France Prešeren - slowenische und kosmopolitische Dimension seines dichterischen Werkes

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Miran Hladnik

France Prešeren – slowenische und kosmopolitische
Dimension seines dichterischen Werkes
Es ist immer seltsam, über die slowenische Literatur und Kultur in einer anderen Sprache zu
sprechen. Die interessieren nur die Einheimischen und nur wenige Ausländer, die aber meistens
Slawisten sind und Slowenisch verstehen. Eine solche Gelegenheit bietet sich nicht so oft an und sie
ist zugleich eine Herausforderung, sich selbst von auβen zu sehen, was entweder zu alternativen
Interpretationen oder zu Abweichungen von den bestehenden Selbstbetrachtungen führen kann.

1984 habe ich zum ersten Mal in Deutschland einen Vortrag gehalten, und zwar in Regensburg. Das
Thema war die Trivialliteratur. Im Jahr 1990 bin ich als Humboldstipendiat in Göttingen gewesen.
Unter anderem habe ich damals einen Vortrag über die slowenische Erzählung in Tübingen
vorbereitet, der wegen des mangelnden Interesses abgesagt wurde. Zuletzt nahm ich 2005 an einer
slawistischen Konferenz in Wittenberg teil – alle meine deutschen Vorträge sind im Internet
erreichbar. Ich danke bei dieser Gelegenheit dem slowenischen Konsulat für die Reise-Finanzierung
und begrüβe Sie herzlich; besonders Irma Kern, die slowenische Lektorin an Ihrer Universität, die
alles organisiert hat.

Zum viel versprechenden Titel des Vortrags. Wir wollten ein breites Interesse wecken, weil Prešeren
unter Deutschen ein weniger bekannter Künstler ist. Es geht um einen slowenischen Klassiker. Er
gehört zugleich auch zur deutschsprachigen Literatur. Und, wir möchten glauben, auch zur
Weltliteratur. Für France Prešeren wird jeder Schüler in Slowenien ohne Zögern sagen, dass er der
gröβte slowenische Dichter ist. Am 8. Februar werden dieSlowenen seinen 163. Todestag feiern.
Sowie Dante der bekannteste italienische Dichter, Puškin der bekannteste russische Dichter und
Goethe der bekannteste deutsche Dichter ist, so ist Prešeren einer der bedeutendsten slowenischen.

Prešeren wurde am 3. Dezember 1800 in Vrba in der Nähe von Bled im damaligen Österreich, und
zwar den Bauerneltern geboren. Er ist1849 in Kranj (Krainburg) gestorben. Er studierte Jura in Wien
und arbeitete als Angestellter in einer Rechtsanwaltskanzlei in Laibach (Ljubljana), in der Hauptstadt
des Herzogtums Krain, die damals nur 12.000 Einwohner zählte. Fünfmal wurden seine Bewerbungen
für eine selbständige Advokatur abgelehnt und erst zwei Jahre vor seinem Tod hat er sich als
Rechtsanwalt selbständig gemacht. Sein Leben kann man nicht als sehr glücklich bezeichnen.
Prešeren war vom Tod seines besten Freundes und von der unerfüllten Liebe tief betroffen. Er führte
ein bohemisches Leben, sorgte nicht für seine zwei uneheliche Kinder aus einer Beziehung mit einem
jüngeren Hausmädchen, trank viel un starb vereinsamt an der Leberzirrhose.

