Friedrich Ebert (1871-1925) - Der erste deutsche Reichspräsident - Begleitheft zur Wanderausstellung der Stiftung ...

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Friedrich Ebert (1871-1925) - Der erste deutsche Reichspräsident - Begleitheft zur Wanderausstellung der Stiftung ...
Friedrich Ebert (1871–1925) –
Der erste deutsche Reichspräsident
                                    Begleitheft zur Wanderausstellung der
        Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg

                Herausgegeben von Bernd Braun und Walter Mühlhausen
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Friedrich Ebert (1871–1925) –
        Der erste deutsche Reichspräsident

                            Begleitheft zur Wanderausstellung der
Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg

        Herausgegeben von Bernd Braun und Walter Mühlhausen
                  Mit einer Einführung von Walter Mühlhausen

                    Im Selbstverlag der Stiftung, Heidelberg 2020
Friedrich Ebert (1871-1925) - Der erste deutsche Reichspräsident - Begleitheft zur Wanderausstellung der Stiftung ...
6         Impressum

Begleitheft zur Wanderausstellung
„Friedrich Ebert (1871–1925) – Der erste deutsche Reichspräsident“
der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg
Herausgegeben von Bernd Braun und Walter Mühlhausen
Mit einer Einführung von Walter Mühlhausen

Ausstellung
Konzeption: Bernd Braun/Walter Mühlhausen
Grafik: Ingo Preuß, Ladenburg

Begleitheft
Konzeption/Redaktion: Walter Mühlhausen
Grafik: Ingo Preuß, Ladenburg

Die Wanderausstellung entstand 2019 dank der von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
(BKM) zur Verfügung gestellten Sondermittel für das Jubiläum anlässlich des 100. Jahrestages der Wahl Friedrich
Eberts zum Reichspräsidenten. Die Ausstellung umfasst 13 Roll-Ups und eignet sich so vor allem auch für die Präsenta-
tion in kleineren Räumlichkeiten. Sie wird von der Stiftung kostenfrei angeboten.

Im Selbstverlag der Stiftung, Heidelberg 2020
Schutzgebühr 3 Euro

Die Stiftung wird gefördert aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

Anschrift
Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte
Untere Straße 27 • 69117 Heidelberg
Tel. 06221-91070
friedrich@ebert-gedenkstaette.de
www.ebert-gedenkstaette.de

ISBN 978-3-928880-60-2
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Inhalt                                                                                                                                                                   7

Friedrich Ebert – Stationen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4

Friedrich Ebert (1871–1925) – Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

         Rede nach der Wahl zum Reichspräsidenten am 11. Februar 1919  . . . . . . . . . . . . . . . . .  10

         Rede nach der Vereidigung auf die Verfassung am 21. August 1919  . . . . . . . . . . . . . . .  13

Die Ausstellung „Friedrich Ebert (1871–1925) – Der erste deutsche Reichspräsident“  .  .  . 18

Die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 46

Weiterführende Literatur und Bildnachweis .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 48
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8      Friedrich Ebert – Stationen

1871           4. Februar: geboren in Heidelberg

1877 – 1885    Volksschule

1885 – 1888    Sattlerlehre

1889 – 1891    Wanderschaft

1889           Eintritt in die sozialdemokratische Partei

1891           Ankunft in Bremen

1893/94        Redakteur

1894           9. Mai: Heirat mit Louise Rump

1894 – 1900    Pächter einer Gastwirtschaft

1900 – 1905    Arbeitersekretär der Gewerkschaften

1900 – 1905    Mitglied des Bremer Landtages („Bürgerschaft“)

1905           Wahl in den zentralen Vorstand der SPD; Umzug nach Berlin

1912 – 1918    Mitglied des Reichstages

1913           20. September: Wahl zu einem der beiden Vorsitzenden der SPD

1918           9. November: Reichskanzler

1918/19        führendes Mitglied der Revolutionsregierung

1919           11. Februar: Wahl zum Reichspräsidenten

1925           28. Februar: Tod in Berlin; 5. März: Beerdigung in Heidelberg
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Friedrich Ebert (1871–1925) ‒
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten
von Walter Mühlhausen

Auftakt in ein neues Zeitalter:                              Revolutionsregierung am 6. Februar 1919 die National-
ein Sozialdemokrat wird Staatsoberhaupt
                                                             versammlung eröffnet. Fünf Tage später steht nun die
Ein historischer Moment der deutschen Demokratiege-          Wahl des Reichspräsidenten an. Die Personalfrage ist
schichte vollzieht sich am 11. Februar 1919 im National-     eigentlich schon in Berlin entschieden worden. Es gilt als
theater von Weimar, als die Nationalversammlung auf          sicher, dass der ambitionierte Ebert mit großer Mehrheit
ihrer fünften Sitzung den ersten Reichspräsidenten der       gewählt werden wird. So sorgt es für Heiterkeit im Saal,
Weimarer Republik wählt: den Sozialdemokraten Fried-         als bei der kurz vor 16 Uhr beginnenden Wahl turnusge-
rich Ebert. Der thüringische Ort wird der ersten deutschen   mäß – weil es die fünfte Abstimmung mit Stimmzetteln
Demokratie ihren Namen verleihen: Weimarer Republik.         der Nationalversammlung ist – diejenigen Abgeordneten
Die Stadt an der Ilm ist von der im November 1918 ein-       als erste zur Abgabe ihres Votums aufgerufen werden,
gesetzten Revolutionsregierung, dem „Rat der Volksbe-        deren Nachnamen mit dem fünften Buchstaben des Al-
auftragten“, als Tagungsort für das erste demokratische      phabets, also mit dem „E“, beginnen. Der erste, der zur
Reichsparlament in der deutschen Geschichte bestimmt         Urne gerufen wird, ist Friedrich Ebert. Dass ausgerechnet
worden. Auch der Vorsitzende der SPD, Friedrich Ebert,       er als unangefochtener erster Anwärter auf das höchste
der führende Mann in der revolutionären Übergangs-           Staatsamt als erstes aufgerufen wird, entlockt auch ihm
regierung, hat sich für die mitteldeutsche Residenzstadt     einiges Schmunzeln.
mit ihren 37.000 Einwohnern stark gemacht, weil sie im       Auf Friedrich Ebert entfallen schließlich 277 der 379 ab-
Gegensatz zum weiterhin unruhigen Berlin als sicher gilt.    gegebenen Stimmen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte
Zugleich kommt man mit der Entscheidung den Ländern          besitzen die Deutschen damit ein demokratisch gewähl-
im Süden entgegen, die Bedenken gegen die Reichs-            tes Staatsoberhaupt, zum ersten Mal steht ein Zivilist an
hauptstadt gehegt haben. Jener Geist von Goethe und          der Spitze der deutschen Nation. Dass mit ihm einer aus
Schiller, der die Stadt der deutschen Klassik durchweht,     den Reihen der im Kaiserreich ausgegrenzten und diffa-
soll auf die neue Republik strahlen und insbesondere die     mierten SPD zum neuen Staatsoberhaupt Deutschlands
republikanische Verfassungsschöpfung durch die Natio-        gekürt wird, symbolisiert noch einmal den mit der Re-
nalversammlung durchdringen.                                 volution im November 1918 eingeleiteten fundamentalen
Hier im Nationaltheater hat Friedrich Ebert als Führer der   Wandel, der unter maßgeblicher Beteiligung des SPD-
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10        Friedrich Ebert (1871–1925)

