenn die Astronauten jedoch auf       schen möglichst gering zu halten“, sagt Jordan. Dabei
             dem Mars aussteigen und nicht gehen können oder           stelle die Raumfahrt die medizinische Forschung vor
             einen Ohnmachtsanfall erleiden, ist das ein Problem“,     enorme Herausforderungen. „Wir sind sehr einge-
             so der Institutsleiter mit Blick auf zukünftige Raum-     schränkt in unseren Untersuchungsmethoden. Schon
             fahrtprojekte.                                            eine Blutabnahme ist im Weltall nicht mehr trivial, da

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Forschungs-objekt: Astronaut - Spezial
Spezial

die Astronauten sie selbst vornehmen müssen.“ In der        Forschung auf Erdlinge übertragbar
Raumfahrtmedizin müsse man sich traditionell behel-
fen. Und vieles sei im Weltraum schlicht nicht möglich.         Auch die Folgen von Isolation und mögliche Gegen-
„Wir entwickeln daher Modelle, mit denen wir die            maßnahmen seien Themen, die nicht ausschließlich
Menschen auf der Erde in Umgebungsbedingungen               für die Luft- und Raumfahrt relevant sind, sagt Jordan
versetzen, die denen im Weltraum ähnlich sind. Gleich-      und meint damit nicht nur die soziale Isolation in der
zeitig erforschen wir Methoden, mit denen wir diese         Coronapandemie. Ältere Menschen seien oft sozial
Menschen sehr genau untersuchen und schon subtile           isoliert. Auch sie könnten von den Forschungsergeb-
physische und psychische Veränderungen nachweisen           nissen des Instituts profitieren. Jordan nennt das ein
können.“                                                    „Voneinander lernen“. Denn die Forschung des
                                                            ­Instituts komme nicht nur einer relativ kleinen Grup-
Kopfüber für die                                             pe von Menschen im All zugute, sondern auch Men-
Raumfahrtforschung                                           schen auf der Erde. „Viele unserer Forschungser­

      Ein Beispiel dafür sei die Bettruhestudie, bei der
   zwölf Studienteilnehmer im luft- und raumfahrt­
   medizinischen Forschungslabor :envihab 30 bis 60
   Tage in 6 Grad-Kopftieflage im Bett liegen, berichtet
   Jordan. „Wie im Weltall werden hier Muskeln, Knochen
   und Herzkreislaufsystem entlastet und es findet
   eine Flüssigkeitsverschiebung zum Kopf hin statt.
   Wir simulieren Veränderungen, wie sie im Weltall
   stattfinden und können detaillierte Untersuchungen
   durchführen“, erklärt Jordan. Gleichzeitig testet das
   Team des :envihab auch Gegenmaßnahmen. Eine
   Idee sei, mithilfe einer Kurzarm-Human-Zentrifuge
   im All künstlich Schwerkraft zu erzeugen. Die For-
   schungsmöglichkeiten im Institut helfen laut Jordan
   auch dabei, Fragen der medizinischen Grundlagen­
   forschung zu beantworten. „Das relevante Modell
   in der Medizin ist der Mensch. Und wir können Unter-
   suchungen beim Menschen machen, die woanders
   nicht möglich sind.“
      Im Weltraum arbeiten die Astronautinnen und           Ruhen können die Probandinnen und Probanden in der Bettruhestudie
   Astro­nauten in Schichten. Der Tag ist stark durch­      des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin nicht. Medizinische
   getaktet, die Arbeitsbelastung hoch. Viele und           Untersuchungen und wissenschaftliche Tests dominieren des Tagesablauf.
   ständige, laute Geräusche und der fehlende Tag-Nacht-                                                                     Foto: DLR
   Rhythmus bringen die innere Uhr der Astronauten
   durcheinander, berichtet Jordan und fügt hinzu:          gebnisse lassen sich für die Menschen auf der Erde
   „Astronauten schlafen nicht liegend auf einer            übersetzen“, so Jordan. Gleichzeitig lernten die Raum-
   Matratze. Sie flotieren auch im Schlaf frei im Raum.“    fahrt-Wissenschaftler viel von bestimmten Patienten-
   Das störe den Schlaf. Ähnliche Probleme gebe es          gruppen. Jordan verweist auf eine Studie, die die For-
   in der Luftfahrt, sagt ­Jordan. „Schichtarbeit, Jetlag   scher des Instituts gemeinsam mit der Kinder­
und Schlafmangel gefährden die Gesundheit und               kardiologie der Universitätsklinik Bonn und der Uni-
Sicherheit des fliegenden Personals.“ Die Forschung         versity of Texas Southwestern durchführen. Dabei
des Instituts hat bereits ergeben: Manche Menschen          ­simulieren die Forscherinnen und Forscher im :en-
halten Schlafmangel besser aus als andere. „Doch             vihab Umweltbedingungen, wie sie zum Beispiel hoch
obwohl Menschen sehr u       ­ nterschiedlich auf Schlaf­    in den Bergen oder in der Luftfahrt vorherrschen. Sie
mangel reagieren, funktionieren Schichtsysteme               wollen herausfinden, ob Menschen mit nur einer funk-
­pauschalisiert, nicht individualisiert“, erklärt Jordan.    tionierenden Herzkammer in der Lage sind, den Sauer­
 Ein Problem, dass viele Menschen auf der Erde mit           stoffgehalt im Körper unter solchen Bedingungen
 Beschäftigten in der Luftfahrt teilen. Laut Jordan          aufrecht zu erhalten. Immer mehr Kliniken nutzen die
 ­mindern all diese Faktoren die kognitive Leistungs­        Möglichkeiten, die das Forschungszentrum ihnen
  fähigkeit und erhöhen die Fehlerhäufigkeit. Dazu           ­bietet und greifen auf die Expertise des Instituts zu-
  ­kommen gesundheitliche Folgen wie Stoffwechselstö-         rück, erzählt Jordan. „Kolleginnen und Kollegen aus
   rungen. „Die Forschungsergebnisse, die wir hier für        der Klinik machen bei uns Forschungsaufenthalte. Wir
   die Luft- und Raumfahrt gewinnen, lassen sich auch         sind auch dabei, uns immer mehr zu vernetzen und
   auf Schichtarbeitssysteme in anderen Berufen über-         arbeiten gerade mit den Unikliniken in Nordrhein-West-
   tragen.“                                                   falen eng zusammen.“

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2022                                                                                              19
Forschungs-objekt: Astronaut - Spezial
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