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KARLSON SAN I E RU NGSZ E ITU NG August 2019 | Ausgabe Nr. 6 Seiten 3 – 5 Seiten 8 – 9 Seiten 14 – 16 Sanierungsrechtliche Praxis – Knapper Raum für viel Verkehr – Neue Einrichtungen Genehmigungen und Bautätigkeiten Ein Gespräch für Kinder und Jugendliche
GRUSSWORT Mit der seit acht Jahren laufenden Der KARLSON gibt darüber hinaus eine Sanierung ist rund die Hälfte der Übersicht über die aktuellen Projekte Wegstrecke im Sanierungsprozess des und Entwicklungen im Gebiet. Diese Gebiets Karl-Marx-Straße / Sonnenal- reichen von den laufenden Verkehrs lee geschafft. Diese sechste Ausgabe projekten – dem fahrrad- und fußgän- der Sanierungszeitung KARLSON zeigt gergerechten Umbau der Straßen und die Bandbreite der Projekte und The- Plätze –, dem Start der Umgestaltung men, die derzeit das Geschehen der des Weigandufers auf Höhe des Wil- städtebaulichen Sanierung prägen. denbruchplatzes bis zum Ausbau der Der Umbau der Straßen, Plätze und Kinder- und Jugendeinrichtungen, öffentlichen Gebäude bewegt viele, damit wir die hier fehlenden Plätze neu mancherorts regt sich auch Protest schaffen oder die vorhandenen Ange- gegen einzelne Maßnahmen. Bei allem bote verbessern können. Bei allem ist hat die Sanierung aber zum Ziel, die die Mitwirkung von Ihnen, den Anwoh- vorhandenen städtebaulichen Miss- ner*innen und Gewerbetreibenden, stände zu beheben. Das Wohnumfeld sehr erwünscht und wichtig. Durch Ihre soll ausdrücklich für die Menschen, die Anregungen können wir die weiteren hier wohnen und arbeiten, verbessert Entwicklungen trotz manch notwendi- werden. ger Kompromisse im Sanierungspro- zess noch besser auf Ihre Bedürfnisse Parallel beschäftigt uns – nicht nur in ausrichten, Netzwerke schmieden und Neukölln – die Frage, wie bezahlbare gemeinsam zu guten Ergebnissen füh- Mieten für alle erhalten werden können. ren. Die Angst der Anwohner*innen um ihre Wohnung ist real und keinesfalls grund- los. Doch aus der Angst vor einer weite- ren Aufwertung sollte nicht die Schluss- folgerung gezogen werden, jegliche Investitionen in den öffentlichen Raum und die Verbesserung der sozialen Infrastruktur zu stoppen. Der „Run“ auf Nord-Neukölln bliebe auch ohne diese Jochen Biedermann öffentliche Förderung bestehen, wie Stadtrat für Stadtentwicklung, Soziales die Situation in vielen anderen Berliner und Bürgerdienste Innenstadtquartieren deutlich macht. Sanierung = Verdrängung halte ich für eine unzulässige Verkürzung. Als Bezirk nutzen wir alle zur Verfügung stehenden Instrumente zur Sicherung bezahlba- rer Mieten konsequent. Diese sind zwar begrenzt, haben aber in vielen Fällen spürbare Effekte, wie die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt. Sollten Sie von einer Modernisierung Ihres Hauses oder sogar dem Verlust ihrer Wohnung bedroht sein, nutzen Sie bitte frühzeitig alle bezirklichen Beratungsangebote, die wir Ihnen in diesem Heft vorstellen. 2 KARLSON August 2019
SANIERUNGSRECHTLICHE PRAXIS Acht Jahre Genehmigungsverfahren und Bautätigkeiten im Sanierungsgebiet Im Jahr 2011 wurde das Gebiet Karl- Die Genehmigungsverfahren werden also z. B. Dachgeschossausbauten oder Marx-Straße / Sonnenallee als Sanie- vom Bezirksamt in einer Datenbank Hinterhofneubauten, beschlossen. rungsgebiet von der Senatsverwaltung erfasst. Bereits im Artikel „4 Jahre Damit wurde unter anderem eine ein- für Stadtentwicklung und Wohnen Sanierung – eine Bilanz“ in der zweiten heitliche Grundlage für die Bewertung förmlich festgelegt. Für die Durch- Ausgabe des KARLSON im Jahr 2015 notwendiger Ausgleichsmaßnahmen führung der städtebaulichen Sanie- (S. 4 und 5) wurde eine statistische geschaffen. Von großer Bedeutung war rung sind rund 15 Jahre geplant. In Auswertung der Genehmigungspraxis das Inkrafttreten der Milieuschutzge- diesem Zeitraum hat der zuständige vorgenommen. Dort wurden Merkmale, biete Flughafenstraße/Donaustraße, Bezirk Neukölln vor allem die Aufgabe, wie die Bautätigkeiten im Gebiet und Rixdorf, Reuterplatz und Körnerpark im Investitionen zur Verbesserung der die Eigentümerstruktur analysiert. Für Jahr 2016 (siehe KARLSON Nr. 4, S. 18), öffentlichen Einrichtungen, Grün- und diese sechste Ausgabe des KARLSON die das Sanierungsgebiet weitgehend Freiflächen sowie Straßen und Plätze wurden nun alle Genehmigungsverfah- überdecken und in denen besondere im Gebiet durchzuführen. Um Einfluss ren seit 2011 ausgewertet. Die Zahlen Genehmigungskriterien für die Moder- auf die Gesamtentwicklung im Gebiet vermitteln einen guten Überblick über nisierung von Wohngebäuden und Maß- nehmen zu können, hat der Gesetz- die Aktivitäten der privaten Akteur*in- nahmen in den Wohnungen einzuhalten geber im Sanierungsrecht besondere nen im Gebiet. Zugleich sollen die Gra- sind. Zudem müssen hier Umwandlun- Genehmigungspflichten definiert, die fiken anschaulich die Veränderungen gen von Miet- in Eigentumswohnungen von den privaten Eigentümer*innen, der Genehmigungszahlen in den ersten genehmigt werden. Schließlich wurden Bauherren und Mieter*innen im Gebiet knapp acht Jahren der Sanierung auf- im Jahr 2017 auch die Sanierungsziele einzuhalten sind. zeigen. durch eine umfangreiche Fortschrei- bung konkretisiert und ergänzt (siehe Nicht nur für Bauvorhaben, sondern WAS PRÄGTE DIE ERSTE HÄLFTE KARLSON Nr. 4, S. 3 und 4). auch für umfangreiche Modernisie- DER SANIERUNGSZEIT? rungs- und Instandsetzungsarbei- In der ersten Hälfte des Sanierungs- ÜBERSICHT ZU DEN GENEHMIGUNGEN ten oder für Rechtsgeschäfte wie den zeitraums wurden vom Bezirk eine ALLGEMEIN Verkauf von Immobilien oder deren Reihe von Untersuchungen veranlasst Insgesamt sind seit 2011 2.812 Verfah- Beleihung mit Grundschulden ist beim und Beschlüsse umgesetzt, die das ren mit einer Genehmigung abgeschlos- Bezirksamt eine sanierungsrechtliche Sanierungsgebiet direkt oder indirekt sen worden. Davon fallen besonders drei Genehmigung einzuholen. Dabei prüft betreffen und Einfluss auf die Genehmi- Verfahrensarten ins Gewicht: Eigentü- der Bezirk, ob das Vorhaben oder das gungspraxis haben. 2014 wurden vom merwechsel, Grundschuldbestellungen Rechtsgeschäft den Zielen der Sanie- Bezirksamt für Nord-Neukölln „16 städ- und Vorhaben (siehe Abb. 1). Die Verfah- rung entgegensteht oder die Durch- tebauliche Leitlinien“ zur sanierungs- ren bezogen sich sowohl auf Grundstü- führung von Sanierungsmaßnahmen und planungsrechtlichen Beurteilung cke als auch auf einzelne Wohn- oder erschwert. von Vorhaben der Nachverdichtung, Gewerbeeinheiten. Abb. 1: Anzahl der jährlichen Genehmigungen nach Art des Verfahrens KARLSON August 2019 3
