Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China)
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) Stefan Borsos Inhalt 1 Einleitung: ‚Die Richtigstellung der Bezeichnungen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2 Melodram=wenyipian? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3 Action-Genres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Kantonesische Blockbuster: der Neujahrsfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5 Fazit: Genretheorie transkulturell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Zusammenfassung Auch dank der populären Samuraifilme Kurosawa Akiras entwickelt sich bereits früh in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Kinematografien Ostasiens ein Schwerpunkt auf Genre-Phänomene. Die Frage, inwieweit sich unter Begrif- fen wie geki, eiga, mono, guk oder pian gefasste Gruppierungen von Filmen als Genres im westlichen Sinne verstehen lassen, wird jedoch kaum gestellt. Diese Fragestellung als Ausgangspunkt nehmend spürt dieses Kapitel dem historischen Wechselspiel des ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘ in ostasiatischen Genrekonfiguratio- nen nach und sucht zu verstehen, unter welchen Bedingungen einerseits ‚fremde‘ Genres Bedeutung erlangen, andererseits ‚eigene‘ Genres entstehen. Editorische Notiz: Ostasiatische Namen, Titel und Begriffe werden in den gängigen Transkriptionssystemen ohne Tonhöhenakzente und Schriftzeichen widergegeben. Die Schreibweise von Personennamen erfolgt in der dort gebräuchlichen Reihenfolge: Nachname, Vornahme; – d. h. Kurosawa Akira bzw. Zhang Che bzw. Shin Sang-ok. Ausnahmen bilden lediglich in den USA oder Europa aufgewachsene ForscherInnen wie etwa Zhen Zhang, die die dort übliche Namensreihenfolge bevorzugen. S. Borsos (*) Institüt für Medienwissenschaft, Ruhr Universität Bochum, Bochum, Deutschland E-Mail: sborsos@t-online.de © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 1 M. Stiglegger (Hrsg.), Handbuch Filmgenre, Springer Reference Geisteswissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09631-1_17-1
2 S. Borsos Schlüsselwörter Asien · Hybridität · Melodram · Wuxiapian · Jidai-geki · Mukokuseki akushon · Interkulturelle Analyse · Martial-Arts-Film · Heroic Bloodshed 1 Einleitung: ‚Die Richtigstellung der Bezeichnungen‘1 „Does Chinese production even have genres?“, fragte Stephen Crofts noch 1993 in seiner Taxonomie nationaler Kinematografien jenseits Hollywoods (Crofts 2006, S. 56). Spätestens seit dem globalen Erfolg von Hero (VR China 2001, R: Zhang Yimou) scheint die Antwort auf diese Frage offenkundig. Auch was die anderen Kinematografien Ostasiens angeht – das sind außer China noch Hongkong, Taiwan, Korea sowie Japan –, bestehen kaum Zweifel daran, dass das populäre Kino Ost- asiens auch ein Genrekino ist. Nach vereinzelten ersten Untersuchungen in den 1970er- (Kaminsky 1972; Croizier 1972; Anderson 1973; Schrader 1974; Nolley 1976) wie 1980er- und frühen 90er-Jahren (Lau und Leong 1980, 1981; Desser 1983; Silver 1983; Li und Teo 1989; Dissayanake 1993) hat die Beschäftigung mit asiatischen Genrefilmen vor allem im neuen Millennium einen mittlerweile kaum überschaubaren Korpus produziert. Zu besonders populären Genres wie dem Samu- rai- und Martial-Arts-Film, Horror und Film noir liegen neben unzähligen Aufsätzen mittlerweile auch eine Reihe Sammelbände (McRoy 2005; Cho 2011; Peirse und Martin 2013; Po und Lau 2014; Shin und Gallagher 2015; Yau und Williams 2017; Bettinson und Martin 2018) und Monografien (Thornton 2008; McRoy 2008; Balmain 2008; Teo 2009; Crandol 2015; Yip 2017; Teo 2017; Zahlten 2017; Trausch 2018; Brown 2018; von Haselberg 2019) vor. Genre-Studien sind mithin zu einem veritablen Forschungsschwerpunkt nicht nur der Film-, Medien-, sondern auch der Regionalwissenschaften avanciert. Dennoch lassen sich Irritationsmomente2 finden, wenn etwa Tony Williams den Gangsterfilm Hongkongs als „a hybrid entity“ oder „a more diverse genre“ 1 Dieser Begriff bzw. Programmatik (chinesisch: zhengming) ist, so Robert H. Gassmann, „eines der zentralen Themen der Geistesgeschichte im alten China“ (Gassmann 1988, S. 1). Auch im vorlie- genden Zusammenhang geht es um das ,Verhältnis von Wort und Wirklichkeit‘ – allerdings, das sei dabei betont, mit der Zielsetzung, Fragen aufzuwerfen, nicht um bestimmte Wahrheiten im Sinne einer Ideologie zu propagieren, wie es beispielsweise im Konfuzianismus üblich war. 2 Es handelt sich hierbei nicht um jene Irritationen, die Hans-Peter Preusser und Sabine Schlickers in ihrem Band als „(formal zu nobilitierende) Differenz und Diskrepanz“ (Preusser und Schlickers 2019, S. 8, Hervorh.i.Orig.) produktiv machen wollen und mit „narrativen Verfahren zur Erzeu- gung von Täuschung, Paradoxien, Überraschung, Rätsel, Verwirrung und Ambiguität“ (Preusser und Schlickers 2019, S. 7, Hervorh.i.Orig.) verwandt sind, wie auch „unkonventionelle oder unerwartete Abweichungen auf der Ebene des visuellen Stils, Schock-Aspekte“ (Preusser und Schlickers 2019, S. 8) einbeziehen. Ebenso wenig sind sie im Sinne von Todd Berliners booby trap zu verstehen, mit deren Bild der Autor Genre-Konventionen meint, die in Produktionen des New-Hollywood-Kinos bewusst dazu mobilisiert werden, um die Erwartungshaltungen des Publi- kums zu unterlaufen (Berliner 2001). Schließlich sind damit auch nicht jene „abrupt shifts of tone, style, and generic reference“ gemeint, die für Ira Jaffe das sehr weit gefasste zeitgenössische hybrid cinema definieren (Jaffe 2008, S. 3).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 3 (Williams 2007, S. 357) klassifiziert. „The Hong Kong gangster film“, so Williams, „is a genre having similarities with its Western counterparts. But, like its Japanese yakuza cousin, it has key associations with a Triad culture which has exercised a key role in Chinese history, both past and present“ (Williams 2007, S. 359). In seiner Diskussion des Hongkong-Horrorkinos der 1970er- und 80er-Jahre schreibt Cheng Yu gar von „Hongkong cinema’s inability to establish a proper Horror genre“ (Cheng 1989, S. 20). In ähnlicher, wenn auch differenzierterer, Weise haben verschiedene AutorInnen die Eigenheiten von Genres im südkoreanischen Kino zu beschreiben versucht (Diffrient 2003; Berry 2004, S. 115; Stringer 2005; Klein 2008; Utin 2016; Matron 2016). Pablo Utin beispielsweise führt für textuelle Strategien von rezenten Fallbeispielen wie The Host (Südkorea 2006, R: Bong Joon-ho) und Save the Green Planet! (Südkorea 2003, R: Jang Jun-hwan) den Begriff der slippery structure ein, die sich im Unterschied zu Praktiken von hybridity, mixing und bending „not just in abrupt genre shifting but also in tonal inconsistencies“ (Utin 2016, S. 49) manifes- tiert. Als Resultat dieser unvorhergesehenen Genre- und Ton- bzw. Stimmungswech- sel, schreibt Utin in Anlehnung an Douglas Pye, „there is an unexpected change in the nature of the film, leading to an instability, discomfort and disorientation regarding the attitude of the film towards its own subject matter and towards the spectator“ (Utin 2016, S. 49).3 Selbst Stephen Teo, der sich an anderer Stelle akribisch an den begrifflichen Nuancen des Hongkong-chinesischen Gangsterfilms und mithin einer differenzierten Darstellung spezifischer lokaler Formen und Dis- kurse abarbeitet (Teo 2014), beschreibt den thailändischen Spielfilm Tears of the Black Tiger (Thailand 2000, R: Wisit Sasanatieng) als „genuinely bizarre hodge- podge of Thai melodrama and Western action“ (Teo 2017, S. 11).4 So eindeutig mithin die Antwort auf die eingangs zitierte Frage lauten mag, so häufig wird sie auf die ein oder andere Art qualifiziert. All diese Befunde stellen das ‚Fremde‘ gegenüber dem ,Eigenen‘ heraus und sind unweigerlich in eine Form des ‚Othering‘ verstrickt. Teo setzt seine Diskussion seiner eastern western ausschließ- lich auf der Folie des US- oder Euro-Western an;5 dass die südkoreanischen Exem- 3 So wichtig Utins Beobachtungen und Diskussion sind, so problematisch ist seine Begriffswahl. Mit slippery im Sinne von rutschig oder glitschig schwingt nicht nur eine gewisse Arbitrarität mit, sondern unweigerlich auch die Freud‘sche ,Fehlleistung‘. Obwohl Utin betont, dass diese slippery structure keine „inherently Korean aesthetic strategy“ (Utin 2016, S. 55) darstelle, erfolgt mit dem Verweis auf das Konzept einer südkoreanischen compressed modernity doch eine Rückbindung an ethno-kulturalistische Erklärungsmuster (Utin 2016, S. 55–56). 