Obwohl Prešeren wenig gereist ist, war er ein Weltbürger und ein Freigeist. Quantitativ gesehen, war
er als Dichter nicht sehr produktiv. Er hat nur eine Gedichtsammlung – Poezije, 1847 –
herausgegeben. Immerhin ist es ihm durch die Annahme der eminentesten romanischen
Dichtformen wie Sonett und Romanze, der germanischen Dichtform Ballade und der arabischen
Ghasele gelungen, die slowenische Literatur auf die europäische Ebene zubringen. Seine Dichtung ist
durch drei groβe Themen geprägt: die Liebe zu einer unerreichbaren Frau, die eigene Dichtung und
das Schicksal seiner Nation. Er war vor allem ein Dichter der Liebe. Er war kein Volksdichter, denn er
hat für eine dünne Schicht der nationalbewussten slowenischen Intellektuellen geschaffen, und zwar
in einer Sprache, die einen gut ausgebildeten Leser verlangte.
Wo kann man am schnellsten seine biographischen Daten finden? InWikipedia. Obwohl die
slowenische Literatur mit kaum zwei Millionen potentielle Leser nicht zu den sog. groβen Literaturen
gehört, findet man France Prešeren in 40 Nationalenzyklopädien, d. h. in 40 Sprachen. Zum
Vergleich: Der Goethe-Artikel ist in 121 Sprachen geschrieben. Die Prešeren-Artikel in Wikipedia
weisen unterschiedliche Länge und Qualität auf; einige davon haben die Auslandstudenten in
meinem Seminar geschrieben. Sehen wir uns die deutsche Wikipedia an. Ich bin ein eifriger
Wikipedist und Wikipedianer und kann einfach nicht daran vorbei gehen. Hinsichtlich der Geschichte
der Seite ist es evident, dass sie am 14. Juli 2004 geschaffen wurde; die ersten Zeilen des Artikels
wurden am 25. Juli geschrieben. Der Verfasser des Artikels ist Tilman Berger, der Professor der
slawischen Sprachen an der hiesigen Universität. Es war ein Sonntag um 8.30, als Prešeren seinen
Platz in der Wikipedia erhielt; nur ein paar Monate später, als der slowenische Prešeren-Artikel in der
slowenischen Wikipedia entstanden ist. Der Kollege Berger hat an dem selben Tag auch die Artikel
über Taras Ševčenko, Lenin, Beria etc. geschrieben. Bis heute ist der Prešeren-Artikel 128 Mal von
verschiedenen Verfassern verbessert worden.

Die Wikipedia ist natürlich nicht die einzige verfügbare deutsche Quelle. 1869 hat es mit den
Übertragungen unter dem Titel Lieder des Franz Prešern angefangen, 1880 wurden Preširenklänge
von Edward Samhaber herausgegeben, 1901 erschienen die gesammelten Poesien, aus dem Jahr
1936 ist eine bibliophile Auswahl Gedichte, die von Lili Novy übersetzt worden war, aus dem Jahr
1978 eine Berliner Ausgabe und aus dem Jahr 1987 eine Münchner Ausgabe. Die letzten zwei
Editionen Prešerens Gedichte sind 2000 und 2005 in Klagenfurt herausgegeben worden, und zwar
mit einer literaturwissenschaftlichen Einleitung von Prešernianer Boris Paternu.

Eine besondere Geschichte stellen die Ausgaben der deutschen Gedichte von Prešeren dar. Ein
Fünftel der Gedichte hat er in der damals zweiten Landesprache Deutsch verfasst und beabsichtigte
zuerst sogar eine zweisprachige Gedichtsammlung herauszugeben. Das ist nicht geschehen und seine
deutschen Gedichte erschienen erst 1902, die letzte Ausgabe ist aus dem Jahr 1999; der Herausgeber
war Wilhelm Baum in Klagenfurt (Deutsche Dichtungen, Verlag Kitab, Reihe Tangenten). Es stellt sich
deswegen die Frage, ob Prešeren nur ein slowenischer Dichter ist oder ob es angemessener ist,
Prešeren als einen zweisprachigen, slowenisch-deutschen Dichter zu bezeichnen.

Ein Teil der Forschung zu Prešeren findet man auch auf Deutsch. Noch bevor er zwanzig Jahre nach
dem Tod als slowenische kulturelle Ikone gelobt wurde, war er vom deutschen Literaturkritiker
Vinzenz Rizzi »entdeckt« worden. 1867 erschien in Graz eine biographische Skizze mit dem Titel Der
slowenische Dichter France Prešérn; ihr Autor war der deutschkrainerische Dramatiker Heinrich
Penn. Im Jahr 1929 hat der Franziskaner Roman Leo Tominec eine Dissertation Franz Xaverius
Prešeren und die deutsche Literatur verteidigt. Beim Trofenik Verlag in München ist 1994 in der Reihe
Geschichte, Kultur und Geisteswelt der Slowenen eine Monographie von Boris Paternu, France
Prešeren: Ein slowenischer Dichter 1800–1849, erschienen. 1999 ist ein Sammelband mit dem Titel
Interkulturelle Assymetrie: Edward Samhabers Übertragung des slowenischen Nationalautors France
Prešeren erschienen, das von Ralf Georg Bogner und Andreas Brandtner redigiert wurde.