                                                         Arbeitern die Monarchie zertrümmert und der Weg in die
                                                         Republik gebahnt worden.
                                                         Auf den ins holländische Exil geflohenen Kaiser Wilhelm
                                                         II. folgt ein Mann aus dem gemeinen Volk an der Spitze
                                                         Deutschlands. Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses
                                                         durch den Präsidenten der Nationalversammlung, Edu-
                                                         ard David (SPD), ergreift der 48-jährige Friedrich Ebert
                                                         das Wort. In seinem Dank versichert er, sein Amt unpar-
                                                         teiisch zu versehen: „Ich will und werde als der Beauf-
                                                         tragte des ganzen deutschen Volkes handeln, nicht als
                                                         Vormann einer einzigen Partei.“ Das wird der Wertmaß-
                                                         stab des Handelns als Reichspräsident. Ebert will nicht
                                                         wie sein Vorgänger, der Hohenzollernkaiser, ausgrenzen,
                                                         sondern sucht die Gesellschaft zu einen und zu vereinen.
                                                         Diese Verpflichtung zur überparteilichen Integration, ein
                                                         Novum in der Geschichte und stilbildend auch für die
                                                         Bundespräsidenten der zweiten deutschen Republik ab
                                                         1949, stellt den einen Teil seines Amtsverständnisses dar.
                                                         Gleichzeitig verweist er darauf, dass er als Sozialdemo-
                                                         krat auch immer die Interessen der Arbeiterbewegung im
                                                         Blick haben werde: „Ich bekenne aber auch, dass ich ein
                                                         Sohn des Arbeiterstandes bin, aufgewachsen in der Ge-
                                                         dankenwelt des Sozialismus, und dass ich weder meinen
                                                         Ursprung noch meine Überzeugung jemals zu verleug-
                                                         nen gesonnen bin.“ Mit diesen Leitsätzen als Orientie-
                                                         rungsmarken steht Friedrich Ebert bis zu seinem frühen
Porträtkarte vom April 1919 an den Jugendfreund          Tod am 28. Februar 1925 an der Spitze der ungefestigten
Karl Seppich in Heidelberg.
                                                         und von starken Gegenkräften bekämpften Republik.

                                                         Der Weg des Arbeiterführers
Vorsitzenden vollzogen worden ist. Am 9. November ist
unter der Wucht der Revolution, getragen von den sich    Friedrich Eberts Ursprung war das Kleine-Leute Vier-
nach Frieden, Freiheit und Brot sehnenden Soldaten und   tel der nordbadischen Universitätsstadt Heidelberg. Er
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wuchs auf im Milieu der Tagelöhner, Arbeiter und Klein-
handwerker der Altstadt, wo er am 4. Februar 1871 –
mittags um 12 Uhr – als siebtes von neun Kindern eines
Schneiders das Licht der Welt erblickt hatte. Nach der
Volksschule erlernte er das Sattlerhandwerk und schloss
sich während der anschließenden Wanderschaft, zu der
er wohl Anfang 1889 aufbrach, der sozialdemokratischen
Partei und der Sattlergewerkschaft an. Die Wanderschaft
endete 1891 in Bremen, das zu seiner zweiten Heimat
wurde. Hier blieb er bis 1905. In der Hansestadt stieg er
von einem unentwegten Parteiarbeiter zu einem weithin
bekannten Parteiführer auf. Auch privat wurden die Wei-
chen gestellt: 1894 heiratete er die aus ärmlichen Ver-
hältnissen stammende Hilfsarbeiterin Louise Rump, die
bis zur Eheschließung selbst gewerkschaftlich aktiv war.
Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor.
Ebert arbeitete zeitweise als Redakteur bei der örtlichen
Parteizeitung, danach sechs Jahre lang als Gastwirt, wo
er den um Rat suchenden Arbeitern unentgeltlich half,
bevor er 1900 als erster besoldeter Arbeitersekretär in der
Hansestadt hauptberuflich in sozialen und rechtlichen
Dingen Auskunft gab. Der Anwalt des kleinen Mannes
entwickelte sich zum versierten Sozialpolitiker. Als Funk-
tionär, der tagein, tagaus mit den Sorgen und Nöten des
Arbeiters konfrontiert wurde, wusste er, wo dem Prole-        Friedrich und Louise Ebert im Palais des
                                                              Reichspräsidenten 1919.
tariat der Schuh drückte. Das Los des Proletariats im Hier
und Heute wollte er über Reformen verbessern; er hielt
nichts davon, die eigene Gefolgschaft auf eine utopische      Lage der Arbeiterschaft. Er war Reformist, kein Revolu-
Heilsgesellschaft in ferner Zukunft, nach einer Revolution,   tionär.
zu vertrösten. So setzte er auch als Mitglied des Landes-     Als engagierter Vorkämpfer der Arbeiterrechte und Mul-
parlaments, der Bremer Bürgerschaft, zwischen 1900 und        tifunktionär der Partei machte er sich über die Grenzen
1905 auf schrittweise Reformen zur Hebung der sozialen        Bremens hinaus einen Namen, so dass er auf dem SPD-
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12         Friedrich Ebert (1871–1925)

