Die psychische Gesundheit von werdenden Eltern unterstützen - Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen
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September 2021 Die psychische Gesundheit von werdenden Eltern unterstützen Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen
Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorin Dr. phil. Fabienne Forster, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl klinische Psychologie, Kinder/Jugendliche & Paare/Familien, Universität Zürich Redaktion Fabienne Amstad Prof. Dr. Guy Bodenmann Anja Nowacki Marion Forel Projektleitung Anja Nowacki Cornelia Waser Adaption in französischer Sprache Marion Forel Begleitgruppen Mit Dank für die Mitarbeit an die Fachpersonen aus den drei Sprachregionen, welche an der Entwicklung dieses Textes mitgearbeitet haben (in alphabetischer Reihenfolge): Emmanuelle Ancay, Dr. rer. nat. Margarete Bolten, Tamara Bonc-Brujevic, Andrea Borzatta, Dr. med. Benedikt Bucher, Séverine Crelier, Prof. Dr. Joëlle Darwiche, Jessica De Bernardi, Dr. med. Irène Dingeldein, Francesca Dotti, Luzia Felber, Martina Flury Figini, Alexia Fournier Fall, PhD, Dr. med. Christine Fuchs, Barbara Giordano, Dr. med. Christian Henkel, Dr. med. Laurent Holzer, Barbara Imbach, Françoise Korneliussen, Dr. med. Josef Laimbacher, Diana Müller, Dr. med. Rachel Rauber, Martina Schmid, Manuela Vanolli, Dr. med. Sophie Venturelli Reyes Lozano, Sarah Wabnitz, Valentine Wisard Fotonachweis Titelbild, Seiten 10, 11, 14: AdobeStock Seiten 7, 16, 24, 27: iStock Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 02.380.DE 09.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache erhältlich (Bestellnummern 02.380.FR 09.2021 und 02.380.IT 09.2021). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, September 2021
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 1.1 Wozu dienen diese Informationen und Empfehlungen? 4 1.2 Was versteht man unter psychischer Gesundheit? 5 1.3 Weshalb ist die psychische Gesundheit auch relevant für Sie als Fachperson? 6 2 Wie kann die psychische Gesundheit gefördert werden? 7 3 Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit 8 3.1 Individuelle Schutzfaktoren 8 3.2 Soziale Schutzfaktoren 9 3.3 Umweltbezogene Schutzfaktoren 10 4 Risikofaktoren für die psychische Gesundheit 12 4.1 Individuelle Risikofaktoren 12 4.2 Soziale Risikofaktoren 14 4.3 Umweltbezogene Risikofaktoren 15 5 Mit Eltern über die psychische Gesundheit sprechen 16 5.1 Erkennen, wie es um die psychische Gesundheit eines Elternteils steht 16 5.2 Erfassung von Schutz- und Risikofaktoren im persönlichen Gespräch 18 6 Das Wichtigste für Ihren Praxisalltag 19 10 Empfehlungen für Fachpersonen zur Förderung von Schutzfaktoren 19 10 Empfehlungen für Fachpersonen zum Umgang mit Risikofaktoren 21 10 Tipps für Eltern 23 7 Angebote und Anlaufstellen 24 8 Literaturempfehlungen 25 9 Hinweis zur Entwicklung und zu den Quellen 26 Darstellungsverzeichnis Abbildung 1 Psychische Gesundheit als Zusammenspiel aus Risiko- und Schutzfaktoren 4 Abbildung 2 Einige wichtige Schutzfaktoren für die psychische G esundheit 8 Abbildung 3 Einige wichtige Risikofaktoren für die psychische G esundheit 12
4 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 1 Einleitung 1.1 Wozu dienen diese Informationen Diese Informationen und Empfehlungen richten den und Empfehlungen? Fokus auf die psychische Gesundheit von Eltern während der Schwangerschaft und bis ein Jahr nach Als Fachperson, welche Menschen in die Eltern- der Geburt. Sie beschreiben, weshalb auch Sie die schaft begleitet, wissen Sie, dass Elternwerden psychische Gesundheit im Kontakt mit Vätern und eine Herausforderung mit Höhen und Tiefen ist. Müttern zum Thema machen sollten. Zur Förderung Damit Sie werdende Mütter und Väter im Eltern der psychischen Gesundheit werden in diesen Infor- werden gut unterstützen können, ist es wichtig, ihre mationen wichtige Schutz- und Risikofaktoren dar- psychische Gesundheit zu berücksichtigen und zu gestellt und daraus praktische Implikationen für Sie fördern. als Fachperson abgeleitet. Abgerundet werden die Empfehlungen durch Tipps für Eltern, Adressen von Anlaufstellen und Literaturhinweise, die Sie Müt- Für uns alle ist die psychische Gesundheit tern und Vätern mit auf den Weg geben können. Ziel wichtig, denn sie … dieser Empfehlungen ist es, dass alle Fachperso- • ist die Grundlage, um sich um sich selbst nen, die werdende Mütter und Väter beraten und und andere zu kümmern, betreuen, wissen, wie sie gemeinsam und vernetzt • hängt mit einer besseren physischen zur psychischen Gesundheit von Eltern beitragen Gesundheit zusammen, können. • wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Kindern aus, • trägt zu konstruktiven Partnerschaften und sozialer Integration bei. ABBILDUNG 1 Psychische Gesundheit als Zusammenspiel aus Risiko- und Schutzfaktoren Risikofaktoren ndheit Ps ychische Gesu Schutzfaktoren
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 5 1.2 Was versteht man unter «Eines Tages traf ich eine Mutter, die schrecklich psychischer Gesundheit? aussah. Sie sagte mir, dass die Ankunft ihres Kindes das grösste Geschenk der Welt sei und «Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohl- dass sie sehr glücklich sei, sich jeden Tag um befindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten aus- es zu kümmern. Ich sagte ihr, dass es für mich, schöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewäl- als meine Kinder klein waren, sehr schwer tigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer war. Ich war oft deprimiert und hilflos. An man- Gemeinschaft leisten kann» (WHO, 2019). Wie wir chen Tagen war ich am Ende meiner Kräfte, alle, brauchen auch Eltern eine gute psychische Ge- weil ich so erschöpft war. Da lief dieser Mutter sundheit, um sich um sich selbst und andere küm- eine Träne über das Gesicht. Dann erlaubte sie mern zu können. Gerade im Übergang zur Eltern- sich, von ihrem eigenen Leiden zu erzählen.» schaft kommt der psychischen Gesundheit von Séverine Crelier, Sozialpädagogin, Leiterin einer AEMO Müttern und Vätern grosse Bedeutung zu, da sie eine wichtige Grundlage dafür darstellt, dass sich Es ist bekannt, dass die psychische und die physi- das Neugeborene gesund entwickeln kann. Umge- sche Gesundheit eng zusammenhängen. Deshalb kehrt können Beeinträchtigungen der psychischen leisten Fachpersonen durch die Unterstützung der Gesundheit in der Schwangerschaft und nach der psychischen Gesundheit von Eltern auch einen Bei- Geburt die Entwicklung des Kindes sowie der gan- trag zu deren physischer Gesundheit – und umge- zen Familie negativ beeinflussen. kehrt. Psychische Gesundheit ist ein Zustand Psychische Störungen sind Belastungen des Wohlbefindens: in schwererem Ausmass • das Gefühl, Lebensbelastungen bewältigen • Alle Menschen erleben hin und wieder, zu können, dass ihre psychische