Ich möchte über die Bedeutung Prešerens für die slowenische Kultur sprechen. Prešeren spielt eine
äuβerst wichtige Rolle für die slowenische kulturelle Identität. Die Mythisierung seiner poetischen
und menschlichen Gestalt ist besonders stark in der Schule und geht Hand in Hand sowohl mit der
Dämonisierung seines Gegners als auch mit der Idealisierung seiner Freunde. Wir werden etwas über
Prešerens Privatleben und über seine Dichtung lernen.

Prešeren überall
Prešeren ist ein beliebter Forschungsgegenstand. Die Bibliographie der Prešerenforschung umfasst
750 Seiten. Drei umfangreiche biographische Romane (von Ilka Vašte, Anton Slodnjak und Mimi
Malenšek) erzählen über sein Leben. Es gibt eine Oper, einen Spielfilm und eine Fernsehserie. Es
wurden zahlreiche Symposien und Konferenzen zu Jubiläen organisiert und eine Reihe von
Webseiten erstellt. Vertont wurden mehr als 200 seiner Gedichte. Es gibt 4 Prešerens Plätze in
Slowenien, ein Prešeren-Ufer (Prešernovo nabrežje), 15 Prešerenstraβen (Prešernova cesta) oder
Prešerengassen (Prešernova ulica), Prešerns Name tragen 4 Grundschulen, Kulturverbände,
Bibliotheken, Verlagshäuser, Theater. Seine Poesien werden fast jedes Jahr nachgedruckt (über 170
Ausgaben bis heute). Als Slowenien noch die eigene Währung hatte, schmückte Prešeren die 1000-
Tolar-Banknote, heute findet man seine Silhouette samt seiner Schrift auf der 2-Euro-Münze. An den
Dichter erinnern einige Denkmäler. Der Tag seines Todes ist ein Nationalfeiertag, sein Trinklied
Zdravljica (1846) wurde 1991 zur Nationalhymne bestimmt.

Zdravljica ruft nach der Freiheit der Nation, nach dem Verständnis unter den gleichberechtigten
Nachbarländern und nach der Freundschaft unter den Leuten. Man könnte das Gedicht ruhig als
Slogan für Internationalismus nutzen oder als Antizipation der heutigen europäischen und
zivilisatorischen Idealen verstehen. Das Gedicht war besonders während des zweiten Weltkrieges
unter den Partisanen populär, heute aber klagen einige Dichter und Intellektuellen, dass es nicht
genug »national« sei und dass die Prešerens Hymne mit irgendeinem anderen Gedicht zu
verwechseln ist. Das beweist, wie die utopischen Sozialziele von Prešeren weit über unseren Horizont
hinaus reichen:

        Es leben alle Völker,
        die sehnend warten auf den Tag,
        daß unter dieser Sonne
        die Welt dem alten Streit entsag!
        Frei sei dann
        jedermann,
        nicht Feind, nur Nachbar mehr fortan!
                 (Übersetzung Klaus Detlef Olof)

Prešeren – eine kulturelle Ikone
Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich mich irre, aber es scheint, dass der slowenische Kulturtag, der
Arbeit frei ist, keine Parallele bei den anderen Nationen hat. Von Auβen gesehen, ist es ein bisschen
seltsam und es ist auch schwer zu verstehen, warum der Todestag eines krainerischen Rechtsanwalts
für die Slowenen so wichtig ist. Ein Rechtsanwalt, der in seiner Freizeit Gedichte schrieb und dadurch
der berühmteste slowenische Dichter geworden ist. Am 8. Februar, Prešerens Tag, werden in der
slowenischen »Kulturkathedrale« Cankarjev dom in Ljubljana (schon wieder eine Institution, nach
einem Schrifsteller genannt) die höchstangesehenen Kulturpreise erteilt: an Künstler, Dichter,
Schriftsteller, Dramatiker, Bildhauer, Architekten, Schauspieler, Komponisten, Musiker, Tänzer,
Regisseure usw. Die prominentesten Leute aus dem politischen und kulturellen Leben tauchen dort
auf.
Im 19. Jahrhundert hat die Literatur am meisten zur Bildung der Identitäten der neuentstandenen
europäischen Nationalstaaten beigetragt. Die Slowenen sind überzeugt davon, dass die
kulturformende Rolle der Literatur bei uns gröβer war als bei den anderen Nationen. Man beruft sich
auf die Tatsache, dass sogar die Partisaneneinheiten während des zweiten Weltkrieges die Namen
der Dichter trugen, z. B. Prešernova brigada (Prešerens Brigade, am 15. Dezember 1941 gegründet),
oder darauf, dass die Begräbnisse der Poeten seit immer zu den nationalen Ereignissen zählten.
France Prešeren wurde z. B. von 8 Priesteren begraben, das Begräbnis von Fran Levstik dauerte
mehrere Tage, »der Görzer Nachtigall« Simon Gregorčič wurde 1906 von Tausenden auf seinem
letzten Weg begleitet.

