GEMEINSCHAFTS-AUSGABE - Österreich Schweiz Liechtenstein Deutschland "Den Blick über die Grenzen wagen" - Logopaedie-ch

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GEMEINSCHAFTS-AUSGABE - Österreich Schweiz Liechtenstein Deutschland "Den Blick über die Grenzen wagen" - Logopaedie-ch
6 · 2020 | 34. Jahrgang

 „Den Blick über die
 Grenzen wagen”
 GEMEINSCHAFTS-
 AUSGABE
 Österreich
 Schweiz
 Liechtenstein
 Deutschland
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EDITORIAL

Noch kein virtueller
Austauch auf der Vier-
Länder-Tagung 2019
in Innsbruck (v.l.):
PhDr. Karin Pfaller-
Frank (Präsidentin
logopädieaustria),
Dagmar Karrasch
(Präsidentin dbl),
Bérénice Wisard
(Präsidentin DLV),
Sylvia Bieri (Vize-
Präsidentin DLV),
 S eit vielen Jahren arbeiten wir vier Berufs- und Fachverbände im deutschsprachigen Raum logopädie­
 austria, Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband (DLV), Berufsverband der
 Logopädinnen und Logopäden Liechtensteins (BLL, gehört auch zum DLV) und der Deutsche Bundes-
Jeannine Nigg-Held
(Co-Präsidentin BLL),
 verband für Logopädie e.V. (dbl) eng zusammen und tauschen uns regelmäßig aus.
Angela Caminada
 Ein Highlight dieser Zusammenarbeit ist die jährliche Vier-Länder-Tagung – aufgrund der Corona-Situation
(Co-Präsidentin BLL),
Martina Neumayer-
 in diesem Jahr nur virtuell. Neben Lernwerten und Anregungen für unsere fachliche und berufspolitische
Tinhof (Vizepräsiden- Arbeit haben wir auch „anfassbare“ Ergebnisse vorzuweisen, über die wir uns besonders freuen. In diesem
tin logopädieaustria) Jahr sind es gleich zwei: Die gemeinsame Socialmedia-, Postkarten- bzw. Plakataktion rund um den Euro-
 päischen Tag der Logopädie unter den Schwerpunkten bzw. Hashtags #logopaedielohntsich und
 #4laender1logopaedie. Mit dieser Zeitschrift halten Sie unser zweites Arbeitsergebnis in den Händen.

 #logopaedielohntsich und #4laender1logopaedie.
 Unter diesen „Sternen“ haben wir dieses Heft gemeinsam für Sie gestaltet. Wir wollen damit innerhalb
 der deutschsprachigen Logopädie dazu einladen, sich mit der Ressource Logopädie im Kontext von
 Gesundheitsförderung und Prävention vermehrt auseinanderzusetzen, dabei den Blick über die Grenzen
 hinweg ins (deutschsprachige) Ausland zu wagen, sich inspirieren zu lassen und am fachlichen aber auch
 berufspolitischen Diskurs zu beteiligen.

 Im ersten Schritt nähern wir uns überblicksartig Gesundheitsförderung und Prävention und reflektieren
 ihre Bedeutung und ihr Potenzial für die Logopädie gemeinsam mit Dagmar Karrasch (D), Präsidentin dbl,
 PhDr. Karin Pfaller-Frank (A), Präsidentin von logopädieaustria, stellt interessante Ergebnisse ihrer Studie
 zur Kosten-Nutzen-Analyse logopädischer Interventionen vor. Prof. Dr. Erich Hartmann (CH) beschäftigt
 sich mit sozial-emotionalen und Verhaltensproblemen bei Kindern mit Lese-Rechtschreib-Störung. Unter
 dem Titel „Präventive Arbeit auf der Neonatologie” informieren Dr. Nicole Hübl (D), Nicole Kaufmann (CH)
 und Sandra Randweg (A) über den Beitrag der Logopädie zur Ernährungsentwicklung von Frühgeborenen
 und kranken Neugeborenen.

 Unter „Beruf und Verband“ berichten wir Ihnen zudem aus unseren Ländern, Verbänden und unserer
 Arbeit. #logopaedielohntsich – nicht nur für PatientInnen und Gesellschaft, sondern auch für uns, die wir
 in diesem wunderbaren Beruf arbeiten dürfen.

 Mit herzlichen Grüßen

 Karin Pfaller-Frank, Dagmar Karrasch, Bérénice Wisard, Angela Caminada

www.dbl-ev.de forum:logopädie Jg. 34 (6) November 2020 3
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 für Angestellte und Selbständige
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 Öffentlichkeitsarbeit Wir entwickeln Logopädie weiter
 ➔➔ Mitarbeit bei Leitlinien
 BERATUNG & INFORMATION ➔➔ Luise Springer-Forschungspreis
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 ➔➔ Mitgliederwebsite und -newsletter Wir sichern Ihnen Sonderkonditionen
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4 forum:logopädie Jg. 34Tel. 0 22 34 2020
 (6) November 37 95 3 -0, Fax
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INHALT
 6 · 2020 | 34. Jahrgang
 GEMEINSCHAFTSAUSGABE
 Deutschland · Schweiz 54 Gemeinsam gestaltet: Europäischer Tag
 Liechtenstein · Österreich der Logopädie am 6. März 2020
 55 Logopädie im Ausland: Als „Indipendent
 Support Worker” in Down Under
 56 Als Logopädin in Nepal
 57 Fonoaudiología – Erfahrungen in der
 THEORIE & PRAXIS Logopädie in Chile
 58 StudiCampus – eine Idee wird zur Tradition
 6 Dagmar Karrasch
 Logopädie im Kontext von 59 Austausch mit Frankreich
 Gesundheitsförderung und Prävention
 16 Karin Pfaller-Frank BILDUNG & FORSCHUNG
 Die ökonomische Bedeutung
 logopädischer Leistungen 60 Logopädie-Symposium an der hsg Bochum
 zum Thema Schluckstörungen
 24 Erich Hartmann
 Sozial-emotionale und Verhaltensprobleme 61 Studie „Tele-Voice” an der HAWK gestartet
 bei Kindern mit LRS 61 Studien zur Gesundheitskompetenz
 30 Nicole Hübl, Nicole Kaufmann & im Umgang mit der Corona-Pandemie
 Sandra Randweg
 Präventive Arbeit auf der MEDIEN & MATERIALIEN
 neonato­logischen Station
 36 Silke Schwinn, Maria Barthel, Juliane 64 Rezensionen
 Leinweber & Bernhard Borgetto 65 Rezensionsangebote
 Digitalisierungschancen – Umsetzung 67 Zeitschriftenlesee
 von Videotherapie im Lockdown
 41 FRAGEBOGEN
 11 Fragen zur Logopädie an RUBRIKEN
 Norbert Frantzen 3 Editorial
 42 Marktplatz
 BERUF & VERBAND 62 Termine
 44 Austausch über gemeinsame Projekte: 68 LeserForum
 Treffen der deutschsprachigen Länder 70 Stellenmarkt
 Deutschland, Schweiz, Liechtenstein
 und Österreich 71 Impressum und Vorschau
 45 Dagmar Karrasch, dbl-Präsidentin
 Auf dem Weg: Professionsentwicklung
 Dieser Ausgabe
 der Logopädie
 beigefügt ist in
 46 Bérénice Wisard, DLV-Präsidentin Deutschland die
 Fokus Öffentlichkeitsarbeit SERVICE-BEILAGE
 48 Karin Pfaller-Frank, Präsidentin logopädieaustria mit Fortbildungen,
 logopädieaustria steuert erfolgreich Kongressterminen
 durch die Krise und Anbieter-
 verzeichnis für das
 49 Angela Caminada, Co-Präsidentin BLL
 1. Halbjahr 2021
 Kleiner Verband mit engagiertem Vorstand
 50 Logopädie in Zahlen:
 Daten und Fakten zur Logopädie in Deutschland,
 Österreich und der Schweiz

