GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler

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GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
Nummer 49 | 4. Dezember 2020

                GLAUBE,
                 LIEBE,
               HOFFNUNG
          Was würde Jesus heute tun?
           Vielleicht das Gleiche wie
        Yvan Sagnet – sagt Yvan Sagnet,
           Aktivist und Schauspieler
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
I N H A LT                                                          NR. 49                                            4. DEZEMBER 2020

                                                                          14           Yvan Sagnet ist als Kämpfer für die Rechte der Erntehelfer in Italien bekannt geworden. Nun spielt er im neuen
                                                                                       Film von Milo Rau einen zeitgemäßen Jesus Christus – zu dem er tatsächlich einige Parallelen sieht.

                                                                          22           Viele Paare, die sich aufrichtig lieben, sind trotzdem manchmal ausgesprochen fies zueinander.
                                                                                       Woher kommt dieses Fünkchen Hass in der Beziehung?

                                                                          26           Ein britischer Künstler hat für uns aktuelle Uhrenmodelle in den Sand gezeichnet – im ganz großen Stil.

                                                                          34           Die Mutter stirbt, der Sohn wird geboren: Wie unsere Autorin zwei gegensätzliche Ereignisse verarbeitet,
                                                                                       die fast zur gleichen Zeit geschehen sind.

                                                                                           10 Sagen Sie jetzt nichts 12 Gute Frage, Gefühlte Wahrheit, Gemischtes Doppel, Die drei großen Lügen
                                                                            42 Kosmos 44 Das Kochquartett 46 Getränkemarkt 48 Hotel Europa, Gewinnen, Impressum 49 Das Kreuz mit den Worten
                                                                                                                                  50 Das Beste aus aller Welt

                                                                                                                                    A U F S Z- M A G A Z I N . D E

                                                                                                                                                                         Meilenstein der
                                                                                                                                                                           Inklusion
                                                                                                                                                                       Am 7. November gelang dem 21-jährigen
                                                                                                                                                                        US-Amerikaner Chris Nikic eine große
                                                                                                                                                                         sportliche Leistung: Als erster Athlet
                                                                                                                                                                       mit Down-Syndrom absolvierte er einen
                                                                                                                                                                          Ironman-Triathlon – in 16 Stunden,
                                                                                                                                                                     46 Minuten und neun Sekunden. Im Interview
                                                                                                                                                                      mit unserer Lösungs-Kolumnistin Michaela
                                                                                                                                                                       Haas erklärt Nikic, dessen Trainingspro-
                                                                                                                                                                      gramm vor drei Jahren mit einem einzigen
Foto: Aszack Wittman/NYT/Redux/laif; Illustration: QuickHoney

                                                                                                                                                                     Liegestütz begann, wie er sich kontinuierlich
                                                                                                                                                                      verbesserte und was sein Erfolg für andere
                                                                                                                                                                       Menschen mit Down-Syndrom bedeutet.
                                                                                                                                                                              sz-magazin.de/dieloesung

                                                                                                                       Z E I C H E N D E R Z E I T • Emojis für Erwachsene (167)

                                                                                                                         Du bist dran mit Nikolaus, Kostüm im Keller.

                                                                Titelfoto: Mattia Balsamini                                                                                        SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN       3
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
Yvan Sagnet wohnt mit seiner Familie
in Rom, ist als Aktivist aber ständig
unterwegs, meistens im Süden Italiens.
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
»HEUTE WÄRE
   JESUS AUF
 EINEM BOOT IM
  MITTELMEER«
       Yvan Sagnet spielt im Film
    Das neue Evangelium die Rolle des
   Jesus – ohne Schauspieler zu sein.
 Der Regisseur Milo Rau wählte ihn, weil
   Sagnet sich mit großem Charisma
 gegen die Ausbeutung der Erntehelfer
    auf italienischen Tomatenfeldern
 auflehnt. Hier spricht Sagnet über das
 Gute und Schlechte im Menschen und
   seine Gemeinsamkeiten mit Jesus

