Gibt es einen Zusammenhang von Entgelt-punkten und Lebenserwartung? Anmerkungen zur differentiellen Sterblichkeit - Deutsche Rentenversicherung

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Gibt es einen Zusammenhang von Entgelt-
punkten und Lebenserwartung?
Anmerkungen zur differentiellen Sterblichkeit
Nicole Brumm, Matthias Römer1

Zahlreiche Untersuchungen finden Unterschiede in der Lebenserwartung in Abhängigkeit vom sozioökonomi-
schen Status. Dieser wird u. a. an der Höhe des Einkommens gemessen. Für diese Art von Untersuchungen wer-
den auch die Statistikdaten der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) genutzt. Die Zahl der Entgeltpunkte (EP) ist
in diesen Untersuchungen ein Indikator für das Lebenseinkommen. Für Teilgruppen zeigt sich ein Zusammen-
hang zwischen der Zahl der EP und der ferneren Lebenserwartung. Dieser Zusammenhang kann jedoch nicht auf
den gesamten Rentenbestand übertragen werden.

1. Hintergrund                                              dass dieser statistische Zusammenhang nicht zwin-
Die mittlere Lebenserwartung in Deutschland ist in          gend kausal interpretiert werden kann. Sowohl der
den letzten hundert Jahren kontinuierlich gestiegen.
                                                            1
Die Lebenserwartung Neugeborener hat sich seit ­Ende            Autoren in alphabetischer Reihenfolge.
                                                            2
des 19. Jahrhunderts verdoppelt2. Aktuell beträgt die           Statistisches Bundesamt (2018): Sterbetafeln 2015/2017. Wies-
mittlere Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt               baden, S. 14.
                                                            3
für Mädchen 83,2 Jahre und für Jungen 78,4 Jahre3.              Die sog. fernere mittlere Lebenserwartung z. B. im Alter 60 be-
                                                                trägt für Frauen rd. 25,3 Jahre und für Männer rd. 21,6 Jahre. Die
Jedoch haben nicht alle Personen im gleichen Aus-               fernere Lebenserwartung ist bislang stets höher als die Lebens-
maß vom Anstieg der mittleren Lebenserwartung                   erwartung bei Geburt. Grund ist die Säuglings- und Kindersterb-
profitiert. Eine Reihe von Untersuchungen finden Un-            lichkeit in jüngeren Jahren. Der Rückgang dieser Sterberisiken
terschiede in Abhängigkeit vom sozioökonomischen                war in früheren Jahren auch der entscheidende Grund für den
Status4. Dieser wird gemessen u. a. am Grad der Bil-            Anstieg der Lebenserwartung. Heute kann die steigende Lebens-
dung, der Höhe des Einkommens und der Art der be-               erwartung vor allem auf die sinkende Sterblichkeit im Alter zu-
                                                                rückgeführt werden. Gründe sind u. a. Fortschritte in der medizi-
ruflichen Tätigkeit oder des Erwerbsstatus. Z. B. zeigt
                                                                nischen Versorgung und der verbesserte Zugang zu medizini-
sich ein statistischer Zusammenhang von niedrigeren             schen Leistungen. Andere Gründe sind Verbesserungen bei der
Bildungsabschlüssen und höherer Mortalität5. Ein                Hygiene, Ernährung und Wohnsituation.
ähnlicher Zusammenhang zeigt sich für den Erwerbs-          4
                                                                Für einen Überblick zu sozialen Unterschiede in der Mortalität in
status. Arbeitslosigkeitserfahrungen gehen mit einer            Deutschland s.: Lampert et al. (2018): Soziale Ungleichheit und
höheren Mortalität einher6. Auch für die Höhe des               Gesundheit im höheren Lebensalter. In: Journal of Health Moni-
Einkommens und der Mortalität findet sich ein statis-           toring, 3 (S1), S. 1–26.
                                                            5
tischer Zusammenhang7. Eine höhere Mortalität re-               Für einen Überblick s.: Günther, Huebener (2018): Bildung und
sultiert dabei in einer geringeren Lebenserwartung.             Lebenserwartung für Deutschland und Europa. In: DIW Round
                                                                UP, 126, S. 1–10.
Für diese Art von Untersuchungen – insbesondere zu          6
                                                                Kroll et al. (2016). Arbeitslosigkeit und ihre Auswirkungen auf die
Einkommen und Mortalität – werden auch die pro­zess­            Gesundheit. Ein Überblick zum Forschungsstand und zu aktu­
produzierten Statistikdaten der gesetzlichen RV ge-
­                                                               ellen Daten der Studien GEDA 2010 und GEDA 2012. In: Bundes-
nutzt8. Dabei werden die in den Versicherungskonten             gesundheitsblatt, 2016, 59, S. 228–237.
der RV gespeicherten persönlichen Entgeltpunkte als         7
                                                                Vgl. Kroh et al. (2012): Menschen mit hohem Einkommen leben
Indi­kator für das Einkommen im Lebensverlauf heran­            länger. In: DIW Wochenbericht, 38, S. 3–15. Für einen Überblick
gezogen. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass zum            s. auch: Cutler, Deaton, Lleras-Muney (2006). The Deter­minants
einen der Zusammenhang von Einkommen und Morta-                 of Mortality. In: Journal of Economic Perspectives 20(3), 97–120.
                                                            8
lität nicht unmit­telbar kausal interpretiert werden kann       Z. B. für Trends: Wenau et al. (2019): Socioeconomic disparities in
und zum anderen die persönlichen Entgeltpunkte nicht            life expectancy gains among retired German men, 1997–2016. In:
zwingend das gesamte Einkommen im Lebensverlauf                 Journal of Epidemiology Community Health, 0, S. 1–7; Haan,
                                                                Kemptner, L  ­ üthen (2017): The Rising Longevity Gap by Lifetime
wider­spiegeln. Zudem beziehen sich die entsprechen-
                                                                Earnings – Distributional Implications for the Pension System.
den Untersuchungen auf Basis der Daten der RV in der            In: DIW Discussion Papers, 1698, S. 1–47; Scholz, Schulz (2008):
Regel nicht auf die Gesamtheit aller Versicherten, son-         Zum Trend der differentiellen Sterblichkeit der Rentner in
dern nur auf (mehr oder weniger kleine) Teilgruppen.            Deutschland. In: DRV-Schriften, 55, S. 144–152; z. B. für Quer-
                                                                schnittsbetrachtungen: Shkolnikov et al. (2008): Length of life and
2. Sozialer Status und Mortalität                               the pensions of five million retired German men. In: European
                                                                Journal of Public Health, 18/3, S. 264–269; Himmelreicher (2008):
Zunächst ist für Untersuchungen zum Zusammen-                   Die fernere Lebenserwartung von Rentnern und Pensionären im
hang von Einkommen und Mortalität zu beachten,                  Vergleich. In: WSI Mitteilungen, 5, S. 274–280.