Gesundheit im Un- • der Eindruck, dass man eigene Fähigkeiten gleichgewicht ist. ausschöpfen kann, • Bei psychischen Störungen ist das Erleben • die Möglichkeit, produktiv arbeiten und und Verhalten unwillkürlich, überdurch- sich beteiligen zu können, schnittlich und über längere Zeit gestört. • die Empfindung, einer Gemeinschaft • Psychische Störungen zeigen sich als zuzugehören, zu der man beitragen kann. belastende Gedanken, Gefühle, Verhaltens- weisen und Beziehungen zu anderen. • Die Hälfte aller Menschen erlebt mindes- Wenn die psychische Gesundheit in einem Ausmass tens einmal im Leben eine psychische beeinträchtigt ist, dass eine Person über einen ge- Störung. wissen Zeitraum überdurchschnittlich belastet ist • Im Übergang zur Elternschaft ist etwa jede und dadurch persönliches Leiden und Einschrän- fünfte Mutter und jeder siebte Vater kungen entstehen, dann spricht man von psychi- von einer psychischen Störung betroffen. schen Störungen. Psychische Störungen stellen häufig belastende Gedanken, Emotionen, Verhal- tensweisen und Beziehungen zu anderen dar, die zu Eltern in ihrer psychischen Gesundheit zu unter- einem beeinträchtigenden und subjektiv belasten- stützen kann massgeblich dazu beitragen, dass sie den Zustand führen. Dieser Zustand kann in seiner ihre Fähigkeiten ausschöpfen können, Belastungen Dauer und Schwere variieren. Beispiele für psychi- zu bewältigen, produktiv zu arbeiten und einen Bei- sche Störungen sind Depressionen, Angststörun- trag zu ihrer Gemeinschaft zu leisten. Eine gute gen, Suchterkrankungen, Demenz und Psychosen. psychische Gesundheit kann sich positiv darauf aus- Psychische Störungen gehören zu den häufigsten wirken, dass Eltern sensitiv auf ihre Kinder einge- Erkrankungen weltweit. Für die Entwicklung von hen. Das psychische Wohlbefinden von Eltern trägt psychischen Störungen gibt es vielseitige Ursachen zu einer konstruktiven Partnerschaft und sozialer inner- und ausserhalb einer Person, die dynamisch Integration bei, was wiederum zentrale Schutzfak- miteinander agieren. toren für die psychische Gesundheit sind.
6 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 1.3 Weshalb ist die psychische Die Forschung zeigt, dass das psychische Wohl Gesundheit auch relevant für befinden erhöht und die Versorgung verbessert wer- Sie als Fachperson? den kann, wenn nichtpsychologische/-psychiatrische Fachpersonen, wie Hebammen, medizinisches Per- Bei über der Hälfte der Eltern nimmt das psychische sonal oder Beratende, mit Eltern über deren psy Wohlbefinden deutlich ab nach der Geburt. Psychi- chisches Wohlbefinden oder deren psychische Stö- sche Störungen gehören zu den häufigsten Gesund- rungen sprechen. Gerade bei diesen Fachpersonen heitskomplikationen im Übergang zur Elternschaft. besteht hier eine besondere Chance, da Eltern Internationale Studien zeigen, dass jede fünfte Frau bereits eine Vertrauensbeziehung zu ihnen aufge- (ca. 20 %) und jeder siebte Mann (ca. 15 %) eine psy- baut haben, regelmässige Kontakte bestehen und chische Störung im Übergang zur Elternschaft ent- das Thema niederschwellig besprochen werden wickelt. In Anbetracht dessen, dass die Mehrzahl kann. Gesundheitsförderung Schweiz möchte Sie aller Personen in der Schweiz Eltern werden (ca. mit diesen Empfehlungen darin unterstützen, die 70 %), stellt das eine grosse Anzahl psychisch belas- psychische Gesundheit von werdenden Eltern zu teter Menschen dar. Auf der anderen Seite lohnt sich fördern. die Aufrechterhaltung und Förderung der psychi- schen Gesundheit, denn sie ist eine wichtige Voraus- «Wenn ich von meiner Hebamme, meiner setzung, dass sich Familien entfalten und gesund Gynäkologin oder meiner Hausärztin jemals entwickeln können. einen Fragebogen zur psychischen Gesund- heit erhalten hätte, wäre ich vermutlich nie so «Ich wäre froh gewesen, wenn ich schon viel tief in die Krise nach der Geburt gerutscht früher gewusst hätte, dass mein Zustand einen und hätte nicht erst auf der Mutter-Kind-Station Namen hat und es Hilfe gibt. Dann hätte ich von meiner Diagnose Postpartale Depression nicht so lange im Stillen gelitten.» erfahren.» Annika Redlich, ehemalige Betroffene und Leiterin der Annika Redlich, ehemalige Betroffene und Leiterin Geschäftsstelle des Vereins Postpartale Depression Schweiz der G eschäftsstelle des Vereins Postpartale Depression Schweiz Trotz dieser hohen Relevanz der psychischen Ge- sundheit wird sie im Kontakt mit Eltern häufig ver- Es lohnt sich, früh hinzuschauen nachlässigt. Viele nichtpsychologische/-psychiatri- sche Fachpersonen sprechen das Thema psychische • Frühzeitig erkannte Belastungen können Gesundheit nicht an. Als Gründe dafür kommen zum gezielt angegangen und präventiv verändert Beispiel Unwohlsein mit dem Thema, die Angst, werden. dem Gegenüber zu nah zu treten, oder die Einstel- • Auch nicht krankheitswertige Störungen lung, für die psychische Gesundheit nicht verant- des Erlebens und Verhaltens können wortlich zu sein, infrage. Diese Hürden sind ver- belastend sein. ständlich, jedoch hat die Forschung klar gezeigt, • Leichte Störungen können Vorboten für dass sich Eltern wünschen, auch auf ihre psychische schwerere Störungen sein. Gesundheit angesprochen zu werden. • Belastungen erhöhen die Wahrschein- lichkeit für weitere Störungen – auch im «Ich frage bei jedem Erstgespräch, wie es der Umfeld. Mutter oder dem Vater in ihrer neuen Rolle geht • Väter und Mütter in ihrer psychischen (psychisch und physisch) und wie sie den Über- Gesundheit zu unterstützen, kann mass gang von der Partnerschaft zur Elternschaft erlebt geblich zur physischen und psychischen haben.» Gesundheit der ganzen Familie beitragen. Vera Tomaschett, Mütter- und Väterberaterin HF
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 7 2 Wie kann die psychische Gesundheit gefördert werden? Die psychische Gesundheit wird sowohl von indivi- Kontext sowie Praktiken der Sozial- und Wirtschafts- duellen als auch von sozialen und Umweltfaktoren politik. Diese drei Faktoren können so gestaltet sein, beeinflusst. Zu den individuellen Faktoren gehören dass sie der psychischen Gesundheit zuträglich sind biologische und genetische Eigenschaften ebenso (Schutzfaktoren) oder die psychische Gesundheit wie kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten gefährden (Risikofaktoren). Zur Förderung der psy- und das Verhalten einer Person. Die sozialen Fak chischen Gesundheit kann sowohl bei den Schutz- toren stellen die Lebens-, Bildungs- und Arbeits faktoren als auch bei den Risikofaktoren angesetzt verhältnisse sowie die Lebensgestaltungsmöglich- werden. Im Folgenden werden häufige Risiko- und keiten einer Person dar. Zu den Umweltfaktoren Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit von gehören das Sozial- und Gesundheitssystem, Be- Eltern dargestellt sowie Implikationen daraus für treuungs- und Bildungseinrichtungen, der kulturelle Fachpersonen erläutert.