      Interview                       Fotos

GABRIELA HERPELL          MATTIA BALSAMINI

                     SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN   15
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
A    n einem Nachmittag im
     Spätherbst sitzt Yvan Sagnet
auf dem Balkon seiner sehr klei-
                                      tat. Aber Jesus war für mich
                                      auch mehr als eine Figur aus der
                                      Religion, ich habe ihn wie ei-
                                                                            und bei in sengender Hitze
                                                                            für einen Hungerlohn Tomaten
                                                                            oder Orangen ernteten.
                                                                                                                hiebe, ich war wirklich drin in
                                                                                                                der Rolle, ich habe an die
                                                                                                                Menschheit gedacht, an Jesus.
nen Wohnung im fünften Stock          nen Gewerkschafter gesehen. Er           Rau fragte sich, wer wäre Je-    Das war wie eine Meditation.
eines sehr großen Wohnhauses          stand auf der Seite der Armen.        sus heute? Würde er, der für die    Judas’ Verrat ging mir auch sehr
in Rom. Von hier aus sieht man        Als Milo mir vorgeschlagen hat,       Armen eintrat, nicht versuchen,     nahe.
die Kuppel des Petersdoms. Vor        Jesus zu spielen, habe ich mir        diese Menschen zu retten? Er        Wie haben Sie die Apostel
ein paar Stunden ist er aus dem       angeschaut, was ich mache, ich        hörte von Yvan Sagnet, der es ge-   ausgewählt?
Süden zurückgekommen, seine           habe mir angeschaut, was Jesus        schafft hatte, die Arbeiter auf     Milo vermischt ja Fiktion und
Tätigkeit als Aktivist führt den      getan hat, und ich habe gesehen,      den Feldern zum Streik zu bewe-     Realität und arbeitet mit Profis
35-jährigen Kameruner meistens        es gibt Ähnlichkeiten. Heute          gen. Ihn, einen schwarzen Nicht-    und Laien. Wir sind zusammen
nach Apulien, Kalabrien, Sizi-        träte Jesus für die Migranten ein,    Schauspieler, der aus Kamerun       in die Ghettos gegangen und ha-
lien und in die Basilikata.           für die Geflüchteten, für die         stammt, machte Rau zu seinem        ben Leute gesucht und gebeten,
   Die Mutter seiner italie-          Rechtlosen. Er wäre in den Ghet-      Jesus, der im weißen Gewand         mit uns mitzukommen. Ge-
nischen Frau möchte mit seiner        tos, er wäre auf einem Boot im        mit seinen Jüngern das Abend-       flüchtete, Aktivisten, ein Bauer,
Tochter, ihrer Enkelin, auf den       Mittelmeer, er wäre in Afrika         mahl einnimmt, aber auch in         Gewerkschafter, manche kannte
Spielplatz, doch die Dreijährige      und Südamerika. Und er wäre           Jeans und T-Shirt auf dem Markt-    ich, manche nicht. Milo wollte
krallt sich am Vater fest, sie kann   gegen Matteo Salvini.                 platz Reden gegen die Ausbeu-       auch eine Frau als Apostel, er
sich kaum von ihm trennen. Sei-                                             tung der Geflüchteten hält. Der     sagte, Jesus hätte für ihn auch
ne Frau ist noch im Büro. Er bie-     Durch sein »Genter Manifest«          Film erzählt parallel, wie Jesus    eine Frau sein können. Für mich
tet Kaffee an, lässt die Espresso-    wurde der Schweizer Regisseur         mit den Aposteln in Jerusalem       passte das. Sie war Opfer von
kanne viel zu lange auf dem           und Theaterintendant Milo Rau         einzieht und wie Sagnet mit sei-    Menschenhandel und Prostitu-
Herd stehen und entschuldigt          2018 einer größeren Öffentlich-       nen Mitstreitern, darunter dann     tion, heute hilft sie Frauen, aus
sich, er trinke nie Kaffee und        keit bekannt: zehn Regeln für         auch Milo Rau und das Film-         der Prostitution auszusteigen.
wisse nicht, wie man ihn macht.       ein modernes Theater, das die         team, durch die Straßen von Ma-     Der Film lief im September
                                      Welt verändern soll. Dieses The-      tera zieht und zur Revolte der      im Sonderprogramm der
SZ-MAGAZIN Herr Sagnet, Sie           ater entsteht draußen, vor Ort,       Würde aufruft: la Rivolta della     Filmfestspiele in Venedig.
spielen Jesus im Film Das neue        auch in Krisengebieten, es geht       Dignità. So wird der Film einer-    Dort, vor Publikum, haben
Evangelium. Haben Sie eine            dahin, wo es wehtut, und es tau-      seits zu einer neuen Passions-      Sie ihn zum ersten Mal
Vorstellung von Gott?                 chen, neben den Schauspielern,        geschichte und andererseits zur     gesehen. Wie haben Sie sich
Y VAN SAGNET     Ja. Gott ist das     die Menschen auf, von denen           Dokumentation der Kampagne          da gefühlt?
Gute.                                 erzählt wird, als sie selbst und in   »La Rivolta della Dignità«, die     Seltsam. Es war sehr ungewohnt.
Da könnte man jetzt wider-            Rollen. Rau ist für seine Arbeit      durch den Film überhaupt erst       Ich habe den Film dort zweimal
sprechen.                             in den Kongo, in den Irak und         entsteht.                           gesehen, beim zweiten Mal war
Also sagen wir: Gott ist niemals      nun nach Süditalien gegangen.                                             ich nicht mehr so auf mich kon-
das Schlechte. Gott liebt. Wenn       In Matera, an dem Ort, an dem         In einer Szene tragen Sie mit       zentriert, sondern auf die Bot-
ich an Gott denke, denke ich an       Mel Gibson Die Passion Christi        der Dornenkrone auf dem             schaft. Und damit war ich sehr
das Gute. Er ist meine Inspirati-     und Pier Paolo Pasolini Das           Kopf das Kreuz durch die            zufrieden.
on. Es gibt auch Menschen, die        1. Evangelium nach Matthäus ge-       Straßen der süditalienischen        Welche Botschaft ist das?
mich inspirieren, Karl Marx,          dreht hatten, wollte Milo Rau         Stadt Matera. Statisten spie-       Die Botschaft auch an Christen,
Nelson Mandela, Che Guevara.          einen Film über das Ende von          len den wütenden Mob, der           dass es nicht reicht, zur Messe zu
Sie ermutigen mich in meiner          Jesus Christus machen. Dann           Ihnen beziehungsweise Jesus         gehen, die Bibel zu lesen und
politischen Arbeit, aber Gott be-     entdeckte er die Ghettos der          folgt. Wie war das für Sie als      sich zu bekreuzigen. Das Drehen
lebt das Gute in mir.                 Erntehelfer. Er sah, wie hier,        Nicht-Schauspieler?                 war auch eine politische Aktion,
Beten Sie?                            rund um die Europäische Kul-          Die Kreuzigung und der Weg          ein Protest gegen das Wirt-
Ich bete zu Hause mit meiner          turhauptstadt 2019, Migranten         dorthin waren richtig hart. Es      schaftssystem, das Ungleichheit
Frau und meiner Tochter, ich          ohne Wasser und Strom lebten          war kalt, ich bekam Peitschen-      zwischen Menschen und Völ-
bete in der Kirche, ich bitte um                                                                                kern schafft. Für Gott gäbe es
Schutz und Hilfe und Verge-                                                                                     keine Einwanderer, keine Men-
bung.
Was haben Sie gedacht, als                 »FÜR GOTT GÄBE ES                                                    schen ohne Papiere, keine Aus-
                                                                                                                grenzung von Menschen auf-

