Google Earth - Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne - Master of Advanced Studies in Cultural / Gender Studies, MAS CGS Zürcher ...
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Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Master of Advanced Studies in Cultural / Gender Studies, MAS CGS Zürcher Hochschule der Künste, ZHdK / ics, Zürcher Fachhochschule Manuela Pfrunder
Inhaltsverzeichnis. Seite Vorwort. 9 Einleitung. 1. Einführung in das gewählte Thema. 10 2. Relevanz und Kontextualisierung des Themas. 12 3. Methodik und Vorgehensweise. 14 Hauptteil. 4. Theorie der Repräsentation, die Karte als Zeichensystem. 16 4.1 Die Repräsentationstheorie von Michel Foucault. 16 4.2 Zusammenfassung der Repräsentationstheorie. 26 4.3 Der Einfluss von Foucaults Repräsentationstheorie auf den Dekonstruktivismus. 27 4.4 Ein erster Übertrag von Foucaults Repräsentationstheorie auf Google Earth. 28 5. Das Untersuchungsobjekt Google Earth. 31 5.1 Die neuen Passagiere im All. 31 5.2 Es geht ein Gespenst umher auf der Google Erde, und sein Name ist Ich. 34 5.3 Vertigo im Erdbrowser. 35 5.4 Skyline. 37 5.5 Der Verlust des Nationalstaates. 38 5.6 YouTube, Wikipedia und die Strassenkarte. 39 5.7 Interessante Orte: Sein oder Nichtsein. 41 5.8 Globales Denken. 42 5.9 In medias res. 44 5.10 Der Benutzer als Geograf und Kartenautor. 44 5.11 Entropia. 50 5.12 Das Warten auf die Wirklichkeit. Die neue Google Earth Beta-Version 4.3. 51 5.13 Rückbesinnung auf Foucaults Repräsentationstheorie. 53 5.14 Mille Tableaux. 55 5.15 Wer ist Google? 58 6. Resümee und Fazit. 62 Seite 7 von 81
Schlussteil. 7. Passagen. 65 Anhang. 8. Literaturverzeichnis. 71 9. Bildverzeichnis. 74 10. Mediale Arbeit. 77 Seite 8 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. Vorwort. Bereits in meinem Diplomprojekt in der Grafikfachklasse der Hochschule für Gestaltung Luzern beschäftigte ich mich mit der Welt der Karten. Im Rahmen des vorgegebenen Themas »uniform« strebte ich die Kartografisierung einer Welt an, in der alle Güter gerecht auf die Anzahl Menschen verteilt worden sind. Es ergab ein Atlas, welcher über mehrere Seiten il- lustrierte, wie die gerechte Verteilung der Güter die Welt und damit auch die kartografische Erfassung derselben neu ordnet. Das entstandene Kartenwerk repräsentierte die folgenden zwei Maxime: die gerechte Verteilung der Welt und die daraus erwirkte Uniformität des ein- zelnen Mensch, der sich im Besitz von äusserlichen, materiellen Dingen in nichts mehr von seinem Mitmenschen unterschied. Wie bei den herkömmlichen Kartenwerken war es auch bei meiner Diplomarbeit der abgehobene Blick aus der Vogelperspektive, der die Grenzen der Welt zog und in bestimmten Themengebieten darüber Auskunft gab, wie das Leben auf der Welt darunter spielte. Die Faszination für das Darstellen von Lebensraum auf einer Karte hielt an. Ich sammelte allerlei Kartenmaterial und konzipierte eigene Kartendarstellungen. Als das Unternehmen Google Inc. seinen virtuellen Weltatlas mit dem Namen »Google Earth« lancierte, änderte die Form der Darstellung der Erde fundamental: Der Fokus auf die Welt, das Auge der Karte, war nicht mehr statisch. Das Auge wurde dynamisch. Google Earth ver- änderte meine Vorstellung von Welt. Meinen Dank möchte ich denjenigen Personen aussprechen, die mich während des Verfas- sens meiner Masterarbeit begleitet und unterstützt haben: Prof. Dr. Marion Strunk, Studien- leiterin MAS Cultural / Gender Studies für die Ermöglichung dieser Arbeit, Lisa Ladner für das Mentorat und Adrian Heuberger für die vielen Diskussionen über das Untersuchungsob- jekt Google Earth. Seite 9 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. Einleitung 1. Einführung in das gewählte Thema. Ein blauer, rund geschliffener Juwel dreht sich dem Blick des Benutzers auf seidenem Bild- schirmschwarz entgegen. Vereinsamte kleine weisse Punkte, die Sterne darstellen und nur insofern von den Staubkörnern auf dem Bildschirm zu unterscheiden sind, als sie durch die Drehung der marinefarbenen Kugel mitbewegt werden, geben eine Andeutung von Weltraum, in welchem sich ein besonderer Planet dem Weltenentdecker anbietet: die ›Google Erde‹. Indes ist das Erscheinungsbild dieses neuen Planeten wohlbekannt. In einer faszinierenden Detailschärfe überziehen Satellitenbilder seine Epidermis und zeigen, was wir selbst kultivie- ren: den Lebensraum Erde. Google Earth ist die Rückprojektion der Weltenbühne, deren Akteure wir selbst sind. Dieser neue Planet, diese Rückprojektion unseres Planeten, kann kostenlos und ohne Registrationspflicht von seiner Schöpferin heruntergeladen werden – von der Google Corpora- tion, deren Suchmaschine wir wohl als die bekannteste Souffleuse des überforderten Inter- netbenutzers kennen, der im Internet sucht und nicht findet. Mit Google Earth geht der Be- nutzer auf räumliche Expedition: Der neue Planet, der nicht im Sonnensystem sondern in den Schaltkreisen des Heimcomputers kreist, lädt mit seinen zoom- und kippbaren Sichtein- stellungen zum virtuellen Lustwandel. Dabei ist das Terrain des Planeten nicht etwa flach. Im Tiefflug kann über die dreidimensional generierten Alpen der Google Erde geflogen wer- den. Eine digitalisierte Pracht alpiner Formenwildheit drängt und stürmt dem Auge entgegen. Und auch in etlichen Grossstädten zeigen viele Gebäude sich von ihrer dreidimensionalen Seite. Möchte Google Earth also eine virtuelle Kopie unseres Lebensraums sein? Doch der virtuelle Planet ist nicht nur ein Faksimile unseres Lebensraumes. Google Earth zeichnet auch etwelche nichträumliche Aspekte unseres Lebens nach. Denn über die virtuel- le Erdkruste können thematische Karten geschichtet werden, die das Leben auf der Erde politisch, wirtschaftlich, kulturell oder auch soziologisch dokumentieren. In unserem Zeital- ter der Globalisierung gibt es Abertausende von thematischen oder statistischen Weltkarten, die das Leben und Treiben der Menschen in einem globalen Zusammenhang darstellen. Die- se Kartensysteme werden zumeist von Privatanwendern oder unabhängigen Organisationen für Google Earth aufbereitet und können kostenfrei heruntergeladen und auf Google Earth appliziert werden. Google Earth wird zum Koordinatensystem der Moderne, in welchem die räumliche Darstellung globalen Denkens endlich eine Heimat findet. Eine kollektive Autor- schaft zeigt uns in den implementierbaren Karten, wie sie die Welt sehen will. Die Google Erde wird kulturalisiert. Doch nicht nur die Kulturalisierung von Google Earth sondern auch deren Kolonisierung hat bereits begonnen. Denn der virtuelle Raum ist für die Wirtschaft vor