Gemeinsam im Indo-Pazifik Brüssel und London müssen anerkennen, dass ihre Interessen in der Region allein nicht um- setzbar sind. Auch hier geht ...
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Gemeinsam im Indo-Pazifik Weltspiegel Gemeinsam im Indo-Pazifik Brüssel und London müssen anerkennen, dass ihre Interessen in der Region allein nicht um- setzbar sind. Auch hier geht es um China. Von David Hutt I m Zuge des Brexit sowie unter dem nada, Neuseeland, Japan, Indien, Südko- Eindruck der Präsidentschaft Donald rea, Singapur, Malaysia, Indonesien und Trumps erheben derzeit sowohl das Ver- Sri Lanka. Darüber hinaus, so heißt es, einigte Königreich als auch die Europäische solle London sich in „flexibler Zusammen- Union den Anspruch, neue weltpolitische arbeit und Offenheit“ mit aufstrebenden Anläufe zu machen: Großbritannien durch und strategisch wichtigen Partnern wie das Loslösen von Brüssel, die EU auf der Su- Vietnam (dem Hauptgegner des chinesi- che nach der vor allem vom französischen schen Expansionismus im Südchinesi- Präsidenten Emmanuel Macron geforder- schen Meer), Thailand und den Philippi- ten „strategischen Autonomie“. nen üben. Vor allem sollte die britische Weder Großbritannien noch der EU Strategie darauf ausgelegt sein, eine „freie wird dies allerdings im völligen Allein- Assoziation“ von Partnerschaften im In- gang gelingen, insbesondere nicht im In- do-Pazifik zu schaffen. do-Pazifik, einer Region, in der es ange- Eine solche Assoziation könnte auch sichts der intensiver werdenden Rivalität die EU oder einzelne EU-Mitgliedstaaten zwischen den USA und China zu immer umfassen. Denn Großbritannien und die größeren Spannungen kommt. Sogenann- EU haben im Indo-Pazifik die gleichen te Mittelmächte wie Japan, Großbritannien Prioritäten: den ungestörten, freien Aus- oder die EU werden es nicht schaffen, sich tausch von Gütern über die Wasserwege David Hutt unabhängig zu positionieren. in der Region zu sichern (fast zwei Fünf- pendelt als poli- Ein einflussreicher Beitrag des briti- tel des EU-Handels verlaufen durch das tischer Journalist schen Think Tanks Policy Exchange vom Südchinesische Meer); die Wirtschaftsbe- zwischen Prag und London und vergangenen November fordert London ziehungen mit den schnell wachsenden schreibt vor allem dazu auf, in der Region flexible Partner- Volkswirtschaften der Region auszubau- über europäische schaften zu unterhalten. Die „primären en; Frieden und Stabilität auch mit Blick Außenpolitik und die Beziehungen Partner“, allen voran demokratische auf Themen wie Cyber-Kriminalität und zwischen der EU Rechtsstaaten, umfassen Australien, Ka- Terrorismus sicherzustellen; und, wenn und Asien. IP • März /April 2021 | 61
Weltspiegel man der Rhetorik Glauben schenken mag, Richtungswechsel auszurufen, der noch Demokratie und Menschenrechte in der gar nicht ausgearbeitet war. Region zu fördern. Nun, da das Vereinigte Königreich die EU vollständig verlassen hat, ist es auch Unterentwickelte Strategien nicht mehr Teil des europäischen institu- Auch wenn das Vereinigte Königreich tionalisierten Engagements im Indo-Pa- und die europäischen Staaten in den zifik. Dieses hat sich seit dem Brexit-Refe- vergangenen Jahren viel auf ihre Interes- rendum 2016 deutlich verbessert. Die EU sen im Indo-Pazifik hingewiesen haben, und die ASEAN-Staaten sind seit Dezem- bleiben ihre Strategien unterentwickelt. ber 2020 durch eine strategische Partner- Frankreich veröffentlichte 2018 eine ei- schaft miteinander verbunden, während gene Indo-Pazifik-Strategie, gefolgt von Großbritannien zunächst außen vor bleibt. Deutschland und den Niederlanden 2020, Da ASEAN derzeit keine neuen Partner- während