einen gastronomischen Betrieb umgewandelt wird. Die Anzahl der sanierungsrechtlichen Genehmigungen beläuft sich hier auf jährlich durchschnittlich 60. Einen Zusammenhang zwi- schen Baumaßnahmen und den Veräußerungen scheint es nicht zu geben, d. h. mehr Veräußerungen führten im Gebiet bisher nicht zugleich zu mehr Baumaßnahmen, also einer baulichen Aufwertung. Andere sanierungsrechtliche Verfah- ren, wie z. B. die Genehmigung von Miet- und Pachtverhältnis- sen gab es nur sehr wenige. Die Gesamtzahl der nicht genehmigten Anträge in den Jah- ren 2011–2018 war mit 92, das sind drei Prozent aller Verfah- ren, sehr gering. Tatsächlich spiegelt die niedrige Zahl auch wider, dass das Bezirksamt meist schon durch die Beratung der Bauherrn im Vorfeld der Antragstellung Genehmigungs- hindernisse ausräumen konnte. Hierdurch können viele Genehmigungsanträge bereits genehmigungskonform gestellt werden. Grundschuldbestellungen oder Kaufverträge wei- sen dagegen in der Regel nur sehr selten Inhalte auf, die den Sanierungszielen entgegenstehen könnten. Abb. 2: Herkunft der Käufer*innen nach gemeldetem Wohnort HERKUNFT DER KÄUFER*INNEN Unter den Begriff „Eigentümerwechsel“ fallen die Veräuße- Die Auswertung der Genehmigungsverfahren über Kaufver- rung von Grundstücken und Wohnungen. Sanierungsrechtlich träge zwischen 2011 und 2018 belegt, dass rund 85 % dieser ist dabei zu prüfen, ob sich in Kaufverträgen die Vertrags- Verfahren den Erwerb von Wohnungen durch private Käu- partner*innen zu etwas, z. B. Baumaßnahmen, verpflichten, fer*innen betrafen. Die übrigen 15 % bezogen sich auf Grund- das mit den Sanierungszielen nicht vereinbar ist. Auch ein stückskäufe oder Wohnungskäufe von Gesellschaften oder überhöhter Kaufpreis kann der Genehmigung entgegenste- Unternehmen. In der Abb. 2 wird die Herkunft der privaten hen. Schon im ersten Jahr nach der Festsetzung des Sanie- Käufer*innen dargestellt: etwa 55 % haben als Wohnort Berlin rungsgebiets wurden fast 300 Eigentümerwechsel genehmigt. angegeben; knapp ein Fünftel der Käufer*innen kommt aus In den folgenden sieben Jahren reduzierte sich deren Anzahl dem übrigen Deutschland. Der Anteil der Käufer*innen, die im stufenweise bis auf ein Drittel im Jahr 2018. Insgesamt sind Ausland gemeldet sind, beträgt lediglich 10 %. 1.318 Eigentümerwechsel genehmigt worden (in 98 Fällen wechselte eine Wohnung oder ein Grundstück auch mehrmals BAUVORHABEN den Eigentümer). Die Mehrzahl der Genehmigungsanträge für eine bauliche Modernisierung betreffen die Modernisierung und Instand- Die zweithöchste Anzahl der erteilten Genehmigungen sind setzung von einzelnen Wohnungen. Dazu zählen insbesondere Grundschuldbestellungen. Eine Grundschuldbestellung ist in Maßnahmen zur energetischen Optimierung, u. a. die Erneu- der Regel immer dann nötig, wenn eine Immobilie zu finan- erung von Heizungsanlagen oder Fenstern. Bei den Zahlen ist zieren ist. Für die Bank, die den Kredit gibt, dient die Grund- zu berücksichtigen, dass sich die Genehmigungen sowohl auf schuld als Sicherheit oder als Pfandrecht. Die Grundschuld einzelne Wohnungen als auch ganze Gebäude (Grundstücke) wird in das Grundbuch der zuständigen Gemeinde einge- beziehen können. Die zwischen 2011 und 2018 erteilten 167 tragen. Dieser Vorgang wird als „Grundschuldbestellung“ Genehmigungen zeigen einen kleinen Einbruch im Jahr 2016, bezeichnet. Auch eine Grundschuldbestellung kann Sanie- und schwanken ansonsten zwischen 15 und 25 Wohneinheiten rungszielen zuwider laufen, wenn dadurch die Finanzierung pro Jahr (siehe Abb. 4). Das Investitionsverhalten der Bauher- notwendiger Sanierungsmaßnahmen auf dem Grundstück ren erscheint also in dem Zeitraum kaum verändert. erschwert wird. Auch in Nord-Neukölln besteht eine hohe Nachfrage nach Viele Grundschuldbestellungen stehen im Zusammenhang mit zusätzlichem Wohnraum. Das allgemeine öffentliche Inte- der Veräußerung eines Grundstücks oder einer Wohnung, da resse und Senatsziel, Neubau zu ermöglichen, steht ange- in den meisten Fällen der Kaufpreis vom Käufer teilweise oder sichts der bereits hohen baulichen Dichte im Gebiet in einem vollständig durch Bankdarlehen finanziert wird. Daher verläuft Spannungsverhältnis zu den Sanierungszielen, die vor allem die Kurve ähnlich wie die der Kaufvertragsgenehmigungen, auf die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse im wenn auch flacher (ca. 100 bis 150 Genehmigungen pro Jahr, Gebäudebestand abzielen. Mit den städtebaulichen Leitlinien siehe Abb. 1). zur Nachverdichtung wird versucht, die Nachverdichtung in einem vertretbaren Maß zuzulassen und auf den Grundstü- Eine gleichbleibende Tendenz weist die Anzahl der in den cken verträglich zu gestalten. letzten acht Jahren genehmigten Vorhaben auf. Darunter fal- len die Anträge auf Neubau (z. B. Dachgeschossausbau) oder Insgesamt sind seit 2011 Genehmigungen für 503 neue Modernisierungen, aber auch Anträge auf Nutzungsände- Wohneinheiten im Gebiet erteilt worden. 341 entstan- rungen oder Werbeanlagen. So benötigt man z. B. eine sanie- den in Neubauten und 162 durch Aufstockung bzw. rungsrechtliche Genehmigung, wenn ein Einzelhandels- in Dachgeschossausbau. In diesem Zeitraum konzentrierten 4 KARLSON August 2019
Abb. 3: Anzahl der genehmigten Wohneinheiten (DG-Ausbau, Aufstockung und Neubau) sich die Neubaugenehmigungen fast ausschließlich auf einige Verkehr, mehr Schüler*innen, mehr Nutzer*innen der Grün- wenige Grundstücke, auf dem Kindl-Gelände (siehe KARLSON anlagen, etc. Damit die negativen Auswirkungen einer Nach- Nr. 3, S. 8), auf dem Grundstück der alten Post, auf den Hin- verdichtung im Gebiet abgemildert werden, fordert der Bezirk terhöfen der Karl-Marx-Straße 170 und 179 sowie auf den im Rahmen der Genehmigungsverfahren vom Bauherren so Hinterhöfen der Elbestraße 17 und Schönstedtstraße 7. genannte Ausgleichsmaßnahmen zur Wohnumfeldverbesse- rung. Dazu gehören z. B. die Entsiegelung von betonierten und Während es Flächenpotenziale für Neubauten aufgrund asphaltierten Freiflächen auf dem Baugrundstück, Hof- und der weitgehend geschlossenen Bebauung nur sehr einge- Dachbegrünungen oder auch eine Fassadenbegrünung, um schränkt und eher punktuell gibt, sind Potenziale für den den Anteil der Flächen zur Verbesserung des Naturhaushalts Dachgeschossausbau auf vielen Grundstücken vorhanden. zu erhöhen. Auch sollen möglichst Müll- und Fahrradstell- Hier gab es in den letzten acht Jahren eine relativ konstante plätze in Räumlichkeiten des Neubaus zur Verfügung gestellt Aufwärtsentwicklung. Waren es in den ersten Jahren noch und offene Pkw-Stellplätze auf den Höfen reduziert werden, unter 20 Dachgeschosswohnungen pro Jahr, stieg die Zahl in um die privaten Wohnhöfe zu entlasten. Seit 2011 wurden Aus- den letzten Jahren deutlich. gleichsmaßnahmen auf insgesamt 57 Grundstücken geneh- migt und dadurch ein nicht unbeträchtlicher Sanierungserfolg Wie oben schon erläutert, erhöht eine zusätzliche Nach- erzielt. verdichtung im Wohnungsbestand auch den Druck auf das Nestor Martinez, Torsten Kasat, Alexander Tölle Wohnumfeld. Mehr Menschen im Gebiet bedeuten u. a. mehr Abb. 4: Jährliche Anzahl der Modernisierungsverfahren KARLSON August 2019 5