allem ein neuer kom- merzieller Raum, der möglichst schnell mit Werbung gefüllt werden soll. Zudem ist unter Seite 10 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. vielen Benutzern von Google Earth das Fieber ausgebrochen, verblüffende Bilder zu entde- cken, deren Koordinaten sie markieren und in einschlägigen Foren veröffentlichen, um sich durch den Fund so etwas wie ein kleines Fleckchen Eigentum auf dem neuen Planeten zu ergattern. Wird also die Erde in ihrer virtuellen Form ein zweites Mal erobert? Google Earth ist mehr als ein virtueller Weltatlas und mehr als eine blosse Kopie der realen Erde. Google Earth ist eine neue Weltenschöpfung. Doch welche Kraft ist es, welche die neue Welt in ihrem Innersten zusammenhält? Welche Konsequenzen hat Google Earth für unser Leben auf der realen Erde? Wird in Google die Welt demokratisiert oder zentralisiert? Und: wer da aufgebrochen ist, die Erde ein zweites Mal zu erschaffen, kennen wir diese Schöpferin überhaupt? Wer ist Google Inc.? Diese Frageflut kann in einer einzigen zentralen Fragestellung verdichtet werden: Wen oder was repräsentiert Google Earth? Die vorliegende Arbeit möchte sich an Antworten versuchen. Seite 11 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. 2. Relevanz und Kontextualisierung des Themas. Über lange Zeit wurde die räumliche Dimension in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissen- schaften ausgeblendet. Das gesellschaftliche Leben wurde ohne ihre räumliche Komponente beleuchtet. Doch in neuer Zeit fand eine geografische Wende – ein spatial turn – statt. Spatial turn leitet sich ab vom lateinischen Substantiv »spatium«, welches einen Raum für freie Be- wegung beschreibt, wovon sich unter anderem auch das deutsche Wort »spazieren« herleitet.1 Seit dem spatial turn begann man, das kulturelle Leben, das Zusammenleben der Menschen, die Wirtschaft und auch die Politik vermehrt auf ihre räumlichen Zusammenhänge hin zu un- tersuchen. So entstand das neue Forschungsfeld der Sozialgeografie.2 Die räumliche Kontex- tualisierung des Subjekts, seine Weltbindung, die immer auch eine Weltaneignung ist, rücken darin in das Zentrum der Betrachtungen. Der Raum wird als Konstituens politischer, ökono- mischer und gesellschaftlicher Macht erkannt. Kartenwerke sind ein Mittel, die räumlichen Verhältnisse einer Zeit zu konservieren. Als ge- schichtliche Dokumente erzählen sie uns »vom Drama des Auftauchens und Wiederver- schwindens von Orten, Räumen und Raumbildern«.3 Die Karten geben einer Zeit räumlichen Halt. Sie sind das Fixativ für Spuren und Grundrisse, die im realen Raum von der rasenden Zeit überrollt und ausgelöscht werden. Kartenbilder leben im Kopf der Generationen fort. Man wächst mit einer Visualisierung räumlich-politischer Verhältnisse auf und läst sie so schnell nicht mehr los. So kann es sein, dass die Kinder in der Schule nach neuen Atlanten unter- richtet werden, währenddem der Weltvorstellung ihrer Eltern immer noch die räumlich- politischen Verhältnisse eines gestrigen Geografieunterrichts anhaften. Karten prägen die gan- ze Gesellschaft ihrer Zeit.4 Herkömmliche Kartenwerke sind Ausdruck etablierter und andauernder Verhältnisse in der Welt. Mit Google Earth wurde eine Repräsentation von Welt geschaffen, deren Inhalt dyna- misch ist. Die virtuelle Weltschau fixiert nicht mehr die Spuren einer Zeit sondern versucht, in immer aktuelleren Satellitenaufnahmen die Zeit zwischen der Spurensicherung und der Jetzt- Zeit zu verkürzen. Es muss also geklärt werden, inwiefern Google Earth noch ein Kartensystem und nicht vielmehr eine digitale Kopie der Erde ist. Der Umgang mit Google Earth wird ein anderer sein als derjenige mit konventionellen Kartensystemen. Die Benutzer werden auf ih- 1 Vgl. Dünne, Jürg / Hünzel, Stephan: 2006, S. 10 2 Vgl. Werlen, Benno in: Interview des Schweizer Fernsehens, Zürich 02.05.2007, [11:55 - 12:40] 3 Schlögel, Karl: 2003, S. 86-87 4 Vgl. Schlögel, Karl: 2003, S. 85-87 Seite 12 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. rem virtuellen Lustwandel anders navigieren als beim Studium einer planen Karte. Und die Nutzer werden nicht nur auf immer aktuellere Satellitenbilder der Erde sondern auch auf Spu- ren anderer Benutzer stossen, die eine Entdeckung markiert oder eine thematische Karte ver- öffentlicht haben. Kurzum: auf Google Earth wird sich im Gegensatz zu bisherigen Kartensys- temen neues Leben entwickeln. Google Earth radikalisiert die Wahrnehmung von Raum. Dem Raum wohnt seit jeher eine geschlechterbetonende Komponente inne. So wird das Innen meist mit dem weiblichen Raum der Hausarbeit, der Familie und der Keuschheit in Verbindung gebracht, während das Aussen als der männliche Raum der Arbeit, Dienstreise und Eroberung akzentuiert wird. In Google Earth oszillieren diese beiden Räume permanent. Aus 25'000 Kilometern über Meer stürzt sich der Blick auf den virtuellen Planeten hinab, wühlt sich in die entlegensten Winkel der Erde, um verblüffende Bilder zu entdecken, die noch niemand zuvor entdeckt hat und also noch jungfräulich sind, schnellt wieder hoch in die Erdumlaufbahn und jagt erneut in die Tiefe, um einen anderen Flecken virtueller Erde als erster zu entdecken und zu erobern. Das Trauma der unterschiedlichen räumlichen Wahrnehmung von Geschlecht wiederholt sich in Google Earth und weist sie durchaus als ein Untersuchungsobjekt aus, dem eine gewisse Relevanz für die Cultural und Gender Studies zukommt. Seite 13 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. 3. Methodik und Vorgehensweise. Vorliegende Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Denn ebenso wie eine Karte, die den Raum niemals vollständig einfangen kann, sondern immer um noch feinere Details bereichert werden könnte, kann auch diese Arbeit den virtuellen Raum von Google Earth nicht vollständig beschreiben. Zudem ist Google Earth eine Plattform mit dynamischem In- halt – dem Internet verwandt, so dass eine Abhandlung über sie nur einer momentanen Be- standesaufnahme gleichkommen kann. Google Earth bildet zum Einen das Gesicht der Erde in einem erstaunlich hohen Realitätsgrad ab. Zum Anderen erzählt Google Earth aber auch das Leben der Menschen aus den themati- sche Weltkarten, die über die Satellitenbilder gebettet werden. Google Earth hat also neben der Erde vor allem auch das menschliche Leben zu ihrem Gegenstand. Deshalb könnte für das Unterfangen, Google Earth zu untersuchen, wohl jedes menschliche Erzeugnis beigezogen und in einen Vergleich mit dem Untersuchungsobjekt gestellt werden. Jegliche Literatur, ob kartentheoretisch, philosophisch, belletristisch oder