Parteitag 1905 in Jena in den zentralen Parteivorstand         dem Ende 1918 die KPD hervorgehen sollte.
gewählt wurde. Hier war er für das Funktionieren der           Zu den politischen Anspannungen kamen noch private
mitgliederstärksten und am besten organisierten Partei         Sorgen und Belastungen. Drei seiner vier Söhne standen
des Kaiserreiches zuständig, die stetig wuchs: Von 1906        an der Front; im ersten Halbjahr 1917 fielen die Söh-
bis 1914 verdreifachte sich die Mitgliederzahl der SPD auf     ne Heinrich und Georg innerhalb weniger Monate. Die
rund 1,1 Millionen. Seit 1890 eilten die Sozialdemokra-        Eberts teilten das Leid vieler anderer.
ten bei den Reichstagswahlen von Erfolg zu Erfolg; ihre
                                                               Weichensteller in die Demokratie
Stimmenzahl stieg stetig: von 1,4 Mio. (1890) auf 4,25
Mio. (1912). Nach den Reichstagswahlen von 1912, bei           Im Krieg stieg Ebert zum beachteten Politiker von na-
denen auch Ebert erstmals ein Mandat – für den Wahl-           tionaler Bedeutung auf und wurde im Herbst 1918 zur
kreis Elberfeld-Barmen (heute Wuppertal) – errang, stell-      Schlüsselfigur, als im Angesicht der lange Zeit kaum für
te die SPD, die 34,8 Prozent der Stimmen erhalten hatte,       möglich gehaltenen Niederlage Militär und Reichsfüh-
mit 110 von 397 Abgeordneten die stärkste Fraktion im          rung die von der SPD immer eindringlicher geforderten
Reichsparlament.                                               Reformen zugestehen mussten. Gegen Widerstände in
Ein Jahr später, im September 1913, wählte der SPD-Par-        den eigenen Reihen führte Ebert seine Partei in die ers-
teitag, der sich wieder in Jena versammelte, Friedrich         te parlamentarische Regierung unter dem am 3. Okto-
Ebert als Nachfolger des verstorbenen August Bebel zum         ber berufenen Reichskanzler, dem badischen Thronfolger
Co-Vorsitzenden neben dem seit 1911 amtierenden Hugo           Prinz Max von Baden. Er erkannte die Notwendigkeit,
Haase. Aber ihre Zeit auf der Zinne der Partei sollte durch    nun in die Bresche zu springen, um das unsägliche Ka-
den vor allem von Deutschland vom Zaun gebrochenen             pitel Krieg zu einem einigermaßen erträglichen Ende zu
Ersten Weltkrieg überschattet werden. Weil auch die SPD        bringen und die Chance zur Teilhabe an der Regierung
an das von der Reichsführung vermittelte Bild vom Ver-         zu nutzen, auch wenn er sich bewusst war, dass es „ein
teidigungskrieg glaubte, reihte sie sich in die nationale      großes Opfer“ für die Partei sein werde, letztlich auch ein
Abwehrfront ein. So beschloss sie bei Kriegsausbruch im        „gewagtes Spiel“. So feierte Ebert in seiner letzten Rede
August 1914 den Burgfrieden, mit dem sie auf Opposition        vor dem kaiserlichen Reichstag am 22. Oktober 1918 die
gegen den Staat für die Dauer des Krieges verzichtete.         Bildung der ersten parlamentarisch gebundenen Regie-
Über diese Stillhaltepolitik spaltete sich die SPD. Im April   rung, der mit Gustav Bauer und Philipp Scheidemann
1917 bildete die Opposition, die diesen Kurs der von Ebert     auch zwei Vertreter der SPD angehörten, als „Geburtstag
angeführten Parteimehrheit nicht mehr mitzutragen ge-          der deutschen Demokratie“. Die dann Ende Oktober 1918
willt war, eine neue Partei: die Unabhängige Sozialdemo-       verabschiedeten Verfassungsreformen, die das Gewicht
kratische Partei Deutschland (USPD), der zunächst auch         des Reichstages gegenüber der Regierung stärkten und
der radikal-revolutionäre Spartakusbund angehörte, aus         die konstitutionelle Monarchie in eine parlamentarische
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überleiteten, waren zwar ein entscheidender Schritt in       möglich eine Nationalversammlung zu berufen.
Richtung Demokratie. Doch die Neuerungen kamen viel          In einer der komplexesten Problemlagen der jüngeren
zu spät, um noch eine mäßigende Wirkung auf die über-        deutschen Geschichte, am Ende eines verlorenen Welt-
hitzte Stimmung draußen im Lande zu erzielen. Denn           krieges mit seinen ungeheuren Belastungen und im An-
nun handelte das Volk, kriegsmüde und ausgelaugt, und        gesicht unnachgiebiger Sieger, galt es die Republik zu
machte Schluss mit Kaisertum und Krieg.                      etablieren. Keine andere Regierung in der deutschen
Am 9. November 1918, im Zeichen einer sich rasch aus-        Geschichte der neueren Zeit stand vor einer dermaßen
breitenden Revolution, übernahm Friedrich Ebert aus          schwierigen Lage. Der mehr als vierjährige Krieg hatte
den Händen des letzten kaiserlichen Regierungschefs          das Land ausgezehrt.
Prinz Max von Baden die Reichskanzlerschaft. Reichs-         Die noch weit in Feindesland stehenden Millionen deut-
kanzler war Ebert jedoch nur für einen Tag, denn tags        scher Soldaten waren binnen kürzester Frist ins Reich
darauf bildete sich mit dem „Rat der Volksbeauftragten“      zurückzuholen, sonst drohte Kriegsgefangenschaft. Zu-
die zentrale Revolutionsregierung, die zunächst aus je       dem musste nach zwei Hungerwintern die Versorgung
drei Vertretern der SPD und USPD, dann ab Ende Dezem-        der Bevölkerung gesichert werden. Die Kriegswirtschaft
ber 1918 allein aus Vertretern der SPD bestand. In dieser    war schlagartig auf Friedensproduktion umzustellen, die
Übergangsregierung dominierte unangefochten Fried-           mehr als acht Millionen Soldaten mussten ins Zivilleben
rich Ebert, der die Weichen in Richtung parlamentarische     zurückgeführt und mit Arbeit versorgt werden.
Demokratie stellte.                                          Angesichts der kritischen Ausgangslage glaubte Ebert,
Bei der Machtübernahme hatten Ebert und die Sozialde-        auf die alten und noch intakten zivilen und militärischen
mokraten keinen Masterplan zur Umgestaltung des Kai-         Verwaltungsstrukturen zurückgreifen zu müssen. Der
serreiches in eine demokratische Staatsform in der Tasche.   von ihm immer wieder ins Feld geführte Problemstau
So begriff man die Revolutionsregierung als Konkursver-      nach dem Ende des Krieges ließ aus seiner Sicht keinen
walter des alten Regimes und als Treuhänder der Macht        Spielraum für umfassende personelle Neubesetzungen –
mit einem befristeten Mandat. Der Rat der Volksbeauf-        im Gegenteil: Es schien dringend geboten, sich auf das
tragten hatte den reibungslosen Übergang in den demo-        Expertenwissen zu stützen, denn sonst drohte das Chaos.
kratischen Verfassungsstaat zu garantieren, dabei Chaos      Die Lage verschärfte sich, als die USPD Ende Dezember
und Bürgerkrieg zu vermeiden. Ebert, beseelt von dem         1918 aus dem Rat der Volksbeauftragten austrat. Der tie-
Glauben an die Reform und geprägt von demokratischer         fere Grund lag in den wachsenden Differenzen zwischen
Grundüberzeugung, lehnte ein längerfristiges diktatori-      der SPD und der immer stärker unter Druck der Links-
sches Revolutionsregime ab. Er setzte stattdessen voll auf   radikalen geratenen USPD vor allem in der Militärpolitik.
die parlamentarische Karte. Er hielt in den krisenhaften     Das führte zu den Januar-Unruhen, dem so genannten
Revolutionsmonaten unbeirrt daran fest, so schnell wie       „Spartakus-Aufstand“. Dabei versuchte die radikale Linke
14        Friedrich Ebert (1871–1925)

mit der neugegründeten KPD unter Karl Liebknecht an         fest. Seine Politik fand die überwältigende Unterstützung
der Spitze, die „Regierung Ebert-Scheidemann“ zu stür-      des ersten Reichsrätekongresses der Arbeiter- und Sol-
zen und den Weg zu freien Wahlen und letztlich in die       datenräte Mitte Dezember 1918, der den 19. Januar 1919
parlamentarische Demokratie zu verhindern. In diesem        als Wahltermin festlegte und der Idee eines Rätesystems
Moment griff die nur noch aus Männern der SPD beste-        als Grundlage einer sozialistischen Republik eine deutli-
hende sozialdemokratische Revolutionsregierung auf das      che Absage erteilte.
alte Militär und die neu gebildeten Freikorps zurück. So
                                                            Grundsteinlegung der Republik in Weimar
festigte sich die unangetastet gebliebene Oberste Heeres-
leitung als Ordnungsfaktor.                                 Am 19. Januar 1919 fanden die ersten wirklich demokra-
Trotz des die politische Kraft absorbierenden Krisen-       tischen Wahlen in der deutschen Geschichte statt. Zum
managements stellte die Revolutionsregierung konse-         ersten Mal durften Frauen reichsweit wählen – und sie
quent die Weichen in Richtung Demokratie. Bereits am        durften auch gewählt werden. Diese Wahlen sahen die
12. November verkündete sie grundlegende Rechte wie         SPD mit 37,9 Prozent weit vorn. Die USPD kam auf 7,6
Vereins- und Versammlungsrecht, Meinungs- und Re-           Prozent; die eine Räteherrschaft anstrebende revolutio-
ligionsfreiheit. Zugleich verfügte man sozialpolitische     näre KPD, zu diesem Zeitpunkt noch ohne große Strahl-
Maßnahmen. Mit der Einführung des Achtstundentages          kraft und Gefolgschaft, war aus Protest gegen die mit 344
wurde die zentrale sozialpolitische Forderung der Arbei-    gegen 98 Stimmen gefällte Entscheidung des Reichsräte-
terbewegung Wirklichkeit. Die Verkündung des Frauen-        kongresses für eine parlamentarische Demokratie (und
wahlrechts war nichts weniger als ein Meilenstein. Vielen   damit gegen das politische Rätesystem) gar nicht erst an-
aber war dies zu wenig und sie forderten Reformen auch      getreten. Auf Platz zwei lag die katholische Zentrumspar-
in Militär, Verwaltung und in der Wirtschaft. Doch dazu     tei mit 19,7 Prozent, gefolgt von der linksliberalen Deut-
sah sich die Revolutionsregierung angesichts der drama-     schen Demokratischen Partei (DDP) mit 18,5 Prozent. Die
tischen Situation nicht in der Lage.                        rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) brachte es auf
In dem Streben nach parlamentarischer Demokratie lehn-      magere 4,4 Prozent, während die dem alten Kaiserreich
te Ebert eine Räteherrschaft, die von einer Minderheit      nachtrauernde Deutschnationale Volkspartei (DNVP) als
radikal-revolutionärer Kräfte gefordert wurde, strikt ab.   Sammelbecken der Konservativen und Republikgegner
Anders als in dem durch die Revolution hinweggefegten       immerhin 10,3 Prozent auf sich vereinigen konnte.
Kaiserreich, das die sozialistische Arbeiterbewegung als    Es erfüllte Ebert mit tiefer Zufriedenheit, als am 6. Febru-
Systemfeind ausgegrenzt hatte, sollte die neue Republik     ar 1919, keine drei Monate nach dem 9. November 1918,
allen Bevölkerungsteilen die Möglichkeit zur Mitgestal-     das erste demokratische Reichsparlament der deutschen
tung geben. An der möglichst schnellen Konstituierung       Geschichte zusammentreten konnte. Die Nationalver-
der Nationalversammlung hielt Ebert unerschütterlich        sammlung hatte den Grundstein für die Republik zu le-
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten                                                15