BEZAHLBARE MIETEN IM SANIERUNSGEBIET Handlungsspielräume und verfügbare Instrumente Angesichts mancher gesellschaftlich ungelösten Konflik- Karl-Marx-Straße / Sonnenallee mit sieben Gebieten in Berlin te gerät auch die Stadtentwicklung immer wieder in den verglichen, die eine ähnliche Struktur aufweisen, aber keine Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Angst, seine Wohnung nicht Fördergebiete sind. Quintessenz dieser Untersuchung ist: mehr bezahlen zu können, ist hierbei ein Thema, das auch die Entwicklung der Mietpreise unterscheidet sich im Sanie- besonders vielen Neuköllner*innen unter den Nägeln brennt. rungsgebiet nicht maßgeblich von den anderen innerstädti- Vieles, was früher eher positiv empfunden wurde, z. B. die schen Lagen. Es hätte daher keinen Nutzen, auf den Einsatz Neugestaltung von öffentlichen Straßen und Plätzen, wirkt von Fördermitteln zu verzichten. Und statt, wie woanders, auf manche nun bedrohlich. Denn sie fürchten, dass dies die nur mit geringem Aufwand Löcher zu stopfen, besteht mit Gentrifizierung unterstützt, also die Verdrängung der ange- der Städtebauförderung auch die Möglichkeit, komplexere stammten Bevölkerung. Infrastrukturaufgaben zu bewältigen. Dies wird verknüpft mit einer zukunftsfähigen Gestaltung und einer viel stärkeren Ist diese Befürchtung begründet? Dies ist eine sehr wich- Beteiligung der Bewohner*innen, als dies in der klassischen tige Frage. Denn ein Sanierungsgebiet ist ein Raum, in dem Investitionsplanung, also ohne die umfassende Unterstützung besondere Problemlagen vorherrschen, sogenannte „städte- der Verwaltung durch Mittel der Städtebauförderung möglich bauliche Missstände“. Diese sollen durch den gezielten Ein- wäre. satz von Fördermitteln abgebaut werden – in Neukölln immer- hin 60 Millionen Euro über den gesamten Sanierungszeitraum Der Erhalt der Bevölkerungsstruktur ist in Neukölln aber hinweg. Für das Gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee liegen auch stark mit der Sicherung kostengünstigen Wohnraums die Sanierungsziele vor allem in der Stärkung des Zentrums verknüpft. Wie lässt sich dies aber erreichen? Einen Königs- Karl-Marx-Straße und der Verbesserung der sozialen Infra- weg gibt es hier leider nicht. Der Zielkonflikt zwischen dem struktur sowie des öffentlichen Raums. Und zwar nicht für Schutz des Eigentums und dem öffentlichen Interesse an irgendwen, sondern konkret für die Bewohner*innen des bezahlbarem Wohnraum spiegelt sich auch im Baugesetzbuch Gebietes. An ihnen orientiert sich die Planung, ihre besonde- wider. Dieses legt den Handlungsspielraum des Stadtentwick- ren Bedürfnisse sind Grundlage des Sanierungsprogramms. lungsamts als Verwaltungsbehörde verbindlich fest. Eine Möglichkeit, die das Baugesetzbuch der Verwaltung bie- Bereits 2016 wurde eine „Wohn- und Infrastrukturun- tet, ist die Festsetzung sozialer Sanierungsziele. Der Erhalt tersuchung“ durchgeführt (abzurufen unter: www.kms- kostengünstigen Mietwohnraums ist aber kein Problem, das sonne.de/service). In dieser wurde das Sanierungsgebiet allein das Sanierungsgebiet betrifft, sondern inzwischen weite 6 KARLSON August 2019
Teile der Berliner Innenstadt. Daher wurde das Sanierungsrecht mit einem anderen städtebaulichen Instrument kombiniert: dem Milieuschutz. MILIEUSCHUTZ, VORKAUFSRECHT UND MIETERBERATUNG Seit Sommer 2016 wird das Sanierungs- gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee mit sogenannten Milieuschutzgebieten überlagert, seit März 2019 nun flächen- deckend. Wesentlicher Ansatzpunkt ist, besonders Luxussanierungen, aber auch energetische Sanierungen, die über die Anforderungen der Energieeinsparungs- verordnung hinausgehen und damit zu hohen Kosten für die Mieter*innen führen, einzudämmen . Seit die Mili- euschutzgebiete in Kraft getreten sind, wurden allein im Sanierungsgebiet fast 200 Anträge zu baulichen Maßnahmen geprüft. Hierbei reicht die Spanne vom Austausch einzelner Fenster bis hin zur dem Baugesetzbuch ist die Ausübung Hiervon lagen sieben Häuser mit rund Komplettsanierung. In jedem Einzelfall des Vorkaufsrechts. Hiermit soll insbe- 170 Wohnungen im Sanierungsgebiet. erfolgt eine intensive Auseinanderset- sondere verhindert werden, dass Miet- zung mit den Vorhaben im Lichte der wohnungen in Eigentumswohnungen Für einen individuellen Mieterschutz hat Genehmigungskriterien. Regelmäßig, oft umgewandelt werden können. Die Vor- der Milieuschutz (und das Sanierungs- von den Mieter*innen unbemerkt, führt aussetzungen zur Ausübung sind aber recht) allerdings keine Rechtsgrund- dies zu einer deutlichen Reduzierung sehr begrenzt. Ebenso kann der Käufer lage. Die Wirkung erfolgt indirekt, indem des Maßnahmenumfangs und damit der das Vorkaufsrecht „abwenden“, wenn umlagefähige Modernisierungsmaß- umlagefähigen Modernisierungskosten, er sich verpflichtet, bestimmte Dinge zu nahmen begrenzt oder sozialverträglich welche auf die bestehende Miete dauer- unterlassen. Bis Ende April 2019 wurden ausgestaltet werden sollen. Die Mie- haft aufgeschlagen werden dürfen. Fast in Neukölln bei 42 Häusern das Vor- ter*innen haben allerdings noch weitere jeder fünfte Antrag wird ganz versagt. kaufsrecht ausgeübt oder Abwendungs- Rechte, die im Privatrecht, insbesondere vereinbarungen geschlossen. Rund im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ver- Ein weiterer Baustein zur Sicherung 1.000 Mietwohnungen konnten bisher ankert sind. So müssen z. B. Instandhal- kostengünstiger Mietwohnungen nach auf diesem Wege gesichert werden. tungskosten von einer Umlage abgezo- gen werden. In bestimmten Fällen darf eine Umlage nicht erfolgen (sogenannte FRAGEN UND ANTWORTEN Härtefallregelung). Hierzu bietet der Bezirk eine kostenlose Mietrechtsbera- tung an (siehe Kasten), in der aber auch Bei welchen Anliegen kann mich die Mieterberatung unterstützen? alle anderen Mietrechtsfragen (z. B. zu Mieter*innen können sich zu allen möglichen mietrechtlichen Fragen bera- Betriebskosten) besprochen werden ten lassen, egal ob Modernisierungsankündigung, Eigenbedarfskündigung, können. Betriebskosten etc. Auch noch wichtig zu wissen: alle Mie- Was umfasst eine Beratung? ter*innen werden vor der Genehmigung Die Beratung ist grundsätzlich anonym und kostenfrei. Sie ist als juristische Erst- der Baumaßnahmen angehört. In die- beratung konzipiert. Im Grundsatz kann man sich auch mehrfach zu verschiede- sen Schreiben werden die genehmigten nen Themen Rat holen, ausgeschlossen ist aber eine juristische Vertretung. Maßnahmen aufgeführt. Sollten Sie also eine Modernisierungsankündigung An welche Mieterberatung kann ich mich wenden, wenn ich im Sanierungs- erhalten, vergleichen Sie diese mit dem gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee wohne? Anhörungsschreiben. Gibt es ein sol- Die Mieterberatung für das Aktive Zentrum und Sanierungsgebiet Karl-Marx- ches Anschreiben nicht, zögern Sie nicht Straße / Sonnenallee berät im Büro des Citymanagements der [Aktion! Karl- nachzufragen, ob eine Genehmigung Marx-Straße], Richardstr. 5 (Kontakt siehe Seite 20). überhaupt erfolgt ist. Am einfachsten ist dies bei der bezirklichen Mieterbera- Weitere Mieterberatungen in Neukölln finden Sie auf der Website des Bezirk- tung oder per Mail unter milieuschutz@ samts Neukölln www.berlin.de/ba-neukoelln bezirksamt-neukölln.de. Oliver Türk KARLSON August 2019 7
