Günter Kiesant Josephine Baker Bill Ramsey Charles Mingus Duke Ellington - That Jazz
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Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt aus Leipzig für Freunde swingender Musik in aller Welt Günter Kiesant JFSG | Nummer 33 | März 2021 J o s e p h i n e B a ke r Kostenfrei auch als DOWNLOAD im Internet: Bill Ramsey Charles Mingus www.jazzfan24.de/FJS D u ke E l l i n g t o n EST. 2013 … and all that JAZZ JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 1
IST DAS JAZZ ODER KANN DAS AUS: Günter Kiesant—Schlagzeuger in Ost und West (1) Seite 04 Bill Ramsey—zum 90. Geburtstag Seite 10 Charleston in the Netherlands 1924-1929 Seite 13 Memories dank Fundstücken (5) Seite 15 Jazz in Hannover—Gerhard Evertz (1) Seite 16 Jazz in Rostock der fünfziger Jahre Seite 20 Titel und ihre Geheimnisse (19) Seite 21 Josephine Baker—eine neue Biografie Seite 22 Ich war Buddy Boldens Band Boy Seite 24 Desert Island Discs (5) Seite 28 Mit Volldampf zur Performance Seite 30 Charles Mingus in Bremen 1964 und 1975 Seite 32 Ist das Jazz oder kann das AUS? Seite 34 The Rufus Temple Orchestra Seite 37 Historically Listening—Duke Ellington Seite 38 Contemporary Listening—Peter Fulda Seite 39 Bücher, Bücher, Bücher Seite 40 Call & Response unter Freunden Seite 42 Jazz ist, wenn man alles selber machen muss! Der Herausgeber TITELBILD: Günter Kiesant in der Leipziger Oper, Jazztage 1996, Archiv Thomas Moritz, LeipJAZZig Fotos: © by Thomas Camphausen links: v.l.n.r. Ecki Gleim, Thomas Moritz, Günter Kiesant, Michael Arnold, ?, Henry Walther. rechts: das Jackett war dann doch zu viel… JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 2
Die Welt steht Kopf! Liebe Jazzfreunde, Swingjahre jung, ebenso Günter Kiesant im darauffolgenden. Als ich Fotos für die Ausgabe suchte, fiel mir die Kunst-Installation mit Ampeln in Siegfried Schmidt-Joos erklärt, warurm die Hände. Sie ersetzt ausnahmsweise das Bill Ramsey kein Schlagerclown war, wie herkömmliche Editorial-Foto. (Das sag ich das häufig lanciert wurde. Das abgedruckte nur, weil der Mensch bekanntlich Verände- Nachwort für die erste Bill Ramsey- rungen nicht mag.) Meine Tochter hatte Biografie hat er in Stein gemeißelt und Anfang des Jahrtausends dieses Foto in wird vorab und exklusiv in der Gazette London gemacht, bevor sie in Ray‘s Jazz veröffentlicht. (Die Beiden haben übrigens Cafe in der Charing Cross Road für ihren am selben Tag Geburtstag und rufen sich alten Herrn die neuesten Jazzplatten und – dann immer an. Das nur so als feuilletonis- bücher als Dank dafür kaufen musste, weil tischen Tratsch eingestreut) Zurück zum ich kurz vor Abflug in Leipzig ihr noch den Buch über Bill Ramsey. Weil Sigi so schön vergessenen Pass mit Blaulicht zum Flugha- über Bill im Nachwort schreibt, heißt das fen bringen musste. Ich finde das Foto nicht, dass man das Buch nun nicht kaufen symptomatisch für unsere Gegenwart. Kei- braucht. Im Gegenteil: Biografien lesen ner weiß, wohin die Reise in naher Zukunft sich stets mit Gewinn. Das gilt auch für gehen wird. „Rückkehr zur Normalität“ ist eine weitere Neuerscheinung über die Sän- eine Floskel, die häufig verwendet wird. gerin und Entertainerin Josephine Baker. Nur: Was ist Normalität? Das „Höher, Diese Biografie stellt richtig, was woan- Schneller, Weiter“ einer Wirtschaftspolitik, ders über die Diva geschrieben ein wenig die sich für Klimaschutz nur interessiert, an der Wahrheit vorbeirauschte. wenn sich damit Geld verdienen lässt und Ein Jazzfreund, der sich lebenslänglich für für Musik höchstens für Werbespots der diese Musik engagiert, kann jedoch lange E D I TO R I A L Autoindustrie? Der neuseeländische Jazz- warten, dass jemand vorbeikommt und Pianist Mike Nock schrieb in seiner Auto- fragt, ob er mal eine Biografie schreiben biografie, dass unsere Welt besser aussähe, darf. Das muss der schon selber machen. wenn der Kultur so viel Geld wie dem Sport Während für Politiker gilt: „Zwischen dem geringer Beachtung seitens der Politik dafür zur Verfügung stehen würde. Die Erkennt- Reden und dem Handeln liegt bekanntlich stark machen. (Die Arbeit von medizini- nis ist nicht neu. Wir müssen sie uns nur das Meer“, hat Gerhard Evertz aus Hanno- schem Personal kann man sowieso nicht immer mal wieder ins Gedächtnis rufen. ver viel für den Jazz in seiner Heimatstadt hoch genug würdigen!) Die Beschäftigung mit Musik bewirkt ein getan und darf darüber gemäß „Tu Gutes Besonders bedanke ich mich für zahlreiche erfülltes Leben. Das zeigen Beiträge über und rede darüber“ auch schreiben. Das hat und teils großzügige Spenden, die unsere Musiker und von Musikliebhabern in der er schon oft getan, wie über die Leipziger finanzielle Basis für Druck– und Versand- ersten Ausgabe des Jahres. Es ist überfällig, Jazzpianistin Jutta Hipp, aber nicht über kosten festigen. Es tut gut zu wissen, dass es einen Musiker zu Wort kommen zu lassen, sich selbst. In den nächsten Gazetten tut er Gleichgesinnte wie Euch gibt, denen unsere dessen Leben die Jazz-Geschichte beider das. Und das ist richtig so! Arbeit etwas bedeutet! deutscher Staaten tangiert und der in diver- Übrigens Siegfried Schmidt-Joos hat auch Danke! Спасибо, Thanks, Merci, Gracias! sen Publikationen konsequent übersehen wieder ein Buch geschrieben. Es trägt den wird. Mit dem Schlagzeuger Günter Jetzt will ich Euch nicht länger von der schönen Titel „Es muss nicht immer Free Arbeit abhalten. Die erste Aufgabe heißt „Emmes“ Kiesant habe ich mehrere Telefo- Jazz sein“. Steht in der Gazette! Suchen! nate geführt und über seine Musikerlebnisse „Zwei Jazzer im Gespräch“ und steht auf Und da eine Musikzeitschrift ohne Musik Seite 26. Ihr habt bis zum 30. April 2021 gesprochen. Oral-History im besten Sinne nur eine Zeitschrift ist, gibt es noch mehr der Geschichtsschreibung! Ich hoffe, das Zeit für witzige Kommentare :-) Interessantes zur Frage „Ist das Jazz oder Ergebnis liest sich so gut, wie Emmes er- kann das AUS?