Grenzen des Wachstums - Anders Wirtschaften für das Gemeinsame Haus - MISEREOR-Fastenaktion
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Grenzen des Wachstums Anders Wirtschaften für das Gemeinsame Haus Georg Stoll Referent für Politik und Globale Zukunftsfragen, MISEREOR · AACHEN „.E r läuft und läuft und läuft …“ über jeden Hori- Maßnahme der Sonntagsfahrverbote in den Garagen zont hinaus, in jede Zukunft hinein. So sug- bleiben). Im November desselben Jahres 1973 verfügt geriert es im Jahr 1968 die Werbung für den die bundesdeutsche Regierung den generellen An- damals bereits sieben Millionen Mal verkauften VW werbestopp für ausländische Arbeitskräfte, die sie Käfer. Wie kaum ein anderer Konsumartikel schien er seit Ende der 1950er Jahre mit bilateralen Abkommen das Versprechen wahr zu machen, das Ludwig Erhard als „Gastarbeiter“ ins Land gelockt hat – und die als Wirtschaftsminister elf Jahre zuvor den (West-) sich als Männer und Frauen entpuppen, die wie alle Deutschen gegeben hatte: „Wohlstand für alle“. Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit schien ihm Recht zu geben: Der Motor der auf ständiges Wachs- tum ausgelegten Marktwirtschaft lief und lief und lief – und er läuft noch immer. Fotos: wikimedia / Ralf Roletschek (1), MISEREOR (1) Freilich, schon früh wurden Warnzeichen erkennbar, dass diese Maschine gefräßig ist und nicht leicht zu steuern. Bereits 1972 meldet sich der Club of Rome mit seinen verstörenden Analysen zu den „Grenzen des Wachstums“ zu Wort. Ein Jahr später lässt die Ölpreiskrise die westlichen Wirtschaftsnationen ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schmerzhaft spüren (auch die VW Käfer müssen bei der Lockdown- Der VW-Käfer: Sinnbild des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit 1 Fastenaktion 2021 · GRUNDLAGEN Fachbeitrag
Fachbeitrag · Grenzen des Wachstums · Anders Wirtschaften für das Gemeinsame Haus anderen auch ihren Platz in der Gesellschaft suchen China, Indonesien oder Südafrika prägt (ablesbar an und beanspruchen. Autos, Wohnraum, Kleidung, Urlaubsreisen, Unterhal- tungselektronik usw.), beruht auf einer wesentlichen Doch ob Umweltprobleme (der verschmutzte Voraussetzung. Sie benötigt die Trennung zwischen Rhein, das „Waldsterben“ usw.), Ausbeutung von einem Innen und einem Außen. Menschen (Textilindustrie, „Blutdiamanten“, Kinder- arbeit usw.) oder sogar die jede(n) einzelnen betref- Die Privilegierten, die im Innenraum des globalen Wirt- fenden Skandalfälle einer industrialisierten Land- schaftssystems leben, können sich ihren materiellen wirtschaft („Rinderwahnsinn“, „Gammelfleisch“ Wohlstand deshalb leisten, weil ein erheblicher Teil usw.) – das Muster der politischen und gesellschaft- der sozialen und ökologischen Kosten bei der Herstel- lichen Bewältigung dieser Krisenphänomene ist bis lung ihrer Konsumgüter nach außen verlagert wird: heute im Wesentlichen gleich geblieben: Wenn sie • in Länder, in denen Menschen aus Existenznot beim besten Willen nicht mehr zu leugnen sind, wer- gezwungen sind, unter erbärmlichen Bedingungen den sie als Einzelfälle skandalisiert, mit begrenzten zu arbeiten (wie in den Erzminen im Hochland von technischen und regulativen Maßnahmen eingehegt Bolivien); – und dann geht es so schnell wie möglich zurück • in die „Umwelt“, deren natürliche Regenerations- zur „Normalität“. kreisläufe zerstört werden (wie im Amazonastief- land von Bolivien, wo Regenwald für die Produk- Es geht nicht so weiter – nicht