HANDELN - RUMÄNIEN HAUSPFLEGE FÜR EIN WÜRDIGES ALTER INTEGRATION
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
NOVEMBER 2020 HANDELN DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ RUMÄNIEN INTEGRATION HAUSPFLEGE FÜR EIN 52 Jahre Hilfswerkvertretung – eine Bilanz NOTHILFE WÜRDIGES ALTER Beirut – eine Stadt in Trümmern
INHALT IMPRESSUM NR. 350 / NOVEMBER 2020 HANDELN Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Erscheint 4-mal jährlich AUFLAGE 49 000 REDAKTIONSLEITUNG Dieter Wüthrich (dw) REDAKTION Bettina Filacanavo (fb) BILDREDAKTION Julie Lovens TITELBILD Im Einsatz gegen COVID-19: In Haiti unterstützt HEKS Hygienemassnahmen gegen die Corona- Christian Bobst Pandemie. Foto: Marc Lee Steed KORREKTORAT korr.ch GESTALTUNG Joseph Haas und Corinne Kaufmann-Falk, Zürich THEMA DRUCK Druckerei Kyburz AG, Spitex-Dienste in Rumänien Dielsdorf In Siebenbürgen unterstützt HEKS die Stiftung «Diakonia» PAPIER beim Ausbau ihres Hauspflegedienstes für betagte und Refutura / Recycled / FSC pflegebedürftige Menschen ABONNEMENT CHF 10.– / Jahr wird jährlich einmal von IN DIESER NUMMER Ihrer Spende abgezogen ADRESSE 3 Editorial HEKS Seminarstrasse 28 10 Pandemie Postfach HEKS hilft Corona-Betroffenen weltweit und 8042 Zürich in der Schweiz Telefon 044 360 88 00 Fax 044 360 88 01 11 Integration E-Mail info@heks.ch «HEKS Stellennetz»: Coaching für Erwerbslose www.heks.ch www.eper.ch 14 Nothilfe HEKS unterstützt in Beirut den Wiederaufbau nach HEKS-SPENDENKONTO: Hilfswerk der Evangelischen der Explosionskatastrophe Kirchen Schweiz 18 Rückblick PC 80-1115-1 Nach 52 Jahren endet das Mandat der Hilfswerkver- tretung im Asylverfahren 19 Jubiläum Im kommenden Jahr feiert HEKS sein 75-jähriges Bestehen 2
EDITORIAL LIEBE LESERIN LIEBER LESER Transsilvanien – diese gebirgige und wald- letzt, von ganzen Quartieren blieben reiche Region im Herzen Rumäniens ver- nur Schutt und Asche zurück und etwa binden wohl viele von Ihnen am ehesten 300 000 Menschen wurden auf einen mit dem Namen von Graf Dracula, der Schlag obdachlos. HEKS hat sehr schnell Romanfigur des irischen Schriftstellers auf das verheerende Unglück reagiert Bram Stoker (1847–1912). Als Stokers und 600 000 Franken für die notleidende Roman 1897 veröffentlicht wurde, ge- Bevölkerung und die Instandsetzung von hörte Transsilvanien – im Deutschen Häusern und Wohnungen zur Verfügung auch Siebenbürgen genannt – noch zur gestellt. Unser Programmbeauftragter ungarischen Reichshälfte der Doppelmo- Sebastian Zug war kurz nach der Katast- narchie Österreich-Un- rophe vor Ort. Seinen Be- garn. Im Jahr 1920, also vor genau hundert Jah- «Die richt finden Sie auf den Seiten 14/15. ren, musste Ungarn Sie- Zusammenarbeit Bedeutende Ereignisse benbürgen dann aber werfen bekanntlich ihre endgültig an Rumänien mit ‹Diakonia› Schatten voraus. 2021 abtreten. Noch immer lebt dort aber eine gros- ist eine Erfolgs- wird HEKS 75 Jahre alt. Wir wollen das kommen- se ungarisch-stämmige geschichte.» de Jahr deshalb nutzen, Minderheit. Viele ihrer um zurückzuschauen auf Mitglieder fühlen sich der ungarisch-re- die bewegte Geschichte unseres Hilfs- formierten Kirche zugehörig, die mit ihrer werks. Und wir wagen einen Blick in die 2001 gegründeten Stiftung «Diakonia» gemeinsame Zukunft mit «Brot für alle» heute eine wichtige sozial-diakonische als fusioniertes Hilfswerk. Lesen Sie dazu Institution in Siebenbürgen ist. unsere Vorschau auf das Jubiläumsjahr Beinahe seit ihrer Gründung vor bald 20 (Seite 20). Jahren bestehen zwischen der Stiftung Im Zusammenhang mit unserem Jubi- «Diakonia» und HEKS enge freundschaft läum gilt es auch die Koordination der liche Beziehungen. So unterstützen wir Hilfswerkvertretung zu erwähnen – eine die Stiftung zum Beispiel im Rahmen Aufgabe, die HEKS 52 Jahre im Interesse der Kirchlichen Zusammenarbeit beim unzähliger Flüchtlinge und Asylsuchender Auf- und Ausbau eines Hauspflegediens- erfüllt hat und die nun wegen des neuen tes nach schweizerischem Vorbild. Diese Asylgesetzes auf Ende dieses Jahres weg- Zusammenarbeit darf sicher als Erfolgsge- fällt. Für uns die Gelegenheit, auf dieses schichte bezeichnet werden, weshalb wir wichtige Mandat zurückzublicken (Seiten sie auch ins Zentrum unserer diesjährigen 18/19). Sammelkampagne stellen wollen. Da- Dafür, dass Sie uns in der Vergangenheit für haben wir die Pflegefachfrauen und stets unterstützt haben und uns heute -männer der «Diakonia» während einer und hoffentlich auch in Zukunft als Spen- Woche bei ihrer anspruchsvollen Arbeit derin, als Spender die Treue halten, danke begleitet. Lesen Sie dazu die Reportage ich Ihnen von Herzen. in der heutigen Ausgabe unseres Maga- zins (Seiten 4–9). Ebenfalls seit vielen Jahren engagiert sich Peter Merz HEKS in der kirchlichen Zusammenarbeit Direktor und mit humanitärer Nothilfe im Libanon. So auch nach der verheerenden Explosi- onskatastrophe am 4. August 2020 im Hafen der Hauptstadt Beirut, die fast 200 Todesopfer forderte. Über 6000 Menschen wurden teilweise schwer ver- 3
KIRCHLICHE ZUSAMMENARBEIT «WIR BRINGEN LICHT IN DIE DUNKELHEIT» In der diesjährigen Sammlungskampagne richten wir den Blick ins rumänische Siebenbürgen, wo HEKS seit vielen Jahren die ungarisch-reformierte Kirche beim Auf- und Ausbau eines Spitex-Dienstes nach schweizerischem Vorbild unter- stützt. Dieses Angebot ist für die alten Menschen in den ländlichen Regionen Transsilvaniens gerade in Zeiten der COVID-19-Pandemie wichtiger denn je. Text Dieter Wüthrich Fotos Christian Bobst 4