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THEORIE &
 PRAXIS

 Dagmar Karrasch

 Logopädie im Kontext von
 Gesundheitsförderung und Prävention
 Entwicklung, Aufgaben und Perspektiven

 Einführung Dieser Beitrag gibt einen kleinen Einblick in die te es sich hier um ein mögliches Spezialgebiet
 historische Entwicklung der Bereiche von Ge- neben der kurativen bzw. rehabilitativen Logo-
 Seit der Proklamierung der Ottawa-Char- sundheitsförderung und Prävention und stellt pädie und der palliativen Logopädie handeln,
 ta 1986 auf der ersten Internationalen Konfe- zentrale Grundannahmen und Kernelemente nämlich das der präventiven Logopädie.
 renz zur Gesundheitsförderung der WHO ha- dieses Themenfeldes heraus. Vor diesem Hin-
 ben Gesundheitsförderung und Prävention im tergrund wird zunächst der Anspruch der die
 politischen und gesellschaftlichen Raum an Logopädie vertretenden Berufs- und Fachver- Historie und Entwicklung
 Relevanz gewonnen. Gründend auf dem 1946 bände in Liechtenstein, Österreich, Deutsch- von Gesundheitsförderung
 formulierten Gesundheitsbegriff der WHO
 zeigte diese damals Grundlagen und Zielrich-
 land und der Schweiz reflektiert. Anschließend
 werden exemplarisch Perspektiven, Modelle
 und Prävention
 tung von Gesundheitsförderung auf und lös- und Handlungsansätze, die die Logopädie ver- „Health is a state of complete physical, men-
 te weltweit Reaktionen und Aktivitäten zu- wendet, im Kontext von Gesundheitsförderung tal and social well-being and not merely the ab-
 gunsten der Gesundheitsförderung bzw. Prä- und Prävention dargestellt und hinterfragt. sence of disease or infirmity“ (WHO 1946, 1).
 vention aus (Altgeld & Kolip 2014, 48). Expli- Die sich hieraus ergebende Frage ist, ob die Lo- Mit dieser Postulierung der WHO, dass Gesund-
 zit konstatierte die WHO bereits damals, dass gopädie die Aufgabenstellungen, die sich aus heit als vollständiges bzw. umfassendes kör-
 Gesundheitsförderung kein rein gesundheits- dem Paradigmenwechsel und der Hinwendung perliches, geistiges und soziales Wohlbefin-
 politisches Handlungsfeld sei, sondern eine zu Gesundheitsförderung und Prävention er- den mehr sei als lediglich die Abwesenheit von
 gesamtgesellschaftliche und politische Auf- geben, bereits in die logopädische Patienten- Krankheit, leitete die Weltgesundheitsorga-
 gabe (WHO 1986, 2ff.). versorgung integrieren konnte. Dann könn- nisation einen Paradigmenwechsel und Pro-

 Unter dem Begriff „Logopädie“ werden im Kon-
 ZUSAMMENFASSUNG. Die deutschsprachige Logopädie agiert zunehmend im text dieses Beitrags zwei unterschiedliche Aspek-
 Kontext der Gesundheitsförderung und Prävention. Die vertretenden Berufs- te übergreifend zusammengefasst: Zum einen wer-
 und Fachverbände der Logopädie in Liechtenstein, Österreich, Deutschland den der wissenschaftlichen Disziplin Logopädie an-
 dere sprachtherapeutische Richtungen wie die aka-
 und der Schweiz reflektieren diesen gesellschaftlichen Auftrag im Rahmen der
 demische Sprachtherapie, Klinische Linguistik oder
 logopädischen Fachdisziplin im Gesundheitswesen, um dieser Ausrichtung eine
 Patholinguistik zugordnet und unter dem Begriff
 Perspektive für eine zukunftsorientierte Patientenversorgung zu geben. Dieser der Logopädie subsumiert. Zum anderen schließt
 Beitrag stellt überblicksartig die Modellorientierung und Handlungsansätze in das hier angewendete Verständnis von Logopädie
 Gesundheitsförderung und Prävention dar und zeigt auf, welche Aufgaben und sowohl die Wissenschaftsdisziplin als auch die in
 Perspektiven sich für die Logopädie im Kontext von Gesundheitsförderung und und mit ihr Tätigen, also Studierende, praktizieren-
 Prävention ergeben können. de TherapeutInnen, Lehrende und Forschende ein.
 SCHLÜSSELWÖRTER: Gesundheitsförderung – Prävention – Logopädie – Gesundheits- Anteile dieses Beitrags wurden entnommen aus
 kompetenz – Health in All Policies – Berufsleitbild – Paradigmenwechsel Karrasch (2016)