theologisch, liesse sich auf irgendeine Art und Weise auf den neuen virtuellen Planeten anwenden. Diese Eigenheit von Google Earth reformiert die Kartografie: Praktisch alle Themen der Menschheit lassen sich gleichzeitig auf einem einzigen virtuellen Globus räumlich kontextualisieren. Die vorliegende Untersuchung von Google Earth musste also zwingend einige Themenbereiche fokussieren und andere ausschliessen. So wird der technische Aspekt des Computerpro- gramms nur am Rande und der psychologische und soziologische nur skizzenhaft behandelt, da über letzteren zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit schlicht und einfach noch keine Expertisen vorlagen. Deshalb kann auch der Gender-Aspekt von Google Earth nicht ausrei- chend beleuchtet sondern nur angedeutet werden. Der Topos der Biopolitik klingt mancher- orts an, wird aber auch nicht weiter ausgeführt, da seine Bearbeitung den Rahmen dieser Arbeit mit Sicherheit gesprengt hätte. Auch der Diskurs über die Monopolstellung von Google Inc. wurde nicht mit zusätzlichen Machttheorien unnötig ausgeweitet, sondern orientiert sich so nah wie möglich am Untersuchungsobjekt. In einem ersten Schritt versucht die vorliegende Arbeit, den Begriff der Repräsentation an- hand Michel Foucaults Abhandlung über die Ordnung der Dinge herauszuarbeiten und auf Google Earth anzuwenden. In einem zweiten grösseren Kapitel werden das Untersuchungsobjekt Google Earth, seine An- wender und seine Schöpferin Google Inc. vorgestellt. Es wird jedoch nur die kostenlose Versi- on des Computerprogramms beschrieben, die kostenpflichtige wird vernachlässigt. Ebenso wurde darauf verzichtet, den implementierten Flugsimulator und die Funktion zur Erkundung des Alls in die Abhandlung einzugliedern. Den Konkurrenzprodukten von Google Earth verleiht vorliegende Untersuchung ihre Stimme ebenfalls nicht. Seite 14 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. Die Endergebnisse der Untersuchung schliessen sich diesem zweiten Hauptteil der Arbeit an. Darin wird versucht, die Hauptaussagen anderer Kapitel noch einmal in Kürze vorzutragen und miteinander zu verknüpfen. Zu guter Letzt wagt sich die Arbeit an eine Zukunftsprognose über die Verwendung von Google Earth. In Bezug auf die gendergerechte Verwendung männlicher und weiblicher Geschlechtsformen in generellen Termini sei auf die Fussnote 23 im Kapitel »4.1 Die Repräsentationstheorie von Michel Foucault« auf Seite 25 verwiesen. Seite 15 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. Hauptteil 4. Theorie der Repräsentation, die Karte als Zeichensystem. Im Folgenden soll auf die Repräsentationstheorie von Michel Foucault eingegangen werden, welche er in seinem 1971 ersterschienenen Buch »Die Ordnung der Dinge« herausarbeitete. Diese Abhandlung über das Wesen der Repräsentation bildet den theoretischen Unterbau für die weiteren Betrachtungen, welche im Rahmen der vorliegenden Arbeit geführt werden. 4.1 Die Repräsentationstheorie von Michel Foucault. Abb. 4-1: Las Meninas (1656) von Diego Velàzquez. Abb. 4-2: Bildschirmfoto aus Google Earth. Foucault bildet den Auftakt zu seiner Repräsentationstheorie über die Betrachtung des Kunstgemäldes mit dem Titel »Las Meninas« (1656), gemalt von dem Künstler Velàzquez (siehe Abb. 4-1). Das erste Gewicht wird auf die Perspektive des Betrachters gelegt: Wir, die Betrachtenden, sehen ein Bild, auf dem ein Maler seinerseits uns anschaut. Wir scheinen an derjenigen Position zu stehen, an der auch das Motiv steht, welches er im Begriffe ist, auf der Leinwand abzubilden. Das Auge des Malers ruht stets auf uns – auf uns, die wir das Bild betrachten.5 Im digitalen Weltatlas »Google Earth« (siehe Abb. 4-2) ruht dieses Auge im Or- bit. Es ist ein multiples Auge. Denn Tausende von Benutzern können von Zuhause aus gleichzeitig durch dieses Auge auf die von Satelliten fotografierte Welt blicken. Google Earth entspricht der mythologischen Figur ›Argus‹: ein Riese mit hundert Augen, von denen einige 5 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 31f. Seite 16 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. schlafen und andere von Benutzern aufgeweckt werden, um durch sie die teleskopische Rei- se auf die Erde anzutreten. Jeder Nutzer ist ein Auge von diesem ›Argus‹. Und jedes Auge ist ein potentieller Beobachter, der die Umgebung, das Wohnhaus oder das Büro, in dem man vor dem Computer sitzt und Google Earth bedient, virtuell erkunden kann. Jedes Auge von Google Earth verfügt quasi über eine Mimesis des Schielens, über die es ein benachbartes Auge ›beschielen‹ kann: Unser Wohnort oder unser Arbeitsplatz, an dem wir uns die Optik des virtuellen Auges Google Earth zueigen machen, kann jederzeit zum Motiv derjenigen Per- sonen werden, die ebenfalls in Google Earth eingeloggt sind. Sowohl im Bild von Velàzquez als auch bei Google Earth werden wir »durch das ersetzt, was zu allen Zeiten vor uns da war:« durch das Motiv. Die zentrale Frage lautet also: »Sehen wir, oder werden wir gese- hen?«6 Daraus leitet sich die zweite wesentliche Fragestellung ab: Wie repräsentativ ist das, was wir sehen? Die Perspektive des Betrachters des Bilds von Velàzquez steht an derjenigen Stelle, an der sich auch das Motiv befindet, welches der Maler im Bild auf der Leinwand ›einfängt‹. Das, was der Künstler malt, müsste sich etwa hinter derjenigen Stelle befinden, an der die be- trachtende Person vor dem Kunstgemälde steht. Auf jeden Fall ist das Motiv, welches gemalt wird, auf der Hauptebene des Kunstgemäldes nicht sichtbar. Es wird erst auf einer zweiten Ebene, auf einer Metaebene referenziert: Im Hintergrund des Bildes befindet sich ein Spie- gel, welcher signaturenhaft zwei Gestalten aufleuchten lässt. Und es sind diese durch den Spiegel angedeuteten Figuren, welche der Maler mit virtuoser Gebärde auf die Leinwand überträgt. Von einem virtuellen Punkt hinter dem Betrachter des Bildes – also ausserhalb des Gemäldes –, wo sich in ungefähr diese zwei Gestalten befinden müssten, spannt sich eine unsichtbare Linie auf hin zum Maler im Bilde; hergestellt durch die Augen des Malers, die das Motiv fixieren, und durch die zwei Figuren, die während des Portraitierens permanent den Blickkontakt zum Maler aufrechtzuerhalten haben. Es spannt sich eine Linie des Blick- kontaktes zwischen Maler und Motiv, wobei der eine Punkt, der Maler, sichtbar im Bild dar- gestellt, und der andere, das Motiv, unsichtbar, weil ausserhalb des Bildes, nur durch den Spiegel angezeigt wird. In der Figur des Malers hat sich Velàzquez selbst portraitiert. Mit diesem Selbstbildnis hat der Künstler sein Gemälde signiert. Foucault