Dumitru Naghi ist 86 Jahre alt. Zusam- men mit seiner Frau lebt er in einer kleinen Wohnung in der Stadt Cluj. Er leidet an Diabetes und an den Folgen einer Operation. Beim Spitex-Dienst der «Diakonia» ist er aber in guten Händen. billige Erntehelfer in der Landwirtschaft arbeiteten, mit dem Corona-Virus ange- steckt – mit der Folge, dass sich im Früh- jahr insbesondere in der Grenzregion zu Moldawien mehrere Corona-Hotspots mit hohen Infektionsraten bildeten. Für ein Land wie Rumänien, dessen Gesundheits- versorgung vor allem in ländlichen Regio- nen meilenweit entfernt ist vom Standard, den wir aus der Schweiz und anderen westeuropäischen Ländern gewohnt sind, ist COVID-19 eine ungleich viel grössere medizinische, soziale und ökonomische Bedrohung und Herausforderung. Dies sollte uns auf unserer Reise immer wieder deutlich vor Augen geführt werden. Ein Land verliert seine Menschen Cluj, oder zu Deutsch Klausenburg, die erste Station auf unserer Reise, zählt als zweitgrösste Stadt Rumäniens rund 330 000 Einwohner und ist die inoffiziel- le Hauptstadt der Region Transsilvanien. Die Umgebung der Stadt ist durch Berge und ausgedehnte Wälder geprägt. Be- gegnungen mit Bären und Wölfen gehö- ren zum Alltag der Menschen in den klei- nen, weit verstreut liegenden Dörfern der Region. In manchen dieser abgelegenen Ortschaften ohne staatliche Infrastruktu- ren und Dienstleistungen scheint die Zeit vor Jahrzehnten, wenn nicht sogar am Ende des vorletzten Jahrhunderts stehen geblieben zu sein. Die meisten Menschen, denen wir in die- sen Dörfern begegnen, sind weit über 65 Jahre alt. Die jüngere Generation ist ent- weder in die grossen Städte, noch häufi- ger aber nach Westeuropa abgewandert – in der Hoffnung auf ein besseres Leben 18. Juni 2020: Der EuroAirport Basel-Frei- halb Stunden in einer engen, bis auf den mit höheren Löhnen, mehr Wohlstand burg-Mulhouse wirkt wenige Tage nach letzten Platz besetzten Maschine zu ver- und Komfort. Nach der Öffnung des Aufhebung des COVID-19-bedingten Lock- bringen – mit annähernd 200 anderen westeuropäischen Arbeitsmarktes auch downs immer noch wie ausgestorben. Passagieren. Die meisten von ihnen sind für die Länder Osteruropas haben so in Gelangweilt patrouillieren einige franzö- RumänInnen, die die erste Gelegenheit den letzten 15 Jahren zwischen 4 und 5 sische Soldaten durch die fast menschen- nach dem Lockdown nutzen, um in ihre Millionen RumänInnen im Alter zwischen leere Abflughalle. Ein einziger Schalter ist Heimat zurückkehren zu können. 19 und 65 Jahren ihre Heimat verlassen. für die Passagiere des Fluges nach Cluj in Später werden wir erfahren, dass Hun- Zurückgeblieben auf dem Land sind die Rumänien geöffnet. Wie alle anderen derttausende RumänInnen, die wegen älteren Menschen – oft einsam, ihrer fa- Menschen in der Warteschlange tragen des Lockdowns ihre Jobs im Ausland ver- miliären Kontakte beraubt und mit ge auch wir eine Schutzmaske. Trotzdem be- loren hatten, zurück in ihre Heimat reis- sundheitlichen Problemen kämpfend oder schleicht uns ein etwas mulmiges Gefühl ten. Viele von ihnen hatten sich vor allem sogar schwer krank. Häufig sind die Ein- beim Gedanken, die nächsten zweiein- in Italien und Spanien, wo sie etwa als zigen, die sich um diese betagten Men- 5
KIRCHLICHE ZUSAMMENARBEIT In den abgelegenen Dörfern Siebenbürgens besucht kaum je ein Arzt die pflegebedürftigen Menschen. Deshalb übernehmen die Spitex-Teams der «Diakonia» deren Aufgaben. schen und ihre angeschlagene Gesund- besuche. Alle anwesenden Mitglieder Stube um die Wundversorgung des Pati- heit kümmern, die Pflegefachkräfte der des Teams tragen während der Sitzung enten kümmert, lädt uns seine 80-jährige Spitex-Dienste der «Diakonia». Diese eine Schutzmaske – auf den Tischen ste- Frau in die kleine Küche ein und beginnt Stiftung wurde von der ungarisch-refor- hen Flaschen mit Desinfektionsmittel. zu erzählen: Seit 60 Jahren seien sie und mierten Kirche Siebenbürgens mit Hilfe Und auch später beim Besuch der Pati- ihr Mann nun verheiratet. «Wir sind zwar von HEKS 2001 gegründet und hat zum entInnen tragen alle PflegerInnen stets arm und leben bescheiden, aber wir hat- Ziel, die spitalexterne medizinische und Schutzmasken, Handschuhe und einen ten immer eine gute, schöne Ehe.» Ihr psychosoziale Versorgung und Betreu- Schutza nzug. Die ihnen anvertrauten Mann sei nach der Heirat zunächst Pri- ung insbesondere älterer Menschen in PatientInnen, aber auch sich selbst vor marlehrer gewesen, habe später aber in der Region Transsilvanien sicherzustellen einer Ansteckung mit dem Corona-Virus einer Fabrik arbeiten müssen, wo er – eigentlich eine staatliche Aufgabe, die zu schützen, hat höchste Priorität. schädlichen Stoffen ausgesetzt gewesen aber vor allem in den ländlichen Gebie- Mit sichtlichem Stolz stellt uns Tünde ihr sei. «Darum ist er heute auch so krank», ten der Stiftung «Diakonia» überlassen Team vor, zu dem auch der 32-jährige erzählt seine Frau. Dazu habe er sich bei bleibt. Pfleger Csaba Prózsa gehört. Er arbeitet einem Sturz kürzlich den Oberschenkel seit sechs Jahren für den Spitex-Dienst gebrochen. «Im Spital wurde die Wund- Wenn das Spital zum Problem wird … der «Diakonia». Mit ihm und Tünde geht heilung aber völlig vernachlässigt. Zudem Eine dieser Pflegefachfrauen der «Diako- es wenig später mit dem Auto zum ersten leidet er unter Diabetes und es droht ihm nia» ist Tünde Gizella Ferenczi. Wir tref- Patienten. Dumitru Naghi ist 86 Jahre alt deswegen eine Beinamputation», berich- fen die Leiterin des Spitex-Dienstes der und lebt unweit des Spitex-Stützpunktes tet sie weiter. Tünde nickt und meint: «Es «Diakonia» in Cluj im Stützpunkt-Büro im in einem tristen, grauen Plattenbau aus kommt häufig vor, dass hier jemand we- Stadtzentrum. Dort bespricht sie mit ih- den 1950er-Jahren. Während Csaba sich gen eines Problems ins Spital muss – und rem Team gerade den Zeitplan für die an in der winzigen, mit zahlreichen Ikonen- nach einigen Tagen mit einem anderen, diesem Tag anstehenden PatientInnen bildern an den Wänden geschmückten nicht weniger gravierenden Problem wie- 6
Nach einem anstrengenden Tag mit zahl- Schutz vor COVID-19: Vor jedem Patientenbesuch ziehen die Pflegerinnen Schutzkleidung an. reichen Patientenbesuchen findet Tünde Ferenczi zuhause einen Moment Zeit für sich selbst. der entlassen wird.» Doch die Sorge um ihren Mann ist nicht die einzige, die die Frau beschäftigt: «Eine unserer beiden DER HAUSPFLEGEDIENST Töchter hat Krebs. Zum Glück kommt uns wenigstens die andere Tochter fast täg- DER STIFTUNG «DIAKONIA» lich besuchen.» Trotzdem seien sie und ihr Mann sehr froh um die Betreuung Die Stiftung «Diakonia» wurde 2001 von der ungarisch-reformierten Kirche In durch die Spitex. «Das sind so gute Men- Siebenbürgen ins Leben gerufen, dies unter anderem mit dem Auftrag, einen schen», sagt sie und fügt hinzu: «Csaba professionellen und kosteneffizienten Hauspflegedienst für die Region Trans- gehört schon fast zu unserer Familie.» silvanien aufzubauen. Aus bescheidenen Anfängen mit einem Koordinator und Wir verabschieden uns, denn die Zeit zwei Pflegefachfrauen hat sich in den letzten knapp 20 Jahren auch mit fach- drängt, die nächste Patientin wartet. Auch licher und finanzieller Unterstützung von HEKS ein Spitex-Dienst nach schwei- sie ist bereits weit über 70 Jahre alt und zerischem Vorbild mit 9 Stützpunkten in ganz Transsilvanien und rund 120 lebt mit ihrer vierköpfigen Familie in einer Mitarbeitenden entwickelt. Spitex-Dienste der «Diakonia» gibt es mittlerweile nur spärlich möblierten und ärmlichen in über 200 Ortschaften. Geleitet wird die Koordinationsstelle der «Diakonia» Dreizimmerwohnung. Auch diese Patien- in Cluj (deutsch: Klausenburg) von Dr. Lajos Hegedüs, einem Arzt und ehema- tin leidet unter einer schlechten Wundhei ligen Politiker. lung nach einem Spitalaufenthalt. Auch das sei typisch für rumänische Spitäler, meint Tünde dazu. «Dort kümmert man sich nach einer Operation kaum um die Wundbehandlung und die weitere Gene- sung der PatientInnen.» 7
