Herausforderung Klimawandel - Chancen und Risiken für den Tourismus in Graubünden
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Herausforderung Klimawandel Chancen und Risiken für den Tourismus in Graubünden Teil A Klimawandel und Tourismus – Grundlagen Teil B Aktuelle und zukünftige Schneesicherheit der Bündner Skigebiete Bruno Abegg1,2,3, Robert Steiger 4, Roger Walser1 1 HTW Chur 2 Universität Innsbruck 3 alpS – Centre for Climate Change Adaptation 4 MCI Management Center Innsbruck Chur/Innsbruck April 2013 Bach Ova da Roseg, ©swiss-image.ch/Robert Boesch
Inhaltsübersicht Seite Teil A Klimawandel und Tourismus – Grundlagen 8 1 Das Wichtigste in Kürze 9 2 Klimawandel 10 3 Auswirkungen auf den alpinen Tourismus 17 4 Der Beitrag des Tourismus zum Klimawandel 28 5 Anpassungs- und Verminderungsmassnahmen 30 im Tourismus 6 Klimawandel und Nachfrage 41 Teil B Aktuelle und zukünftige Schneesicherheit 44 der Bündner Skigebiete 1 Das Wichtigste in Kürze 45 2 Vorgehensweise 46 3 Resultate 49 4 Mögliche Grenzen der technischen Beschneiung 55 5 Diskussion 60 6 Anhang 62 Literatur (für Teil A und B) 64 4
Vorbemerkungen der Autoren Der vorliegende Bericht ist in zwei Teile gegliedert. Im Mit diesem Bericht werden verschiedene Ziele verfolgt. ersten Teil werden die Wechselwirkungen zwischen Der Bericht soll: Klimawandel und Tourismus aufgezeigt. Hier werden keine neuen Untersuchungen durchgeführt – es geht – Verständnis für die Komplexität der Problematik vielmehr darum, das vorhandene Wissen aus der verfüg- wecken und den Bündner Tourismus für die Heraus- baren Literatur aufzuarbeiten und aus der Sicht des forderungen, die mit dem Klimawandel verbunden Tourismus im Kanton Graubünden zu interpretieren. sind, sensibilisieren; Im zweiten Teil wird der für den Kanton Graubünden – aufzeigen, wie sich die klimatischen Rahmenbedin- so wichtige Winter- bzw. Skitourismus in den Mittel- gungen für den Bündner Tourismus verändern punkt gerückt und die zukünftige Schneesicherheit könnten und Leitplanken im Umgang mit diesen der Skigebiete analysiert. Dabei kommt – erstmals in Veränderungen zur Diskussion stellen; der Schweiz – das Schneedecken-Simulationsmodell – aufzeigen, dass der Klimawandel nicht nur mit SkiSim 2.0 zum Einsatz. Risiken, sondern auch mit Chancen verbunden ist. Hinzu kommt, dass viele Massnahmen als soge- Der Klimawandel stellt den Tourismus vor grosse nannte «no-regrets» bezeichnet werden können: Herausforderungen. Wir sehen uns nicht nur mit einer das sind Massnahmen, die sich auch auszahlen, Vielzahl von potentiellen Auswirkungen konfrontiert, wenn der Klimawandel nicht genauso wie in einem sondern sind auch gezwungen, in ungewohnten Di- bestimmten Szenario angenommen eintritt. Diese mensionen zu denken: global, vernetzt und in langen Massnahmen tragen beispielsweise dazu bei, einsei- Zeiträumen. tige Geschäftsmodelle breiter abzustützen, Kosten zu reduzieren oder neue Positionierungsmöglichkeiten Wer sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf im Markt zu finden. den Tourismus beschäftigt, muss Annahmen treffen, Unsicherheiten abwägen und in Szenarien denken. Wir bedanken uns für die zur Verfügungsstellung von Gewissheit gibt es nicht, nur Zukunftsbilder, die unter Abbildungen und Fotografien bei: bestimmten Annahmen plausibel sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zukunft des Tourismus von – Dr. Stephan Bader, Bundesamt für Meteorologie und vielen Faktoren geprägt wird und die Bedeutung des Klimatologie MeteoSchweiz, Abteilung Klima, Zürich Klimawandels in Relation zu diesen Einflussfaktoren – Brigitte Schrade, Bundesamt für Umwelt BAFU, Bern ungewiss ist. – Roman Grossrieder, Grischconsulta AG, Chur – Dr. Christoph Kull, Beratendes Organ für Fragen der Klimaänderung (OcCC), Bern – Dr. Andreas Bauder, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der Eidgenössischen Tech- nischen Hochschule Zürich, Zürich Bruno Abegg, Robert Steiger, Roger Walser 5
Vorwort Herausforderung Klimawandel: Chancen und Risiken für den Tourismus in Graubünden Teil A dass sich die natürliche Schneesicherheit der Bündner Klimawandel und Tourismus – Grundlagen Skigebiete im Verlaufe des 21. Jahrhunderts ver- schlechtern wird, die Auswirkungen des Klimawandels Im Jahr 2006 hat der Kanton Graubünden die Bündner aber mit technischer Beschneiung aufgefangen werden Tourismusreform «Wettbewerbsfähige Strukturen und können und die Zahl der technisch schneesicheren Aufgabenteilung im Bündner Tourismus» gestartet. Im Schneesportgebiete in Graubünden deutlich weniger Rahmen dieser Tourismusreform wurde auch das Qua- stark zurückgehen wird als beispielsweise im benach- litätsprogramm Graubünden (www.qualitaet-gr.ch) barten Tirol. konzipiert. Aufbauend auf einem Qualitäts-Leitbild werden seit 2011 Massnahmen zur Qualitätsentwick- Die vorliegende Broschüre zeigt somit auf, dass wir lung und zur Qualitätsmessung umgesetzt. Mit dem mit dem Phänomen Klimawandel auch in Graubünden Qualitätsprogramm werden den touristischen Leis- konfrontiert sind. Es kann davon ausgegangen werden, tungserbringern praxisorientierte Hilfsmittel zur Ver- dass sich die natürliche Schneesicherheit im Winter besserung ihrer Dienstleistungs- und Erlebnisqualität verschlechtern wird und sich die klimatischen Bedin- zur Verfügung gestellt. gungen für den Sommertourismus saisonverlängernd auswirken können. Es ist daher wichtig, dass sich der Bei der Qualitätsentwicklung kommt auch der Um- Bündner Tourismus mit den Fragen des Klimawandels weltqualität grosse Bedeutung zu, wird doch oft die und dessen Chancen und Risiken in naher Zukunft Naturlandschaft als Kapital des Alpinen Tourismus auseinandersetzt. bezeichnet. Dabei spielt auch der Klimawandel und die sich für den Tourismus ergebenden Chancen und Eugen Arpagaus Risiken eine Rolle. Der vorliegende Grundlagenbericht Leiter Amt für Wirtschaft und Tourismus zeigt anschaulich die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Tourismus auf. Er ist als Ergänzung zu den vom Amt für Natur und Umwelt (ANU) publi- zierten Berichten «Klimawandel in Graubünden» (ANU, 2009) und «Klimabericht Graubünden» (MeteoSchweiz im Auftrag des ANU, 2012) zu betrachten. Der Verband Bergbahnen Graubünden bekundete ebenfalls Interesse an einem Klimabericht für Grau- bünden. Daraus entstand eine Zusammenarbeit und ein bergbahnspezifischer Berichtsteil. Dieser legt dar, 6
