Funktionales Denken entwickeln und fördern

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Funktionales Denken entwickeln und fördern
Funktionales Denken
                     entwickeln und fördern
                        Das Denken und Arbeiten mit Funktionen                Wechsel zwischen diesen eine besondere Rolle (vgl.
                        ist charakteristisch für die Mathematik               Tab. 1, Klinger 2018; Rolfes 2018). So werden Ei-
                        und einer ihrer wichtigsten Beiträge zur              genschaften funktionaler Zusammenhänge für Schü-
                        Strukturierung und zum Verständnis der                lerinnen und Schüler greifbar und sie lernen funktio-
                        Umwelt. Im Unterricht sind dazu wesent-               nales Denken, das sich aus dem Zusammenspiel von
                        liche Grundvorstellungen aufzubauen –                 miteinander in Beziehung gesetzten Grundvorstel-
                        anhand konkreter Situationen und in Ver-              lungen zu funktionalen Zusammenhängen und dem
                        bindung mit Darstellungen zu Funktionen               dafür unerlässlichen Arbeiten mit Darstellungen von
                        wie Sprache, Tabelle, Graph und Term.                 Funktionen ergibt.

                     Kinder interessieren sich früh für ihre Körpergröße
  JÜRGEN ROTH,       – und viele Eltern halten bei jedem Geburtstag die          Grundvorstellungen zu funktionalen
MICHAELA LICHTI      aktuelle Größe ihres Kindes an einer Messlatte fest         Zusammenhängen
                     (Abb. 1). Sie interessieren sich für die Zuordnung
                     von Körpergröße zu Lebensalter sowie für das Än-         Grundvorstellungen stellen verschiedene Perspek-
                     derungsverhalten der Körpergröße bei fortschreiten-      tiven auf funktionale Zusammenhänge dar und er-
                     dem Alter. Spätestens wenn ein zweites Kind dazu-        möglichen im Zusammenspiel ein Gesamtbild ei-
                     kommt, wird mit eben solchem Interesse beobach-          nes konkreten funktionalen Zusammenhangs. Die
                     tet, wie sich die Zusammenhänge zwischen Lebens-         drei Grundvorstellungen Zuordnung, Änderungs-
                     alter und Körpergröße der beiden Kinder jeweils als      verhalten (bzw. Kovariation) und Funktion als Gan-
                     Ganzes im Vergleich zueinander verhalten.                zes werden im Folgenden erläutert:
                          Zuordnung, Änderungsverhalten und die Sicht
                     auf das Ganze sind entscheidende Perspektiven auf        Zuordnung – einer unabhängigen Größe eine
                     jeden funktionalen Zusammenhang. Diese Grund-            andere, davon abhängige Größe zuordnen
                     vorstellungen zu funktionalen Zusammenhängen             Durch Funktionen werden Zusammenhänge zwi-
                     gehen auf den Didaktiker Hans-Joachim Vollrath           schen Größen beschrieben oder gestiftet: Jedem
                     zurück (Vollrath 1989) und sind Grundlage jegli-         Wert der unabhängigen Größe wird genau ein Wert
                     chen Arbeitens mit funktionalen Zusammenhängen,          der davon abhängigen Größe zugeordnet.
                     die im Alltag allgegenwärtig und eine der fünf in-       Wenn etwa beim nullten, ersten, zweiten, dritten,
                     haltlichen Leitideen der Bildungsstandards Mathe-        … Geburtstag eines Kindes jeweils dessen Körper-
                     matik sind (KMK 2004). Die dabei benötigten Vor-         größe gemessen wird, dann wird dem Alter in Jah-
                     stellungen, Kenntnisse und Fähigkeiten werden im         ren jeweils die aktuelle Körpergröße in Zentimetern
                     Sinne des Spiralprinzips durchgängig systematisch        zugeordnet. Hier und beim Eintragen dieser jeweils
                     aufgebaut und weiterentwickelt (Büchter 2014).           gemessenen Größen auf einer Messlatte (Abb. 1),
                          Wie aktuelle Forschungsprojekte zeigen (einen       macht man die Erfahrung, dass jedem Alter (hier die
                     Überblick finden Sie in Tab. 1 am Ende des Artikels),    unabhängige Größe) genau eine Körpergröße (hier
                     können Lernende insbesondere durch das angeleite-        die abhängige Größe) zugeordnet ist und nicht meh-
                     te Experimentieren mit geeigneten gegenständlichen       rere. Es wäre auch seltsam, wenn eine Person zum
                     Materialien (Vollrath 1978, Ganter 2013) bzw. mit        selben Zeitpunkt zwei verschiedene Körpergrößen
                     sinnvoll gestalteten Simulationen den Funktionsbe-       hät­te. Dagegen ist es bei Erwachsenen die Regel,
                     griff an Phänomenen erfassen und Grundvorstellun-        dass sie etwa am 30. und am 31. Geburtstag dieselbe
                     gen dazu aufbauen (Lichti/Roth 2020). Bei solchen        Körpergröße aufweisen, zwischendurch also nicht
                     Experimenten sollte die (reale) Situation, aus der ein   gewachsen sind. Dass verschiedenen Werten der un-
   Abb. 1: Funkti-   funktionaler Zusammenhang abgelesen (oder in die         abhängigen Größe (hier: Lebensalter in Jahren) die-
    onaler Zusam-    er hineingesehen) wird, im Mittelpunkt stehen, damit     selben Werte der abhängigen Größe (hier: Körper-
      menhang im     mathematische Erkenntnisse zu Funktionen mit der         größe in Zentimetern) zugeordnet werden, kann sich
   Kinderzimmer:
     Eintragen der
                     realen Situation abgeglichen und wechselseitig in-       aus dieser Situation also durchaus ergeben.
 Körpergrößen auf    terpretiert wer­den können. Dabei spielt der adäqua-          Für Funktionen wird folglich gefordert, dass je-
     der Messlatte   te Einsatz verschiedener Darstellungsformen und der      dem x-Wert der unabhängigen Größe genau ein

 2                                                                                                         mathematik lehren 226 | 2021
Funktionales Denken entwickeln und fördern
MIT FUNKTIONEN DENKEN UND ARBEITEN | BASISARTIKEL

                             y-Wert der abhängigen Größe zugeordnet wird, aber
                             eben nicht zwingend jedem y-Wert genau ein x-Wert!
                                Die Grundvorstellung Zuordnung lässt sich gut
                             über Real-Experimente entwickeln (Beckmann
                             2007; Lichti 2019).