KIRCHLICHE ZUSAMMENARBEIT Die Ärzte hatten Sándor Vajda schon aufgegeben und ihn zum Sterben nach Hause entlassen. Doch seine Frau Hajnal weigerte sich, das ärztliche Verdikt einfach so hinzunehmen. Mit Unterstützung des «Diakonia»-Hauspflegedienstes pflegt sie ihren Mann aufopferungsvoll, so dass er mittler weile sogar wieder einige Schritte am Rollator gehen kann. Auch die dritte Patientin, die wir mit Tün- Marokko. Und sie schwärmt von Korfu, de und Csaba an diesem Morgen besu- Florenz, Rom und der Amalfi-Küste. WERDEN SIE JETZT chen, die 77-jährige Klara Bosbici, wurde «Wissen Sie, dank Menschen wie Tünde einige Wochen zuvor aus dem Spital und Csaba kann ich vielleicht doch noch PATIN ODER PATE! entlassen. Durch ein Missgeschick beim einmal an die Côte d’Azur reisen. Das Kochen – ein Topf mit heisser Suppe war wäre so schön.» In den ländlichen Gegenden Osteuro- ihr vom Herd gefallen – hatte sie sich pas sind viele alte Menschen auf sich schwerste Verbrennungen am ganzen Viel mehr als nur Pflege allein gestellt. Für pfl egebedürftige Körper zugezogen. «Die Ärzte hatten Am nächsten Tag fahren wir mit Tünde alte Menschen ist der nach dem Vorbild mich schon aufgegeben und mich zum in die kleine Ortschaft Bontida, etwa 30 der schweizerischen Spitex aufgebaute Sterben nach Hause geschickt», erinnert Kilometer ausserhalb von Cluj. Im dorti- Hauspflegedienst deshalb sehr wichtig. sie sich. Doch Klara Bosbici kämpfte sich gen Spitex-Stützpunkt der «Diakonia» Mit einer Patenschaft «Betreuung alter dank der aufopfernden und kompeten- treffen wir Tündes Kollegin Anna-Maria Menschen» schenken Sie alten Men- ten Pflege von Tünde und ihrem Team ins Enyedi. Mit den beiden Frauen geht die schen in Rumänien, in der Karpato-Uk- Leben zurück. «Ich bin den Spitex-Diens- Fahrt anschliessend weit hinaus in Dörfer, raine und in Serbien medizinische Be- ten der ‹Diakonia› so unendlich dankbar», in denen oft nur noch 20 oder 30 Men- treuung und Zuwendung. Weitere sagt sie mit Tränen in den Augen. «Dank schen leben – die meisten von ihnen Informationen finden Sie in der Beilage ihnen bin ich wieder fast gesund. Die hochbetagt. Viele von ihnen haben seit zu diesem Heft. Narben bleiben zwar, aber ich habe mei- Jahren keinen Arzt mehr aus der Nähe Kontakt: Sara Baumann, ne Lebensfreude wiedergefunden.» Und gesehen. Sie sind meist nicht mehr mobil Tel. direkt 044 360 88 09, sie erzählt, dass sie vor ihrem Unfall viel und öffentliche Verkehrsmittel gibt es E-Mail patenschaften@heks.ch. gereist sei – Italien, Griechenland und auch nicht. Wollten diese Menschen in Danke! 8
RUMÄNIEN HEKS UNTERSTÜTZT BETAGTE MENSCHEN UKRAINE MOLDAWIEN UNGARN CLUJ RUMÄNIEN SCHWARZES SERBIEN MEEER BULGARIEN Einwohner 19,5 Mio. Davon leben Tünde Ferenczi und ihre Kolleginnen Anna-Maria Enyedi (rechts) übernehmen nicht nur die Krankenpflege, oft sind sie für ihre betagten PatientInnen auch 43% geduldige Zuhörerinnen und Ratgeberinnen. auf dem Land Von Armut betroffen sind 40% die nächstgrössere Ortschaft, um einen nimmt, sich auch nach 22 Jahren als Spi- Das sozialistische Regime unter Arzt aufzusuchen, müssten sie oft einen tex-Pflegefachfrau immer noch buchstäb- Diktator Nicolae Ceausescu stundenlangen Fussmarsch durch die an- lich mit Leib und Seele um die Leiden, verfolgte bis zu dessen Sturz im grenzenden Wälder in Kauf nehmen – Sorgen und Nöte nicht nur ihrer PatientIn- Jahre 1989 eine Politik der angesichts von Wölfen und Bären kein nen, sondern auch um jene ihres Teams bewussten Segregation der ungefährliches Unterfangen, vor allem für zu kümmern – und dies, obwohl sie zum verschiedenen Bevölkerungs- ältere Menschen. So sind Tünde und ihre Beispiel in einem Spital deutlich mehr ver- gruppen Rumäniens – dies unter KollegInnen oft die einzigen Menschen dienen könnte und auch immer wieder anderem mit der Absicht, einen ausserhalb des Dorfes, mit denen die Be- entsprechende Angebote hatte. Aus ih- organisierten Widerstand wohnerInnen regelmässig Kontakt haben. ren Worten spüre ich: Hier spricht eine gegen das Regime mittels Und deshalb geht die Arbeit von Tünde Frau, die ihre Kraft aus einem tief emp- Zusammenschluss verschiedener und ihrem Team weit über die medizi- fundenen Glauben schöpft. Sie selber Volks- und Interessengruppen zu verhindern. Dieser erzwunge- nisch-pflegerische Grundversorgung hin- sagt dazu: «Als Christin ist es mir wichtig, nen Segregation der rumänischen aus. Oft sind sie auch einfach ZuhörerIn- zu wissen, wo mein Platz und was meine Gesellschaft entwuchs ein Klima nen, RatgeberInnen und TrösterInnen für Bestimmung ist.» Schon oft sei sie ge- des gegenseitigen Misstrauens, Menschen, die ansonsten kaum noch fragt worden, warum sie denn nicht Ärz- dessen Nachwirkungen die soziale Kontakte haben. Tünde erklärt die tin geworden sei: «Für mich wäre das ökonomische, soziale und Aufgabe ihres Teams so: «Wir sind oft wie nichts – ich bin lieber eine gute Kranken- gesellschaftliche Entwicklung Kerzen, die dorthin Licht bringen, wo schwester als eine schlechte Ärztin.» des Landes bis heute sonst Dunkelheit herrscht.» beeinflussen. Auf der Rückfahrt nach Cluj will ich von Weitere Informationen zur Kampagne: Tünde wissen, woher sie die Motivation www.heks.ch/spitex-rumaenien 9