6 forum:logopädie Jg. 34 (6) November 2020 | 6-15 www.dbl-ev.de
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zess ein, den sie seitdem vorantreibt und der Gesundheitskompetenz. Das bedeutet, dass Die Erklärung für den Paradigmenwechsel und
bis heute anhält: die Abwendung vom rein bio- ungefähr die Hälfte der Gesellschaft nicht die Hinwendung zu Gesundheit und Gesund-
medizinischen Krankheitsmodell und der da- ausreichend befähigt ist, die für sie relevan- heitskompetenz ist multikausal. Schaeffer et
mit einhergehenden Schwerpunktsetzung auf ten (Gesundheits-)Informationen zu finden al. (2018, 17) sehen die Notwendigkeit der Stei-
kurative und rehabilitative Behandlungsansät- und zu verstehen, aber vor allem auch be- gerung von Gesundheitskompetenz sowohl im
ze hin zu einer Gesundheitspolitik, die gesamt- urteilen und im eigenen Leben anwenden Kontext persönlicher als auch gesellschaftli-
gesellschaftlich ausgerichtet Gesundheitsför- zu können. Somit ist es schwierig, für die Er- cher Perspektiven und fassen diese wie folgt
derung und Prävention fokussiert. Damit rückt haltung ihrer Gesundheit oder Vermeidung zusammen:
die Förderung von Gesundheitskompetenz und von Krankheit und/oder Pflegebedürftigkeit • Anstieg der Lebenserwartung
Gesundheit zunehmend in den Vordergrund. aktiv zu sorgen (WHO 2016, 6ff.). • Zunahme chronischer Erkrankungen
Meilensteine dieser Entwicklung waren: • Komplexität des Gesundheitssystems
• 1978: Die WHO hält in der Erklärung von Auch auf Länderebene zeigten die Initiativen • Wandel der Patientenrolle
 Alma-Ata aufbauend auf dem Gesundheits- der WHO Wirkung, u.a.: • wachsende soziale Ungleichheit
 begriff von 1946 ihre Philosophie der Chan- • Österreich verabschiedet 1998 das Gesund- • kulturelle Diversifizierung der Gesellschaft
 cengleichheit fest. heitsförderungsgesetz (GfG) zur stärkeren • Informationsflut in der digitalen Informa­
• 1986: Auf der ersten Internationalen Konfe- Verankerung von Gesundheitsförderung tions- und Wissensgesellschaft.
 renz zur Gesundheitsförderung der WHO in und Prävention im Gesundheitsbereich. Im Neben philanthropischen Gründen wie dem
 Ottawa wird ihre Relevanz erstmals von der Rahmen der Gesundheitsreform in Öster- Wunsch nach gesundheitlicher und sozialer
 WHO in dieser Klarheit und verbunden mit reich wurde das Gesundheitsziel 3 „Die Ge- Chancengerechtigkeit, die diesen Paradigmen-
 konkreten Handlungsempfehlungen fest- sundheitskompetenz der Bevölkerung stär- wechsel sicherlich auch begründet haben, be-
 gehalten. Mit der Charta wurden auch kon- ken“ formuliert. Um dies zu unterstützen, einflussen vor allem wirtschaftliche Aspekte
 krete Handlungsansätze proklamiert, deren wurde 2014 im Auftrag der Bundesgesund- diesen Prozess, wie auch Hurrelmann et al. be-
 Anwendung bis heute in Gesundheitsför- heitskommission (BGK) die Österreichische schreiben: „Die angesprochenen Bemühungen
 derung und Prävention im Mittelpunkt ste- Plattform Gesundheitskompetenz gegrün- der Gesundheitspolitik, das Gewicht von Prä-
 hen: der Partizipationsansatz, der Ansatz det (oepgk 2018). vention und Gesundheitsförderung zu stärken,
 des Empowerments, der Settingansatz und • Liechtenstein beschließt 2007 das Landes- ergeben sich aus der Erkenntnis, dass die tradi-
 der Ansatz der „Health in All Policies“ (WHO gesetz über Prävention und Gesundheits- tionelle Ausrichtung des Versorgungssystems
 1986, 4ff.). förderung (Liechtensteiner Landesgesetz- auf Kuration und Therapie nicht mehr lange
• 2001: Die WHO ergänzt mit der „Internatio- blatt 2007, 1). aufrecht erhalten werden kann“ (Hurrelmann
 nal Classification of Functioning, Disability • Die Schweiz konnte sich bisher nicht für et al. 2014, 19).
 and Health (ICF)“ den Begriff einer funktio- ein Gesetz mit dieser Schwerpunktsetzung
 nalen Gesundheit. Dieser hebt die Möglich- entschließen. Dennoch setzt man sich mit
 keit der Partizipation bzw. Teilhabe im Kon- dem Thema gesetzgeberisch und politisch Theoretische Grundlagen
 text gesundheitlicher Beeinträchtigungen auseinander. So wurde 2010 in Zusammen- in Gesundheitsförderung
 hervor (DIMDI 2005, 4). Mit der Klassifika-
 tion der ICF wurde ein weiterer Schritt voll-
 arbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit
 (BAG) die Allianz für Gesundheitskompe-
 und Prävention
 zogen, sich dem bio-psycho-sozialen Krank- tenz gegründet. Diese soll relevante private Definitionen von Gesundheit und Krankheit
 heitsmodell zuzuwenden und vom mono- und öffentliche Stakeholder vereinen und sind in der Vergangenheit vielfach versucht
 kausalen Krankheitsmodell abzuwenden. aktivieren, um Gesundheitskompetenz in worden und sehr unterschiedlich oder komplex
 Mit der Ausrichtung auf Ressourcenorien- der Schweiz zu fördern (Allianz Gesundheits- ausgefallen (Glossar, Seite 13). Auf die jeweilige
 tierung, auf die Hinwendung des (Wieder-) kompetenz 2020). Definition wirken sich die sehr divergenten Per-
 Erreichens funktionaler Gesundheit und die • Deutschland verabschiedet 2015 das Ge- spektiven (Abb. Seite 8) und auch Erklärungsan-
 Partizipation trotz vorliegender gesundheit- setz zur Stärkung der Gesundheitsförde- sätze aus. Häufig verwendete Erklärungsansät-
 licher Beeinträchtigungen bei Beachtung rung und der Prävention, Präventionsge- ze bzw. Modelle von Gesundheit sind:
 interner Ressourcen und Umweltfaktoren setz (PrävG), und gründet 2017 auf Initia- • Modell der Salutogenese
 greift die WHO drei bereits 1986 geforderte tive des Bundesgesundheitsministeriums • Resilienzmodell
 zentrale Ansätze aus Gesundheitsförderung die „Allianz für Gesundheitskompetenz“ in • Diathese-Stress-Modell
 und Prävention wieder auf: Partizipation, In- Deutschland, deren Arbeitsergebnis 2018 • Sozialisationsmodell
 tegration des Settings und Empowerment. ein „Nationaler Aktionsplan Gesundheits- Sie alle versuchen darzulegen, welche (sowohl
• 2009-2012: „The European Health-Litera- kompetenz“ ist. internen als auch lebensweltbezogenen) Res-
 cy-Project“ der WHO wird in Europa umge- sourcen und welche Verhaltensweisen dazu
 setzt. Ziel dieser Datenerhebung war es, beitragen, den gesunden Zustand, der nicht
 Die Perspektiven auf Gesundheit und Krank-
 Gesundheitskompetenz und Risikofakto- statisch, sondern in einer Variationsbreite und
 heit, Gesundheitsförderung und Prävention
 ren der Bevölkerung zu erfassen und Hand- und ihre Beziehungen untereinander sind
 Flexibilität verstanden wird, zu erhalten.
 lungsempfehlungen für Regionen und Län- divers und vielschichtig. Es übersteigt den Aktuelle häufig angewendete Modelle von
 der abzuleiten. In der Folge wurden in vielen Rahmen dieses Übersichtsartikels, dies um- Krankheit sind:
 Ländern Europas unterschiedliche Bevölke- fassend und ausreichend vertieft darzustel- • das naturwissenschaftlich-somatische
 rungsgruppen untersucht. Das ernüchtern- len. Zusätzlich sind einige weitere Perspek­ bzw. biomedizinische Modell
 de Ergebnis der Erhebungen ist mit kleine- tiven in der Abbildung (Seite 8) überblicks- • das Risikofaktoren-Modell
 ren Unterschieden in allen Regionen ähn- artig dargestellt und wichtige Begriffe im • das bio-psycho-soziale Modell
 lich: Rund die Hälfte der Gesamtbevölke- Glossar (Seite 13) erläutert. • verhaltenstheoretische Modelle
 rung verfügt über eine eingeschränkte • sozio-psycho-somatische Modelle

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 edukativ
 normativ-regulatorisch
 Verwendung ökonomischer
 Anreiz- oder Bestrafungssysteme Methodenkategorien
 (Rosenbrock & Gerlinger
 2014, 74)

 sozial
 bio-medizinisch
 metaphysisch
 objektiv Perspektiven auf
 Gesundheit und Krankheit
 funktional
 Die Notwendigkeit, Gesundheit und
 subjektiv Krankheit zu messen und zu „normieren”,
 psychosozial ist eine Herausforderung, auch da bis heute
 keine Definition von Gesundheit
 körperlich und Krankheit existiert, die alle
 seelisch Perspektiven abdeckt.