die EU eine entsprechende Stra- schaftsabkommen aushandelt, wird sich tegie wohl in diesem Jahr vorstellen wird. eine Aufnahme der Briten in die Riege der In allen Fällen sind dies aber keine fest Partner noch eine Weile verschieben, auch umrissenen Pläne. wenn sich die meisten ASEAN-Mitglieder „Global Britain“ mag sich als Slogan dafür aussprechen. Außerdem konnte das nach dem Brexit-Referendum etabliert Vereinigte Königreich bislang lediglich haben, die Hintergründe haben aller- Freihandelsabkommen mit denjenigen dings nur wenig mit dem Austritt aus der asiatischen Staaten aushandeln, die auch EU zu tun. Das britische Handelsvolumen bereits mit der EU Freihandelsabkommen mit Asien wuchs zwischen 2010 und 2016 unterhalten. signifikant an; während eines Besuchs in Allerdings verfügt das Vereinigte Kö- Kuala Lumpur 2012 kündigte der damalige nigreich in der Region sowohl über Hard Power als auch über Soft Power, an denen es den anderen europäischen Staaten Die Idee eines „Global mangelt, insbesondere in Indien und Ja- pan sowie in Teilen Südostasiens. Zudem Britain“ hat in der Sache unterhält Großbritannien in Brunei einen kaum etwas mit dem Aus- Militärstützpunkt und hat Zugang zu einer Marine-Einrichtung in Singapur, während tritt aus der EU zu tun es zugleich Berichte gibt, es gebe eine zunächst noch geheim gehaltene neue Premierminister David Cameron an, dass Marinebasis in der Region, vermutlich in die Zeit „freundlicher Vernachlässigung“ Japan. der britisch-südostasiatischen Beziehun- Gerüchten zufolge will Japan zudem gen vorbei sei. Boris Johnson wiederhol- Mitglied der „Five Eyes“ werden, der te als Außenminister 2016 lediglich das Geheimdienstpartnerschaft zwischen Offensichtliche, indem er betonte, dass Großbritannien, den USA, Kanada, Aus- die britischen Interessen „östlich des tralien und Neuseeland. Das Vereinigte Suez-Kanals“ lägen; eine ungeschickte Art Königreich ist außerdem Mitglied der und Weise, den britischen „Pivot to Asia“ „Five Power Defense Arrangements“, zu zu umschreiben und gleichzeitig ein un- denen Australien, Malaysia, Neuseeland geschickter Weg, einen außenpolitischen und Singapur gehören. 62 | IP • März /April 2021
Gemeinsam im Indo-Pazifik Weltspiegel Verteidigung könnte ein Kernbereich für Zusammenarbeit sein, vor allem, wenn Paris und Berlin ihre Versprechen im Hinblick auf verstärktes militärisches Engagement im Indo-Pazifik ernst meinen. Im Laufe dieses Jahres soll Deutschland ein Marineschiff in die Region schicken, um mit Australien gemeinsame Übungen abzuhalten. Frankreich führt bereits seit einigen Jahren „Freedom of Navigation“- Übungen im Südchinesischen Meer durch und wird ebenfalls in diesem Jahr ein Ma- rineschiff in die Region verlegen. Die Ära des Rückzugs beenden Bild nur in Derweil plant London, 2021 seinen größten Flottenverband in die Region zu schicken, Printausgabe die vom 3,9 Milliarden Dollar teuren und 65 000 Tonnen schweren Flugzeugträger verfügbar HMS Queen Elizabeth angeführt wird. Im November 2020 kündigte Johnson an, dass das britische Verteidigungsministerium für die kommenden vier Jahre zusätzlich zu seinem jährlichen Haushalt ein Bud- get von 16,5 Milliarden Pfund erhält; dies zeuge vom „Ende einer Ära des Rückzugs“, erklärte der Premier. Britische und kontinentaleuropäische Militärverbände könnten in der Region gemeinsame Manöver durchführen. Der- gleichen findet bereits statt: So waren beispielsweise 2017 britische Verbände als Beim Ausbau der Sicherheitsbeziehungen im Indo-Pazifik kommt Japan Teil der französischen „Jeanne d’Arc“-Task eine Schlüsselrolle zu: für die EU und für Großbritannien. Force im Indischen Ozean unterwegs. Und die EU zu