Einige slowenische Dichter genossen einige soziale Privilegien schon Zeit ihres Lebens, z. B. eine
Rente, obwohl sie nie berufstätig waren. Den Dichtern geht es nicht nur um gelesen zu werden,
sondern bestreben sie eine Rolle der nationalen, kulturellen, politischen und moralen Autoritäten.
Sie melden sich zum Wort in den Zeiten der Krise und der wichtigen geschichtlichen Entscheidungen,
und zwar im Namen der nationalen Interessen und der humanistischen Idealen. Sie engagieren sich
häufig in der Politik und kandidieren als Bürgermeister, Abgeordnete und sogar Minister, wobei sie
vergessen, dass sie schon Platon davor warnte und sie aus dem Staat vertreiben wollte;
wahrscheinlich wegen ihrer Naivität, Exklusivität, des Radikalismus und des fehlenden Gefühls für die
Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Dichter sind im Prinzip das Gegenteil von Politikern, die Meister
der Kompromisse. Trotzdem Zweifel an ihrer Teilnahme in der Politik muss man den Dichtern eine
Mobilisationskraft in den entscheidenden Momenten der nationalen Vergangenheit zuschreiben.

Eigene Kultur zu pflegen, war immer eines der Hauptmotive der slowenischen politischen
Bestrebungen. 2 % Gesamtbudget für Kultur und die aktuelle politische Entscheidung das das
Kulturministerium abschafft, zeigt, dass die Kultur eher eine symbolische Rolle spielt. Zugleich
bezieht sich die Kultur noch immer fast nur auf die geistlichen Ergebnisse und wird nie mit dem
Entertainment (Unterhaltung) gleichgesetzt. Im alltäglichen Leben ist es schon wieder anders. Die
Slowenen schätzen zwar die Dichter (besonders nach dem Tod), obwohl sie ihre Gedichte seltener
lesen. Nur wenige Leute lesen Prešerens Gedichte vor dem Schlafen. Prešeren lesen bspw. die
Professoren vor ihren Vorträgen, die Studenten vor den Examen, wogegen die Mehrheit fern sieht,
was man als »normal« bezeichnen kann.

Den Literaturwissenschaftler interessiert der inhaltliche und der formale Aspekt seiner Dichtung, auf
welche Traditionen berief er sich, welche Dichtformen übernahm er etc. Diese Forschungsfragen
haben nichts mit dem nationalen Ruhm Prešerens zu tun. Sein Ruhm gründet vor allem darauf, dass
er die poetischen Aufgaben einfach besser als die anderen Dichter in seiner Zeit und auch später
erfüllt hat. Er entschied sich für die slowenische Sprache, um die komplexen persönlichen und sozial
relevanten Themen zum Ausdruck zu bringen. Damit hat er Slowenisch, die Sprache, die damals auf
die einfachen Kommunikationsformen begrenzt war, auf eine beneidenswerte Kulturebene erhoben.
Prešeren ist also nicht jemand, der die nationale Folklore (wie z. B. der serbische Romantiker Vuk
Karadžić) zur hohen Kunst erhoben hat (nein, er hat sich in Nova pisarija über die ausdrucksarme
Bauernsprache sogar lustig gemacht), sonder jemand, der die fremde literarische Tradition ins
Slowenische übertragen (importiert und adaptiert) hat. Eine entwickelte Sprache zu haben, war eine
der Voraussetzungen für die nationale Identität, so dass Prešeren Verdienste für die Bildung einer
selbständigen slowenischen Identität hat.
Charakter und Gestalt
Vrba, Prešerens Geburtsdorf, war dank den Fuhrleuten ziemlich wohlhabend. Die Bauern konnten die
Kinder schulen und Prešeren war einer von diesen. Prešeren war nicht der einzige erfolgreiche
Mensch, denn noch einige von seinen Landsleuten machten Karriere (Matija Čop, Fran S. Finžgar,
Janez Jalen, Anton Janša) und ihre Geburtshäuser sind auch als Museen eingerichtet worden. Das
Land ist sehr schön: der Dichter Prešeren beschrieb die schöne Gegend von Vrba, mit Karawanken im
Hintergrund auf der einen Seite und mit der Bled Insel auf der anderen Seite, die eigentlich eine
Abbildung des Paradieses ist.