 Klassifikation
 der Betrachtung
 von Gesundheit
 Störungsfreiheit
 (Franke 2012, 38ff.) als
 Wohlbefinden
 Gleichgewichtszustand (Homöostase)
 Flexibilität (Heterostase) Resilienzmodell
 Anpassung Salutogenese Erklärungsansätze
 Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung Diathese-Stress-Modell für Gesundheit
 Sozialisationsmodell
 metaphysische Modelle

 Klassifikation
 verhaltensbedingt der Betrachtung
 sozio-psychosomatisch von Krankheit
 (Franzkowiak 2018, 1) als
 naturwissenschaftlich-somatisch

 biomedizinisches Modell
 Risikofaktoren-Modell Erklärungsansätze
 für Krankheit
 verhaltenstheoretische Modelle
 sozio-psychosomatisches Modell
 bio-psycho-soziales Modell
 bio-psycho-sozial-ökologisches Modell
 metaphysische Modelle
 subjektive Modelle

 soziale und wirtschaftliche Faktoren
 Umweltfaktoren (Wasser, Luft, soziale Netzwerke...)
 Schutzfaktoren
 behaviorale und psychische Faktoren
 Zugang zu gesundheitsrelevanten Leistungen
 Einflussfaktoren
 auf Gesundheit und Krankheit
 genetische, physiologische Faktoren (nach Hurrelmann
 behaviorale Dispositionen et al. 2014a, 15ff.)
 Risikofaktoren
 psychische Dispositionen
 ökologische Dispositionen

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dichotome Konzepte
 Beziehungen bipolare Konzepte
 zwischen Gesundheit orthogonale Konzepte
 und Krankheit
 (Franke 2012, 99ff.)

 Gesundheitskompetenz
 („Health Literacy“)
 umfasst Motivation, Kompetenzen
 und Wissen, um Gesundheits­
 informationen zu finden, verstehen,
 auf den Zeitpunkt (s. Fallbeispiel 1) der
 beurteilen und anwenden
 zu können. Maßnahme (primär, sekundär, tertiär)
 auf die Zielgruppe
 (universell, selektiv, indiziert)
 auf den Ansatzpunkt (s. Fallbeispiel 3)
 Ansatz­­
 (personell, strukturell bzw. Verhaltens-
 perspektiven
 oder Verhältnisorientierung)
 (Rosenbrock & Gerlinger
 2014, 73ff.)

 organisatorisch
 Gesundheitsförderung ethisch
 und Prävention Grenzen in politisch
 Anwendung über der Umsetzung von ökonomisch
 die gesamte Lebensspanne Präventionsmaßnahmen
 und Krankheitsverläufe hinweg (Haisch et al. 2014, 451ff.) psychologisch

 Bedeutsame Präventionsparadox
 Phänomene
 Präventionsdilemma

 1946 Beginn eines Paradigmenwechsels in der Betrachtung
 Historische von Gesundheit/Krankheit durch die Verabschiedung der
 Meilensteine Definition von Gesundheit durch die WHO
 1986 Verabschiedung der Ottawa-Charta auf der ersten
 Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO
 1998 Österreich verabschiedet Gesundheitsförderungsgesetz
 (GfG) zur stärkeren Verankerung von Gesundheitsförderung
 und Prävention im Gesundheitsbereich
 Handlungsansätze
 2001 WHO - Einführung der „International Classification
 (WHO 1986) of Functioning, Disability an Health (ICF)“
 2007 Liechtenstein beschließt das Landesgesetz über
 Prävention und Gesundheitsförderung
 Settingansatz
 2009-2012 The European Health-Literacy-Project
 Partizipationsansatz
 2015 Deutschland folgt Österreich und verabschiedet
 Health in All Policies Präventionsgesetz (PrävG), Schweiz lehnte alle Anträge
 Empowerment für ein Präventionsgesetz bisher ab