Teil B Mit einem Anteil von 55 % oder 2.5 Milliarden Franken Aktuelle und zukünftige Schneesicherheit an der Exportwertschöpfung des Kantons, ist und wird der Bündner Skigebiete die Tourismuswirtschaft ein wichtiger Impulsgeber der Bündner Volkswirtschaft bleiben. Dem Tourismus gilt Das Klima unseres Planeten Erde verändert sich stetig. es Sorge zu tragen, denn die Alternativen im Bergge- Die heutigen Signale deuten in den nächsten Dekaden biet sind rar. Zudem ergibt sich durch den Klimawandel auf einen Anstieg der Temperaturen hin, was die für die Bündner Skigebiete ein komparativer Vorteil, Schneesicherheit des Alpenraums und von Graubün- den es geschickt zu nutzen und in Wertschöpfung zu den beeinflusst. Dies wiederum hat kurz-, mittel- und transferieren gilt. langfristig Auswirkungen auf den alpinen Schnee- sport, den eigentlichen Motor des Bündner Tourismus, Der Klimawandel ist Fakt. Es liegt nun an uns Bünd- und mit ihm auf die Entwicklung der Bergbahnunter- nerinnen und Bündnern aus diesem das Beste für nehmen und die damit verbundenen Einkommen und unseren Wohn- und Wirtschaftsstandort Graubünden Arbeitsplätze. zu machen, so dass wir uns in unserer Heimat auch künftig noch wohlfühlen und entwickeln können. «Lehne es nicht ab, das Negative zur Kenntnis zu nehmen. Weigere dich lediglich, dich ihm zu unter- Silvio Schmid werfen.» Präsident Bergbahnen Graubünden Norman Vincent Peale, amerikanischer Autor über posi- tives Denken. In diesem Sinne möchte Bergbahnen Graubünden mit der vorliegenden Broschüre einen Beitrag zu einer positiven Diskussion der strategischen Entwicklung seiner Mitglieder und der Destinationen leisten. Ebenso wichtig erscheint Bergbahnen Graubünden aber auch die Diskussion der erforderlichen Rahmenbedingungen seitens der öffentlichen Hand (Raumplanung, Umwelt, Energie, Wirtschaftsentwicklung), damit den Berg- bahnunternehmen und den Destinationen die Anpas- sung an den Klimawandel und die damit verbundenen Herausforderungen auf eine effiziente und wirtschaft- lich verträgliche Art gelingt. 7
Klimawandel und Tourismus – Grundlagen Teil A Bruno Abegg HTW Chur Universität Innsbruck alpS – Centre for Climate Change Adaptation Chur/Innsbruck April 2013 8 Teil A
1 Das Wichtigste in Kürze – Der Klimawandel findet statt und wird sich in Zukunft komparativen Vorteil. Im Sommer könnten vor allem weiter akzentuieren. der Tagesausflugs- und Kurzzeittourismus profitieren. – Im Winter ist von einer Verschlechterung der natür- – Anpassung findet statt und hat viele Facetten. Im lichen Schneesicherheit auszugehen. Mit einem Vordergrund stehen reaktive Anpassungen zur Ausbau der technischen Beschneiung können die Sicherung des Status Quo. Anpassung ist stark negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die kontext-spezifisch – Patentlösungen gibt es keine. natürliche Schneesicherheit teilweise ausgeglichen – Der Tourismus ist für bedeutende CO2- bzw. Treib- werden. hausgas-Emissionen verantwortlich. Mit Abstand – Die Verbesserung der klimatischen Bedingungen wichtigste Emissionsquelle ist der touristische Ver- für den Sommertourismus (höhere Temperaturen, kehr, insbesondere die An- und Abreise der Gäste. weniger Niederschlag, längere Saison) ist aller – Es gibt nur wenige Touristiker, die sich für den Voraussicht nach höher zu gewichten wie potentiell Klimaschutz engagieren. Möglichkeiten, mit entspre- negative Auswirkungen von klima-induzierten chenden Massnahmen Geld zu sparen (Stichwort: Umweltveränderungen (z. B. Gletscherschwund). Energie) oder sich neu zu positionieren, liegen brach. – Die Nachfrage dürfte sich – aus klimatischer Sicht – tendenziell positiv entwickeln. Im Winter sorgt die vergleichsweise hohe Schneesicherheit für einen Landschaft im Unterengadin, © Graubünden Ferien, Chur 9
2 Klimawandel Historische Klimaentwicklung Während die Temperaturzunahme in allen Regionen und Höhenstufen eindeutig ist, können für die Verän- Die Jahresmitteltemperaturen haben in den letzten derung des Niederschlags keine klaren Aussagen 100 Jahren (1912–2011) um mehr als 1.5 °C zugenom- gemacht werden (Abb. A2). Im Norden konnte eine men (Abb. A1). In den letzten 30 Jahren (1982–2011) leichte Zunahme, im Süden eine leichte Abnahme des hat sich die Erwärmung beschleunigt und Werte von Jahresniederschlags beobachtet werden – beides ist bis zu 0.5 °C pro Dekade erreicht. Die hiesige Erwär- statistisch aber nicht signifikant. mung ist rund doppelt so hoch wie das globale Mittel und lässt sich u. a. mit den unterschiedlichen physika- Die historische Klimaentwicklung im Kanton Grau- lischen Eigenschaften von Land- und Meeresober- bünden wurde von MeteoSchweiz (2012) untersucht. flächen erklären. Hinzu kommt, dass in den Alpen Die wichtigsten Resultate können wie folgt zusammen- grosse Flächen mit Schnee und Eis bedeckt sind. Diese gefasst werden: Flächen nehmen ab, was zu einer dunkleren Erdober- fläche und damit zu positiven Rückkoppelungseffekten – Die Klimaerwärmung ist in den Messdaten eindeutig führt. nachweisbar: Der langfristige Temperaturtrend (1900–2011) liegt zwischen +0.1 °C und +0.2 °C pro 10 Jahre. Betrachtet man nur die letzten 50 Jahre Abb. A1: Langjähriger Verlauf der Jahrestemperatur gemittelt (1961–2011), werden deutlich höhere Werte erreicht: über die gesamte Schweiz. Dargestellt ist die jährliche Abwei- Winter: +0.2 °C bis +0.4 °C pro 10 Jahre; Sommer: chung der Temperatur von der Norm 1961–1990 (rot = positive +0.4 °C bis +0.5 °C pro 10 Jahre. Abweichungen, blau = negative Abweichungen). Die schwarze Kurve zeigt das 20jährige, gewichtete Mittel. Quelle: MeteoSchweiz 2013 10 Teil A
– Die Zahl der Sommertage (Tage mit Tmax ≥ 25 °C) – In den letzten 50 Jahren (1961–2011) haben sowohl hat von 1961–2011 markant zugenommen. Gleich- die Neuschneesummen als auch die Anzahl Tage mit zeitig ist die Zahl der Frosttage (Tage mit Tmin < 0 °C) einer Schneehöhe von mindestens 5 bzw. 30 cm deutlich zurückgegangen. Im Weiteren ist die Null- deutlich abgenommen. gradgrenze in allen Jahreszeiten angestiegen. – Die saisonalen Niederschlagssummen weisen zwar periodische Schwankungen auf, zeigen aber keine klaren Trends. Auch zur Entwicklung der Starknie- derschläge und Trockenperioden lassen sich keine gesicherten Angaben machen. Abb. A2: Abweichung des jährlichen Durchschnittsniederschlags vom langjährigen Mittelwert (1961–1990) in Prozent. Positive Ab- weichungen (mehr Niederschlag) sind grünblau, negative Abwei- chungen (weniger Niederschlag) sind gelbbraun. Quelle: MeteoSchweiz 2012 11