                                          KEINE EINWANDERER,
der Regisseur Milo Rau                                                                                          grund ihrer Herkunft oder eines
Ihnen die Rolle des Jesus                                                                                       Passes.
angeboten hat?                                                                                                  Der Film folgt Ihnen, wie Sie
Ich bin Christ. Ich stamme aus
einer katholischen Familie und
ich gehe mit meiner Familie hier
                                            KEINE MENSCHEN                                                      in die heruntergekommenen
                                                                                                                Unterkünfte der Erntehelfer
                                                                                                                gehen und ihnen erklären,
zur Messe. Ich habe Jesus immer
schon für das bewundert, was er              OHNE PAPIERE«                                                      dass sie sich nicht ausbeuten
                                                                                                                lassen dürfen. So haben Sie

16       SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
Links: Eine Filmszene aus Das       ja wirklich angefangen, im
                                                                                                                                                                                                        neue Evangelium, aber auch          Jahr 2011. Wie kam es dazu?
                                                                                                                                                                                                        eine Szene aus Yvan Sagnets         Ich wollte Ingenieur werden und
                                                                                                                                                                                                        wahrem Leben. Der Film be-          studierte in Turin. Ich brauchte
                                                                                                                                                                                                        gleitet den Jesus-Darsteller bei
                                                                                                                                                                                                        seiner Arbeit als Aktivist.
                                                                                                                                                                                                                                            Geld, suchte nach einem Job für
                                                                                                                                                                                                                                            den Sommer und hörte, dass
                                                                                                                                                                                                                          Das Logo der      Tomatenpflücker gebraucht wer-
                                                                                                                                                                                                                          Organisation      den. Ich habe 16 Stunden gear-
                                                                                                                                                                                                                          No Cap. Das       beitet, und oft hatte ich abends
                                                                                                                                                                                                                          Motto lautet:
                                                                                                                                                                                                                                            nichts. Null Euro. Wasser kostete
                                                                                                                                                                                                                          »Wir alle haben
                                                                                                                                                                                                                          einen Vor-        1,50 Euro. Das Sandwich: 3,50
                                                                                                                                                                                                                          arbeiter zu       Euro. Hin- und Rückfahrt: fünf
                                                                                                                                                                                                                          bekämpfen.«       Euro. Eine volle Kiste Tomaten,
                                                                                                                                                                                                                                            das sind 300 bis 400 Kilo Toma-
                                                                                                                                                                                                                                            ten, bringen 3,50 Euro. Ich habe
                                                                                                                                                    Rechts: Für eine Kiste mit 300 bis 400 Kilo                                             vier Kisten geschafft, manchmal
                                                                                                                                                   Tomaten bekommt ein illegaler Erntehelfer in                                             fünf, aber das meiste Geld war
                                                                                                                                                      Italien drei bis vier Euro. Oro rosso, rotes                                          gleich wieder weg. Wenn du das
                                                                                                                                                     Gold, nennen sie in Apulien die Tomaten.
                                                                                                                                                                                                                                            erlebst, weinst du. Ich habe
                                                                                                                                                                                                                                            abends geweint.
                                                                                                                                                                                                                                            Haben Sie in einem dieser
                                                                                                                                                                                                                                            Ghettos gewohnt?
                                                                                                                                                                                                                                            Ja, bei Nardò. Es gibt so viele da-
                                                                                                                                                                         Yvan                                                               von. Dort schlafen 50 Menschen
                                                                                                                                                                        Sagnet                                                              auf ein paar Quadratmetern, sie
                                                                                                                                                                                                                                            haben kein Licht, kein Wasser, es
                                                                                                                                                                                                                                            ist schmutzig. Sie werden von
                                                                                                                                                                                                                                            Caporali (ein Caporale ist ein Vor-
Fotos: Armin Smailovic/Fruitmarket/Langfilm/Agentur Focus (2), mauritius images/Dino Fracchia/Alamy, Simona Granati/Corbis via Getty Images