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THEORIE & PRAXIS

 • metaphysische Modelle (Hurrelmann et al. 2014, 13). Im Kontext von Ge-
 KASTEN 1 • subjektive Modelle bzw. Laientheorien. sundheit liegt ihre Ausrichtung auf der Ver-
 Präventive Logopädie Um Handlungsansätze ableiten zu können, ist hinderung oder Verzögerung von Krankheiten
 • Primäre Prävention ist darauf ausgerichtet, es wertvoll, im Falle einer Erkrankung zu hin- oder Störungen.
 potenzielle Krankheiten oder Störungen zu terfragen, welches der persönliche Blick auf
 verhindern. Beispiele primärer Prävention diese Beeinträchtigung ist. Zur Veranschauli- Gesundheitsförderung
 in der Logopädie sind die Unterstützung
 der alltagsintegrierten Sprachbildung
 chung sei hier auf das Fallbeispiel 2 (Kasten 2) und Prävention
 bzw. -förderung (etwa über das Konzept
 verwiesen. Gesundheitsförderung und Prävention sind in
 Sprachreich© des dbl) und die Förderung Ebenso wie die Definition fällt auch die Differen- ihrer Ausrichtung und Wirkung auf Gesundheit
 von Gesundheitskompetenz. zierung von „gesund” und „krank” schwer und (Gesundheitsförderung) und Krankheit und ihre
 • Sekundäre Prävention findet ihre Anwen- wird von der jeweiligen Sichtweise beeinflusst. Vermeidung (Prävention) grundverschieden.
 dung im Frühstadium einer Erkrankung, Diese Problematik der Abgrenzung greift Franke Interventionen im Rahmen der Prävention er-
 etwa über Früherkennung. Sie ist darauf (2012, 22ff.) auf. Sie nennt sieben Gründe, war- folgen aufgrund der möglichen Prognose
 ausgerichtet, Auftreten, Verschlimme- um diese Abgrenzung so schwierig sei: das Feh- potenzieller Erkrankungen. Spezifische Kennt-
 rung und Fortschreiten zu verhindern len eindeutiger Definitionen, die (mangelnden) nisse pathogenetischer Dynamiken ebenso
 oder zu verzögern. Beispiele für präven-
 technischen Möglichkeiten der Diagnostik und wie möglicher Risikofaktoren, die diese be-
 tive Maßnahmen sind Screenings oder
 Therapie, die Diskrepanz zwischen Befund und günstigen, sind Voraussetzungen für effekti-
 Früherkennungsuntersuchungen, wie sie
 auch in der deutschsprachigen Logopädie Befinden, das Existieren von Normabweichun- ve Prävention. Um präventiv handeln zu kön-
 mit der Entwicklung professionseigener gen ohne Krankheitswert, die Kulturgebun- nen, muss bekannt sein, was die Entstehung
 Forschungsmöglichkeiten zunehmend zur denheit jeder Beurteilung, die Feststellung, oder Verschlimmerung von Krankheiten bzw.
 Verfügung stehen. dass manche Störung/Krankheit nur funktio- Störungen verursacht.
 • Tertiäre Prävention hat das Ziel, den Rück- nell störe und somit nicht in jedem Kontext Ausnahme ist hier die Orientierung der primä-
 fall bereits entstandener Krankheiten zu Krankheitswert habe und die These, dass die ren Prävention, die häufig mit Gesundheitsför-
 verhindern und Krankheitsfolgen oder die Definition von Abweichungen vom Normwert derung gleichgesetzt wird.
 Verschlimmerung derselben zu verhin- interessengeleitet sei (ebd.). Gesundheitsförderung ist unspezifisch am
 dern. Üblicherweise werden Maßnahmen
 Für eine Beschreibung von „krank” bzw. Individuum oder einer Gemeinschaft ausge-
 der Rehabilitation der tertiären Prävention
 zugeordnet. In diesem Kontext werden
 „krankhaft” werden demzufolge Normwerte richtet und reicht über die Stärkung von Res-
 logopädische Behandlungen als Ressource benötigt, von denen abweichende Toleranz- sourcen, die Entwicklung von Gesundheits-
 genutzt. werte und schließlich pathologische Werte klar kompetenz, bis hin zu der Schaffung gesund-
 Logopädische Therapie kann der sekundären unterschieden werden können. heitsfördernder Rahmenbedingungen. Wer
 Prävention und tertiären Prävention zugeord- gesundheitsfördernd agieren möchte, be-
 net werden, da sie üblicherweise verordnet Gesundheitsförderung nötigt salutogenetische Kenntnisse und
 wird, um, wie es in §3 Abs. 2 der in Deutsch- Gesundheitsförderung ist deutlich jünger als Kompetenzen.
 land geltenden Heilmittel-Richtlinie heißt, Prävention. Die WHO begreift sie als Prozess, Gemeinsam haben Gesundheitsförderung und
 „eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimme- der darauf hinarbeitet, „allen Menschen ein Prävention die Vermeidung von Krankheit und
 rung zu verhüten oder Krankheitsbeschwer- höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Beibehaltung von Gesundheit ebenso wie die
 den zu lindern“ (G-BA 2020, 6). Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Forderung nach multidimensionaler und inter-
 Auch wenn die Einteilung nach dem Zeitpunkt Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“ (WHO disziplinärer Zusammenarbeit, die weit mehr
 des potenziellen Eintretens schlüssig scheint 1986, 1). Unter diesem Begriff werden zudem umfasst als das Feld der Medizin. Zudem teilen
 und häufig verwendet wird, sind Maßnahmen Handlungen zur Schaffung sozialer, ökologi- sie die Anwendung über die gesamte Lebens-
 nicht immer eindeutig zuzuordnen. Zudem
 scher und ökonomischer, gesundheitsfördern- spanne und alle Versorgungssegmente hinweg
 können Maßnahmen auch gleichzeitig meh-
 reren Ansätzen nachkommen. Am Beispiel der Rahmenbedingungen zusammengefasst (Hurrelmann et al. 2014, 20).
 der Dysphagietherapie nach Schlaganfall wird (Hurrelmann et al. 2014, 1). Die Ausrichtung er- Die theoretische Auseinandersetzung mit Er-
 dies besonders deutlich: folgt im Hinblick auf die Beibehaltung und För- klärungs- und Handlungsansätzen und den
 • Unser logopädischer Handlungsauftrag derung von Gesundheit und damit auf Gesund- sich daraus ergebenden Handlungsoptionen ist
 gilt zunächst vornehmlich der Wiederher- heitsmodelle und die Frage, welche Determi- wichtig: Franke (2012, 12) warnt davor, „die Theo-
 stellung u.a. von Funktionen und Fähig- nanten dazu beitragen, Gesundheit zu ermög- riebildung zugunsten praktischer Maßnahmen
 keiten (Tertiäre Prävention). lichen und Gesundheitskompetenz zu stärken. hintan zu stellen“. Ihrer Auffassung nach gebe
 • Gleichzeitig achten wir auf frühe Warn- es Differenzen im Verständnis von Gesund-
 zeichen möglicher drohender Folgeerkran-
 kungen wie der Aspirationspneumonie