für alle, nicht für tion und den Export von Billigfleisch gerodet wird); unser Gemeinsames Haus • in eine Zukunft, deren Bewohner(innen) sich gegen Doch diese Normalität eines den Bürger(inne)n als die unwiderrufliche Schädigung ihrer Lebens- Wohlstand verkauften billigen Massenkonsums grundlagen nicht wehren können (wie es bei den gerät ins Wanken. Im Zuge der fortschreitenden Tieflandindios in Bolivien der Fall ist, die durch die Globalisierung kommt ans Licht, was immer schon Zerstörung ihrer Siedlungsräume ihre ökonomische der Fall war: Die „Normalität“ des Immer mehr und Grundlage und ihre kulturelle Identität verlieren). Immer besser, die den Alltag der Menschen in den frühindustrialisierten Ländern und inzwischen auch Es sind eben nicht nur Fleiß, Einfallsreichtum und der neuen Mittelschichten in Schwellenländern wie gute Politik, die wirtschaftlichen Erfolg begründen, Foto: wikimedia Der Dammbruch von Brumadinho am 25. Januar 2019 im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais forderte mindestens 259 Menschenleben. 2 Fastenaktion 2021 · GRUNDLAGEN
Fachbeitrag · Grenzen des Wachstums · Anders Wirtschaften für das Gemeinsame Haus sondern ganz wesentlich die „Externalisierung“, die Verlagerung von Kosten nach außen. Und nun die schlechte Botschaft der Globalisierung: Das „Außen“ wird immer kleiner. Zum einen drängen immer mehr Menschen nach innen, in die Komfort- zone der Weltwirtschaft, um ebenso wie die anderen teilzuhaben an den Segnungen von materieller Sicherheit und Wohlstand – ist das nicht das Ziel von „Entwicklung“? Zum anderen lassen sich die Folgen der massiven Eingriffe in die Umwelt längst nicht mehr in eine Außenzone bannen. Klimawandel, Schwund der Artenvielfalt, Pandemien sind globale Phänomene. Eine Wirtschaft, die den Mehrwert, den sie ihren Begünstigten verfügbar macht, auf Kosten Foto: E. Soteras / MISEREOR anderer erbringt, kann nicht für alle funktionieren. „Diese Wirtschaft tötet“, sagt Papst Franziskus (Evangelii Gaudium 53). Eine Wirtschaftsform, in der die Maximierung der Unternehmensgewinne der entscheidende Motor ist, muss das ignorieren. Eine Indigene in Bolivien: hin- und hergerissen zwischen ursprüng- Wirtschaft, die von der Sorge um das Gemeinsame lichem Leben und den Verlockungen der industriellen Konsum- Haus, das (globale) Gemeinwohl angetrieben ist, gesellschaft kann es nicht. Es muss anders gehen, es kann anders gehen Oder wir öffnen unsere Augen, Ohren und Herzen für Wir müssen Entscheidungen treffen. Wir, die Men- ein anderes Leben, das Wohlstand und Fortschritt schen in einem privilegierten Hocheinkommens- nicht als Besitzen und Beherrschen versteht. Ein land wie Deutschland. Wir, die Menschen einer Leben, das nicht aus panischer Angst vor der unaus- Wirtschafts- und Wertegemeinschaft wie der Europäi- schen Union. Wir, die Schwestern und Brüder aller Menschen auf unserem Planeten. Wenn unsere Wirtschaftsweise der Auslage- land use change food rung von Kosten, der Fixierung auf Gewinn- climate change water I NG maximierung, der Abhängigkeit von stän- freshwater use The Safe income SO NMENTAL CEIL digem Wachstum nicht gut für alle und für nitrogen cycles education and Just Place CI A L biodiversity loss unsere Mitwelt ist – halten wir trotzdem an ozone depletion for Humanity FOUNDATI ihr fest, um unsere Versorgung mit (immer resilience mehr) billigen Gütern zu sichern? Dann INCLUSIVE gender equaliy werden wir uns abschotten müssen, im über- AND SUSTAINABLE