Zukünftige Klimaentwicklung vorausgesagt werden können, stehen verschiedene Emissionsszenarien zur Verfügung. Für die Berech- Temperatur- und Niederschlag nung der CH2011-Szenarien wurden drei Emissions- Im Herbst 2011 wurden die CH2011-Szenarien (CH szenarien ausgewählt: 2011, Fischer et al. 2012) publiziert. Diese Szenarien ermöglichen eine neue Beurteilung der zukünftigen – A2: Stetige Zunahme der Treibhausgas-Emissionen Klimaentwicklung in der Schweiz. Sie beruhen auf bis 2100 (lila in Abb. A3). Klimamodellen mit höherer Auflösung und verbesser- – A1B: Zunahme der Treibhausgas-Emissionen bis 2050, ten statistischen Methoden. dann leichte Abnahme (grau). – RCP3PD: Emissionen werden bis 2050 um etwa 50 % Die CH2011-Szenarien basieren auf sogenannten Emis- gesenkt und bis Ende Jahrhundert auf die Werte um sionsszenarien. Diese geben einen Einblick in den mögli- 1900 reduziert. Dieses Szenario beschränkt die chen weiteren Verlauf der globalen Treibhausgas-Emis- globale Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen sionen. Die Höhe der zukünftigen Treibhausgas- Niveau auf 2 °C (orange). Emissionen hängt u. a. von der Bevölkerungsentwick- lung, dem Wirtschaftswachstum, dem technologischen Wie Abb. A3 zeigt, wird der zukünftige Verlauf der Fortschritt und allfälligen energiepolitischen Weichen- globalen Treibhausgas-Emissionen die Entwicklung stellungen ab. Da diese Entwicklungen nicht genau der saisonalen Temperaturen und Niederschläge bis Ende des Jahrhunderts stark beeinflussen. Val Poschiavo, © Graubünden Ferien, Chur 12 Teil A
Abb. A3: Die Bedeutung des zukünftigen Emissionsverlaufs für die Entwicklung der saisonalen Temperaturen und Niederschläge. Links: Globale Treibhausgas-Emissionen der drei Emissionsszen- arien RCP3PD (orange), A1B (grau) und A2 (lila) für die Jahre 1900–2100. Rechts: Projizierte Temperatur- (°C) und Nieder- schlagsänderungen (%) für 2070–2099 gegenüber 1980–2009 für Nord-und Mittelbünden (links) und die Bündner Südtäler und das Engadin (rechts) jeweils für Winter (oben) und Sommer (unten). Quelle: MeteoSchweiz (2012) 13
Das Bündner Klima wird sich im Verlaufe des 21. Jahr- Abb. A4: Vergangene und zukünftige Änderungen der Sommer- hunderts weiter verändern. Die Temperaturen werden und Wintertemperaturen (in °C) gezeigt am Beispiel von Chur (linke in allen Jahreszeiten um mehrere Grade ansteigen Spalte, Beobachtungen seit 1888) und Segl-Maria (rechte Spalte, (Abb. A4). Die Sommerniederschläge werden in der Beobachtungen seit 1864). Die Änderungen beziehen sich auf den zweiten Hälfte des Jahrhunderts im ganzen Kantons- Referenzzeitraum 1980–2009. Die dünnen farbigen Balken zeigen gebiet deutlich abnehmen, die Winterniederschläge in die jährlichen Abweichungen vom gemessenen Durchschnitt über den südalpin beeinflussten Gebieten hingegen eher den Referenzzeitraum, die dicken schwarzen Linien sind die zunehmen. Für die nordalpin geprägten Gebiete gibt entsprechenden über 30 Jahre geglätteten Durchschnittswerte. es im Winter kein eindeutiges Signal (Abb. A5). Im Die graue Schattierung gibt die Spannweite der jährlichen Abwei- Frühling und Herbst können die Niederschläge ge- chungen an (wie sie die Klimamodelle für das A1B Szenario mäss Modellaussagen sowohl zu- als auch abnehmen. berechnen); die dicken farbigen Balken zeigen die besten Schät- Für detaillierte Angaben zur zukünftigen Temperatur- zungen der Projektionen in die Zukunft und den damit verbunde- und Niederschlagsentwicklung im Kanton Graubünden nen Unsicherheitsbereich für die drei ausgewählten Zeiträume verweisen wir auf die beiden Publikationen «Klimabe- von 30 Jahren und für die drei verschiedenen Emissionsszenarien richt Kanton Graubünden 2012» (MeteoSchweiz 2012) (A1B, A2 und RCP3PD). und «Klimaszenarien Schweiz – eine regionale Über- Quelle: MeteoSchweiz (2012) sicht» (MeteoSchweiz 2013). Nord- und Mittelbünden Bündner Südtäler und Engadin Bsp. Chur 1888–2011 Bsp. Segl-Maria 1864–2011/12 14 Teil A
Bei der Interpretation dieser Klimaszenarien ist zu Abb. A5: Wie Abb. A4 aber für die Sommer- und Winternieder- bedenken, dass die aktuellen Treibhausgas-Emissionen schläge (in % gegenüber dem Wert 1980–2009). schneller wachsen wie angenommen. In Bezug auf Quelle: MeteoSchweiz (2012) die zu erwartenden Temperatur- und Niederschlags- veränderungen muss also – zumindest aus heutiger Sicht – vom negativsten der erwähnten Szenarien (A2) ausgegangen werden. Mit griffigen Massnahmen zur Reduktion der globa- len Treibhausgas-Emissionen, könnte die Erwärmung in Graubünden auf ca. 1,4 °C beschränkt werden (RCP3PD-Szenario). Im Gegensatz zu den anderen beiden Szenarien, wo keine Reduktionsmassnahmen ergriffen werden, würde der Temperaturanstieg also zwei bis drei Mal tiefer ausfallen. Zum Vergleich: +1,4 °C entspricht in etwa der bereits beobachteten Erwärmung zwischen 1864 und 2010. Alpennordseite Alpensüdseite Bsp. Chur 1888–2011 Bsp. Segl-Maria 1864–2011/12 15
Extremereignisse – Trockenperioden: Die meisten Modellrechnungen Der Klimawandel wird sich auf die Mittelwerte und sind sich einig, dass es zu einer Verlängerung der die Verteilungen der klimatischen Grössen und somit sommerlichen Trockenperioden kommen wird – die auch auf die Häufigkeit von Extremereignissen aus- Unsicherheiten bleiben jedoch gross (Werte zwischen wirken. Aufgrund der Modellrechnungen ist mit fol- -10 und +70 %). (mittel) genden Entwicklungen zu rechnen (CH2011, Meteo – Starkniederschläge: Gesicherte Aussagen über die zu- Schweiz 2012): künftige Häufigkeit und Intensität von Starknieder- schlagsereignissen sind momentan noch nicht mög- – Hitzewellen: Häufigkeit, Dauer und Intensität von lich (verschiedene Indizien deuten zwar auf eine Hitzewellen werden zunehmen. Gegen Ende des Jahr- Zunahme hin; die Modellresultate weisen aber nach hunderts könnte jeder zweite Sommer mindestens wie vor eine grosse Streuung auf). Da mehr Nieder- so warm sein wie jener von 2003 – der «Jahrhundert- schlag in Form von Regen fallen wird, ist im Winter- sommer» 2003 würde also gewissermassen zur Norm halbjahr mit einem höheren Überschwemmungsrisiko werden (Abb. A6). Weiter wird von einer grösseren zu rechnen. (mittel) jährlichen Variabilität der Sommertemperaturen aus- gegangen. (wissenschaftliches Prozessverständnis: Abb. A6: Oben: Beobachtete mittlere Sommertemperaturen (JJA) im hoch bis sehr hoch) schweizerischen Mittelland. Mitte/unten: Klimamodellrechnungen, – Kältewellen: Häufigkeit und Dauer von Kältewellen d. h. Nachrechnung für vergangenes Klima (Mitte) sowie Projektio- werden abnehmen. Es ist allerdings nicht ausge- nen für zukünftiges Klima gemäss IPCC SRES A2-Szenario (unten). schlossen, dass auch in Zukunft vereinzelt Kältewellen Die Temperaturen vom Sommer 2003 erscheinen gegenüber dem auftreten werden. (mittel bis hoch) bisherigen Klima extrem (oben), werden gemäss den Szenarioan- nahmen jedoch zum Normalfall (unten – nach S. 52, Figur TS.13, Schär et al., 2004). Quelle: OcCC 2008 (nach Schär et al. 2004) 16 Teil A