“ zu lesen. Und da ein Le- Viel Vergnügen wieder mit der Jazztüre! zählen kann, weil: Die Unterbrechungen ser aus Frankfurt/ Main kürzlich am Tele- Bleibt gesund und lasst von euch hören! durch lautes Lachen sind im Text nicht ent- fon schwor, die Gazette wäre das einzige Keep swingin‘ & singin‘ halten. Als er die Namen auf dem Titelblatt Jazz-Magazin, das er von Anfang bis Ende sah, erinnerte er sich, dass er in den Fünfzi- Detlef A. Ott liest, brauch ich jetzt nicht alles auflisten, gern einen jungen Sänger, der als amerika- was Ihr sowieso lesen werdet, wie ich an- nischer GI in D-Land stationiert war, maß- nehmen darf. voll swingend begleitet hatte. Emmes war da der Schlagzeuger aus dem Osten im Mi- Da will ich an dieser Stelle wenigstens chael Naura Quartett aus‘m Westen. Und noch all jenen meine Wertschätzung aus- der Sänger war...? Richtig, Bill Ramsey. sprechen, die sich trotz allgemeiner Kultur- Bill wird am 17. April dieses Jahres 90 stille weiterhin für die Wahrnehmung von Kunst und Musik einsetzen und sich trotz Gefunden im Schaufenster der Connewitzer Ver- IMPRESSUM lagsbuchhandlung in der Leipziger Innenstadt. JUST FOR SWING ist eine Non-Profit Organisation zur Verbreitung des Swing-Virus Redaktion: Detlef A. Ott (Herausgeber) | c/o JFSG | Karl-Rothe-Straße 1 | 04105 Leipzig | Germany Mitarbeit an dieser Ausgabe: Bodo Buchholz, Karl–Heinz Böhm, Christine Brigl, Dr. Thomas Brückner, Thomas Camphausen, Peter J. Colev, Gerhard Evertz, Günter Kiesant, Gerhard Klußmeier, Kerstin Ott, Hendrik Ott-Loffhagen, Thomas Moritz, Klaus D. Pott, Freddy Schauwecker, Dr. Thomas Schinköth, Siegfried Schmidt-Joos, Klaus Schneider T: +49 (0)341 5 61 43 62 | E: Detlef.Ott@kabelmail.de | W: www.jazzfan24.de/JFS/ (kostenloser Download) Die Gazette erscheint vierteljährlich Anfang März, Juni, September, Dezember und wird durch ehrenamtliche Mitarbeiter gestaltet. Für unaufgefordert einge- sandtes Material besteht keine Rückgabepflicht. Alle Beiträge sowie das Bildmaterial sind urheberrechtlich geschützt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors und nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wir verschicken nicht an Händler oder Personen mit der Absicht des Weiterverkaufs. JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 3
LEIPZIGER JAZZGESCHICHTE(N) G ü n t e r K i e s a n t Te i l 1 : D i e f r ü h e n J a h r e Im Westen hieß er Eminenz Roberts, im Osten Günter Kiesant. S eine Geschichte ist die des Jazz beider deutscher Der Verein Leipziger Jazzmusiker LeipJazzig ernannte ihn zu Staaten. Der Schlagzeuger Kiesant ist nicht nur in der Recht zum Ehrenmitglied. 2022 feiert Günter Kiesant seinen Leipziger Jazzszene eine Hausnummer. Spricht man 90. Geburtstag. Anlass genug, um mit ihm ein wenig über mit hiesigen Jazzmusikern, dauert es nicht lange, da dessen Leben zu sprechen und darüber, was ihn am meisten fällt sein Name. Selbst der Amerikaner Adam Nussbaum geprägt hat. Der gebürtige Potsdamer wohnt heute in Berlin- spricht mit Hochachtung über ihn, seitdem sich beide Charlottenburg. Was der Jazzgitarrist Thomas Buhé (1920- Schlagzeuger während eines Workshops 1983 in Rothenburg 2015) für die ostdeutsche Szene war, kann man ohne lange kennenlernten. Nussbaum war von Kiesant so beeindruckt, nachzudenken dem Schlagzeuger Günter Kiesant zugestehen. dass er dessen Namen immer dann im Munde führte, wenn es Beide Lebensläufe weisen gewisse Parallelen auf. Auch in einem Gespräch um Schlagzeuger hinter dem Eisernen Kiesant pendelte wie Thomas Buhé als Musiker in den Vorhang ging. Bis heute stehen beide im Kontakt. fünfziger Jahren zwischen Ost und West. Beide blieben der ostdeutschen Szene verbunden und übten langjährige Das digitale Gedächtnis der Menschheit Wikipedia vermerkt: Lehrtätigkeiten aus, Kiesant an der Hochschule in Leipzig, „Er gilt als Nestor des ostdeutschen Jazzdrummings.“ Der Buhe an der Musikhochschule in Weimar. Beide verfassten Journalist Hans Hielscher überschrieb einen Beitrag im Standardwerke zur Musik, Kiesant zum Schlagzeugspiel, Spiegel vom 24. 11. 1997 mit „Günter Kiesant - Ein Name für Buhé zur Plektrumgitarre. Günter „Emmes“ Kiesant hat nach den Osten, ein anderer für den Westen - der Jazzer machte in einer langen Karriere das Schlagzeugspiel vor fünf Jahren aus beiden Teilen Deutschlands Karriere und gilt noch heute als gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Eminenz.“ und nannte ihn einen „Phantom-Schlagzeuger“ der deutschen Jazzgeschichte. Im Jazz Podium gab es in all den Ich habe mit Emmes im November und Dezember 2020 Jahren nur einen einzigen Beitrag über ihn (April 2012). mehrere längere Telefonat geführt. Dabei wurde mir schnell Kiesant hat Spuren in der hiesigen Jazzlandschaft hinterlassen. klar, dass am Ende der Leitung jemand saß, der bis an den Wer „Emmes“, wie er von seinen Freunden liebevoll genannt Rand mit Jazzgeschichte(n) gefüllt ist und stundenlang über wird, je live erlebt hat, wurde immer Zeuge einer Sternstunde seine Erfahrungen als Jazzmusiker mit Euphorie und viel des Schlagzeugspiels. Bescheiden und verschmitzt lächelnd Witz reden kann. Ein Traum für jeden Interviewer! Am war er der Ruhepol der Band. Stilistisch vielfältig galt er nicht Schluss unseres Gesprächs hatte ich Stoff für ein Buch und es nur als ein sicherer Time-Keeper, sondern als kreativer Solist blieben immer noch Fragen offen. und guter Zuhörer seiner Mitmusiker, der auf jede Wendung des musikalischen Geschehens eine angemessene Reaktion zeigen konnte, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. „AUCH EIN SCHLAGZEUGER MUSS NOTEN LESEN KÖNNEN.“ Als ich den Beitrag im Jazz Podium erwähnte, in dem Gerhard Conrad ein dichtes Porträt des Lebenswegs von Günter Kiesant entwarf und sein Schlagzeugspiel anhand verschiedener Aufnahmen detailliert analysierte, meinte Kiesant, dass er zu viel Lobhudelei nicht mag und dass es in diesem Beitrag auch Aussagen gäbe, die ihm nicht gefallen haben, wie die Feststellung, dass er auch Noten lesen könne. Kiesant: „Unter anderem schrieb Gerhard, dass ich als Schlagzeuger auch Noten lesen könne. Für mich ist das doch überhaupt die Voraussetzung, um in einer Big Band zu spielen! Andere wie die großen Stars Buddy Rich, Charlie Antolini oder Daniel Humair, die bekanntlich keine guten Notenleser waren, mussten sich die Arrangements merken. Der Trompeter John McNeil, der bei Buddy Rich gespielt hatte, erzählte mir über Rich folgende Geschichte. Weil der schlechte Notenkenntnisse hatte, ließ er sich die einzelnen Titel von Studenten vorspielen, die bessere Notenleser waren. Das hat er sich eingeprägt und konnte noch das ein oder andere hinzufügen. Als ich McNeil gegenüber erwähnte, dass ich Rich immer sehr bewundert habe, meinte er, dass er ein Akrobat gewesen sei und dass er bessere Drummer kennengelernt habe. Rich soll sehr eitel gewesen sein. Wenn er ein Schlagzeugsolo hatte, mussten alle zu ihm aufmerksam hingucken. Wenn das einer nicht machte, den hat er gleich rausgeschmissen.“ Günter Kiesant während einer Probe für eine Das Gerücht, dass Kiesant keine Noten lesen könne, habe der Fernsehsendung im „Haus zur heiteren Muse“ Schlagzeuger Fips Fleischer in die Welt gesetzt, als Kiesant in Leipzig 1977 zu Kurt Henkels nach Leipzig kam. JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 4