4 In seiner Diskussion von The Good, the Bad, the Weird (Südkorea 2008, R: Kim Jee-woon) schlägt Teo gar die Begriffe weird und, im Sinne von Jeffrey Sconces Verständnis des paracinema, bad für die Charakterisierung der eastern western vor (Teo 2017, S. 65–68). 5 Diese Privilegierung US-amerikanischer und europäischer Vorbilder führt dazu, dass südkoreani- sche Exemplare wie Break the Chain (Südkorea 1971, R: Lee Man-hee) oder Three Villains in the River Songhwa (Südkorea 1965, R: Kim Muk) als Referenzen ignoriert und mithin ein gesamter generischer Zyklus aus der Genealogie getilgt wird. Teo nennt zwar Break the Chain wie auch The Burning Continent (aka The Continent on Fire, Südkorea 1965, R: Lee Yong-ho), scheint aber seine Kenntnisse nur aus zweiter Hand zu haben und geht deshalb auch kaum detaillierter auf die Beispiele ein.
4 S. Borsos plare der 1960er-Jahre etwa innerhalb Südkoreas seinerzeit unter vollkommen anderen Begriffen zirkulierten, mal der Kategorie des ,antikommunistischen Films‘ zugeordnet (Diffrient 2003; Shim 2011),6 mal als dairyuk hwalguk (continental action), als Manju hwalguk (Manchurian action) oder schlicht als daeryukmul (continental film) gruppiert wurden (Chung und Diffrient 2015, S. 97), interessiert ihn nicht.7 Andy Willis spricht hier von einem critical implant und weist mit Bezug auf (vermeintliche) Hongkong-Film-noirs wie One Nite in Mongkok (HK/VR China 2004, R: Derek Yee), Divergence (HK/VR China 2005, R: Benny Chan), Beast stalker (HK/VR China 2008, R: Dante Lam) und PTU (HK 2003, R: Johnnie To) darauf hin, dass the desire to connect Hong Kong crime films to traditions developed within Hollywood can work to dislocate these works from the very particular contexts of their production and, perhaps more significantly, the cinematic traditions from within which aspects of their form and content have developed. The assertion of links to Hollywood film cycles also results in the privileging of that cinema as the originator of particular styles, and the dismissal of other national and local cinemas as merely derivative and by extension lacking in innovation or originality (Willis 2015, S. 164). In ähnlicher Weise äußert sich Dimitris Eleftheriotis zum Begriff des ,Spaghetti- Western‘ und dessen Verhältnis zum US-amerikanischen Western: While this is a well-intended intervention that challenges naturalized notions of ,authenti- city‘ and questions the Hollywood norm, it also offers a rather biological understanding of the spaghetti western as a hybrid/impure product of two pure primary entities. There is no doubt that the Spaghetti Western is the product of cultural interaction and exchange. It must be approached, nevertheless, in a way that accounts for the textual specificity of the genre and at the same time relates such forms to a dynamic field of power relations and to national and international historical contexts (Eleftheriotis 2004, S. 310). 6 David Scott Diffrient erklärt: „To label the anticommunist film a genre–or, more accurately, an umbrella genreencompassing everything from war films and division dramas (narratives centered on divided families and ideological conflicts) to espionage thrillers and melodramas – may strike some readers as a conflation of political and literary/art-historical terms. However, no country other than South Korea (and possibly Taiwan) went so far as to institutionalize anticommunism as a categorical imperative through the implementation of industry-wide standards and protection policies. In fact, beginning in 1966 (the heyday of state-backed war, spy, and action films), such categories as „Best Anticommunist Film“ and „Best Anticommunist Screenplay“ were incorporated into the Grand Bell Awards, South Korean cinema’s highest honor, further bolstering the Park Chung Hee regime’s official discourse“ (Diffrient 2005, S. 23). 7 Der Begriff hwalguk (wörtl.: ‚lebendiges Theater‘, im übertragen Sinne: Actionfilm, jap.: katsu- geki) stammt aus der Kolonialzeit (1910–1945) und ist in seinen Ursprüngen mit dem japanischen Theater und Kino verstrickt (Kim 2005, S. 100–101). Differenzierter als Teo nähert sich Jinsoo An dem Thema, wenn er die Western-Referenzen benennt, sie aber historisiert und im übrigen bei dem koreanischen Begriff bzw. der englischen Übersetzung contintental action bleibt (An 2010).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 5 Und an anderer Stelle: On the level of the industry the relationship between the Spaghetti and the American Western is by no means simple and cannot be reduced to a conflict between the hegemonic power of Hollywood’s global cinema and the flexible opportunism of a commercial national cinema. The textual relationship between the two reflects such complexity and dynamism that any attempt to understand the Spaghetti as a ,counterfeit‘ or as a clumsy attempt to imitate Hollywood becomes fundamentally reductive and misleading. The textuality of the Spa- ghetti involves an eclectic engagement with the American Western that demonstrates both an awareness of the national specificity of the latter and a desire to overcome and evade national ideologies and histories (Eleftheriotis 2004, S. 313). Auch in Bezug auf die Kinematografien Ostasiens ist demnach Ian Robert Smith zu widersprechen, wenn er Hollywood im Zentrum der globalen Filmproduktion verortet und, so sehr er auch auf lokale Aneignungspraktiken gewichtet, damit letzten Endes einem Schema vom ,Westen und dem Rest‘ unterliegt (Smith 2017, S. 4–5). Zweifelsohne spielt Hollywood bereits für die formative Phase des Films und auch für die Entstehung von Genres in Ostasien eine zentrale Rolle (z. B. Huang 2009; Xiao 2010, 2015; Neri 2010; Chen 2013; Hulme 2015; Fu 2019). „However“, argumentiert Mitsuhiro Yoshimoto, this does not automatically mean that the Hollywood cinema has been dominant trans- historically or trans-culturally. We need to put the Hollywood cinema in specific historical contexts; instead of talking about the Hollywood cinema as the norm, we must examine the specific and historically changing relations between Hollywood cinema and the other national cinemas (Yoshimoto 2006, S. 36). Entsprechend möchte ich hier Tim Bergfelder folgen, der in Bezug auf das Verhältnis von Hollywood und europäischen Genres zurecht betont, dass „during the early decades of filmmaking in Europe, many prototypes of so-called ‚classical‘ Hollywood genres emerged either prior or in parallel to developments in the United States [. . .]“ (Bergfelder 2013, S. 41). Im ostasiatischen Kontext ist im Besonderen Japan hervorzuheben, das, zunächst in einer Vorbild- und Vorreiterrolle, später als Kolonialmacht, als eine Art Vermittler fungierte; westliche Konzepte und Begriffe, aber auch kulturelle Texte aller Art fanden zunächst häufig über Japan ihren Weg nach China und Korea und hatten mithin bereits einen Prozess der Übersetzung und der Aneignung durchlaufen.8 Es reicht also nicht aus, Hollywood im Sinne Dipesh Chakrabartys zu ,provinzialisieren‘ (Chakrabarty 2000), gedacht werden muss viel- mehr an ein Ensemble mehrerer Beteiligter statt einer bipolaren Anordnung, wie sie etwa Michael Raine in seinem ansonsten ausgesprochen nützlichen Konzept der ‚transcultural mimesis‘ (Raine 2014) denkt. Häufig wird in diesen Zusammenhängen 8 Von besonderer Bedeutung ist beispielsweise das japanische shinpa (Theater der ,neuen Schule‘), das sowohl im Theater wie auch im Film Koreas und Chinas tiefe Spuren hinterlassen hat (Lee 2006; Li 2012; Liu 2013; Rynarzewska 2015).