                             Änderungsverhalten/Kovariation – Veränderungen
                             wahrnehmen und analysieren
                             Funktionen zeigen, wie sich die Änderung einer
                             Größe auf eine von ihr abhängige Größe auswirkt,
                             wie also die abhängige Größe bei Variation der un-
                             abhängigen Größe mit variiert (kovariiert).                                                                          Abb. 2: Die
                             Wenn Kinder wissen wollen, wie schnell sie wach-                                                                     Gleichung x2=2x
                                                                                                                                                  graphisch Lösen
                             sen, interessiert sie, wie sich ihre Körpergröße in
                             gleichen Zeitschritten (in Abb. 1 ein Jahr) verändert.
                             Ist das gleichmäßig, oder nimmt die Körpergröße
                             zunächst langsamer und dann schneller zu, oder           innerhalb des funktionalen Zusammenhangs bei
                             umgekehrt? Um diese Frage zu beantworten, reicht         einer Person.
                             es nicht mehr, einzelne Wertepaare zu betrachten.            In jedem Fall ist die Betrachtung des funktiona-
                             Stattdessen müssen mehrere benachbarte Werte der         len Zusammenhangs in seiner Gesamtheit für die
                             unabhängigen Größe und die jeweils zugehörigen           Beantwortung der interessierenden Fragen notwen-
                             Werte der abhängigen Größe zueinander in Bezie-          dig. Beim Blick auf Funktionsgraphen kann man
                             hung gesetzt werden. Dies gelingt am Funktionsgra-       unter anderem folgende Perspektiven zur Sicht als
                             phen sehr gut, weil benachbarte Punkte leicht ver-       Ganzem unterscheiden: Man benötigt Funktionsgra-
                             glichen werden können.                                   phen, wenn man
                                 Grundvorstellungen zum Änderungsverhalten            1. charakteristische Eigenschaften des gesamten
                             von Funktionen können mit Hilfe von Schülerex-              Verlaufs einer Funktion erfassen will,
                             perimenten anhand geeignet gestalteter (GeoGe-           2. zwei verschiedene Graphen, etwa die der Funk-
                             bra-) Simulationen entwickelt werden (etwa un-              tionen x ↦ x2 und x ↦ 2x in Abb. 2, miteinander
                             ter https://dms.uni-landau.de/m/lichti/diss/). Da-          vergleichen möchte, oder
                             bei wird in der Simulation eine reale Situation mit      3. verschiedene Abschnitte eines Funktionsgraphen
                             dem zugehörigen Funktionsgraphen in Beziehung               bzgl. ihrer Eigenschaften (etwa der Steigung) im
                             gesetzt und die wechselseitige Analyse mit geeig-           jeweiligen Abschnitt gegenüberstellen möchte.
                             neten Fokussierungshilfen unterstützt. Eine Mög-         Eine Betrachtung im Sinne der Grundvorstellung
                             lichkeit, sich mittels sog. Variationstabellen stär-     Funktion als Ganzes ist auch beim graphischen Lö-
                             ker mit dem Änderungsverhalten auseinanderzu-            sen einer Gleichung wie x2 = 2x notwendig. Bereits
                             setzen, wird im Beitrag Funktionen à la française!       bei der Frage, wie viele Lösungen diese Gleichung
                             vorgestellt.                                             haben kann, ist der Blick auf die beiden funktio-
                                                                                      nalen Zusammenhänge x ↦ x2 und x ↦ 2x jeweils
                             Funktion als Ganzes – Was charakterisiert den            als Ganzes – etwa in Form des Funktionsgraphen
                             funktionalen Zusammenhang insgesamt?                     – erforderlich. Mit Blick auf Abb. 2 stellt sich aber
                             Mit Funktionen sieht man einen gegebenen oder ge-        auch die Frage, ob – neben den beiden erkennbaren
                             stifteten Zusammenhang als etwas Ganzes. Man be-         Schnittstellen – rechts von der sichtbaren Schnitt-
                             trachtet nicht mehr einzelne Wertepaare, sondern         stelle x = 2 eine weitere existiert oder nicht.1 Hier ist
                             die Menge aller Wertepaare, und interessiert sich        neben der Sicht als Ganzes auch ein Grundwissen
                             für die charakteristischen Eigenschaften, also die       zum grundsätzlichen Verlauf von quadratischen und
                             Besonderheiten der gesamten Funktion.                    Exponentialfunktionen notwendig. Beides muss im
                             Will man die Entwicklung der Körpergröße zweier          Unterricht erarbeitet werden.
                             Kinder über die Zeit miteinander vergleichen, ist es         Es spricht vieles dafür, zunächst Funktionen zu
                             sinnvoll, systematisch Daten aufzunehmen, diese in       thematisieren und erst auf dieser Grundlage Glei-
                             einer Tabelle zu erfassen und in einen Graphen zu        chungen im Unterricht zu behandeln, deren Terme
screenshot: © geogebra.org

                             übertragen. Auf dieser Basis können der funktionale      auf der linken und rechten Seite der Gleichung als
                             Zusammenhang zwischen der verstreichenden Zeit           Funktionsterme aufgefasst werden können. Dann
                             und der Körpergröße einer Person als Ganzes be-          stehen nicht spezielle Gleichungstypen im Mittel-
                             trachtet und die funktionalen Zusammenhänge für          punkt, sondern das Konzept der Gleichung kann auf
                             verschiedene Personen miteinander verglichen wer-        das Konzept der Funktionen aufgebaut und grundle-
                             den – oder auch verschiedene Wachstumsverläufe           gend mit diesem vernetzt werden (Barzel u. a 2011).