Präsentation der Biografie über Kurt Henkels auf der Leipziger Buchmesse Günter Kiesant am Schlagzeug in der Henkels Band 1958 im März 2011. v.l.n.r.: Rolf Kühn, Marion Schröder (Tochter von Henkels), Dr. Berliner Jahn-Stadion vor tausenden begeisterten Zuhörern. Heinemann vom Olms Verlag, Walter Eichenberg (sitzend), Günter Kiesant, Gerhard Conrad (Autor des Buches) Kiesant: „Ein Dresdner Musikredakteur, der mich vom Harry Kiesant: „Walter Eichenberg erzählte mir später mal, dass Seeger Quintett1 her kannte, sagte mal zu mir, wenn der Fips Henkels ihn zweifelnd gefragt habe, ob ich wirklich der Fleischer von Kurt Henkels weggehen sollte, wäre ich der richtige wäre, weil ich nicht so wie Fleischer agierte. Da richtige Mann am Schlagzeug in dessen Orchester. Ich war sagte Walter zu Henkels: 'Wer denn sonst, Herr Henkels? Ein davon nicht überzeugt. aber eines Tages rief er mich Showman hatten wir! Jetzt brauchen wir mal einen richtigen tatsächlich an und teilte mir mit, dass Fleischer gekündigt Schlagzeuger.'“ habe. Er hatte meinen Namen Henkels gegenüber erwähnt, Walter Eichenberg übernahm das Orchester von Henkels am nachdem dieser einige Drummer ausprobiert hatte und 1. 1. 1961, nachdem Henkels 1959 über West-Berlin die unzufrieden war. Da fuhr ich nach Leipzig und traf auf dem Flucht aus der DDR ergriffen hatte und Kneifel für kurze Zeit Weg ins Orchesterbüro zufällig Fips Fleischer wieder. Ich die Band leitete. Er blieb 28 Jahre dessen Leiter. Kiesant war hatte ihn zwei Jahre zuvor 1954 kennengelernt, als ich mit der schließlich dem Orchester 35 Jahre lang bis zum bitteren West-Berliner Bigband von Lubo D'Orio als Vertreter in Ende verbunden. Die letzten Jahre leitete es der heute Ostberlin spielte. Wir traten im Jahn-Stadion mit dem 85jährige Eberhard Weise, bevor es dann im Sommer 1992 Trompeter Macky Kasper2, Fips Fleischer als Sänger und der abgewickelt wurde. Auch wenn Kiesant hier mehr Tanzmusik Sängerin Sonja Siewert auf. Fips bewunderte mein spielen musste, fand er oft Gelegenheit, Jazz zu spielen. Den Schlagzeugspiel, weil ich im Gegensatz zu ihm, der bei Swing-Virus hatte er sich schon von frühester Kindheit manchem Titel immer nur die kleine Trommel verwendete, eingefangen. das ganze Schlagzeug nutzte. Als wir uns nun zwei Jahre später wieder trafen, breitet er theatralisch die Arme aus und BEGEISTERUNG FÜR SWINGMUSIK ruft: 'Günter! Lubo D'Orio in Leipzig!'. Ich sagte: 'Nein, ich Günter Kiesant wurde am 8. März 1932 in Potsdam geboren, komme zum Vorspielen her, weil Du gekündigt hast'. Da in einer Zeit, in der Kinder schnell erwachsen wurden. Er wollte mich Fleischer gleich abwerben und erzählte mir, dass wuchs in einem Elternhaus auf, wo Musik eine große Rolle er eine Jazz Big Band gründen wolle und dass er schon spielte. Sein Onkel war Stabsmusikmeister in Potsdam. Sein verschiedene Leute aus Prag von Karel Vlach habe. Er wollte Vater hatte schon zu Stummfilmzeiten in Potsdam ein mir unbedingt abraten, zu Henkels zu gehen. Orchester. Während des 2. Weltkrieges war er Musiker im Als Schlagzeuger war noch der Erich Röhner von der Alo Infanterieregiment „Graf von Neuen“. Wenn er abends Koll Big Band von Fips Fleischer vorgesehen, während nachhause kam, hörte er heimlich BBC. Walter Eichenberg und das Orchester mich wollten. Walter Kiesant: „Den Sender habe ich mir gemerkt. Wenn ich aus schlug vor, dass wir die gleichen Titel spielen sollten, um eine der Schule kam, habe ich den auf Kurzwelle gesucht und Entscheidung herbeizuführen. Da trommelte ich also in hörte Swingmusik von Charlie Barnet, Jimmy und Tommy zweieinhalb Stunden 25 Stücke aus der Notenmappe und Dorsey, Duke Ellington und Count Basie. Da war ich 11 erfuhr später, dass ich den Job bekommen hätte. Ich trat Jahre.“ meine Stelle als Schlagzeuger bei Henkels zum 1. April 1957 an, sollte aber schon eine Woche vorher auf Honorarbasis3 Auf Wunsch des Vaters erlernte er zunächst die Violine, weil spielen. Von den Kollegen erfuhr ich später, dass Fips der Piano spielende Vater sich in Günter einen späteren Fleischer über mich nicht gut sprach und dass er nach dem Begleiter erhoffte. Vorspiel Zweifel unter den Kollegen streuen wollte: 'Was Kiesant: „Mein Vater arbeitete damals am Volkstheater wollt ihr denn mit dem aus Berlin? Der kann doch gar keine Potsdam, wo er auch nach dem Krieg als Dirigent eingesetzt Noten lesen'. Seine Kollegen waren empört, weil ich gerade wurde. Mein Lehrer war einer der Geiger im Orchester zwei Stunden vom Blatt gespielt hatte. Auch später erzählte meines Vaters und kam aus Chemnitz. Er fragte mich immer Fips Fleischer viele Anekdoten, die nicht stimmten, aber in vor dem Unterricht in seinem sächsischen Dialekt: 'Na, mei seinem Buch erwähnt werden.“ Gienter, was hammer denn heute?' Ich habe ihm dann die Freunde wurden Fleischer und Kiesant nicht. Fleischer spürte Etüden mehr schlecht als recht vorgespielt, worauf er mich intuitiv, dass er Kiesant nicht das Wasser reichen konnte. Er mal fragte: 'Wie ofd iebste denn? Was machsde denn, wenn war eben mehr ein Showman und kaschierte dadurch sein Du nach Hause gommsd?' Da habe ich ihm geantwortet, dass mittelmäßiges Schlagzeugspiel. Henkels gefiel das durchaus, ich dann die Geige in die Ecke stelle und erst wieder dass Fleischer auch ein bisschen Show machte. Aber andere hervorhole, wenn ich zu ihm kommen würde. Irgendwann hat Musiker legten da keinen Wert drauf. er meinem Vater gesagt, dass die Geige wohl nicht das JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 5
richtige Instrument für mich wäre, eher Trompete oder angetan und fragte mich, ob ich nicht Zeit hätte und bei ihm Schlagzeug.“ spielen könne. Bei meinem Vater sprang dann für mich ein Als Kiesant zum Jungvolk musste und bald von den Amateur ein und ich war von November 1952 bis Mai 1953 Geländespielen und Prügeleien dort angewidert war, gab ihm bei Schneider.“5 sein Vater den Rat, sich zum Fanfarenzug zu melden. Ein WIE AUS GÜNTER KIESANT ERST„TOM ROBERTS“ älterer Schüler, der mit 14 Jahren der Hitlerjugend beitreten UND DANN „EMINENZ“ WURDE musste und den Fanfarenzug verließ, gab ihm sein Instrument. Von da an entzog sich Kiesant den rauen Spielen des „Mit den Spree City Stompers spielten wir u.a. im Titania Jungvolkes durch Musik. Als im Januar 1945 der Fanfarenzug Palast und dem Festsaal am Funkturm. Weihnachten 1952 wegen undisziplinierten Verhaltens aufgelöst wurde und der hatten wir einen Auftritt, wofür Programme gedruckt wurden Krieg dem Ende entgegen ging, widmete sich Kiesant dem und auf denen auch die Namen der Musiker stehen sollten. Da Erlernen des Schlagzeugspiels. Mit Genehmigung der habe ich zu Schneider gesagt: 'Um Gottes Willen. Mein Name Behörden in Potsdam durfte er später von 1948–51 Musik am darf da nicht drauf. Da bekomme ich Schwierigkeiten. Der Städtischen Konservatorium in West-Berlin Unterricht Name Kiesant ist durch meinen Vater in Potsdam bekannt wie nehmen, weil es im Osten noch keine Musikhochschule gab. ein bunter Hund.