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Wirkungskanal als auch die Richtung der Wirkung                        zz Ebenfalls könnten der Zugang und die Nutzung des
sind umstritten. Empirisch ist die Kausalität zudem                    Gesundheitssystems eine Rolle spielen, um die Unter-
nur schwer nachzuweisen.                                               schiede in der Gesundheit zu erklären. Personen mit
                                                                       höherer Bildung können ggf. aufgrund von Informa­
2.1 Zusammenhang von sozialem Status und                               tionsvorsprüngen Gesundheitsangebote besser nut-
    Gesundheit                                                         zen und z. B. früher im Lebensverlauf Vorsorgeunter-
Was erklärt den Zusammenhang zwischen sozialem                         suchungen wahrnehmen.
Status und Gesundheit9? Mackenbach (2006) nennt                        Neben den unterschiedlichen Gründen für eine
eine Reihe von Erklärungen, die sich dabei auch ge-                    schlechtere Gesundheitsverfassung und einer damit
genseitig beeinflussen können10:                                       einhergehenden höheren Mortalität, ist aber auch die
zz Eine verhaltensbezogene Perspektive erklärt die                     Richtung des Zusammenhangs nicht eindeutig. Denk-
Unterschiede in der Gesundheit anhand von ungesun-                     bar wäre auch, dass nicht ein geringes Einkommen
den Aktivitäten wie etwa Rauchen, Trinken, Mangel                      einen schlechteren Gesundheitszustand zur Folge
an Bewegung. Diese treten nach sozialem Status un-                     hat, sondern dass Menschen aufgrund ihrer schlech-
terschiedlich häufig auf. Personen mit niedrigerem                     ten Gesundheit in der Folge ein geringeres Einkom-
sozialem Status rauchen z. B. häufiger im Alter11. Die                 men haben. Gleiches gilt für Bildung und Gesundheit.
beobachteten Unterschiede in der Mortalität sind in-                   Es ist nicht klar, ob weniger Bildung zu gesundheit­
soweit verhaltensbedingt erzeugt: Nicht der soziale                    lichen Einschränkungen führt oder Menschen mit
Status wäre ursächlich für die unterschiedliche Le-                    schlechter Gesundheit weniger Bildung erfahren12.
benserwartung, sondern das Verhalten, das damit
einhergeht. Dabei bleibt jedoch die Frage ungeklärt,                   2.2 Ursache und Wirkung schwer zu bestimmen
warum Personen mit einem niedrigeren sozialen Sta-     Aus methodischer Sicht ist eine Beurteilung der Kau-
tus häufiger einen ungesunden Lebenswandel auf-        salität schwierig, weil nicht-beobachtete Variablen
weisen.                                                                 sowohl mit der Mortalität einerseits
zz Eine psychosoziale Perspektive                                       und z. B. Bildungsabschlüssen ande-
                                       Nicole Brumm und                 rerseits zusammenhängen können13.
setzt hingegen bei der sozialen Un-
                                       ­Matthias Römer arbeiten         Eine oft genannte un­beobachtete Va-
gleichheit als Erklärung an. Eine
                                        im Bereich Entwicklungs-        riable ist z. B. „Fähigkeit“/Intelligenz/­
niedrigere Stufe in der beruflichen
                                        fragen der Sozialen
Hierarchie sei z. B. mit einer stärke-                                  Talent. Aufgrund dieser Variable wer-
                                        Sicher­heit und Alters­
ren Weisungsgebundenheit verbun-                                        den womöglich höhere Bildungsab-
                                        vorsorge/Geschäfts­
den. Das führt zu einem erhöhten                                        schlüsse erzielt; ein höherer Bil-