                             mathematik lehren 226 | 2021                                                                                                       3
Funktionales Denken entwickeln und fördern
angewendet werden müssen, auf. Genau hier, also
                                                                              bei Veränderungen innerhalb einer Darstellung und
                                                                              der Übersetzungen zwischen verschiedenen Dar-
                                                                              stellungen, entwickelt sich das Verständnis für den
                                                                              funktionalen Zusammenhang und die Fähigkeit zum
                                                                              funktionalen Denken weiter.
  Abb. 3: Darstel-                                                                Darstellungen spielen einerseits beim Bearbei-
lungsformen und                                                               ten von Aufgaben im Zusammenhang mit Funkti-
    Darstellungs-
                                                                              onen eine Rolle. Hierbei können Darstellungen gut
      wechsel bei
 funktionalen Zu-                                                             oder weniger gut zur Aufgabenstellung passen und
sammenhängen,                                                                 deshalb die geforderte Problemlösung mehr oder
die eine Situation                                                            weniger gut ermöglichen. Andererseits stellt sich
     beschreiben
                                                                              auch die Frage, welche Darstellung besonders ler-
                                                                              neffizient ist, das heißt, von welcher Darstellung aus
                                                                              das an ihr entwickelte funktionale Denken beson-
                        Funktionen sind nur über Darstellungen                ders gut auf andere Darstellungen übertragen und
                        denk- und fassbar                                     dort angewendet werden kann. Tobias Rolfes konn-
                                                                              te zeigen, dass Aspekte funktionalen Denkens, die
                     Bei der Auseinandersetzung mit Grundvorstellun-          mit Funktionsgraphen gelernt wurden, auch gut mit
                     gen zu Funktionen wurden immer wieder Darstel-           Tabellen bearbeitbar sind, während der Transfer
                     lungen wie zum Beispiel Funktionsgraphen thema-          von der Tabelle hin zum Funktionsgraphen deutlich
                     tisiert. Dies liegt daran, dass man sich mit einem       schwieriger ist (Rolfes 2019, vgl. Tab. 1).
                     mathematischen Konzept, wie dem der Funktion,                So gesehen lohnt es sich, frühzeitig Graphen für
                     nur über geeignete Darstellungen auseinandersetzen       das Lernen funktionalen Denkens einzusetzen. Da-
                     kann. Auch die Entwicklung von Grundvorstellun-          bei kann man zur Erarbeitung dieser Darstellung auf
                     gen zu Funktionen selbst kann nur anhand von ihren       Tabellen zurückgreifen, die bereits aus der Grund-
                     Darstellungen und deren Vernetzung, das heißt dem        schule bekannt sind, insbesondere als heuristisches
                     Wechsel zwischen solchen Darstellungen, gelingen.        Hilfsmittel beim systematischen Probieren und
                     Gerade beim Darstellungswechsel werden Grund-            beim Arbeiten mit (Mess-)Daten. Zur Einführung
                     vorstellungen benötigt und daher auch trainiert.         des neuen Konzepts der Funktionen ist die komple-
                         Abb. 3 zeigt das Zusammenspiel zwischen einer        xere Darstellungsform des Funktionsgraphen be-
                     Situation, die mathematisch durch eine Funktion          sonders gut geeignet, weil der Transfer zu ande-
                     strukturiert werden kann, Darstellungsformen und         ren Darstellungsformen von hier aus besser gelingt.
                     -wechseln. Eine Funktion stellt eine mathematische       Dies ist also ein Plädoyer dafür, über die Darstel-
                     Beschreibung einer Situation dar, in der ein funktio-    lung Funktionsgraph in das Thema funktionale Zu-
                     naler Zusammenhang enthalten ist oder hineingese-        sammenhänge einzusteigen und – vom Funktions-
                     hen werden kann. Wie alle mathematischen Begriffe        graphen aus – die Vernetzungen zu anderen wesent-
                     können Funktionen nur anhand von Darstellungen           lichen Darstellungen von Funktionen anzustoßen.
                     erfasst und verarbeitet werden. Darstellungsformen,      Dazu muss diese wichtige Darstellungsform aber
                     die typischerweise für Funktionen genutzt werden,        zunächst erfasst und in der Art der Darstellung eines
                     sind Sprache (verbale Beschreibung), Tabelle, Term       funktionalen Zusammenhangs durchschaut werden.
                     und Graph. Alle Darstellungen haben spezifische
                     Vor- sowie Nachteile und müssen zunächst gelesen         Darstellungen erfassen: Von der Situation über die
                     bzw. hergestellt werden können. Für ein tieferes Er-     Datentabelle zum Graphen
                     fassen funktionaler Zusammenhänge müssen Dar-            Die Darstellungsform (Funktions-)Graph muss, wie
                     stellungen bzgl. aller Grundvorstellungen analysiert     alle anderen Darstellungsformen auch, in der Art, in
                     werden. Dies geschieht zunächst beim Arbeiten mit        der sie den jeweiligen funktionalen Zusammenhang
                     und innerhalb einer Darstellung. Bei einer solchen       darstellt, zunächst inhaltlich erfasst werden. Wie ei-
                     Auseinandersetzung werden aber auch immer an-            ne Reihe von Untersuchungen zeigt, kommt es sonst
                     dere Darstellungen betrachtet, etwa wenn man sich        zu typischen Fehlern beim Interpretieren von und
                     mit einem Lernpartner über das eigene Vorgehen           Arbeiten mit Funktionsdarstellungen (vgl. Tab. 1
                     austauscht und dieses in Sprache fasst. Schon beim       Nitsch 2015 sowie den Beitrag Typische Fehler im Um-
                     Übersetzen von Aktionen an einer mathematischen          gang mit Funktionen in dieser Ausgabe).
                     Darstellung in gesprochene Sprache und umgekehrt             Grundsätzlich bietet es sich an, Darstellun-
                     sind Grundvorstellungen unabdingbar.                     gen für funktionale Zusammenhänge jeweils an ei-
                         Funktionales Denken tritt gerade bei Darstellungs-   ner konkreten Situation zu entwickeln, damit die
                     wechseln, zu deren Umsetzung Grundvorstellungen          Darstellung zu jedem Zeitpunkt inhaltlich mit der

4                                                                                                           mathematik lehren 226 | 2021
MIT FUNKTIONEN DENKEN UND ARBEITEN | BASISARTIKEL

                                                                                                                                             Abb. 4: So
                                                                                                                                             entsteht der
                                                                                                                                             Funktionsgraph
                                                                                                                                             als Punktmenge
                                                                                                                                             im Koordinaten-
                                                                                                                                             system