8 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 3 Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit 3.1 Individuelle Schutzfaktoren allermeisten anderen Fähigkeiten erworben werden können. Alle Menschen verfügen zur Bewältigung Bei vielen Menschen existiert der Mythos, dass El- von Herausforderungen bereits über einen Ruck- ternsein eine Fähigkeit sei, die intuitiv ab Geburt sack mit Ressourcen, zum Beispiel können sie auf vorhanden ist. Dabei erfordert Elternsein eine gan- Persönlichkeitseigenschaften wie Optimismus, Offen ze Reihe neuer Fähigkeiten, von denen einige erst heit für Neues oder Flexibilität zurückgreifen oder auf einmal gelernt werden müssen. Lernen braucht Fähigkeiten, die ihnen bereits in der Vergangenheit Zeit, Energie und ist ein Prozess, bei dem Fehlerma beim Bewältigen von Herausforderungen geholfen chen dazugehört. Die gute Nachricht ist, dass Eltern haben, zum Beispiel aktive Problembewältigung, schon viele Fähigkeiten mitbringen und dass die Kommunikationsfähigkeit oder Humor. ABBILDUNG 2 Einige wichtige Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit Individuell • Stabile Persönlichkeit • Offenheit und Flexibilität • Humor und Optimismus • Angenehme Aktivitäten • Kommunikationsfähigkeit • Bewegung • Entspannung • Genuss • usw. • Finanzielle Sicherheit • Gute Einbettung • Tragfähiges Sozialsystem • Integration in eine • Vernetztes, supportives, Gemeinschaft Umwelt kompetentes Gesund • Unterstützendes Umfeld Sozial heitssystem • Tragfähige Partnerschaft • Qualitative, bezahlbare • Gutes Verhältnis zu Betreuungsangebote Grosseltern oder • usw. Freunden • usw.
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 9 Für die psychische Gesundheit ist die Balance von 3.2 Soziale Schutzfaktoren Positivem und Negativem zentral. Dies hat die For- schung sowohl für Einzelpersonen und Paare als Eine zentrale Ressource für die psychische Gesund- auch für die Entwicklung von Kindern gezeigt. Ge heit ist das soziale Netzwerk. Soziale Unterstützung rade in stressreichen Zeiten geht der Fokus auf die und Einbindung hat sich als Grundlage für mensch positiven Aspekte unseres Lebens leicht verloren. liches Wohlbefinden erwiesen. Dazu gehören auch Dabei konnte gezeigt werden, dass ein Perspektiven eine tragende, unterstützende Partnerschaft und wechsel auf positive Aspekte die Stimmung verbes- wahrgenommene Unterstützung durch die Her- sern und das Wohlbefinden erhöhen kann – und das kunftsfamilie. Aber auch Freundinnen und Freun- auch bei Menschen, die schwer erkrankt sind. Dank de, Nachbarn, Vereinsmitglieder, Teilnehmende an barkeit und Vertrauen tragen zu einer besseren An- Freizeit- oder Kulturangeboten sowie Online-Com- passung an Herausforderungen bei. Deshalb ist es munitys können Gelegenheit für einen regelmässi- relevant, dass Eltern sich nicht nur auf die Bewälti- gen Austausch bieten und durch unterstützende Be- gung und Reduktion von Negativem konzentrieren, ziehungen zur psychischen Gesundheit beitragen. sondern bewusst auch schaffen Raum für Dinge, die Eine tragfähige Partnerschaft stellt in der Regel die guttun. primäre Quelle von Unterstützung dar. Darüber hin- aus hat sich die Unterstützung durch die Familie und «Eltern können ihren vielfältigen, anspruchsvollen das s oziale Umfeld als zentral für die psychische Ge- Aufgaben nur dann angemessen nachkommen, sundheit von Eltern erwiesen. Die Forschung zeigt, wenn sie selber psychisch im Lot sind und eine gute dass für die psychische Gesundheit von Menschen Psychohygiene aufweisen.» stabile, wohlwollende, einfühlsame Beziehungen Prof. Dr. Guy Bodenmann, Psychologieprofessor zentral sind. Grundsätzlich bilden diese auch die und Paartherapeut beste Grundlage für die gesunde Entwicklung eines Kindes – unabhängig davon, welches Geschlecht, Angenehme Aktivitäten sind besonders wichtig – welche sexuelle Orientierung oder soziale Rolle die- trotz und parallel zu Herausforderungen. Sie geben se Bezugspersonen haben. Im Vordergrund stehen Kraft und Selbstvertrauen für die schwierigen vor allem ein liebevoller Umgang, konstruktive und Momente. Studien konnten zeigen, dass positive konsequente Erziehung und gemeinsame Qualitäts- Erlebnisse zu einer besseren Anpassung im Über- zeit. Bei Paaren können positive Interaktionen zwi- gang zur Elternschaft führen. Praktische Strate schen den Eltern ausserdem negative Effekte von gien können zum Beispiel sein, eine kleine Freude destruktiven Interaktionen auf sie und das Kind in den Alltag einzubauen (zum Beispiel fünf Mi- puffern, wenn sie mindestens doppelt so häufig vor- nuten Durchatmen oder einmal das Lieblingslied kommen. hören) oder einen achtsamen Moment von wenigen Minuten pro Tag einzulegen, zum Beispiel zur Er «Auch als Eltern gilt es, ausreichend Raum innerung an etwas, wofür man dankbar ist oder und Zeit für sich selber und die Partnerschaft was heute schön war. zu finden.» Auch körperliche Vorgänge können genutzt wer- Prof. Dr. Guy Bodenmann, Psychologieprofessor den, um die psychische Gesundheit zu stärken; und Paartherapeut denn Körper und Psyche stehen in einem engen Zusammenhang. So führen zum Beispiel Bewegung, In der Bevölkerung zeigen sich jedoch grosse Un Atemübungen, Yoga, aber auch Erholung und Entspan terschiede in der Verfügbarkeit von sozialen Res- nung zu positiven Effekten auf Stimmung und Wohl- sourcen. Besonders Menschen mit geringeren befinden. Bereits in der Schwangerschaft haben finanziellen Mitteln, niedrigerer Schulbildung, Allein physische Aktivitäten einen positiven Einfluss auf erziehende oder Menschen mit psychischen oder die Gesundheit der Mutter und den Fötus und kön- physischen Erkrankungen oder Behinderungen kön- nen darüber hinaus das Wohlbefinden und Körper- nen über eingeschränkte soziale Ressourcen verfü- empfinden positiv beeinflussen. Diese Effekte wur- gen. Hier kommt strukturellen Ressourcen und Res den vor allem bei Ausdauersport, aber auch bei sourcen der Gemeinschaft eine besondere Bedeutung Kraft- und Dehnübungen nachgewiesen. zu.