 Prävention heit und Krankheit in der öffentlichen Ausein-
 und wirken auf die Verhinderung dersel-
 Der Begriff der Prävention dagegen wurde laut andersetzung, da diese stattfinde, „ohne dass
 ben hin (Sekundäre Prävention). Rausch (2012, 13) im 19. Jahrhundert im Zeitalter ein Konsens über den Stellenwert und die Be-
 • Ergänzend ist es unser Auftrag und An- der Industrialisierung, im Umfeld der Debat- deutung von Gesundheit und Krankheit be-
 spruch, die Möglichkeiten der Betroffe- ten um soziale Hygiene und dem Aufkommen stünde. Bei genauerer Betrachtung wird deut-
 nen zur Genesung und Partizipation zu von Infektiologie und belastenden Arbeitsbe- lich, dass nahezu unhinterfragt das biomedi-
 stärken. Über gemeinsames Reflektieren dingungen geprägt. In der Phase ihrer ersten zinische Krankheitsmodell theoretischer Aus-
 und Einbeziehen sozialer, umweltbezoge- Prägung bereits war die Prävention ebenso wie gangspunkt der Diskussion“ (ebd., 15) sei.
 ner und persönlicher Schutzfaktoren, aber heute kein rein medizinisches Handlungsfeld, Ebenfalls warnt sie vor mangelnder Klarheit
 auch Risikofaktoren arbeiten wir direkt an
 sondern sozialwissenschaftlich, ökologisch in der theoretischen Auseinandersetzung und
 der Gesundheitskompetenz der Betroffe-
 und politisch beeinflusst: Präventiv wurde bei- sieht die Gefahr, dass aufgrund fehlerhafter
 nen (Primäre Prävention).
 spielsweise Einfluss auf Lebensbedingungen, Theorien geplante Maßnahmen der Prävention
 Arbeitsbedingungen und Bildung genommen und Gesundheitsförderung ihr Ziel verfehlten

10 forum:logopädie Jg. 34 (6) November 2020 | 6-15 www.dbl-ev.de
oder sogar Wirkungen erzielten, die im Wider- stellung menschlicher Kommunikation im folge den Anspruch, dass die logopädische Ver-
spruch zu ihrer Absicht stünden (ebd., 15). Mittelpunkt unserer Arbeit. Wir wollen Begeg- sorgung als Fachdisziplin ihren Platz sowohl
An dieser Stelle ist es daher notwendig, dass nung unter Wahrung der Menschenwürde er- im Gesundheitswesen wie auch in der Gesell-
sich die Logopädie in den Diskurs einbringt. Für möglichen und die präventiven/therapeuti- schaft hat, und benennen Prävention und zum
die logopädische Patientenversorgung stellt schen Maßnahmen auf die Klienten/Patienten Teil auch Gesundheitsförderung als selbstver-
sich die berechtigte Frage, inwieweit die thera- und ihr soziales Umfeld abstimmen“, formu- ständlichen Arbeitsbereich.
peutischen Interventionen gezielt und erfolg- liert der österreichische Berufsverband ent-
reich gesundheitsfördernd und/oder präventiv sprechend in seinem Leitbild seinen Anspruch Welche Herausforderungen ergeben
eingesetzt werden und wirken können. (logopädieaustria 2020). Um diese Aufgaben sich daraus für die Logopädie?
 des „Vorbeugens“ erfüllen zu können, müss- Haben wir die notwendigen Voraussetzungen
 ten die Behandelnden „über theoretisches ge- an Wissen und Kompetenzen, die es für eine
Sind Gesundheits- sundheitswissenschaftliches Wissen zu Prä- Ausrichtung sowohl an aktuellen Gesundheits-
förderung und Prävention vention und Gesundheitsförderung verfügen“ und Krankheitsmodellen als auch an Gesund-
Tätigkeitsbereiche der (dbl 2014).
 In unterschiedlicher Ausführlichkeit, aber in
 heitsförderung und Prävention bedarf?
 Rausch konstatiert (Rausch 2012, 14), dass ein
Logopädie? der Intention übereinstimmend, formulieren „ausgearbeiteter logopädiespezifischer Krank-
 die Berufs- und Fachverbände als Interessen- heitsbegriff“ in Anbetracht der wenigen Jahre
Der Anspruch der Verbände vertretungen der Logopädie in Liechtenstein, logopädischer Forschung in Deutschland nicht
In den Berufsleitbildern und Grundsatzdoku- Schweiz, Deutschland und Österreich demzu- zu erwarten sei. Sie reflektiert und bezwei-
menten geben die Verbände Auskunft über
ihren Anspruch an die Profession, die sie ver- KASTEN 2
treten, und ihr Tätigkeitsfeld: Die Logopädie FALLBEISPIEL Modellorientierung
hat das „Gebiet von Sprache, Sprechen, Stim-
 Die Bedeutung der Modellorientierung in der Betrachtung von Krankheiten bzw. Störungen wird an
me, Hören sowie Schlucken“ zum Gegenstand, einem Fallbeispiel deutlich. Fragestellungen geben Hinweise auf einen möglichen Erklärungsansatz,
die sie als „wesentliche Fundamente menschli- ohne diesen an dieser Stelle zu bewerten.
cher Kommunikation und Lebensqualität“ be- Ein junger Mann stottert von Kindheit an. Er hat eine unauffällige und selten auftretende
trachtet (dbl 2005, 2). Stottersymp­­tomatik. Nur in wenigen Momenten, etwa im Rahmen mündlicher Prüfungen oder selte-
Der Erkenntnis folgend, dass Logopädie mehr nen Stresssituationen, kommt es zu einer Verstärkung der Symptomatik, die er bemerkt, die ihn aber
als Therapie sei, benennt der Deutschschwei- in seinem Kommunikationsverhalten nicht beeinträchtigt hat und für ihn kein Grund war, sich als
zer Logopädinnen- und Logopädenverband therapiebedürftig einzuschätzen. Es geht ihm gut.
(DLV) in seinem Berufsleitbild das Kompetenz- Zum Ende seiner Schullaufbahn wächst in ihm der Wunsch, Pilot zu werden, den er anderen gern er-
 zählt. Darauf nachfolgende Rückmeldungen zu seiner Stottersymptomatik lösen in ihm die Sorge
und Tätigkeitsfeld: „Logopädinnen und Logo-
 aus, dass er diesem Wunsch möglicherweise nicht folgen kann und er reflektiert sein Stottern:
päden verfügen über Kompetenzen in Diag- • Liegt ein neurophysiologischer oder genetischer Grund als Verursacher des Stotterns vor? (bio-
nostik, Förderung, Therapie und Beratung. Sie medizinisches bzw. naturwissenschaftlich-somatisches Modell)
leisten Präventions- und Rehabilitationsarbeit • Ist das Stottern möglicherweise eine Strafe, oder ist das Stottern dadurch entstanden, weil ich
in den Bereichen Sprache, Sprechen, Stimme als Kind oft angeschrien wurde? (metaphysisches oder subjektives Modell)
und Schlucken“ (DLV 2014). • Liegt denn überhaupt eine Beeinträchtigung vor? Es geht mir doch gut und ich habe nicht das
„In diesem Zusammenhang steht für uns Lo- Gefühl, dass ich eingeschränkt bin. – Warum soll ich meinem Berufswunsch nicht folgen kön-
gopädinnen und Logopäden die Erhaltung, nen? Ich bin doch nicht krank? (bio-psycho-soziale Modellorientierung)
Verbesserung beziehungsweise Wiederher-