gen. Nach ihrer Eröffnung widmete sich das neue Reichs-      Fünf Wochen später fand die Verfassungsarbeit ihren
parlament seinen zentralen Aufgaben: der Besetzung der       Abschluss: Am 31. Juli 1919 verabschiedete die National-
obersten Regierungsorgane, also von Reichspräsident          versammlung mit 262 Stimmen von SPD, Zentrum und
und Regierung, der Ausarbeitung einer Verfassung und         DDP gegen 75 Stimmen von DVP, DNVP und USPD die
dem Abschluss eines Friedensvertrages. Die Versamm-          neue Verfassung, die Friedrich Ebert als Staatsoberhaupt
lung wählte am 11. Februar Ebert zum Reichspräsidenten,      am 11. August in seinem Urlaubsort Schwarzburg unter-
sein Co-Vorsitzender Philipp Scheidemann übernahm das        zeichnete. Er wurde dann am 21. August in der 86. Sit-
Amt des Regierungschefs (offizieller Titel: „Reichsminis-    zung der Nationalversammlung, der letzten in Weimar,
terpräsident“). Seine „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zen-     feierlich auf die Verfassung vereidigt. Seine im Anschluss
trum und DDP konnte sich auf eine komfortable Dreivier-      gehaltene kurze Ansprache endete mit dem Leitspruch,
telmehrheit stützen, zerplatzte aber bereits im Juni 1919    den er als „neuen Lebensgrundsatz des deutschen Vol-
an der Entscheidung über den Friedensvertrag.                kes“ verstanden wissen wollte: „Für Freiheit, Recht und
Die Frage der künftigen Friedensordnung bestimmte            soziale Wohlfahrt!“ Dabei hatte Ebert „soziale Wohlfahrt“
neben der Verfassungsschöpfung die Arbeit der Natio-         noch eigenhändig in das ihm vorgelegte Manuskript ein-
nalversammlung. Als die Siegermächte am 7. Mai 1919          gefügt. Als Sozialdemokrat fühlte er sich nicht nur Recht
den ohne vorherige Verhandlungen mit den Deutschen           und Freiheit, sondern auch der sozialen Demokratie ver-
zustande gekommenen Entwurf präsentierten, ging ein          pflichtet.
Aufschrei durch das Reich. Denn mit Gebietsabtretungen,
                                                             Der Verteidiger der Republik
Reparationen und Einschränkungen der Souveränität so-
wie der Zuweisung der Alleinschuld am Weltkrieg wurde        Die in der Verfassung festgeschriebene Volkswahl des
er als Demütigung empfunden. Das Kabinett Scheide-           Reichspräsidenten für die Dauer von beachtlichen sie-
mann trat zurück. Auch Ebert reihte sich in den Chor de-     ben Jahren wertete das Amt beträchtlich auf. Doch Ebert
rer ein, die den Vertrag ablehnen wollten, erkannte aber     erhielt nie die plebiszitären Weihen, obwohl er konti-
letztlich doch, dass es keine Alternative zur Unterschrift   nuierlich auf Durchführung einer Wahl durch das Volk
gab. Der Nationalversammlung blieb schließlich keine         drängte. Der Reichstag jedoch entschied sich anders und
andere Wahl, als endgültig am 23. Juni 1919, im aller-       verlängerte am 24. Oktober 1922 über eine Verfassungs-
letzten Moment vor Ablauf des alliierten Ultimatums, die     änderung die Amtszeit Eberts bis zum 30. Juni 1925.
neue Reichsregierung unter dem Sozialdemokraten Gus-         Die im August 1919 in Kraft tretende Verfassung schuf
tav Bauer zur Zustimmung zum Vertrag zu ermächtigen.         einen außerordentlich starken Reichspräsidenten, der
Am 28. Juni unterzeichneten Außenminister Hermann            nicht nur repräsentative Aufgaben hatte. Er verfügte im
Müller und Kolonialminister Johannes Bell im Spiegelsaal     Verhältnis zu Regierung und Reichstag über eine äußerst
des Schlosses von Versailles den Friedensvertrag.            starke Position. So besaß er das Recht, den Reichskanzler
16          Friedrich Ebert (1871–1925)

Rede nach der Wahl zum Reichspräsidenten am 11. Februar 1919
Weimar, Nationaltheater1

Meine Damen und Herren!                                             dass ich weder meinen Ursprung noch meine Überzeu-
Gestatten Sie mir, dass ich zunächst für die freundlichen           gung jemals zu verleugnen gesonnen bin.
Worte Ihres Herrn Präsidenten danke. Ihr Vertrauen ist                 (Beifall bei den Sozialdemokraten)
meine größte Ehre. Der Ruf, den Sie soeben an mich rich-            Indem Sie das höchste Amt des deutschen Freistaates mir
teten, ist ein Ruf zur Pflicht. Ich folge ihm in dem Be-            anvertrauen, haben Sie - ich weiß es – keine einseitige
wusstsein, dass heute mehr denn jemals jeder Deutsche               Parteiherrschaft aufrichten wollen. Sie haben aber damit
auf dem Platz, auf den er gestellt wird, seine Schuldigkeit         den ungeheueren Wandel anerkannt, der sich in unserem
zu tun hat.                                                         Staatswesen vollzogen hat, und zugleich auch die gewal-
   (Bravo!)                                                         tige Bedeutung der Arbeiterklasse für die Aufgaben der
Mit allen meinen Kräften und mit voller Hingabe werde               Zukunft.
ich mich bemühen, mein Amt gerecht und unparteilich                    (Bravo!)
zu führen, niemand zuliebe und niemand zuleide.                     Die ganze wirtschaftliche Entwicklung lässt sich darstel-
   (Bravo!)                                                         len als eine fortwährende Verringerung und Abtragung
Ich gelobe, dass ich die Verfassung der Deutschen Repu-             der Vorrechte der Geburt.
blik2 getreulich beachten und schützen werde.                          (Sehr richtig! links.)
   (Bravo!)                                                         Jetzt hat das Deutsche Volk dieses Vorrecht auf dem Ge-
Ich will und werde als der Beauftragte des ganzen deut-             biet der Politik restlos beseitigt. Und auch auf sozialem
schen Volkes handeln, nicht als Vormann einer einzigen              Gebiet vollzieht sich diese Wandlung. Auch hier werden
Partei.                                                             wir bestrebt sein müssen, allen, im Rahmen des mensch-
   (Bravo!)                                                         lich Möglichen, den gleichen Ausgangspunkt zu geben
Ich bekenne aber auch, dass ich ein Sohn des Arbeiter-              und das gleiche Gepäck aufzuladen.
standes bin,                                                        Mögen wir um die Formen ringen, in denen sich dieses
   (Bravo! bei den Sozialdemokraten)                                Recht durchführen lässt: das Streben nach dieser höchs-
aufgewachsen in der Gedankenwelt des Sozialismus und                ten menschlichen Gerechtigkeit wird uns allen inne woh-