                             Situation abgeglichen werden kann. Hier soll das       Möglichkeit zur Anordnung nach der Größe not-
                             am Beispiel folgender Situation geschehen:             wendig ist, damit zu einem Zusammenhang ein
                                                                                    Funktionsgraph erstellt werden kann. Der Zahlen-
                                                                                    strahl der abhängigen Größe (hier: Temperatur in
                                Temperatur: An einem Wintertag werden an            °C) wird nun so bewegt (5), dass er senkrecht auf
                                einer Wetterstation in Landau in Abständen          dem Zahlenstrahl der unabhängigen Größe (hier:
                                von 6 Stunden jeweils die Lufttemperaturen          Zeit in h) steht und die beiden Nullpunkte zusam-
                                gemessen.                                           menfallen (6). Zusammen bilden die beiden Strah-
                                Um 6 Uhr sind es 2° C, um 12 Uhr werden             len nun ein Koordinatensystem.
                                3° C gemessen und um 18 Uhr zeigt das                   Die Zuordnungen werden nach wie vor durch
                                Thermometer 1° C an.                                Pfeile visualisiert, die einander zugeordnete Werte
                                                                                    der unabhängigen und der abhängigen Größe line-
                                                                                    ar verbinden. Wenn man nun die Zuordnungspfei-
                             Zunächst werden die Daten (Messwerte) aus der Si-      le abknickt, bis sie jeweils einen rechten Winkel bil-
                             tuation in einer Tabelle zusammengestellt, in der zu   den (7), kann man schließlich die Knickstellen mit
                             jedem Wert der unabhängigen Größe (hier die Zeit       Punkten markieren (8), deren Koordinaten den ein-
                             in Stunden) der zugehörige Wert der abhängigen         ander zugeordneten Werten eines Paares von unab-
                             Größe (hier die Temperatur in °C) notiert wird. In     hängiger und abhängiger Größe entsprechen. Jetzt
                             der Tabelle wird diese Zuordnung auch jeweils mit      kann man die Pfeile weglassen (9), denn die Punk-
                             einem grünen Zuordnungspfeil hervorgehoben (1).        te im Koordinatensystem tragen alle Informatio-
                             Wie man von dieser Darstellung zu einem Funkti-        nen der Zuordnung und bilden zusammen den Gra-
                             onsgraphen des funktionalen Zusammenhangs ge-          phen der Funktion. Durch diesen Zugang wird dem
                             langt, kann interaktiv mit dem Applet unter geoge-     Graph-als-Bild-Fehler entgegen gewirkt.
                             bra.org/m/kknpe5u9 erarbeitet werden. Abb. 4 zeigt
                             dies in einer Bildfolge aus Screenshots aus dem Ap-    Darstellungswechsel: Term ↔ Graph
                             plet. Zunächst wird die Tabelle gedreht (2) und an-    Bereits im Beispiel des graphischen Lösens der Glei-
                             schließend entfernt, so dass nur noch die Zuordnun-    chung x² = 2x wurde ein Wechsel von der Darstellung
                             gen übrigbleiben (3). Die Werte der unabhängi-         der funktionalen Zusammenhänge als Funktionster-
                             gen Größe (hier die Zeit in Stunden) sind auf-         me x2 bzw. 2x hin zur ihrer Darstellung mit den zu-
screenshot: © geogebra.org