6 S. Borsos die mittlerweile zum Mode-Begriff avancierte ‚Genre-Hybridität‘ in Anschlag gebracht (z. B. Ritzer und Schulze 2013). Peter Burke gibt jedoch zu bedenken: Die Probleme, die sich aus Begriffen wie „Hybridität“ ergeben, liegen auf der Hand. Es ist alles andere als klar, ob der Ausdruck „Hybridisierung“ deskriptiv oder explanatorisch ins Spiel gebracht wurde. Und es ist allzu verführerisch, sich irgendwo im Niemandsland zwischen Debatten über buchstäbliche und metaphorische Rassenmischung zu bewegen, ganz gleich, ob nun (wie bei Freyre) das Lob der kreuzweisen Befruchtung besungen wird oder aber die „bastardisierten“ und „gemischten“ Kulturformen, die daraus entstanden sein mögen, verdammt werden. Zudem schließt diese Metapher jedes Handeln aus. Sie be- schwört einen externen Beobachter, der die Erzeugnisse von Einzelnen und Gruppen so studiert, als ob es sich um botanische Proben handeln würde (Burke 2000, S. 22–23). Freilich hat die Hybridität eine positive Umwertung erfahren und konnte sich, besonders in avancierteren Ansätzen von Michail Bachtin, Marshall McLuhan oder Homi Bhabha, von ihrem begriffsgeschichtlichen Ballast emanzipieren und als „Signatur der Zeit“ (Schneider 1997, S. 56) etablieren. Ungeachtet dieser beachtli- chen Karriere bleibt angesichts des ubiquitären Gebrauchs durch alle Disziplinen allerdings die „Gefahr einer falschen Verallgemeinerung“ (Schneider 1997, S. 57), wodurch der Begriff zu einem leeren „catch-all-Terminus“ verkommt. Folgt man beispielsweise Edward W. Said, dann sind alle Kulturen „involved in one another; none is single and pure, all are hybrid, heterogenous, extraordinarily differentiated, and unmonolithic“ (Said 1994, S. XXV). Mithin stellt sich die Frage, worin der besondere Nutzen des Hybriditätskonzeptes als Analysewerkzeug liegt. Es ist, so Ottmar Ette und Uwe Wirth, „beileibe nicht klar, ob sich wirklich jedes Verknüpfen, Collagieren und Samplen auf den Begriff und das Modell der Hybridität bringen lässt“ (Ette und Wirth 2014, S. 9). Weitere Fragen schließen sich an: Ist die kulturelle Hybridisierung von einer Genre-Hybridisierung zu trennen? Lässt sich nach Janet Staiger tatsächlich eine Unterscheidung zwischen Genre-Hybridisierung (hybrid) und -Inzucht (inbred) treffen?9 Auf welchen Ebenen findet die Hybridisierung statt; lässt sie sich auf Operationen auf semantischer und syntagmatischer Ebene reduzie- ren? Haben wir es mit beabsichtigten oder mit unbeabsichtigten Hybridisierungen zu tun? Und: In welchem Verhältnis steht die Genre-Hybridität zu Verfahren und Praktiken wie Genre-Bending, Genre-Mixing oder Genre-Breaking? Was den meisten, zumal westlichsprachigen Untersuchungen ohnehin fehlt und mithin ein eklatantes Forschungsdesiderat darstellt, ist eine Reflexion darüber, ob sich ein in der europäisch und angloamerikanisch geprägten (Film)Wissenschaft formulierter Genre-Begriff und -verständnis überhaupt dazu eignet, Artefakte aus anderen Kulturen zu beschreiben. Zu fragen wäre zuallererst, ob filmische bzw. theatrale Ordnungskategorien wie pian (chinesisch), eiga (japanisch), mono (japa- nisch), geki (japanisch), yonghwa (koreanisch) oder guk (koreanisch) nicht anderen 9 Davon abgesehen, dass ihre Subsumierung US-amerikanischer und westeuropäischer Kulturen problematisch erscheint, ruft Staigers Bild der Inzucht (inbred) ungewollt jene biologistisch- rassischen Bedeutungsdimensionen auf, die die Theoriebildung bereits (mehr oder weniger) erfolg- reich hinter sich gelassen hatte (Staiger 2003).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 7 Logiken und Kriterien gehorchen, die zwar genretypischen Strategien und Verfahren ähnlich oder gar verwandt, aber eben nicht mit ihnen identisch sind – und entspre- chend auch auf andere Weise(n) konzeptionalisiert werden müssten. Im Zusammen- hang mit dem italienischen Giallo definiert etwa Peter Scheinpflug den italienischen Begriff filone: Im Sinne einer Traditionslinie bezeichnet filone damit eine intertextuelle Struktur, die durch sehr verschiedene Kriterien organisiert sein kann. Ein filone kann durch eine Figur wie Maciste oder Herkules konstituiert werden, oder durch einen Star wie Gialli mit Edwige Fenech, oder aber durch ein narratives Muster wie den Giallo pseudofantastico. Filone kann aber auch als ein Genre wie beispielsweise der Giallo oder der Italowestern verstanden werden. Filone umfasst als vager Begriff zur Gruppierung von Filmen nach verschiedenen Kriterien damit zwar auch Genres, aber diese werden auf der Folie des Vergleichs mit filone als lediglich eine intertextuelle Struktur sichtbar, die in Relation und Interaktion mit anderen intertextuellen Strukturen wie Stars, Figurentypen, Trends etc. zu betrachten ist (Scheinpflug 2014, S. 16–17). In ähnlicher Form argumentiert Lukas Foerster für das Hongkong-Kino: Wenn beispielsweise in vielen Hongkong-Filmen komische und melodramatische Affekte kurz hintereinander oder fast gleichzeitig aufgerufen werden [. . .], dann folgt daraus nicht, dass der Genrebegriff des Hongkong-Kinos ein wie auch immer ,unreiner‘ wäre; vielmehr ist davon auszugehen, dass das Genresystem Hongkongs mit anderen Unterscheidungen ope- riert als das des amerikanischen oder europäischen Kinos (Foerster 2019, S. 142). Ohne zu stark auf diese Nomenklaturen abheben zu wollen, sind derartige Über- legungen für eine systematische Erschließung und ein Verständnis des (ost)asiati- schen Genre-Kinos unabdingbar. Damit soll weder einer Mystifizierung noch einem kulturellen Essentialismus das Wort geredet werden, der für sich beansprucht, dass die Artefakte einzig aus der eigenen Kultur heraus oder gar ausschließlich von MuttersprachlerInnen, RegionalspezialistInnen und anderen ExpertInnen verstanden werden können. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich in diesen Filmen gleichzeitig verschiedene (Ordnungs)Logiken überlagern, im Wechselspiel sind und mithin zugleich verschiedene Rahmungen hervorbringen, die auch in der Lek- türe berücksichtigt werden müssen, um ein differenziertes Verständnis des Gegen- standes zu erlangen. Durchaus im Sinne eines strategischen Verfremdungseffektes, aber zugleich in der Hoffnung, nicht die Taxonomie(n) von Foucaults ‚gewisser chinesischer Enzyklopädie‘ zu reproduzieren,10 werden deshalb im Folgenden wei- testgehend die in Ostasien gebräuchlichen Begriffe verwendet. Diese sprachliche Differenz ernst zu nehmen, bedeutet nicht zuletzt auch die mit den Begriffen ver- knüpften Vorstellungen und Horizonte ernst zu nehmen. Entsprechend bedient sich das vorliegende Kapitel einer Doppel-Perspektive: Entlang der einschlägigen Diskursfelder und historischen Wegmarken wird nicht 10 Zu einer Dekonstruktion dieser mythischen Enzyklopädie und Foucaults Zuschreibungen, vgl. Zhang 1988.