skizziert nun anhand des Spiegels im Bild von Velàzquez die Grundzüge seiner Repräsentationstheorie, indem er den Spiegel in seine Funktionen aufdröselt: Zunächst ist diese Spiegelung die Vorderseite der grossen Leinwand im Vordergrund des Bildes, von der man nur die Kehrseite sieht. Er zeigt, was die Leinwand durch ihre Stellung verbirgt. Diese erste Funktion deckt auf, worauf der Blick des Malers gerichtet ist. Als zweite Funktion des Spiegels führt Foucault die Suche auf nach dem, was betrachtet wird, jedoch nicht sichtbar ist, weil es ausserhalb des Gemäl- des situiert ist. Die zweite Funktion des Spiegels ist also der sich ausserhalb des Bildes be- 6 Foucault, Michel: 1995, S. 31-33 Seite 17 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. findende Blick des Modells, im Moment, in dem es gemalt wird. Die dritte Funktion des Spiegels schliesslich ist seine Position im Gemälde, wobei entscheidend ist, dass er neben einer Türe hängt, die nach draussen führt und auf deren Schwelle silhouettenhaft ein ge- heimnisvoller Mann steht, der ebenso wie der Spiegel ein »Emissär jenes verborgenen und evidenten Raumes«7 zu sein scheint. In der Gestalt dieses Mannes hat Velàzquez einen Stellvertreter von uns Betrachtenden ›dazuportraitiert‹. Dieser geheimnisvolle Mann ist also wiederum eine Repräsentation – eine Repräsentation von uns. Jede dieser drei Funktionen des Spiegels repräsentiert eine andere Optik: Erstens den Blick des Malers, der ja ein Selbstbildnis Velàzquez’ ist, zweitens den Blick des Modells, welches sich ausserhalb des Gemäldes befindet und nur im Spiegel präsent ist, und drittens schliesslich den Blick von uns als Betrachtende des Gesamtgemäldes, repräsentiert durch die silhouettenhafte Person im Türrahmen. Der Spiegel vereint, was zeitlich und örtlich unvereinbar ist. Jeweils nur die Repräsentationen dieser drei verschiedenen Optiken können auf ihm vereint werden. Im Ge- mälde fungiert er als ein System, welches Repräsentationen vereinen kann, deren Entspre- chungen in der Realität unvereinbar bleiben. Wie noch zu zeigen ist, wird Foucault ein sol- ches System »Tableau« nennen. Unvereinbar verhalten sich für Foucault auch Sprache und Malerei zueinander: Das, was man sagt ist nicht deckungsgleich mit dem, was man sieht, und das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt.8 Das was man in das System der Sprache überträgt, ist nicht identisch mit dem Objekt des Ursprungssystems, und das Objekt des Ursprungssystems weist keinerlei Veranlagung auf, das System der Sprache in ihm zu entdecken. Die Beziehung zwischen dem System der Sprache und dem System des Raumes bleibt in jedem Fall willkürlich. Oder anders gesagt: Das Zeichen (der Sprache) und das Be- zeichnete (des Raumes) sind nie kongruent. Las Meninas von Velàzquez scheint eine Allego- rie zu dieser Gegenüberstellung von Zeichen und Bezeichnetem – Signifikant und Signifikat – zu bilden: Diejenigen Personen, über deren Portraitierung uns das Gemälde informieren möchte, sind nicht diejenigen Figuren, die auf der Hauptebene des Bildes dargestellt wer- den. Auf einer Metaebene, im Spiegel, sind sie von allen abgebildeten Personen, die am »meisten vernachlässigten« 9. Sie sind zwar das Zentrum des Bildes und damit der Nabel der hier angestrebten Repräsentation, doch sind sie, gerade weil ihr Standort ausserhalb des Gemäldes ist, am entferntesten von der Realität.10 Mit dem virtuellen Weltatlas »Google Earth« hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit dem Spiegel in Velàzquez’ Bild. Google Earth bildet auf dem Bildschirm ein spiegelndes Tableau, auf dem sich drei verschiedene Optiken vereinen. Erstens: der Maler, das Selbstportrait Velàzquez’ in Las Meninas ist in Google Earth das Firmenlogo von Google Inc. am rechten 7 Foucault, Michel: 1995, S. 39 8 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 38 9 Foucault, Michel: 1995, S. 43 10 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 43 Seite 18 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. unteren Rand des Programmfensters. Das Selbstportrait wurde durch die Wortmarke abge- löst. Mit diesem Logo wird die Optik des Softwareherstellers repräsentiert. Zweitens: das Mo- dell, welches sich in Velàzquez’ Bild ausserhalb des Gemäldes befand und nur im Spiegel präsent war, wird in Google Earth zu den Satelliten, die aus der Erdumlaufbahn den Erdball in einem bestimmten Moment der Vergangenheit fotografiert haben, sich selbst nicht im di- gitalen Bild befinden aber ihre ›Sicht‹ auf den Erdball projizieren. Drittens: wir, die Betrach- ter des Gemäldes wurden bei Velàzquez durch die geheimnisvolle silhouettenhafte Figur im Türrahmen repräsentiert. In Google Earth werden wir als Betrachtende und Bedienende des Programms durch die ›digitale Türschwelle‹ repräsentiert, die geschaffen wird, wenn man das satellitenfotografierte Abbild seines Standortes sucht, von dem aus gesehen wir uns in Realität aber gerade ausserhalb diesem – nämlich nicht im Bildschirm sondern am Schreib- tisch zuhause oder am Arbeitsplatz – befinden. Google Earth ist ein Spiegel, welcher das Auge von Google Inc., das Auge der Satelliten und das Auge des Benutzers zu vereinen ver- sucht. Google Earth ist also auch ein System, welches die Repräsentationen derjenigen Dinge vereint, die in der Realität unvereinbar bleiben. Doch zurück zum Zeichen und Bezeichneten, Signifikant und Signifikat: Eine Karte ist vorderhand einmal ein System von verschiedenen Zeichen, welches uns in ihrer Verkettung Informationen über die Topografie der realen Welt geben möchte. Und ge- nauso ist auch der virtuelle Weltatlas mit Namen »Google Earth« ein Zeichensystem, welches die reale Welt referenziert: Das blaue Rund mit milchig-weissem Schimmer ist das Zeichen für den Erdball und seiner Atmosphäre, das stiefelförmige Stück Kruste ist das Zeichen für Italien, die in einem Halbbogen dicht aneinander gedrängten Rundbögen sind in ihrer Ge- samtheit das Zeichen für das Kolosseum in Rom usw. Man wird unzählig viele Zeichen ent- decken, die ein Reales in unserer Welt zu bezeichnen suchen. Der Zoom, der die Blicknähe zur virtuellen Erde bestimmt, und der Neigewinkel, der das Bild von oben in ein dreidimensi- onales Gelände kippt, eröffnen unendlich viele Möglichkeiten, in Google Earth Zeichen ausfindig zu machen, die ein Vertrautes in unserer Welt bezeichnen. Das Aufspüren von ver- trauten Örtlichkeiten ist denn jeweils auch die erste Neugier, die der Anwender bei seinem Jungfernflug mit Google Earth stillen möchte: Die allermeisten Benutzer peilen beim ersten Gebrauch dieses virtuellen Kartensystems ihren Wohnort an und geraten darob oft derart in Wallung, dass sie ihre Entdeckung in einem online Forum kundtun und euphorisch die Koor- dinaten ihres Hauses veröffentlichen. Wie oben ausgeführt ist Google Earth der Signifikant und die reale Welt das Signifikat. Wie gestaltet sich aber die Beziehung, die ein Zeichen und sein Bezeichnetes zueinander ab- schliessen? Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts war die Verbindung zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat eine Relation der Ähnlichkeit. Die Malerei versuchte, den Raum, den sie sich zum Motiv nahm, zu imitieren. Die Wissenschaft ihrerseits setzte das Zeichen jeweils dort, wo zwischen zwei Dingen eine Ähnlichkeit auszumachen war. Bei- spielsweise wurde der Mikrokosmos als Entsprechung des Makrokosmos gesehen. Was die Welt im Innersten zusammenhielt, wurde bestimmt von einem Gesetz der Affinität oder an- Seite 19 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. ders gesagt: von einem Gesetz der Sympathie. Was sich sympathisch war, besass Analogien untereinander. Was sich sympathisch war, das trat zusammen und ging eine Verbindung ein. Diese Verbindung bliebe jedoch im Verborgenen, würde sie nicht markiert oder signiert wer- den, wodurch man erst auf die Ähnlichkeiten gewisser Dinge aufmerksam gemacht wird. Die Funktion der Signatur aber kam dem Zeichen zu. Das Gesicht der Welt wurde über ein Sys- tem von geheimen Zeichen gelesen. Alle Merkmale der Natur wurden zu Signaturen und Hie- roglyphen über deren Dechiffrierung man die Zusammenhänge der Welt, also die Sympathie sich ähnelnder Dinge, aus dem Erebos in die Welt des Sichtbaren heben konnte. Über die Zeichen, so war das Verständnis bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts, spricht Gott zu uns. Die Ordnung der Dinge wurde im Mittelalter sowohl in der Religion als auch in der Wissenschaft und der Kunst als eine Ordnung der Ähnlichkeit aufgefasst.11 Dem ist als Randbemerkung beizufügen, dass natürlich auch die Kartografie, die in der Zeit der Seefah- rerei im 14. Jahrhundert eine Hochkonjunktur erfuhr, als eine Kunst begriffen wurde, die es verstand, den erkundeten Raum auf dem Papier zu markieren, so dass die Zeichnung durch die magischen Fäden der Ähnlichkeit sich mit der Welt verband. Was das Zeichen an das Bezeichnete klebte, war der Kitt der Ähnlichkeit. Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts geschah eine Zäsur im Denken der abendländi- schen Kultur. Die Ähnlichkeit wurde nicht mehr als Präzision eines Wissensverständnisses aufgefasst sondern als eine subjektbedingte Ordnung, die gerade weil das fehlbare Subjekt sie erst aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare transkribieren oder ›hinüberlesen‹ musste, die Gefahr vorgegaukelter Tatsachen und damit die Gefahr des Irrturms in sich barg. Immanuel Kant publizierte 1787 sein Hauptwerk »Kritik der reinen Vernunft«, worin er erstmals in der Geschichte der Philosophie nicht das Objekt, also das sichtbare Ding in der Welt oder die unsichtbare Idee bei Platon, sondern das Subjekt, also das Ich, welches diese Dinge wahr- nimmt, in das Zentrum der philosophischen Betrachtung stellte. Und es stellte sich heraus, dass an der Art und Weise, wie dieses Ich wahrnimmt, Zweifel anzubringen sind, denn letzt- endlich bleibt unsere Wahrnehmung der Welt blosse Vorstellung und ist in nichts zu verifizie- ren mit der wirklichen Realität, welche uns verborgen bleibt. Mit dem achtzehnten Jahrhun- dert folgt also eine Zeit, in der die Ähnlichkeit als Legitimation für eine Ordnung der Dinge ins Trügerische und damit zurück in den Schatten des Unsichtbaren geworfen wird. Der Sympathie der Dinge wird nicht mehr getraut. Das Verhältnis zwischen zwei Dingen muss bewiesen werden. Es müssen Einheiten definiert werden, welche mehreren Dingen einer Ordnung zukommen und über die gemessen werden kann, ob der Anteil an Einheiten eines Dinges dieser Ordnung ausreicht, um es als dieser Ordnung zugehörig zu deklarieren. Die Objekte müssen verglichen werden können über gemeinsame Einheiten. So brachen mit dem 18. Jahrhundert das Zeitalter der Messeinheiten, die Zeit des Vergleichs und damit die 11 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 46.82 Seite 20 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. eigentliche Geburtstunde der modernen Wissenschaft an. Denn in Experimenten wurde zu erhärten versucht, was zuvor der Geist als These aufgestellt hatte. Mit dem Experiment ge- wann die empirische Erfahrung das Rektorat in den Wissenschaften. Denn apriorische – vor der Erfahrung, vor dem Experiment – Gedanken und Theorien wurden meist nur dann in die Ordnung der Wissenschaften aufgenommen, wenn deren Gültigkeit a posteriori – nach der Erfahrung, im Experiment – bewiesen werden konnten. Dazu musste ein neue Ordnung ge- schaffen werden: eine Ordnung des Vergleichs, welche die Anteile an gemeinsamen Grund- elementen der entsprechenden Objekte misst und sie gemäss dieser Messresultate neu ordnet. Eine Skala, auf der die Dinge getreu ihrem Anteil an der Grundeinheit dieses Mess- systems einen fixen Ort einnehmen. Dinge, die zuvor ähnlich oder sogar identisch waren, wurden nun different, weil sie sich auf diesen Skalen an anderen Messpunkten befanden. Es sei an dieser Stelle der Einwurf gestattet, das es auf einer Karte ja auch der Massstab ist, welcher anzeigt, wie weit die Objekte auseinander liegen. Die Suche des Unterschieds hat die Suche der Ähnlichkeit abgelöst. Zeichen, die ein Objekt bezeichnen, gewinnen ihre Legi- timität nicht mehr durch eine gewisse Analogie zum Bezeichneten, sondern durch die Transparenz, mit der sie im Messsystem ein Objekt und nur dieses eine Objekt signifizieren und es von den anderen abgrenzen. Die neuen Zeichensysteme bilden die Welt ab. Sie sind der Welt nicht mehr ähnlich, sie sind ihre Ordnung geworden. Das Zeichen wartet nicht mehr, bis jemand seine stumme Affinität mit dem Bezeichneten erkennt, es bildet sich allein durch den Akt der Erkenntnis: durch die »episteme«. Wenn »der Geist analysiert, erscheint das Zeichen.