COVID-19 DIE CORONA-KRISE TRIFFT DIE MENSCHEN WELTWEIT Das COVID-19-Virus hat die Welt Anfang dieses Jahres aus den Fugen gehoben. Das Virus betraf und betrifft uns alle auf die eine oder andere Weise. Doch für viele Menschen in der Schweiz wie auch im Ausland sind insbesondere die mittel- und langfristigen Fol- gen der Pandemie eine existenzielle Bedrohung. HEKS steht diesen Menschen langfristig zur Seite. Text Andrea Oertli und Corina Bosshard Foto Marc Lee Steed In vielen HEKS-Projektländern, insbesondere in Afrika, ist es äus- serst schwierig abzuschätzen und vorauszusagen, wie sich die Ausbreitung des Virus weiterentwickeln wird. Fest steht jedoch: Das Virus ist nicht verschwunden und insbesondere arme, be- nachteiligte Menschen ohne Zugang zu sanitären Infrastruktu- ren oder fliessend Wasser haben kaum Möglichkeiten, sich davor zu schützen. In seinen Projekten im Ausland unterhält HEKS daher weiterhin Aktivitäten, um Menschen zu helfen, sich vor dem Virus zu schützen, und um öffentliche Einrichtungen dabei zu unterstützen, eine weitere Ausbreitung von COVID-19 mög- lichst zu verhindern. So desinfizieren HEKS-Projekte etwa Spitä- ler in Venezuela, unterstützen Gesundheitszentren in den Rohingya-Flüchtlingscamps in Bangladesch, produzieren und verteilen Desinfektionsmittel in Brasilien und nähen Schutzmas- ken für öffentliche Einrichtungen in Haiti. Auf langfristige Folgen reagieren grund der COVID-Krise machen es für diese Menschen noch Wo immer möglich haben die HEKS-Büros ihre laufenden, wäh- schwieriger, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und sozialen rend der Krise teilweise sistierten Projekte unter Einhaltung ent- Anschluss zu finden. HEKS verfolgt in seiner Inlandarbeit deshalb sprechender Schutzmassnahmen wieder aufgenommen. Nun zwei Strategien: Einerseits werden die nötigen Massnahmen gilt es, in den einzelnen Projektländern die mittel- und langfris- getroffen, damit die Unterstützung durch HEKS unter strenger tigen Auswirkungen und insbesondere wirtschaftlichen Folgen Einhaltung der Schutzkonzepte weitergeführt werden kann, der COVID-19-Pandemie, die nun langsam sicht- und spürbar wenn nötig auch während eines erneuten Lockdowns: Beratun- werden, zu analysieren und darauf zu reagieren. Insbesondere gen und Kurse werden auf Online-Plattformen umgestellt, Pro- Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, haben praktisch jektteilnehmende – unter ihnen viele ältere Personen – werden über Nacht ihre Existenzgrundlage verloren. Auch die Tourismus- in der Anwendung digitaler Kommunikationsmittel wie Whats- branche leidet in vielen Ländern stark und es fallen viele Jobs app oder Skype geschult, und Dolmetschdienste werden neu weg. Das wirkt sich wiederum auf die Nachfrage nach Nah- per Telefon und bald auch per Video angeboten. rungsmitteln aus. In einigen Ländern wurde die Situation auch genutzt, um die freie Meinungsäusserung und die Bewegungs- Die soziale Isolation durchbrechen freiheit gezielt einzuschränken. Auf diese langfristigen Folgen Andererseits hilft HEKS Betroffenen sehr bedarfsorientiert dabei, der COVID-19-Krise gilt es nun mit entsprechenden Projektkom- die Folgen der COVID-Krise so gut wie möglich abzufedern: Äl- ponenten zu reagieren. tere MigrantInnen – viele von ihnen Risikopersonen – erhalten mit Yoga im Park, digitalen Kaffeetreffs und Informations- und Den Verletzlichsten unter uns beistehen Kursangeboten in ihrer Erstsprache eine Tagesstruktur und so- In der Schweiz ist und bleibt HEKS nahe bei denjenigen Men- zialen Anschluss; Sans-Papiers und MigrantInnen, die aufgrund schen, die aus unterschiedlichen Gründen zu den Verletzlichsten der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben, werden in Genf und innerhalb unserer Gesellschaft gehören: ältere MigrantInnen, der Waadt dabei unterstützt, ihre Rechte und ihren Anspruch Sans-Papiers, Geflüchtete, Langzeitarbeitslose sowie Menschen, auf staatliche Hilfe geltend zu machen; Arbeitslose werden in die von Obdachlosigkeit oder einer Suchtproblematik betroffen Arbeitsintegrationsprogrammen begleitet und gestärkt, damit sind. Die soziale Isolation oder gar der Arbeitsplatzverlust auf- sie den Weg in den Arbeitsmarkt zurückfinden können. 10
SOZIALE INTEGRATION MIT «HEKS STELLENNETZ» DEN MOTOR AM LAUFEN HALTEN Das Integrationsprogramm «HEKS Stellennetz» integriert im Berner Oberland und in der Region Emmental/Oberaargau erwerbslose Erwachsene in den Arbeitsmarkt. Die Programmteilnehmenden werden durch individuelle Arbeitseinsätze, Beratung und das Kursangebot «Bewerbung» unterstützt. Text Andrea Oertli Fotos Nathalie Taiana Campingfahrzeuge umplatzieren, bei der Storenmontage assis- tieren, Ersatzteile aus dem Lager holen – während der letzten sechs Monate packte Thomas Weissmüller als Allrounder in der Werkstatt der Ruchti AG in Steffisburg mit an. Er leistete hier einen Arbeitseinsatz, vermittelt durch das Arbeitsintegrationspro gramm «HEKS Stellennetz». Heute ist bereits sein letzter Arbeits tag. «Bis zuletzt hatte ich gehofft, dass ich bei der Ruchti AG bleiben könnte», erzählt Thomas Weissmüller. «Ich bin ein Cam- ping-Fan, der Betrieb ist familiär, die Chemie mit dem Chef und mit den Arbeitskollegen stimmte.» Natürlich ist seine Enttäu- schung, dass er hier nicht bleiben kann, gross. Doch sei es für ihn schon nachvollziehbar, dass die Firma in der gegenwärtigen Wirtschaftslage keine neuen Leute einstellen könne. Zum Ab- schied brachte Thomas Weissmüller seinen Kollegen heute einen Berliner zum Znüni mit. Ein «Büezer» auf Stellensuche Thomas Weissmüller (46) aus Thun ist eigentlich gelernter Bau- maler. Gearbeitet hat er jedoch schon in ganz unterschiedlichen Berufen, weil er die Abwechslung mag und weil es seine bishe- rigen Jobs eben erforderten. Nach fünf Jahren als Baumaler ar- beitete er auch im Stückgutservice, in der Pulverbeschichtung, als Spediteur und Staplerarbeiter, in einer Schreinerei und zuletzt als Lagerist. Im Juni 2019 musste die Abteilung, in der er als Lagermitarbeiter und Monteur angestellt war, geschlossen wer- den. Seither ist Thomas Weissmüller stellensuchend. Mit der Zeit setzten ihm die Stellensuche und die vielen Absagen immer stärker zu: «Nach der zigsten Absage beginnst du irgend- wann, an dir zu zweifeln.» Das Schlimmste sei für ihn aber die Lethargie gewesen, in die er fiel, erinnert sich Thomas Weiss- müller: «Irgendwann war der Haushalt gemacht, der Garten ge- jätet. Alles, was ich erledigen konnte, hatte ich erledigt. Meine Frau und meine Freunde arbeiten alle. Ich sass allein zu Hause und schlug die Zeit tot.» Nach einem halben Jahr hielt Thomas Weissmüller diese Situation nicht mehr aus. Er suchte das Ge- spräch mit seiner Beraterin des Regionalen Arbeitsvermittlungs- zentrums (RAV): «Ich wollte einfach irgendetwas machen, mich wieder irgendwo einfügen können.» Die RAV-Beraterin ging auf ihn ein und machte ihm drei Vorschläge, einer davon: ein 6-mo- Thomas Weissmüller im Einsatz: Zu seinen Aufgaben als Allrounder natiger Arbeitseinsatz mit «HEKS Stellennetz». gehören auch das Holen und Zusammenstellen von Ersatzteilen. 11
