Hebammenhilfe bei früher Stiller Geburt
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Hebammenhilfe bei früher Stiller Geburt Veröffentlichter Artikel in der Österreichischen Hebammenzeitung 1/08 Karin Schnabl weiß, wie es ist ein Kind zu verlieren. Sie ist seit 17 Jahren Hebamme und erfahren in der Begleitung trauernder Eltern. Der Tod eines Kindes ist wahrscheinlich der schwerwiegendste Verlust, den Eltern erleben können, auch wenn das Kind scheinbar noch nicht existiert hat und als Fehlgeburt oder Abortus bezeichnet wird. Das Besondere am unerwarteten Tod eines Kindes in der ersten Phase der Schwanger- schaft besteht darin, dass oft nur die Mutter und der Vater des Kindes von dessen Existenz wissen. In der Frühschwangerschaft sind viele Väter emotional noch kaum mit dem Kind verbunden. Manche Frauen haben in dieser Zeit noch keine Muttergefühle entwickelt oder die Schwangerschaft war ungeplant und sie selbst unsicher, ob sie das Kind überhaupt be- kommen möchte. All dies kann Schuldgefühle auslösen, die den Trauerprozess erschweren. Diese Mütter glauben oft, sie hätten kein Recht um ihr Kind zu trauern, was auf keinen Fall stimmt! Auch wenn sich eine Frau für eine Abtreibung bzw. einen medizinisch indizierten Abort entscheidet, ändert das nichts an der Trauerreaktion. Alte und neue Wunden Zum unerwarteten Tod des ungeborenen Kindes kommt der Verlust der gemeinsamen Zu- kunft. Die Schwangerschaft kann nicht bis zum Ende gelebt, der erste Schrei des Kindes nicht gehört werden. Die Mütter können ihr Kind nie stillen. Die Eltern müssen davon Ab- schied nehmen, ihr Kind aufwachsen zu sehen, erleben zu können, wie es in die Schule, später in die Pubertät kommt und letztlich erwachsen wird. Das plötzliche Fehlen dieser Le- bensaufgabe führt in eine Identitätskrise. Zur aktuellen Trauer über den Verlust des verloren gegangenen, gemeinsamen Lebens mit dem Kind kommen oft alte Trauererfahrungen. Unaufgearbeitete Geschichten aus der Kind- heit oder dem bisherigen Erwachsenenleben bekommen eine Bedeutung, obwohl das den meisten Eltern in der ersten Trauerzeit nicht bewusst ist. Unterschiedliche Reaktionen Es gibt Frauen, die eine frühe Fehlgeburt als einen natürlichen Vorgang erleben, als etwas, was die Natur bestimmt. Es gibt aber auch Frauen, für die eine frühe Fehlgeburt einen eben- so großen Verlust bedeutet, wie wenn das Kind bereits gelebt hätte oder am Ende der Schwangerschaft gestorben wäre. Ich begegne daher Frauen in der Trauerbegleitung mit den verschiedensten Gefühlen und Bedürfnissen. In der Trauerbegleitung und in den -seminaren erlebe ich, dass Frauen und Männern unter- schiedlich viel Zeit zum Trauern brauchen. Wichtig ist, die Geschichte immer wieder erzählen zu können, Rituale zu gestalten, der Trauer, Angst und Wut, den Schuldgefühlen und allem, was sonst da ist, ins Gesicht zu schauen. Laut Dr. Jorgos Canacakis kann die Trauerum- wandlung nicht alleine stattfinden, sondern sie braucht Zeugen. In einer Gruppe kann der trauernde Mensch in ein heilsames Klagen-Weinen-Trauer-Ritual (erforscht anhand der Kla- gefrauen von Mani) hineinkommen. Der Trauerprozess Der Trauer- und Wandlungsprozess, den der Tod eines Kindes auslöst, dauert solange wir leben. Auch nach 20, 30 oder mehr Jahren kann eine bestimmte Situation oder ein Jahrestag den Schmerz über das Verlorene aktivieren. So hinterlässt der Verlust eines Kindes eine dauernde Wirkung bei den Eltern. Oft entwickelt sich daraus eine chronische Trauer mit re- signierender Tendenz. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass betroffene Eltern ein Leben lang um das Kind weinen oder im Schmerz schwelgen. Beim aktiven Durchleben des Trauerprozesses kommt es im Verlust zu einem Gewinn. Wenn die Trauerfähigkeit der Eltern nicht entwickelt ist, kommt es zur lebenshindernder Trauer, die sich in Depression, Krankheiten oder in einem Suchtverhal- ten (Medikamenten, Alkoholsucht, ...) äußern kann. ® Österreichische Hebammenzeitung Seite 1