‘ Man durfte zwar zu jener Zeit in West- Kiesant: „Ich hatte eine klassische Ausbildung bei einem der Berlin studieren, aber nicht spielen. Das war übrigens auch Schlagzeuger der Berliner Philharmoniker Kurt Ladentin. nicht im Sinne der West-Berliner Musiker. Ich sagte zu Der brachte 1948 von der ersten Tournee mit den Berliner Schneider: ‚Schreib hin, was Du willst, aber nicht meinen Philharmonikern in England die Gene Krupa Schule mit. Namen.‘ Da schrieb er dann: 'Tom Roberts'. Dadurch war er ein begehrter Schlagzeuglehrer. Als ich nach Kurz darauf lernte ich Lern Arcon kennen. Er war ein der Aufnahmeprüfung die Liste meiner Lehrer bekam, sagten bekannter Tenorsaxophonist und Arrangeur fürs RIAS mir meine Mitstudenten, dass ich das große Los gezogen Tanzorchester und fürs Orchester von Kurt Widmann. Der hätte, weil ich bei Kurt Ladentin Unterricht hätte. Er hat uns liebäugelte mit mir und fragte mich, ob ich nicht auch mal bei zwar nicht stilistisch unterrichtet, hat uns aber aus der Gene ihm spielen könnte. Als ich 1953 zu ihm ging, hatte ich mir Krupa Schule die Techniken gelehrt. Das Stilistische haben extra einen grauen Anzug anfertigen lassen, so wie die wir uns später selbst beigebracht.“ Musiker der Les Brown Big Band sie trugen. Wir hatten ja das Bald spielte er in der Unterhaltungskapelle seines Vaters Glück gehabt, die Big Band zu hören, als uns ein Saxophonist Schlagzeug und begann sich bedingt durch die Nähe zu West- vom RIAS Orchester in eine Veranstaltung mitnahm, die Berlin in der dortigen Jazzszene umzutun.4 Er lernte einen eigentlich nur für amerikanische GI‘s bestimmt war. Les jungen Mann, Thomas Keck, kennen. Browns Band hat uns umgehauen. Er Der studierte Medizin und spielte bei selbst trug eine schwarze Strickkrawatte, den Spree City Stompers in West- Berlin Schlagzeug. Sein Vater war Hallo, was spielt da für die mir gefiel und die ich mir dann auch gekauft habe. Als ich mit der Krawatte Franzose, die Mutter Bulgarin. ein Mensch? Kiesant? in die Badewanne kam, rief Lern Arcon Kiesant: „Thomas hatte mich während Kenne ich nicht. Dort laut: ' Ach, da kommt ja seine Eminenz.' So hieß ich dann Tom ‚Eminenz‘ eines Auftritts zu einem Abiturientenball kennengelernt. Die spielt Eminenz. Roberts. Später haben sie dann das 'Tom' weggelassen und ich hieß nur Band meines Vaters bestand aus drei noch ‚Eminenz‘, was als ‚Emmes‘ Saxophonisten, zwei Trompetern, einem Posaunisten, abgekürzt wurde. Viele kannten mich ausschließlich unter dem Pianisten, Bassisten und mir am Schlagzeug. Von einem der Namen ‚Eminenz‘. Da gibt es noch eine kleine Anekdote: Zum Saxophonisten, der aus amerikanischer Gefangenschaft Saxophonisten Horst Reipsch vom Henkels Orchester sagte gekommen war, hatten wir gedruckte Arrangements, sodass ich eines Tages, dass er mal abends in die Nürnberger Straße wir Nummern von Glenn Miller, Count Basie und auch zum Jazzclub Badewanne gehen soll, wenn er in Ost-Berlin Tommy Dorsey spielen konnten. Sogar Stan Kentons „The sei. Dort spielte Helmut Brandt mit einem tollen Quintett und Peanut Vendor“ war darunter. Thomas war von der Musik mit Conny Jackel6 an der Trompete. Ich selbst war damals bei begeistert und lud mich zu sich ein. Bei ihm hörte ich Coco Schumann im Studio 22. Dort spielten wir immer bis Schellackplatten, die er von Verwandten aus Frankreich morgens 4 Uhr. In der Badewanne war aber halb zwei erhalten hatte. Da lernte ich all die Bebop Bands kennen und Schluss. Da sollte Reipsch den Jackel ansprechen und ihn war von der Musik begeistert. Als Thomas im November 1952 fragen, ob er ihn mit dem Auto mitnimmt, weil der gleich um mit seiner Mutter für vier Monate nach Sofia ging, empfahl er die Ecke wohnte und im Studio 22 immer noch einen Absacker mich dem Leiter der Spree City Stompers Hawe Schneider als zu sich nahm. Reipsch fragte also den Jackel: 'Kiesant spielt Ersatz für diese Zeit. Hawe hatte schon verschiedene im Studio 22 bei Coco Schlagzeug. Kannst Du mich mit Schlagzeuger angesprochen, aber war mit keinem zufrieden. Deinem Auto mitnehmen?‘ Da antwortete der Jackel in Thomas lud mich daraufhin zum nächsten Auftritt in den seinem schwäbischen Dialekt: 'Hallo, was spielt da für ein Jazzclub ‚Die Badewanne‘ ein, wo die Spree City Stompers Mensch? Kiesant kenne ich nicht. Dort spielt Eminenz.' einmal in der Woche für die Band vom Johannes Rediske spielten, der dadurch anderen Verpflichtungen beim SFB oder Mit Coco Schumann spielte Kiesant, als jener kurz zuvor aus RIAS nachgehen konnte. Thomas machte mich bekannt und Australien wieder gekommen war. An der Trompete war schlug vor, dass ich trommeln sollte. Schneider wollte das damals Peter Rückert aus Halle. Auch über diese Zeit zunächst nicht. Als Thomas jedoch in der Ecke einen Mann schreibt Herbert Flügge: „Nach Studium und Privatunterricht von der bulgarischen Botschaft sitzen sah, wo er kürzlich sein erhielt Kiesant in seiner Heimatstadt Potsdam schließlich von Visum beantragt hatte, gab er mir schnell die Stöcke in die einer Prüfungskommission seinen Ausweis als Berufsmusiker. Hand und schob mich hinters Schlagzeug. Er durfte auf Natürlich war damit das Verbot, im »Westen« aufzutreten, keinen Fall von dem erkannt werden. So trommelte ich für nicht aufgehoben, aber er hatte als Profi im Westen wie im Schneiders Band. Ich kannte die ganzen Dixieland-Titel wie Osten größere Chancen. Während er im Raum Potsdam in ‚Muskrat Ramble‘ aus dem Radio und wusste, wo die Breaks Kapellen zumeist die herkömmliche, oft auch veraltete gemacht wurden mussten. Plötzlich war Hawe Schneider ganz Tanzmusik spielen musste, jazzte er in West-Berlin u.a. mit JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 6
MEMORIES Mit dem Michael Naura Quartett in der „Badewanne“ in West- Berlin, Frühjahr 1956. Michael Naura (p), Klaus Marmulla (as), Hajo Lange (b), „Eminenz“ Roberts alias G. Kiesant (dr). Diese Formation spielte am 21. Mai 1956 zum 4. Deutschen Jazz Festival 1956 in Frankfurt/ Main Frank „Big Boy“ Goudie‘s GJC All Stars in den Columbia Studios in Berlin-Zehlendorf am 13. April 1953: Frank Goudie (ts, cl, voc), Gabriel Döres (tp), H. W. Schneider (tb), Helmuth Wernicke (p), Wolf van Well (g), Teddy Lenz (b), „Eminenz“ Roberts alias Günter Kiesant (dr) Mit dem Coco Schumann Quartett im Februar 1957 im „Studio 22“ in Berlin-Charlottenburg. Coco Schumann (g), Peter Rückert (tp), „Mumien-Ede“ (p), Günter Kiesant (dr) Im September 1954 kam die Illinois Jaquet Band in den Jazzclub „Studio 22“ in West-Berlin. Osie Johnson setzte sich ans Schlagzeug von Günter Kiesant und hatte bald Probleme mit der zu hart eingestellten Fußmaschine. Thomas Keck dolmetschte zwischen Kiesant und Johnson. Am Ende spielte Kiesant mit der Band von Illinois Jaquet! Mit Musikern der Gustav Brom Big Band September 1966. V.l.n.r.: Günter Kiesant (dr), Ludek Hulan (b), Hubert Katzenbeier (tb), Karel Danda (tp) Günter Hörig Umtrunk mit Kurt Henkels in einer Leipziger Gaststätte 1957. (p). Davor kniet Karel Krautgartner vom Orchester Karel Vlach. Günter Kiesant (links) JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 7