10 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern Dazu gehören staatliche Angebote, Gemeindezent- Eine hohe Anstellungssicherheit, Flexibilität, Kon ren und subventionierte Unterstützungsprogram- trolle und bezahlte Urlaubs- und Betreuungstage me, bei denen sich hilfesuchende Personen selber hängen mit weniger emotionalen Problemen und engagieren, beteiligen und vernetzen können. Diese Verhaltensauffälligkeiten der Kinder von Angestell- haben sich als besonders wertvoll erwiesen. Ge ten zusammen. Arbeitgebende eignen sich ausser- rade auch soziale Medien und Online-Programme dem besonders gut als Anbietende von Unterstüt- bieten hier niederschwellige und kostengünstige zungsprogrammen für (werdende) Eltern. So hat Gelegenheiten, um sich mit Gleichgesinnten auszu- sich gezeigt, dass Unterstützungsprogramme be- tauschen. sonders häufig genutzt werden, wenn sie an Orten oder Institutionen angeboten werden, an denen sich Eltern sowieso schon befinden, wie zum Beispiel am 3.3 Umweltbezogene Schutzfaktoren Arbeitsplatz. Finanzielle Sicherheit bietet eine wichtige Grundlage «Als Hebamme setze ich […] den besonderen für die psychische Gesundheit. Für Mütter hat sich Fokus darauf, Eltern dabei zu unterstützen, auf gezeigt, dass die Berufstätigkeit mit einem besse- ihren vorhandenen Ressourcen aufzubauen, ren psychischen Wohlbefinden einhergeht, sofern und sie gegebenenfalls auf Unterstützung von die Berufstätigkeit ihrem Wunsch entspricht, mit Zu aussen (Haushaltshilfe, Beratung/Begleitung friedenheit und Freude verbunden ist und kompatibel usw.) aufmerksam zu machen, damit sie trotz der mit den Bedürfnissen des Kindes ist. Zentral ist hier enormen Umstellung in ihrem Alltag zu einem die Koordination mit und Unterstützung durch den gesunden Rhythmus als Familie finden können.» anderen Elternteil, den Partner oder die Partnerin Mandy Bührer, Hebamme MSc sowie das Umfeld. Auch Arbeitgebende können zur psychischen Gesundheit von Eltern bei tragen. So Besonders bei berufstätigen Elternteilen sowie bei hat sich zum Beispiel gezeigt, dass die Qualität von Familien, die nicht auf die Betreuung durch Gross Anstellungsbedingungen die psychische Gesundheit eltern oder andere Personen aus dem sozialen Um- von Angestellten und deren Kindern beeinflusst. feld zurückgreifen können, sind Kinderkrippen oder
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 11 Spielgruppen eine wichtige Unterstützung in der Quantität und Qualität der Zeit mit dem Kind kom- frühkindlichen Kinderbetreuung. Der gesellschaftli- pensieren. Damit Eltern dazu in der Lage sind, sind che Ruf der frühkindlichen Fremdbetreuung hat sich ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit Grundvoraus- in den letzten Jahren deutlich verbessert. In der setzungen. Schweiz wird ein Drittel aller Kinder fremdbetreut (in Grossstädten über die Hälfte). Dennoch ist die «Was mir bei der ersten professionellen Unter Entscheidung, ob und in welcher Form Fremdbe- stützung gefehlt hat, war ein individuelles Gespräch treuung infrage kommt, nach wie vor anspruchsvoll mit mir als Person, nicht immer eine Suche nach und sollte von den Eltern unabhängig von Beeinflus- Lösungen und Harmonie […]. Es war […] eine sehr sungen durch andere in Rücksichtnahme auf das schöne Überraschung, […] in ein langes Gespräch jeweilige Kind und seine Bedürfnisse getroffen über meine Erlebnisse zu kommen.» werden. Studien zeigen bezüglich motorischer, kog- Peter Howes, ehemaliger Betroffener nitiver, sozialer und sprachlicher Entwicklung bei Kindern im Alter von eineinhalb bis zwei Jahren Weiter konnte gezeigt werden, dass eine wohlwol keinen Unterschied, unabhängig davon, ob sie aus- lende, stabile und vertrauensvolle Begleitung durch schliesslich bei den Eltern, bei Verwandten oder Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialsystem zur ins titutionell fremdbetreut wurden. Kinder sind psychischen Gesundheit von Eltern beiträgt. Eine of- schon in jungen Jahren fähig, auch eine sichere fene Kommunikation auf Augenhöhe wird von Eltern Bindung zu nichtelterlichen Betreuungspersonen besonders geschätzt. Damit Eltern möglichst viel aufzubauen. Allerdings zeigen Studien, dass nicht Selbstwirksamkeit und Kontrolle erleben können, jedes Kind gleich auf eine sehr frühe und intensive ist es wichtig, dass Fachpersonen sie mit den nöti- Fremdbetreuung reagiert; daher sollten die indivi- gen Informationen versorgen und den vorhandenen duellen Bedürfnisse einbezogen werden. Weiter Handlungsspielraum im Einklang mit den Bedürf- ist es wichtig, dass die Eltern ihrerseits eine stabile, nissen der Eltern ausnützen. Eine Vernetzung zwi- sensitive Beziehung zum Kind aufbauen und ihre schen verschiedenen Fachpersonen hat sich hier als berufs bedingte Abwesenheit durch ausreichende besonders hilfreich erwiesen.
12 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 4 Risikofaktoren für die psychische Gesundheit 4.1 Individuelle Risikofaktoren und wird während und nach der Schwangerschaft durch das Stresserleben der Eltern beeinflusst. Eine genetische Vorbelastung (z. B. psychische Stö- Hohe Werte des Stresshormons Cortisol bei Müttern rungen in der Herkunftsfamilie oder in der Vergan- während und nach der Schwangerschaft hängen zum genheit) ist ein Hauptrisikofaktor für die Entwicklung Beispiel mit mehr Ängstlichkeit und einer schlechte- einer psychischen Störung. Studien weisen darauf ren Stressregulation beim Neugeborenen und einer hin, dass dies vor allem mit dem Stressregulations- ungünstigeren psychischen Entwicklung über meh- system zusammenhängt. Das Stressregulations rere Jahre nach der Geburt zusammen. Auf der an- system (die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen- deren Seite drücken sich psychische Belastungen Nebennierenrinden-Achse, kurz HHNA) stellt eine mitunter durch stressbedingte körperliche Reaktio- zentrale Schaltstelle für die psychische Gesundheit nen wie Hautirritationen, Verdauungsbeschwerden, dar. Dieses System entwickelt sich bereits pränatal Schlafstörungen und Bluthochdruck aus. ABBILDUNG 3 Einige wichtige Risikofaktoren für die psychische Gesundheit Individuell • Genetische Vorbelastung • Hormonelle Veränderungen • Medizinische Komplikationen • Stress • Unrealistische Ansprüche • Hohe emotionale Erregbarkeit • Traumatische Geburt • Schlafmangel • usw. • Arbeitsbelastung • Zeitmangel • Isolation • Mangelnde Unterstützung • Ausgrenzung Umwelt • Unflexible Rahmen • Abhängigkeit Sozial bedingungen • Konflikte • Finanzielle Sorgen • Erwartungsdruck • Tabus • Betreuungsaufgaben • Druck • usw. • usw.