Wenn sich trauernde Eltern jedoch über ihre Gefühle und die eigene Trauergeschichte klar werden, können sie den Verlust in ein durchaus lebensbejahendes Gefühl umwandeln. Sie gewinnen an Erfahrung, an Liebe, an neuen Weltanschauungen. Gleichzeitig wird das innere Kind genährt und geheilt. Das Ziel des gesunden Trauerprozesses ist, dass die Eltern ihr Kind als klare Erinnerung im Herzen behalten und die Zeit, die sie mit diesem Kind verbrin- gen konnten, wertschätzen können. Aufgaben der Hebamme Die Hebamme muss ein fundiertes Wissen darüber haben, welche Bedürfnisse betroffene Mütter und Väter haben und welche Begleitmaßnahmen einen Trauerprozess positiv beein- flussen. Die Hebamme muss gut informiert sein und von ihrem eigenen Weltbild Abstand nehmen können, wenn betroffene Eltern andere Vorstellungen haben. Sie muss sich selbst mit ihrer eigenen Verlusten auseinandergesetzt haben und sie kennen, denn sonst kann sie der Frau nicht genügend Raum für ihre Schock- und Trauergefühle ge- ben. Sie muss die Leere und die Stille aushalten können und ihre eigene Sprachlosigkeit ausdrücken können (z.B.: „Mir fehlen die Worte, doch ich begleite sie“). Hebammen brau- chen Supervision, um über das Erlebte sprechen zu können. Eine betroffene Mutter kann sich nicht gleichzeitig mit dem Tod des Kindes und der bevor- stehenden Geburt bzw. Cürrettage auseinandersetzen. Sie braucht Zeit, um es überhaupt fassen zu können. Die Geburt muss nicht sofort eingeleitet werden, es sei denn, es gibt eine medizinische Indikation. Es spricht nichts dagegen, dass die Frau nochmals das Kranken- haus verlässt und abwartet, bis die Wehen von selbst beginnen. Frühe Fehlgeburten Bei der frühen Fehlgeburt (in den ersten 12 Wochen) haben viele Hebammen kaum Erfah- rung in der Begleitung, da diese Frauen meist auf der Station vom Gesundheits- und Kran- kenpflegepersonal betreut werden. Auch bei frühen Fehlgeburten kann gewartet werden, bis das Kind von selbst geboren wird. Diese Geburten werden als „kleine Geburt“ bezeichnet. Der Vorteil der kleinen Geburt ist, dass die Frau bewusst miterleben kann, wie ihr Kind auf die Welt kommt. Sie kann es sich ansehen und wird sich dessen bewusst, dass es mehr als ein Zellhaufen oder ein Embryo ist. Der Unterschied zwischen der „kleinen Geburt“ und einer späten Fehlgeburt ist, dass der Muttermund sich nicht so weit öffnen muss und das Kind schneller geboren werden kann. Späte Fehlgeburten Bei der späten Fehlgeburt erleben die Frauen eine Geburt wie bei einem lebensfähigem Kind oder einer Totgeburt. Was jedoch sehr kränkend sein kann, ist, dass diese Geburten oft nicht als Geburten bezeichnet und abgewertet werden. So ist eine Frau nach einer späten Fehl- geburt von der Dokumentation her in den meisten Spitälern immer noch eine Erstgebärende, was mich jahrelang aus meiner eigenen Betroffenheit heraus sehr gekränkt hat. Stellen Sie sich vor, sie haben ein Kind geboren, das vollständig entwickelt war, es im Arm gehalten, es begrüßt, gestreichelt und angeschaut, doch es war eben zu klein, um als Tot- geburt bezeichnet zu werden, und andere Menschen behaupten, Sie seien eine Frau, die nicht geboren hat... Späte Fehlgeburten sind manchmal komplikationsreich. Die