3 Auswirkungen auf den alpinen Tourismus Wintertourismus Wenn die 100-Tage-Regel erfüllt ist, bestehen gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Skibetrieb. Der alpine Winter- bzw. Skitourismus gilt als besonders Falsch wäre es, wie von Witmer (1986) suggeriert, die klimasensitiv. In keinem anderen Tourismusbereich 100-Tage-Regel als Indikator für die Beurteilung der sind die Verknüpfungen mit dem Klima so eng wie hier. Wirtschaftlichkeit eines Skigebiets zu verwenden. Das Schnee ist eine Grundvoraussetzung und kann zwar Vorhandensein einer ausreichend mächtigen Schnee- technisch hergestellt, aber nicht substituiert werden. decke während längerer Zeit ist zwar eine wichtige Hinzu kommt die grosse regionalwirtschaftliche Bedeu- Voraussetzung, bei weitem aber nicht der einzige tung des Skitourismus in vielen Berggebieten. Aus Faktor, der über Erfolg oder Nichterfolg eines Skige- dieser Perspektive ist es nicht weiter verwunderlich, biets entscheidet. In diesem Sinne wird die 100-Tage- dass nicht nur die ersten, sondern auch die meisten Regel auch von zahlreichen Skigebietsbetreibern in Studien, die sich mit den möglichen Auswirkungen Europa, Nordamerika und Neuseeland akzeptiert des Klimawandels auf den Tourismus befassen, über (Abegg et al. 2007, Scott et al. 2008, Hendrikx & den Skitourismus geschrieben wurden (vgl. Scott et al. Hreinsson 2012). 2012 für einen aktuellen Überblick über den For- schungsstand im Bereich Klimawandel und Tourismus). Die 100-Tage-Regel hat sich zu einem wertvollen Arbeitswerkzeug zur Analyse der natürlichen und Schneesicherheit technischen Schneesicherheit (ohne bzw. unter Be- Es gibt verschiedene Definitionen für Schneesicherheit. rücksichtigung der technischen Beschneiung) ent- Aus skitouristischer Sicht hat sich die sogenannte 100- wickelt. Mitunter wird die 100-Tage-Regel auch mit Tage-Regel durchgesetzt. In ihrer ursprünglichen Ver- weiteren Indikatoren ergänzt: Scott et al. (2008) sion besagt die Regel, dass «eine ökonomisch sinnvolle haben den «Weihnachtsindikator» eingeführt, Steiger Investition in Wintersportgebieten u. a. nur dann ge- & Abegg (2013) den «Saisonstart-Indikator». Sinn und geben ist, wenn während mindestens 100 Tagen je Zweck dieser zusätzlichen Indikatoren liegt darin, be- Saison eine Ausnützung der installierten Anlagen er- sonders kritische Perioden detaillierter zu analysieren. wartet werden kann, was nur mit einer Schneedecke Ein frühzeitiger Saisonstart – bei guten Bedingungen von genügender Mächtigkeit möglich ist» (Witmer notabene – hat positive Auswirkungen auf das Image 1986: 193). Diese Definition weist gewisse Unschärfen des Skigebiets, den Verkauf der Saisonkarten und das auf. Punkte, die vor einer konkreten Anwendung ge- Buchungsverhalten der Kunden. Weihnachten ist des- klärt werden müssen, betreffen z. B. die Festlegung halb kritisch, weil viele Skigebiete in der kurzen Zeit der minimal erforderlichen Schneehöhe sowie die De- über Weihnachten und Neujahr einen massgeblichen finition der Skisaison (100 Tage im Zeitraum von ... bis Anteil ihres Winterumsatzes erzielen. …). Weiters stellt sich die Frage, ob die 100-Tage- Regel in jedem Winter erfüllt sein soll. Oder ob, was wohl eher der Realität entspricht, schlechte mit guten Jahren kompensiert werden können, die 100-Tage- Regel also beispielsweise nur in 7 von 10 Wintern erfüllt sein muss (vgl. Abegg 1996). Bürki (2000: 42) spricht von einem schneesicheren Skigebiet, «wenn in 7 von 10 Wintern in der Zeit vom 1. Dezember – 15. April an mindestens 100 Tagen eine für den Skisport ausrei- chende Schneedecke von mindestens 30–50 cm vor- handen ist.» 17
Schneearme Winter Natürliche Schneesicherheit der Skigebiete Die natürlichen Schneeverhältnisse und damit auch In einer Studie der OECD werden 91 % der heute die natürliche Schneesicherheit in den Skigebieten bestehenden Skigebiete in den Alpen als natürlich sind starken jährlichen Schwankungen unterworfen. schneesicher (ohne Einbezug der technischen Be- Die Auswirkungen von schneearmen Wintern auf den schneiung) bezeichnet (Abegg et al. 2007). Bei einer Skitourismus wurden mehrfach untersucht (vgl. z. B. durchschnittlichen Erwärmung von +1 °C würde dieser Abegg und Froesch 1994, Dawson et al. 2009, Steiger Wert auf 75 % sinken. Bei +2 °C wären noch 61 %, bei 2011). Die Ergebnisse dieser Studien lassen sich wie +4 °C nur noch 30 % der Skigebiete natürlich schnee- folgt zusammenfassen: sicher. Sowohl als nationaler (Tab. A1) wie auch auf regionaler Ebene (Abb. A7) zeigen sich grosse Unter- – Schneearme Winter haben negative Auswirkungen schiede: Vereinfacht ausgedrückt werden Gebiete mit auf die Saisondauer, die Nachfrage und damit auf einem hohen Voralpenanteil früher und stärker das Geschäftsergebnis der betroffenen Skigebiete. betroffen sein als Gebiete in den Hochalpen. – Kleinere und tiefer gelegene Skigebiete sind in der Regel stärker betroffen wie grössere und höher gelegene Skigebiete; letztere können mitunter sogar profitieren. – In Skigebieten, wo die Auswirkungen von mehreren und über die Jahre verteilten schneearmen Wintern untersucht wurden, gehen die negativen Auswir- kungen tendenziell zurück. Diese Entwicklung wird dem Ausbau der technischen Beschneiung zuge- schrieben. Tab. A1: Zahl der natürlich schneesicheren Skigebiete unter heutigen und zukünftigen Klimabedingungen (nationale Ebene). Quelle: Abegg et al. 2007: 32 Anzahl Schneesicher +1 °C +2 °C +4 °C Land Skigebiete heute (≈2025) (≈2050) (≈2100) Deutschland 39 27 11 5 1 Frankreich 148 143 123 96 55 Italien 87 81 71 59 21 Österreich 228 199 153 115 47 Schweiz 164 159 142 129 78 Total 666 609 500 404 202 18 Teil A
Bei der Interpretation der OECD-Studie müssen fol- Fazit: Im nationalen bzw. regionalen Vergleich ist gende Einschränkungen beachtet werden: die natürliche Schneesicherheit der Schweizer bzw. Bündner Skigebiete relativ hoch. Die negativen Aus- – Die angewandte Methodik eignet sich für grossmass- wirkungen der Klimaerwärmung auf die natürliche stäbliche Vergleiche. Um Aussagen auf einzelbe- Schneesicherheit fallen entsprechend geringer aus. trieblicher Ebene machen zu können, müssen detail- lierte Analysen durchgeführt werden. – Die Ergebnisse sind wahrscheinlich sowohl zu optimis- tisch als auch zu pessimistisch. Zu optimistisch, weil die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die natürliche Schneesicherheit grösser ausfallen dürften (Steiger & Abegg 2013). Und zu pessimis- tisch, weil die technische Beschneiung – heute integraler Bestandteil in den meisten Skigebieten – nicht berücksichtigt wurde. Abb. A7: Zahl der natürlich schneesicheren Skigebiete unter heu- tigen und zukünftigen Klimabedingungen (regionale Ebene). Quelle: Abegg et al. 2007: 35 19