1 Original: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung. Band 326: Stenographische Berichte, Berlin
  1920, S. 40–41, wieder abgedruckt bei: Walter Mühlhausen (Hrsg.): Friedrich Ebert – Reden als Reichspräsident (1919–1925). Reihe:
  Friedrich Ebert Reden, Band 1, Bonn 2017, S. 70–73.
2 Bis zum Inkrafttreten der zu diesem Zeitpunkt noch zu erarbeitenden Verfassung am 14. August 1919 galt das am 10. Februar von der
  Nationalversammlung verabschiedete „Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt“.
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten                                               17

nen. Freiheit und Recht sind Zwillingsschwestern. Die       bauen und zu behüten, die allen deutschen Männern
Freiheit kann sich nur in fester staatlicher Ordnung ge-    und Frauen die politische Gleichberechtigung unbedingt
stalten.                                                    verbürgt, dem deutschen Volke Arbeit und Brot zu schaf-
   (Lebhafte Zustimmung.)                                   fen, sein ganzes Wirtschaftsleben, so zu gestalten, daß
Sie zu schützen und wiederherzustellen, wo Sie angetas-     die Freiheit nicht Bettlerfreiheit, sondern Kulturfreiheit
tet wird, das ist das erste Gebot derer, die die Freiheit   werde,
lieben.                                                        (Bravo!)
   (Zustimmung und Beifall.)                                das sei unseres Strebens Ziel.
Jede Gewaltherrschaft, von wem sie auch komme, wer-            (Erneutes Bravo!)
den wir bekämpfen bis zum Äußersten.                        Ich weiß, dass die Kraft eines einzelnen, wo immer er
   (Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei der            auch stehe, gering ist, wenn Sie sich nicht mit allen le-
   Mehrheit. – Unruhe bei den Unabhängigen Sozial-          bendigen Kräften des Volkes vereinigt. Ein so hartes Ge-
   demokraten.)                                             schick unser Volk auch getroffen hat: an seinen lebendi-
Dem Gewaltprinzip zwischen den Völkern haben wir fei-       gen Kräften verzweifeln wir nicht. Unser Volk hat sich in
erlich abgesagt; auch dort wollen wir, daß das Recht und    großer Bewegung Licht und Luft geschaffen, es wird sich
die Freiheit zur Geltung komme. Niemand soll in den Ver-    auch durchsetzen draußen in der Welt und zu Hause.
band der deutschen Republik gezwungen werden, aber             (Lebhafter Beifall.)
es soll auch niemand mit Gewalt von ihr getrennt wer-       Die Tüchtigkeit der Männer der Volkswahl, die Ehrlichkeit
den, den es zu ihr zieht und drängt.                        ihres Strebens und die Reinheit ihres Wollens müssen den
   (Lebhafter Beifall.)                                     Beweis für die Richtigkeit des großen Prinzips der Selbst-
Nur auf das freie Selbstbestimmungsrecht wollen wir         regierung erbringen.
unseren Staat gründen, nach innen und außen. Wir kön-       Alle diese Forderungen stellen an mich schwerste Auf-
nen aber um des Rechtes willen nicht dulden, dass man       gaben und Pflichten. Mein Bestes will ich dafür einset-
unseren Brüdern die Freiheit der Wahl raubt.                zen, ihnen zu genügen. Gemeinsam aber wollen wir un-
   (Bravo!)                                                 ermüdlich arbeiten für das Glück und Wohlergehen des
Die Freiheit aller Deutschen zu schützen mit dem äußers-    freien deutschen Volkes. Und so, meine Damen und Her-
ten Aufgebot von Kraft und Hingabe, dessen ich fähig        ren, rufe ich: Unser deutsches Vaterland, unser deutsches
bin, das ist der Schwur, den ich in dieser Stunde in die    Volk, sie leben hoch! – hoch! – hoch!
Hände der Nationalversammlung lege.                            (Die Nationalversammlung, die sich erhoben hat,
   (Lebhafter Beifall.)                                        stimmt begeistert in das dreimalige Hoch ein.)
Den Frieden zu erringen, der der deutschen Nation das
Selbstbestimmungsrecht sichert, die Verfassung auszu-
18         Friedrich Ebert (1871–1925)

zu ernennen, konnte den Reichstag auflösen und über          derlage, damit aller sich daraus ergebenden Konsequen-
Artikel 48 Notverordnungen erlassen. Er vertrat das Reich    zen besaß, instrumentalisierte die antidemokratische
völkerrechtlich und war militärischer Oberbefehlshaber.      Rechte den Friedensvertrag gegen die junge Demokratie
Doch anders als von den Verfassungsschöpfern intendiert,     und machte die Republik und ihre Träger für Versailles
die aus Furcht vor einer einseitigen Parteiherrschaft über   und die Folgen verantwortlich. Für Friedrich Ebert stand
den Reichstag in einem einflussreichen Reichspräsidenten     fest, dass die Friedensbedingungen nur in beharrlichen
ein Gegengewicht zu Parlament und Kabinett hatten in-        Verhandlungen mit den Westmächten gemildert werden
stallieren wollen, verstand sich das erste republikanische   konnten. So stützte er die „Erfüllungspolitik“, die darauf
Staatsoberhaupt immer als Teil und nicht als Gegenpol        abzielte, die Unerfüllbarkeit der Forderungen nachzuwei-
der Reichsregierung. Für Ebert war dabei die Einigkeit der   sen, um die Sieger zum Nachgeben zu bewegen. Doch
Staatsführung grundlegendes Prinzip. Strittige Fragen        erst 1924 stellten sich Erleichterungen ein.
waren hinter verschlossenen Türen zu diskutieren; nach       Innenpolitisch befand sich die Republik dauerhaft im Kri-
der Kompromissfindung am Verhandlungstisch hatten            senmodus: Revolten wie der im März 1920 von rechts-
alle Beteiligten nach außen hinter dem Konsens zu ste-       gerichteten Kreisen initiierte Kapp-Lüttwitz-Putsch,
hen. So bewies sich Ebert auf der Regierungsebene als        Separatisten mit ihren Loslösungsbestrebungen, der Hit-
ein Teamspieler, der zwar seine eigene Meinung enga-         ler-Putsch vom November 1923 oder kommunistische
giert vertreten konnte, der sich aber auch von Gegen-        Aufstandsversuche erschütterten das Reich. Die Beset-
argumenten überzeugen ließ und sich der Mehrheitsmei-        zung des Ruhrgebietes durch französische Truppen 1923
nung unterordnete. Den intern gefundenen Kompromiss          und eine sich ins unermesslich steigende Geldentwertung
verteidigte er dann auch in der Öffentlichkeit, ungeachtet   verschärften die ohnehin angespannte Lage. 1923 stand
seiner ursprünglichen persönlichen Einschätzung.             die Republik am Abgrund.
Seine sechs Jahre an der Spitze der jungen Republik wa-      In diesen existentiellen Krisenmomenten schöpfte Ebert
ren geprägt von innen- und außenpolitischen Zwangsla-        die präsidialen Möglichkeiten der Verfassung voll aus, um
gen: von den Folgelasten des verlorenen Krieges und von      das parlamentarische System, um die Republik, zu retten.
dem weithin als Schmachfrieden empfundenen Versailler        Dabei vertrat er immer die Meinung, dass in den Krisen
Vertrag. Die nationalistische Agitation gegen den Vertrag    der Staat eine konsequente Führung benötigte. Er war
und gegen die, die ihn letztlich angenommen hatten, ent-     bereit, seinen Teil dazu beizutragen. Doch stellte sich kei-
wickelten sich zu einer schweren Hypothek für die Repu-      ne Kontinuität in der Regierung ein. So erlebte Ebert in
blik. Wer für die Annahme des „Diktats“ gestimmt hatte,      den sechs Jahren an der Spitze der Republik insgesamt
galt in den Augen der Republikgegner als Verräter an der     zwölf Regierungen unter neun Kanzlern. Die durch-
deutschen Sache. Obwohl das kaiserliche Deutschland          schnittliche Haltbarkeitsdauer einer Regierung betrug le-
die Hauptschuld am Ausbruch des Krieges und der Nie-         diglich ein halbes Jahr. Die meisten Kabinette verfügten
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten                                                        19