8 S. Borsos nur ein Überblick über wichtige Genre-Manifestationen im ostasiatischen Raum gegeben und gleichsam die inhärente ‚Hybridität‘ als Ergebnis einer kulturellen Aushandlung verstanden, sondern im Besonderen auch die Debatten skizziert und im fortwährenden Dialog mit dem aktuellen Forschungsstand die bislang vorgeschla- genen Perspektivierungen problematisiert.11 Um eine gewisse Übersichtlichkeit zu gewährleisten, kann auf eine Einteilung nach Ländern nicht gänzlich verzichtet werden. Dennoch nimmt das Kapitel Ost- asien bewusst als Kulturraum in den Blick (Rozman 1991; Choi 2010; Holcombe 2001), der über eine Jahrhunderte zurückreichende gemeinsame Geschichte verfügt und der an einer Vielzahl an Austauschbeziehungen, Zirkulationsbewegungen, Ein- flussnahmen, Aneignungen sowie Kollaborationen sprachlicher, religiöser, politi- scher, wirtschaftlicher, kultureller und nicht zuletzt auch filmischer Natur festzuma- chen ist (Cho et al. 2004; Lee 2011a).12 Bereits den ersten akademischen Publikationen zum Kino Hongkongs ist der transnational turn gewissermaßen eingeschrieben (Lu 1997; Yau 2001) und das wachsende Interesse an allerlei ‚Trans-Phänomenen‘ befördert in der Folge eine rege Publikationstätigkeit zu pan-chinesischen (Yung und Rea 2015; Yung 2008; Taylor 2011; Law und Bren 2004; Law et al. 2000; Hu 2018; Marchetti und Tan 2007; Sierek 2018; Chua 2015; Chung 2006) wie pan-asiatischen (Hunt und Wing-Fai 2008; Berry et al. 2009; Yau 2010, 2011; Lee 2011b; Lu 2010; Van der Heide 2002; Gates und Funnell 2012; Shim und Yecies 2012; Otmazgin und Ben-Ari 2013; Provencher und Dillon 2018) Aspekten – und, in der jüngsten Zeit, die allmähliche Abkehr von vorrangig zeitge- nössischen Artefakten hin zu einem wachsenden historischen Bewusstsein. Wenn möglich, werden Parallelen und Querverbindungen aufgezeigt, was jedoch nicht automatisch bedeutet, dass es sich dabei um identische Phänomene handelt. Ein Beispiel: Die Begriffe wenyi (chinesisch), munye (koreanisch) und bungei (japa- nisch), dt. wörtlich: ‚Literatur, Kunst‘, gehen auf denselben Ursprung zurück und bezeichnen in Kombination mit pian/yonghwa/eiga (Film) Literaturverfilmungen. Während aber munye yonghwa und bungei eiga relativ stabile Kategorien sind, die sich zudem beide auf Verfilmungen von Hochliteratur beziehen, ist der Literatur- bezug beim wenyipian verloren gegangen bzw. gilt lediglich für eine bestimmte Periode/Form. Die Hochkultur ist zwar auch hier ein Bezugspunkt, allerdings in Form von westlicher Literatur. 11 Damit versteht sich das Kapitel gewissermaßen als Gegenentwurf zur ebenfalls einführenden Studie von William V. Costanzo, die Geschichten des world cinema anhand globaler Genres erzählt (Costanzo 2014). 12 Gefolgt wird hier dem Modell der Weltregionen, das gegenüber früherer area- und Kontinental- Paradigmen Vorteile bietet, aber gleichwohl eigene Desiderate mit sich bringt (Lewis und Wigen 1997, bes. S. 157–188). Daher muss auch ‚Ostasien‘ bei allen genannten Verflechtungen als Kon- strukt verstanden werden. Passend hierzu Ivo Ritzers Anmerkungen zu einem ‚Kino Asiens‘: „Von einem asiatischen Kino zu sprechen, darf nicht bedeuten, monolithisch Differenzen zu nivellieren. In einem expansiven topographischen Raum siedeln die unterschiedlichsten Sprachen, Ideologien und Kulturpraktiken. Ein homogenes Asien existiert damit ebenso wenig wie ein homogenes asiatisches Kino“ (Ritzer 2015, S. 8).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 9 Der an die Einleitung anschließende Hauptteil gliedert sich in drei Skizzen gene- rischer Aushandlungen: Melodram, Action (Kampfkunst-, Kostüm- und Abenteuer- film) und Neujahrsfilm. Jede Skizze verschränkt dabei Genre-, Diskurs- und Begriffs- geschichte und bezieht, besonders im Hinblick auf die Bedeutung (vornehmlich lokaler) theatraler Formen, eine transmediale Perspektive in die Diskussion mit ein. Das Fazit schließlich greift die in der Einleitung gestellten Fragen auf und gibt einen Ausblick auf die angezeigten Schritte hin auf eine neu oder anders transmedial und transkulturell perspektivierte Genre-Theorie. Da eine erschöpfende Gesamtschau schon aus Platzgründen nicht möglich ist, wurde eine Auswahl getroffen, die, dem Überblickscharakter geschuldet, einer gewissen Beliebigkeit nicht entkommen kann.13 Der hierbei gesetzte Schwerpunkt auf historische Beispiele hat zweierlei Gründe: Zum ersten lässt sich mit Filmen wie Tears of the Black Tiger, Sukiyaki Western Django (Japan 2007, R: Miike Takashi), The Good, the Bad, the Weird (Südkorea 2008, R: Kim Jee-woon) eine Privilegierung rezenter Beispiele konstatieren, die zumal aus einer vornehmlich auteuristischen Perspektive erfolgt, zum zweiten scheint eine Betrachtung jener Perioden, in denen die jeweiligen Studiosysteme in voller Blüte standen und entsprechend auch die generic systems den Höhepunkt ihrer Komplexität erlangt hatten, besonders sinnstiftend. 2 Melodram=wenyipian? Seit der (Wieder)Entdeckung der Hollywood-Filme von Douglas Sirk in den frühen 1970er-Jahren hat sich ein veritables Feld film- und medienwissenschaftlicher Me- lodramaforschung etabliert. Zwei grundlegende Zugänge lassen sich dabei vonei- nander unterscheiden: Einerseits das Melodram als Genre, andererseits als transge- nerische Kategorie, als Modus. Paradigmatisch hierzu Linda Williams: Melodrama is the fundamental mode of popular American moving pictures. It is not a specific genre like the western or horror film; it is not a ,deviation‘ of the classical realist narrative; it cannot be located primarily in woman’s films, „weepies,“ or family melodramas – though it includes them. Rather, melodrama is a peculiarly democratic and American form that seeks dramatic revelation of moral and emotional truths through a dialectic of pathos and action. It is the foundation of the classical Hollywood movie (Williams 1998, S. 42). Die Forschung hat sich seither nicht nur darum bemüht, die transmedialen Bezüge, die bereits in den Texten von Williams oder Christine Gledhill (2000; auch Singer 2001) und schon früh von Michael Walker (1982) aufgerufen worden waren, weiter transdisziplinär zu entfalten, sondern die These nunmehr auch transnational zu fundieren, d. h. auch für Kontexte jenseits des westeuropäischen und angloame- 13 Auf eine Darstellung nordkoreanischer Genrefilme, wie z. B. Unknown Heroes (aka Unsung Heroes, Nameless Heroes, 1978–1981, 20 Teile), Pulgasari (1985), Order No. 027 (1986), Hong Kil Dong (1986), Rim Khok Jong (1986–1993, 5 Teile) oder die italienisch-nordkoreanische Ko-Produktion Ten Zan-The Ultimate Mission (1988), muss aus Platzgründen verzichtet werden, vgl. hierzu Schönherr 2012.