SOZIALE INTEGRATION Storenmontage im Teamwork. Der Kontakt mit ArbeitskollegIn- nen fehlte Thomas Weissmüller während seiner Erwerbslosigkeit besonders. «Nach der zigsten Absage beginnst du irgendwann, an dir zu zweifeln.» Kontakte zur Arbeitswelt behalten So konnte der Einsatz starten und Thomas Weissmüller fand in «HEKS Stellennetz» ist ein Arbeitsintegrationsprogramm für die der Camping-Familie schnell Anschluss. In der Regel arbeitete Tho- Regionen Emmental / Oberaargau und Berner Oberland. Im Auf- mas Weissmüller vier Tage die Woche bei Ruchti, mittwochs be- trag des Amtes für Arbeitslosenversicherung (AVA) des Kantons suchte er jeweils den Kurs «Bewerbung» von «HEKS Stellennetz». Bern unterstützt HEKS erwerbslose Erwachsene bei ihrer Integ- ration in den ersten Arbeitsmarkt. «Im Zentrum des Programms «Hey, das wär doch was für dich!» steht die Berufserfahrung: Mit einem Einsatz in einem externen Es sei für ihn eine grosse Entlastung gewesen, die Bewerbungen Betrieb erweitern die TeilnehmerInnen ihr Potenzial, knüpfen nicht abends nach der Arbeit schreiben zu müssen und bei dem Kontakte zur Arbeitswelt und erarbeiten eine aktuelle Referenz», Prozess von den Kursleitenden begleitet zu werden: «Ich bin halt erklärt die Programmleiterin Michèle Pauli. eher der Büezer als der Administrative», schmunzelt Thomas Für die Arbeitseinsätze kann «HEKS Stellennetz» heute auf einen Weissmüller. Das Rechtschreibprogramm auf dem Computer Pool von über 870 Betrieben zurückgreifen. Die Idee, beim helfe schon, aber es sage halt nichts dazu, ob eine Satzstellung Wohnmobilhändler Ruchti AG anzufragen, hatte Thomas Weiss- Sinn mache oder wie das Schreiben auf jemanden wirke: «Ich müller jedoch selbst. «Als wir die Anfrage von «HEKS Stellennetz» war sehr froh, dass die Leute vom ‹Stellennetz› meine Briefe erhielten, waren wir sofort interessiert. Gerade in der Hauptsai- noch durchgelesen und Inputs gegeben haben.» son sind wir immer froh um Unterstützung», berichtet Werk- Die Kursleitenden hätten ihn auch immer wieder auf interessan- stattleiter Sandro Rosset. Vorbehalte gegenüber dem Arbeitsin- te Stellenanzeigen hingewiesen, und auch die Kursteilnehmen- tegrationsprogramm habe er keine gehabt. «Vielleicht gibt es den hätten sich gegenseitig unterstützt: «Wir waren zu viert in einige wenige Leute, die beim RAV sind, weil sie nicht arbeiten einer Gruppe. Mit der Zeit wussten wir voneinander, wer nach wollen. Diesen Eindruck machte mir Thomas Weissmüller welcher Art von Stelle suchte, und haben uns gegenseitig auf beim Vorstellungsgespräch aber überhaupt nicht. Im Gegenteil.» Stellenanzeigen hingewiesen.» 12
Auch die Betriebe profitieren Die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsintegrationsprogramm be- urteilt auch Werkstattleiter Sandro Rosset positiv: «Thomas Weissmüller war vom ersten Tag an mit viel Begeisterung und Einsatz dabei. Er brachte Erfahrung und sogar einen Anhänger- ausweis mit. Wir konnten ihn sehr gut einsetzen.» Ein Zusatzauf- wand sei für den Betrieb insbesondere in der Einarbeitungspha- se entstanden. Und bis zum Schluss war eine gute Planung durch den Werkstattleiter gefordert: «Ich wollte sicherstellen, dass Thomas Weissmüller immer beschäftigt und gefordert war Blick in einen Montagebereich – damit sein Einsatz für ihn ‹fägt› und auch für uns.» Würde er die der Ruchti AG in Steffisburg: Zusammenarbeit mit Stellennetz weiterempfehlen? «Ja, absolut!» Hier leistete Thomas Weissmüller Über ein solches Feedback freut sich Michèle Pauli vom «HEKS einen 6-monatigen Arbeitseinsatz. Stellennetz». Sie und ihr Team wissen, dass auch die Betriebe in der Regel von den Einsätzen profitieren: «Die TeilnehmerInnen sind produktiv. Der Betrieb hat also einen wirtschaftlichen Ge- genwert für seine Aufwände.» Zudem biete ein Einsatz einem Den Bewerbungsrucksack aufgerüstet Betrieb die Chance, einen potenziellen neuen Mitarbeiter bzw. Eine Weiterbeschäftigung bei der Ruchti AG, das hätte sich auch eine neue Mitarbeiterin während sechs Monaten kennenzuler- Thomas Weissmüller gewünscht. Doch die Corona-Krise verbau- nen und bei Interesse anschliessend einzustellen. te ihm diese Chance, auch zum grossen Bedauern von Sandro Rosset: «Wir hätten ihn gerne weiterbeschäftigt, doch die wirt- schaftliche Situation lässt es nicht zu. Wegen der Corona-Reise restriktionen ist unsere momentane Auftragslage extrem «Der Betrieb hat einen schlecht.» Mit dem Ende des Arbeitseinsatzes ist für Thomas Weissmüller wirtschaftlichen Gegenwert für auch sein Programm bei «HEKS Stellennetz» abgeschlossen. Nun geht für ihn das Bewerbungenschreiben vom heimischen seinen Aufwand.» Computer aus weiter. Die Erinnerung an die Stellensuche vor einem Jahr löse bei ihm viele Unsicherheiten aus, gesteht Tho- mas Weissmüller. Gleichzeitig gebe es ihm Mut zu wissen, dass die Ausgangslage heute eine andere sei: «Ich habe ein sehr gu- tes Arbeitszeugnis von Ruchti bekommen. Das ist viel wert.» Ein aktuelles Zeugnis sei für potenzielle Arbeitgeber eine wichtige Referenz und zeige ihnen zudem, dass er während der Zeit der Stellensuche nicht untätig gewesen, sondern am Ball geblieben sei. Auch persönlich fühlt sich Thomas Weissmüller gestärkt für die Stellensuche: «Die gute Zeit bei der Ruchti AG und das po- sitive Feedback, das ich vom Team und vom Chef bekommen habe, gibt mir neues Selbstvertrauen.» ZAHLEN UND FAKTEN «HEKS STELLENNETZ» «HEKS Stellennetz» ermöglicht erwerbslosen Menschen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt und damit die nachhaltige Verbesserung ihrer Lebenssituation. Am Pro- gramm können nur Erwerbslose teilnehmen, die bei der Arbeitslosenversicherung anspruchsberechtigt sind. Die Zuweisung zum Programm erfolgt über das zuständige Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV). 2019 ha- ben 307 Stellensuchende am Programm von «HEKS Stel- lennetz» teilgenommen. Von den 214 Austretenden fanden 33% eine Stelle, 21% eine andere Anschlusslö- sung. 46% waren nach Abschluss oder Abbruch des Einsatzes weiterhin stellensuchend. Sandro Rosset, Werkstattleiter Mehr Informationen: www.heks.ch/heks-stellennetz bei der Ruchti AG. 13