KNAPPER RAUM FÜR VIEL VERKEHR Wie lässt sich der Wandel zugunsten des Rad- und Fußverkehrs gestalten? Ein Gespräch. Im Aktiven Zentrum und Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Evertz: Die Eckpunkte für die Planungen haben wir bereits Sonnenallee prägt vor allem der Umbau der Straßen das 2008 gesetzt. Ziel war es damals wie heute, die Karl-Marx- Bild – allen voran die Sanierung der Karl-Marx-Straße. Vor Straße vom Autoverkehr zu entlasten. Dazu gehört, dass die allem für Fußgänger*innen und Radverkehr sollen dabei Autos nur noch auf einer Spur pro Richtung fahren, die Ver- bessere Bedingungen als bisher geschaffen werden. Dies ist breiterung der Gehwege und die Schaffung einer eigenen Rad- auch das Ziel des Berliner Mobilitätsgesetzes. Doch in der spur. Mit diesen Zielen wurde unter anderem die Aufnahme in Praxis erfolgt die Durchsetzung dieser Ziele nicht immer das Förderprogramm Aktives Zentrum begründet. reibungslos. Wir sprachen dazu mit Helmut Große Inkrott und Lino Maisant, Mitglieder im „Netzwerk Fahrradfreundliches Der zweite wichtige Punkt war der partizipative Charakter des Neukölln“ und Horst Evertz von der BSG Brandenburgischen Förderprogramms. Die ersten Ideen für das Gebiet wurden in Stadterneuerungsgesellschaft mbH. umfangreichen Beteiligungsverfahren abgestimmt. Das war damals revolutionär. : Berlin hat als erstes deutsches Bundesland ein Mobili- tätsgesetz verabschiedet. Was bedeutet dies aus Ihrer Sicht Große Inkrott: Die Planungen für die Karl-Marx-Straße sind für die Zukunft der Mobilität in dieser Stadt? weitgehend abgeschlossen. Eine Erweiterung erfolgt gerade mit der Umsetzung der „Protected Bike Lane“, des geschütz- Große Inkrott: Ziel des Gesetzes ist, das hohe Verkehrsauf- ten Radstreifens zwischen Hermannplatz und Reuterstraße kommen der wachsenden Stadt Berlin neu zu regeln. Es bzw. des neuen Radstreifens bis zur Weichselstraße. Dies braucht Planungssicherheit für die Umsetzung neuer ver- beruht auf Vorschlägen des „Netzwerk Fahrradfreundliches kehrspolitischer Ziele. Wichtig ist mir die „Version Zero“, das Neukölln“ und wurden auch von der Lenkungsgruppe der heißt, in Zukunft keine Verkehrsunfälle mit Toten oder Schwer- [Aktion! Karl-Marx-Straße] befürwortet. Dennoch kritisiert das verletzten mehr zu haben. Netzwerk einige Dinge im Gebiet. So gibt es kein übergreifen- des Verkehrskonzept. Wir befürchten, dass nach Abschluss der Die Entstehung dieses Gesetzes ist bemerkenswert. Es wurde Baumaßnahmen nachträglich keine verkehrslenkenden Maß- gemeinsam mit den Aktivisten des Umweltverbunds (Busse, nahmen mehr integriert werden können. Bahnen, Tram, Fahrrad, Fußverkehr) entwickelt und hat seine Grundlage in einem basisdemokratischen Prozess, den Aktivi- Evertz: Ich stimme zu, dass es für Nord-Neukölln ein groß- täten um den Volksentscheid Fahrrad. Für Berlin einmalig ist räumiges Verkehrskonzept braucht. Aber wir sind z. B. die schnelle Verabschiedung des Gesetzes. gezwungen, mit der umgebauten Donaustraße eine Umge- hungsstrecke für den Radverkehr anzubieten, wenn die Karl- : Das Mobilitätsgesetz möchte den knappen Platz, der Marx-Straße in Richtung Norden weiter umgebaut wird. Ein als öffentlicher Raum zur Verfügung steht, zugunsten des Verkehrskonzept kann auch dann erst sinnvoll erarbeitet wer- Umweltverbunds neu aufteilen. Wie beurteilen Sie vor den, wenn sich die Verkehrsströme nach dem Abschluss der diesem Hintergrund die Planungen und Umsetzungen im großen Straßenbaumaßnahmen wieder normalisiert haben. Sanierungsgebiet? Große Inkrott: Viel diskutiert werden in diesem Zusammen- hang auch Umweltbelastungen wie Lärm, Stickoxide und Verschiedene Verkehrsmittel auf engem Raum Feinstaub in dicht besiedelten Gebieten. Maisant: Die Donaustraße hat z. B. in Bezug auf das Thema Umweltgerechtigkeit schlecht abgeschnitten. Evertz: Eines der Sanierungsziele ist, gemeinsam mit den Eigentümer*innen die wohnungsnahen Freiflächen zu verbes- sern, u. a. durch Hofbegrünungen. Dabei sollen vorhandene Stellplätze möglichst von den Höfen verschwinden. Wir spre- chen im Sanierungsgebiet von einer vierstelligen Zahl. Bei einer Verlagerung der Stellplätze erhöht sich aber wiederum der Parkdruck auf der Straße. Die Probleme und Lösungswege sind also sehr komplex. : Was bedeutet „radgerechter Umbau“? Große Inkrott: Das vorrangige Ziel ist es, mehr Menschen auf das Fahrrad zu bringen. Dafür braucht es mehr Sicherheit für den Radverkehr – wobei Sicherheit sehr unterschiedlich 8 KARLSON August 2019
empfunden wird. Der Fahrradverkehr nimmt besonders hier in Neukölln stark zu, die Infrastruktur muss nachziehen. Maisant: Langfristig ist es wünschens- wert, den Komfort für den Radverkehr zu erhöhen. Wir stehen aber noch am Anfang der Verkehrswende. Zunächst muss das subjektive Sicherheitsgefühl für Fahrrad- fahrer*innen verbessert werden. : Noch vor einigen Jahren galt der Fahrradstreifen auf der Fahrbahn als sichere Alternative zum Radweg auf dem Bürgersteig. Warum stößt nun der neue Fahrradstreifen auf den umge- bauten Abschnitten der Karl-Marx- Falschparkende Autos zwingen Radfahrer*innen auf den Fußweg Straße auf Kritik? Ordnungsamt kontrolliert derzeit täg- : Die Aggressionen im Straßenver- Große Inkrott: Wenn sich alle Verkehr- lich. Wenn die Parkraumbewirtschaftung kehr nehmen nachweislich zu. Wie steilnehmer*innen an die Verkehrs- im Gebiet umgesetzt ist, wird es leich- kann zwischen den Verkehrsteilneh- regeln halten würden, könnte ich mit ter werden, die Ladezonen von den dort mer*innen vermittelt werden? dem Radstreifen gut leben. Dies ist parkenden Autos zu befreien und so die aber leider nicht so. Der Streifen wird Ladevorgänge für die Geschäfte abzu- Evertz: Einige Radfahrer*innen sind regelmäßig von Fahrzeugen zugeparkt. sichern. Der Wirtschaftsverkehr in der vielleicht der Meinung, nach jahrzehnte- Autofahrer*innen nehmen sich diesen Karl-Marx-Straße muss funktionieren, langer Bevorzugung des Autos seien sie Raum wieder zurück. Eine Lösung ist ein damit sie für Händler*innen und Kund- jetzt mal dran. Manche Autofahrer*innen geschützter Radstreifen („Protected Bike schaft attraktiv bleibt. hingegen sehen in den Radfahrer*innen Lane“). Auf baulich geschützten Rad- Feinde, die in ihre angestammten Rechte streifen