Technische Schneesicherheit der Skigebiete Abb. A8: Technische Schneesicherheit der österreichischen Skige- Untersuchungen, in welchen die technische Beschnei- biete in der Referenzperiode (1961–1990), bei einer Erwärmung ung als Anpassungsmassnahme an den Klimawandel von 1 °C (Mitte) und bei einer Erwärmung von 2 °C (unten). Die berücksichtigt wird, wurden u.a. in Australien (Hennessy verwendeten Indikatoren werden wie folgt definiert: et al. 2008), Kanada (Scott et al. 2003, 2007), Neusee- land (Hendrikx & Hreinsson 2012), Österreich (Steiger – 100-Tage-Regel: ≥ 30 cm Schnee während 100 Tagen pro Saison 2010) und den USA (Scott et al. 2008) durchgeführt. – Weihnachts-Indikator: ≥ 30 cm Schnee zwischen 22. Dez.– 4. Jan. Als Beispiel soll hier eine aktuelle Studie aus Öster- – Saisonstart-Indikator: ≥ 30 Schnee am 8. Dez. (Maria Emp- reich (Steiger & Abegg 2013) dienen. Wichtige Ergeb- fängnis – offizieller Saisonstart in vielen Skigebieten) nisse dieser Studie, in der die gegenwärtige und zukünftige natürliche und technische Schneesicher- Die Indikatoren müssen jeweils in 7 von 10 Jahren erfüllt sein. heit von 228 österreichischen Skigebieten untersucht Quelle: nach Steiger & Abegg (2013) wurde, können wie folgt zusammengefasst werden (vgl. auch Abb. A8): – In der Referenzperiode (1961–1990) können 78 % bzw. 96 % der Skigebiete als natürlich bzw. technisch schneesicher bezeichnet werden (Indikator: 100- Tage-Regel). – Bei einer Erwärmung von 2 °C wären noch 37 % bzw. 61 % der Skigebiete natürlich bzw. technisch schneesicher (Indikator: 100-Tage-Regel). – Von den drei Indikatoren ist der Saisonstart-Indikator am sensibelsten, gefolgt vom Weihnachtsindikator und der 100-Tage-Regel. Mit anderen Worten: je früher in der Saison, desto grösser sind die zu erwar- tenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die natürliche und technische Schneesicherheit. 20 Teil A
Schneesicherheit Referenzperiode Alle Indikatoren erreicht Dez. 8 nicht erreicht Niederösterreich Dez. 8 und Weihnachtsindikator nicht erreicht Kein Indikator erreicht Oberösterreich Salzburg Vorarlberg Steiermark Kärnten Tirol Erwärmung 1 °C Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Vorarlberg Steiermark Kärnten Tirol Erwärmung 2 °C Niederösterreich Oberösterreich Salzburg Vorarlberg Steiermark Kärnten Tirol 21
Die Studien aus den verschiedenen Ländern können der fortschreitenden Erwärmung auf die natürlichen nur beschränkt miteinander verglichen werden – zu Schneebedingungen zumindest teilweise auffangen. unterschiedlich sind die Schneemodelle, die zu Grunde Voraussetzung ist allerdings, dass im Vergleich zu liegenden Emissionsszenarien und Klimamodelle sowie heute mehr beschneit werden kann. die verwendeten Indikatoren. Ein paar allgemeine Schlüsse lassen sich aber dennoch ziehen: Der Klimawandel wird – wie auch von der OECD- Studie gezeigt – zu einem Rückgang der Zahl der – Gegenwart: In den meisten Fällen kann die Schnee- Skigebiete führen. Gleichzeitig kommt es zu einer Kon- sicherheit mit Hilfe der technischen Beschneiung ge- zentration auf die am besten geeigneten Standorte. währleistet werden. Mit der technischen Beschneiung können diese Pro- – Zukunft: Die klimatischen Voraussetzungen für den zesse zwar verzögert, aber nicht abgewendet werden. Einsatz von Beschneiungsanlagen (heutige Techno- Tiefer gelegene Skigebiete bzw. Gebiete, die bereits logie) werden sich verschlechtern. Dort, wo die Be- heute unter marginalen Bedingungen operieren (ver- schneiungsanlagen auch in Zukunft eingesetzt gleichsweise wenig Naturschnee, schlechte klimati- werden können, lassen sich die negativen Folgen sche Voraussetzungen für den effizienten Einsatz von Beschneiungsanlagen) werden besonders gefährdet sein. Stark betroffen – auch in höheren Lagen – sind die Saisonrandzeiten, insbesondere der Saisonauftakt mit den für den Geschäftserfolg so wichtigen Weih- nachtsferien. Hier wird es immer schwieriger bzw. auf- wendiger werden, Schneesicherheit zu garantieren. Fazit: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Schneesicherheit der Bündner Skigebiete werden im zweiten Teil dieses Berichts detailliert untersucht. Eines vorweg: In den meisten Bündner Skigebieten wird die technische Schneesicherheit auch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts gegeben sein – vorausgesetzt, es wird mehr beschneit. Schneilanze, © Savognin Bergbahnen AG 22 Teil A
Sommertourismus Dieses Zitat von Schweiz Tourismus (2010) bringt die weit verbreitete Erwartung zum Ausdruck, dass der «Mit der Klimaerwärmung wird es in vielen Ländern alpine Sommertourismus vom Klimawandel profitieren unerträglich heiss. Unsere Seen laden dann zum könnte. Konkret wird davon ausgegangen, dass … Bade und die Berge zum Geniessen der Bergfrische.» – sich die klimatischen Bedingungen für den Sommer- tourismus in der Schweiz verbessern; – sich die klimatischen Bedingungen für den Sommer- tourismus in den Badedestinationen des Mittelmeers verschlechtern; – und sich die touristische Nachfrage entsprechend ver- schieben wird. Im Folgenden werden die ersten beiden Punkte einer kritischen Würdigung unterzogen. Die potentiellen Auswirkungen auf die touristische Nachfrage folgen in Kap. 6 Klimawandel und Nachfrage. Familie beim Crestasee Flims, © Graubünden Ferien, Chur 23
Direkte Auswirkungen – Die wenigen verfügbaren Studien (z. B. Fleischhaker Die aktuellen klimatischen Bedingungen stellen nicht & Formayer 2007, Matzarakis et al. 2007, Krajasits & unbedingt einen Pluspunkt für den Schweizer Som- Schöner 2008), die tatsächlich auf eine Verbesse- mertourismus dar. In Zukunft können wir allerdings rung der klimatischen Voraussetzungen für den mit höheren Temperaturen und geringeren Nieder- alpinen Sommertourismus hindeuten, haben explo- schlagsmengen rechnen (vgl. Kap. 1). Dadurch könnte rativen Charakter. Sie werden weder der räumlichen sich die klimatische Eignung für den Sommertourismus Variabilität des Klimas noch der Vielfalt des Touris- verbessern. In diesem Zusammenhang müssen aber mus gerecht und müssen deshalb mit Vorsicht inter- auch folgende Punkte beachtet werden: pretiert werden. Für die Schweiz gibt es noch keine entsprechenden Untersuchungen. – Wintertourismus braucht in erster Linie Schnee; der – Aus der Sicht des alpinen Sommertourismus sind alpine Sommertourismus «schönes Wetter». Während höhere Temperaturen willkommen. Wichtiger dürfte die klimatischen Voraussetzungen für Schnee (auch aber sein, wie sich die zukünftigen Niederschläge für den technischen Schnee) klar definiert werden verteilen werden. Sollten Verhältnisse, wie sie im können, ist die Sache im Sommer etwas komplizierter. Sommer 2003 geherrscht haben, tatsächlich zur Norm Hier sind die Verknüpfungen zwischen Klima und werden, könnte das sehr wohl positiv sein. An dieser Tourismus weniger deutlich; das Angebot ist vielfäl- Stelle muss allerdings an die Unsicherheiten und den tiger und entsprechend unterschiedlich sind auch die Zeithorizont der Szenarien erinnert werden. Anforderungen an Wetter und Klima. Tab. A2: Entwicklung der Sommertemperaturen (°C) für ausge- wählte Bündner Stationen (A1B-Szenario). Quelle: MeteoSchweiz (2012) Station Heute 2035 2060 2085 Chur (556 m) 17,9 19,2 20,5 21,6 Disentis (1197 m) 14,5 15,8 17,1 18,2 Davos (1594 m) 11,4 12,7 14,0 15,1 Samedan (1709 m) 11,1 12,4 14,0 15,2 24 Teil A