HUMANITÄRE HILFE «ICH KANN NACHTS NICHT MEHR SCHLAFEN» Nach der Explosion am Hafen von Beirut im August sitzt der Schock der Bevölkerung tief. HEKS hat sofort ein Nothilfeprojekt lanciert, um den betroffenen Menschen rasch und un- bürokratisch zu helfen. Der Projektverantwortliche Sebastian Zug berichtet von seinem Ein- satz in Beirut. Text Sebastian Zug Fotos Walid Rashid Der Libanon kommt nicht zu Ruhe. Seit unseren Handys sehen wir die Explosion fest: Ich kann trotz COVID-19 in den Liba- Monaten liegt die Wirtschaft am Boden aus verschiedensten Perspektiven. Die non reisen und Mitarbeitende unserer und es herrscht Hyperinflation, die Ban- Bilder sind surreal und erinnern eher an Partnerorganisation «Najdeh» vor Ort ken sind in der Krise und haben das Er- einen Actionfilm oder ein Computerspiel, treffen. Nach zwei COVID-19-Tests und sparte vieler Menschen blockiert. Seit Mit- doch die Auswirkungen sind real: zerstör- 24 Stunden in Quarantäne im Hotelzim- te Juli hat der Libanon zudem sehr hohe te Häuser, verletzte Menschen, überfüllte mer stosse ich zum «Najdeh»-Team. Seit COVID-19- Fallzahlen. Als wäre dies nicht Krankenhäuser – und Menschen, die nun 2013 arbeitet HEKS mit der lokalen Part- genug, explodiert am 4. August in einer mit ihren inneren und äusseren Verlet- nerorganisation zusammen. «Najdeh» be- Halle im Hafen von Beirut unsachgemäss zungen umgehen müssen. Nicht das erste kennt sich mit Stolz zu zwei Attributen: gelagertes Ammoniumnitrat, ein Grund- Mal in der Geschichte des Libanons. dem Feminismus und ihrer palästinensi- stoff unter anderem für Düngemittel. Eine schen Herkunft. Mit der Staatsgründung gute Stunde später zeigt die «Tagesschau» Mein Einsatz in Beirut Israels mussten die Palästinenser aus ihrer Bilder der zerstörerischen Druckwelle. Auf Rund eine Woche später steht definitiv Heimat flüchten, unter anderem in den 14
Sebastian Zug, Programm- 2017 stand Leila El Ali selbst beauftragter von HEKS im Mittelpunkt der jährlichen (mit Mütze), lässt sich HEKS-Sammelkampagne. persönlich von einem Nun unterstützen sie und ihre Hausbewohner über die HEKS-Partnerorganisation entstandenen Schäden «Najdeh» die Opfer der informieren. Explosionskatastrophe. achtung und einen Fragebogen sicher- stellen, dass die dort lebenden Familien tatsächlich zu den Bedürftigsten gehören. Ganz einfach ist das nicht in Beirut, wo wegen der wirtschaftlichen Krise sogar die Mittelschicht in die Armut abrutschte – auch ohne die Explosion. Erinnerungen werden wach Ich treffe den 30-jährigen Schauspieler und Dramaturgen Mahdi Shabat, der 2017 aus Syrien in den Libanon geflohen ist. Er ist von der Explosion traumatisiert. Sein Arm wird von einer Bandage gehal- ten. Er hat sich während der Explosion verletzt, als eine Tür auf seine Schulter fiel. Seine Wohnung ist zerstört: Die Fens- ter sind zerborsten und wenn er in seiner Küche steht, sieht er den Himmel. Die Trümmer und Schutt, Explosion habe in ihm die schlimmsten wohin das Auge blickt: Erinnerungen aus dem syrischen Krieg Die von der Explosion wachgerufen, erzählt er: «Ich komme aus verursachten Schäden Syrien und ich habe bereits dort drei gros- in Beirut sind immens. se Explosionen erlebt. Das ist nun die vierte und mit ihr kommen alle meine Er- innerungen an den Krieg wieder hoch. Es ist einfach schrecklich. Ich kann nachts Libanon, wo sie auch heute noch, mehr Bittsteller wird plötzlich zum Helfer in der nicht mehr schlafen. Ich höre immer wie- als 70 Jahre später, nur eingeschränkten Not. Gefestigte gesellschaftliche Muster der diesen Knall.» Er sei in der Hoffnung Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Leis- werden so in Frage gestellt. Und das ist hierhergekommen, an einem sicheren Ort tungen des Staats wie Bildung und Ge- gut so. leben zu können. Alle seine Träume seien sundheit haben. Und sie leben weiterhin zerstört worden. «Sobald ich physisch überwiegend in Flüchtlingscamps. Dort Wir lassen uns nicht erpressen wieder in der Lage bin und mein Haus unterstützte HEKS jahrelang zusammen Als ich in Beirut ankomme, sind die Mit- repariert ist, werde ich zur Arbeit zurück- mit «Najdeh» vor allem die Menschen, arbeitenden von «Najdeh» schon mitten kehren und werde über diese Katastro- die in grösster Not leben, mit Bargeld und in der Selektion der Begünstigten. Ein phe schreiben», sagt er. bei der Renovation ihrer Wohnungen. Prozess, den wir bereits vor meiner An- kunft während langer Telefonate erarbei- Dass wir das aktuelle Nothilfeprojekt im tet haben. Dieser Schritt ist sicherlich der Libanon gemeinsam mit einer palästinen- komplexeste der ganzen Intervention. Die NOTHILFE IN BEIRUT: sischen Organisation umsetzen, obwohl humanitäre Charta fordert mit dem «Prin- HELFEN SIE MIT! die palästinensischen Flüchtlingslager zip der Unparteilichkeit», dass Begünstig- nicht von der Explosion betroffen waren, te ausschliesslich nach ihrer Bedürftigkeit ist in diesem Fall auch ein wichtiges Sym- ausgewählt werden und nicht nach Reli- HEKS unterstützt zum einen 1750 Fami- bol. Denn normalerweise sind sie diejeni- gion, Ethnizität, Nationalität und anderen lien und Haushalte, die von der Katas- gen, die um Unterstützung bitten müs- persönlichen Merkmalen. Der Druck, die- trophe besonders schwer getroffen sen. Es war für mich sehr eindrücklich, ses Prinzip zu umgehen, ist gross. So ver- wurden. Diese Familien erhalten je 200 den Stolz der Mitarbeitenden von «Naj- sucht uns etwa ein gewählter Vorsteher US-Dollar, um sich mit lebensnotwen- deh» zu erleben, mit dem sie sich bei den eines Stadtviertels davon zu überzeugen, digen Gütern versorgen zu können. libanesischen Begünstigten vorstellten: Personen aufzunehmen, die ihn dann bei Zum anderen unterstützt HEKS die In- «Wir sind von ‹Najdeh›, das ist eine paläs- der nächsten Wahl wiederwählen sollen. standsetzung beschädigter Gebäude, tinensische Organisation.» Und sie berich- Da wir auf seine Erlaubnis angewiesen darunter auch das Gemeindezentrum ten mir über das Erstaunen ihrer libanesi- sind, in «seinem» Stadtviertel arbeiten zu der HEKS-Partnerorganisation «Union schen Gegenüber, die keine palästinen- können, kostet es uns viel diplomatisches der Armenisch-Evangelischen Kirche sische Organisation erwartet hätten, die Geschick, ihm klarzumachen, dass wir im Nahen Osten» (UAECNE) in Beirut. ihnen nun hilft. Auch darin liegt die Be- jede Wohnung in jedem beschädigten Spenden auf Konto PC 80-1115-1 mit deutung dieses Projekts: Der gewohnte Haus selber besuchen und durch Beob- dem Vermerk «Nothilfe Naher Osten».