                                        bereich Forschung
Stresslevel und schlägt sich in einer                                   dungsabschluss geht dann z. B.
                                        und Entwicklung der
schlechteren gesundheitlichen Ver-                                      tendenziell mit we­niger belastenden
                                        ­Deutschen Renten­
fassung nieder.                                                         Berufen einher. Die Folge ist eine ge-
                                         versicherung Bund.
zz Eine materielle Erklärung nennt                                      ringere Mortalität. In diesem Fall wä-
als Ursache für schlechtere Gesund-                                     re aber die Bildung nicht ursächlich
heit das niedrigere Einkommen und damit einherge-                       für die höhere Mortalität, obwohl es
hende Einschränkungen im Lebensstandard. Ein hö-       einen statischen Zusammenhang von Bildung und
heres Einkommen erlaubt z. B. Wohnung und Ernäh-       Mortalität gibt.
rung von besserer Qualität zu nutzen.                                  Aus diesen Gründen kann aufgrund des beobachte-
                                                                       ten statistischen Zusammenhangs von sozioökonomi-
9
     Mortalitätsraten sind dabei ein Maß, um die gesundheitliche Un-   schem Status und Mortalität bzw. Lebenserwartung
     gleichheit zu messen. Aus der höheren Mortalität ergibt sich in   noch nicht auf Ursache und Wirkung geschlossen
     der Folge eine geringere Lebenserwartung.                         werden. Das gilt grundsätzlich in ähnlicher Weise
10
     Für einen Überblick s.: Mackenbach (2006): Health Inequalities.   auch für Untersuchungen zum Zusammenhang von
     Europe in Profile. In: An independent, expert report commis­      mittlerer fernerer Lebenserwartung und Einkommen
     sioned by the UK Presidency of the EU. London: Department of
                                                                       gemessen anhand der persönlichen EP. Bei Analysen,
     Health, S. 31f.
11                                                                     in denen die nach den Regelungen des Rentenrechts
     Czaplicki, Stern (2016). Sozialstrukturelle Determinanten von
     Tabakkonsum im Alter. In: RVaktuell, S. 39–46.
                                                                       ermittelten EP als Indikator für das Lebenseinkom-
12                                                                     men herangezogen werden, sind darüber hinaus wei-
     In der Literatur gibt es Anhaltspunkte, dass die Gesundheit den
     sozioökonomischen Status beeinflusst (und nicht umgekehrt),       tere Aspekte zu beachten.
     jedoch gilt dieser Effekt als zu gering um die beobachteten Un-
     terschiede in der Gesundheit zu erklären. Für einen Überblick     3. Zusammenhang von Entgeltpunkten und Lebens­
     s. Richter, Hurrelmann (2009): Gesundheitliche Ungleichheit:         erwartung
     Grundlagen, Probleme, Perspektiven, Verlag für Sozialwissen-
     schaften, 2. Auflage, S. 21.                                      Untersuchungen zu Einkommen und Lebenserwar-
13                                                                     tung nutzen auch die prozessproduzierten Statistik-
     Für einen Überblick zu methodischen Ansätzen, um dieses Pro-
     blem zu umgehen, s. Günther, Huebener (2018): Bildung und         daten der RV. Dabei ist zu beachten, dass die Daten
     Lebenserwartung für Deutschland und Europa. In: DIW Round         der Statistik nicht das Einkommen, sondern die er-
     UP, 126, S. 4f.                                                   worbenen persönlichen EP von Versicherten auswei-