dem amerikanischen Klarinettisten/Saxophonisten Frank »Big dortigen Studenten Big Band kennen, der im benachbarten Boy« Goudie, dem Saxophonisten Lem Arcon und dem Rothenburg Workshops mit Jamey Aebersold, dem Erfinder Gitarristen Coco Schumann. 1956 spielte er beim Deutschen der Play Along Methode, durchführte. Da sollte ich Jazz-Festival in Frankfurt am Main und ging mit dem mitmachen und wurde dabei mit dem Trompeter Art Farmer, Michael Naura Quintett auf Tournee durch die dem Saxophonisten David Liebman uvm. bekannt. Besonders Bunderepublik. […] Unbestritten ist Günter Kiesant der war ich begeistert von Mike Tracy9, einem Saxophonisten, der prominenteste Jazzmusiker aus Potsdam.“ wie Stan Getz spielte. Als Drummer war Ed Soph dabei, der Auch in späteren Jahren, Anfang der sechziger Jahre, als zu Anfang einen sehr arroganten Eindruck auf mich machte. Kiesant schon in Leipzig tätig war, kam er nach Potsdam Ich kannte ihn von einer Kassette mit der Clark Terry Big zurück. So spielte er mit der sogenannten Radio-DDR- Band und war von seiner Schlagzeugkunst begeistert. Beim Combo, die sich aus Mitgliedern des Rundfunktanzorchesters zweiten Workshop 1984 kam auch Adam Nussbaum als Leipzig zusammensetzte: Eberhard Weise (p), Henry Walther Schlagzeuger. Slide Hampton war an der Posaune, wieder Art (tb), Günter Kloss (ts), Peter Sterzel (b) und Günter Kiesant Farmer an der Trompete und der Saxophonist Herb Geller (dr). war dabei. Der Gitarrist aus West Coast Zeiten Howard Roberts war auch da. Aebersold veranstaltete verschiedene Auch Karlheinz Drechsel erinnert sich an seine erste Workshops mit mehr als 500 Teilnehmern. Ich sollte Ed Soph Begegnung mit Kiesant in seiner Biografie und schrieb: „In zur Seite gehen und dessen Anweisungen ins Deutsche der »Badewanne« habe ich damals bei einer Session auch den übertragen. Dadurch kamen wir uns etwas näher. Eines Schlagzeuger Günter Kiesant erlebt, der nach seinem Tages wurde ich gebeten, mit einer der Bands zu spielen, weil Musikstudium in Potsdam in West-Berlin arbeitete. Weil das man festgestellt hatte, dass zwei Drummer fehlten. Ich kam in im Osten nicht publik werden durfte, trat er unter dem die Band von Ron McCLure, dem bekannten Bassisten, der Pseudonym »Seine Eminenz Roberts« in Erscheinung, woraus mit Charles Lloyd und Jack DeJohnette gespielt hatte. noch heute der ihm gegenüber oft gebrauchte Spitzname McClure war anfangs nicht sehr begeistert, weil alle anderen »Emmes« resultiert. »Eminenz Roberts« ist u. a. auf frühen Plattenaufnahmen mit dem Michael Naura Quintett, das seinen Start in West-Berlin hatte, zu hören.“ 7 „GÜNTER AUS LIPSIA, LIPSIA HINTERM VORHANG“ Kiesants musikalische Vita hat längst den Grad des Überschaubaren überschritten. Er spielte in unzähligen Formationen und mit berühmten Musikern wie Sahib Shihab, Rolf Kühn, Illinois Jacquet und Band, Nelson „Cadillac“ Wilson, Henry Walther, Larry Coryell, Slide Hampton, George Gruntz, Bobby Watson, Jiggs Wigham, Ack van Rooyen, Hal Galper, Joachim Kühn, Peter Herbolzheimer, Ference Snetberger, Hans Koller, Wolfgang Schlüter, Ed Thigpen, Adam Nussbaum u.v.a.. Kiesant: „Ein ganz besonderes Erlebnis für mich begann mit einem Auftritt 1978 zur Sendereihe ‚Zauber der Musik‘, die zuerst als Rundfunkproduktion und später als TV Produktion aufgezeichnet wurde. Da wurden wir als Tanzorchester hinzugezogen, weil neben klassischen Sachen auch Musical- und Operettenmelodien gespielt wurden. Zu einer dieser Sendungen in Cottbus war die schwedische Sängerin Sylvia Vrethammar8 angekündigt und die kurz zuvor eine Platte mit dem holländischen Arrangeur und Trompeter Rob Pronk gemacht hatte, auf der auch Herb Geller von der NDR Bigband zu hören ist. Die Sängerin brachte ihre eigene Rhythmusgruppe mit. Ich hatte zuvor schlechte Erfahrungen mit anderen Rhythmusgruppen gemacht, die mein Schlagzeug verwendeten. Ein Schlagzeuger hatte mir sogar meine amerikanischen Stöcke und Filzschlegel, die mir mal Thomas Paiste geschenkt hatte, entwendet. Danach hatte ich Musiker viel jünger waren. Er sagte kurz die Titel an und gab beschlossen, keinen mehr an mein Schlagzeug zu lassen. Mit mir Anweisungen, wie ich in den einzelnen Chorussen zu der Sängerin kam der amerikanische Schlagzeuger Ed agieren hätte. Als er mich hörte, fand er immer mehr Gefallen Thigpen. Ich dachte mich trifft der Schlag! Und ich hatte an meinem Spiel. Sein Gesicht wurde freundlicher. Am Ende ausgerechnet mein miesestes Schlagzeug mitgebracht, weil war er sehr zufrieden. Das hatte sich schnell ich ja nicht wollte, dass jemand anderes an mein Schlagzeug herumgesprochen, dass der Schlagzeuger aus Ostdeutschland geht! Walter Eichenberg bat mich, mit der Vrethammar und „gar nicht so schlecht war“. Da war ich plötzlich einer von ihrem Mann ins Gespräch zu kommen, weil er gern in ihnen. Mit Adam Nussbaum im zweiten Jahr war das ähnlich. Dresden eine Veranstaltung mit der Sängerin machen wollte. Da gab es am Ende eine tolle Sessionband, in der ich ein Ihr Mann sprach gut Deutsch und erzählte mir, dass Silvia sogenanntes Night-Concert mitspielen sollte. So wurde ich auch in Ostberlin mit Günter Gollasch aufnimmt. Ed Thigpen Schlagzeuger in einer tollen Gruppe mit dem würde in dieser Zeit nach West-Berlin fahren, um Heinz von Altsaxophonisten Bobby Watson und Hal Galper am Piano. Moisy zu besuchen. Da sagte ich ihm, dass Heinz mein Am Bass war Todd Coleman, der Mitglied von Lionel Nachfolger im Michael Naura Quintett wäre und er sollte ihn Hamptons Big Band war und gerade aus Tokio von einer grüßen. So kamen Heinz von Moisy und ich wieder in Konzerttour kam. Dabei waren auch Howard Roberts an der Kontakt, woraufhin dieser mich 1983 nach Tübingen zu den Gitarre, der Posaunist Slide Hampton und ein Posaunist John Percussiontagen einlud. Dort lernte ich den Leiter der JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 8