KLICK Bilder einer Katastrophe: Die gewaltige Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut am 4. August dieses Jahres hinterliess Tod und Verwüstung. Viele BewohnerInnen haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren und leben seither in Häusern, die oft nur noch Ruinen sind. Fotos: Walid Rashid
ASYLWESEN «Für die Hilfswerkvertretung (HW V) kommt eine über 50-jährige Tätigkeit zum Abschluss. Das Mandat einer neutra- len Beobachtung der Anhörungen von Asylsuchenden begann für die Hilfswerk- vertretung von HEKS 1968 mit der An- kunft der vietnamesischen Boatpeople. Es endet nun mit den Anhörungen von syri- schen Flüchtlingen, die ebenfalls über das ENDE DES MANDATS Meer vor dem Krieg geflohen sind», be- richtet Olivier Cosandey, der während 17 Jahren das Projekt leitete. Seither hat es FÜR EIN HISTO- mehrere «Migrationswellen» unterschied- licher Grösse und Herkunft gegeben: aus dem Balkan, aus dem Irak, aus Afghanis- RISCHES PROJEKT tan, Afrika, Eritrea und Sri Lanka. Dank der HWV hatten Hunderttausende Asyl- suchende in der Schweiz Anspruch auf neutrale BeobachterInnen, die ihnen ein faires Verfahren garantierten. Während 52 Jahren war die Hilfswerkvertretung darum bemüht, bei Anhörungen in Asylverfahren neutrale BeobachterInnen bereit- Niemand stellt freiwillig ein Asylgesuch zustellen. Diese Rolle verschwindet mit dem neuen Asylgesetz, da «Die Aktivität der HWV war von der in den Bundeszentren nun automatisch eine Rechtsvertretung ge- schweizerischen und der internationalen Aktualität abhängig», fährt Olivier Cosan- währleistet wird. Rückblick auf ein diskretes Mandat, das Hundert- dey fort. «Es war spannend, die verschie- tausenden von Flüchtlingen gerechte Verfahren ermöglichte. denen Migrationsphasen eines Landes zu sehen. Als Erstes kamen Intellektuelle Text Joëlle Herren Laufer und Regimegegner, anschliessend Kriegs- Fotos HEKS flüchtlinge und an dritter Stelle Personen mit medizinischen Problemen. Gesuche, die den strengen Asylkriterien zufolge un- begründet waren, haben anderen Asylsu- chenden, die den Kriterien entsprachen, manchmal geschadet. Umgekehrt führ- ten bestimmte Krisensituationen, die ein Asyl gerechtfertigt hätten, wie in Darfur, zu keinen Gesuchen. Weitere Asylsuchen- de – zum Beispiel aus Ägypten, Tunesien, Algerien oder Kolumbien – erfüllten ein- deutig die Kriterien für Asyl. In anderen Fällen, etwa bei Eritrea, wirkte die Umset- zung des Gesetzes restriktiv. Die einzige Konstante ist, dass niemand freiwillig ein Asylgesuch stellt, sondern weil er oder sie keine andere Wahl hat und sich dazu ge- zwungen sieht.» 18
Die HilfswerkvertreterInnen achteten als neutrale BeobachterInnen auf einen rechtsstaatlich korrekten Ablauf der Anhörungen im Asylverfahren. Ein im Gesetz festgeschriebenes Mandat Die Hilfswerkvertretung begann 1968, um infolge eines Bundesratsbeschlusses ein gerechtes Asylverfahren zu gewähr- leisten. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) beauftragte ihre Mitglieder, darunter HEKS, mit dieser Form von Verfahrens- schutz: Mit einem/einer Hilfswerkvertre terIn (HV) wurde sichergestellt, dass bei der zweiten Anhörung von Asylsuchen- den, bei der sie ihre Gründe darlegten, weshalb sie in der Schweiz Schutz such- ten, eine neutrale beobachtende Person Dreizehn Revisionen in 39 Jahren Asylsuchenden in den neuen Verfahrens anwesend war. Dies war eine Garantie Kein Gesetz in der Schweiz wurde so oft zentren beauftragt wird. Als einzige NGO dafür, dass die Befragungen durch das revidiert wie das Asylgesetz. Von der ers- mit einer zweisprachigen HWV wurde Staatssekretariat für Migration (SEM) in ten Revision 1981 bis zur letzten waren es HEKS am 1. März 2019 mit der Betreuung einer ruhigen und respektvollen Atmo- dreizehn Revisionen! Das zeigt, wie heikel der rund 4000 hängigen, noch nach dem sphäre durchgeführt wurden. In solchen und umstritten das Thema ist. Der Über- früheren Verfahren eingereichten Gesu- Anhörungen hängt ein positiver Entscheid gang vom kantonalen zum eidgenössi- che betraut. davon ab, aus welchen Gründen Asylsu- schen Verfahren im Jahr 2010 war ein wichtiger Einschnitt. Von 20 Hilfswerk- HV – eine prägende Erfahrung Olivier Cosandey vertretungen blieben 5 übrig und HEKS Obwohl diese Professionalisierung ihre zeichnete während wurde neben Caritas, dem Verband Vorteile hat, mag man bedauern, dass es der letzten 17 Jahre Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen und keinen Blick von aussen mehr auf die An- für die Koordination dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk hörungen gibt. Die HWV verschaffte der der Hilfswerkvertre- (SAH) zur grössten Hilfswerkvertretung, Zivilgesellschaft Zugang zum Asylverfah- tung bei Anhörungen die in Genf, Vallorbe, Bern, Zürich und ren. Tausende HilfswerkvertreterInnen im Asylverfahren verantwortlich. St. Gallen aktiv war. Es handelte sich auch haben Hunderttausende Asylsuchende um das grösste Projekt von HEKS in der begleitet. All diese HV, oft Studierende, Schweiz, das immer mehr an Bedeutung konnten sich so dank Erfahrungsschilde- gewann mit einem Spitzenwert von An- rungen direkt mit der Zwangsmigration hörungen im Jahr 2015 während der so- infolge von Krieg oder anderer Notlagen genannten «Flüchtlingskrise», als über auseinandersetzen. Es war keine einfache chende ihr Land verlassen haben, aber 100 HilfswerkvertreterInnen im Einsatz Aufgabe, denn sie mussten sich von der auch davon, wie überzeugend sie diese waren. Erzählung berühren lassen können, ohne darlegen und glaubhaft machen können. in eine empathische Notlage zu geraten. Der/die HV intervenierte bei Schwierigkei- Behandlung von hängigen Gesuchen Sie durften den Faden nicht verlieren und ten und konnte verlangen, dass Fragen Im Verlauf der verschiedenen Asylrevisio- mussten die für eine bessere Einschät- gestellt und allfällige Einwände zum Ab- nen wurde die Aktivität der HWV mehr- zung der Situation richtigen Fragen stel- lauf der Befragung festgehalten wurden. mals in Frage gestellt, insbesondere 2008. len. «Mir gefällt die Idee, dass diese prä- Dies erforderte eine gute Auffassungsga- Sie wurde schliesslich bis zur letzten Revi- gende Erfahrung für die im Hintergrund be, um zu verstehen, worauf es ankam sion von 2019 aufrechterhalten. Mit dem arbeitenden HV sich vielleicht auch auf und welche Fragen dem SEM helfen neuen Asylgesetz werden nun alle Asyl- ihren eigenen Werdegang positiv ausge- könnten, die richtige Entscheidung zu gesuche in Anwesenheit einer Rechtsver- wirkt hat und nicht nur für die Hauptper- treffen. Die HWV trug auch zur regelmäs- treterin oder eines Rechtsvertreters einer sonen dieser Anhörungen von Nutzen sigen Weiterbildung dieser BeobachterIn- Schweizer NGO gestellt, die direkt vom gewesen ist», meint Olivier Cosandey nen bei. SEM mit der rechtlichen Vertretung von abschliessend. 19