                             grund der Situation bereits der Größe nach ange-       gehörigen Funktionsgraphen durchgeführt. Dieser
                             ordnet. Sie können auf einem Zahlenstrahl darge-       Wechsel sollte idealerweise zunächst im Kopf mög-
                             stellt werden.                                         lich sein, um grob abzuschätzen, wie viele Schnitt-
                                 Will man die zugeordneten Werte der abhängi-       punkte die Graphen haben, wie viele Lösungen die
                             gen Größe ebenfalls auf einem Zahlenstrahl dar-        Gleichung daher besitzt und wo die Schnittstellen un-
                             stellen, muss man sie zunächst der Größe nach an-      gefähr liegen werden. Um das durchführen zu können,
                             ordnen (4). Diese Feststellung ist wichtig, da die
                                                                                                                                                               5
                             mathematik lehren 226 | 2021
Darüber hinaus muss auch inhaltlich korrekt über die
                                                                              resultierenden Veränderungen, die die Variation ei-
                                                                              nes Parameters an der Form des Graphen und dessen
                                                                              Lage bewirkt, gesprochen2 und dies auch begleitend
                                                                              richtig mit den Händen angezeigt werden. Wird zum
                                                                              Beispiel der Parameters a der Funktion x ↦ a . x2 dy-
                                                                              namisch variiert, haben viele Menschen den visuel-
                                                                              len Eindruck, die Parabel würde dabei in x-Richtung
                                                                              breiter bzw. schmaler. Dies wird sprachlich häufig
                                                                              auch so ausgedrückt und gestisch mit vor dem Kör-
                                                                              per senkrecht gehaltenen, in x-Richtung aufeinander
                                                                              zu bzw. voneinander weg bewegten Handflächen be-
                                                                              gleitet (vgl. Abb. 5 Mitte). Inhaltlich ist beides aber
                                                                              falsch, wie der Funktionsterm zeigt. Im Vergleich zur
                                                                              Quadratfunktion x ↦ x2 wird an jeder Stelle x der
                                                                              Funktionswert ver-a-facht, wenn a = 2 ist, dann wird
                                                                              der y-Wert an jeder Stelle x im Vergleich zum y-Wert
                                                                              der Quadratfunktion also verdoppelt, wenn a = 1/2
                                                                              ist, wird der y-Wert an jeder Stelle halbiert.
                                                                                   Anschaulich und sprachlich handelt es sich also
                                                                              um eine Streckung bzw. Stauchung in y-Richtung,
                                                                              die durch Handbewegungen wie in Abb. 5 unten un-
                                                                              terstützt werden sollte, wobei die Hände das Stre-
                                                                              cken bzw. Stauchen durch auseinander bzw. aufei-
                                                                              nander zu Bewegen der Hände in y-Richtung dar-
     Abb. 5: Aus-
      wirkung von
                                                                              stellen. Eine entsprechende Änderung ist visuell
      Parametern                                                              gut im GeoGebra-Applet unter https://www.geoge-
    auf Funktions­                                                            bra.org/m/tjmr8uwz erkennbar. Bei quadratischen
          graphen                                                             Funktionen x ↦ a . (b . (x + c))2 + d sind die Än-
                                                                              derungen, die die beiden Parameter a und b her-
                                                                              vorrufen, am Funktionsgraphen visuell nicht un-
                     müssen im Unterricht Prototypen für den Verlauf von      terscheidbar, während das zum Beispiel bei der
                     Graphen verschiedener grundlegender funktionaler         Sinusfunktion x ↦ a . sin(b . (x + c)) + d sehr gut
                     Zusammenhänge erarbeitet und verinnerlicht wer-          gelingt. Während der Parameter a eine Streckung
                     den. Dies kann und sollte man etwa durch regelmä-        (|a| > 1)bzw. Stauchung(0 < |a| < 1) in y -Richtung
                     ßige Wiederholungsfragen im Sinne von Kopfübun-          erzeugt, bewirkt der Parameter b eine Streckung
                     gen und die Aufforderung an die Lernenden, entspre-      (0 < |b| < 1) bzw. Stauchung (|b| > 1) in x -Richtung,
                     chend prototypische Verläufe von Graphen mit der         was jeweils durch die geeigneten Handbewegungen
                     Hand in die Luft zu zeichnen, wachhalten.                in Abb. 5 unterstützt werden kann.
                         Darüber hinaus sind auch die Auswirkungen von             Weitere Ideen zum Umgang mit Parametern lie-
                     Parametern im Funktionsterm auf die Form und La-         fert, am Beispiel der quadratischen Funktionen, der
                     ge des Funktionsgraphen wesentlich. Dies sollte          Beitrag Parameter digital entdecken – wirklich so easy?
                     nicht bei jedem Funktionstyp neu erarbeitet werden,
                     sondern – und das ist entscheidend – querschnittlich     Darstellungswechsel: Situation ↔ Graph
                     als grundsätz­liche Eigenschaft von Parametern, die      Wie das Zusammenspiel von Situation und Graph
                     im Funktions­term an einer bestimmten Stelle stehen      gelingen kann, beschreibt der Beitrag Der Einstieg
                     (s. Abb. 5 oben). Besonders gut kann dies interaktiv     in Funktionales Denken in dieser Ausgabe. Dort wird
                     anhand von Graphen von Funktionen geschehen, die         deutlich, dass sich nur bei adäquater Ausgestaltung
                     mehrere Extrema aufweisen. In einem dynamischen          der Simulationen sowie geeigneter Aufgabenstel-
                     Mathematiksystem kann man die jeweiligen Extrem-         lung der gewünschte Lerneffekt einstellt.
                     punkte farbig markieren, deren Spur ausgeben lassen
                                                                                                                                           screenshot: © geogebra.org

                     und so die Veränderungen am Funktionsgraphen, die        Dynagraph:
                     aus der Variation der Parameter resul­tieren, sehr gut   Zusammenhang zwischen Änderungen erfassen
                     beobachten. Es empfiehlt sich dabei, wie im Applet       Es kann sinnvoll sein, neben den gängigen Darstel-
                     https://www.geogebra.org/m/tjmr8uwz realisiert, die      lungsformen Sprache, Tabelle, Graph und Term ge-
                     Färbung der Extrempunkte vor jeder Variation eines       legentlich auch andere Darstellungen für funktio-
                     anderen Parameters entsprechend zu ändern.               nale Zusammenhänge im Unterricht einzusetzen.

6                                                                                                           mathematik lehren 226 | 2021
MIT FUNKTIONEN DENKEN UND ARBEITEN | BASISARTIKEL