Leisenring von der Kansas City Philharmonie, der ein großer „Freie Töne – Die Jazzszene in der DDR“ Jazzfreund war und mit Thad Jones und bei Woody Herman - (Hrsg. Rainer Bratfisch, Chr. Links als Aushilfe gespielt hatte. Es gibt leider nur einen schlechten Verlag, 2005, ISBN 3-86153-370-7, S. 278 ff) Hrsg. Rainer Bratfisch, Chr. Links privaten Mitschnitt vom „C Jam Blues“, der knapp eine halbe Verlag, 2005, ISBN 3-86153-370-7, S. Stunde dauerte. Aebersold kündigte mich an diesem Abend als 278 ff „Günter aus Lipsia hinterm Vorhang“ an. Nussbaum und 2 Soph schauten mir nun von der Bühnenseite zu. Als Watson Macky Kasper war ein Jazz Trompeter auf seinem Saxophon eine lange Phrase mit Zirkularatmung und Orchesterleiter (* 17. Februar 1922 in blies und diese plötzlich abbrach, bin ich im nächsten Takt Breslau; † 14. April 1968 in Berlin) sofort darauf eingestiegen und habe das auf dem Schlagzeug 3 “Im Buch über Kurt Henkels steht, dass fortgesetzt, sodass Nussbaum vor Begeisterung vom Stuhl ich schon ein Jahr früher bei ihm angestellt gesprungen ist. Am nächsten Tag machte er alle Teilnehmer war. Diese Daten stimmen nicht.“ Conrad, des Workshops auf mein Schlagzeugspiel aufmerksam. Gerhard - Kurt Henkels: Eine Musiker- Seitdem sind wir eng befreundet..“ Biographie mit ausführlicher Diskographie. >>> FORTSETZUNG TEIL 2 IM JUNI 2021 Olms Verlag 2010 4 Im Kapitel „Potsdam: »Schlager-Messen« und (fast) ein Jazzclub“ im Buch „Freie Töne – Die Jazzszene in der DDR“ (Hrsg. Rainer Bratfisch, Chr. Links Verlag, 2005, ISBN 3-86153-370-7, S. 278 ff) schreibt Herbert Flügge über diese Zeit: “[…] Regelmäßig passierten die Potsdamer Jazzenthusiasten trotz Verbots der ostzonalen Behörden die Sektorengrenze, um in der »Badewanne« oder der »Eierschale« dabei zu sein. Musiker aus Potsdam spielten sogar in »Westbands« mit, so der Klarinettist Peter Strohkorb und die Schlagzeuger Thomas Keck und Günter Kiesant. Die beiden Ersteren siedelten schließlich nach West-Berlin über. Günter Kiesant blieb aus familiären Gründen in Potsdam, studierte aber in West-Berlin und was für ihn noch wichtiger war spielte auch mit West-Berliner Bands. 5 Wiedersehen mit dem Schlagzeuger Adam Nussbaum 1996 in Leipzig Über die kurze Zeit mit den legendären Spree City Stompers aus West-Berlin schrieb der Posaunist und Leiter der Spree Ausgewählte LP- bzw. CD-Einspielungen City Stompers Hawe Schneider in seinen mit Günter Kiesant: Memoiren „…und abends swing – Ein Buch voll Jazz, nicht nur für 1956 „Jazz From Berlin“ – Michael Naura Quintett, Fans“ (Gerhard Schilling Verlag, 1985 Metronome ISBN 3-924838-03-8, S. 115) im Kapitel „Die Schlagzeuger“: „In Berlin spielte 1955 „Deutsches Jazzfestival Frankfurt“ – Michael dann Fritz Krull Drums, der sich aber bei Naura Quartett / Johannes Rediske Trio, öffentlichen Auftritten und schließlich total 1962, Günter Oppenheimer-Trio – Love Is Just Around von Thomas Keck ablösen ließ. Als dieser The Corner / Amiga-Jive / Herbstregen / Amiga-Blues, sich eine längere Zeit in Sofia, der Heimat AMIGA – 5 50 163 seiner Mutter aufhielt, empfahl er uns 1966, Chor Günter Oppenheimer & Orchester Günter ‚Eminenz‘ (weil er immer so gekonnt Oppenheimer – Chor In Swing, AMIGA – 8 50 071 ‚Eminenz‘ Witze erzählte!) Roberts, ein Prinz Norodom Sihanouk/ Rundfunk-Tanzorchester sehr guter Ostberliner Tanzmusik- Leipzig – Palmen Am Meer - Tanzmusik aus schlagzeuger, dessen Pseudonym ich nicht lüften möchte, weil er heute noch hinter Kambodscha, (Arrangements von Henry Passage) den Drums eines DDR-Rundfunkorchesters AMIGA 8 50 132 sitzt. Thomas kam nach einem halben Jahr 1969, “Jazz Via Dresden”, AMIGA – 8 50 116 zurück und spielte wieder bei uns, […]“ 1982 „Jumping At The Woodside“ – Radio BigBand 6 Leipzig, AMIGA 8 55 961 Horst Konrad „Conny“ Jackel (* 30. 1986 „Living Transition“ – Radio BigBand Leipzig August 1931 in Offenbach am Main; † 28. April 2008 in Bad Nauheim) unter George Gruntz, AMIGA 8 56 339 7 2000 „Swing Away“ – Swinging Way, LeipJAZZig ULF DRECHSEL, Zwischen den Strömungen — Karlheinz Drechsel — Mein Leben mit dem Jazz, Buch + CD 978- Anmerkungen: 3-9814852-2 jazzwerkstatt Berlin- Brandenburg 1 Herbert Flügge stellte im Kapitel „Potsdam: »Schlager-Messen« 8 und (fast) ein Jazzclub im Buch „Freie Töne – Die Jazzszene in der LP Sylvia Vrethammar – Libertango, DDR“ fest, dass der einzige „echte“ Jazz in Potsdam 1956 von der Sonet – T-10045 Harry Seeger Quintett geboten wurde. Ihm gehörten Harry Seeger 9 Mike Tracy ist heute der Direktor des (p), Klaus Marmulla (cl, as), Werner Pauli (g), Hajo Lange (b) und Jamey Aebersold Jazz Studies Program an Günter Kiesant (dr) an. Sie spielten Eigenkompositionen im Stile des der University of Louisville School of modernen Jazz, der Einflüsse des Bebop und Cool Jazz erkennen ließ Music in Louisville, Kentucky und bestachen „in einer stilistischen Geschlossenheit, wie man sie damals kaum hörte.“ JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 9
Nicht nur ein Schlager-Clown Zum 90. Geburtstag von Bill Ramsey am 17. April 2021 erscheint eine längst überfällige Biografie des Sängers. von Siegfried Schmidt-Joos E in Buch wie dieses gab es bislang wurden, zitierte ich mich, der Not kaum in unserem Land. Natürlich gehorchend, in dem Zweispalter „Go, Man“ kennen wir Zitatensammlungen in Heft 21/1966 einfach selbst: „Siegfried wie Walter Kempowskis „Echolot“ Schmidt-Joos, Jazz-Experte von Radio oder die von Nat Hentoff und Nat Shapiro Bremen, kündigte Ramseys neue Songs und herausgegebene, von Werner Burkhardt Lieder als bisher beste in Deutschland übersetzte Anthologie „Hear Me Talking to produzierte Jazz-Vocal-Platte an.“ Ich hatte Ya“ („Jazz erzählt“). Doch das „Echolot“ auch recherchieren können, unter welchen betraf die Lebensumstände im Zweiten Bedingungen „Ballads and Blues“ Weltkrieg, „Jazz erzählt“ an vielen entstanden war: „Erst als Ramsey sich Beispielen das ganze Wesen der swingenden entschloss, das finanzielle Risiko einer Musik. Dieses Buch gilt einer einzelnen Qualitätsproduktion teilweise selbst zu Person. Wie es zustande kam, kann ich mir tragen - er und sein Pianist Paul Kuhn nach den Angaben des Autors wie folgt verzichteten auf die Hälfte der ihnen vorstellen: Mehrere Kartons mit zustehenden Lizenzen - , stellte Electrola persönlichen Briefen, Belegen, Berichten ihm ein Aufnahmestudio zur Verfügung. Für und Dokumenten auskippen, aufsammeln, eine Herstellungssumme von 2.500 Mark, ausschneiden, aufkleben, planlos, aber nicht dem üblichen Produktionspreis einer Single- sinnlos auswerten, durch ausufernde Anrufe Platte mit zwei Titeln, lieferte der Sänger ergänzen und das Resultat aufatmend seiner Firma die Langspielplatte ab. Als akzeptieren. Greift nur hinein ins volle Buches kommt sie zur Sprache. Mit Ramsey dann auch noch den Versand der Menschenleben, und siehe, es ergibt sich ein radikalen Jazzfans und Kritikern habe er Rezensionsplatten übernahm, war die vielschichtiges Kaleidoskop! Ein begnadeter stets seine Probleme gehabt, erzählt da der Electrola bereit, die Blues und Balladen auf Entertainer tritt zu Tage, ein TV-Unterhalter Künstler. Mit Big Bands wie denen von den Markt zu bringen.