10 S. Borsos rikanischen Kanons fruchtbar zu machen. Entsprechend konstatieren Gledhill und Williams in der Einleitung zu ihrem Sammelband Melodrama unbound Across history, media, and national cultures: These examples suggest ways in which melodrama, under pressure from new aesthetic, social, and technological circumstances, transitioned from the cultures of the Victorian stage and adapted to processes of cultural modernization and transnational circulation. Melodrama may have lost its relative theatrical coherence and its name, but it continues to inhabit contemporary aesthetic forms worldwide in a diversity of ways (Gledhill und Williams 2018, S. 11). Ob nun als Genre oder Modus – die Bedeutung des Melodramatischen, der „forms of melodramatic possibility“ (Gledhill und Williams 2018, S. 9) bzw. des „transnational familiar“ (McHugh 2005), kann für China (Hongkong, Taiwan, VR China), Südkorea und Japan gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bereits in den ersten akademi- schen Sammelbänden zum pan-chinesischen Kino bildet die Analyse unterschiedlicher melodramatischer Formen einen zentralen Fokus (Pickowicz 1993; Browne 1994; Ma 1994). Als veritabler Markstein muss die 1993 von Wimal Dissanayake herausgege- bene Publikation Melodrama and Asian Cinema gelten, die Beiträge zu China, Japan, Indonesien, Indien und den Philippinen versammelt (Dissanayake 1993a). Obwohl schon früh Probleme der transkulturellen Analyse am Beispiel des Melo- drams thematisiert werden, wird der Begriff selbst lange Zeit als gegeben hingenom- men – und das, obwohl es, wie Dissanayake in der Einleitung bemerkt, kein Synonym für den Begriff in den asiatischen Sprachen gibt (Dissanayake 1993b, S. 3). Im Chinesischen wird er mal mit qingjieju (dt.: Plotdrama) oder tongsuju (dt.: populäres Drama) übertragen, aber am häufigsten implizit mit dem chinesischen indigenen Begriff wenyipian gleichgesetzt (Berry und Farquhar 2006, S. 81; Yeh 2013, S. 231). Noch 2006 ist sich Stephen Teo in seinem Aufriss zum chinesischen Melodram unsicher, ob es sich beim wenyipian um ein „Chinese genre“ (Teo 2006a, S. 203) oder „a specific type of melodrama“ (Teo 2006a, S. 203, Hervh.i.Org) handelt oder nicht doch eine Entsprechung des Melodrams darstellt (Teo 2006a, S. 205). Diese definito- rische Unschärfe markiert auch den Retrospektivenkatalog des Hong Kong Internatio- nal Film Festival, Cantonese Melodrama 1950–1969 (Orig.: Yueyu wenyipian huigu, dt.: Retrospektive des kantonesischsprachigen wenyi-Films), der selbst in seiner über- arbeiteten Neuauflage von 1997 zwischen Identifikation und Differenz changiert (Li 1997; Law 1997). Seither haben eine Reihe AutorInnen, im Besonderen Emilie Yeh Yueh-yu und Zhen Zhang, genealogische Grundlagenarbeit geleistet und die dem US-amerikanischen nicht unähnlichen Bedeutungswandlungen herausgearbeitet (Yeh 2009, 2012, 2013; Zhang 2012, 2018; Tam 2015; Yang 2018). Während Yeh auf der Singularität des wenyipian beharrt (Yeh 2013, bes. S. 228–232 und 236; Zhang 2018, S. 89), verortet sich Zhang, analog zu Kathleen McHugh in Bezug auf das südkorea- nische Pendant (McHugh 2005, S. 25), im nunmehr transnational und transkulturell perspektivierten Diskurs zum Melodram Williams’scher Prägung (Zhang 2018, S. 89).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 11 Selbst in der im Anschluss an Cai Guorong formulierten konservativen Definition von Law Kar, nach dem sich das wenyipian in zwei Stränge ausdifferenziert – „those works that deal with family relationships and ethics, and those that depict romances“ (Law 1997, S.15) –, ist das wenyipian eine Art umbrella term. Es deutet viel darauf hin, dass diese mehrfache Janusköpfigkeit auch japanischer und koreanischer melodramatischer Formen auf die Adaptions- und Aushandlungsprozesse bzw. ihrer theatralen und literarischen Vorläufer zurückzuführen ist und mithin als konstitutiv für die Form gelten muss.Wie generisch flexibel ostasiatische Formen des Melodrams sein können und weswegen auch für sie Russell Merritts Kategorisierung als phantom genre als gerechtfertigt erscheint (Merritt 1983), zeigen Beispiele wie The Housemaid (Südko- rea 1960) und andere Filme des Südkoreaners Kim Ki-young (Berry 2004) wie auch die so genannte Nanyang-Trilogie des Hongkonger Kong-Ngee-Studios aus dem Jahre 1957. Die drei Filme, Blood Stains the Valley of Love (aka Blood Valley aka Bloodshed in the Valley of Love, R: Chun Kim und Chor Yuen), China Wife (aka She Married an Overseas Chinese, R: Chan Man) und Moon over Malaya (aka The Whispering Palms, R: Chun Kim und Chor Yuen), eint nicht nur die Zugehörigkeit zum damals domi- nanten wenyipian, sondern auch zahlreiche thematische wie räumliche Bezüge zum nanyang (dt.: südlicher Ozean), das für Südostasien, hier insbesondere Singapur und Malaya, steht. Teo sieht die Nanyang-Trilogie entsprechend „as an early example of cross-border or transnational cinema“ (Teo 2006b, S. 145). Blood Stains the Valley of Love markiert aus genretheoretischer Sicht hierbei einen besonders interessanten Fall. Die in Rückblenden als Geständnis des Protagonisten Yip Ching (Patrick Tse Yin) erzählte Geschichte um mehrere tödlich endende Romanzen und Familientragödien bleibt zwar thematisch stringent, spielt aber immer wieder mit unterschiedlichen Genre-Tropen. Während das Studiosprachrohr, die Kong Ngee Movie News (Guangyi Yingxun), diesem Umstand keinerlei Beachtung schenkt und den Film als „,love story and a wenyi tragedy of a man and a woman, with a melancholic sentimentality very much like a poem‘“ (Teo 2006b, S. 151) bewirbt, konstatiert Teo selbst: Blood Stains the Valley of Love „is actually a wenyi film that crosses into other genres, notably the Hitchcock-style thriller and the ghost story“ (Teo 2006b, S. 151). Dieser Wechsel unterschiedlicher Register erscheint allerdings schon deshalb weniger als abrupte Brüche, weil zum einen das übernatürliche Motiv der schwarzen Magie und des Fluchs früh im Film etabliert wird, zum anderen die Rückblende als subjektive Perspektive Yip Chings markiert ist, so dass auch geisterhafte Erscheinungen als Imagination Yip Chings gelesen werden können. Dieses Changieren zwischen Ra- tionalität und Paranormalem wird durch Yip Chings voice over immer wieder auf der Handlungsebene thematisiert. Dabei ist es eben nicht der Fluch der verschmähten Geliebten, der die bemerkenswerte Kette an Tragödien auslöst, sondern die allzu menschlichen Intrigen der Sterblichen. Mit dieser Strategie, die vielleicht nicht ganz zufällig an ein potenzielles Vorbild französischer Provenienz erinnert, Les Diaboliques (Die Teuflischen, R: Henri-Georges Clouzot), schreibt sich Blood Stains the Valley of Love in eine Tradition des kantonesischen wie südkoreanischen Kinos ein, die mal