Prešerens Mutter wollte, dass er den Weg des Priesters einschlägt. Es war üblich unter den Bauern,
das die jüngeren Brüder für diesen Beruf entschieden und dass die unverheirateten Schwestern bei
ihnen als Hausfrauen arbeiteten. Damit wurde der Platz für den ältesten Sohn geschafft. Er erkannte
jedoch, dass er nicht diesen Weg einschlagen wolle. Er hat sich dagegen für die Jura entschieden und
mit der besten Note promoviert. Seine Mutter hat als Mädchen die Klosterschule in Villach besucht,
spielte zu Hause eine dominante Rolle und beeinflusste sehr ihren Sohn. In der Familie von Prešeren
gab es 8 Kinder (vulgo Pri ribiču 'Zum Fischer'): ein Bruder, »der schönste laibacher Student«, ist früh
gestorben, der zweite ist Priester geworden und trank viel, vergiss die Muttersprache und verachtete
Prešerens uneheliche Kinder. Prešerens Schwester hat spät geheiratet, der Mann der anderen
Schwester hat das Haus geerbt und die Eltern von Zuhause verbannt, die anderen Geschwister
dienten den Brüdern, dem Dichter die unfreundliche Katra. Es ist interessant, dass die Prešernianer
den Nonkonformismus und den freien Geist des Poeten betonen, obwohl er sich seiner Familie
ziemlich verpflichtet fühlte; er besuchte oft seine Verwandten und korrespondierte mit ihnen.

Wir wissen nicht, wie Prešeren ausgesehen hat. Er hat sich weder fotografieren noch porträtieren
lassen, obwohl der Maler Matevž Langus sein Freund war. Erst nach seinem Tod sind mehr als hudert
Porträts entstanden, und zwar nach den Beschreibungen von seinen Zeitgenossen. Er hatte eine
stämmiger Gestalt, mittelhoch, bis 30. Jahr schlank, später dick. Er hat einen dunklen Frack mit einem
hohen dandyartigen Kragen getragen, einen Zylinder und die Stiefel. Sein Gesicht war
sonnengebräunt, er hatte eine niedrige Stirn, kleinen Mund, winzige Augen, lange und leicht
gekräuselte scwarze Haare. Er sprach leise (er war kein guter Redner) und drückte sich gern
mehrdeutig aus. Am Ende seines Lebens war er eher eine traurige Figur, die anständigen laibacher
Bürger vermieden sogar den »besoffenen Dichter«.

Prešerens Gegner
Die Slowenen mythisieren noch immer Prešeren, besonders in der Schule. Prešeren ist eine
literarische und kulturelle Nationalikone. Es werden ihm meistens nur die positiven Eigenschaften
zugeschrieben, was im Einklang mit seinem Genius wäre. Die Gröβe Prešerens wird damit zum
Ausdruck gebracht, dass man seine Gegner schwarz malt. Obwohl er wenige Gegner hatte, ist es den
eifrigen Literaturhistorikern und Schullehrern gelungen, den Konkurrenten von Prešeren negative
Eigenschaften zuzuschreiben. Der Wahrheit zugunsten muss man zugeben, dass Prešeren sich seine
Feinde selbst gemacht hat. Vom ersten Erfolg berauscht, hat er 20 Epigramme geschrieben. Für die
Konflikte mit seiner Umgebung musste er dem eigenen Stolz danken, was auch einer der Gründe
seines profesionellen Misserfolgs war.
Der erste Prešerens Gegner war der Wiener Staasbibliothekar, Zensor und Grammatiker Jernej
(Bartholomäus) Kopitar, dem der junge Prešeren seine Gedichte geschickt hat. Kopitar hat dem
Dichter geraten, die Gedichte in die Schublade zu legen und sie nach einigen Jahren zu bearbeiten.
Prešeren nahm den Rat des Wissenschaftlers zu ernst und verbrannte seine frühesten Gedichte, doch
Groll blieb, was sich später in der Polemik über die slowenische Schriftsprache zeigte. Obwohl
Kopitar linguistische und kulturgeschichtliche Autorität war, übernahm er damit die Rolle des
kulturellen Sündenbocks. Wenn Kopitar das vorromantische Ideal der authentischen Volksprache
hatte, wollte Prešeren auch komplexere Fragen zum Ausdruck bringen; das slowenischen Volksidiom
war der Komplexität der Fragen nicht gewachsen. Kopitar war für die Literatur für das Volk, Prešeren
dagegen verteidigte die Ansicht, dass man die Literatur für gebildete Leser schreiben sollte.