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THEORIE & PRAXIS

 felt in diesem Zusammenhang, ob die Logo- funden lediglich um schwache Normwerte am baut zudem auf dem Settingansatz auf (dbl
 pädie überhaupt „logopädische Störungen“ als unteren Rande der Normalverteilung hande- 2015, 9).
 Krankheiten begreife (ebd., 14ff). le. Trotz dieser Beobachtung findet sie den Be- Zur sekundären Prävention stehen als Früh-
 Hier werde der Begriff der Krankheit in Bezug griff der Störung für die Planung von Unter- erkennungsuntersuchungen mittlerweile di-
 auf die in der Therapie zu behandelnde Beein- stützung jedoch sinnvoll (ebd.). verse Screenings für unterschiedliche Mess-
 trächtigung selten verwendet (ebd., 14). Üb- zeitpunkte in variierender Qualität zur Verfü-
 licher sei laut Rausch der Begriff eines Stö- Ist präventive Logopädie ein gung, um sprachliche Fähigkeiten von Kindern
 rungsbildes oder einer Hör-, Kommunikations-, Spezialgebiet der Logopädie? niederschwellig zu überprüfen.
 Schluck-, Sprach-, Sprech- oder Stimmstörung, Wie Gesundheitsförderung und Prävention als Auch im Bereich der Stimme liegen vielfältige
 was impliziere, dass im Verständnis der Be- Inhalt und Zielsetzung logopädischer Tätig- Veröffentlichungen zu präventiven Maßnah-
 handelnden auch keine Krankheiten behan- keit wahrgenommen wird, soll exemplarisch men vor. Beushausen et al. (2015, 20ff.) emp-
 delt würden (ebd., 14). Störungsbilder könn- an den Handlungsfeldern Sprachentwicklung, fehlen als präventive Maßnahmen, die sich an
 ten zwar durch organische oder funktionel- Stimme und Dysphagie reflektiert werden. die Risikogruppe der LehrerInnen richtet, die
 le Beeinträchtigungen hervorgerufen werden, Im Bereich der Sprachentwicklung liegen diver- Orientierung am bio-psycho-sozialen und salu­
 aber durch die Abgrenzung der Störung von der se gesundheitsfördernde bzw. präventive lo- togenetischen Modell und der ICF. Zur Durch-
 Krankheit finde auch eine Distanzierung von gopädische Angebote vor. So gibt es mehre- führung empfehlen sie eine Mischung aus ver-
 biomedizinischen Perspektiven der ärztlichen re Elterntrainings zu Sprachentwicklung und haltens- und verhältnisorientierten Anteilen
 Diagnose statt (ebd., 14). Sprachbildung, aus denen als evaluiertes Pro- sowie Partizipation und Empowerment (ebd.).
 Andere VertreterInnen der Logopädie nehmen gramm das „Heidelberger Elterntraining zur Hieran knüpft Rittich (2018, 95) an, die die Mög-
 hierzu sehr divers Stellung: Hoffschildt (2005, frühen Sprachförderung” (HET) hervorsticht lichkeiten der Qualitätssicherung und Evalua-
 113) geht davon aus, dass die Nähe zur Medizin (Buschmann 2002). Es beruht auf dem bio-psy- tion präventiver Angebote beleuchtet.
 im Selbstverständnis der Logopädie historisch cho-sozialen Modell und schließt verhaltens- Oetken-Ishort stellte bereits 2002 den Bedarf
 begründet sei und damit auch die Orientierung theoretische Aspekte mit ein (ebd., 5ff.). In der präventiver Maßnahmen für Stimmstörungen
 an einem biomedizinischen Krankheitsver- Umsetzung steht der Ansatz des Empower- von Kindern fest (Oetken-Ishorst 2002, 16ff.). Sie
 ständnis. Grötzbach (2012, 18) reflektiert, dass ments im Vordergrund (ebd., 9f.). begründet dies mit der Orientierung am bio-
 logopädisch-therapeutisches Handeln in dieser Auch zur Sprachbildung in Kinderbetreu- psycho-sozialen Modell und der Ausgangsthe-
 Folge noch heute häufig auf die Störungsbesei- ungseinrichtungen existieren diverse logopä- se, dass Stimmstörungen durch Verhalten und
 tigung ausgerichtet sei und referiert gleichzei- dische Angebote. Neben Angeboten für Kin- Verhältnis mitverursacht seien (ebd.). Weiter
 tig mit der Benennung von Gesundheit als Stö- der werden auch Schulungen zur alltagsinte- benennt sie Risikofaktoren und kritische Zeit-
 rungsfreiheit einen überholten und reduzierten grierten Sprachförderung für ErzieherInnen fenster und empfiehlt darauf aufbauend den
 Gesundheitsbegriff (ebd., 22). angeboten. Ein Konzept ist „Sprachreich©” Abbau von Risikofaktoren und gleichzeitig
 In diesem Zusammenhang sei zudem auf den (dbl 2015, 1). Diesem liegt eine bio-psycho-so- edukative, verhaltens- und verhältnisorientier-
 Einwand Kannengiesers (2014, 189) hingewie- ziale, kommunikationstheoretische und ver- te Maßnahmen (ebd.).
 sen: Sie stellt am Beispiel der spezifischen haltenstheoretische Modellorientierung zu- Im Bereich der sekundären Prävention von
 Sprachentwicklungsstörung dar, dass es bei grunde (dbl 2015, 4). Zielgruppen des Kon- Stimmstörungen stehen ebenso diverse Scree-
 logopädischen Befunden nicht immer um die zepts sind zunächst die ErzieherInnen. In der nings zur Früherkennung zur Verfügung.
 Feststellung von Pathologien gehe und die di- Umsetzung ist es universell und dient der Be- Auch im Bereich der Dysphagie bringt sich die
 chotome Unterscheidung in normal und ge- fähigung der Anwendenden zu sprachförder- Logopädie bewusst präventiv ein. Dies ge-
 stört irreführend sei, da es sich bei einigen Be- lichem Alltagsverhalten (Empowerment). Es schieht im Rahmen von Pflege- und Angehöri-
 genberatung und Therapie, in welcher, den An-
 KASTEN 3 sätzen sekundärer und tertiärer Prävention fol-
 FALLBEISPIEL Verhaltens- und Verhältnisprävention gend, zum Teil gesundheitsfördernde und pri-
 märpräventive Ansätze angewendet werden.
 Frau F. ist Erzieherin. Sie singt seit Jahren in einem Jazzchor, der auf Stimmbildung besonders viel
 Wert legt. Mit Beginn der Probenzeit für das anstehende Weihnachtskonzert merkt sie, dass ihr die
 Zu nennen sind beispielsweise die Prävention
 hohen Töne nicht mehr wie gewohnt gelingen. Die Arbeit im Hort erschöpft sie zunehmend. Beim von Pneumonien und lebensgefährlicher Aspi-
 Besuch des HNO-Arztes sind keine organischen Befunde nachweisbar. Er fragt sie, ob es ihr psychisch ration im Rahmen von Dysphagietherapie und
 schlecht gehe, sie vielleicht eine Kur brauche, oder er sie für eine Weile krankschreiben solle, was Frau -management (Bartolome 2014, 307).
 F. verneint. Voller Sorge kommt sie in die logopädische Praxis. Im Rahmen des Anamnesegesprächs Auch in diesem Bereich werden zunehmend
 wird Folgendes deutlich: Tools zur Früherkennung entwickelt, etwa der
 Anzeichen für eine Stimmüberlastung traten auf, nachdem der Raum, in dem sie arbeitet, neu ausge- „Rorschacher Beobachtungsbogen Schluck-
 stattet wurde. Er soll nun heller und leichter zu reinigen sein, dazu wurden Teppiche, die Sofaecke, eini- funktion und Risiken“ (Rüegg & Steiner 2020).
 ge Regale und auch die Vorhänge entfernt. Frau F. erkennt, dass sich der Raum dadurch akustisch stark Diese exemplarische Reflexion der Rolle der
 verändert hat. Auch die Kinder sind dadurch lauter und unruhiger geworden, was sich auf ihre Arbeits-
 Logopädie im Kontext von Gesundheitsförde-
 situation auswirkt. Daher setzt sie sowohl strukturell als auch personell an, um sich zu helfen:
 • Verhältnisprävention: Es gelingt ihr, der verantwortlichen Einrichtungsleitung zu vermitteln, dass rung und Prävention lässt erkennen, dass die
 die gut gemeinte Idee massive Folgen für die Raumakustik ihres Arbeitsumfelds hatte. Im Ergeb- Logopädie begonnen hat, theoriegeleitet ge-
 nis schafft sie es, räumliche Veränderungen durchzusetzen, die die Akustik verbessern. sundheitsfördernd und präventiv zu handeln
 • Verhaltensprävention: Aus der Erfahrung der körperlichen und stimmlichen Ermüdung zieht Frau und zugehörige Modelle und Handlungsansät-
 F. unter dem Aspekt der Selbstfürsorge weitere Konsequenzen. Sie achtet nun darauf, regelmäßig ze in ihr Handeln einzubeziehen. Zu einzelnen
 und ausreichend zu trinken und bei Bedarf ihre Mund-und Rachenschleimhäute zu befeuchten. Störungsbildern sind Risiko- und Schutzfakto-
 Als besonders hilfreich erlebt sie die Stimmübungen, die sie in ihre Morgenroutine an Arbeits- ren bekannt und Maßnahmen wie Beratungs-
 tagen aufnimmt. angebote, Trainings und Früherkennungs-
 untersuchungen entwickelt.