«12 Das Zeichen emanzipierte sich von seinem bezeichneten Objekt weg, an das es davor durch die Ähnlichkeit gebunden war. In einem Zeichensystem konnten die Zeichen verglichen, gemessen und geordnet werden, ohne dass ihr Bezug zu den realen Gegenstän- den mitkalkuliert werden musste. Die Bildung des Zeichens durch die Analyse bildet auch heute noch den Grundbass der Wissenschaften, weshalb ihr an dieser Stelle so viel Bedeutung zugemessen wird. Doch ent- spricht die Ordnung der Dinge, wie man sie sich von einem solchen Zeichensystem des Ver- gleichs und der Messung verspricht, wirklich der Ordnung der realen Natur oder wird hier den Dingen nicht ihr Messpunkt oder ihr Zeichen gleichsam als Etikett aufoktroyiert? Die Ordnung von Zeichensystemen beschäftigte in der Philosophie vor allem die Logik. Diese ging bei der Methode des Bezeichnens von einem streng zweiwertigen Verhältnis aus, beste- hend aus dem Zeichen und dem Bezeichneten. Es wurden logische Formalisierungen der Welt angestrebt, die den Wahrheitsgehalt der realen Welt makellos abbilden sollten. Das Zei- chen sollte deckungsgleich werden mit dem Bezeichneten. Der Anspruch dieser Kongruenz war teilweise so hoch, dass Zeichen gesucht wurden, die das reelle, materielle Ding auf eine 12 Vgl. Foucault, Michel: S. 82-95 Seite 21 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. unbestimmte Art und Weise aber letztendlich tatsächlich materiell enthalten sollten. 13 Fou- cault wird im Folgenden die binäre Denkweise, welche das Zeichen und das Bezeichnete durch die Beziehung der Identität miteinander zu verknüpfen sucht, kritisieren und neben dem Signifikanten und dem Signifikat ein drittes entscheidendes Glied für die Organisation des Zeichens herausschälen. Das Zeichen streicht die Differenz von Dingen heraus, die angesichts ihrer Ähnlichkeit ohne eine Messung ihrer Grundeinheiten womöglich gar nicht zu unterscheiden wären. Das Zei- chen sichert die Identität der Dinge. Doch um welche Identität handelt es sich hierbei? Nach Foucault ist die Funktion des Zeichens nicht die Bewahrung der Identität eines Dinges in der realen Welt, sondern die Sicherung der »Zugehörigkeit zu einer universalen Berechnung«. 14 Es geht also um die Aufnahme in ein System der Wertigkeit und des Urteils. Foucault nennt ein solches System »Tableau«15. Ein Tableau ist eine Ordnung der Dinge, wie sie nur in ei- nem analytischen System, nicht aber in der Natur vorkommt. Es wird nun jedoch nicht das Ding selbst in das Tableau aufgenommen, sondern nur sein Stempel, welches seine Wertig- keit im Koordinatensystem des Tableaus beschildert und schliesslich zu seiner neuen Identi- tät wird. Denn das Zeichen muss gemessen und in die Ordnung des Tableaus eingefügt werden können; dazu muss jedoch mit ihm gerechnet werden können. Kalkulierbar wird das Zeichen aber erst, wenn seine Aussage den Anteil der Grundeinheiten beinhaltet, über wel- che im neuen System eine Aussage gemacht wird. Dazu muss das Zeichen auf das System hin taxiert werden. Sowohl alle Zeichen eines Tableaus als auch das Tableau selbst konstitu- ieren sich aus Aussagen über Taxinomien, die Wertigkeiten über ein und dieselben Grund- einheiten darstellen. Das zeugt von dem Glauben an die Einheit und vom Glauben an die Einordnung ungleichzeitiger Phänomene in ein System der Gleichzeitigkeit. Denn obwohl Vorkommnisse nicht zugleich stattfinden, können sie auf einem Tableau über ihr Zeichen gleichzeitig miteinander dargestellt und verglichen werden.16 Beispielsweise kann auf einer Wertetabelle die Lichtemission zweier explodierender Sterne gleichzeitig miteinander vergli- chen werden, obwohl der eine von ihnen im Jahr 2001 und der andere im Jahr 2003 explo- diert war. Das Tableau schafft einen Raum der Gleichzeitigkeit. Mit dem Zeichen wird dem Ding eine neue Identität aufgestempelt. Das Zeichen sichert nicht die Identität der Dinge in der natürlichen Welt, sondern es stützt lediglich die neu ge- schaffene, künstliche Identität, welche nichts Anderes ist als sein Wert (oder der Messpunkt) in einem Tableau der Wissenschaften, worin das natürliche Ding um Asyl bittet jedoch nicht erhält. Die Beziehung zwischen dem Signifikanten und dem Signifikat ist damit nicht mehr 13 Eine weiterführende Lektüre hierzu bildet das Essay von Russel, Betrand: Über Kennzeichnungen. in: Mind Nr. 14, 1905. 14 Foucault, Michel: 1995, S. 97 15 Foucault, Michel: 1995, S. 105 16 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 107-111 Seite 22 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. binär; man sieht sich neben dem Zeichen und dem Bezeichneten plötzlich mit einem Dritten konfrontiert: mit der neuen Identität, die ein Bezeichnetes durch das Zeichen in einem Zei- chensystem erhält. Diese Identität, so Foucault, repräsentiert das bezeichnete Ding aus Mut- ter Natur. In das System des Kalkulierbaren und Messbaren werden die Dinge also nicht als Dinge selbst aufgenommen sondern bloss als Repräsentationen ihrer selbst. Das Zeichen als blosse Zeichengestalt wiederum repräsentiert diese Repräsentationen im System. Darum spricht Foucault von »reduplizierte[r] Repräsentation«17: Das Zeichen repräsentiert im Zei- chensystem eine Repräsentation (eine neue und künstliche Identität) eines Dinges, um des- sen Aufnahme ins Messsystem, ins Tableau, man sich vorab bemüht hatte. Ein Beispiel: Das Wasser in seine messbaren Grundeinheiten zerlegt lautet: zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom: H2O. In den Formeln der Chemie ist das Wasser durch ebendieses Verhältnis seiner Wasserstoffatome und Sauerstoffatome – man kann nun schreiben: charakterisiert, vertreten oder eben: repräsentiert. Man weiss, dass mit H2O die Verbindung von zwei Wasser- stoffatomen und einem Sauerstoff repräsentiert wird, und dass ebendieses Atomverhältnis wiederum Wasser repräsentiert, wie es in der realen Welt über bemooste Steine plätschert. Die dreigliedrige, ternäre Organisation des Zeichens, ausgehend von dem Bezeichnenden über das, was diesem Bezeichnenden als Repräsentation inhärent ist, bis zu dem Bezeichne- ten soll nun auf das Wesen einer geografischen Karte übertragen werden. Foucault schreibt: »In der Tat hat das Bild nur das zum Inhalt, was es repräsentiert, und dennoch erscheint dieser Inhalt nur durch eine Repräsentation repräsentiert.«18 Die Höhenkurven eines Berges beispielsweise, haben nur das zum Inhalt, was sie repräsentieren, nämlich Punkte, die in einem Gelände sich allesamt auf derselben Höhe über Meer befinden. Dieser Inhalt ist je- doch für das Zeichen (die Höhenkurven) auf der Karte natürlich nicht der wirklich materielle, kolossale Berg sondern nur als Abbild desselben vorhanden, d. h. als Repräsentation einer natürlichen Topografie. Deshalb schreibt Foucault, dass auch der Inhalt des Zeichens im Bild »nur durch eine Repräsentation repräsentiert [wird].