Der zweite Zeitgenosse, der die Bewunderer Prešerens »ärgert«, war Jovan Vesel Koseski, Anwalt
und Finanzbeamter in Triest. Er veröffentlichte seine pathetischen und patriotischen Gedichte in
Novice und erwarb sich Renomee als erster Dichter. Sein Ruhm hat einige Jahre lang Prešerens
Ansehen beschattet; Janez Bleiweis, der Herausgeber der Zeitschrift Novice, hat von seiner Euphorie
sogar vergessen, Prešeren einzuladen, bei der Gestaltung von seiner Zeitschrift mit den Gedichten zu
helfen. Obwohl heute Koseski kaum lesbar ist, ging es damals um einen ernsten »Kampf«. Matija
Čop, die höchste ästhetische Autorität und der Freund von Prešeren, schätzte Koseski sehr. Bleiweis
verglich Prešeren mit einem Schwan und Koseski mit einem Adler. Er schlug Prešeren vor, nicht nur
die Liebesgedichte zu schreiben, sondern auch ernstere, d. h. patriotische Themen zu bearbeiten;
nach dem Vorbild von Koseski. Es ist interessant, dass die Nachnamen beider Poeten, Prešeren und
Vesel, auf Deutsch das Gleiche bedeuten, nämlich 'fröhlich'. Im Wörtrebuch von Pleteršnik liest man
folgendes unter dem Stichwort prešeren: »ausgelassen, muthwillig, übermüthig, schalkhafter,
leichtsinnig, keck, frech, geil, unzüchtig, hoffährtig, zügellos«. 700 Personen in Slowenien tragen
einen slowenisierten Nachnamen Frelih, 400 davon in Oberkrain (Gorenjska). Vgl. nur 335 Prešeren,
wieder 240 davon in Ljubljana und Gorenjska, und 886 Vesel.

Prešerens Idee wurde einigermaβen von denjenigen bedroht, die sich für die Vereinigung der
slawischen Sprachen engagiert haben. Die sog. kleineren Sprachen sollten sich nur auf die
Alltagskommunikation begrenzen. Die Bewegung wurde unter der Namen Illyrismus und
Panslavismus bekannt. Der Vertreter der illyrischen Idee war der Freund von Prešeren, der
slowenische steierische Dichter Stanko Vraz. Die Geburtshäuser der beiden Poeten waren nur 225 km
voneinander, doch wegen der Dialektunteschiede verstanden sie einander kaum und unterhielten
sich (genauso wie auch alle slowenischen Intellektuellen) deutsch. Vraz beklagte sich, er versteht
Prešerens Poeme Krst pri Savici (Die Taufe an der Savica) nicht. Die Herausgeber der Laibacher
Zeitung Illyrisches Blatt lehnten die Gedichten von Vraz ab, weil sie vom zentralslowenischen Leser
nicht verstanden wurden. Prešerens Mentor Matija Čop wollte zwar die krainerische slowenische
Sprache mit einigen steierischen Wörtern bereichern und sie damit den Ostslowenen verständlich
machen, doch Prešeren blieb im Kreinerischen verankert. Enttäuscht wegen der Unwilligkeit
Prešerens, sich dem Ostslowenischen von Vraz anzunäheren, entschied sich der letzte nach Zagreb
umzuziehen und auf Illyrisch zu schreiben. Aus dem slowenischen Poeten ist ein wichtiger kroatischer
romantischer Dichter geworden. Die Entscheidung ist leichter zu verstehen, wenn man
berücksichtigt, dass der Anteil der Deutschen unter der Bevölkerung in der Steiermark gröβer war als
in Prešerens Krain, so dass es eigentlich nötig war, sich an die noch zahlreicheren slawischen
Nachbarn im Abwehr gegen die Deutschen anzulehnen. Vrazs Entscheindung in der Nachbarliteratur
teil zu nehmen, suggeriert, wie klein die Unterschiede zwischen den verschiedenen südslawischen
Sprachen waren.