                                                                                                    RVaktuell 3/2019    73
Tabelle 1: Zuordnung der Dezile

 Dezil                   1          2           3          4              5             6            7           8           9           10

 Persönliche
                       ≤5.9     >5.9–10.3 >10.3–16.4 >16.4–23.4 >23.4–29.2 >29.2–34.4 >34.4–41.1 >41.1–48.1 >48.1–56.7                  >56.7
 Entgeltgruppe

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

sen14. Diese spiegeln aber nur das rentenversiche-                   obersten Dezile weisen deutlich steigende Werte für
rungspflichtige Einkommen der Versicherten wider,                    die durchschnittliche fernere Lebenserwartung auf.
und auch dies nur bis zur jeweiligen Beitragsbemes­                  Selbst die zehn Prozent der Rentenbezieher mit den
sungsgrenze. Einkünfte z. B. aus einer selbständigen                 höchsten Renten haben aber im Schnitt eine geringe-
Tätigkeit oder aus einem Beamtenverhältnis oder                      re ferne Lebenserwartung als jene 40 % der Rentne-
auch Einkommen aus Vermögen oder Vermietung/                         rinnen und Rentner mit den geringsten Renten. Was
Verpachtung sind dabei nicht berücksichtigt.                         sind die Gründe für dieses Ergebnis?
Als Indikator für das Lebenseinkommen können die
persönlichen EP deshalb nur für spezielle, möglichst                 3.1 Einfluss des Geschlechts auf die fernere Lebens-
homogene Teilgruppen der Versicherten der gesetz­                        erwartung
lichen RV gelten. In vielen Untersuchungen zum Zu-                   Die fernere Lebenserwartung eines 67-jährigen Man-
sammenhang zwischen Lebenserwartung und Le-                          nes beträgt 16,1 Jahre, wohingegen eine Frau glei-
benseinkommen, die Daten der RV nutzen, werden                       chen Alters rd. 3,2 Jahre länger lebt (19,3 Jahre)16.
deshalb nur Männer mit einer größeren Mindestan-                     Dieser Unterschied bei der ferneren Lebenserwar-
zahl an Beitragsjahren und/oder persönlichen Ent-                    tung von Männern und Frauen ist größer als die Ab-
geltpunkten herangezogen; vielfach beschränken sich                  weichung bei der ferneren Lebenserwartung zwi-
die Untersuchungen darüber hinaus auch auf west-                     schen einzelnen Dezilen der persönlichen EP. Somit
deutsche Versicherte bzw. Rentner. In der Darstellung                hat das Mischungsverhältnis von Männern und Frau-
in den Medien werden die für diese Teilgruppen ge-                   en innerhalb der Dezile einen enormen Einfluss auf
fundenen Ergebnisse allerdings häufig undifferen-                    die Höhe der durchschnittlichen ferneren Lebens­
ziert auf alle Versicherten der RV oder gar auf die                  erwartung. Dieser Einfluss des Geschlechts überla-
Gesamtbevölkerung übertragen.                                        gert den möglichen Effekt der Unterschiede an per-
Die folgende Auswertung zeigt, dass die Ergebnisse                   sönlichen EP.
zur ferneren Lebenserwartung auf Basis von Teil-                     Tabelle 2 zeigt die Verteilungen von Männern und
gruppen aber nicht auf den gesamten Rentenbestand                    Frauen innerhalb der einzelnen Dezile. Hieran lässt
übertragen werden können. Die vorliegende Berech-                    sich gut erklären, warum sich die fernere Lebens­
nung der durchschnittlichen ferneren Lebenserwar-
tung beruht auf einer Periodensterbetafel, die aus der               14
Vollerhebung aller Renten wegen Alters für die Jahr-                          Die persönlichen EP enthalten die Summe aller EP unter Be-