12 S. Borsos mehr, mal weniger didaktisch Motive des Horrorfilms in einer melodramatischen Form aktiviert (u. a. Lee 2013; Tsang 2018; Chang 2019, S. 102–124). Es wäre ein leichtes, Blood Stains the Valley of Love in eine Reihe mit jenen Filmen zu stellen, die Jing Jing Chang als späte Exemplare des kantonesischen lunlipian14 (eine Art konfu- zianisches Moralstück) im Kontext von genre-blending-Strategien diskutiert. Besonders mit Blick auf eine transnational zirkulierende melodramatische Moda- lität ist zu fragen, inwiefern es hier Parallelen zu jenen melodramatischen Formen gibt, die Steve Neale in seiner Begriffsgeschichte gefunden hat, allerdings seither unter Namen wie Thriller oder Film noir firmieren (Neale 1993). Ohne das wenyi- pian und Hollywood-Melodramen wie beispielsweise Leave Her to Heaven (USA 1945, R: John M. Stahl) gleichsetzen zu wollen, ist das mittlerweile auch im westlichen Kontext als genre-übergreifend gedachte Melodramatische eine Perspek- tivierung, die es erlaubt, einen besseren Zugang zu zunächst disparat erscheinenden Genre-Anordnungen, wie sie Teo hier beschreibt, zu finden. 3 Action-Genres 3.1 Theatralität und das wuxiapian Lassen sich die theatralen Wurzeln des wenyipian und anderer melodramatischer Formen am filmischen Text heute nur noch bedingt zurückverfolgen, treten sie im chinesischen Opernfilm (xiqupian oder jingjupian oder huangmeidiaopian; Chen 2003; Li 2003; Sek 2003a; Teo 2013), im wuxiapian und gongfupian, häufig übersetzt als Kampfkunst- oder Schwertkampf- respektive Kungfu-Film, wie auch im japanischen jidai-geki (Historien-/Kostümfilm, siehe unten) und Geisterfilm (kaiki eiga, manchmal auch kaidan eiga; Hand 2005; Yau 2011; Scherer 2011; Crandol 2015, 2018; grundlegend McDonald 1994)15 umso deut- 14 Chang räumt zwar ein, dass es Überschneidungen zwischen dem wenyipian und dem lunlipian gibt – das Beispiel A Mad Woman (Hongkong 1964, R: Chor Yuen) ,versöhne‘ gar wenyi- und Horror-Komponenten (Chang 2019, S. 123) –, gibt dem kantonesischen Begriff allerdings den Vorzug, weil dieser die moralisch-pädagogische Dimension der konfuzianischen Familienethik und zumal eine ‚familiale Adressierung‘ des Publikums in den Vordergrund rückt (Chang 2019, S. 109). 15 Entsprechend lassen sich einige der häufig dem Horror-Genre zugeordneten Filme wie Ghost Story of Yotsuya (Japan 1959, R: Nakagawa Nobuo), The Ghost Cat of Otama Pond (Japan 1960, R: Ishikawa Yoshihiro) oder Bakeneko: A Vengeful Spirit (Japan 1968, R: Ishikawa Yoshihiro) durchaus auch als ,Theater-Filme‘ lesen, deren theatrale Bezüge sich nicht in der Adaption bestimmter Kabuki- Stoffe erschöpft, sondern auch bestimmte Darstellungskonventionen und Stilmittel umfasst; spätere Vertreter wie Kaidan (Japan 2007, R: Nakata Hideo) oder Over Your Dead Body (Japan 2014, R: Miike Takashi) nehmen teils in der visuellen Gestaltung, teils auf der Handlungsebene explizit Bezug auf diese Traditionslinie mit ihren theatralen Dimensionen.
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 13 licher hervor.16 Diese schon früh zu beobachtende Ubiquität theatraler Formen im pan-chinesischen Kino fassen Mary Farquhar und Chris Berry im Begriff der shadow opera zusammen, den sie in Anlehnung an Tom Gunning als eine Art chinesisches ,Kino der Attraktionen‘ verstanden wissen wollen (Farquhar und Berry 2005). Eines ihrer prominenten Beispiele hierfür ist das wuxiapian, das, häufig vermittelt über das chinesische (Musik)Theater, für seine Themen, Stoffe und Figuren aus dem reichhaltigen Repertoire an mündlich überlieferten Mythen und Legenden, den klassischen Romanen der Ming- und Qingzeit, im Besonde- ren Shuihuzhuan (dt.: Die Räuber vom Liangshan-Moor) und Sanguo yanyi (dt.: Historische Erzählung von den Drei Reichen), sowie dem wuxia xiaoshuo (wuxia-Roman) schöpft (Zimmer 2002). Chen Pingyuan gibt folgende Definition für diese literarische Form: „According to the prevailing opinion, wuxia novels are „wu (wushu) + xia (xiake) + novels“, that is, a story about doing „xiake“ deeds through „wushu“ that is made into a „novel““ (Chen 2016, S. 131). Während man wu noch halbwegs einfach als Kampf oder kriegerisch übertragen kann, ist der Fall bei xia komplizierter. Chens Übersetzer Victor Petersen sieht den xia als „a person who upholds justice through force“ (Petersen 2016, S. IX). Das, was dieser Figur in der westlichen Tradition wohl am nächsten kommt, ist der mittelalterliche Ritter (im Englischen knight-errant), weswegen wuxiapian oft als ,chinesische Ritterfilme‘ übersetzt werden. Dennoch ist zu beachten, dass es sich um zwei unterschiedliche Phänomene handelt, die Gesellschaftsstrukturen und mithin die xia/Ritter als soziale Gruppen nicht identisch sind (vgl. hierzu auch Liu 1967, S. 4). Mit ausgelöst durch die Popularität von Pingjiang Buxiaoshengs wuxia-Roman Jianghu qixia zhuan (1923–1927, dt.: Die Legende der seltsamen xia des jianghu) legt das Kino Shanghais in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Grundlagen für das wuxiapian. Im Besonderen der Erfolg der nach Motiven des Jianghu qi xiake entstandenen 19-teiligen Filmreihe Burning of the Red Lotus Temple (Republik China 1928–1931, R: Zhang Shichuan) löst zwischen 1928 und 1932 eine veritable wuxia-Welle aus: „Some fifty studios“, erklärt Zhen Zhang, „produced about 240 martial arts films and hybrid „martial arts-magic spirit“ films (wuxia shenguai pian) during those four years – comprising about 60 percent of the total film output“ (Zhang 2005, S. 199). 16 Dieses theatrale Erbe wird auf ganz unterschiedlichen Ebenen sichtbar, zwei besonders promi- nente seien herausgegriffen: Da sind zunächst Mischformen von Theater und Film, die sich in (Ost) Asien länger halten als in Europa oder den USA, in Japan unter der Bezeichnung rensageki (dt.: Kettenstück), wie auch in Korea (yonswaeguk) und China (lianhuanju) (Iwamoto 1998); noch 1975 lässt Zhang Che der eigentlichen Geschichte seiner nicht einmal siebzigminütigen Adaption einer Episode aus dem Xiyouji (dt.: Reise nach dem Westen), The Fantastic Magic Baby (Hongkong 1975, R: Zhang Che) Ausschnitte aus zwei abgefilmten Pekingopern-Vorstellungen folgen. Zwei- tens erzeugt diese prominente Stellung des (Musik)Theaters regelmäßig Gegenbewegungen, seien es die Machtkämpfe zwischen Film- und Opern-SchauspielerInnen im Kino Hongkongs, die zuweilen sogar zu expliziten ‚Säuberungskampagnen‘ führen (Chu 2003, S. 12–14), die so genannte ,Bewegung für reine Filme‘ ( jun’eigageki undo) im japanischen Kino der 1910er-Jahre (Bernardi 2001) oder die Aufforderung, den ,Gehstock des Dramas wegzuwerfen‘ (Bai 1990).