                             Wenn man die Grundvorstellung zum Änderungs-
                             verhalten vertiefen und trainieren möchte, nachdem
                             die Lernenden einige Erfahrungen mit anderen Dar-
                             stellungsformen gesammelt und wichtigen Funk-
                             tionstypen gemacht haben, kann die Darstellungs-
                             form Dynagraph (Idee: Goldenberg u. a. 1992) ge-
                             winnbringend eingesetzt werden. Hier werden zwei
                             Zahlengeraden parallel zueinander angeordnet (vgl.
                             Abb. 6 bzw. geogebra.org/m/snn7renf). Auf der obe-
                             ren Zahlengerade wird die unabhängige Variable
                             (das Argument) als Punkt x bewegt, auf der unteren
                             Geraden bewegt sich der Funktionswert als Punkt
                             y mit. Bewegt man die unabhängige Variable durch                                                                 Abb. 6: Dyna­
                             Ziehen mit der Maus am Punkt x, kann man durch                                                                   graph – eine
                             Beobachtung der Bewegung des Punktes y, des zu-                                                                  Darstellungsform
                                                                                                                                              zur Analyse des
                             gehörigen Funktionswertes, ein Gefühl für dessen
                                                                                                                                              Änderungsver-
                             Änderungsverhalten gewinnen. Blendet man auch                                                                    haltens. Welche
                             den zugehörigen Zuordnungspfeil ein, wird die Än-                                                                Zusammenhänge
                             derung noch besser sichtbar und mit Hilfe der Spur                                                               werden jeweils
                                                                                                                                              dargestellt?
                             dieses Zuordnungspfeils lässt sich ein statisches
                                                                                                                                              Zur Kontrolle:
                             Bild dieser Änderung festhalten (vgl. Abb. 6). Nach                                                              x ↦ x + 2,
                             einiger Erfahrung mit dem selbstständigen Bewegen                                                                x ↦ x²,
                             des x-Wertes für verschiedene funktionale Zusam-                                                                 x ↦ sin(x),
                                                                                                                                              x ↦ 2x, x ↦ 2x,
                             menhänge kann auch bereits die Interpretation die-
                                                                                                                                              x ↦ 1/x
                             ser Abbildungen durch mentale Variation das Kon-
                             zept des Änderungsverhaltens trainieren.
                                 Die Darstellungsform Dynagraph ist nicht zur
                             Einführung in funktionale Zusammenhänge geeig-          Lehrplänen thematisierten Funktionstypen der Fall
                             net. Sie betont aber den häufig vernachlässigten, al-   ist. In aller Regel gibt es davon mehrere. Als Bei-
                             lerdings wichtigen dynamischen Aspekt des Ände-         spiel sei das Zylindervolumen genannt. Die Volu-
                             rungsverhaltens, also der Wechselbeziehung zwi-         menformel für einen Kreiszylinder lautet bekannter-
                             schen der Änderung der unabhängigen Größe und           maßen VZylinder = G . h = r2 π . h, wobei das Volumen
                             der Änderung der abhängigen Größe. Dynagra-             offensichtlich vom Radius r und von der Höhe h des
                             phen sind damit sehr gut geeignet, um ein Gefühl        Zylinders abhängt. Funktional betrachtet handelt es
                             für das qualitative Änderungsverhalten verschiede-      sich hier um eine Funktion zweier Veränderlicher:
                             ner Funktionstypen zu entwickelt und zu trainieren.     VZylinder(r, h) = r2π . h
                             Gerade die wechselseitige Analyse des Zusammen-              Im Unterricht wird in der Regel eine der Verän-
                             hangs zwischen den bekannten Funktionsgraphen           derlichen als Parameter aufgefasst, der festgehalten
                             im kartesischen Koordinatensystem und den ent-          wird – damit wieder eine Funktion einer Veränder­
                             sprechenden Dynagraphen kann sehr gewinnbrin-           lichen vorliegt. Dies kann auf zwei Weisen realisiert
                             gend sein. Dazu wurde im Dynagraph-Applet unter         werden: Als proportionale Funktion in Abhängig-
                             geogebra.org/m/snn7renf die Möglichkeit integriert,     keit von der Höhe h oder als quadratische Funktion
                             die y-Achse zu drehen – so kann derselbe funktio-       in Abhängigkeit vom Radius r:
                             nale Zusammenhang in beiden Darstellungen dyna-              Vr(h) = (r2 π) . h oder Vh(r) = (π h) . r2
                             misch analysiert werden und zur Kontrolle, wenn die     Alle genannten Funktionsterme lassen sich wie in
                             y-Achse senkrecht auf der x-Achse steht, auch der       Abb. 7 in Funktionsgraphen umsetzen, wobei es sich
                             zugehörige Funktionsgraph eingeblendet werden.          beim Graphen der Funktion VZylinder(r, h) = r2π . h
                                                                                     um eine räumliche Fläche handelt. Die Darstellung
                             Funktionen mehrerer Veränderlicher:                     muss also in einem dreidimensionalen Koordina-
                             Das Beispiel Zylindervolumen                            tensystem erfolgen. Die beiden Funktionsvariab-
                             Neben dem Einbringen von ungewohnten Darstel-           len spannen dabei die x-y-Ebene auf. Jedem Punkt
screenshot: © geogebra.org

                             lungen für Funktionen wie dem Dynagraphen, lohnt        mit den Koordinaten (r, h) in der x-y-Ebene wird da-
                             es, auch den Zoo der typischen funktionalen Zusam-      bei ein Volumen VZylinder (r, h) als Funktionswert zu-
                             menhänge der Schule gelegentlich etwas aufzubre-        geordnet und in z-Richtung angetragen. Die Punkte
                             chen. In der Realität kommen nur wenige funktio-        (r, h,VZylinder (r, h)) bilden zusammen den Funktions-
                             nale Zusammenhänge vor, die nur eine unabhängi-         graphen, hier also die räumliche Fläche. Auch die
                             ge Funktionsvariable haben, wie das bei den in den      Graphen der beiden Parameterfunktionen Vr(h) =

                             mathematik lehren 226 | 2021                                                                                                   7
und in ihren Eigenschaften verinnerlicht sind, kann
                                                                                das eigentliche Denken und Arbeiten mit Funktio-
                                                                                nen beginnen. Zum Modellieren mit Funktionen be-
                                                                                leuchten die Beiträge Funktionale Zusammenhänge in
                                                                                „(Kon)Texten“ erschließen sowie Was passt da jetzt nicht:
                                                                                Das Modell oder die Wirklichkeit? in dieser Ausgabe
                                                                                verschiedene Aspekte. Einen weiteren Zugang bie-
    Abb. 7: Zylin-
                                                                                tet der Beitrag Videoanalyse zur Modellierung von Bewe-
     dervolumen
       funktional                                                               gungen. Hier schließt sich dann der Kreis.

                                                                                Anmerkungen

                     (r π) . h und Vh(r) = (πh) . r lassen sich in dieses Ko-
                      2                          2                              1.    Es gibt noch eine Schnittstelle rechts von der Schnittstelle
                                                                                      x = 2, weil Exponentialfunktionen für große x-Werte schnel-
                     ordinatensystem eintragen. Sie finden je einen sol-              ler wachsen als jede Potenzfunktion. Da der Graph der
                     chen Graphen für den festgehaltenen Parameter r =                Quadratfunktion im sichtbaren Bereich des Koordinaten-
                                                                                      systems oberhalb des Graphen der Exponentialfunktion
                     3 bzw. h = 5 in Abb. 7 eingezeichnet.3 Diese Art                 x ↦ 2x liegt, muss der Graph der schneller wachsenden
                     von Untersuchung an solch vertrauten Zusam-                      Exponentialfunktion den Graphen der Quadratfunktion bei
                     menhängen erlaubt es, den Blick auf funktionale                  irgendeinem x-Wert größer 2 noch einmal schneiden und
                                                                                      dann immer oberhalb der Normalparabel bleiben.
                     Zusammenhänge zu weiten und funktionales                   2.    Weitere sprachliche Anforderungen beim Umgang mit
                     Denken zu fördern. Für die Auseinandersetzung                    funktionalen Zusammenhängen nennt Zindel (vgl. Tab. 1).
                                                                                3.    Durch Drehen des Koordinatensystems ist auch die ty-
                     im Unterricht kann geogebra.org/m/pbsqwwjh                       pische Ansicht der Quadratfunktion (Ansicht senkrecht
                     genutzt werden.                                                  zur x-z-Ebene) bzw. der proportionalen Funktion (Ansicht
                                                                                      senkrecht zur y-z-Ebene) erkennbar. Der Zylinder kann
                                                                                      direkt auf das Koordinatensystem geschoben und so der
                          Rahmung des Themas Funktionen                               Zusammenhang zwischen den relevanten Größen noch
                          im Mathematikunterricht                                     deutlicher herausgestellt werden.