JUBILÄUM 75 JAHRE IM KLEINEN GROSSES BEWIRKEN Im Jahr 2021 wird HEKS 75 Jahre alt. Ein Grund, das kommende Jahr zu nutzen, um gemeinsam zurückzuschauen auf die bewegte Geschichte unseres Hilfswerks. Ein guter Moment aber auch, um einen Blick in die Zukunft der bald fusionierten Organi- sation HEKS-Bfa zu wagen. Text Corina Bosshard Fotos HEKS-Archiv / Christian Bobst Aus den Anfängen eines Hilfswerks: Nach dem Ende des 2. Weltkriegs fanden dank HEKS zahlreiche Flüchtlingskinder aus ganz Europa vorübergehend Aufnahme in der Schweiz. Am Ende des Zweiten Weltkriegs riefen die evangelischen Kir- chen der Schweiz in der Bevölkerung zu Spenden auf, um der notleidenden Bevölkerung im kriegsversehrten Europa beizu- stehen. Die Solidarität war riesig, über zwei Millionen Franken kamen zusammen. Als schwieriger erwies es sich, das Geld nun schnell und richtig für Nothilfe und Wiederaufbau einzusetzen. Angesichts der Grösse dieser Aufgabe brauchte es eine eigene Stelle der Kirchen, um die Hilfsaktionen zu organisieren und zu koordinieren. Am 1. Januar 1946 entstand das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, mit Rufnamen HEKS. Niemand dachte damals an ein bleibendes Werk. Wie sollte man sich organisieren? Wo die Prioritäten setzen? Auf welchen Wegen Hilfe leisten? Alles Fragen, die der erste Leiter von HEKS, Pfarrer Heinrich Hellstern, selber noch ohne spezielle Erfahrung, dafür aber begabt mit Fantasie und Organisationsta- lent, angehen musste. Ausserordentliches wurde geleistet in diesen Anfangsjahren. HEKS organisierte Notspeisungen für Kinder und ältere Menschen, gründete Waisenhäuser und Kin- derheime, verschickte Rohbaumwolle, die zu Leintüchern verar- beitet und an Flüchtlinge und Spitäler gespendet wurde. HEKS ermöglichte Kriegskindern Erholungsaufenthalte in der Schweiz, lieferte Barackenkirchen ins kriegszerstörte Ausland und schuf eine Vermittlungsstelle für theologische Literatur. In der HEKS-Sammelstelle für Naturalien in Männedorf trugen Schwei- zer Gemeinden tonnenweise Kleider, Schuhe, Decken, Seife, Konserven, Kartoffeln, alles Erdenkliche für ihre Nachbarn in Europa zusammen. HEKS ist noch immer da 75 Jahre sind seither vergangen – und HEKS ist immer noch da. Aus der zwischenkirchlichen Hilfs- und Wiederaufbauarbeit im kriegszerstörten und bitterarmen Nachkriegseuropa ist im Laufe der Jahrzehnte ein weltweites Engagement für eine menschli- chere und gerechtere Welt geworden. Wir blicken auf eine lange und bewegte Geschichte zurück und beim Stöbern im Archiv stösst man auf so manche Geschichte 20
aus unserer Vergangenheit, die beeindruckt und bewegt. Ein Altersheim für reformierte Flüchtlinge in Weesen. Die erste, durch HEKS erzwungene Lan- dung eines Flugzeugs mit Hilfsgütern in Phnom Penh im Jahr 1979, um der Bevölkerung nach der Schreckensherrschaft der Roten Khmer beizustehen. Ein klarer Positionsbezug gegen die Apartheid in Südafrika, auch wenn HEKS dafür lange in der Im Rahmen der HEKS-Aktion Schweiz von vielen Seiten angefeindet wurde. Und Mitte der «Schweizer Europahilfe» wurden 80er-Jahre, als die Anwendung des Asylgesetzes zunehmend in den 1950er-Jahren Ziegen restriktiver und die öffentliche Stimmung feindseliger wurde, für die notleidende Bevölke- rung in Güterwaggons nach stand HEKS schon klar «auf der Seite der Flüchtlinge» und setz- Griechenland verladen. «Hilfe te sich für eine menschliche Asylpolitik ein. Schenken» in seiner Urform. Gemeinsam zurück- und nach vorn blicken «HEKS verändert die Welt nicht, dafür sind wir viel zu klein. Aber es kann Zeichen setzen, die zeigen, eine andere Welt ist möglich», sagte mir jüngst eine frühere und langjährige HEKS-Mitarbeiterin, die ich für die Recherchen zum 75-Jahr- Jubiläum interviewte. Um diese Zeichen soll es gehen in unse- rem Jubiläumsjahr. Gemeinsam wollen wir zurückblicken auf bewegende und auch wegweisende Momente in der Geschich- te unseres Werkes und gleichzeitig auch zum Austausch und zum Dialog einladen, um miteinander nicht nur in die Vergan- genheit, sondern auch in die Zukunft nach der Fusion mit «Brot für alle» zu blicken. Ein Film und eine Foto-Ausstellung Ein Film der Regisseurin Barbara Miller, der im Sommer und Herbst 2021 an Lunchkino-Veranstaltungen in der ganzen Schweiz gezeigt werden wird, gibt eine Rundumschau über das frühere und heutige Wirken von HEKS und lässt verschiedene Zeitzeugen, aber auch aktuelle Mitarbeitende zu Wort kommen. Des Weiteren wird eine Foto-Ausstellung Einblick in unser un- glaublich reiches Bildarchiv geben und verschiedene Stationen und wichtige Wegzeichen der vergangenen 75 Jahre veranschau- Seit vielen Jahren einer der lichen. Die Foto-Ausstellung kann von Kirchgemeinden und an- Schwerpunkte von HEKS: deren Interessierten bestellt werden und soll im Jahr 2021 an die ländliche Entwicklung möglichst vielen Orten in der Schweiz gezeigt werden. in den Ländern des Südens. Aber in erster Linie soll es im Jubiläumsjahr um Begegnung und Austausch gehen: Film wie auch Foto-Ausstellung werden ein attraktives Rahmenprogramm bieten für Begegnungen, Gesprä- che und Austausch mit HEKS-Mitarbeitenden an verschiedens- ten Veranstaltungen. 21
SHOP NOCH KEIN WEIHNACHTS- GESCHENK? Die Aktion «Hilfe schenken» von HEKS macht es Ihnen einfach, jemandem eine sinnvolle Freude zu bereiten: Wir haben wieder ganz neue Geschenke zusammengestellt wie zum Beispiel einen Wegweiser, Saatgut oder ein Nothilfepaket. NOTHILFEPAKET TR ADITIONELLES Katastrophen können von einem SA ATGUT Tag auf den anderen Tausende Menschenleben und Lebens- Rund um den Globus setzen Bau- grundlagen weitreichend zerstö- ernfamilien einheimisches Saat- ren. Überlebende, die ihr ganzes gut ein, um sich vor Hunger und ESEL Hab und Gut verloren haben, sind WEGWEISER Verschuldung zu schützen. Sie Er pflügt die Felder der Bauern, dringend auf Hilfe angewiesen. legen eigene Saatgutbanken an Für sozial benachteiligte und zu- trägt die Kinder zur Schule oder Ein Überlebenspaket enthält Ge- und sichern so ihre nächste Ernte. gewanderte Menschen ist es oft transportiert Wasser, Holz und treide (Reis, Mais oder Hirse), Getreide und Gemüse aus dem nicht einfach, sich im Schweizer Nahrung: In den Dörfern des Öl, Salz und Zucker. Die übrigen eigenen Boden haben sich über Alltagsleben zurechtzufinden. Sahel ist der Esel allgegenwär- Zutaten richten sich nach den Jahrhunderte den lokalen Gege- Manchmal fehlt das nötige All- tig. Die ländliche Bevölkerung Ernährungsgewohnheiten der benheiten laufend angepasst und tagswissen, zum Beispiel über schätzt den genügsamen Vier- Bedürftigen. Die Nahrungsmittel sind deshalb resistenter gegen Versicherungen, über das Schul- beiner denn auch nicht bloss als werden wenn möglich im betrof- Schädlinge und Dürreperioden system, die Arbeitswelt oder die Nutztier, sondern als unentbehr- fenen Land oder in der nahen als eingeführtes Saatgut. Zudem zuständigen Stellen des Gesund- lichen Gefährten der Familie. Wer Umgebung eingekauft. Pro Tag erhalten einheimische Sorten die heits- und Sozialsystems. Dann noch keinen hat, braucht einen, braucht eine Person mindestens Biodiversität und garantieren ist es wichtig, dass ihnen jemand oder gleich zwei: Mit unseren 2100 Kalorien. 50 Franken kön- eine gesunde und vielfältige Er- den Weg weist. Projekten zur Verbesserung der nen die Ernährung einer Familie nährung. Nahrungsgrundlagen geben wir zwei Wochen lang sicherstellen. CHF 100.– In Honduras ergibt ein Sack mit Kleinbäuerinnen und Kleinbauern 11,5 Kilo Maissaatgut, ange- CHF 50.– die Chance, sich einen Esel anzu- pflanzt auf 0,7 Hektaren Land, schaffen. Er wird die Feldarbeit eine Ernte von 1800 Kilo Mais. erleichtern, die Ernte zum Markt Das Geschenk umfasst vier Säcke bringen und damit das Einkom- einheimisches Saatgut und unter- men steigern helfen. stützt eine ganze Bauerngemein- schaft in ihrer Selbstbestimmung. CHF 100.– CHF 75.– Online-Shop: www.hilfe-schenken.ch 22
Sie können auch lesen