                                                                                                                                                               Der Film und                                                                 arbeiter, Anm. d. Red.) angeheu-

                                                                                                                                                                das Leben                                                                   ert, alles illegal. Die Landwirt-
                                                                                                                                                                                                                                            schaft in Italien lebt von der
                                                                                                                                                                                                                                            Ausbeutung der Migranten. Eine
                                                                                                                                                                                                                                            Million Arbeiter sind es insge-
                                                                                                                                                                                                                                            samt, die Hälfte davon wird aus-
                                                                                                                                                                                                                                            gebeutet und schlecht behan-
                                                                                                                                                                                                                                            delt, wie Sklaven.
                                                                                                                                                                                                                                            Von den Caporali?
                                                                                                                                                                                                                                            Ja, aber von manchen Bauern
                                                                                                                                                                                                                                            genauso. Die Caporali sind auch
                                                                                                                                                                                                                                            nur ihre Vertretung, und sie sind
                                                                                                                                                                                                                                            brutal, sie zahlen schlecht, sie
                                                                                                                                                                                                                                            kassieren Geld für die Unterbrin-
                                                                                                                                                                                                                                            gung in den Ghettos und für die
                                                                                                                                                                                                                                            Fahrt zu den Erntefeldern, sie
                                                                                                                                                                                                                                            quetschen 20 Leute in einen
                                                                                                                                                                                                                                            winzigen Bus, alle müssen sich
                                                                                                                                                                                                                                            ducken, damit sie nicht gesehen
                                                                                                                                              Yvan Sagnet im Juni 2017 bei der Präsentation
                                                                                                                                              seines Vereins »No Cap«, neben ihm Massimiliano
                                                                                                                                                                                                                                            werden. Es gibt ständig Unfälle,
                                                                                                                                              Bernini, der damals dem Landwirtschaftsaus-                                                   aber das interessiert natürlich
                                                                                                                                              schuss des italienischen Parlaments angehörte.                                                kaum jemanden.
                                                                                                                                                                                                                                            Wir reden von Tomaten-
                                                                                                                                                                                                                                            feldern?
                                                                                                                                                                                                                                            Ja, aber auch von Orangen, Salat,
                                                                                                                                                    In Matera gedreht: Der Einzug in Jerusalem in                                           Artischocken, Brokkoli, Pepe-
                                                                                                                                                     Das neue Evangelium. Der Milo-Rau-Film ist ab                                          roni, Fenchel, von all dem Ge-
                                                                                                                                                     17. Dezember als Kino on Demand verfügbar.
                                                                                                                                                                                                                                            müse und Obst aus Italien, das
                                                                                                                                                    Auf dasneueevangelium.de klickt man ein Kino
                                                                                                                                                     an und kauft ein Ticket, um den Film zu Hau-
                                                                                                                                                                                                                                            in den Supermärkten in Europa,
                                                                                                                                                    se zu sehen. Die Kinos sind an den Einnahmen                                            in den USA, überall auf der Welt
                                                                                                                                                        beteiligt, Tickets erhältlich ab 1. Dezember.                                       liegt.