«19 Das Zeichen wird zu einer Vor- stellung einer Vorstellung; man stellt sich vor, dass eine Höhenkurve Punkte gleicher Höhe über Meer verbindet. Ebendiese Punkte aber sind auf dem Blatt Papier auch nur als Vorstel- lung vorhanden, als vorgestellte Orte aus einer Vogelperspektive, deren Vorstellung (Erhebun- gen und Senkungen) auf dem Kartenwerk durch graue Schattierung unterstützt wird. Der knittrige Faltenwurf, der die Berge von oben andeutet, sowie die Ortsbezeichnung werden dabei auf der Karte selber wieder zum Zeichen, welche die Vorstellung, dass die eingezeich- neten Höhenkurven auf eine bestimmte Vorstellung von Orten und nur auf diese abzielen, mitproduzieren. Die beiden Referenzsysteme: Höhenkurven und Ortsbezeichnungen sind auseinanderzuhalten, denn man stellt sich ja nicht vor, dass die Höhenkurven Orte des 17 Foucault, Michel: 1995, S. 98 18 Foucault, Michel: 1995, S. 99 19 Ebda. Seite 23 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. gedruckten Namens eines Gebietes zusammenfassen (denn was wäre zum Beispiel der für Höhenkurven aussagekräftige Ort innerhalb der Buchstabenabfolge »Lhasa«?), sondern man stellt sich vor, dass Höhenkurven Orte einer Vorstellung von Ort beschreiben. Andere Zei- chen, wie zum Beispiel die Ortsbezeichnung »Lhasa« unterstützen die Evokation der Vorstel- lung eines Ortes beim Betrachten der Karte, sind aber selber nie diese hervorgerufene Vorstellung von Ort, sondern lediglich ein Zeichen dafür. Daher gilt: Alles auf der Karte ist Zeichen, und alle Zeichen auf einer Karte dienen der Vorstellung von Ort. Wenn aber diese vorgestellten Orte durch die Vorstellung anderer Orte ausgetauscht würden – zum Beispiel indem man sich das Schweben der Höhenkurven des Matterhorns nicht über Zermatt sondern über Zürich vorstellt – , dann würde wohl eine Höhenkurve immer noch Punkte derselben Höhe repräsentieren, doch würden damit differente Orte in der realen Landschaft repräsentiert werden. Das Zeichen und sein Inhalt – die Höhenkurven mit ihrer Repräsentation von Punkten gleicher Höhe – haben sich nicht geändert, die Repräsentation dieses Inhalts jedoch schon, denn zuvor stellte man sich im genannten Beispiel die Umge- bung von Zermatt vor, nun aber sollen plötzlich Orte in Zürich darin repräsentiert sein. Zuvor waren die Höhenkurven repräsentativer für das vorgestellte Gelände. Indem das Zeichen (die Höhenkurven) mit der Suggestion des Geländes von Zürich unterlegt wurde, hat die Reprä- sentationskraft abgenommen. Im ersten Fall war das Zeichen repräsentativer für das reprä- sentierte Gelände, im zweiten Fall war es kaum mehr repräsentativ für seine Repräsentation. Mit diesem Beispiel lässt sich auf die Doppelnatur des Zeichens schliessen, welche Foucault eine »gespaltene und reduplizierte Repräsentation«20 nennt: »[D]as Zeichen [ist] die Reprä- sentativität der Repräsentation, insoweit sie repräsentierbar ist.«21 Auf unseres Beispiel über- tragen bedeutet dies: Eine einzelne Höhenkurven ist die Repräsentativität der Vorstellung, dass damit im ersten Fall Orte in der Umgebung von Zermatt und im zweiten Fall Orte in der Stadt Zürich repräsentiert werden. In der binären Organisation des Zeichens existieren lediglich das Zeichen und sein Bezeichnetes. Foucault spaltet nun das Zeichen selbst zum einen in die Gestalt des Zeichens (d. h. so, wie es auf dem Blatt Papier erscheint) und zum anderen in seine repräsentierende Kraft, welche ausschlaggebend ist, wie repräsentativ es für das Bezeichnete ist. Durch diese Auftrennung des Zeichens in zwei Glieder überträg Foucault die ehemals binäre Organisation des Zeichens in eine ternäre. In einem ersten Schritt bezeichnet das Zeichen (in unserem Beispiel: die Höhenkurven), was sich selbst in ihm repräsentiert findet (Punkte gleicher Hö- he). In einem zweiten Schritt bezeichnet es ein Etwas, für das das Zeichen mehr oder weniger repräsentativ sein kann (die Bergregion rund um Zermatt oder das urbane Gelände von Zürich).22 Mit der Einführung des dritten Gliedes, nämlich der Repräsentationskraft, in 20 Foucault, Michel: 1995, S. 99 21 Ebda. Seite 24 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. rich).22 Mit der Einführung des dritten Gliedes, nämlich der Repräsentationskraft, in die Kon- figuration des Zeichens, wird aber nicht nur die binäre Organisation des Zeichens durchbro- chen. Auch das Urteil über die Wertigkeit oder Gültigkeit eines Zeichens wird von der neuen Foucaultschen ternären Denkweise erfasst. In der strengen Logik können über die Verbin- dung zwischen einem Zeichen und seinem Bezeichneten nur die Urteile ›wahr‹ oder ›falsch‹, ›zutreffend‹ oder ›nicht zutreffend‹ gefällt werden. Das Judikat leitet sich in jedem Fall von einer streng zweiwertigen Betrachtungsweise ab. Mit Foucaults Einführung der Repräsenta- tivkraft des Zeichens ist die Verbindung zwischen einem Zeichen und seinem Bezeichneten jedoch nicht mehr entweder wahr oder falsch, sondern viel mehr nur in verschiedene Grade der Repräsentativität zwischen beiden einteilbar. Foucault hat die Zweiwertigkeit, die jedem Zeichen anhaftete, dekonstruiert. Das erklärt auch, warum die Logik der analytischen Philo- sophie, welche an der Zweiwertigkeit des Zeichens festhält, und die dekonstruktivistische Philosophie, in deren Tradition Foucault steht, auseinanderklaffen: Der Wahrheitswert eines Zeichens – und was ist denn nicht Zeichen auf unserer Welt, in unseren Büchern, in unse- rem Denken? – ist nicht mehr entweder wahr oder falsch, sondern ordnet sich in verschiede- nen Graden von Wahrheit ein. Die Bivalenz wird im De-konstruktivismus von der Polyvalenz abgelöst.23 In das Urteil aber, wie repräsentativ ein Zeichen für sein Bezeichnetes ist, mischt sich erneut das »Gemurmel der Ähnlichkeit« 24. Denn dass man entscheiden kann, wie repräsentativ ein Zeichen für die Repräsentation seines Inhaltes ist, setzt voraus, dass man die Vorstellung dessen, was das Zeichen evozieren möchte, und die Vorstellung des realen Sachverhaltes oder des realen Objektes, das in seinem Inhalt repräsentiert wird, einander gegenüberstellen kann, um abzuwägen, wie ähnlich die beiden Vorstellungen zueinander sind. In unserem Beispiel konnte in beiden Fällen die Repräsentativität nur bewertet werden, indem die Vor- stellung der Topografie, welche die Höhenkurven des Matterhorns evozieren, mit der Vorstel- lung des Geländes von Zürich und Zermatt auf ihre Ähnlichkeit hin untersucht werden konn- te. Dazu ist aber die Erinnerung von Nöten: Man muss sich erinnern, wie Höhenkurven gele- sen werden, und wie aus ihnen in der Vorstellung ein Raum zusammengesetzt werden kann, 22 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 98-99 23 Die vorliegende Abhandlung ist ebenfalls ein System, in welchem Zeichen einander gegenübergestellt werden, deren Entsprechungen in der Realität womöglich nie zugleich nebeneinandergehalten werden können. Die Arbeit wird daher von der Autorin als ein Tableau im