14 S. Borsos Eine vergleichbare Popularität erreicht das wuxiapian erst wieder im Nachkriegs- kino Hongkongs und Taiwans, zunächst im kantonesisch-sprachigen Kino, das in Filmen wie Buddha’s Palm (HK 1964, R: Ling Wan) an die Formen des Shanghaier wuxiapian anknüpft und mit Komponenten des kantonesischen Musiktheaters ausstat- tet. Die Impulse für eine maßgebliche Erneuerung entstehen jedoch im mandarin- sprachigen Kino der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, als das Shaw-Brothers-Studio mit dem xinpai wuxiapian (dt.: wuxiapian der neuen Schule) sein ‚Colour Wuxia Century‘ einläutet (Law 2003, S. 129). Nach ersten eher zaghaften, zunächst auch erfolglosen Versuchen mit einem mehrteiligen Remake von Burning of the Red Lotus Temple, sind es vor allem Come Drink with Me (HK 1966, R: King Hu) und One- Armed Swordsman (HK 1967, R: Zhang Che), die die proklamierte Modernisierung vorantreiben. Die beiden Filme etablieren nicht nur neue Stars, neue Regisseure, neue Techniken und neue Darstellungsformen (besonders in der visuellen Gestaltung der Actionsequenzen), neue Themen und Sensibilitäten, sondern verorten sich mit ihren Bezugnahmen im Netzwerk eines global zirkulierenden Actionkinos; Law Kar nennt hierbei als Einflüsse die James-Bond-Filme, western all’italiana wie auch japanische Samurai-Filme (Law 2003, S. 129). In der Forschung werden die beiden Regisseure King Hu und Zhang Che fortan als Gegensatzpaar beschrieben: Auf der einen Seite das zentrale Motiv des yanggang (standhafte Männlichkeit) bei Zhang, das sich in einer ausgestellten Männlichkeit und einer ‚Ästhetik der Gewalt‘ manifestiert, auf der anderen Pekingopern-Stilisierung und eine Vorliebe für weibliche xia-Protagonisten (xianü) bei Hu (Law 2003, S. 139–142).17 Obwohl David Desser diese Reduktion der Genre-Geschichtsschreibung auf zwei ‚große Männer‘ nicht zu Unrecht als klischee- haft kritisiert, schreibt er sich unweigerlich in dieselbe Logik ein, wenn er im An- schluss daran lediglich die Relevanz Hus im Unterschied zur Bedeutung Zhangs in Frage stellt. „That King Hu“, schreibt Desser, is perhaps the only genuine cinematic genius of the martial arts movie before and after the Hong Kong New Wave of the late 1970s should not blind us to the fact his films had virtually no lasting impact on the Shaw Brothers’ movies and the subsequent martial arts films that came to dominate the Hong Kong cinema and which entered world film markets in the early 1970s (Desser 2005, S. 18). Wie wirkmächtig der Einfluss Hus auf das wuxiapian der 1960er- und frühen 1970er- Jahre nicht nur in der Imagination feministischer FilmwissenschaftlerInnen tatsächlich ist, wie Desser unterstellt (Desser 2005, S. 19), hat unter anderem Teo herausgearbeitet (Teo 2010). Zwar fügt sich auch das wuxiapian durch Stars wie Jimmy Wang Yu, Di Long, David Jiang oder Luo Lie wie auch später Bruce Lee und Jackie Chan in ein maskulin orientiertes internationales Action-Kino ein – von einem Verschwinden der 17 Schnell wird bei dieser schematischen Darstellung vergessen, dass auch Zhangs Werk, wie oben schon gezeigt, von Elementen der Pekingoper durchdrungen ist. Neben betont opernhaften Filmen wie The Fantastic Magic Baby betrifft das auch eine der ikonischen Szenen in Zhangs Repertoire schlechthin – den Todestanz seiner tödlich verwundeten Helden, den er ein ums andere Mal in Grand-Guignol-Manier zelebriert. Da mag der Einsatz der Zeitlupe auf Sam Peckinpah zurück- gehen, das Motiv selbst stammt jedoch vermutlich aus der Pekingoper Jiepai guan (Lau 1980, S. 96).
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 15 xianü-Figur oder der Opernelemente kann jedoch keine Rede sein. Das belegt nicht nur die Popularität von Schauspielerinnen wie Zheng Peipei, Xu Feng oder Helen Ma, deren Karriere auf der Verkörperung einer xianü-Figur gründet und die dadurch zu veritablen Stars des wuxiapian avancieren, sondern auch die Anzahl kommerziell erfolgreicher wuxiapian mit xianü-Protagonisten.18 Besonders tiefe Spuren hinterlässt Hu auf Taiwan, als er dort seinen zweiten wuxiapian und größten kommerziellen Hit produziert: Dragon (Gate) Inn (Taiwan 1967), der nicht nur im dominanten mandarinsprachigen Kino, sondern auch im taiyupian, dem lokalen Dialektkino Taiwans, zahlreiche Nachahmer findet. Diese aus Genre-Perspektive vielleicht spannendste Reminiszenz an Hus The- men und Formen erweist die Low-Budget-Produktion Vengeance of the Phoenix Sisters (Taiwan 1968, R: Chen Hongmin). Oberflächlich erzählt der Film eine generische Rache-Geschichte: Drei Schwestern finden sich, nachdem sie im Säuglingsalter getrennt wurden, nach Jahren wieder und rächen sich gemeinsam an den Mördern ihres Vaters. Die Geschichte ermöglicht es dem Film nicht nur, mit melodramatischen Tropen wie Identitätsverschleierungen und Missverständnissen zu spielen und mithin Plot- Verirrungen zu erzeugen, sondern auch seinem Star, Yang Lihua, seinen Hintergrund in der lokalen Opernform gezaixi abzurufen: Yangs cross-dressing verursacht nicht nur Aufruhr in einer komödiantischen Teehaus-Szene, in der der grobschlächtige, intrigante Kellner einen abschätzigen Blick direkt in die Kamera wirft, sondern weckt unbekann- terweise beinahe amouröse Gefühle bei ihrer eigenen Schwester. Während der Film auf der ikonografischen Ebene dem wuxiapian verpflichtet ist, verweisen bestimmte Kame- raeinstellungen auf die CinemaScope-Ästhetik von Sergio Leones Dollar-Trilogie19 bzw. chanbaras (Schwertfilmen) wie Yojimbo (Japan 1961, R: Kurosawa Akira). Legt man der Lektüre die Folie eines Genre-Films zugrunde, mögen diese Tonfall- und Registerwechsel als Brüche erscheinen, im Sinne von Berrys und Farquhars shadow opera jedoch lassen sich diese ungleich produktiver als Attraktionsmomente verstehen. 18 Eine Auswahl: Vengeance of the Phoenix Sisters (Taiwan 1968, R: Chen Hongmin), Vengeance is a Golden Blade (HK 1969, R: He Menghua), Vengeance of a Snow Girl (HK 1971, R: Luo Wei), Lady with a Sword (HK 1971, R: Gao Baoshu), Killer Darts (HK 1968, R: He Menghua), The Lady Hermit (HK 1971, R: He Menghua), Lady of Steel (HK 1970, R: He Menghua), The Jade Raksha (HK 1968, R: He Menghua), Deaf and Mute Heroine (HK 1971, R: Wu Ma), The Shadow Whip (HK 1971, R: Luo Wei), Dragon Inn (Taiwan 1967, R: King Hu), A Touch of Zen (Taiwan 1971, R: King Hu), Come Drink with Me (HK 1966, R: King Hu), Rape of the Sword (HK 1967, R: Yue Feng), The 14 Amazons (HK 1972, R: Cheng Gang), Dragon Swamp (HK 1969, R: Luo Wei), Raw Courage (HK 1969, R: Luo Wei), Golden Swallow (HK 1968, R: Zhang Che), The Mighty One (HK 1971, R: Joseph Guo), The Fate of Lee Khan (HK 1973, R: King Hu), The Dragon Fortress (HK 1968, R: Ling Wan), Green-Eyed Demoness (HK 1967, R: Chan Lit-ban), The One-Armed Magic Nun (HK 1969, R: Chan Lit-ban). 19 Das sind im einzelnen: Per un pugno di dollari (dt.: Für eine Handvoll Dollar, Italien/Spanien/ BRD 1964, R: Sergio Leone), Per qualche dollaro di più (dt.: Für ein paar Dollar mehr, Italien/ Spanien/BRD 1965, R: Sergio Leone) und Il buono, il brutto, il cattivo (dt.: Zwei glorreiche Halunken, Italien/Spanien/BRD 1966, R: Sergio Leone).