                                                                                                                                                                                                                                  SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN                17
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
Sie haben damals zum Streik
aufgerufen. Warum Sie?
Ich hatte das Glück, studiert zu
haben und zu wissen, was meine
Rechte sind. Ich habe gesehen,
dass mir meine Rechte auf den
Tomatenfeldern genommen wur-
den, dass sie jedem Menschen
dort genommen werden. Auch
Menschen, die nicht wissen, dass
sie überhaupt Rechte haben.
Hatten Sie Angst?
Klar hatte ich Angst. Die illega-
len Immigranten waren die
schwächsten. Die Caporali dro-
hen ganz klar, wenn du nicht
tust, was wir sagen, zeigen wir
dich an, und du kehrst nach
Hause zurück. Aber auch andere
haben oft keine Wahl. In Italien
erledigen die Ausländer die Ar-
beiten, die die Italiener nicht er-
ledigen möchten, es ist die ein-
zige Möglichkeit zu überleben.
Wie haben Sie es geschafft,
die Arbeiter trotz der Angst
vom Streik zu überzeugen?
Ich habe Versammlungen organi-
siert. Ich habe geredet. Ich habe
gesagt, wir können so nicht
leben. Ich habe gesagt, wir kön-
nen so nicht arbeiten, wir sind
Menschen, das ist nicht men-
schenwürdig. Wir müssen unse-
re Würde verteidigen. Wir müs-
sen protestieren. Sie haben ge-
sagt, du hast recht, aber wir
haben Angst. Erst haben sich
kaum welche getraut mitzuma-
chen. Ich habe die Straßen blo-
ckiert, die vom Ghetto zu den
Feldern führten, mit Ästen und
Felsbrocken, sodass die Caporali
mit ihren Bussen nicht durch-
kamen. Irgendwann haben sich
mehr Menschen getraut. Am ers-
ten Tag des Streiks waren wir
mehr als 1000, fast alles Bewoh-
ner des Ghettos.

Yvan Sagnet wusste, der Streik
wäre vorüber, sobald die Men-
schen Hunger und Durst leiden
würden. Mit der Bitte um Spen-
den wandte er sich an die Öffent-
lichkeit. Die Leute aus der Um-
gebung brachten Reis, Milch
und Brot, aber auch Menschen          Sagnet lebt von wenig Geld. Er hält sich mit kleinen Spenden über Wasser, er wird auf Konferenzen eingeladen, um
aus dem ganzen Land spendeten                      Vorträge über seine Arbeit zu halten, und seine Reisen unterstützt der Verein »No Cap«.

18       SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
»BEI 39 CENT FÜR EINE
großzügig. Dann berichteten                                                                                    Sie können aber keine Wun-
Zeitungen, so wurde der Auf-                                                                                   der vollbringen und illegalen
stand von Nardò zum ersten                                                                                     Einwanderern legale Arbeit
großen Streik migrantischer Ar-
beitskräfte in Italien.               DOSE TOMATEN BRAUCHT                                                     vermitteln, oder?
                                                                                                               Wir müssen uns an das Gesetz