                     Im Unterricht sollte der Einstieg in das Arbeiten          Literatur
                                                                                Barzel, B./Holzäpfel, L. (2011): Gleichungen verstehen – In:
                     mit Funktionen anhand von Experimenten mit
                                                                                     mathematik lehren 169, S. 2 –7.
                     Gegenständen und mit Simulationen zu vielfäl-              Beckmann, A. (2007): Was verändert sich, wenn … Experimente
                     tigen funktionalen Zusammenhängen unter Ver-                    zum Funktionsbegriff. – In: mathematik lehren 141, S. 44 – 51.
                                                                                Büchter, A. (2014): Das Spiralprinzip: Begegnen – Wiederauf-
                     wendung der Darstellungsform Graph erfolgen.                    greifen – Vertiefen. – In: mathematik lehren 182, S. 2 – 9.
                     So kann sowohl die Grundvorstellung Zuordnung              Ganter, S. (2013): Experimentieren – ein Weg zum funktionalen
                     (über Experimente mit gegenständlichen Materia-                 Denken: Empirische Untersuchung zur Wirkung von Schü-
                                                                                     lerexperimenten. Hamburg: Kovač.
                     lien) als auch die Grundvorstellung Änderungs-             Göbel, L. (2021): Technology-Assisted Guided Discovery to
                     verhalten (über Experimente mit Simulationen)                   Support Learning: Investigating the Role of Parameters in
                                                                                     Quadratic Functions. Wiesbaden: Springer Spektrum.
                     fundiert aufgebaut werden (Lichti/Roth 2020). Es           Goldenberg, P./Lewis, P./O’Keefe, J. (1992): Dynamic repre-
                     eine breite Vorstellungsbasis zu funktionalen Zu-               sentation and the development of an understanding of
                     sammenhängen gelegt, auf die immer wieder zu-                   function. – In: Harel, G./Dubinsky, E. (Hrsg.): The concept
                                                                                     of Function: Aspects of Epistemology and Pedagogy. Wa-
                     rückgegriffen werden kann.                                      shington, DC: Mathematical Association of America.
                         Insofern lohnt es sich, gerade in diesen Einstieg      Höfer, T. (2008): Das Haus des funktionalen Denkens. Hildes-
                                                                                     heim: Franzbecker.
                     Unterrichtszeit zu investieren. Durch die vielfäl-         Klinger, M. (2018): Funktionales Denken beim Übergang von
                     tigen Erfahrungen zu verschiedensten funktio-                   der Funktionenlehre zur Analysis: Entwicklung eines Test-
                     nalen Zusammenhängen werden lebensweltliche                     instruments und empirische Befunde aus der gymnasialen
                                                                                     Oberstufe. Wiesbaden: Springer Spektrum.
                     Situationen mit dem mathematischen Konstrukt               Lichti, M. (2019): Funktionales denken fördern: Experimen-
                     der Funktion eng verbunden und querschnittlich                  tieren mit gegenständlichen Materialien oder Computer-
                                                                                     Simulationen. Wiesbaden: Springer Spektrum.
                     Grundvorstellungen aufgebaut. Dieses Vorgehen              Lichti, M./Roth, J. (2020): Wie Experimente mit gegenständli-
                     vermindert Übergeneralisierungen bestimmter                     chen Materialien und Simulationen das funktionale Den-
                     Funktionstypen, etwa der proportionalen oder li-                ken fördern. – In: Zeitschrift für Mathematikdidaktik in For-
                                                                                     schung und Praxis (ZMFP), 1, 1– 35. https://zmfp.de/
                     nearen Funktionen, in deren Folge alle funktio-            Nitsch, R. (2015): Diagnose von Lernschwierigkeiten im Be-
                     nalen Zusammenhänge als proportional oder line-                 reich funktionaler Zusammenhänge: Eine Studie zu typi-
                     ar interpretiert werden.                                        schen Fehlermustern bei Darstellungswechseln. Wiesba-
                                                                                     den: Springer Spektrum.
                         Erst wenn Lernende über eine breite Basis an           Rolfes, T. (2018): Funktionales Denken: Empirische Ergebnisse
                                                                                                                                                          screenshot: © geogebra.org

                     Erfahrungen sowie gefestigte Grundvorstellungen zu              zum Einfluss von statischen und dynamischen Repräsen-
                     funktionalen Zusammenhängen verfügen, ist es sinn-              tationen. Wiesbaden: Springer Spektrum.
                                                                                Vollrath, H.-J. (1978): Schülerversuche zum Funktionsbegriff. –
                     voll, verschiedene spezielle Funktionstypen und deren           In: Der Mathematikunterricht 24(4), S. 90 –101.
                     Eigenschaften gezielt zu untersuchen und festzuhal-        Vollrath, H.-J. (1989): Funktionales Denken. – In: JMD (10), S. 3 – 37.
                     ten. Dabei ist es wesentlich, dass jeder neue Funk-        Zindel, C. (2019): Den Kern des Funktionsbegriffs verstehen:
                                                                                     Eine Entwicklungsforschungsstudie zur fach- und sprach-
                     tionstyp mit seinen Eigenschaften mit den bisher                integrierten Förderung. Wiesbaden: Springer Spektrum.
                     schon kennengelernten Funktionstypen verglichen
                     wird. Wenn mehrere Funktionstypen erfasst
8                                                                                                                      mathematik lehren 226 | 2021
MIT FUNKTIONEN DENKEN UND ARBEITEN | BASISARTIKEL

              Schwerpunkt der Forschungsarbeit                                    Nutzen für den Unterricht

 Thilo        Die Fähigkeit des funktionalen Denkens wird auf Basis               Mit dem „Haus des funktionalen Denkens“ lässt sich die
 Höfer        des dazu entwickelten Analysemodells „Haus des                      Fähigkeit des Funktionalen Denkens der Schülerinnen
 (2008)       funktionalen Denkens“ beschrieben. Das Modell nutzt                 und Schüler unter Berücksichtigung der Grundvorstellun-
              die Fähigkeiten der Lernenden, zwischen verschiedenen               gen zu verorten.
              Darstellungen von Funktionen zu übersetzen.