Rede nach der Vereidigung auf die Verfassung
Weimar, 21 August 19191

Herr Präsident!2
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die freundlichen                (Bravo!)
Worte, die Sie an mich gerichtet haben. Ich danke Ihnen            Das Wesen unserer Verfassung soll vor allem Freiheit sein,
ganz besonders dafür, dass Sie in Ihren Worten Erinne-             Freiheit für alle Volksgenossen. Aber jede Freiheit, an der
rungen an unsere gemeinsame, engere liebe Heimat mit-              mehrere teilnehmen, muss ihre Satzung haben. Diese ha-
klingen ließen.3                                                   ben Sie geschaffen; gemeinsam wollen wir sie festhalten.
Meine Damen und Herren! Sie vertreten alle Gaue                    Aus Ihrem Vertrauen bin ich an die erste Stelle im Deut-
Deutschlands. Das aber müssen wir uns erhalten, wenn               schen Reich gestellt worden, in Ihre Hand habe ich das
wir unser Vaterland auf Grundlagen aufbauen wollen,                Gelöbnis abgelegt, die von Ihnen für das deutsche Volk
die unvergänglich und unzerstörbar sein sollen: die inni-          geschaffene Verfassung treu zu wahren. Ihr Vertrauen
ge Liebe zur Heimat, zum Volksstamm, dem der einzelne              wird mir die Kraft geben, immer der Erste zu sein, wenn
entsprossen ist. Und dazu soll kommen die heilige Arbeit           es gilt, Bekenntnis und Zeugnis abzulegen für den neu-
am Ganzen, das Sichindienststellen in die Interessen des           en Lebensgrundsatz des deutschen Volkes: für Freiheit,
Reichs. Da löst sich der Widerspruch zwischen Gesamt-              Recht und soziale Wohlfahrt4!
staat und Einzelstaat. Da, in der engeren Heimat, liegt               (Lebhafter allseitiger Beifall)
die Quelle unserer Kraft, in der weiteren, in der großen
Heimat, das Ziel und der Kern unserer Arbeit. In diesem
Geiste lassen Sie mich zu meinem Teil die Verfassung hal-
ten, vertiefen und schützen.

1 Original: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung. Band 326: Stenographische Berichte, Berlin
  1920, S. 2751; wieder abgedruckt bei: Walter Mühlhausen (Hrsg.): Friedrich Ebert – Reden als Reichspräsident (1919–1925). Reihe:
  Friedrich Ebert Reden, Band 1, Bonn 2017, S. 88–89. Die Rede hat Friedrich Ebert am 12. Mai 1920 in einem Tonstudio nachgespro-
  chen, den Text vom Blatt ablesend; Informationen unter: https://www.sammlungen.hu-berlin.de/objekte/lautarchiv/225/. Es ist das
  einzige Tondokument des ersten Reichspräsidenten; zu hören unter: https://weimar.bundesarchiv.de/WEIMAR/DE/Content/Audios/
  ton-1290-ebert.html.
2 Präsident der Nationalversammlung war nach Eduard David nunmehr Constantin Fehrenbach von der katholischen Zentrumspartei.
3 Der aus dem Schwarzwald stammende Fehrenbach hatte in seiner Rede zuvor auf die gemeinsame badische Herkunft hingewiesen.
4 In den Presseberichten und im Manuskript nach dem Doppelpunkt nur: „Freiheit und Recht“. Friedrich Ebert hat demnach noch „so-
  ziale Wohlfahrt“ hinzugefügt.
20        Friedrich Ebert (1871–1925)

Schwarzburg 1919: Friedrich und Louise Ebert mit Otto Meissner, später Leiter des Präsidialbüros (Mitte),
dessen Ehefrau Hildegard (oben l.) und Sohn sowie dessen Kinderfrau.

nicht einmal über eine Mehrheit im Reichstag.              tionierenden Parlamentarismus gehört. Doch die Parteien
Daher drängte Ebert auf eine Große Koalition der vier      waren nur zögernd bereit, diesem im modernen demo-
zentralen Parteien SPD, Zentrum und den beiden libe-       kratischen Spiel unerlässlichen Prinzip zu folgen.
ralen DDP und DVP, um eine Regierung mit einer par-        In instabilen Situationen konnte der Reichspräsident als
lamentarischen Mehrheit im Rücken zu schaffen. Dabei       „Ersatz-Monarch“ bestimmend in die Politik eingreifen,
wurde er nicht müde für die Einsicht zu werben, dass der   als Wächter und Stütze der Demokratie fungieren und die
Kompromiss zwischen den Parteien zum Kern eines funk-      Rolle des Krisenmanagers über Artikel 48 übernehmen,
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten                                                 21

mit dem er gegen die Republikfeinde vorgehen, aber auch      Fallersleben zur Nationalhymne. In seiner Proklamation
im Zusammenwirken mit der Regierung Maßnahmen am             stellte er besonders den Dreiklang „Einigkeit und Recht
Parlament vorbei ergreifen konnte. Die präsidiale „Reser-    und Freiheit“ in der dritten Strophe heraus, die heute
veverfassung“ versetzte ihn in die Lage, das Parlament       noch als Nationalhymne gesungen wird.
auszuhebeln und als Ersatzgesetzgeber zu agieren. Fühl-      Als oberster Repräsentant der „zivilen“ Republik grenzte
te sich der Präsident der Demokratie verpflichtet, konnte    er sich bei seinen öffentlichen Auftritten von den pompö-
er eine Bastion gegen die Republikfeinde sein. Lag ihm       sen waffenklirrenden Inszenierungen seines Vorgängers
die Demokratie aber nicht am Herzen, konnte er das Amt       Kaiser Wilhelm II. ab. Der ehrliche Makler der Republik
auch gegen die Republik instrumentalisieren. Für Ebert       pflegte einen zurückhaltenden Stil und verzichtete auf
stellte die parlamentarische Demokratie mit dem Reichs-      Glanz und Gloria vergangener Zeiten.
tag als höchstem Organ eine unangreifbare Norm dar.          Doch suchte Ebert über die Symbolik Traditionswerte zu
Er handelte stets unter Wahrung und Respektierung der        schaffen und für die neue Staatsordnung zu werben. Wie
Rechte des Reichstages, während sein im April 1925 in ei-    es scheint, gelang es ihm wohl, den politischen Treibsand,
ner Volkswahl gekürter Nachfolger Paul von Hindenburg,       die Unentschlossenen, für die Demokratie zu erwärmen.
der militärische Verantwortliche für die Kriegsniederlage,   Immun zeigten sich freilich die von der Weltrevolution
die Möglichkeiten von Artikel 48 in geschickter Kombi-       träumenden und auf eine Diktatur des Proletariats hin-
nation mit den weiteren präsidialen Instrumentarien wie      arbeitenden Kommunisten und auch die gegenüber der
der Reichstagsauflösung gegen das Parlament – und da-        Republik fest zementierte Vorbehalte hegenden Monar-
mit gegen die Demokratie – missbrauchte.                     chisten, die in der neuen Staatsordnung nichts weiter als
In der Erkenntnis, dass viele dem Vergangenem nach-          das verachtete System der von Ebert angeführten „No-
trauerten und der neuen Republik reserviert gegenüber-       vemberverbrecher“ erblickten. Für die Unverbesserlichen
standen, war Friedrich Ebert während seiner Amtszeit be-     war und blieb die SPD eine Ansammlung von Hochver-
sonders bemüht, das Ansehen der Verfassung zu mehren         rätern. Viele sehnten sich nach imperialer Herrlichkeit zu-
und ein republikanisches Bewusstsein bei den Deutschen       rück und bekämpften die Republik und ihre Träger – bis
zu verankern und zu stärken. Dabei wies er den ab 1921       hin zum Mord. Prominenteste Opfer waren der ehemali-
jährlich begangenen Feiern anlässlich des Verfassungs-       ge Reichsfinanzminister Matthias Erzberger 1921 und der
tages am 11. August, dem Tag seiner Verfassungsunter-        amtierende Außenminister Walther Rathenau 1922.
zeichnung in Schwarzburg, eine wichtige Rolle zu. Wenn       Mit Worten gemartert wurde Ebert, der als Staatsober-
der Tag auch kein offizieller Nationalfeiertag wurde, so     haupt wie kein anderer Politiker mit der Republik identi-
sah Ebert in ihm ein wichtiges Element republikanischer      fiziert wurde und so in das Fadenkreuz der Demokratie-
Traditionsbildung. Am dritten Verfassungstag 1922 er-        gegner geriet. Die antidemokratische Rechte überzog in
klärte er das Deutschlandlied von August Hoffmann von        ihrem blindwütigen Hass auf die Republik den Reichsprä-
22         Friedrich Ebert (1871–1925)