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zipation bzw. Teilhabe im Kontext gesundheitlicher Das Präventionsparadox beschreibt den Umstand,
 Glossar Beeinträchtigungen hervorhebt (DIMDI 2005, 4). dass präventive Maßnahmen, die für die Gesell-
 schaft oder Gesamtbevölkerung einen hohen Nut-
 Kohärenzgefühl. Nach Antonovsky (1997, 140ff.)
 zen bewirken, nur wenig Mehrwert für ein einzel-
 Empowerment ist eine der Maximen der Ottawa- beeinflusst das Kohärenzgefühl maßgeblich die
 nes Individuum erzielen. Maßnahmen, von denen
 Charta zur Umsetzung einer gesundheitsförderli- Platzierung von Individuen auf dem Kontinuum
 einzelne Individuen besonders profitieren, nüt-
 chen Gesamtpolitik (WHO 1986, 4). Zum Teil wird sy- zwischen Gesundheit und Krankheit. Dieses Ge-
 zen der Gesellschaft oder Gesamtbevölkerung da-
 nonym der Begriff „Enabling” verwendet. Empower- fühl drückt aus, ob man „ein durchdringendes, an-
 gegen nur wenig.
 ment ist darauf ausgerichtet, Menschen zu befähi- dauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des
 gen, ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Lebenswelt Vertrauens“ (ebd., 36) hat, das eigene Leben verste- Im Risikofaktoren-Modell wird davon ausgegan-
 selbst zu gestalten (Brandes & Stark 2016, 1ff.). hen und bewältigen zu können. Es umfasst nach gen, dass bestimmte Faktoren die Entstehung von
 Anto­novsky die Komponenten der Verstehbarkeit, Krankheiten begünstigen können (Franke 2012, 138).
 Gesundheit. „Health is a state of complete physi-
 Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit (ebd., 34). Risikofaktoren können beispielsweise Alter, Ge-
 cal, mental and social well-being and not merely
 schlecht, gesundheitliche Belastungen, soziale oder
 the absence of disease or infirmity“ (WHO 1946, 1). „Krankheit ist das Stadium des Ungleichgewichts
 auch behaviorale, psychische und ökologische Dis-
 „Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn
 positionen sein. Nach Rosenbrock & Gerlinger (2014,
 von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das ein- einem Menschen eine Bewältigung sowohl der in-
 74) zählt das Risikofaktoren-Modell zu den wich-
 tritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung so- neren (körperlichen und psychischen) als auch äu-
 tigsten Grundannahmen in der Verhaltenspräven-
 wohl der inneren (körperlichen und psychischen) ßeren (sozialen und materiellen) Anforderungen
 tion. Es orientiert sich ebenso wie das biomedizi-
 als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anfor- nicht gelingt. Krankheit ist ein Stadium, das einem
 nische Modell an Kausalzusammenhängen (Franke
 derungen gelingt. Gesundheit ist ein Stadium, das Menschen eine Beeinträchtigung seines Wohl-
 2012, 137). Risikofaktoren spielen auch beim Erwerb
 einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude befindens und seiner Lebensfreude vermittelt“
 von Gesundheitskompetenz eine entscheidende
 vermittelt“ (Hurrelmann & Richter 2013, 147). (Hurrel­mann & Richter 2013, 147).„Krankheit ist im
 Rolle, dazu zählen in Europa bestimmte soziale
 engeren medizinischen Sinn Behandlungs- und/
 Gesundheitsförderung gründet auf der Dynamik Determinanten wie ein niedriger Bildungs- und So-
 oder Pflegebedürftigkeit“ (Franzkowiak 2018, 1).
 der Entstehung und Beibehaltung von Gesundheit zialstatus, Migrationshintergrund und chronische
 (Borgetto & Siegel 2009, 229). Sie ist unspezifisch, Ottawa-Charta. Die Relevanz von Gesundheits- Erkrankungen (WHO 2016, 10 ff.).
 ressourcenorientiert und auf die Stärkung der Ge- förderung wurde 1986 in der ersten Internationa-
 Schutzfaktoren. Eine wesentliche Ressource bzw.
 sundheit ausgerichtet. Im Rahmen der Prävention len Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO
 ein Schutzfaktor im Kontext von Gesundheit stellt
 kann sie als Handlungsansatz betrachtet werden. in Ottawa hervorgehoben und proklamiert (Alt-
 der Zugang zu gesundheitsrelevanten Leistun-
 In der Literatur wird Primordialprävention zum Teil geld & Kolip 2014, 48). Die dort verfasste Ottawa-
 gen dar. Weitere soziale, wirtschaftliche und öko-
 synonym zu Gesundheitsförderung verwendet Charta löste weltweit Reaktionen und Aktivitäten
 logische Faktoren können einen stärkenden Ein-
 (Rittich 2018, 42). Ebenso wird sie zum Teil mit Pri- zugunsten der Gesundheitsförderung aus (ebd.).
 fluss ausüben, ebenso wie politische Systeme die
 märer Prävention gleichgesetzt. Basierend auf dem bereits 1946 formulierten Ge-
 Rahmenbedingungen für den Erwerb von Stabili-
 sundheitsbegriff der WHO und der 1978 in der Er-
 Gesundheitskompetenz (Health Literacy) um- tät und Vertrauen in Gesellschaft, Sinn und Selbst-
 klärung von Alma-Ata festgehaltenen Philoso-
 fasst die Motivation und Fähigkeiten von Men- wirksamkeit stärken können. Gute Bildungsvor-
 phie der Chancengleichheit hat die WHO 1986 in
 schen, die für sie relevanten Gesundheitsinforma- aussetzungen können die Entwicklung des Kohä-
 der Ottawa-Charta die Grundlagen und die Ziel-
 tionen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und renzgefühls und der Gesundheitskompetenz als
 richtung der Gesundheitsförderung sowie Ansatz-
 auf Fragestellungen im eigenen Leben anwenden Schutzfaktoren bzw. Ressourcen stärken.
 und Maßnahmenempfehlungen aufzeigt. Bereits
 zu können. Die dazu notwendigen Fähigkeiten, in
 damals wurde konstatiert, dass dieses Handlungs- Der Settingansatz wurde bereits in der Ottawa-
 print und digital verfügbare schriftlich dokumen-
 feld kein rein gesundheitspolitisches sei, sondern Charta (WHO, 1986, 4ff.) als einer der zentralen An-
 tierte Informationen rezipieren zu können, begrün-
 eine gesamtgesellschaftliche und politische Auf- sätze in Gesundheitsförderung und Prävention be-
 den die enge Verknüpfung zu Bildung und (Schrift-)
 gabe (WHO 1986, 2). nannt. Das Angebot im Setting, worunter Lebens-
 Sprachkompetenzen. Gesundheitskompetenz er-
 welten wie z.B. Kindertagesstätten, Betriebe, Ver-
 möglicht es Menschen, über ihren Lebenslauf Ent- Partizipationsansatz. In der Ottawa-Charta wurde
 eine bzw. Sozialzusammenhänge von Menschen
 scheidungen treffen und umsetzen zu können, die der Partizipationsansatz als zentraler Handlungsan-
 verstanden werden, sei sehr bedeutsam, da hier-
 sich positiv auf Gesundheit, Krankheitsverläufe satz in Gesundheitsförderung und Prävention be-
 über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den
 und Lebensqualität auswirken können. Die Weiter- schrieben (WHO 1986, 4ff.). Der Partizipationsansatz
 Mittelpunkt des Betrachters rücken (Altgeld &
 entwicklung von Gesundheitskompetenz ist ein hat den Anspruch, Zielgruppen und -personen in al-
 Kolip 2014, 49 f.). Werde er angewendet, verliere
 wichtiger Baustein des Empowerments. len Phasen von der Planung bis zur Evaluation ge-
 der Gesundheitsbegriff an Abstraktheit und wer-
 staltend an den an sie gerichteten Maßnahmen zu
 „Health in All Policies“. Dieser Ansatz ergibt sich de erlebbar, was wiederum die Anwendung der An-
 beteiligen. Als Fachpersonen ihrer eigenen Lebens-
 aus der Erkenntnis der starken Einflussnahme so- sätze des Empowerments und der Partizipation er-
 welt und eigenen Lebens sollen sie als gleichbe-
 zialer und ökologischer Faktoren auf die Gesund- mögliche (ebd.).
 rechtigt angesehen, ihre Wünsche und Anforderun-
 heit von Individuen und Gesamtheiten. Die positi-
 gen ernst genommen und an Entscheidungsprozes- Salutogenese. Aaron Antonovsky entwarf das Mo-
 ve Einflussnahme auf relevante (soziale und ökolo­
 sen beteiligt werden (Altgeld & Kolip 2014, 49). dell der Salutogenese. Er forcierte hiermit die Ab-
 gische) Determinanten der Gesundheit ist eine zen-
 wendung vom Modell der Pathogenese. Er hält
 trale Aufgabe in der Gesundheitsförderung (WHO Prävention hat zum Ziel, unerwünschte Ereignisse
 fest, dass es zum Leben dazugehöre, sich zwischen
 1986, 1). Gefordert ist daher unter diesem Ansatz wie Krankheiten oder Störungen zu verhindern, zu
 den beiden Endpunkten eines Kontinuums der voll-
 eine gesundheitsfördernde Gesamt­politik bzw. Ge- verzögern oder weniger wahrscheinlich zu machen.
 kommenen Gesundheit und vollkommenen Krank-
 sundheitsförderung in allen Politik­­bereichen. Sie erfolgt spezifisch und aufgrund der Zukunfts-
 heit zu bewegen (Antonovsky 1997, 23). Daraus fol-
 prognose potenzieller Erkrankungen. Sie kann als
 International Classification of Functioning, Dis­ gert er, dass jeder Mensch bis zum Tod sowohl
 Risikomanagement betrachtet werden.
 ability and Health (ICF). 2001 hat die WHO in der kranke als auch gesunde Anteile habe.
 „International Classification of Functioning, Disa- Das Präventionsdilemma beschreibt die Proble-
 bility and Health“ (ICF) ergänzend den Begriff der matik, dass diejenigen Gruppen, die von den häu-
 Gesundheit um die Perspektive der funktionalen figsten präventiven Leistungen besonders profitie-
 Gesundheit erweitert, die die Möglichkeit der Parti- ren könnten, besonders schwer erreicht werden.

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