verlassen, bedeutet nicht, auch Foreign Relations vergangenen Dezember die intraeuropäischen verteidigungspo- voraus. litischen Beziehungen aufzugeben, die Tatsächlich bleibt Großbritannien wei- auch bislang schon überwiegend bilate- terhin Mitglied der Joint Expeditionary ral geregelt waren. „Es ist wahrscheinlich, Force (gemeinsam mit einigen EU-Mit- dass Großbritannien flexible Strukturen gliedstaaten) und Teil der „Combined aufbauen will, die es ermöglichen, sich in Joint Expeditionary Force“ mit Frankreich. die europäische Sicherheits- und Verteidi- London könnte seine verteidigungspoliti- gungspolitik einzuschalten, wann immer schen Beziehungen auch durch die Schaf- dies im britischen Interesse liegt“, sagte fung eines Europäischen Sicherheitsrats Ulrike Franke vom European Council on aufrechterhalten, wie ihn Berlin und Paris IP • März /April 2021 | 63
Weltspiegel Anfang 2020 vorgeschlagen haben, oder der EU einer R eduzierung um 55 Prozent. durch ein „E3“-Format, bestehend aus dem Brüssel würde außerdem gut daran tun, Vereinigten Königreich, Deutschland und London in Gespräche mit Indonesien und Frankreich. Paris hat bereits öffentlich Malaysia zu einem geplanten Ende von darauf hingewiesen, dass Brüssel nun Palmöl-Importen miteinzubeziehen, da auch Nicht-EU-Mitglieder einladen kann, dieser Importstopp der Grund dafür ist, an Projekten im Rahmen der Ständigen dass Gespräche mit den beiden Staaten Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) bislang gescheitert sind. Indonesien argu- mitzuwirken. London könnte sich folglich mentiert, der Stopp von Palmöl-Importen daran beteiligen. Macron unterstützt zu- sei Protektionismus, und hat den Fall bei dem eine mögliche Einbindung des Verei- der Welthandelsorganisation eingebracht. nigten Königreichs in die Europäische In- Großbritannien und die EU könnten zu- terventionsinitiative, die seit 2018 besteht. dem Fördermittel und Entwicklungshilfe zusammenlegen, um sicherzustellen, dass Schlüsselnation Japan sie bei Umweltprojekten in der Region an Im Indo-Pazifik ist Japan für eine Ver- einem Strang ziehen. teidigungspartnerschaft zwischen dem Das Gleiche gilt für den Schutz von Vereinigten Königreich und der EU von Menschenrechten und den Demokratie- zentraler Bedeutung. „Japan hat das Po- aufbau. Die EU und das Vereinigte Kö- tenzial, die Kooperation mit Europa im nigreich haben in den vergangenen Jah- Bereich Verteidigung weiter auszubauen“, ren angekündigt, sich hier international sagte der japanische Verteidigungsminis- stärker einzusetzen. Johnsons Vorschlag ter Nobuo Kishi nach einem Treffen mit einer D10-Gruppe demokratischer Staaten, seiner deutschen Amtskollegin Annegret in deren Rahmen Australien, Japan und Kramp-Karrenbauer im Dezember 2020. Indien am G7-Treffen in London im Laufe Wie japanische Medien berichteten, wer- dieses Jahres teilnehmen werden, passt zu den französische Truppen im Mai gemein- US-Präsident Bidens Idee einer „Allianz sam mit amerikanischen und japanischen der Demokratien“ und zum Versprechen Kräften an einer amphibischen Übung auf des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, einer unbewohnten Insel im Südwesten härter gegen Menschenrechtsverletzun- Japans teilnehmen. Das Vereinigte Kö- gen vorzugehen. Auch bei Sanktionen nigreich könnte als wichtiger Vermittler gegen menschenrechtsverletzende Regi- dienen, mit dessen Hilfe Frankreich und mes könnten Großbritannien und die EU Deutschland auch mit Australien und Sin- gemeinsam vorgehen, denn beide haben gapur engere militärische Kooperationen eingehen könnten. Ein weiteres Feld für Kooperationsmög- Großbritannien könnte lichkeiten im Indo-Pazifik ist der Klima- als Vermittler dienen, mit schutz. Großbritannien ist im November 2021 Gastgeber der UN-Klimakonferenz dessen Hilfe Frankreich COP26. Das von Premierminister John- son ausgegebene Ziel, die Treibhausga- und Deutschland enger mit semissionen seines Landes bis 2030 ge- Australien und Singapur genüber 1990 um 68 Prozent zu senken, ist deutlich ambitionierter als das Ziel kooperieren 64 | IP • März/April 2021