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 13 Stress entsteht, wenn Anforderungen und Bewäl Östrogen, Progesteron, Noradrenalin oder Cortisol tigungsressourcen nicht im Gleichgewicht stehen. im Vergleich zu üblichen Hormonschwankungen Zur Stressbewältigung gibt es entsprechend zwei deutlich (teilweise mehr als hundertfach) erhöht. Ansatzpunkte: Anforderungen reduzieren und Be- Nach der Geburt fallen diese Hormonkonzentratio- wältigungskompetenzen erhöhen. Anforderungen nen wieder rasant ab und beim Abstillen verändern können reduziert werden, indem übertriebene An sie sich erneut markant. Es wird davon ausgegan- sprüche von aussen, zum Beispiel durch Arbeitge- gen, dass diese grossen Veränderungen im Hor- bende oder das soziale Umfeld, verändert werden, monhaushalt zur Entwicklung psychischer Sympto- aber auch indem überhöhte Ansprüche von innen an- me beitragen. Besonders risikoreich sind deshalb gepasst werden, zum Beispiel durch realistische Momente mit grossen Hormonveränderungen wie Erwartungen an sich selber oder den Abbau per die Geburt, der Milcheinschuss oder das Abstillen. fektionistischer Standards. Häufig unterschätzen Auch bei Männern lassen sich hormonelle Verän Eltern die Veränderungen, welche die Geburt eines derungen beobachten, die mit dem individuellen Er- Kindes mit sich bringt. Gerade die zusätzliche Ar leben und der Interaktion mit der Partnerin oder beitsbelastung, die Abnahme der gemeinsamen Zeit dem Partner und dem Kind zusammenhängen. und der Schlafdauer sind für viele Eltern über Körperliche Belastungen können ebenfalls Risiko raschend und stehen in einem Kontrast zu eigenen faktoren für die Entwicklung psychischer Störungen Vorstellungen, die sie vor der Geburt hatten, auch sein. So haben zum Beispiel Frauen mit einem Prä- aufgrund (teilweise unrealistischer) medialer und menstruellen Syndrom (PMS), Präeklampsie, Ge- gesellschaftlicher Vorbilder. Hier kann es für die stationsdiabetes oder prä- und postnataler Anämie Fachperson sinnvoll sein, häufige Veränderungen eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung und Herausforderungen rund um die Elternschaft depressiver Symptome. Ebenso kann die Geburt ein zu thematisieren und die Eltern in ihren Möglichkei- Risikofaktor für die psychische Gesundheit sein. Bei ten zu bestärken. mehr Geburten als von den Eltern erwartet kommt es zu Geburtskomplikationen. Nur knapp über die «Auch psychisch belastete Eltern geben ihr Hälfte der Frauen erlebt eine vaginale Spontange- Bestes zum Wohl ihrer Kinder. Das Bemühen burt, bei rund 44 Prozent kommt es zu geburtsme- wertschätze ich. Was sie bisher geleistet dizinischen Eingriffen. Etwa ein Drittel aller Frauen haben, anerkenne ich. Dann gelingt es meist erlebt die Geburt als traumatisch, was das Risiko leichter, Entlastung oder Unterstützung von für psychische Störungen erhöht. Besonders belas- aussen anzunehmen.» tend sind Frühgeburten, Totgeburten oder die Fest Dr. med. Helke Bruchhaus Steinert, Fachärztin stellung einer schweren Erkrankung oder Behinderung für Psychiatrie und Psychotherapie FMH des Kindes. Nach der Geburt sinkt gleichzeitig mit der Zunahme Auch bei den Bewältigungskompetenzen spielt die an Arbeitsaufgaben die durchschnittliche Schlaf- subjektive Einschätzung eine Rolle. Gerade bei frisch dauer bei den meisten Eltern. Abgesehen von der gebackenen Eltern, aber auch beim Erleben einer Menge an Schlaf ist die Schlafqualität entscheidend. psychischen Störung, werden die eigenen Fähigkei- Eltern von Kindern mit Schlafproblemen zeigen vor ten oft unterschätzt. Dazu gehört auch, den Fokus allem dann ein beeinträchtigtes psychisches Befin- darauf zu richten, was die Eltern bereits gut machen den, wenn ihre Schlafqualität schlecht ist. Eine tiefe (Ressourcenfokus), und den Selbstwert der Eltern Schlafqualität hängt ausserdem mit üblerer Laune, zu stärken. Gereiztheit sowie Wahrnehmung von mehr negati- Hormone stehen in engem Zusammenhang mit dem ven und weniger positiven Reizen zusammen. Wenn- psychischen Empfinden, der Stimmung und dem so- gleich die meisten Eltern weniger und schlechter zialen Verhalten inklusive dem Umgang mit dem schlafen, sollte dieser Umstand dennoch nicht als Kind und dem Partner oder der Partnerin. Wäh- selbstverständlich angesehen, sondern Möglichkei- rend eines normalen Menstruationszyklus erleben ten für mehr und besseren Schlaf genutzt werden. Frauen hormonelle Schwankungen im Rahmen von Schlafprobleme lassen sich in den meisten Fällen vier- bis sechsfachen Veränderungen des Hormon erfolgreich durch Verhaltensänderungen beheben. spiegels. In der Schwangerschaft sind Hormone wie Darunter fallen zum Beispiel Schlafhygienemass-
14 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern nahmen, Aufteilung der Kinderbetreuung in der zung zum Beispiel mit der Herkunftsfamilie hat sich Nacht (z. B. mittels Fläschchengabe) sowie Identifi- ebenfalls als problematisch für das Selbstbewusst- kation und Modifikation schlafhindernder Faktoren. sein und Wohlbefinden junger Familien erwiesen. Die Behandlung mittels Verhaltenstherapie zeigt Eine gute Balance be züglich Unterstützung und ausserdem positive Effekte auf die Schlafqualität, Selbstbestimmung ist wichtig. Besonders relevant während von der regelmässigen Einnahme von ist dabei, dass Eltern sich von ihrem Umfeld unter- Schlafmitteln abzuraten ist, da dies die Problematik stützt fühlen, und weniger, wie viel Unterstützung mittelfristig meistens verschlimmert. sie tatsächlich erhalten. In stressreichen Phasen sinkt die Frustrations toleranz und Menschen zeigen häufiger negatives 4.2 Soziale Risikofaktoren Verhalten. Auch deshalb nehmen im Übergang zur Elternschaft Konflikte häufig zu und werden des Soziale Ausgrenzung ist ein wichtiger Risikofaktor für truktiver. Die Abnahme der Partnerschaftszufrieden die psychische Gesundheit. Entsprechend zeigt sich heit, die bei vielen Paaren nach der Geburt eines bei Familien mit Migrationshintergrund und E xpats Kindes eintritt, erwarten viele Eltern nicht, was zu mit einer geringeren sozialen Einbettung häufig eine Enttäuschungen, Frustrationen und Konflikten füh- ungünstigere Anpassung an die Elternschaft. Auf ren kann. Partnerschaftskonflikte gehen entspre- der anderen Seite ist es für Familien wichtig, sich chend häufig mit Ängsten, Depressionen oder Sucht unabhängig von ihrem direkten Umfeld entwickeln erkrankungen einher. Eine zufriedene Partnerschaft und entfalten zu können. Eine zu starke Verschmel ist deshalb keinesfalls als Luxus zu betrachten,