fühlen sich viele Radfahrer*in- Große Inkrott: Die Einrichtung der eingreifen. Auf beiden Seiten ist ein nen nachweislich sicherer. „Protected Bike Lanes“ ist ja ein ber- Lernprozess nötig. linweites Pilotvorhaben und man kann Maisant: Dabei ist es nicht die Farbe dadurch belegbare Erfahrungen sam- Große Inkrott: Da stimme ich zu. Die- entscheidend, mit der der Streifen mar- meln. Gemeinsam mit der Anlage auf ses Aggressionspotenzial beeinträchtigt kiert wird. Es wird dort bewusst falsch der Straße Hasenheide hat sie eine nen- alle und es ist eine Herausforderung, geparkt, deshalb braucht es eine baulich nenswerte Länge für eine Untersuchung. hier Verständnis füreinander zu wecken. getrennte Lösung. Zurzeit haben die geschützten Radstrei- Allerdings ist der Anteil des motorisier- fen noch einen schlechten Ruf in Berlin. ten Individualverkehrs (MIV) in den letz- Evertz: Grundsätzlich kann man Pla- Wir gehen aber davon aus, dass die For- ten Jahren sicher nicht zurückgegangen, nungen nicht am Fehlverhalten der derungen zur Einrichtung der Protected zwei Drittel des öffentlichen Raums ste- Menschen ausrichten. Dennoch wird Bike Lanes zunehmen, wenn die Vorteile hen noch immer dem MIV zur Verfügung. einiges zur Verbesserung getan. Das erkannt werden. Es gibt nur wenige Städte, in denen man flächendeckend so günstig parken kann Lino Maisant, Helmut Große Inkrott und Horst Evertz wie in Berlin. Da muss es einen Kultur- wechsel geben. Evertz: Wir brauchen Straßen, vor allem zur Ver- und Entsorgung. Auch sollten wir Verständnis für Autofahrer*innen haben, die aus beruflichen oder gesund- heitlichen Gründen auf das Auto ange- wiesen sind. Und natürlich für den Wirt- schaftsverkehr. Verzichtbar ist aber der parkende Verkehr, der die meiste Zeit ungenutzt den öffentlichen Straßenraum belegt. : Ich danke für das Gespräch. Interview: Stephanie Otto KARLSON August 2019 9
SANIERUNG KONTROVERS Wie geht es weiter am Weigandufer? Montag, 24. Juni 2019 – ein denkwürdiger Abend im Çigli auch am Weigandufer zwischen Wildenbruchstraße und Zimmer, 1. Stock, Rathaus Neukölln. Das Beteiligungsgre- Innstraße. Hier wurden Ende Februar Büsche und Sträucher mium Sonnenallee hat zu seiner allmonatlichen Sitzung gerodet, um die Neugestaltung des Uferwegs entsprechend geladen. Der Veranstaltungsort sowie die große Anzahl und den Zielen der Planung ermöglichen zu können. Dazu gehört, die Zusammensetzung der Gäste sind ungewöhnlich. Die dass der Uferweg verbreitert und barrierefrei gestaltet wer- Stimmung ist angespannt. den kann. Zudem sollen nicht einsehbare Räume reduziert und der Uferbezug des Weges gestärkt werden (siehe auch Die Mitglieder des Beteiligungsgremiums, Fachleute aus der Artikel im KARLSON Nr. 3). Viele der anwesenden Anwoh- Verwaltung, die Sanierungsbeauftragte BSG mbH und circa ner*innen sind von den durchgeführten Rodungen enttäuscht. 30 Bürger*innen wollen vor allem über die Umsetzung der Zahlreiche Protestbriefe erreichten das Bezirksamt. Unter Planungen am Weigandufer reden, die Planung erklären oder dem Eindruck der weltweiten „Fridays for Future“-Bewegung ihrem Ärger Luft machen. Zu Gast ist auch Bezirksbürger- werden die Rodungen seitens einiger Bürger*innen als rück- meister Martin Hikel, der gleichzeitig als Leiter der Abteilung wärtsgewandt eingeschätzt: das Mikroklima würde geschä- Finanzen und Wirtschaft dem Straßen- und Grünflächenamt digt, das Bienensterben forciert und der ganze Bereich am vorsteht. Weigandufer gestalterisch abgewertet. Es wird zudem gar befürchtet, dass hier statt eines blühenden Grünstreifens WAS IST PASSIERT? eine „Betonwüste“ entstehe. Viele können die Gründe für die Die Planungen für das Weigandufer sind seit dem Jahr 2016 Rodungen nicht nachvollziehen. auf dem Weg. Eine erste Begehung zur Bestandsaufnahme des Weigandufers mit dem Beteiligungsgremium fand bereits Tatsächlich gab es seit der Beteiligungsphase Planungsände- 2015 statt (siehe Artikel im KARLSON Nr. 3). Die Planungen rungen. Eine komplette Rodung der Sträucher war zunächst folgen dem Sanierungsziel im Sanierungsgebiet Karl-Marx- nicht vorgesehen, sondern lediglich eine Reduzierung der Straße / Sonnenallee, die öffentliche Infrastruktur, also Stra- Gehölze (siehe Planskizze im KARLSON Nr. 4). Dass nun die ßen, Plätze oder Grünflächen, für die Bevölkerung im Gebiet gesamten Sträucher am Uferweg gerodet werden müssen, zu verbessern. Konkret heißt das Barrierefreiheit, Fahrrad- wurde erst klar, nachdem die gesetzlichen Anforderungen für gerechtigkeit und Verkehrssicherheit. Alle Menschen sollen die Versickerung des Regenwassers bzw. die Entwässerungs- sicher und einfach die öffentliche Infrastruktur in Neukölln bestimmungen des Landes Berlin verschärft wurden (siehe nutzen können. Eine wichtige Maßnahme ist dabei die Neu- auch Erläuterung im untenstehenden Kasten). Die geforderte gestaltung der Uferzone zwischen Lohmühlen- und Weich- Regenwasserbewirtschaftung wird am Weigandufer über selplatz und entlang des Weigandufers bis zur Innstraße. Die sogenannte Muldenflächen geschehen. Die bestehenden Umgestaltung des Lohmühlen- und Weichselplatzes und der Sträucher verhindern die vorgeschriebene Entwässerung der Ausbau der Uferpromenade in diesem Bereich wurden 2017 abgeschlossen. Bei dieser Maßnahme wurden viele Anregun- gen des Beteiligungsgremiums und der Anwohner*innen in Problemfall Regenwasserversickerung einer konstruktiven Atmosphäre diskutiert und flossen in die Planung ein (siehe Artikel im KARLSON Nr. 2). Die Fortset- Bei der Baumaßnahme Weigandufer müssen das „Ber- zung der Baumaßnahmen am Weigandufer ist hingegen sehr liner Wassergesetz“, die Richtlinie zur „Begrenzung von konfliktreich. Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin“ und die Klima- und Umweltziele bei der Entwässerung Die lange Dauer von den ersten Planungen bis zur Umsetzung (SenUVK) beachtet werden. Demnach muss das anfal- einer Baumaßnahme stellt ein generelles Problem dar und lende Regenwasser auf dem Grundstück des Bauvorha- trägt auch am Weigandufer zum Konflikt bei. Rechnet man die bens (hier der Gehweg am Schifffahrtskanal) auf natürli- erste Bestandsaufnahme am Weigandufer mit ein, sind seit- che Weise abgeführt werden. Das Niederschlagswasser dem knapp vier Jahre vergangen. Zum Weigandufer fanden im darf nicht in die bestehende Kanalisation eingeleitet Juli 2016 und Dezember 2017 öffentliche Erörterungsveran- werden – und aufgrund des Gewässerschutzes auch staltungen statt. Zudem gab es Sitzungen des Beteiligungs- nicht in den Neuköllner Schifffahrtskanal. Somit bleibt gremiums Sonnenallee, in denen unter anderem der Leiter am Weigandufer nur die Versickerung an Ort und Stelle. des Straßen- und Grünflächenamtes die Planungen und Bau- Hierzu ist der Bau einer Versickerungsmulde notwen- maßnahmen erklärte. Viele der aufgebrachten Anwohner*in- dig. Diese muss auch eine Reinigungsfunktion besitzen, nen und Gäste des Beteiligungsgremiums haben von diesen damit kein belastetes Wasser ins Grundwasser gelangt. Veranstaltungen und deren Ergebnissen noch nie etwas Die Filterfunktion muss eine belebte Bodenzone (unbe- gehört und kennen die Diskussionen, die bereits geführt wur- lasteter Oberboden) übernehmen. Aus diesem Grund den, nicht. muss am Weigandufer der Boden ausgetauscht werden. Dies führt wiederum dazu, dass die Bestandssträucher Proteste von Betroffenen treten oftmals erst auf, wenn die nicht erhalten werden können. Folgen der Planung konkret im Raum sichtbar werden. So 10 KARLSON August 2019