Gemeinsam im Indo-Pazifik Weltspiegel 2020 eigene Sanktionssysteme im Stile Dass es dennoch schon jetzt gemeinsa- des amerikanischen Magnitsky-Gesetzes men Boden für eine Zusammenarbeit gibt, eingeführt. zeigte sich vergangenen September, als Frankreich, das Vereinigte Königreich und Uneinig in Sachen China Deutschland gemeinsam eine Verbalnote Der Knackpunkt in der gemeinsamen Ar- an die Vereinten Nationen übermittelten, beit ist das Verhältnis zu China; bei dieser in der sie die Ansprüche Chinas im Süd Frage bewegen sich London und Brüssel chinesischen Meer zurückwiesen. Wenn derzeit in verschiedene Richtungen. Die die militärische Kooperation zwischen Haltung Großbritanniens war 2020 häufig härter als die schwache Rhetorik der EU, beispielsweise wenn es um die Unterdrü- Der Schutz des Völker- ckung und „Umerziehung“ von Millionen rechts im Südchinesischen muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang oder um die Einflussnahme auf Meer könnte ein gemeinsa- Hongkong geht. Die EU hat sich zudem so gut wie gar nicht zu Huawei geäußert mes Handlungsfeld sein und überlässt es den einzelnen Mitglied- staaten, ob sie die Beteiligung des chine- den europäischen Staaten ausgebaut wür- sischen Unternehmens am Aufbau des de, könnte der Schutz des Völkerrechts im 5G-Netzwerks verbieten und sich dadurch Südchinesischen Meer ein gemeinsames den Zorn Pekings zuziehen wollen. Handlungsfeld sein. Als die Europäische Kommission Ende Ein neues Forum, in dem Großbritanni- 2020 mit dem CAI ein umfassendes Inves- en und die EU diese Themen besprechen titionsabkommen mit China abschloss, können, wäre dabei besonders hilfreich. behaupteten einige Beobachter, die EU Im November haben sich die EU und die habe nun ihr wahres Gesicht gezeigt: Die USA auf ein neues Dialogforum verstän- vermeintlich wertegeleitete Außenpolitik digt, in dessen Rahmen eine gemeinsame der EU sei zugunsten von Unternehmens- China-Politik diskutiert werden soll. Wie gewinnen geopfert worden. Die Tatsache, dieses Forum von dem neuen Abkommen dass die EU mit dem Abschluss dieses Ab- zwischen der EU und China beeinflusst kommens nicht ein paar Monate warten wird, wird sich zeigen. Aber ein ähnliches konnte, um mit der neuen Biden-Regie- Dialogforum zwischen dem Vereinigten rung über eine gemeinsame China-Politik Königreich und der EU ist nicht undenk- zu beraten, leistet der Ansicht Vorschub, bar, und noch wünschenswerter wäre ei- die EU messe die USA und China am Ende nes, das sich unmittelbar mit den großen doch mit gleichem Maß. Themen im Indo-Pazifik auseinandersetzt. Brüssel und London positionieren sich Als erstes aber müssen beide Seiten erken- bei der China-Politik also derzeit sehr nen, dass ihre jeweiligen Strategieansätze unterschiedlich. Die britische Haltung und Interessen in der Region allein nicht könnte allerdings temporär sein, da sie umzusetzen sind; stattdessen würden sie insbesondere auf den Druck von Hinter- sich sinnvoll ergänzen, da beide über Vor- bänklern im Parlament und Wählern zu- teile verfügen, die die jeweils andere Seite rückgeht, unter denen vielfach eine eher nicht hat. negative Einstellung zu China vorherrscht. Aus dem Englischen von Melina Lorenz IP • März /April 2021 | 65
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