                                        DER BAUER SKLAVEN«
                                                                                                               halten. Wir gehen in die Ghet-
Sind Sie bedroht worden?                                                                                       tos, rufen die Leute zusammen
Praktisch die ganze Zeit. Wir                                                                                  und sagen, wir können nur die
haben immerhin zwei Monate                                                                                     nehmen, die Papiere haben.
lang gestreikt, in der Zeit lebte     arbeitet und dann ein eigenes        soundso viel für deine Orangen      Aber diese gesetzliche Untertei-
ich im Ghetto. Die Caporali ha-       Netzwerk gegründet.                  bekommst und der Supermarkt         lung der Einwanderer in legale
ben mich bedroht, du stiftest         Nämlich den Verein »No               soundso viel Tonnen deiner          und illegale begünstigt die Aus-
hier nur Unfrieden, verzieh dich,     Cap«. Das Logo »No Cap« auf          Orangen nimmt, könntest du          beutung.
sonst werden wir dir zeigen, wie      einer Tomatendose bedeu-             deine Arbeiter anstellen?           Wie geht es Ihnen damit,
das hier läuft! Sie haben auch        tet, dass die Ware ohne              An wen treten Sie heran, an         dass Sie so vielen nicht hel-
versucht, mich zu diskreditieren.     die Mitwirkung von Caporali          die Geschäftsführung einer          fen können?
Wie das?                              gepflückt wurde.                     Lidl-Filiale oder eher eines        Wir können nicht alle retten.
Sie haben die anderen gegen           Genau. Da, wo »No Cap« drauf-        Biomarkts?                          Aber je mehr mitmachen, je
mich aufgestachelt, haben ge-         steht, wurde ohne Ausbeutung         An beide. Erst kürzlich habe ich    mehr Supermärkte sich bereit
sagt, ich sei in Wahrheit ein Ge-     geerntet. Aber in den vergange-      den Verantwortlichen des Unter-     erklären, »No Cap«-Produkte in
schäftsmann und würde sie um          nen Jahren habe ich mehr und         nehmens Aspiag Despar kennen-       ihre Regale zu stellen, desto
ihr Geld bringen. Sie haben ver-      mehr verstanden, dass das Pro-       gelernt, einen Teil der Handels-    mehr werden wir retten können.
sucht, den Spieß umzudrehen.          blem natürlich ein viel größeres     gruppe Spar – dank des Films        Milo Rau hat gesagt, ein Satz
Werden Sie heute noch                 ist. Anfangs habe ich gegen die      von Milo Rau übrigens, der Film     von Jesus in der Bibel sei für
bedroht?                              Caporali gekämpft. Doch die          hat schon viel bewirkt. Und         ihn der wichtigste für diesen
Wenn du diese Art von Arbeit          Caporali sind ja auch nur kleine     in den italienischen Megamark-      Film: »Glaubt nicht, ich sei
machst, lebst du mit dem Risiko.      Fische, sie sind nur ein Symptom     Supermärkten stehen unsere          gekommen, um das Gesetz
Es ist nicht leicht, sich gegen die   und nicht die Ursache. Wenn ein      Produkte schon im Regal.            aufzuheben…«
Caporali und die Mafia zu stel-       Caporale weg ist, ist am nächs-      Sie führen all diese Verhand-       »… sondern um es zu erfüllen«,
len. Manche lassen sich entmu-        ten Tag ein anderer da. Man          lungen selbst?                      ja. Weil es nicht befolgt wird. Es
tigen und geben auf. Aber ich         muss also das System ändern.         Ja, so wissen wir, wer dabei ist,   gibt Gesetze, die gerecht sind,
habe mich daran gewöhnt. Ich          Sehen Sie, es ist wie eine Pyrami-   und behalten die Kontrolle.         und das Gesetz, dass jedem, der
bin sehr entschlossen.                de, ganz unten die Arbeiter, da-     Wer ist wir?                        arbeitet, ein Arbeitsvertrag und
Wir führen dieses Interview           rüber die Caporali, darüber die      Wir sind jetzt um die 30 Akti-      würdige Arbeitsbedingungen
auf Französisch, in der Lan-          Landwirte, darüber die Industrie     visten in Italien und auch darü-    zustehen, ist für mich ein gutes
dessprache Kameruns. Im               und schließlich, ganz oben, die      ber hinaus. Ein richtiges Netz-     Gesetz – das ziemlich oft nicht
Film sprechen Sie sehr gut            Supermärkte, die Handelskon-         werk. Wir arbeiten mit einer an-    angewendet wird. Also arbeite
Italienisch. Konnten Sie die          zerne. Die großen Caporali, das      deren Gruppe zusammen, die          ich daran, dass es angewendet
Sprache auch, bevor Sie nach          sind Lidl, Carrefour, Auchan, sie    den Kontakt zu den Bauern her-      wird. Es gibt aber auch Gesetze,
Turin zum Studium gingen?             drücken die Preise. Wenn eine        stellt. Wir haben inzwischen 400    die ungerecht sind. Ein Gesetz,
Nicht sehr gut, aber an der Uni       Dose Tomaten 39 Cent kostet,         Menschen in legale Arbeit ge-       das den Menschen verbietet, Er-
habe ich sie schnell gelernt. Ich     braucht der Bauer Sklaven, das       bracht, die vorher für Caporali     trinkende aus dem Meer zu ret-
war in Kamerun zur Schule ge-         schafft er nicht mit rechtmäßig      gearbeitet haben. Wir müssen das    ten, ist für mich ein ungerechtes
gangen, hatte dort einen Ab-          Angestellten.                        für Hunderttausende schaffen.       Gesetz, für das ich mich nicht
schluss gemacht. Bildung ändert       Welche Rolle spielt der Kon-         Was heißt legale Arbeit             einsetzen würde.
alles. Meine Bildung hat mir          sument?                              genau?                              Mit wie vielen Landwirten
Kraft und Mut gegeben. Und ich        Der Konsument ist sehr wichtig       Die Leute bekommen einen Ver-       arbeiten Sie bisher zusam-
wusste, ich kann kämpfen, aber        am Ende der Wertschöpfungs-          trag. Der Arbeitgeber organi-       men?
ich kann auch zurück zur Uni          kette. Mit »No Cap« versuchen        siert, dass sie anständig wohnen.   Ungefähr 30. Von vielleicht einer
gehen, wenn ich möchte.               wir, alle zusammenzubringen,         Sie arbeiten sechs Stunden am       Million, von denen vielleicht 70
Sie wurden allerdings nicht           die Arbeiter, die Bauern, die        Tag. Sie bekommen 50 Euro am        Prozent legale Arbeitsverträge
Ingenieur, sondern Aktivist.          Supermärkte und die Konsu-           Tag, nicht 20, nicht 15 – sondern   umgehen. Es gäbe also genügend
Ich habe 2013 meinen Abschluss        menten. Wir fragen den Bauern,       50. Sie müssen zum Arzt gehen       Arbeitgeber für genügend Arbei-
als Ingenieur für Telekommuni-        wie viel er für ein Kilo Orangen     können, wenn es ihnen nicht gut     ter, in einer gerechten Welt, in
kation gemacht, aber ich habe         braucht, um Arbeiter anzustel-       geht. Wir unterstützen sie mit      der alle fair miteinander um-
nie in dem Beruf gearbeitet. Der      len. Wir fragen den Supermarkt,      Häusern, die wir hergerichtet       gehen.
Streik von 2011 hat mein Leben        wie viel ein Kilo Orangen kosten     haben, und mit Bussen und Au-       Was erzählen Sie den Bau-
verändert. Ich habe fünf Jahre        kann. Dann gehen wir zurück          tos, denn die Wege zu den Plan-     ern, um sie zu überzeugen,
für die Gewerkschaft CGIL ge-         zum Bauern und sagen, wenn du        tagen sind oft weit.                mehr Geld auszugeben?