Querschnitt zukünftige Gestaltung Weigandufer zwischen Wildenbruch- und Innstraße neuen größeren Wegeflächen. Der Verlust der Vegetation, können, soll doch da, wo es möglich ist, ein Ausgleich für die so zeigte die Veranstaltung, scheint jedoch für die meisten zu rodenden Sträucher geschaffen werden. Für diese Abend- der Anwesenden ein zu hoher Preis zu sein. Für den letzten veranstaltung des Beteiligungsgremiums hat das Straßen- Bauabschnitt, der ab Herbst 2019 zwischen Fulda- und Wil- und Grünflächenamt daher neue Vorschläge für den Abschnitt denbruchstraße umgesetzt werden soll, sollten nach ihrer zwischen Fulda- und Wildenbruchstraße entwickelt (siehe Ansicht noch einmal Alternativen zur Rodung geprüft werden. dazu auch Interview mit Bezirksbürgermeister Martin Hikel). Aus Sicht der planenden Verwaltung ist der Wunsch, viel von der bestehenden Vegetation zu erhalten, nachvollziehbar. Auf Die Vorstellung des Konzepts für intensivere Neupflanzun- das Ziel der Erneuerung der Uferpromenade und die barriere- gen mit Sträuchern und eine konstruktive Diskussion darüber arme Gestaltung der Uferwege, die Bestandteil des „Inneren gelang jedoch nicht. Die Ausführungen von Bürgermeister Parkrings“ sind, der zu den „20 grünen Hauptwegen“ in Ber- Hikel und den Mitarbeiter*innen des Straßen- und Grünflä- lin gehört, müsste dann aber verzichtet werden. Eine solche chenamtes wurden immer wieder unterbrochen. Bewusst Lösung kann deshalb die Fachverwaltung, die den gesetzli- falsche Darstellungen und Zusammenfassungen verhinderten chen Auftrag hat, unterschiedliche Belange und Interessen zu eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorschlägen. berücksichtigen und abzuwägen, nicht mittragen. Herr Hikel bot an, bei Bedarf die Sitzung des Beteiligungsgre- WIE GEHT ES WEITER? miums im August erneut zu besuchen, um das überarbeitete Die Verantwortlichen im Bezirk versuchen nun, den Anliegen Konzept nochmals vorzustellen und inhaltlich zu diskutieren. der Bürger*innen entgegenzukommen und zumindest die Stephanie Otto Neupflanzungen zu intensivieren. Wenn auch nicht die Anfor- derungen an die Entwässerung der Wege verändert werden INTERVIEW MIT BEZIRKSBÜRGERMEISTER MARTIN HIKEL : Herr Hikel, wie bewerten Sie die Diskussion zu den Pla- nicht vorbeikommen. Bei alledem steht Sicherheit und Barrie- nungen am Weigandufer? refreiheit im Mittelpunkt. Die Begrünung des Streifens wurde nun aber deutlich verändert. Hikel: Ich nehme die Reaktionen der Anwohner*innen sehr ernst. Von Anfang an wurde mit dem Beteiligungsgremium : Und was passiert nun mit den Sträuchern am Ufer, die zusammengearbeitet, deshalb habe ich mich natürlich über viele der Anwohner*innen erhalten wollen? manche Reaktionen tatsächlich gewundert. Aber dennoch haben wir unsere ursprünglichen Planungen angepasst, weil Hikel: Da die neuen Vorgaben der Senatsverwaltung zur sich manche Anwohner*innen scheinbar überrollt gefühlt dezentralen Regenentwässerung verbindlich sind und breite haben und mittlerweile andere Menschen dort aktiv sind als und tiefe Mulden vorsehen, müssen die bestehenden Sträu- vor drei Jahren. cher entfernt werden. Wir haben deshalb vereinbart, in dem gesamten Abschnitt nicht nur niedrige Stauden, sondern : Was heißt denn angepasst? zusätzlich neue Sträucher zu pflanzen. Damit wurde auch einem vielfach auf einem Anwohner*innenworkshop geäußer- Hikel: Zentrales Ziel war die Herstellung von Barrierefrei- ten Wunsch entsprochen. Wir wollen nun in dem gesamten heit und Sicherheit am Ufer. Dabei wird es auch bleiben. Ich Bereich einheimische Sträucher pflanzen. Sie wurden nach will, dass Menschen mit Kinderwagen oder im Rollstuhl den Bienenfreundlichkeit ausgesucht und berücksichtigen die Uferweg genauso selbstverständlich nutzen können wie alle bestehende Artenvielfalt. Unsere aktualisierte Planung haben anderen auch. Das Geländer muss dringend erneuert werden, wir ebenfalls mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz genauso wie wir an einer funktionierenden Entwässerung (BUND) abgestimmt. KARLSON August 2019 11
Wildenbruchpark mit Grotte um 1910. Hinter der Fontäne das Verwaltungsgebäude der Pumpstation LEBEN AM WASSER An den Ufern des Neuköllner Schifffahrtskanals Eine Uferpromenade unter dem Schatten alter Bäume für Flaneure Neben Baumaterial machten die Kohlelieferun- und Fahrradfahrer*innen, Spielplätze und Parkbänke für Alt und Jung, gen für die städtische Gasanstalt in der Teupitzer Restaurants und Cafés mit Blick aufs Wasser – entsteht südöstlich des Straße einen Großteil des Frachtverkehrs aus. Mit Lohmühlenbeckens eine Fortsetzung der Kreuzberger Kanalromantik? dem Anschluss des Kanals an den Teltowkanal im Im zweiten Teil der Artikelserie zur Geschichte „Trepköllns“ blickt der Süden der Stadt und der Anlage eines modernen Historiker Henning Holsten zurück auf die Erbauung und frühe Nutzung Industriehafens südlich der heutigen Sonnenallee der wichtigsten Wasserstraße Neuköllns Anfang des letzten Jahrhun- verbanden die Stadtväter 1914 große Hoffnungen auf derts. einen Aufschwung von Gewerbe, Industrie und Han- del Neuköllns – die sich durch den Ausbruch des Ansätze gutbürgerlicher Lebenskultur gab es bereits vor über 100 Jah- 1. Weltkrieges jedoch schnell zerschlugen. ren, als der Kanal und die umgebenden Wohnviertel erbaut wurden. Die Rixdorfer Stadtplaner Hermann Weigand und Reinhold Kiehl, nach denen Verbunden wurden die neu angelegten Straßen zu heute die Uferstraßen benannt sind, hatten aber zunächst elementarere beiden Seiten des Kanals zunächst durch vier pro- Bedürfnisse der rasant wachsenden Stadtgemeinde und seiner mehrheit- visorische Holzbrücken: die Lohmühlen-, Wilden- lich proletarischen Bewohnerschaft im Blick. bruch-, Teupitzer- und Treptower Brücke, die erst nach Kriegsende durch Steinbauten ersetzt wurden. LEBENSADER DER WIRTSCHAFTLICHEN STADTENTWICKLUNG Hinzu kam bereits 1906 der Elsensteg, der bis heute Zuallererst diente der 1902 begonnene Kanalbau der Trockenlegung des den Fußgänger*innen vorbehalten ist. Unterirdische „froschquakenden Überschwemmungsgebietes“ der Köllnischen Wie- Toilettenanlagen neben den Brücken und „Trink- sen (siehe KARLSON 4/2017). Nach der Freigabe für den Verkehr im April hallen“ genannte Kioskhäuschen an Lohmühlen-, 1904 wurde der Schiffahrtskanal vorwiegend von schweren Lastkähnen Weichsel- und Wildenbruchplatz befriedigten die befahren, die Ziegel und Holz für die Bebauung der dadurch erschlossenen dringendsten Bedürfnisse der täglich über den Flächen lieferten. „Auch Rixdorf wird, wie Berlin, ‚aus dem Kahn‘ erbaut“, Kanal strömenden Bevölkerung. bemerkte die Rixdorfer Zeitung am 8.7.1904. 12 KARLSON August 2019