                                                                              rücksichtigung des jeweiligen Zugangsfaktors, d. h. unter Be-
gänge 1946 und älter berechnet wurde. Der Beobach-                            rücksichtigung von Ab- und Zuschlägen aufgrund von vorzeiti-
tungszeitraum ist Januar 2012 bis Dezember 2014.                              gem oder späterem Renteneintritt, des Teilrentenanteils und der
Somit können für die Berechnungen der rohen Ster-                             verminderten Berücksichtigung von EP für Kindererziehungs-
bewahrscheinlichkeiten pro Alter genau zwei Jahr-                             zeiten (§§ 256d, 307d Satz 5 SGB VI i. d. F. bis 31. 7. 2004). Ent­
gänge verwendet werden. Die Auswertung dieser                                 halten sind auch Zuschläge an persönlichen EP für Kindererzie-
RV‑Daten ohne Beschränkung auf einzelne Teilgrup-                             hung nach § 307d SGB VI. S. Variablenbeschreibung im Renten-
                                                                              datensatz SK90.
pen zeigt, dass mit zunehmenden Rentenansprüchen
                                                                     15
– gemessen in persönlichen EP15 – kein Trend zu einer                         Ein besserer Indikator für die Rentenansprüche ist die Summe
                                                                              der EP, weil z. B. Abschläge bei vorzeitigem Renteneintritt dort
 höheren ferneren Lebenserwartung zu erkennen ist
                                                                              nicht berücksichtigt werden. Die Summe der EP ist aber nicht
 (vgl. Abb. 1). Die Abb. weist die durchschnittliche fer-                     für alle beobachteten Jahrgänge vollständig verfügbar. Aus die-
nere Lebenserwartung der Gesamtheit der Rentenbe-                             sem Grund werden der Analyse die persönlichen EP zu Grunde
zieher aus, dabei sind die Rentenbezieher nach der                            gelegt. Ab dem Geburtsjahrgang 1932 liegt die Summe der Ent-
Anzahl der persönlichen Entgeltpunkte in Dezile un-                           geltpunkte bis auf wenige Ausnahmen vollständig vor. S. zur
terteilt dargestellt. Das links angeordnete 1. Dezil                          Wahl der persönlichen EP auch S. 87 in Scholz, von Gaudecker
umfasst die zehn Prozent der Rentenbezieher mit der                           (2007): Differential mortality by lifetime earnings in Germany. In:
                                                                              Demographic Research, 17, 4, S. 83–108. In Zukunft ist zu prü-
geringsten Zahl an EP, das ganz rechts angeordnete
                                                                              fen, ob eine Analyse auf Basis der Summe der EP möglich ist.
10. Dezil die zehn Prozent der Rentenbezieher mit der                16
                                                                              Vergleichbar zu diesem Ergebnis auf Basis der Zahlen der RV ist
höchsten Anzahl an EP. Tabelle 1 enthält weitere
                                                                              die fernere Lebenserwartung nach den Periodensterbetafeln
­Erläuterungen. Es zeigt sich, dass die durchschnitt­                         2013 (Beobachtungszeitraum 2012–2014) vom Statistischen
 liche fernere Lebenserwartung mit steigender Zahl                            Bundesamt, nach der die Werte für 67-jährige Männer 16,2 Jah-
 an EP zunächst stetig geringer wird; erst die beiden                         re und für Frauen 19,2 Jahre betragen.