                                                                                                    SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN                 19
GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - Was würde Jesus heute tun? Vielleicht das Gleiche wie Yvan Sagnet - sagt Yvan Sagnet, Aktivist und Schauspieler
»DAS SOLIDARI-
Ich erzähle ihnen, wie es den Ar-     zu können. Und ich habe zwei
beitern auf den Feldern geht. Ich     Jahre dafür gearbeitet und ge-
sage ihnen, ich bringe eure Wa-       spart, nach Italien gehen zu kön-
ren in Supermärkte nach Rom,
Mailand oder München, wenn
ihr die Arbeiter anstellt und an-
                                      nen. Meine Großmutter hat
                                      mich dazu erzogen, studieren zu
                                      wollen. Sie hat mir beigebracht,
                                                                              SCHE UND SOZIALE
ständig behandelt.
Ich habe in München noch
                                      den Menschen mit Respekt zu
                                      begegnen, mir christliche Werte          EUROPA IST EINE
                                                                             WUNSCHVORSTELLUNG«
kein Produkt mit Ihrem Logo           vermittelt. Sie hat mich zu dem
gesehen.                              Menschen gemacht, der ich bin.
In Deutschland verkaufen wir          Lebt Ihre Großmutter noch?
bisher nur über sogenannte soli-      Nein, sie ist seit 15 Jahren tot.
darische Einkaufsgruppen. Aber        Warum eigentlich Italien?             erschüttert das nicht mehr, ich      wieder erklärt, dass ich Aktivist
das wird sich ändern. Ich bin         Als ich fünf Jahre alt war, nahm      habe verstanden, wie es läuft.       bin. Es hat gedauert, aber nun
zuversichtlich.                       Kamerun an der Fußball-Welt-          Aber ich finde, es muss vieles ge-   verstehen sie, was ich mache,
Ein Klassiker in deutschen            meisterschaft teil. Die WM war        radegerückt werden.                  und akzeptieren, wer ich bin.
Regalen sind Dosentomaten             in Italien. Deutschland wurde         Ihnen schwebt also eine sehr         Stellen Sie sich vor, je nach
der Firma Mutti. Schlimm?             Weltmeister, Lothar Matthäus,         viel größere Revolte vor?            Kamerun zurückzukehren?
Auf jeden Fall nicht »No Cap«.        Jürgen Klinsmann. Kamerun             Als ich meinen Kumpels gesagt        In ein freies Afrika, ja, ohne
Was haben Sie bisher noch             war die größte Mannschaft aus         habe, es ist gut, wenn wir strei-    Konflikte, Korruption und
erreicht?                             Afrika, und sie kamen zum ers-        ken, und als ich sie habe streiken   Kriege. Wenn die Ungerechtig-
Die Schritte sind klein. Alles dau-   ten Mal weiter. Wenn sie spiel-       sehen, wusste ich, das ist der       keiten, die mit der Kolonisation
ert ewig. Wir haben es geschafft,     ten, waren bei uns die Läden          richtige Weg. Eine friedliche Re-    begonnen haben, benannt und
dass ein Gesetz gegen die Capo-       geschlossen, alle haben zuge-         volution. Aufzustehen gegen das      bekämpft werden. Allein die
rali verabschiedet wurde. Der         schaut. Ich war klein, ich sah        System, es lahmzulegen, um sei-      Handelsabkommen, die Afrika
erste große Prozess mit mehreren      die Spieler, sie sahen toll aus, so   ne Ansprüche geltend zu ma-          wirtschaftlich benachteiligen
Angeklagten, Caporali und Bau-        wollte ich werden. Ich sang den       chen: So setzt man seine Waffen      und dazu führen, dass europä-
ern, hatte 2013 begonnen, da gab      WM-Song, notti magiche (Der           am wirkungsvollsten ein und          ische Produkte in Afrika ver-
es das Gesetz noch nicht. Sie         Song heißt »Un’ estate Italiana«,     begegnet Menschen mit Re-            schleudert werden.
wurden verurteilt, gingen in Re-      notti magiche war Teil des Re-        spekt, wie meine Großmutter es       Sie meinen, italienische, sub-
vision und wurden freigespro-         frains, Anm. d. Red.), ich bekam      mir beigebracht hat.                 ventionierte Dosentomaten