Am leichtesten schien damals auf Deutsch zu schreiben. Auβer 2 Briefe ist die gesammte
Korrespondenz von Prešeren deutsch. Mit den Freunden und machmal sogar mit der jungen und
schlecht ausgebildeten Geliebte Ana Jelovšek hat sich der Dichter deutsch unterhalten. Einige
Literaturhistoriker sind deswegen der Meinung, er hätte ein groβer deutscher Dichter werden
können,wenn er die Advokatur in Klagenfurt gekriegt hätte. An der selbständigen slowenischen
literarischen Existenz haben auch später viele gezweifelt, z. B. der Freund von Prešeren, der deutsche
Dichter Anton Graf von Auersperg. Ähnlich ist es noch heute. Heute zweifelt man z. B. an der
Angemessenheit der slowenischen Sprache in den Wissenschaften: Wissenschaft sei international
und man sollte heute überwiegend im Englischen publizieren.

Die Freunde von Prešeren
Prešeren war eine gesellige Person, ein regelmässiger Teilnehmer an manchen Geselligkeiten. Echte
Freunde hatte er doch nur zwei: Andrej Smole und Matija Čop. Smole war eine bohemische Figur,
Čop ein nüchterner Wissenschaftler. Sie haben auf diese Weise der ambivalenten Natur Prešerens
entsprochen. Der labile Andrej Smole war der Sohn einer reichen Laibacher Wirtin (heute Pri Figovcu,
umgangsprachlich Figabirt). Die Enttäuschung in Liebe hat ihn ins Trinken getrieben und er hat die
ganze Erbe verschwendet. Smole beabsichtigte eine slowenische Zeitschrift herauszugeben, er hat
die Volkslieder gesammelt und er hat ein Theaterstück aus dem Englischen übersetzt. Der klassische
Philologe Matija Čop, der in der Nähe von Prešerens Vrba geboren wurde, war eine introvertierte
Person. Er nahm die Stelle des Gimnasialprofessors in Lemberg (heute Lvov in Ukraine) an und hatte
zuletzt eine Bibliothekarstelle in Lyzeumsbibliothek in Ljubljana. Der erudite Čop sprach 19 Sprachen,
war der Autor der ersten slowenischen Literaturgeschichte und ein dichterischer Mentor von
Prešeren.

Prešeren hat die beiden Freunde verloren, dazu scheiterten seine Ehepläne. Die Frauen, die ihn
liebten, hat er abgelehnt (eine Gräzerin Maria Kaetana Khlun und uneheliche Mutter seiner Kinder
Ana Jelovšek), diejenigen, die er liebte, haben ihn nicht gemocht: zwei Wirtstöchter und am tiefsten
wurde er von seiner Liebe zur Muse Julija Primic betroffen. Ihr hat er seine schönsten Gedichte
gewidmet. Die Khlun war reich, aber zu weit und zu alt für ihn (ihm gefielen eher die taufrischen
Mädchen), für die Primic Familie war er sozial unakzeptabel.

Es is überraschend, wie die Forscher von Prešeren Ana Jelovšek, die vom ihren 16. bis zum 29. Jahr
mit Prešeren in einer unehelichen Beziehung lebte, kritisiert haben. Die Literaturhistoriker haben ihr
eine schlechte Bildung vorgeworfen, Unmutterlichkeit und Unempfindlichkeit, da sie Prešeren zu
Heirat zwingte. Es geht um eine sehr chauvinistische Kapitel der slowenischen Literaturgeschichte.

Prešerens Dichtung
Prešeren ist in erster Linie als Liebesdichter bekannt. Sein erstes Gedicht Dekelcam (An die Mädchen)
hat er mit 27 Jahren in der laibacher (überwiegend deutschen) Zeitschrift Illyrisches Blatt
veröffentlicht. Die Frau war damals für ihn eine überhebliche Kokette, die die Gefühle vom Dichter
ablehnt. Sechs Jahre später taucht ein anderes Frauenideal auf; die unerreichbare Liebe. Die 16-
jährige Muse hieβ Julija Primic. Ihr hat er einen Sonettenkranz gewidmet und ihn in der Beilage des
Illyrischen Blattes publiziert. Julija ist gebeten, auf seine Liebe zu antworten und dadurch die Blüte
seiner hohen Dichtung und die Kultivierung und Erlösung des slowenischen Volkes zu ermöglichen.
Der Sonettenkranz, damals der führende Beweis der sprachlichen Kultur eines Volkes, war eine
dichterische Neuigkeit, die Prešeren meisterhaft bewältigte. Der Name von der Muse Julija Primic
war in den ersten Buchstaben der 14 Sonetten als Akrostichon eingemauert, womit Prešeren bei
ihrer Familie viel Ärger verursacht hat und sich den Weg zu ihr gesperrt hat. Seitdem gilt der
Sonnettenkranz in der slowenischen Literatur als eine typische slowenische Gedichtform.