74    RVaktuell 3/2019
Tabelle 2: Fernere Lebenserwartung – Verteilung von Männern und Frauen

 Dezil                                   1            2            3            4            5            6             7             8              9             10
 Anteil Männer in %                    31,0         18,4         21,5         23,5          22,7         27,3          49,3          73,1           84,4           92,2
 Anteil Frauen in %                    69,0         81,6         78,5         76,5         77,3          72,7          50,7          26,9           15,6            7,8

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

erwartung im Gesamtbestand in den unteren Dezilen                                       niger als zehn Jahre verfügen. Im 10. Dezil hingegen
eher an die fernere Lebenserwartung der Frauen und                                      ist die Anzahl der rentenrechtlichen Jahre deutlich
in den oberen Dezilen eher an die der Männer annä-                                      gleichmäßiger verteilt. Über 96 % der Versicherten
hert (vgl. Abb. 2, S. 76).                                                              verfügen hier über 40 Jahre und mehr an renten-
                                                                                        rechtlichen Zeiten.
3.2 Persönliche EP als Indikator für den sozio-                                         Dies spiegelt sich auch in den durchschnittlichen Ent-
    ökonomischen Status                                                                 geltpunkten aus Beitragszeiten wider. Eine Auswer-
Die Zahl der EP ist kein valider Indikator für den                                      tung ist jedoch für den Rentenbestand nicht möglich,
­sozioökonomischen Status (Einkommen, Beruf, Bil-                                       weil insbesondere für ältere Jahrgänge das Merkmal
 dung). Ihre Zahl sagt z. B. noch nicht zwingend etwas                                  Beitragszeit nicht vollständig verfügbar ist. Für den
 über das Lebenseinkommen aus, da z. B. Einkünfte                                       Rentenzugang 2016 sind Beitragszeiten aber fast voll-
 bei Selbständigkeit oder Verbeamtung nicht berück-                                     ständig verfügbar. Auch hier zeigt sich exemplarisch,
 sichtigt werden.                                                                       dass die unteren EP-Dezile sehr heterogen sind (vgl.
Am Beispiel der rentenrechtlichen Zeiten zeigt sich,                                    Abb. 4, S. 77).
dass in den unteren Dezilen den persönlichen EP sehr                                    In den unteren EP-Dezilen fallen die durchschnitt­
unterschiedlich lange rentenrechtliche Zeiten gegen-                                    lichen EP aus Beitragszeiten und beitragsfreien Zei-
überstehen, während sich in den obersten Dezilen                                        ten sehr unterschiedlich aus, d. h., es finden sich so-
die Anzahl der Jahre an rentenrechtlichen Zeiten                                        wohl Personen mit langen Beitragszeiten und einer
deutlich angleichen (vgl. Abb. 3, S. 76). Im 1. Dezil                                   geringen Zahl an EP pro Jahr der Beitragszahlung als
verfügen knapp 35 % der Versicherten über 20 Jahre                                      auch Personen mit kurzen Beitragszeiten und ver-
und mehr an rentenrechtlichen Zeiten. Dem stehen                                        gleichsweise vielen EP. So kann sich z. B. im ersten
knapp 30 % der Versicherten gegenüber, die über we-                                     EP-Dezil eine Person befinden, die nach einer nur

Abb. 1: Fernere Lebenserwartung im Alter 67 nach EP-Dezilen

                20
                                      18,62
                19      18,50                       18,48
                                                                  18,20                                                                                    18,15
                                                                                18,02        17,72
                18
                                                                                                            16,95                           16,94
                17                                                                                                          16,46