Indirekte Auswirkungen und dem auftauenden Permafrost ist mit mehr Neben den direkten müssen auch die indirekten Aus- Steinschlag zu rechnen (Behm et al. 2006). wirkungen berücksichtigt werden. Mit den indirekten – Im Vorfeld abschmelzender Gletscher können sich Auswirkungen sind die klima-induzierten Umweltver- neue Seen bilden. Dieser Prozess wurde in den änderungen gemeint: z.B. der Gletscherschwund oder letzten Jahren mehrfach beobachtet (z. B. Trift-, das Auftauen des Permafrosts. Veränderungen im Gauli- und Rhonegletscher) und kann zu einer Wasserhaushalt und in der Vegetationszusammenset- Erhöhung des lokalen Naturgefahrenrisikos führen zung können den Tourismus ebenfalls beeinflussen. (z. B. Bergstürze in die Seen mit darauf folgenden Weiter stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein Flutwellen). Womöglich stellen diese Seen aber auch allfälliges Ansteigen des Naturgefahrenrisikos auf den eine neue Attraktion für den Tourismus dar. alpinen Sommertourismus hätte. Die naturwissen- – Skigebiete, welche den Gletscher in ihren Winterbe- schaftliche Literatur zu den klima-induzierten Umwelt- trieb integriert haben, müssen mit folgenden veränderungen füllt ganze Bibliotheken. Die Frage, was Herausforderungen rechnen: fehlender Schnee auf diese Veränderungen konkret für den Tourismus be- den stark ausgeaperten Gletschern zum Saisonauf- deuten könnten, bleibt aber weitestgehend unbeant- takt, schwieriger Übergang von der Bergstation auf wortet – abgesehen von der pauschalen Einschätzung, die Gletscherpisten, Probleme mit der Verankerung dass die klima-induzierten Umweltveränderungen für von Anlagen im Eis etc. (Serquet & Thalmann 2012). den Tourismus negativ zu beurteilen sind. Im Folgen- – Unbekannt ist, wie sich der Gletscherschwund auf den werden die möglichen Auswirkungen des Gletscher- die Wahrnehmung der Touristen und das Image der schwundes – als klassisches Beispiel einer klima-indu- Schweizer Alpen auswirken wird. Aus heutiger Sicht zierten Umweltveränderung – detaillierter angeschaut. sind mehrheitlich eisfreie Alpen kaum vorstellbar. Wenn es tatsächlich so weit kommen sollte, so die Der Gletscherschwund wird weitergehen. Je nach Sze- gängige Argumentation, wären die Alpen nur noch nario ist bis zum Ende dieses Jahrhunderts von einem halb so attraktiv. Das mag vielleicht für aktuelle Zeit- Verlust von 60 bis 80 % der heute in der Schweiz genossen gelten. Zukünftige Besucher, die heute vorhandenen Gletscherfläche auszugehen (Linsbauer womöglich noch nicht einmal geboren sind, werden et al. 2012). Mögliche Auswirkungen aus touristischer die Landschaft aber vermutlich mit anderen Augen Sicht sind: betrachten. – Der Gletscherrückgang wird den Charakter der alpinen Hochgebirgslandschaften verändern. Der Zugang zu den Gletschern wird beschwerlicher und der Unterhalt von Attraktionen im «ewigen Eis» (z.B. Gletschergrotte auf dem Titlis) immer aufwen- diger. Wo Klimawandel und Gletscherschwund the- matisiert werden, können aber auch neue Angebote geschaffen werden (z.B. Gletscherpfad Silvretta und Klimaweg Muottas Muragl). – Die mit dem Eisrückgang verbundenen Landschafts- veränderungen werden den Alpinismus beeinflus- sen: gewisse Routen werden schwieriger, andere müssen neu angelegt werden. Probleme können sowohl bei den Übergängen Fels – Eis als auch bei den Zugängen zu den Schutzhütten auftreten. In Kombination mit höheren Sommertemperaturen 25
Abb. A9: Die Volumenveränderung (km3) des Silvretta-Gletschers Weniger gut sichtbar, aber nicht minder bedeutend ist von 1900 bis 2100. die zukünftige Verbreitung des Permafrosts. Langzeit- Quelle: BAFU 2012 studien im Kanton Graubünden (Piz Corvatsch) haben gezeigt, dass der Permafrost sowohl auf die steigen- Bemerkung: In Graubünden, wo 90 % der Gletscher kleiner als den Temperaturen wie auch auf die Menge und den 1 km2 sind, werden in den nächsten Jahrzehnten viele Gletscher Zeitpunkt des Schneefalls reagiert – Aussagen zu den ganz verschwinden (Bauder & Funk-Salami 2009). Auswirkungen des Klimawandels auf den Permafrost sind daher schwierig. Mögliche Folgen wurden im Sommer 2003 sichtbar: Die zahlreichen Felsstürze, die von Juni bis August 2003 beobachtet werden konnten, gelten gemeinhin als Anzeichen für die rasche Desta- bilisierung von steilen Permafrosthängen bei starker Erwärmung. In Kombination mit Starkniederschlägen Silvretta, Foto: Archiv VAW/ETH Zürich (A. Bauder) 26 Teil A
können auch vermehrt Murgänge auftreten. Das er- Fazit: Es ist davon auszugehen, dass der Bündner fordert neue Schutzbauten und eine Anpassung der Sommertourismus von einer absoluten (höhere Tem- Gefahrenplanung (vgl. Pontresina). Weiter ist von peraturen, weniger Niederschlag, längere Saison) negativen Auswirkungen auf die Stabilität von Bauten und einer relativen Verbesserung (im Vergleich zu im Hochgebirge (Seilbahnanlagen, Lawinenverbau- den vermehrt hitzegeplagten Ballungszentren im ungen etc.) auszugehen (Keller & Wachler 2008). Alpenvorland) der klimatischen Bedingungen profi- tieren kann. Diese Verbesserung der klimatischen Wird es am Mittelmeer wirklich zu heiss? Bedingungen ist aller Voraussicht nach höher zu ge- Die World Tourism Organization hat den Mittelmeer- wichten wie potentiell negative Auswirkungen der raum zum «destination vulnerability hotspot» erklärt klima-induzierten Umweltveränderungen. (UNWTO/UNEP/WMO 2008). Hier könnte es – so die gängige Auffassung – im Zuge des Klimawandels zu heiss werden. Verschiedene Eignungsuntersuchungen haben nämlich gezeigt, dass sich die klimatische At- traktivität verringern wird (Amelung & Viner 2006, Amelung et al. 2007 etc.). Hinzu kommt, dass ver- mehrt