chen, dagegen haben wir wiede-        ein Trikot mit der Nummer 19          Aber Ihre Großmutter war             werden nach Ghana ge-
rum in nächster Instanz Ein-          von meinem Vater, weil ich            keine Marxistin, oder?               schafft, sind dort billiger als
spruch eingelegt, und nun             Schillaci bewunderte. Ich hatte       Absolut nicht. Trotzdem gibt es      die einheimischen, die Klein-
warten wir auf die Aufhebung          quasi zwei Heimmannschaften,          Überschneidungen zwischen ih-        bauern gehen pleite und ver-
dieses erbärmlichen Urteils. Seit     Kamerun und Italien. Seitdem          rer und meiner Überzeugung.          lassen ihr Land? Kennen Sie
es das Gesetz gibt, wurden aber       hatte ich Italien im Kopf.            Man muss den Ausbeutern be-          Leute, denen das passiert ist?
mehrere Caporali und Bauern           Spielen Sie Fußball?                  wusst machen, dass sie ausbeu-       Ich kenne viele, die in ihrer afri-
angeklagt.                            Nein, aber ich bin großer Fan.        ten. Aber man muss auch den          kanischen Heimat in der Land-
Denken Sie manchmal, wenn             Wie sehen Sie Europa heute?           Ausgebeuteten bewusst machen,        wirtschaft gearbeitet haben und
alles so langsam geht und             Der Traum ist ausgeträumt. Es         dass sie ausgebeutet werden. Je-     jetzt in Italien Tomaten ernten.
mühsam ist – wäre ich doch            gibt zu viele Ungerechtigkeiten,      der kann eine Wahl haben. Auch
einfach Ingenieur geworden?           die Moral ist auf dem Nullpunkt       als Konsument kann man sich
So ticke ich nicht. Das Leben ist,    angelangt. Die Gleichgültigkeit       Fragen stellen wie: Woher kom-
wie es ist. Und ich bin stolz auf     der Leute gegenüber den Men-          men diese Tomaten? Wie sind sie
das, was ich mache.                   schenrechten ist erschreckend,        geerntet worden? Möchte ich                 GABRIELA HERPELL
Wie war Ihre Vorstellung              und besonders gegenüber dem           moderne Sklaverei unterstützen?
von Europa, bevor Sie hier-           Schicksal der Einwanderer. Eu-        Ist das christlich? Oder kann ich
herkamen?                             ropa wird von den Banken be-          etwas anderes kaufen und christ-
Es erschien mir wie das Paradies.     herrscht, von der Finanzwelt, von     licher handeln? Dieses Bewusst-
Zivilisiert. Ein Ort, an dem die      den multinationalen Konzernen.        sein kann etwas bewirken.
                                                                                                                 ging am Abend in Rom eine Pizza es-
Menschenrechte galten. Und ein        Das solidarische und soziale Eu-      Was sagen Ihre Eltern über           sen. Pizza Marinara, wie gut das klang,
Gesundheitssystem, das für je-        ropa ist eine Wunschvorstellung.      das, was Sie tun?                    sie freute sich schon auf die Muscheln
den zugänglich ist.                   Ein Prozent der Weltbevölke-          Anfangs haben sie nicht ver-         und Sardellen darauf – da kam eine
Wie war Ihr Leben in Kame-            rung besitzt neunzig Prozent des      standen, was ich machte. Sie hat-    Pizza mit Tomatensauce und Orega-
                                                                                                                 no. Keine Meeresfrüchte, nicht mal
run?                                  Reichtums. Die Reichen nutzen         ten ihre Vorstellungen, entweder
                                                                                                                 Käse. Die Pizza Marinara, das weiß
Meine Familie ist nicht reich,        ihre wirtschaftliche Macht, um        man ist Ingenieur oder man ist       Herpell jetzt, heißt so, weil sie ein Es-
wir lebten bescheiden, ich habe       die Politik zu bestimmen und          Politiker, das heißt so etwas wie    sen der armen Fischer und Seefahrer
gearbeitet, um zur Schule gehen       noch reicher zu werden. Mich          Minister. Ich habe ihnen immer       war, mit gut haltbaren Zutaten.

20       SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN
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