atmospheric health O tragenen wie im wörtlichen Sinn. Wir müssen aerosol loading ECONOMIC V IR O voice DEVELOPMENT N wegschauen und schönreden, wenn Textil- chemical pollution EN jobs arbeiterinnen in Asien es uns ermöglichen, ocean acidification energy den immer schnelleren Modezyklen der Be- phosphorus cycles social equity kleidungsindustrie hinterherzulaufen, oder das Heer ausländischer Wanderarbeiter auf unse- ren Gemüsefeldern und in unseren Schlachthöfen da- für sorgt, dass das Angebot unserer Supermärkte „für Nachhaltige und sozial inklusive Entwicklung weltweit gerät von alle bezahlbar“ bleibt. Wir werden nicht zulassen kön- zwei Seiten unter Druck nen, dass alle Menschen (auch künftiger Generatio- Quelle: Kate Raworth (2012). A Safe and Just Space for Humanity nen) den gleichen Lebensstandard anstreben wie wir. Grafik: Eigene Darstellung 3 Fastenaktion 2021 · GRUNDLAGEN
Fachbeitrag · Grenzen des Wachstums · Anders Wirtschaften für das Gemeinsame Haus Foto: pexels.com Es lohnt sich, für ein bessere Zukunft zu kämpfen. weichlichen Endlichkeit in die ständige Vermehrung Auf verschiedenen Wegen können Menschen sich des Besitzes und Ausweitung des Herrschafts- als einzelne und in Gruppen auf diese Suche be- bereichs flüchtet, um sich der eigenen Größe und geben: Stärke in Abgrenzung und auf Kosten anderer zu ver- • Durch den Protest und Widerstand gegen Ausbeu- gewissern. Ein Leben, in dem andere Menschen und tung und ihre propagandistische Verschleierung Natur nicht zu Objekten von Besitz und Herrschaft, und Beschönigung; zu unseren Sklaven werden, sondern zu unserem • Durch kreatives Experimentieren mit sozialen Gegenüber, das wie wir Teil eines Ganzen ist, dem und umweltfreundlichen Alternativen zur „Nor- wir uns in wechselseitiger Abhängigkeit verdanken malität“ unseres Alltags (in Landwirtschaft und und das wir nur gemeinsam erhalten können. Ernährung, Mobilität, Wohnen, Energieversorgung usw.); Dann allerdings müssen wir auch nach einer grundle- • Durch beharrlichen Einsatz für Veränderungen gend anderen Art des Wirtschaftens suchen, die die an bestehenden ökonomischen und politischen Sorge um das Gemeinsame Haus in den Mittelpunkt Regeln und Rahmenbedingungen, die einer Wirt- rückt (so wie es indigene Gemeinschaften in Bolivien schaft Vorschub leisten, „die tötet“ (z. B. durch die im kleinen Maßstab seit jeher tun). Dann muss der Einführung eines Lieferkettengesetzes). Schutz von Gemeingütern Vorrang haben vor dem Recht, aus Privateigentum Macht und Profit abzu- Wichtig dabei bleibt, dass wir uns auf diesen Wegen leiten. Dann kann Wirtschaftswachstum nicht mehr im Auge behalten, dass wir uns unterstützen, aber das zentrale Ziel von Politik sein. Dann müssen Wett- auch unbequeme Fragen stellen und anzuhören bewerbsvorteile, die auf Externalisierung beruhen, bereit sind. Die Suche nach anderen Weisen des Wirt- untersagt und sanktioniert werden. Dann müssen schaftens ist eine der größten Herausforderungen Nutzen und Kosten, Chancen und Haftung wieder der Gegenwart, die nur in weltweitem Dialog möglich zusammengeführt werden. Dann muss über Arbeit, ist. Das ist die gute Nachricht der Globalisierung: Sie ihre „Systemrelevanz“, ihre soziale und ökologische ermöglicht diesen Dialog. Wir können gleich damit Gestaltung und die Verteilung der durch sie geschaf- anfangen. Zum Beispiel in der Fastenaktion 2021. Es fenen Werte neu nachgedacht werden. geht! Anders. 4 Fastenaktion 2021 · GRUNDLAGEN
Sie können auch lesen