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 15 denn sie ist für das Wohlbefinden der ganzen Familie Schliesslich stellen Mehrlingsgeburten einen Risiko ein zentraler Schutzfaktor. So konnte zum Beispiel faktor für die psychische Gesundheit der Eltern dar. gezeigt werden, dass Paarkonflikte während der Ganz generell hängt auch die Anzahl Kinder negativ Schwangerschaft mit Veränderungen im Regulations mit der psychischen Gesundheit von Eltern zusam- system des Neugeborenen zusammenhängen. Kin- men. Entgegen den Erwartungen vieler Eltern wird der sind äusserst sensibel und spüren Negativität, die Elternschaft mit der Geburt eines zweiten oder auch ohne Worte und durch verschlossene Türen dritten Kindes nicht unbedingt leichter, sondern jedes hindurch. Die Forschungslage deutet klar darauf zusätzliche Kind bringt neue Heraus forderungen hin, dass Kinder, die häufig destruktive Konflikte bezüglich Koordination, Beziehungsgestaltung und erleben, mehr körperliche Erkrankungen, häufiger Rollenfindung mit sich. Oft erleben ältere Geschwis- psychische Störungen, schlechtere Schulnoten, ter auch Eifersucht gegenüber dem Neugeborenen Schlafstörungen und soziale Probleme erleben. und brauchen Unterstützung in der Anpassung an Dies beeinflusst wiederum die psychische Gesund- die neue Situation sowie die geteilte Aufmerksam- heit der Eltern negativ. keit. Auch hier können zum Beispiel Mütter-Väter- Beraterinnen und -Berater oder Familientherapeu- «Um das Kind zu schützen, geht es auch darum, tinnen und -therapeuten Eltern unterstützen. die Beziehungsdynamik zwischen den Eltern zu pflegen.» «Jedes Elternpaar steht vor ganz individuellen Prof. Dr. Joëlle Darwiche, Psychologieprofessorin Herausforderungen im neuen Familienalltag, und Familientherapeutin beeinflusst durch persönliche Erfahrungen und sozioökonomische Gegebenheiten.» Es ist nicht relevant, ob Eltern Probleme haben oder Mandy Bührer, Hebamme MSc welche, sondern wie sie damit umgehen. Besonders destruktive Konflikte zeichnen sich dadurch aus, Eine mangelnde, als unzureichend erlebte Unterstüt dass sie häufig vorkommen, lange dauern, intensiv zung durch Fachpersonen im Sozial- und Gesund- sind und dass vor allem keine Versöhnung stattfin- heitssystem kann Eltern ebenfalls belasten. Zum det. Konstruktive Konflikte auf der anderen Seite Beispiel konnte gezeigt werden, dass Eltern, die ein- zeichnen sich dadurch aus, dass beide Personen fühlsam durch die Geburt begleitet wurden, diese ihre Meinung anhand von konkreten Situationen, in als weniger traumatisch erlebten. Auf der anderen Ich-Form und mit Fokus auf die eigenen Gefühle und Seite führten Tabuthemen (wie z. B. Sexualität, Suizid Bedürfnisse formulieren sowie einander zuhören. gedanken oder einfach die Psyche und psychische Stö Für Kinder ist ausserdem wichtig, dass sie nach rungen), die von Fachpersonen nicht angesprochen Konflikten eine Versöhnung der Eltern erleben. wurden, zu einer schlechteren psychischen Gesund- heit und wurden als belastend und isolierend erlebt durch die Eltern. Rigide Rahmenbedingungen, man 4.3 Umweltbezogene Risikofaktoren gelndes Verständnis und Druck durch Arbeitgebende gehören ebenfalls zu den Risikofaktoren für die psy- Neben den biopsychosozialen Herausforderungen chische Gesundheit von Eltern. gilt es für frischgebackene Eltern in erster Linie weiterhin den ganz normalen Alltag zu bewältigen. Mit einem Neugeborenen nimmt die zusätzliche Arbeitsbelastung deutlich zu. Hierbei haben viele Eltern die unrealistische und oft auch lähmende Vor- stellung, alles alleine schaffen zu müssen. Finanzielle Sorgen, welche mit dem Familienzuwachs häufig einhergehen, können dabei zusätzlich die psychische Gesundheit belasten und die Inanspruchnahme von Hilfe vermindern. Integrative Massnahmen und sub- ventionierte Unterstützung sollten in diesen Fällen angeboten werden.
16 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 5 Mit Eltern über die psychische Gesundheit sprechen 5.1 Erkennen, wie es um die psychische Gesundheit eines Elternteils steht Die psychische Gesundheit setzt sich aus verschie- wenn sie von nichtpsychologischen/-psychiatrischen denen Aspekten zusammen. Menschen können in Fachpersonen verteilt werden. Bereits der Einsatz einem Bereich ein hohes Wohlbefinden aufweisen solcher Fragebögen wirkt sich positiv auf die psychi- und in einem anderen sehr belastet sein. Auch bei sche Gesundheit von Eltern aus, weswegen mehrere Menschen mit psychischen Störungen gibt es immer internationale Fachverbände eine regelmässige Er- auch Bereiche, in denen sie gesund und weiterhin fassung der psychischen Gesundheit von Eltern mit- leistungsfähig sind. Daher kann es schwierig sein, tels solcher Fragebögen empfehlen. Für den Erhalt die psychische Gesundheit einer Person in allen Fa- psychischer Gesundheit und die Früherkennung und cetten zu erfassen. Eine Möglichkeit, die besonders Versorgung psychischer Belastungen wird empfoh- effizient ist, sind Fragebögen, mit denen Eltern len, die Fragebögen ab der Schwangerschaft bis ein ihre eigene psychische Gesundheit in verschiedenen Jahr nach der Geburt regelmässig an beide Eltern- Bereichen selber einschätzen können. Auf deren teile abzugeben. Grundlage kann anhand eines wissenschaftlich er- mittelten Summenwerts ermittelt werden, wie hoch «In meiner Tätigkeit als Mütter- und Väterberaterin die Belastung ist und was zum Wohlbefinden der ist es wichtig, eine konstante Begleitung gewähr Eltern getan werden kann. leisten zu können und sie emotional haltend, wert- Nachfolgend finden Sie ein Instrument zur Erfas- schätzend sowie individuell, aber auch mit meinem sung der psychischen Gesundheit. Das Screening- Fachwissen zum Thema psychische Gesundheit Instrument kann sehr gut von nichtpsychologischen/ zu unterstützen. Dies gelingt mir unter anderem, -psychiatrischen Fachpersonen angewendet wer- weil ich die Möglichkeit habe, der Mutter oder den. Internationale Studien zeigen, dass die Mehr- dem Vater regelmässige Gespräche bei ihnen zu heit der Eltern (60–90 %) solche Fragebögen als an- Hause anzubieten.» genehm, wünschenswert und hilfreich empfinden, Vera Tomaschett, Mütter- und Väterberaterin HF
Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 17 Für die Eltern ist es hilfreich, wenn Sie ihnen Sinn Sie den Fragebogen Mental Health Inventory (MHI), und Zweck des Fragebogens verdeutlichen und ihn der die allgemeine psychische Gesundheit mit fünf einordnen, zum Beispiel, indem Sie sagen: Das psy- Fragen erfasst. Für die Erfassung der häufigsten chische Wohlbefinden ist wichtig für Eltern. Gleich- psychischen Störungen können Sie zusätzlich den zeitig kommen Eltern nach der Geburt eines Kindes Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D) ver- oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, was sich wenden oder auch störungsspezifische Fragebögen negativ auf ihr Wohlbefinden auswirken kann. Dann wie die Edinburgh-Postnatale- Depressions-Skala ist es wichtig, dass Sie Unterstützungsmöglichkeiten (EPDS). finden. Damit sich Eltern nicht stigmatisiert fühlen, empfiehlt es sich, wirklich allen Eltern den Frage «Ich habe lange gedacht, ich sei unfähig, schwach, bogen zu geben und das als Standardprozedere zu einfach nicht für die Mutterrolle gemacht. Erst die kommunizieren. So nehmen Sie sich auch den Druck, Punktzahl der Edinburgh-Postnatale-Depressions- besonders belastete Eltern zu erkennen. Psychische Skala hat mir schwarz auf weiss g ezeigt, dass ich Belastungen sind meistens von aussen nicht sicht- wohl krank bin – und dies war der erste Schritt auf bar und viele Eltern bemühen sich, sich nach aussen meinem Weg zur Heilung.» nichts anmerken zu lassen. Ein Fragebogen bietet Andrea Borzatta, ehemalige Betroffene und Präsidentin des ausserdem eine Gesprächsgrundlage – auch über Vereins Postpartale Depression Schweiz Bereiche, die aktuell gut laufen. Im Folgenden finden Standardisierte Erfassung mit dem Mental Health Inventory (MHI) 1. Wie oft waren Sie in den vergangenen 4 Wochen glücklich? 1 Immer 2 Meistens 3 Oft 4 Manchmal 5 Selten 6 Nie 2. Wie oft haben Sie sich in den vergangenen 4 Wochen ruhig und gelassen gefühlt? 1 Immer 2 Meistens 3 Oft 4 Manchmal 5 Selten 6 Nie 3. Wie oft waren Sie in den vergangenen 4 Wochen sehr nervös? 6 Immer 5 Meistens 4 Oft 3 Manchmal 2 Selten 1 Nie 4. Wie oft fühlten Sie sich in den vergangenen 4 Wochen entmutigt und traurig? 6 Immer 5 Meistens 4 Oft 3 Manchmal 2 Selten 1 Nie 5. Wie oft waren Sie in den vergangenen 4 Wochen so niedergeschlagen, dass Sie nichts a ufheitern konnte? 6 Immer 5 Meistens 4 Oft 3 Manchmal 2 Selten 1 Nie Erreichte Punktzahl: 0 Auswertung: Zählen Sie die Punkte zusammen. Je höher die Summe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person psychisch belastet ist. Es gibt keinen eindeutigen Wert für besonders belastete Personen, jedoch spricht man bei Werten ab 11 häufig von psychisch belasteten Personen. Werte ab 17 deuten auf eine deutliche psychische Belastung hin, die psychologisch oder psychiatrisch abgeklärt werden sollte. Bitte beachten Sie, dass ein Fragebogen keine klinische Diagnose darstellt. Er kann lediglich Hinweise darauf l iefern, ob das Aufsuchen professioneller Hilfe angezeigt ist. Nutzen Sie die Fragebögen auch dafür, aufzuzeigen, welche Bereiche gut laufen und wie das aufrechterhalten werden kann. Darüber hinaus können die Werte ein Mittel sein, um Verbesserungen aufzuzeigen und dadurch zum Beispiel Erfolge von verändertem Gesund- heitsverhalten aufzuzeigen.
18 Informationen und Empfehlungen für Fachpersonen zur psychischen Gesundheit von Eltern 5.2 Erfassung von Schutz- und Risikofaktoren im persönlichen Gespräch Neben standardisierten Fragebögen haben Sie auch weitere Nachfragen zu stellen und auf die indivi die Möglichkeit, spezifische Risiko- und Schutzfak- duellen Bedürfnisse der Person einzugehen. Hier toren im persönlichen Gespräch mit offenen Fragen finden Sie einige Vorschläge für mögliche Fragen zu zu erheben. Das gibt Ihnen auch die Möglichkeit, den Risiko- und Schutzfaktoren. Offene Fragen nach persönlichen Schutzfaktoren 1. Was hat Ihnen in letzter Zeit besonders g utgetan? 2. Woran haben Sie besonders Freude? Was gelingt Ihnen gut? 3. Welche Aktivitäten machen Sie gerne? 4. Wie können Sie sich in kurzen Momenten gut entspannen? 5. Welche Stärken haben Sie? 6. Welche Strategien haben sich für Sie in der V ergangenheit bewährt? 7. Wie haben Sie in der Vergangenheit Krisen oder Herausforderungen erfolgreich bewältigt? 8. Von wem haben Sie praktische, sachliche U nterstützung bekommen? 9. Von wem haben Sie emotionale Unterstützung bekommen? 10. An wen können Sie sich wenden, wenn Sie nicht mehr weiterwissen? Wer kann notfallmässig auf Ihr(e) Kind(er) aufpassen, wenn Sie schnell Entlastung brauchen? Direkte Fragen nach persönlichen Risikofaktoren 1. Hatten Sie schon das Gefühl, von den Alltagsanforderungen erdrückt zu werden? 2. Fühlen Sie sich immer wieder niedergeschlagen oder aufgewühlt? 3. Haben Sie oder jemand aus Ihrer Familie schon einmal eine oder mehrere psychische Krisen e rlebt? 4. Gab es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie nicht weiterwussten oder verzweifelt waren? 5. Haben Sie auch schon daran gedacht, sich etwas anzutun oder nicht mehr leben zu wollen? 6. Haben Sie medizinische Komplikationen, belastende Eingriffe oder traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit S chwangerschaft und Geburt erlebt? 7. Neigen Sie unter Stress zum Konsum von A lkohol oder anderen Substanzen? 8. Erlebten Sie schon mal Gewalt oder waren s elber gewalttätig? 9. Fühlen Sie sich anderen gegenüber als unterlegen oder minderwertig? 10. Fühlen Sie sich einsam? 11. Kam es in der letzten Zeit vermehrt zum K onsum von Alkohol oder anderen Substanzen? 12. Erlebten Sie in letzter Zeit Gewalt bei Ihnen oder in Ihrem Umfeld? 13. An wen können Sie sich wenden, wenn Sie nicht mehr weiterwissen? 14. Wer kann notfallmässig auf Ihr(e) Kind(er) aufpassen, wenn Sie schnell Entlastung b rauchen?