“ und Film-Komödiant in großkariertem Erwin Lehn oder Kurt Edelhagen habe er speziell für ihn arrangierte Jazz- und Swing Die „Spiegel“-Story „Go, Man“ führte noch Jackett, ein Schlager-Jazz-Swing-Soul- im gleichen Jahr zu einer 60 Minuten langen Gospel-Bluessänger mit afroamerikanischem -Aufnahmen gemacht. Aber die wurden erst nach Mitternacht gesendet und kaum Fernsehsendung mit dem Titel „Nicht nur ein Timbre, ein Tier- und Kinderfreund („Sing Schlagerclown. Bill Ramsey singt Folksongs ein Lied mit Onkel Bill“), ein begeisterter gehört. Wörtlich: „Die fanatischen Kritiker haben mich sehr, sehr abgelehnt. Das war und Blues“. Sie wurde beim WDR in Köln Erzähler von Musikerwitzen („Zwei Musiker aufgezeichnet und am 23. Dezember 1966 im gingen an einer Kneipe vorbei“), ein schwer, das habe ich nicht erwartet.“ Nachmittagsprogramm der ARD ausge- Songautor und Hörfunkmoderator Jahrelang hatte der aus Ohio stammende strahlt. Wie auf der „Ballads“-LP hatten wir („Swingtime“ auf hr2), ein Gitarrist und Amerikaner antichambrieren müssen, ehe unter Leitung von Paul Kuhn an Klavier und Pianist, ein generöser Gastgeber, ein Träger ihm seine Firma Electrola zwei Hammondorgel Spitzensolisten aus dem des Bundesverdienstkreuzes, ein Anwohner Langspielplatten mit einer eigenen Kurt Edelhagen-Orchester im TV-Studio: der Hamburger Elbchaussee, ein treuer Repertoire-Auswahl gestattete: „Ballads Jimmy Deuchar (Trompete), Derek Humble Freund, der an seine Nächsten im Frühling and Blues“ und „Songs from Home“. (Altsaxophon), Kurt Becker (Flöte und Liebesbriefe mit dem Absender Maria Käfer Vibraphon), Johnny Fischer (Bass), Stuff verschickt, und so weiter und so fort. Mehr Bill war 35, ich fester Freier Mitarbeiter Combe (Schlagzeug). Sie musizierten mit Bill Ramsey geht eigentlich nicht. Und doch des Hamburger Nachrichtenmagazins und Bill in den Stücken „Tobacco Road“, liegt über dem Text ein Hauch von fand besonders die „Ballads“ sensationell. „What´s New“, „Kansas City“, „The More I Melancholie. Da sich aber kein einziger meiner See You“ und „But Not For Me“. Während journalistischen Kollegen zitierfähig zu der ich ihn über seine Herkunft befragte, Mit vollem Recht nennt Pit Klein sein Buch LP geäußert hatte und „Spiegel“- „Send in the Clown“. Bei einem begleitete sich Bill im Folksong „Crawdad Geschichten damals noch nicht gezeichnet Hole“ und im Blues „St. James Infirmary“ Komödianten, der kleinen und großen Kindern mit Liedern wie „Wumba-Tumba selbst auf der Gitarre. Für eine längere Schokoladeneisverkäufer“ oder „Zucker- Interviewpassage mit Ramsey und Paul puppe aus der Bauchtanzgruppe“ so viel Kuhn hatte ich zusätzlich den damaligen Freude gemacht hat, war der Titel Electrola-Vertriebschef Wilfried Jung in die naheliegend. live aufgezeichnete Sendung eingeladen. Das Gespräch wurde, wie im Fernsehen damals Außerdem hat Bill auf der CD „Send in the vorgeschrieben, im „Sie“-Modus geführt. Clowns“ (2005), nur von Jean-Louis Hier ein redigierter Ausschnitt aus dem Rassinfosse am Kontrabass begleitet, eine Wortprotokoll: einmalig originelle und überzeugende Version dieses Klassikers von Stephen Siegfried Schmidt-Joos: Bill Ramsey singt Sondheim vorgelegt. Aber wie es in schon seit 1951 in Deutschland Blues und Sondheims Song-Lyrik aus dem Musical „A Jazz. Aber erst in diesem Jahr hat er die Little Night Music“ um eine tragische, Möglichkeit bekommen, in diesem Idiom unerfüllte Liebesbeziehung geht, so Schallplatten aufzunehmen. Immer wieder schwingt in diesem Titel auch bei Bill hat er versucht, Platten mit Jazzstücken zu Ramsey eine überspielte, aber tief sitzende besingen, aber es ist ihm nicht gelungen. Enttäuschung mit. An einer Stelle des Warum ist das nicht geschehen, Herr Jung? JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 10
Wilfried Jung: Schallplattenfirmen sind kommerzielle Unternehmen. WJ: Man versucht natürlich immer schon vorher zu wissen, ob es ein Gut verkauft, schlecht verkauft: Das sind die Maßstäbe. Bill Ramsey Erfolg werden wird oder nicht. Aber leider ist der noch nicht geboren als Sänger von „Pigalle“ und „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett worden, der das im Voraus sagen kann. Man versucht also den Markt - ein Bestseller, als Jazzsänger eine unbekannte Größe. Ein zu analysieren und fragt sich, ob zum Beispiel eine solche Aufnahme Experiment also, aber ein Experiment, das wir als Firma dann doch von Bill Ramsey ankommen wird. sehr gern übernommen haben. Man hört bei den Fachleuten herum, in den Einzelhandelsgeschäften: SSJ: Warum nicht früher? Ist das verkäuflich, glaubt ihr daran? Wenn man diese Erfahrungen dann bündelt, kann man zu dem Entschluss kommen, diese WJ: Das entscheidet in einer Plattenfirma nie einer allein. Wir Aufnahme zu machen. Ein bisschen Liebe und ein bisschen mussten also für das Projekt Freunde sammeln. Ich gestehe gern, Idealismus gehören aber ebenfalls stets dazu. dass ich zu den ersten Freunden dieses Aufnahmeprojektes gehörte. Es hat sehr lange gedauert, ja! Aber es ist schließlich doch immer SSJ: Der Vorwurf ist erhoben worden, auch von mir selbst, dass noch rechtzeitig in die Tat umgesetzt worden. viele Produzenten ihre Künstler immer auf ein bestimmtes Image zuschneiden wollen. Dass also, um das böse Wort einmal zu verwenden, Bill Ramsey als Schlagerclown abgestempelt ist und sein Produzent sagt: Ich möchte nicht, dass dieses Image gestört oder durch eine Aufnahme links oder rechts davon, die nichts damit zu tun hat, unterbrochen wird. WJ: Ich persönlich glaube nicht, dass Produzenten Künstler, mit denen sie arbeiten, festzulegen versuchen. Ich kann nur für unsere Produzenten sprechen, aber ich glaube, dass sie jedem, aber auch wirklich jedem Experiment aufgeschlossen gegenüber stehen. SSJ: Nun haben Sie, Paul Kuhn, Bill Ramseys „Ballads and Blues“ ja selber produziert. Was ist aus der Sicht des Produzenten Ihre Meinung dazu?