Einleitungsphase dauert oft lang, die MM-Öffnung ist verzögert. Es gibt stundenlang keinen Geburtsfortschritt, obwohl die Frau Wehen verspürt. Oft kommt es zu Blutungen oder vorzeitigen Plazentalösungen. Späte Fehlgeburten enden auch manchmal in einem Kaiserschnitt! Viele der genannten Komplikationen entstehen meiner Meinung nach durch die massive Me- dikamentgabe und durch die zu rasche Einleitung. Die Frauen hängen stundenlang am We- hentropf, werden häufig untersucht und somit in die Enge getrieben. Sie können sich noch nicht auf die Geburt einstellen, weil sie körperlich, geistig und seelisch noch nicht bereit sind ihr Kind herzugeben. Das Wichtigste in der Geburtsbegleitung ist die Zeit. Es gibt, außer wenn medizinisch indiziert, keinen Grund, die Geburt sofort einzuleiten oder die Frau dabei zu sedieren. ® Österreichische Hebammenzeitung Seite 2
Geburtsbegleitung Es ist die Aufgabe der Hebamme, mit der Frau die Zeit bis zur Geburt und den weiteren Ver- lauf zu besprechen. Die Frau sollte von der Hebamme in ihrem ganzen Sein gewürdigt wer- den, egal wie sie sich verhält und wie sie sich fühlt. Entscheidungen über die Einleitung, die Geburt, das Begrüßen und Verabschieden des Kindes, die Zeit mit dem Kind auf der Station, die Beerdigung dürfen nicht ohne die Frau oder die Eltern getroffen werden, sondern ehrlich mit ihnen besprochen werden. Oft werden Frauen manipuliert, denn es liegt in der Macht der Sprache, wohin ich die Frau lenken kann. Wenn ich als Hebamme der Meinung bin, dass eine schnelle, schmerzfreie Geburt, ein Nichtbegrüßen und Nichtbeerdigen des Kindes das Beste ist, werde ich sie da- hingehend aufklären. Wenn ich als Hebamme weiß, wie wichtig für den Trauerprozess und eine Folgeschwangerschaft das Erleben einer natürlichen Geburt mit möglichst wenig Schmerz-, bzw. Sedierungsmitteln ist, dann werde ich sie in diese Richtung lenken. Die Wünsche der Frau müssen respektiert werden, so wie bei jeder Spontangeburt eines leben- den Kindes. Bei der Geburt eines toten Kindes gibt es sehr viel Zeit. Es muss nicht auf die Gesundheit des Kindes, sondern lediglich darauf geachtet werden, dass die Frau ein gutes Geburtser- lebnis hat und sie das Kind ohne Stress gebären kann. Für eine verlängerte Austreibungs- phase bei der späten Fehlgeburt müssen wir Verständnis haben. Denn die Zeit vor der Ge- burt ist die einzige, die der Frau noch bleibt, in der sie noch mit ihrem Kind verbunden ist und es noch in ihrem Körper spüren kann, auch wenn es bereits tot ist. Es ist notwendig, für diese Mütter/Eltern den Raum zu halten, ihnen das Gefühl zu geben: Hier kann ich mich öffnen, mit all dem Schmerz, dem Schock und der Trauer. Mit dieser He- bamme kann ich mein totes Kind gebären, ihr vollkommen vertrauen, ohne Angst zu haben, dass es ihr zu viel ist. Die Aufgabe der Hebamme besteht darin, wie bei jeder normalen Geburt, die Frau zu beglei- ten. Denn das Wunder der Geburt erleben die Frauen auch, wenn das Kind tot zur Welt kommt. Für die meisten Frauen wird die Geburt als „etwas Großartiges“ erlebt, denn sie er- innert sie später an ihr Kind. Stellen Sie sich vor, wie es sich anfühlt, wenn eine Mutter das Gefühl bekommt, sie habe kein Recht auf diese Erinnerung, kein Recht, als Mutter bezeich- net zu werden und ihr Kind als Kind. Sie gebärt ihr Kind, das sie geliebt, gespürt und versorgt hat. Auf keinen Fall dürfen wir ihr dieses Erlebnis nehmen. Erinnerungen schaffen Wenn das Baby geboren ist, müssen wir anerkennen, dass die Frau Mutter geworden ist und Enormes geleistet hat. Es wird eine große Anspannung von der Frau fallen. Sie wird