                16
    – Jahre –

                15

                14

                13

                12

                11

                10
                     EP 1. Dezil   EP 2. Dezil   EP 3. Dezil   EP 4. Dezil   EP 5. Dezil   EP 6. Dezil   EP 7. Dezil   EP 8. Dezil    EP 9. Dezil EP 10. Dezil

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

                                                                                                                                     RVaktuell 3/2019                     75
Abb. 2: Fernere Lebenserwartung im Alter 67 nach EP-Dezilen

                 22

                                                                                                                                                                                                                                                               20,83
                                                                                                                                                                                                                                       20,32
                                                                                  19,32

                                                                                                            19,24

                                                                                                                                                                                       19,41
                                                                                                                                                               19,12

                                                                                                                                                                                                               19,79
                               19,38

                                                                                                                                     19,15
                                                         19,20
                 20

                                                                 18,62
                                       18,50

                                                                                          18,48

                                                                                                                    18,20

                                                                                                                                                                                                                                                                       18,15
                                                                                                                                             18,02

                                                                                                                                                                                               16,95

                                                                                                                                                                                                                                                       17,96
                                                                                                                                                                       17,72
                 18

                                                                                                                                                                                                                                               16,94
                       16,76

                                                 16,52

                                                                                                                                                                                                                       16,46

                                                                                                                                                                                                                               16,42
     – Jahre –

                                                                          15,91

                                                                                                    15,40

                                                                                                                                                                                                       15,43
                 16

                                                                                                                             14,84

                                                                                                                                                                               14,76
                                                                                                                                                       14,64
                 14

                 12

                 10
                       EP 1. Dezil               EP 2. Dezil             EP 3. Dezil              EP 4. Dezil               EP 5. Dezil               EP 6. Dezil              EP 7. Dezil             EP 8. Dezil             EP 9. Dezil EP 10. Dezil

                                                                                                                    Männer                           Frauen                    Gesamt

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

Abb. 3: Rentenrechtliche Zeiten (in Jahren)

     100%

        90%

        80%

        70%

        60%

        50%

        40%

        30%

        20%

        10%

           0%
                      EP 1. Dezil               EP 2. Dezil              EP 3. Dezil              EP 4. Dezil               EP 5. Dezil               EP 6. Dezil              EP 7. Dezil             EP 8. Dezil             EP 9. Dezil             EP 10. Dezil

                                               Keine Angaben
Abb. 4: Durchschnittliche EP aus Beitragszeiten und beitragsfreien Zeiten

     100%

       90%

       80%

       70%

       60%

       50%

       40%

       30%

       20%

       10%

        0%
               EP 1. Dezil   EP 2. Dezil   EP 3. Dezil   EP 4. Dezil   EP 5. Dezil   EP 6. Dezil   EP 7. Dezil   EP 8. Dezil    EP 9. Dezil   EP 10. Dezil

                                     Keine durchschnittlichen EP              Unter 0,3            0,3–
Abb. 5: Art des Krankenversicherungsverhältnisses

     100%

     90%

     80%

     70%

     60%

     50%

     40%

     30%

     20%

     10%

      0%
              EP 1. Dezil   EP 2. Dezil   EP 3. Dezil   EP 4. Dezil   EP 5. Dezil     EP 6. Dezil       EP 7. Dezil   EP 8. Dezil   EP 9. Dezil   EP 10. Dezil

           Freiwillig versichert, Beitragszuschuss bei anderer Rente, Rente wird bei Berechnung des Zuschusses mit berücksichtigt.

           Nicht nach deutschem Recht versichert.

           Beitragszuschuss; ggf. wird die Höhe einer anderen Rente bei der Berechnung des Zuschusses berücksichtigt.

           Pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung (Abführung Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung Bund
           oder landwirtschaftliche Krankenkasse).