Eisläufer auf dem zugefrorenen Kanal um 1910. Hinter der Treptower Brücke sind Wettschwimmen „Quer durch Neukölln“ 1921. Am Ufer die Anlegestelle am die gigantischen Kohlenkräne der städtischen Gasanstalt zu erkennen. Weichselplatz BÜRGERLICHE WOHNKULTUR IN DER ARBEITERSTADT Während das Schwimmen im Kanal in den 1950er Jahren auf- Neben der Versorgung der größtenteils ärmlichen grund der schlechten Wasserqualität untersagt wurde, hat sich Bewohnerschaft mit Wohn- und Arbeitsplätzen bemühte man ein anderes Freizeitvergnügen bis auf die heutigen Tage erhal- sich jedoch auch um eine attraktivere Gestaltung der neuen ten. Von der Anlegestelle an der Wildenbruchbrücke starteten Wohnviertel, um ein eher bürgerliches Publikum anzusprechen. bereits ab 1913 in den Sommermonaten Ausflugsdampfer in So wurden insbesondere entlang des Weigandufers mehrere Richtung Havelseen oder Müggelberge. Besonders beliebt Baumreihen gepflanzt, Spielplätze und kleine Schmuckplätze waren „Mondscheinfahrten“ zur Abteiinsel in der Spree (heute angelegt, die zum Aufenthalt und zur Erholung vom rauen Insel der Jugend), die von 1913 bis 1920 zu Neukölln gehörte, Arbeitsalltag einluden. oder zum Feuerwerk „Treptow in Flammen“ während des Stralauer Fischzuges. Herausragendes Beispiel ist der 1905 eingeweihte Wilden- Henning Holsten bruchpark. Hier stand die Pumpstation der Rixdorfer Kanali- sationswerke, die seit 1893 die Rixdorfer Haushalts- und Stra- ßenabwässer zu den Rieselfeldern in Boddinsfelde leiteten. Die Neugestaltung der ehemaligen Brunnenanlage warmen Abwässer der Pumpmaschinen ermöglichten die Ein- Wildenbruchplatz richtung einer einzigartigen Besonderheit der ansonsten wenig spektakulären Grünanlage: Eine Tuffsteingrotte mit Wasser- Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Wei- bassin und Springbrunnen. Im ganzjährig erwärmten Wasser- gandufers soll in der Parkanlage Wildenbruchplatz die becken tummelten sich nicht nur Goldfische, sondern ab 1927 schon lange außer Betrieb gestellte Brunnenanlage auch eine seltene Amazonas-Seerose, deren prächtige Blüten neu gestaltet werden. Dafür wird voraussichtlich Ende sich nur zwei Nächte im Jahr öffneten. des Jahres 2019 ein Ideenwettbewerb ausgeschrie- ben. Ziel des Wettbewerbs könnte die künstlerische Die vom Gartenamt sorgsam gepflegte Wildenbruch-Grotte Interpretation des Themas „Brunnen“ durch ein frei- lockte allerdings nicht nur erwünschte Gäste an. Presseberich- räumliches Objekt sein. ten der 1930er Jahre zufolge setzte in den warmen Monaten allabendlich eine regelrechte Ratten-Wanderung vom nahen Kanalufer ein, da der warme Tuffstein den Nagern behaglichen Unterschlupf und die Essensreste der Parkbesucher ein will- kommenes Abendessen boten. Vandalismus und Kriegszerstö- rungen verschärften das Problem nach 1945 noch, so dass die beliebte Grottenanlage 1951 im Zuge einer Neugestaltung des Parks beseitigt wurde. PROLETARISCHES VERGNÜGEN Neben Arbeit und Regeneration bot der Kanal den Neuköll- ner*innen auch Gelegenheit zu Sport und Freizeitspaß. In den ersten Jahren hatte der Magistrat die Rechte zum Angeln, Schwimmen und Eislaufen noch einem Pächter übertragen – wogegen insbesondere die Rixdorfer Sozialdemokraten hef- tig protestierten. In der Zeit der Republik organisierten dann Arbeitersportvereine das jährliche Wettschwimmen „Quer durch Neukölln“ vom Lohmühlenbecken bis zur heutigen Son- Die Westseite des Wildenbruchplatzes mit der Felsengrotte kurz nach der Fertig- nenbrücke, an dem meist über 100 Schwimmer*innen teilnah- stellung 1905. Im Hintergrund das noch unbebaute Kanalufer mit der hölzernen men, die von Tausenden vom Ufer aus angefeuert wurden. Wildenbruchbrücke. KARLSON August 2019 13
NEUE EINRICHTUNGEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE Drei Projekte werden umgesetzt Der Bezirk Neukölln hat sich zum Ziel gesetzt, die Aus- Bereich ein geschlossener Garten vorgesehen, der nur über stattung des Quartiers mit öffentlichen Einrichtungen der das Gebäude erreicht werden kann. Bildung und Freizeit besonders für Kinder und Jugendliche zu verbessern. In den vorbereitenden Untersuchungen zur Das Gebäude selber soll freundlich und einladend wirken und Festsetzung des Sanierungsgebiets wurden 2008 große zudem als ein Haus für die Jugend erkennbar sein. Gleich- Defizite beim Zustand der im Gebiet vorhandenen Einrich- zeitig sollen die Fassadenmaterialien auch potentiellem Van- tungen festgestellt. Zudem ist ein großer Teil der ansässigen dalismus vorbeugen. Im Erdgeschoss besteht die Fassade Bevölkerung auf leistungsfähige öffentliche Bildungs- und des Gebäudes zum Spielplatz hin deshalb aus sogenannten Freizeitangebote angewiesen. Drei Projekte befinden sich Gabionen-Körben, die mit wildem Wein oder Efeu berankt mittlerweile in der Planung und Umsetzung. werden können. Diese grüne Wand ist überwiegend geschlos- sen und öffnet sich hauptsächlich am Eingangsbereich, der DER ENTWURF FÜR DAS NEUE BLUEBERRY INN sich abends und nachts leicht mit einem Rollgitter schließen Der geplante Neubau der Jugendfreizeiteinrichtung „Blue- lässt. Den Eingangsbereich des Gebäudes bildet ein Foyer mit berry Inn“ in der Reuterstraße 9–10 nimmt Gestalt an. In Zugang zum Büro, von dem man einen guten Überblick über einem Auswahlverfahren mit mehreren Architekturbüros den „Stadtplatz“ hat. Das Foyer liegt im Zentrum des Gebäu- konnte sich die Arbeitsgemeinschaft PUPJUC, bestehend aus des und fungiert als ein horizontaler und vertikaler „Vertei- den Büros „Partner und Partner Architekten“ sowie „JUCA ler“, der alle Nutzungsbereiche über kurze Wege erreichbar architektur + landschaftsarchitektur“, mit ihrem Entwurf macht. Im Erdgeschoss gelangt man so zum Kindertreff, dem durchsetzen. Dieser sieht einen zweistöckigen Neubau vor, Mädchenzimmer und dem Bewegungsraum. Über die zentrale der gleichzeitig eine Trennungsfunktion für die zukünftige Treppe erreicht man das Obergeschoss. Hier befinden sich Außenanlage beinhaltet. Während im südlichen Eingangs- ein Lernraum, ein Seminarraum und ein offener Jugendtreff. bereich ein halböffentlicher „Stadtplatz“ entstehen soll, der Letzterer liegt an einer eingefassten Dachterrasse, die als sich zwischen den öffentlichen Spielplätzen erstreckt und eine Art „Dachgarten“ ein niederschwelliges Freiraumangebot einen Aufenthalt beim Ankommen ermöglicht, ist im hinteren schafft. Entwurfsplanung Blueberry Inn und Außengelände 14 KARLSON August 2019