viel- leicht schreien, weinen oder wenige Gefühle zeigen. All die verschiedenen Emotionen sind normal. Wir sollten die Frau in ihrem Ausdruck der Trauer nicht hindern. Bereits im Aufklä- rungsgespräch vor der Geburt muss der Mutter mitgeteilt werden, wie wichtig es für den wei- teren Trauerprozess ist, das Kind zu begrüßen, anzusehen, zu halten, einen Vornamen aus- zusuchen und Erinnerungen zu schaffen. Ein positives Geburtserlebnis ist der Nährboden für eine positiv verlaufende Folgeschwangerschaft und eine weitere Geburt. Manche Hebammen sind dem Tod und der Trauer gegenüber hilf- und sprachlos. Aber wenn wir uns wirklich auseinandersetzen mit diesem Thema, kann aus der Sprachlosigkeit tiefes Mitgefühl und eine Achtsamkeit entstehen, durch die wir aus dem Herzen heraus das Richti- ge tun werden. Miteinbeziehen der Familie Es soll auch gefördert werden, dass der Vater bei der Geburt dabei sein und das Kind be- grüßen, halten und somit seine Liebe zum Kind ausdrücken kann. Geschwisterkinder, Fami- lie und Freunde sollten ebenfalls dazu eingeladen werden. Sie dienen als Zeugen, können betroffene Eltern im Trauerprozess besser unterstützen. So ist das tote Kind in der Familie kein Phantom, sondern ein wirklicher Mensch, der gelebt hat. Kinder haben einen ganz natürlichen Zugang zum Tod und Sterben und werden sich das Kind nur dann ansehen, wenn es sie interessiert und ihnen gut tut. Ich persönlich habe in der ® Österreichische Hebammenzeitung Seite 3
Begleitung von Kindern sehr viel gelernt, denn diese zeigen einen natürlichen Umgang und sind durchaus nicht schockiert, das tote Kind zu sehen. Wünsche der Betroffenen an die Hebammen • Tröstende Worte, wie z.B.: „Sie sind noch jung und können noch andere Kinder kriegen“, sind unangebracht. • Worte wie „Leibesfrucht, Ausstoßen, Abortus“ bitte vermeiden und durch „Kind, gebären, Wehen, Geburt, kleine Geburt“ ersetzen. • Das Kind auf keinen Fall in eine Nierentasse oder ein Formalinglas geben und es so der Frau präsentieren. Jedes Kind kann in eine Windel oder ein Tuch eingewickelt werde. Für kleine Fehlgeburten können Schatullen zur Aufbewahrung bzw. auch zur Beerdigung verwendet werden (wie im LK Waldviertel Horn in NÖ). • Unbedingt auf noch vorhandene Lebenszeichen achten, auch auf das Pulsieren der Na- belschnur, denn damit würde das Kind als Lebendgeburt gelten, was einen besseren Rechtsstand der Mutter bedeutet. • Für jedes Kind Erinnerungstücke schaffen (auch bei kleinen Fehlgeburten), wie z.B. ein letztes Ultraschallbild vor der Geburt, ein Foto, Fuß- oder Handabdruck, eine Haarlocke. • Unbedingt den Mutter-Kind-Pass ausfüllen. Es ist das einzige Dokument für die Frauen. • Den Eltern und deren Familie solange Zeit geben mit dem Kind wie sie möchten. Die Möglichkeit schaffen, dass das tote Kind so spät wie möglich auf die Pathologie bzw. His- tologie kommt. Viele Mütter/Väter möchten das Kind am nächsten Tag nochmals an- schauen, auch wenn sie das nach der Geburt verneinen. Es ist die einzige Zeit im Leben der Eltern, die sie mit ihrem geborenen Kind verbringen können. Geschrieben von Karin Schnabl, Trauerbegleiterin nach Dr. Jorgos Canacakis, ist ausgebil- det in Tiefenimagination und initiatorischer Natur- und Visionssuchearbeit. Sie gründete die Initiative „Nur ein Hauch von Leben“ in NÖ, bietet Trauerseminare und Weiterbildungen zum Thema an. Dzt. Studium an der Donau-Uni Krems 1. PGM „Midwifery“, Mastherthesis zum Thema „Stille Geburt“. Kontakt: karin.schnabl@gmx.at, Tel. 0650/9442678. ® Österreichische Hebammenzeitung Seite 4
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