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

Wird die Verteilung der Erwerbsminderungsrentner                                aber Verwaltungsdaten erlauben nicht immer eine
auf die einzelnen Dezile betrachtet (vgl. Tabelle 3), so                        Differenzierung z. B. nach dem sozioökonomischen
ist auffällig, dass sie in den mittleren Dezilen (5–7)                          Status. So stellen EP ohne starke Einschränkungen
besonders hoch vertreten sind18.                                                keinen verlässlichen Indikator für das Lebenseinkom-
                                                                                men oder den sozioökonomischen Status dar. Darüber
4. Fazit                                                                        hinaus hat das Geschlecht einen entscheidenden Ein-
Für Auswertungen zur differentiellen Sterblichkeit                              fluss auf die differentielle Sterblichkeit, was bei Aus-
auf Basis von Daten der RV muss also stets folgendes                            wertungen des Gesamtbestandes zu den beschriebe-
beachtet werden:                                                                nen Effekten führt. Somit können ohne spezielle Ein-

Hohe Fallzahlen und die verlässliche Erfassung von                              18
                                                                                      Das führt dazu, dass nicht mehr jedes Dezil gleich stark besetzt
Todesfällen in der Rentenstatistik, ermöglichen eine                                  ist. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden die Dezilgrenzen
genaue Berechnung von Sterbewahrscheinlichkeiten,                                     jedoch nicht angepasst.

Tabelle 3: Verteilung der Erwerbsminderungsrentner

 Dezil                                           1           2          3            4              5           6          7          8           9          10
 Ausgeschlossene Erwerbs­
                                                 66        120         213           341       423            438         403        346          235       132
 minderungs­rentner in Tsd.

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters.

78    RVaktuell 3/2019
Abb. 6: Fernere Lebenserwartung im Alter 67 nach EP-Dezilen

                20
                         18,50
                                 18,64

                                                                         18,86
                                             18,62

                                                                 18,48

                                                                                                                 18,57

                                                                                                                                     18,33
                                                     18,83

                                                                                             18,69
                19

                                                                                                                                                                                                                18,31
                                                                                     18,20

                                                                                                                                                                                                        18,15
                                                                                                         18,02

                                                                                                                                                         17,55
                                                                                                                             17,72
                18

                                                                                                                                                                                                17,21
                                                                                                                                                                                        16,94
                                                                                                                                                                     16,46
                                                                                                                                                 16,95

                                                                                                                                                                             16,9
                17

                16
    – Jahre –

                15

                14

                13

                12

                11

                10
                     EP 1. Dezil         EP 2. Dezil         EP 3. Dezil         EP 4. Dezil         EP 5. Dezil         EP 6. Dezil         EP 7. Dezil         EP 8. Dezil         EP 9. Dezil EP 10. Dezil

                                                                           Mit Erwerbsminderung                              Ohne Erwerbsminderung

Quelle: Eigene Berechnung. Statistik der Deutschen Rentenversicherung. Rentenbestand und -zugänge, verschiedene Jahrgänge. Rente wegen
         Alters ohne erstmaligem Rentenbeginn vor 60 Jahren.

schränkungen des Bestandes keine Aussagen zum                                                                         Damit soll im Übrigen keinesfalls ein Zusammenhang
generellen Zusammenhang zwischen individueller                                                                        zwischen Lebenserwartung und sozioökonomischem
Rentenhöhe und Sterblichkeit gemacht werden, auch                                                                     Status widerlegt oder in Frage gestellt werden. Dieser
wenn das innerhalb von homogenen Teilgruppen der                                                                      ist vielfach nachgewiesen und gut dokumentiert. Auf
Rentenbezieher (z. B. Männer mit mindestens 35 Bei-                                                                   Basis der Daten der RV lässt sich der Zusammenhang
tragsjahren und mindestens 20 EP) durchaus gezeigt                                                                    jedoch allenfalls für homogene Subgruppen der Ver­
werden kann. Allerdings sollte das dann auch deut-                                                                   sicherten nachweisen; Auswertungen zu einzelnen
lich hervorgehoben und die so gefundenen Aussagen                                                                    Gruppen im Rentenbestand lassen sich aber nicht
nicht undifferenziert auf die Gesamtheit aller Rentne-                                                               ­ohne weiteres auf den gesamten Bestand verallge-
rinnen und Rentner bezogen werden.                                                                                    meinern.

                                                                                                                                                                                    RVaktuell 3/2019                    79
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