sidenten mit einer unglaublichen Verleumdungskampag-           die Hetzkampagne zu seinem frühen Tod am 28. Februar
ne, in deren Zentrum, im Rückgriff auf die Diffamierung        1925 im Alter von 54 Jahren bei.
der Sozialdemokraten während des Kaiserreiches, der            Sein Tod markierte einen Einschnitt in der Geschichte
Vorwurf des Landesverrats stand. Dagegen stempelten            der ersten Republik, denn auf ihn folgte der kaiserliche
Radikalsozialisten und Kommunisten ihn wegen seines            Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der die Ver-
Kampfes gegen eine Räterepublik – und weil er aus ihrer        fassungsrechte des Präsidenten anders als sein sozialde-
Sicht in der Revolution im Zusammenspiel mit den alten         mokratischer Vorgänger gegen ihren Sinn einsetzte. Hin-
Mächten die Arbeiterbewegung unterdrückt habe – zum            denburg wurde zum Totengräber der Republik.
verbonzten Arbeiterverräter. Gegen das planmäßige Kes-         Unter extremen Belastungen und in Krisen, von vielen
seltreiben setzte sich Friedrich Ebert mit juristischen Mit-   der nationalen Rechten, aber auch aus der bürgerlichen
teln zur Wehr. Doch der Gang vor das Gericht in rund           Mitte als ein auf den republikanischen Thron verirrter
200 Fällen – nur die Spitze des Eisberges an Verleumdun-       Sattlergeselle verhöhnt, tat Ebert im Wesentlichen das,
gen – erwies sich als eine stumpfe Waffe.                      was ein Staatsoberhaupt, das sich dem demokratischen
Denn die Gegner verfügten über populäre Losungen. Zur          Ideal verpflichtet fühlte, in einer innerlich wenig befrie-
wirkungsvollsten Waffe der antirepublikanischen Propa-         deten, äußerlich bedrängten Republik hatte tun können.
ganda entwickelte sich die Dolchstoßlegende, die den           Mit seinem unausgesetzten Bemühen um Konsens und
Nährboden für den Vorwurf des Landesverrats gegen              seinem Appell an den Kompromisswillen war er der Zeit
Ebert bildete. Ein von ihm angestrengtes Verfahren en-         voraus. Machtwillen, Beharrungsvermögen und Verant-
dete am 23. Dezember 1924 mit einem Skandal. Das Ge-           wortungsethos machten ihn zum Prototyp des modernen
richt bestrafte zwar den Redakteur wegen Beleidigung,          Politikers, dem im Gegensatz zu den meisten Entschei-
stellte aber zugleich fest, dass Eberts Beteiligung an den     dungsträgern seiner Zeit der Wandel vom Milieupolitiker
großen Streiks der Munitionsarbeiter im Januar 1918 den        zum Staatsmann gelang. Dabei stand er immer in dem
Tatbestand des Landesverrats erfülle. Das Urteil traf den      Dilemma zwischen den Erfordernissen des Staatsamtes
Patrioten tief; es war politischer Rufmord: Jeder Stamm-       und der Bindung an die eigene Partei, zu der sich zwangs-
tischbruder oder Gossenjournalist konnte fortan das            läufig Dissonanzen ergaben, die ihn selbst bedrückten.
Staatsoberhaupt ungestraft „Landesverräter“ schimpfen.         Bei Eberts Tod befand sich das zeitweilig vom Untergang
Über die von ihm angestrengte Neuaufnahme des Ver-             bedrohte Staatsschiff Weimar in ruhigem Fahrwasser,
fahrens verschleppte Ebert eine Blinddarmentzündung,           auch dank seiner Politik, die gewiss nicht frei von Fehlern
die zu spät operiert wurde. Die durch den Prozess ver-         und Fehleinschätzungen war. Mit dem ersten Reichsprä-
ursachten Aufregungen hatten seine Widerstandskraft            sidenten verlor die erste Republik einen ihren Vorkämp-
so gravierend geschwächt, dass er die lebensbedroh-            fer und Eckpfeiler. Obwohl seine Leistungen mitunter kri-
liche Operation nicht überstand. Ohne Zweifel trug so          tisch beurteilt wurden und noch immer werden, nimmt
Vom Sattler zum ersten Reichspräsidenten                                          23

Immer im Visier der Fotografen: Neun umringen den Reichspräsidenten bei der Verfassungsfeier 1922, der
zehnte hält aus der Entfernung die Szene fest.

Friedrich Ebert als Gründer und Garant der ersten De-     publik Deutschland ein – und als erster Staatsmann der
mokratie auf deutschem Boden einen vorderen Platz im      Arbeiterbewegung auch in der Ahnengalerie der deut-
historisch-politischen Traditionshaushalt der Bundesre-   schen Sozialdemokratie.
24   Die Ausstellung
Friedrich Ebert (1871–1925) – Der erste deutsche Reichspräsident                              25

Am 11. Februar 1919 wählt die in Weimar
tagende Nationalversammlung Friedrich
Ebert zum Reichspräsidenten. Der SPD-
Vorsitzende ist damit das erste demo-
kratisch gewählte Staatsoberhaupt in der
deutschen Geschichte und der einzige De-
mokrat, der von der Gründung des Deut-
schen Reichs 1871 bis zu dessen Untergang
1945 an der Spitze des Staates steht.

Die von der Stiftung Reichspräsident-
Friedrich-Ebert-Gedenkstätte erarbeite-
te Ausstellung zeichnet den Lebensweg
Friedrich Eberts von seiner Geburt in Hei-
delberg 1871 bis zu seinem Tod 1925 nach
und gibt dabei Einblicke in die wechsel-
volle Geschichte vom Kaiserreich zur Wei-
marer Republik.

                                             Friedrich und Louise Ebert im Juni 1920 in den
                                             Straßen von Berlin.
26       Der Aufstieg des Arbeiterführers Ebert bis 1918

Friedrich Ebert wird 1871 in Heidelberg                In der Parteiführung in Berlin bewährt
als Sohn eines Schneidermeisters in eine               sich Ebert als Organisator und wird 1913
kinderreiche Familie hineingeboren. Nach               zu einem der beiden Parteivorsitzen-
Volksschule und Sattlerlehre geht er auf               den der SPD neben Hugo Haase gewählt.
Wanderschaft, während der er sich 1889                 Während des Ersten Weltkrieges tritt er
der Sozialdemokratie anschließt. Von 1891              für die Bewilligung der Kriegskredite ein.
bis 1905 lebt Ebert in Bremen, wo er eine              Die Parteispaltung in SPD und USPD 1917,
Familie gründet, in verschiedenen Berufen              die sich an der Haltung zu den Kriegskre-
(unter anderem als Gastwirt und Leiter eines           diten entzündet, kann Ebert nicht verhin-
Auskunftsbüros für Arbeiter) tätig ist und             dern. Durch den Wechsel von Haase zur
sich sowohl in der SPD als auch in der Ge-             USPD führen Ebert und Philipp Scheide-
werkschaft engagiert. 1905 wird der wich-              mann die SPD in die Phase der Revolution
tigste Politiker der Bremer SPD in den zen-            ab Herbst 1918.
tralen Parteivorstand gewählt.