Die zweite groβe Dichtungstat war der Epos Krst pri Savici (Die Taufe an der Savica). Er hat den Druck
selbst finanziert und das Buch wurde in 600 Exemplaren herausgegeben. Bald waren 200 Exemplare
verkauft, was damals nich wenig war. 500 Verse langes Gedicht erzählt über dem Kampf zwischen
haidischen und christlichen Slowenen im Bohinj Tal im Jahr 772, über die Niederlage der Paganen,
wobei nur der Kriegsherr und die Hauptperson Črtomir am Leben bleibt. Als er sich mit seiner
Verlobten Bogomila trifft, die früher die Priesterin der Göttin Živa war, veroffenbart sie ihm, dass sie
inzwischen eine Christin geworden war und den Weg einer Nonne eingeschlagen hat, damit er im
Kampf am Leben bleibt. Sie überredet Črtomir und er lässt sich taufen. Er wird ein christlicher
Geistlicher und ihre Wege trennen sich.

Das Gedicht hat viele Interpretationen herausgefordert. Das Werk könnte als eine Metapher für den
Abschied des Dichters von seiner Geliebten Julija und vom gestorbenen Freund Čop interpretiert
werden. Das Werk kann auch in Hinsicht auf das fundamentale slowenische Dilemma, das es noch
heute gibt, gelesen werden, nämlich, ob es sich lohnt, eine fremde stärkere Kultur anzunehmen.
Črtomir antwortet auf die Frage mit einer resignativen Annahme eines fremden Glaubens, d. h. einer
fremden Kultur, und mit der Anpassung an die erfolgreicheren Nachbarn. Die eigene Identität wird
bewarht, wenn die fremde Kultur akzeptiert wird. Das Gedicht verherrlicht den Verzicht auf das
persönliche Glück zugunsten der Gemeinschaft Überleben. Obwohl Prešeren bei der slowenischen
Katholikern keinen guten Ruf hatte, hat Krst pri Savici mit der Taufe des Protagonisten den
kirchlichen Kreisen gefallen.

Der Höhepunkt der Dichtung Prešerens ist das Gedicht Pevcu (Dem Sänger, 1838), das in einer
strengen harmonischen Form über die zerspaltete und disharmonische Natur des Dichters spricht.
Prešeren hat auch Balladen und Romanzen gedichtet, die Volkslieder bearbeitet, Epigrammen und
Satyren geschrieben und am Ende seines Lebens in den Gelegenheitsreimen und obszönen Versen
genossen.

Zusammenfassung
Prešeren hat die romanischen und germanischen Dichtformen ins Slowenische übernommen und die
slowenische Literatur auf eine höhere, europäische Ebene erhoben. Er hat damit die Tradition des
didaktischen Dichtens abgebrochen. Er hat den autonomen Charakter der Dichtkunst verteidigt und
hat neben all seiner dichterischen Meisterschaft bewiesen, dass die slowenische Sprache eine flexible
und lebendige Sprache ist. Mit seinem literarischen Werk hat er zur Bildung der slowenischen Nation,
zum Erwecken des Nationalgefühls und zur Emanzipation der Slowenen im 19. Jahrhundert
wesentlich beigetragen.

Einige Webseiten
•   Prešeren.net. http://www.preseren.net
•   Prešerens sämtliche Werke am Wikisource. http://sl.wikisource.org/wiki/France_Prešeren
•   Dieser Vortrag. http://www.ff.uni-lj.si/oddelki/slovenistika/mh/preseren_dt.pdf
•   Die Präsentation. http://www.ff.uni-lj.si/oddelki/slovenistika/mh/preseren_dt.ppt
•   Der Vortragende. http://uni-lj.academia.edu/MiranHladnik/About

Slovenische Kulturtag, Universität Tübingen, Slavisches Seminar, Raum 426, Wilhelmstr. 50, am 31.
Jan. 2012 um 18 Uhr.

Deutsche Übersetzung redigiert von Urška Perenič
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