Hitzewellen, Wasserknappheit und Waldbrän- de auftreten könnten (Perry 2006). Aber auch hier ist eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation der besagten Studien geboten: – Die klimatische Attraktivität wird mit so genannten Klima-Tourismus-Indikatoren analysiert. Diese Indi- katoren beziehen sich in der Regel auf «ideale klima- tische Verhältnisse»und«durchschnittliche Touristen». Da sich die klimatischen Präferenzen von Tourist zu Tourist stark unterscheiden (z. B. je nach Alter und Aktivität etc.), machen solche Verallgemeinerungen nur beschränkt Sinn (Scott et al. 2008). – Im Weiteren stellt sich die Frage, was mit dem Begriff «zu heiss» gemeint ist. Gewisse Orte (z. B. Antalya und Larnaca) werden bereits heute als «zu heiss» taxiert, behaupten sich aber nach wie vor erfolgreich auf dem Markt. Neuere Studien (Moreno 2010, Rutty & Scott 2010) weisen denn auch darauf hin, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf den Mittelmeertourismus komplexer (und vermutlich auch weniger negativ) sein werden wie ursprünglich angenommen. 27
4 Der Beitrag des Tourismus zum Klimawandel Die CO2-Emissionen des globalen Tourismus werden Fazit: Der Tourismus – auch der Bündner Touris- auf 1307 Millionen Tonnen geschätzt (2005). Das mus – ist für bedeutende CO2- bzw. Treibhausgas- entspricht einem Anteil von knapp fünf Prozent am Emissionen verantwortlich. Mit Abstand wichtigste globalen CO2-Ausstoss. 75 Prozent der touristischen Emissionsquelle ist der touristische Verkehr, insbe- CO2-Emissionen gehen auf das Konto des Verkehrs sondere die An- und Abreise der Gäste. (40 % Flugverkehr, 32 % Strassenverkehr, 3 % andere). Der Rest verteilt sich auf die beiden Kategorien Unter- künfte (21 %) sowie Aktivitäten vor Ort (4 %) (UNWTO/ Abb. A10, Seite 29 oben: Treibhausgas-Emissionen pro Person UNEP/WMO 2008). Für den Schweizer Tourismus liegen und Tag für verschiedene Tagesausflüge ab Zürich. folgende Angaben vor (Sesartic & Stucki 2007, Perch- Quelle: nach Zegg et al. 2010 (Stucki & Jungbluth 2010) Nielsen et al. 2010): – Die Treibhausgas-Emissionen des Schweizer Touris- mus werden auf 2.29 Millionen Tonnen CO2-Äquiva- lente geschätzt. Das entspricht einem Anteil von 5.2 % am schweizerischen Treibhausgas-Ausstoss (1998). – Der Schweizer Tourismus ist sehr «treibhausgas-in- tensiv»: Die Emissionen pro Franken Wertschöpfung Abb. A11, Seite 29 Mitte: Treibhausgas-Emissionen pro Person (Gramm CO2-Äquivalente/CHF) sind rund viermal und Tag für ausgewählte Gästesegmente auf der Lenzerheide. so hoch wie für die schweizerische Wirtschaft im Mittel (Mittelwert über alle Branchen). Bemerkung: Je nach Unterkunftskategorie (Ferienwohnung, Mittel- – Die hohe Treibhausgas-Intensität hängt in erster klassehotel, Luxushotel) fallen unterschiedlich hohe Treibhausgas- Linie mit dem Luftverkehr zusammen. Der Luftver- Emissionen an. kehr ist für 80 % der touristischen Treibhausgas- Quelle: nach Zegg et al. 2010 (Stucki & Jungbluth 2010) Emissionen verantwortlich und zeichnet sich durch die höchste Treibhausgas-Intensität aller Tourismus- Subsektoren aus. – 87%der touristischen Treibhausgas-Emissionen gehen auf das Konto des Verkehrs (ohne motorisierten Indi- vidualverkehr). Der Rest verteilt sich auf die Unter- künfte (10 %) und die Aktivitäten (3 %). – Die obigen Aussagen sind mit zahlreichen Unsicher- Abb. A12, Seite 29 unten: Treibhausgas-Emissionen pro Person heiten (z. B. Systemabgrenzung, Datenverfügbarkeit und Woche für verschiedene Ferienarten ab Bern. etc.) behaftet und müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Allen Studien (auch den hier nicht erwähn- Bemerkung: Mit der Kategorie «Aktivitäten» (rot) ist das Ski- ten) ist jedoch gemein, dass der Grossteil der touris- fahren auf der Lenzerheide, das Heliskiing in Kanada, das Tauchen tischen CO2- bzw. Treibhausgasemissionen dem Ver- in Ägypten, aber auch die eigentliche Kreuzfahrt auf dem Mittel- kehr zugeordnet werden kann. Die herausragende meer etc. gemeint. Je nach Unterkunftskategorie (Ferienwohnung, Bedeutung des Verkehrs kommt auch in den Abb. Mittelklassehotel, Luxushotel) fallen unterschiedlich hohe Treib- A10–A12 zum Ausdruck. hausgas-Emissionen an. Quelle: nach Zegg et al. 2010 (Stucki & Jungbluth 2010) 28 Teil A
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5 Anpassungs- und Verminderungs- massnahmen im Tourismus Anpassungsmassnahmen Technische Anpassungsmassnahmen Im Folgenden werden ausgewählte Anpassungsmass- Beschneiung nahmen im alpinen Tourismus vorgestellt. Die ver- Mit dem Einsatz von Beschneiungsanlagen werden fügbare Literatur bezieht sich in erster Linie auf die verschiedene Ziele verfolgt (Steiger & Mayer 2008). Sicherung des Winter- bzw. Skitourismus (vgl. Abegg Vor dem Hintergrund der zu erwartenden klimati- et al. 2007 und Scott & McBoyle 2008) – daher auch die schen Veränderungen geht es in erster Linie um eine thematische Gewichtung der nachfolgenden Aus- Sicherung des Skibetriebs und um eine Aufrechterhal- führungen. Wir unterscheiden zwischen technischen tung der Saisondauer. und nicht-technischen Massnahmen. Die Beschneiung wird hier nur kurz abgehandelt – eine ausführliche Dis- Wie die Erfahrungen aus den schneearmen Wintern kussion folgt im zweiten Teil dieses Berichts. und die Ergebnisse aus den Modellrechnungen zeigen, ist das Potential der technischen Beschneiung gross. Aber auch sie wird im Zuge der fortschreitenden Erwär- mung auf klimatische Grenzen stossen. Hinzu kommt, dass die künftige Schneesicherheit nur gewährleistet werden kann, wenn mehr Schnee auf grösserer Fläche in kürzerer Zeit produziert werden kann. Das bedeutet mehr Beschneiungsanlagen, höherer Ressourcenein- satz und – last but not least – höhere Kosten (Abegg 2012). Für eine ausführliche Diskussion der techni- schen Beschneiung müssen also neben den klimati- schen Grenzen und den ökologischen Auswirkungen auch der Ressourceneinsatz (Wasser und Strom) und die finanziellen Auswirkungen (Investitions- und Be- triebskosten, Finanzierung etc.) thematisiert werden. Und schliesslich stellt sich noch die Frage, wie die Touristen einem deutlichen Ausbau der technischen Beschneiung gegenüberstehen würden. Gletschermühlen Alp Mora bei Trin, © Graubünden Ferien, Chur 30 Teil A