 Sandra       Welchen Einfluss haben Lernumgebungen mit gegen-                    Die Arbeit mit gegenständlichen Materialien übt einen
 Ganter       ständlichen Experimenten bzw. mit Videos auf die Ent-               größeren Einfluss auf die Fähigkeit des funktionalen
 (2013)       wicklung der Grundvorstellungen Zuordnung und Kovari-               Denkens aus als die Arbeit mit Videos.
              ation des funktionalen Denkens in Jahrgangsstufe 7?

 Renate       Welche unter Berücksichtigung von Grundvorstellungen                Die systematische Darstellung der immer wieder auftre-
 Nitsch       systematischen Fehler und Fehlermuster ergeben sich                 tenden Fehler bei der Arbeit mit Funktionen und deren
 (2015)       beim Darstellungswechsel von Funktionen?                            Vernetzung mit den Grundvorstellungen hilft dabei, diese
              Beispiele: Graph-als-Bild-Fehler und die Verwechslung               bei Lernenden wahrzunehmen, ihre Ursachen zu kennen
              von Funktionswert und Steigung (slope height confusion)             und im Unterricht darauf eingehen zu können.
                                                                                  Es ist ein Diagnoseinstrument entstanden, mit dem Fehl-
                                                                                  vorstellungen zu linearen und quadratischen Funktionen
                                                                                  diagnostiziert werden können (codi-test.de).

 Tobias       Studie zum Einfluss von statischen bzw. dynamischen                 Dynamische Darstellungsformen haben einen signifikant
 Rolfes       Darstellungsformen auf das funktionale Denken (1),                  höheren Einfluss auf die Entwicklung des funktionalen
 (2018)       sowie (2) zur Lern- und Nutzungseffizienz von Tabelle,              Denkens als statische und sollten daher im Unterricht
              Graph und Säulendiagramm beim Bearbeiten von                        zum Einsatz kommen. Es ist dabei unerheblich, ob eine
              Aufgaben zu funktionalen Zusammenhängen.                            Animation verwendet wird, die zum Beobachten einlädt,
              Unterscheidung von quantitativem und qualitativem                   oder eine Simulation, die zudem Aktionen von den
              funktionalen Denken.                                                Lernenden fordert.
                                                                                  Ein Graph ist lerneffizienter für die Arbeit mit Funktionen,
                                                                                  d. h. die Übertragung von Gelerntem auf andere Darstel-
                                                                                  lungsformen gelingt besonders gut.

 Marcel       Untersucht wird die Fähigkeit des funktionalen Denkens              Zusammenhänge zwischen Eigenschaften unterschied-
 Klinger      in der Einführungsphase der Oberstufe. Betrachtet                   licher Funktionstypen sollten immer wieder hervorgeho-
 (2018)       werden mögliche Leistungsprofile und geschlechtsspezi-              ben und konzeptuelles Wissen gestärkt werden. Hierzu
              fische Leistungsdifferenzen. Hierzu wird ein Kompetenz-             bieten sich z. B. Aufgaben zum graphischen Differenzie-
              strukturmodell zur Aufgabenentwicklung für die Ober-                ren an. Es zeigen sich erhebliche geschlechtsspezifische
              stufe entwickelt, das die Grundvorstellungen mit dem                Unterschiede zu Gunsten der Jungen (zum Teil durch ein
              Wechsel zwischen den Darstellungsformen verknüpft,                  geringes Selbstkonzept der Mädchen erklärbar).
              sowie zusätzlich die Funktionsebenen (Funktion → mani-              Ein reflektierter Umgang mit diesem Befund durch die
              pulierte Funktion → differenzierte Funktion) berücksich-            Lehrkraft und ein gezieltes Ansprechen der Mädchen ist
              tigt.                                                               wünschenswert.

 Micha­       Verglichen wird der Einfluss auf das funktionale Denken             Um das Verständnis von Zuordnung zu fördern, sollten
 ela          von Experimentieren in einer digitalen Lernumgebung                 gegenständliche Materialien verwendet werden.
 Lichti       (Simulationen) mit dem Einfluss realer Experimente                  Um die Entwicklung der Grundvorstellungen Kovariation
 (2019)       (gegenständliche Materialien).                                      und Funktion als Objekt zu unterstützen, ist eine mittels
                                                                                  Simulationen zum Experimentieren anregende digitale
                                                                                  Lernumgebung geeigneter.

 Carina       Eine Lernumgebung zur Bewältigung konzeptueller                     Der „Kern“ sollte immer wieder thematisiert werden.
 Zindel       und sprachlicher Anforderungen beim Umgang mit                      Fokusfragen sind dabei: Um welche Größen geht es?
 (2019)       funktionalen Zusammenhängen wird gestaltet und die                  Welche Größe hängt von welcher ab? Auch sprachliche
              Bearbeitungs- und Lernwege in dieser Lernumgebung                   Anforderungen, die funktionale Zusammenhänge mit
              untersucht. Der „Kern“ des Funktionsbegriffs wird                   sich bringen, sollten spiralcurricular bedacht werden.
              konzeptualisiert durch Vernetzen von Größen und die                 So sollte z. B. von Anfang an von Zusammenhängen und
              Richtung ihrer Abhängigkeit.                                        Abhängigkeiten gesprochen werden.

 Lisa         Verglichen werden klassischer Funktionenplotter, Zug-               Dynamische Visualisierungen mittels Zugmodus und
 Göbel        modus und Schieberegler sowie der Zugang ohne                       Schieberegler ist der Vorzug zu gewähren.
 (2021)       technische Visualisierung am Beispiel der Manipulation              Die im Rahmen der Studie entwickelte Lernumgebung
              von Parametern quadratischer Funktionen.                            kann für den Unterricht adaptiert werden.

Tab. 1: Forschungsarbeiten (Dissertationen) rund um funktionales Denken und deren Bedeutung für den Unterricht
  mathematik lehren 226 | 2021                                                                                                           9
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