16 S. Borsos 3.2 Vom ninkyo eiga zum yingxiongpian Wie bereits das Beispiel des Melodrams gezeigt hat, kennzeichnet die ostasiatischen Kinematografien ein feingliedriges System unterschiedlicher Kategorien und Bezeichnungen. „The Japanese,“ schreiben Joseph L. Anderson und Donald Richie bereits 1959, „tend to classify to such an extent that they have a category for everything, Japanese or not“ (Anderson und Richie 1982 [1959], S. 315). Selbst die grundlegende Unterscheidung zwischen jidai-geki (Historien-/Kostümfilm) und gendai-geki (zeitgenössischer Film) im Japanischen ist nur auf den ersten Blick eindeutig. S.A. Thornton weist darauf hin, dass das Jahr 1868 der Meiji-Restoration als allgemein akzeptierte Demarkationslinie für die Grenze zwischen dem feudalen Japan ( jidai-geki) und dem modernen Japan (gendai-geki) nicht für sämtliche For- men gilt: The term gendai-geki refers only to those films produced since the end of World War I, and strictly to films modeled on the light comedies and films about ordinary life of the West – especially of the United States. Moreover, the term jidai-geki does not include all the period films produced in Japan (Thornton 2008, S. 13). Diesem Begriffspaar sind zudem, teilweise entlang theatraler Kategorien aus dem Kabuki und Bunraku, eine nahezu unübersichtliche Vielzahl an Subkategorien mit je spezifischen Konventionen, Figurenpersonal, Ikonografie und Settings zugeordnet. Dieser Begriffsvielfalt stehen in den euro-amerikanischen Diskursen im Wesentlichen die beiden Genre-Konzepte Samurai-Film und Yakuza-Film gegenüber. Die durch US-amerikanische und europäische Genre-Exemplare und nicht zuletzt auch Robert Warshows wirkmächtigem Aufsatz The Gangster as Tragic Hero (Warshow 2007) geprägte Vorstellung von Gangsterfilmen verstellt den Blick auf eine Gruppe von Filmen, die für das yakuza eiga im japanischen Nachkriegskino konstitutiv gelten muss und darüber hinaus auch im Hongkong-Kino ihre Spuren hinterlassen hat: das kyokaku bzw. ninkyo eiga, das Thornton mit chivalry film, also Ritterfilm, wiedergibt. Er definiert: However, the films I am speaking of are in Japan called more specifically chivalry films (kyokaku eiga, ninkyo eiga). The protagonists of these films may indeed be professional gamblers or they may be ordinary workers, sometimes carpenters, sometimes members of the local volunteer fire brigade. Some of them go to jail for getting involved in killings in fights defending turf. The setting is the traditional working-class neighborhood in a big city; the time is the modern period, the Meiji, Taisho and early Showa periods. Modernization, with its rampant capitalism, militarism, and colonialism, is what the protagonists are up against (Thornton 2008, S. 94). Was Themen, Plots, Ikonografie, Ästhetik, Figurenersonal, aber auch einschlägi- ge Stars und Star-Regisseure angeht, findet das ninkyo eiga 1963 in der bereits fünften Romanverfilmung The Theater of Life (Japan 1963, R: Sawashima Tadashi) zu seiner ersten bedeutenden Nachkriegsinkarnation. Der Erfolg der Toei-Produk-
Genres in Ostasien (Japan, Südkorea, Hongkong/China) 17 tion mit Tsuruta Koji und Takakura Ken löst eine Welle von Sequels und Nachah- mern aus und bis zu Battles without Honor and Humanity (Japan 1973, R: Fukasaku Kinji), als der Ehrenkodex (jingi) endgültig einer rabiaten dog-eat-dog-Mentalität zum Opfer fällt, drehen sich die Konflikte, mit leichten Verschiebungen, um die klassischen „opposing values of giri (social obligation) and ninjo (personal inclina- tion)“ (McDonald 1992, S. 167). Im Unterschied zu Warshows Großstadt-Gangstern in ihren Nadelstreifenanzügen tragen die japanischen Yakuza-Helden der Meiji- (1868–1912), Taisho- (1912–1926) und frühen Showa(1926–1945)-Perioden tradi- tionelle japanische Gewänder. Das chinesische Kino kennt die Unterscheidung zwischen Kostümfilm (guz- huangpian) und zeitgenössischem Film (shizhuangpian) wie auch die feineren Ab- stufungen dazwischen in ähnlicher Weise wie das japanische. Die in der frühen Republikzeit (minchu, 1912–1937) spielenden Filme sieht Kwok Ching-ling gar als „genre in itself“ (Kwok 2003, S. XXVI). „Examples of such films by Zhang [Che]“, schreibt Kristof Van den Troost, „are Vengeance! (1970), The Duel (1971), Boxer from Shantung (1972), and its sequel Man of Iron (1972). Each of these films also exemplifies a development related to the different time period: the appearance of urban gangster protagonists“ (Van den Troost 2010, S. 85). Auch hier verstellt die Perspektivierung als zeitgenössischer Gangsterfilm im ‚westlichen‘ Sinne den Blick auf eine Genealogie des heibangpian (im Englischen: black gang film), weil Motive und Handlungsmuster nur ein Einzelfällen, Ikonografien ganz selten mit Warshows Modell korrespondieren mit Bezug zu The Duel, den er als Vorläufer des (zeitge- nössischen) Hongkong-Gangsterfilms begreift, hat Matthew Cheng auf dieses Pro- blem hingewiesen: Although the second half of the film, including the grand final duel, is dominated by vendetta slaying and heroic action, The Duel diverges from the classic American gangster film, and is closer to a hybrid of the Hong Kong wuxia films, Japanese ninkyo eiga (chivalry films) and yakuza eiga (Japanese gangster films), but transplanted into a Republican era setting in China (Cheng 2014, S. 71). Den Bezugsrahmen bilden mithin eher eigene und japanische Vorbilder als Holly- wood. Auch hier lässt sich dieser Umstand an der Nomenklatur ablesen: ninkyo entspricht dem chinesischen renxia, einem der vielen Begriffe, die mit leichten Ver- schiebungen die chinesischen Heldenfiguren des wuxiapian bezeichnen. Der Kodex des jingi spielt als renyi (dt.: Menschlichkeit und Gerechtigkeit) eine zentrale Rolle in der Dramaturgie der Filme. Von The Duel lässt sich schließlich eine ziemlich gerade Linie zum Hongkong-Gangsterfilm par excellence, A Better Tomorrow (HK 1986, R: John Woo) ziehen. Sind die Filme Zhang Ches und dessen Zelebrierung des yanggang, sei es in den frühen wuxiapian oder den späteren gongfupian, grundsätzlich ein wirkmächtiger Einfluss auf Woos Arbeit, so wirkt The Duel, neben dem häufig genannten The Story of a Discharged Prisoner (HK 1967, R: Patrick Lung Kong), in vielerlei Hinsicht wie eine Blaupause für Woos späten Durchbruch. Ähnlich wie Di
Sie können auch lesen