Pisten- und Schneemanagement Konzentration auf Gunsträume Ziel dieser Massnahmen ist es, möglichst haushälterisch Ziel dieser Massnahmen ist es, den Skibetrieb auf die mit dem vorhandenen Schnee – natürlich oder tech- am besten geeigneten Standorte zu konzentrieren. nisch erzeugt – umzugehen. Dazu zählen eine sorgfäl- Dazu zählen die Vermeidung von süd- bzw. die Be- tige Pflege der Pisten, eine allfällige Beschattung der vorzugung von nordexponierten Hängen, die Kon- Pisten, die Errichtung von Schneezäunen sowie das zentration auf die höher gelegenen, aber bereits er- Anlegen von Schneedepots. schlossenen Teile eines Skigebietes sowie die Expansion in bis anhin noch unerschlossene, möglichst hochge- Massnahmen, welche in Zukunft an Bedeutung ge- legene Geländekammern inklusive Gletscher. winnen dürften, sind die GPS-gestützte Pistenpräpa- ration sowie das Anlegen von Schneedepots in höher Die Konzentration auf skitouristische Gunsträume, gelegenen Wintersportorten, auf Skipisten und Glet- insbesondere die Konzentration auf die höher gelege- schern. Der Schnee wird mit Folien oder Sägespänen nen Teile, ist eine relativ weit verbreitete Strategie. zugedeckt – Ziel ist eine«Übersommerung» des Schnees. Hierzu müssen folgende Einschränkungen gemacht Erste Versuche (z. B. in Davos) zeigen, dass ein Teil des werden: Schnees – abhängig von Höhenlage bzw. Abdeckme- thode – konserviert und zu Beginn der neuen Saison – In vielen Skigebieten ist die «Flucht nach oben» gar wieder eingesetzt werden kann. Positiv ist die Strom- nicht möglich, weil das zur Verfügung stehende (Beschneiung) und Treibstoffersparnis (Pistenfahrzeu- Höhenintervall bereits voll ausgeschöpft wird. ge), negativ die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. – In höheren Lagen muss mit häufigeren Betriebsun- terbrüchen (Wind und Wetter), allenfalls auch mit Landschaftseingriffe einer erhöhten Lawinengefahr gerechnet werden. Ziel dieser Massnahmen ist es, die für den Skibetrieb – Die Hochgebirgserschliessung ist mit einem grossen erforderliche Mindestschneehöhe – natürlich oder technischen und finanziellen Aufwand verbunden. technisch erzeugt – zu reduzieren. Weiters wird die Oftmals stehen die Ausbaupläne auch im Wider- Pistenpräparation erleichtert. Zu den häufigsten Land- spruch zu bestehenden Natur- und Landschafts- schaftseingriffen zählen die Trockenlegung von Feucht- schutzbestimmungen. gebieten, die Beseitigung von Hindernissen sowie die klein- und grossflächige Planierung von Skipisten. Die Verbindung von benachbarten Skigebieten, die Erschliessung von unberührten Geländekammern so- Landschaftseingriffe, insbesondere grossflächige Planien, wie die Planung von neuen Skigebieten sind stark führen zu einer Veränderung des Landschaftsbildes, umstritten. Dabei wird auf den stagnierenden Skifah- zu einer Verarmung der Vegetation und zu einer Ver- rermarkt verwiesen. Hinzu kommt, dass Neuschlies- stärkung der Erosion. In den bayerischen Skigebieten sungen nicht nur unberührte, sondern oftmals auch wurde beispielsweise festgestellt, dass 63 % aller geschützte Gebiete tangieren. Erosionsschäden auf modifizierten Pistenabschnitten (= 27 % der Pistenfläche) auftreten (Dietmann & Kohler 2005). Grossflächige Planien werden denn auch als be- sonders schädigende Massnahme bezeichnet (Wipf et al. 2005). Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Landschaftseingriffe – nicht zuletzt auch im Zusam- menhang mit dem Ausbau der technischen Beschnei- ung – zunehmen wird. 31
Eine besondere Rolle spielen die Gletschergebiete. Lan- Nicht-technische Massnahmen ge Zeit galten die Gletscher – sommers wie winters – als Schneegaranten. Mittlerweile ist der Gletscher- Finanzielle Unterstützung schwund so weit fortgeschritten, dass das in den Ziel dieser Massnahmen ist es, den (Ski-)Betrieb mit 1970er und 80er Jahren aufgekommene Sommerski- öffentlichen Geldern zu unterstützen. Dazu gehören fahren – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – einmalige oder wiederholte Betriebszuschüsse, aber wieder verschwunden ist. Im Winter zeigt sich ein auch die Vermittlung und Vergabe von Darlehen zu differenzierteres Bild: Auf der einen Seite können günstigen Konditionen sowie die direkte Beteiligung Gletscher, wie die Erfahrungen aus den schneearmen an den Bahnen. Mit den Geldern wird der Betrieb er- Wintern beweisen, einen Wettbewerbsvorteil dar- möglicht, werden Defizite gedeckt und Erneuerungs- stellen. Auf der anderen Seite wird es immer aufwen- anlagen finanziert. Immer öfters fliessen die Gelder in diger, den Betrieb auf den schwindenden Eismassen den Ausbau der Beschneiungsanlagen. aufrechtzuerhalten. Da immer mehr Flächen eisfrei werden bzw. viele Gletscher über den Sommer voll- Es gibt zahlreiche Beispiele für die finanzielle Unter- ständig ausapern, braucht es immer mehr Schnee, um stützung von Seilbahnunternehmen. In der Regel den Betrieb im Herbst/Frühwinter aufzunehmen. In werden immer wieder die gleichen Argumente für die der Zwischenzeit sind einige Skigebietsbetreiber dazu Einforderung bzw. die Gewährung dieser Unterstüt- übergegangen, die Gletscher zu beschneien – auf dem zung vorgebracht: Die Bahnen bilden das Rückgrat Pitztaler Gletscher (Österreich) gar mit dem «IDE All des touristischen Angebots und sind deshalb von Weather Snowmaker», einer temperaturunabhängigen grosser regionalwirtschaftlicher Bedeutung. Problema- Beschneiungsanlage. Mitunter werden auch Folien tisch ist, dass es an klaren Kriterien für die Überprüfung und Vliese ausgelegt. Damit soll der Eiszerfall redu- dieser Argumente und für die Vergabe von öffentlichen ziert werden. Die Erfahrungen zeigen, dass dieses Ziel Geldern mangelt (z. B. klarer Nachweis der regional- auch erreicht werden kann (Olefs & Fischer 2008) – zu- wirtschaftlichen Bedeutung und der längerfristigen mindest vorübergehend, mittelfristig ist eine solche Überlebensfähigkeit – nicht zuletzt auch im Hinblick «Pflästerli-Politik» aber keine Lösung. auf die zu erwartenden klimatischen Veränderungen). In Zukunft dürfte der Ruf nach finanzieller Unterstüt- zung – wenngleich diese Forderung auch in der Branche umstritten ist (Stichwort: Marktverzerrung) – noch lauter werden. Einerseits werden die betroffenen Bahnen noch stärker auf ihre vermeintliche oder tatsächliche regional- wirtschaftliche Bedeutung pochen. Andererseits können sie die Beschneiung zur Grundausstattung einer Winter- sportdestination erklären – mit dem Argument, dass alle, die davon profitieren (Gemeinde, Hotellerie, Einzel- handel etc.) auch dafür aufkommen sollen. Zwei Befra- gungen von Seilbahnunternehmen liefern die entspre- chenden Beispiele: – 35 % der befragen schweizerischen Seilbahnunter- nehmer streben eine höhere Kostenbeteiligung durch die Gemeinde und/oder den Kanton an (Abegg et al. 2008). – 75 bzw. 90 % der befragten österreichischen Seil- bahnunternehmer betrachten Subventionen und eine 32 Teil A
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