Foucaultschen Sinn verstanden. Deshalb behält sich die Autorin auch vor, in dieser Arbeit allgemeine Termini bewusst in der männlichen Form zu gebrauchen, weil sie die männliche Form als Zeichen versteht, in welchem beide Geschlechter, Mann und Frau, repräsentiert werden. Falls diesem Vorhaben fehlende Gender-Sensibilität oder die einseitige Förderung der männlichen Leseart allge- meiner Termini zur Last gelegt werden sollte, so möchte die Autorin ihre persönliche Meinung darlegen, dass Achtung vor dem anderen Geschlecht jeweils die zum eigenen Geschlecht konträre Geschlechtsform wählen wür- de – und diese ist im Fall der Verfasserin die männliche Form. 24 Foucault, Michel: 1995, S. 104 Seite 25 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. und man muss sich die Topgrafie von Zürich und Zermatt in seiner Imagination vergegenwär- tigen können. Die Repräsentationskraft eines Zeichens ist also abhängig von der Erinne- rungskraft des Subjekts, das das Zeichen interpretiert.25 4.2 Zusammenfassung der Repräsentationstheorie. Die Ordnung der Dinge ist ein Tableau, auf dem die Dinge einander in der Form von Zeichen repräsentiert und einander gegenübergestellt werden. Das Tableau schafft dabei einen Raum der Gleichzeitigkeit: Dinge, die wegen ihrer zeitlichen oder räumlichen Beschaffenheit in der Realität womöglich nie nebeneinandergehalten werden könnten, können, nachdem sie in Zeichen übersetzt worden sind, auf dem Tableau zeitgleich miteinander verglichen werden. Die Ordnung stellt sich nicht über die Ähnlichkeit der Dinge untereinander sondern über ihre Differenz her. Ein Vergleich, der durch das gegenseitige Abwägen der Dinge die Differenz der Dinge herausschälen soll, muss ebendiese Differenz über eine Grundeinheit messen und bewerten können, die allen zu vergleichenden Dingen zugrunde liegt. Damit dies gewährleis- tet wird, werden die Dinge in Zeichen transformiert. Ein Zeichen repräsentiert zum Einen das Ding, welches es bezeichnet, und indexiert zum Anderen den Anteil dieses Dinges an der Grundeinheit, an der Determinanten des Tableaus. Das Zeichen beschreibt also primär die Repräsentation, die in ihm enthalten ist und nur sekundär – und nur über die ihm inhärente Repräsentation – das reale Ding, das repräsentiert wird. Das Zeichen und das Bezeichnete, welches das reale Ding ist, sind nicht identisch. Das Zeichen ist eine Taxierung des Untersu- chungsobjekts, es ist ein Abbild von ihm, welches bereits vor der Begegnung mit seinem Untersuchungsobjekt die Züge des Tableaus trägt, weil sich das Vokabular seiner Aussage stets nur aus den vordefinierten Grundeinheiten des Systems zusammensetzen kann. Das Zeichen bildet nie Realität ab; es versucht die Realität zu repräsentieren, und zwar mit mehr oder weniger grossem Erfolg, durch seine mehr oder weniger grosse Repräsentationskraft. Das Zeichen spaltet sich erstens in seine zeichenhafte Gestalt, wie sie uns zum Beispiel als geschriebener Buchstabe auf einem Blatt Papier erscheint, und zweitens in seine Repräsen- tationskraft, die entscheidet, wie erfolgreich das bezeichnete Objekt durch die in ihm enthal- tene Repräsentation repräsentiert wird. Die Organisation des Zeichens ist keine binäre, die bloss das Zeichen und sein Bezeichnetes umfasste, sondern eine ternäre Konfiguration, die sich über die drei Glieder: Zeichen, Repräsentation und Bezeichnetes erstreckt. Ein Vergleich dieser Zeichen ermittelt die Position eines Zeichens im System, aus dem her- aus dieser Vergleich erfolgt. Er erzeugt ein Tableau, auf welchem die Zeichen neu angeord- 25 Vgl. Foucault, Michel: 1995, S. 103-105 Seite 26 von 81
Manuela Pfrunder. Google Earth – Der neue Planet im Koordinatensystem der Moderne. Mai 2008. net werden. Was für das Zeichen gilt, gilt auch für eine Ordnung dieser Zeichen: die Ordnung der Zeichen ist nicht identisch mit der Ordnung unter der realen Dinge. Die Zeichen sind Repräsentationen realer Dinge. Deshalb ist auch die Ordnung, in welche die Zeichen auf ei- nem Tableau gebracht werden, nur eine Repräsentation der Ordnung jener repräsentierten Dinge und nie die natürliche Ordnung der bezeichneten Dinge selbst. Um ein Zeichen auf seine Repräsentativität hin zu untersuchen, muss verglichen werden, wie stark sich die Vorstellung von dem, was das Zeichen repräsentiert, und dem, was bezeichnet wird, sich ähneln. Im Moment des Vergleichs müssen dafür beide Formen der Erinnerungen gegenwärtig sein und sich zu Vorstellungen verdichten können: die Erinnerung an das, was das Zeichen repräsentiert, und die Erinnerung an das durch das Zeichen repräsentierte Objekt. 4.3 Der Einfluss von Foucaults Repräsentationstheorie auf den Dekonstruktivismus. Der Dekonstruktivismus, der Poststrukturalismus, der Feminismus und auch die Cultural Studies versuchen, das Denken der Repräsentation zu durchbrechen. Der Feminismus bei- spielsweise bemüht sich, dem überzüchteten und stereotypisierten Bild der Repräsentation der Frau kritische Gegenbilder entgegenzuhalten, die etwas über das historische, konkrete Frau-Sein aussagen.26 Jegliche Dekonstruktion einer Repräsentation trifft dabei jedoch auf ein scheinbar unlösbares Dilemma: Denn »ebensowenig wie es innerhalb der Repräsentation eine unmittelbare [und gesicherte] Präsenz [des repräsentierten Dinges] geben kann, gibt es einen Weg, der jenseits der Repräsentation zur Wahrheit [des Inhalts eines Wortes oder eines Zeichens] führen würde.«27 Deshalb gilt es für die Dekonstruktion vorderhand, die Kopplung von einem Zeichen an seinen Inhalt zu analysieren und zu fragen, wie es der Sprache und damit dem Zeichen an gelingt, »sich an der Welt festzuhacken«.28 In der im Zeichen enthaltenen Repräsentation entscheidet sich, welches Objekt durch das Zeichen repräsentiert wird. Obwohl die Erscheinung des Zeichens dieselbe bleibt, kann der Inhalt seiner ihm innewohnenden Repräsentation durch einen anderen ersetzt werden, so dass ein Zeichen plötzlich ein differentes Objekt bezeichnet. Der Inhalt einer Repräsentation eines Zeichens ist also dynamisch. Welcher Inhalt in die Repräsentation fliesst, entscheidet der Kontext, das Zeichenverständnis oder der Autor. Über verschiedene Generationen hin- 26 Vgl. Deuber-Mankowsky, Astrid: 2000, http://www.bu.edu/mzank/tr-deutsch/archiv/Bilderverbot.html 27 Deuber-Mankowsky, Astrid: 2000, http://www.bu.edu/mzank/tr-deutsch/archiv/Bilderverbot.html 28 Putnam, Hilary: Für eine Erneuerung der Philosophie. Stuttgart 1997, S. 35 zit. in: Deuber-Mankowsky, Astrid: 2000, http://www.bu.edu/mzank/tr-deutsch/archiv/Bilderverbot.html Seite 27 von 81
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