Visualisierung Neubau Blueberry Inn Das Raumprogramm des Neubaus zeichnet sich genügt nicht mehr den baulich-energetischen und funktionalen Anforde- durch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten aus, so rungen einer zeitgemäßen Nutzung. dass zukünftig neben den Kindern und Jugend lichen auch die Stadtteilmütter, die Helene- Im Integrierten Stadtentwicklungskonzept für das Sanierungsgebiet Nathan-Bibliothek sowie die Volkshochschule das Karl-Marx-Straße / Sonnenallee wurde das Ziel formuliert, am Standort neue Gebäude für ihre Zwecke nutzen können. Der Manege eine integrierte Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung zu etab- Vorentwurf für die Außenanlagen sieht eine klare lieren, die auch Räume zur Förderung von lernschwachen Schüler*innen Gliederung der einzelnen Nutzungsbereiche vor. sowie offene Beratungs- und Koordinierungsleistungen für das Quartier Die beiden Spielplätze und die halböffentlichen Flä- anbieten kann. Um diese Ziele am Standort verwirklichen zu können, chen um das Blueberry Inn reihen sich nördlich des wurde im letzten Jahr eine Machbarkeitsstudie beauftragt. In der Studie Weges auf und werden von hier erschlossen. Einzig wurden drei Varianten untersucht: der Umbau des Bestandsgebäudes, der Spielplatz für die vorwiegend 8- bis 14-jähri- der Umbau und die Erweiterung des Bestandsgebäudes und schließlich gen erhält einen weiteren, direkten Zugang von der Abriss und Neubau. Reuterstraße. Insgesamt wird das Bauvorhaben mit ca. 3,7 Millionen Euro aus dem Baufonds für Baumaßnahmen des Programms „Soziale Stadt“ Lageplan Neubau „Manege“ gefördert. Die Bauarbeiten sollen im Februar 2020 beginnen und im Sommer 2022 fertiggestellt wer- den. Für die Dauer der Bauarbeiten wird am Bod- dinplatz ein Ausweichstandort errichtet. DIE PLANUNGEN FÜR DIE „MANEGE“ AUF DEM CAMPUS RÜTLI Die Jugendfreizeiteinrichtung „Manege“ ist Bestandteil des „Campus Rütli“ (CR²). Dieser ver- eint neben der Gemeinschaftsschule weitere Bil- dungseinrichtungen, in denen Kinder und Jugend- liche bis zum Eintritt in das Berufsleben intensiv gefördert werden. Die Manege ist die einzige große Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung (KJFE) in der Bezirksregion Reuterstraße. Sie hat zurzeit räumliche Kapazitäten für 150 Plätze. Das Gebäude weist jedoch erhebliche bauliche Mängel auf und KARLSON August 2019 15
Bestandsgebäude „Manege“ Visualisierung Erweiterungsbau „Szenenwechsel“ Im Ergebnis dieser Machbarkeitsstudie hat sich der Ersatz Der Bedarf an Freizeitangeboten für Mädchen und junge des Altbaus durch einen Neubau als die wirtschaftlichste Frauen kann derzeit mit den vorhandenen Räumen nicht mehr Variante durchgesetzt. Neben den Angeboten für Kinder und abgedeckt werden. Das Gebäude hat außerdem erhebliche Jugendliche sollen für die Gemeinschaftsschule Unterrichts- bauliche Defizite, die beinahe zur Sperrung des Gebäudes räume für Praxislerngruppen mit insgesamt rund 30 Schü- geführt hätten. Aus diesem Grund wurde in verschiedenen ler*innen entstehen. Zudem soll das Stadtteilbüro als Ort für Varianten untersucht, wie alle Belange mit einer Erweiterung die Nachbarschaftsarbeit im Reuterkiez einen Beratungs- und des Gebäudes berücksichtigt werden könnten. Mit einem Büroraum erhalten und dadurch weiter gestärkt werden. Anbau sollen nun rund 230 Quadratmeter zusätzliche Nutzflä- che auf drei Etagen geschaffen werden. Das Gebäude erhält Insgesamt werden drei Fachabteilungen des Bezirksamtes einen Aufzug und durch ein zusätzliches Treppenhaus im Neukölln (Abt. Jugend und Gesundheit, Abt. Bildung, Schule, Anbau wird auch der notwendige zweite bauliche Rettungsweg Kultur und Sport sowie Abt. Stadtentwicklung, Soziales und gesichert. Das bestehende Gebäude wird saniert und im Inne- Bürgerdienste) für den Betrieb der künftigen multifunktio- ren so strukturiert, das am Ende Alt- und Neubau eine Einheit nalen Einrichtung verantwortlich sein. Diese ressortüber- bilden werden. greifende Zusammenarbeit ist nicht der Regelfall und stellt daher auch organisatorisch eine Herausforderung dar. So Für die Nutzungen bedeutet das eine deutlich verbesserte wird die Manege z. B. für den Freizeitbereich des gebundenen Raumsituation. So entsteht z. B. ein Bewegungs- und Tanz- Ganztagsbetriebs der Grundstufe bis 16 Uhr genutzt. Schü- raum und der Musikraum wird mit zusätzlichem Schallschutz ler*innen der Gemeinschaftsschule CR² besuchen nach dem ausgestattet. Neue Fenster und eine Lüftungsanlage sorgen Unterricht die Manege und nehmen dort auch an den schuli- dafür, dass die Räume im Untergeschoss künftig auch bei schen Unterstützungsangeboten teil. Auch der große Saal, der geschlossenen Fenstern in vollem Umfang genutzt werden im Neubau wieder entstehen soll, wird von allen drei Trägern können. Damit werden Lärmbelästigungen der Nachbarschaft genutzt. Die Projektidee folgt dem Leitbild des Campus Rütli, der Vergangenheit angehören. ein gemeinschaftlicher Bildungs- und Erlebnisraum für Kin- der und Jugendliche zu sein. Die Fassadengestaltung orientiert sich am Bestand, jedoch in einer neu interpretierten Form. Die Farbgestaltung im Inne- Für das Projekt wurde im März 2019 ein Förderantrag bei der ren des Gebäudes richtet sich nach dem Geschmack der Ziel- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gestellt. gruppe. Hier wurden in enger Abstimmung mit den Nutzer*in- Für die Planung und die Baumaßnahmen sollen Mittel der nen sehr individuelle Lösungen gefunden. Städtebauförderung eingesetzt werden. Nach dem aktuellen Zeitplan soll das neue Gebäude 2024 stehen. Ziel ist es auch, Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 1,55 Millionen Euro. während der Bauzeit einen Ersatzstandort für den laufenden Die Maßnahme wird aus dem Programm SIWANA (Sonderver- Betrieb zu finden. mögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Errichtung eines Nachhaltigkeitsfonds) finanziert. Die Abbrucharbeiten SZENENWECHSEL – DAS INTERKULTURELLE ZENTRUM FÜR sind bereits abgeschlossen, mit den Rohbauarbeiten wurde MÄDCHEN UND JUNGE FRAUEN begonnen. Der „Szenenwechsel“ ist derzeit behelfsmäßig im Das ehemalige Jugendheim in der Donaustraße 88a wird benachbarten Gebäude Donaustraße 89–90 untergebracht. Die schon seit vielen Jahren als Mädchentreff genutzt. Es handelt Fertigstellung ist für das Jahresende 2019 geplant. Allerdings sich um die einzige kommunale Mädcheneinrichtung in Neu- ist aufgrund der aktuellen Kapazitätsengpässe in der Bau- kölln. Außerdem befindet sich im „Szenenwechsel“ das Medi- branche damit zu rechnen, dass sich die Fertigstellung mögli- enkompetenzzentrum von Neukölln. cherweise verzögert. David Fritz, Torsten Kasat, Katrin Sambleben 16 KARLSON August 2019
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