1 Das Geburtshaus Friedrich Eberts in der Heidelberger Altstadt, heute Sitz der Stiftung Reichspräsident-
  Friedrich-Ebert-Gedenkstätte.
2 Porträt von Friedrich Ebert zu Beginn seiner Wanderschaft ca. 1888.
3 Friedrich Ebert mit seiner Frau Louise und den drei ältesten Söhnen um 1898.
4 1909 ist er noch ein Mann der zweiten Reihe: Friedrich Ebert im SPD-Parteivorstand neben Luise Zietz,
  Hermann Müller und Robert Wengels; in der ersten Reihe sitzen: Alwin Gerisch, Paul Singer, August
  Bebel, Wilhelm Pfannkuch und Hermann Molkenbuhr (v. l. n. r.).
Tafel 2   27

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    4
28       Ausbruch der Revolution

Angesichts der Kriegsmüdigkeit und der                 Am 9. November erreicht die Revolution
erst Anfang Oktober 1918 zu spät ein-                  Berlin. Reichskanzler Prinz Max von Baden
geleiteten Reformen des politischen Sys-               übergibt sein Amt an Friedrich Ebert, der
tems kommt es zur Novemberrevolution,                  einen Tag später die revolutionäre Über-
die durch die Meuterei der Matrosen der                gangsregierung, den Rat der Volksbeauf-
Kriegsflotte in Wilhelmshaven und Kiel                 tragten, ins Leben ruft. Am 12. Novem-
am 4. November ausgelöst wird. In allen                ber erlassen die sechs Volksbeauftragten
größeren deutschen Städten bilden sich                 grundlegende Reformen wie die Einfüh-
daraufhin Arbeiter- und Soldatenräte.                  rung eines demokratischen Wahlrechts,
                                                       erstmals auch für Frauen, des maximal
                                                       acht Stunden dauernden Arbeitstages
                                                       und die Abschaffung der Zensur.

1 Drei der sechs Volksbeauftragen auf der Beisetzungsfeier für Revolutionsopfer am 20. November 1918
  in Berlin: Philipp Scheidemann, Friedrich Ebert und Hugo Haase (v. l. n. r.).
2 Revolutionäre marschieren im Zentrum von Berlin.
3 Der Rat der Volksbeauftragten im November 1918 mit v. l. n. r.: Emil Barth (USPD), Otto Landsberg (SPD),
  Friedrich Ebert (SPD), Hugo Haase (USPD), Wilhelm Dittmann (USPD) und Philipp Scheidemann (SPD).
4 Am 10. Dezember 1918 begrüßt Friedrich Ebert nach Berlin zurückkehrende Soldaten vor dem
  Brandenburger Tor.
Tafel 3   29

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    3
    4
30       Ausrufung der Republik

Bereits am 9. November hat Philipp Schei-             Den von der SPD angestrebten und vom
demann vom Reichstag aus die Deutsche                 Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte
Republik ausgerufen, was den Sturz der                mit überwältigender Mehrheit bestätig-
Monarchie als Staatsform im Reich und                 ten Weg in die parlamentarische Demo-
in 22 deutschen Staaten einläutet. Am                 kratie versucht die neu gegründete Kom-
11. November unterzeichnet Deutschland                munistische Partei Deutschlands (KPD) mit
den Waffenstillstand, wodurch der Erste               dem sogenannten Spartakusaufstand zu
Weltkrieg mit über 11 Millionen Toten of-             verhindern. Der linksradikale Aufstand
fiziell beendet wird.                                 wird niedergeschlagen; die beiden Anfüh-
                                                      rer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
                                                      werden von rechtsradikalen Soldaten er-
                                                      mordet. Aufstand und Mord überschatten
                                                      die bis dahin weitgehend friedlich verlau-
                                                      fene Revolution.

1 Philipp Scheidemann ruft am Reichstag die Republik aus.
  (Dieses Foto stammt nicht vom 9. November 1918; es entsteht im Mai 1919, als Scheidemann aus einem
  Fenster der Reichskanzlei zu Demonstranten spricht.)
2 Die Karikatur des „Simplicissimus“ vom 9. November 1918 weist auf das Ende der Monarchien in
  Deutschland hin: Die revolutionäre Welle spült die Kronen hinweg.
3 Eine französische Karikatur zeigt den zerfledderten Kaiser Wilhelm II. Im November 1918 werden das
  Reich und 22 deutsche Länder zu Republiken.
Tafel 4   31

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    3
2
32       Nationalversammlung und Verfassung

Am 19. Januar 1919 finden die Wahlen zur               gierung unter Philipp Scheidemann ein,
Nationalversammlung statt, aus denen                   nimmt nach schwieriger Debatte den Ver-
die drei Parteien der sogenannten Weima-               sailler Friedensvertrag an und verabschie-
rer Koalition (SPD, katholische Zentrums-              det am 11. August die Weimarer Reichs-
partei und linksliberale Deutsche Demo-                verfassung. Die Reichsverfassung ist die
kratische Partei) mit einer Mehrheit von               bis dahin freiheitlichste Verfassung in der
75 Prozent der Stimmen hervorgehen. Das                deutschen Geschichte. Sie enthält aber
Verfassungsparlament tritt in Weimar zu-               Bestimmungen, welche – in den falschen
sammen, das in der Mitte Deutschlands                  Händen – der Demokratie schaden kön-
liegt. Es gibt hier keine revolutionären               nen. Das Grundgesetz der Bundesrepub-
Unruhen und man kann an die Tradition                  lik Deutschland knüpft an die Weimarer
von Goethe und Schiller anknüpfen. Die                 Verfassung an – unter Vermeidung ihrer
Nationalversammlung erledigt innerhalb                 Schwachstellen.
von sechs Monaten ihre vier wichtigsten
Aufgaben: Sie wählt Friedrich Ebert zum
Reichspräsidenten, setzt eine Reichsre-

1 Das Nationaltheater im thüringischen Weimar, Tagungsort der Nationalversammlung, mit dem Goethe-
  und-Schiller-Denkmal.
2 Vor dem Nationaltheater: ein „Hoch“ auf den am 11. Februar 1919 frisch gewählten Reichspräsidenten
  Friedrich Ebert.
3 Die weiblichen Abgeordneten der SPD, darunter Marie Juchacz (erste Reihe, 3. von r.), die am 19.
  Februar 1919 als erste Frau das Wort zu einer Rede in der Nationalversammlung ergreift.
4 Das Reichspräsidentenpaar zur Erholung in Schwarzburg (Thüringen), wo Friedrich Ebert am 11. August
  1919 die Verfassung unterzeichnet.
5 Die erste Kabinettssitzung der Regierung von Philipp Scheidemann (4. v. l.) im Schloss von Weimar.
Tafel 5   33

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1       3
        4
    5
34        Das mächtigste Amt der Republik

Die Weimarer Verfassung stattet den                     Seine Rolle sieht er als Hüter der Verfas-
Reichspräsidenten mit weitreichenden                    sung und Bewahrer der demokratischen
Befugnissen aus: Er hat das Recht, den                  Ordnung. Während er die umfassenden
Reichskanzler zu ernennen und den                       Rechte des Reichspräsidenten konsequent
Reichstag aufzulösen. Er besitzt den Ober-              zur Stabilisierung der Republik anwendet,
befehl über die Reichswehr und vertritt                 hebelt sein Nachfolger Paul von Hinden-
das Reich außenpolitisch. Zudem kann er                 burg mit ihnen die Demokratie aus.
gemeinsam mit der Regierung Gesetze
am Reichstag vorbei erlassen.

Die Verfassungsschöpfer wollen mit ei-
nem starken Staatsoberhaupt ein Gegen-
gewicht zu Parlament und Regierung in-
stallieren. Ebert versteht sich immer als
Teil und nicht als Gegenpol des Kabinetts.

1 Friedrich Ebert und Reichskanzler Joseph Wirth (r.) empfangen im August 1922 den österreichischen
  Bundeskanzler Ignaz Seipel (l.) und seinen Finanzminister August Ségur (2. v. r.). Es ist eine der wenigen
  Gelegenheiten, bei denen der Reichspräsident als außenpolitischer Vertreter des Reiches auftritt. Eine
  Auslandsreise unternimmt er nicht.
2 Friedrich und Louise Ebert mit Gustav Bauer, Reichskanzler von Juni 1919 bis März 1920 (SPD), und
  dessen Frau Hedwig im thüringischen Schwarzburg.
3 Da das Reich außenpolitisch isoliert ist, wird der Besuch des gewählten, aber noch nicht vereidigten
  mexikanischen Präsidenten Plutarco Elías Calles aufgewertet. Friedrich Ebert empfängt ihn im August
  1924 wie ein Staatsoberhaupt.
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