10 Empfehlungen für Fachpersonen zur Förderung von Schutzfaktoren 1. Trauen Sie sich, mit Eltern über ihre psychische Gesundheit zu sprechen Eltern wünschen sich, dass ihre psychische Gesundheit thematisiert wird, gerade von nicht-psychologischen/-psychiatrischen Fachpersonen. Diese können oft niederschwellig agieren, da häufig bereits eine Vertrauensbeziehung besteht. Das Wichtigste für Ihren Praxisalltag 2. Lenken Sie den Fokus auch auf die schönen Seiten des Elternseins Fragen Sie als Fachperson explizit auch danach, was bei Eltern gut läuft oder woran sie besondere Freude hatten. Sie dürfen die Eltern auch dazu ermutigen, sich immer wieder schöne Momente und regelmässige Entspannung einzuplanen. Oft heisst das auch, sich Genuss für die kleinen Freuden des Lebens zu e rlauben. 3. Konzentrieren Sie sich auf die kleinen Schritte Achten Sie darauf, keine unrealistischen Erwartungen zu schüren. Oft geht es nicht um grosse Veränderungen, sondern um kleine Veränderungen in die richtige Richtung. Sich fünf Minuten Zeit für sich zu nehmen oder einmal ums Haus zu gehen, kann schon viel zum psychischen Wohlergehen beitragen. 4. Anerkennen und loben Sie Eltern dafür, was sie bereits gut können Sparen Sie nicht mit Lob und Anerkennung für alles, was Eltern schon g eschafft haben. Alle Eltern haben bereits einiges geleistet bis zum aktuellen Z eitpunkt, was aber häufig zu wenig gewürdigt wird im Vergleich zu den Herausforderungen. Lobenswert können sowohl persönliche Stärken wie G eselligkeit, O ptimismus oder Humor sein wie auch Offenheit oder Mut, sich Herausforderungen zu stellen, eigene Lösungen zu ent- wickeln oder Hilfe a nzunehmen. 5. Geben Sie Eltern Orientierung durch Informationen und Handlungsspielraum Orientierung und Kontrolle gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen und sind Schutzfaktoren für die Bewältigung von Herausforderungen. Für Eltern ist es daher wichtig, dass sie ihre eigenen Entscheidungen auf Basis grösstmöglicher Informiertheit treffen können. Sie dürfen also als Fachperson die Eltern gerne sachlich informieren und sie dann in ihren eigenen Entscheidungen stärken.
6. Halten Sie mit den Eltern das Hier und Jetzt aus Veränderungen sind mit Aufwand und Unsicherheit verbunden – das gilt auch für positive Veränderungen und den Aufbau von neuen (gesunden) Verhaltensweisen. Manchmal kann das für Fachpersonen auch bedeuten, mit Eltern auszuhalten, dass eine Veränderung aktuell nicht möglich oder gewünscht ist, oder einen Mangel an Motivation, Willen oder Mut zur Veränderung anzunehmen. L assen Sie sich davon nicht entmutigen, sondern blei- ben Sie dran und in Beziehung. 7. Helfen Sie mit, Wege für regelmässige Bewegung zu finden Das Wichtigste für Ihren Praxisalltag Empfohlen wird ausserdem, dass sich Eltern regelmässig bewegen. Eine medizinische Fachperson sollte zur Abklärung beigezogen werden, um die Sicherheit der Aktivität zu gewährleisten. Helfen Sie mit, dass Eltern Wege für Bewegung finden, die ihnen gut- tut. Auch hier geht es um die kleinen Schritte. 8. Aktivieren Sie Unterstützung aus dem Umfeld Damit sich Eltern kleine Erholungsoasen schaffen können, ist die Unterstützung aus dem Umfeld zentral. Fragen Sie Eltern, wer aus dem Umfeld einmal babysitten, kochen oder bei einer Erledigung helfen kann. Meistens sind Nachbarn, Grosseltern sowie Freundinnen oder Freunde gerne bereit, den Eltern eine kurze Verschnaufpause zu ermöglichen. 9. Ziehen Sie Angebote aus der Umgebung bei Entlastungsdienste, Betreuungsangebote, Gemeindezentren, Tauschbörsen und Angebote von Vereinen oder Organisationen können zur Unterstützung herangezogen werden. Manchmal hilft aber auch ein Austausch mit anderen Eltern, seien dies Freundinnen, Freunde oder Angehörige von Online-Communitys, um sich v erbunden und unterstützt zu fühlen. Halten Sie mit den Eltern zusammen nach A ngeboten in der Umgebung Ausschau – auch online. 10. Bestärken Sie Eltern in ihrem eigenen Weg Schliesslich hilft den Eltern das, womit sie sich wohlfühlen. Die Passung zwischen Bedürfnis und Unterstützung ist der Schlüssel zum Erfolg der Unterstützung. Daher ist es wichtig, die Eltern auf ihrem individuellen Weg zu begleiten und ihnen auch das Vertrauen zuzusprechen, für sich selber die passende Entscheidung zu treffen.
10 Empfehlungen für Fachpersonen zum Umgang mit Risikofaktoren 1. Klären Sie regelmässig psychische Belastungen ab Die psychische Gesundheit verändert sich meist schleichend und graduell. Da bereits leichte S ymptome Vorboten einer Verschlimmerung sein können, ist davon abzuraten, bis zur grossen Krise zu warten. Geben Sie regelmässig Fragebögen an die Eltern ab, damit Sie selber deren aktuelle psychische Verfassung und Veränderungen erkennen können. Das Wichtigste für Ihren Praxisalltag 2. Überprüfen Sie individuelle Risikofaktoren Fragen Sie Eltern nach psychischen Problemen in der eigenen oder familiären Vergangen- heit. Bei genetischer Vorbelastung ist besondere Vorsicht während der Schwangerschaft und nach der Geburt geboten. Ausserdem sind medizinische und Geburtskomplikationen Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer P robleme – und umgekehrt. Es ist emp fehlenswert, dass Sie die psychische Verfassung von Personen mit solchen Risikofaktoren besonders regelmässig d okumentieren (zum Beispiel mit Stimmungs-Apps oder Kurz fragebögen), um schnell auf Verschlechterungen reagieren zu können. 3. Verständigen Sie sich über Warnzeichen Die meisten Menschen haben schon einmal in ihrem Leben Herausforderungen gemeistert und w issen, wie sie auf Belastung reagieren. Fragen Sie Eltern, woran sie bei sich selber merken, dass es ihnen schlecht geht und sie an ihre G renzen stossen. 4. Arbeiten Sie «Notfallpläne» aus Bei starken Emotionen oder Krisen ist das Denken und Fühlen beeinträchtigt, sodass man sich manchmal nicht mehr selber helfen kann. Überlegen Sie mit Eltern z usammen, wel- che Strategien ihnen dann helfen, an wen sie sich in so einem Fall wenden können und wer in einem Notfall das Kind kurzfristig betreuen kann. Es kann auch hilfreich sein, diese Informationen aufzuschreiben, um sie bei Bedarf hervornehmen und anwenden zu können. 5. Ordnen Sie mit Eltern häufige Herausforderungen ein Viele Eltern fühlen sich überfordert oder allein gelassen mit den häufig unerwarteten Her- ausforderungen rund um die Elternschaft. Die Botschaft, dass die Elternschaft für alle Eltern herausfordernd ist, kann hier entlastend sein. Ausserdem ist es wichtig zu betonen, dass psychische Probleme häufig sind nach der Geburt des Kindes (bei rund einem Fünf- tel aller Eltern kommt es zu einer psychischen Störung in dieser Zeit, bei der Hälfte aller Menschen irgendwann einmal im Leben) und dass die meisten Eltern eine Zunahme an Stress, Konflikten und Schlafproblemen erleben. Das hat nichts mit Versagen zu tun, son- dern einfach damit, Mensch zu sein.
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