“ PK: Ich glaube, dass „Ballads and Blues“ den Zuckerpuppen- Ramsey nicht stört. Ich glaube durchaus an eine zweigleisige Arbeit. SSJ: Und wie ist die Meinung von Bill Ramsey? BR: Ich weiß nicht! Ich habe immer gehört, man darf nichts anderes aufnehmen, als was man immer gemacht hat. Dagegen habe ich mich immer gesträubt. Ich durfte das im Rundfunk, leider nie auf Schallplatten. Dafür habe ich doch einen ziemlichen Kampf gehabt. Wie gesagt: Bei Konzerten in Zürich habe ich erst jetzt den Mut gefasst, es durchzuboxen. Aber es hieß immer: Dann tanzt du auf zwei Hochzeiten! SSJ: Das Publikum kennt Sie doch aber von Funk und Fernsehen her mit Blues und Jazzstücken schon mal splitterweise auf diesem anderen, ich möchte sagen: etwas gehobenem Niveau. Gab es denn beim Funk Zuschriften mit dem Wunsch, dass so etwas auch mal auf Schallplatten erhältlich ist? BR: Das kann ich nicht sagen. Ich bin aber sehr oft darauf angesprochen worden: „Du, das haben wir nicht gewusst, dass du auch Spirituals oder Blues singst.“ Oder vielmehr: „Sie, das haben wir nicht gewusst...“ Das freut mich natürlich viel mehr. Wenn ein Freund einem ein Kompliment macht, kommt das manchmal aus einem Vorurteil. Aber bei Taxifahrern, Menschen auf der Straße oder so ist das etwas anderes und sehr schön. SSJ: Eine Frage an jeden von Ihnen mit der Bitte um eine kurze Antwort: Sie glauben also nicht, dass Produzenten die Stars, die sie Foto: Ursula Schmidt-Joos betreuen, nicht voll zur Entfaltung kommen lassen und dass von Künstlern, die in Deutschland leben, mehr kommen könnte, aus Paul Kuhn: Die Zeit war vielleicht einfach noch nicht reif. Es dauert ihnen mehr werden könnte, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu ja wohl immer einige Zeit, ehe man mit so etwas experimentieren gäbe? kann. WJ: Ich glaube es nicht. Es ist eher umgekehrt: Dass die Künstler Bill Ramsey: Ich habe mir vielleicht auch nicht genügend Mühe ihren Produzenten Grenzen setzen! gegeben, mich nicht genügend mit der technischen Seite und der Finanzierung beschäftigt. Ich habe immer nur darum gebeten. Aber PK: Wie gesagt: Ich glaube an eine Zweigleisigkeit bei den als ich jetzt in Zürich wieder mal ein paar Jazzkonzerte gegeben Interpreten. Aber die ist eben leider nicht oft gegeben. hatte, war mir klar: Ich muss das jetzt machen! Ich wollte Paul Kuhn BR: Die Tendenz geht ganz sicher zur Eingleisigkeit. als Producer dafür haben, der auch sofort zustimmte: Ja, wir machen das! Zuerst dachten wir an eine Big Band, aber das war zu teuer. SSJ: Ich bemerke in letzter Zeit bei zahlreichen Künstlern eine Tendenz, die Langspielplatten-Ebene mit richtigen PK: Es wurde dann immer kleiner! Albumproduktionen und nicht mehr nur mit Zusammenstellungen BR: Doch es schlug zu unseren Gunsten aus, dass wir eine kleinere von Hit-Singles anzustreben, also von vorn herein auf ein Besetzung im Studio hatten. Die Big Band war gar nicht nötig. anspruchsvolleres Publikum zu zielen. Ich bin überzeugt, dass die Popmusik in Deutschland langsam besser wird. SSJ: Ich möchte das Gespräch gern noch ein wenig ausweiten zum Thema Pop, Schlager und Jazzgesang und von Ihnen, Herr Jung, gern PK: Die Qualität hebt sich. Da gebe ich Ihnen Recht. hören, wer letzten Endes entscheidet, ob eine Produktion gemacht SSJ: Wenn die Alben, die wir gerade musikalisch vorstellen, Erfolg wird oder nicht. hätten, würde das ja in diese Richtung zielen. Haben Sie schon Umsatzerfahrungen mit „Ballads and Blues“ und „Songs from Home“, wie sie sich verkaufen? JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 11
WJ: Um noch einmal auf das Vorige einzugehen: Man sollte nicht so oft sagen: Der deutsche Schlager ist schlecht. Wenn das stimmt, dann ist DER englische Schlager, DER französische Schlager, DER amerikanische Schlager auch schlecht. Der deutsche Schlager ist nicht schlecht. Wir haben phantastische Musiker, hervorragende Produzenten, ausgezeichnete Interpreten. Bill darf ich nicht ansprechen. Er ist Amerikaner... BR: ...aber ein deutscher Sänger! SSJ: Nochmal die letzte Frage: Wissen Sie schon, wie sich die beiden Alben ungefähr verkaufen? Oder bestätigen die Umsätze wenigstens das Risiko, das Sie damit eingegangen sind? WJ: Sie bestätigen es. Bill Ramsey beendete das Programm „Nicht nur ein Schlagerclown“ 1966 zur Melodie des Songs „But Not For Me“ aus George und Ira Gershwins Musical „Girl Crazy“ von 1930 mit einem eigenen deutschen Vers: Es gab Folklore und Jazz, doch nicht für mich. Nur die Pigalle-Hatz, die gab´s für mich. Ich bin zwar Komikus, doch sing ich auch gern Blues, was man wohl wissen muss - auch das bin ich. Nicht nur als Schlagerclown macht Ramsey Spaß. Ballads und Blues sing ich, mir liegt auch das. Und was der dicke Bill zum Schluss noch singen will, Bear Family RecordsBCD 15675 , 1992 ist Jazz. Jetzt swinge ich. Eine vergleichbare TV-Sendung hat es erst 2016 wieder gegeben, als der kenntnisreiche Hamburger DJ und Fernsehjournalist Kuno Dreysse in seiner Serie „Kuno´s Storys aus Rock & Pop“ Bill Ramsey eine halbe Stunde lang für die privaten Lokalsender interviewte .Das Programm wurde seither landauf, landab vielfach wiederholt. Ein paar Monate nach unserer Sendung traf ich Bill im schweizerischen Hotel Rigi Kaltbad in stolzer Alpenhöhe über dem Vierwaldstätter See. Es war nach einer Brandkatastrophe soeben wieder eröffnet worden. Ich machte mit Frau und Tochter in dem herrlichen Ambiente Urlaub. Das Foto mit dem Esel stammt von dort. Der vielseitige Künstler lebte zu dieser Zeit in Zürich und hatte soeben Musik und Texte für 14 Songs geschrieben, die er mit der Rockband The Jay Five unter dem LP-Titel „Got a New Direction“ herausbrachte. Damit begann seine professionelle Tätigkeit als Lyriker. Sein spätes Doppelalbum „My Words“ enthält nicht weniger als 31 Stücke mit Songtexten von ihm, die er zwischen 1961 und 2016 mit Big Bands aufgenommen hat. Soweit ich weiß, hat sich noch niemand analytisch damit beschäftigt. Bill Ramseys musikalisches und schauspielerisches Werkverzeichnis bei Wikipedia umfasst 43 Singles, 5 EPs, 16 LPs, 17 CDs und 16 Spielfilme. Bei der Internet-Plattform Discog sind es noch mehr. Pit Klein hat Bills Leben und Wirken im vorliegenden Buch überaus emotions- und anekdotenreich dargestellt. Eine seriöse Auseinandersetzung mit Ramseys künstlerischem Lebenswerk steht indes noch aus. Wir haben am selben Tag Geburtstag, und die vorwurfsvolle Frage, an mich gerichtet, läge auf der Hand: „Warum Bill Ramsey, My Words (2-CD) 85th Birthday Edition schreibst du eigentlich dieses Buch nicht einfach selbst?“ Ich könnte sie nur mit einem Spruch von meinem liebsten New Yorker Kaffeebecher beantworten: „So Many Books, So Little Time.“ Foto: Christine Brigl https://www.ramsey-shop.de/ Pit Klein Bill Ramsey – Send in the Clown Über den amerikanisch-deutschen Entertainer Mit einem Nachwort von Siegfried Schmidt-Joos 272 Seiten mit zahlr. Abbildungen | Gebunden mit Schutzumschlag | 28,00 EUR | ISBN 978-3-943874-37-2 | seitenweise Verlag JUST FOR SWING GAZETTE | März 2021 12
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