Hessischer Städteatlas Grünberg - Lieferung II,1 Textheft Herausgeberin: Ursula Braasch-Schwersmann - Landesgeschichtliches ...
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Hessischer Städteatlas Lieferung II,1 Grünberg Textheft Herausgeberin: Ursula Braasch-Schwersmann Bearbeiterin: Andrea Pühringer Marburg 2005 Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde
Ansicht der Stadt Grünberg, Federzeichnung von Jakob Konrad Justus, 1743, Magistrat der Stadt Grünberg Siegel der Stadt Grünberg, 1244, Umschrift: + S(IGILLVM) VNIVERSITATIS BVRGENSIVM IN GRVNBERC, Durchmesser: 80 mm, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. A II Marburg, Deutscher Orden, 1244 Febr. 4 Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek über http://dnd.ddb.de abrufbar Gedruckt aus Mitteln des Landes Hessen ISBN 3-87707-647-5 © Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2005 Druck: VDS Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch
Inhalt I. Historischer Abriss I. Historischer Abriss 3 1. Entstehung und Entwicklung der Stadt 1. Entstehung und Entwicklung der Stadt bis bis zum 16. Jahrhundert zum 16. Jahrhundert 3 2. Das 17. und 18. Jahrhundert 17 Im Bereich der westlichen Ausläufer des Vorderen 3. Das 19. und 20. Jahrhundert 24 Vogelsbergs entstand in der zweiten Hälfte des 12. 4. Jüdische Einwohner in Grünberg 29 5. Bevölkerungszahlen vom Mittelalter bis zum Jhs. die Stadt Grünberg. Auf dem sogenannten 21. Jahrhundert 31 Grünen Berg – einer von Löß überlagerten Basalt- 6. Wirtschaft, Gewerbe und Beschäftigungs- kuppe – entwickelte sich die Siedlung auf einem struktur in der Neuzeit 31 Plateau, das sich von Norden und Westen leicht 7. Heutige Stadtteile 32 senkt, während es im Osten steil zum Brunnental II. Siedlungstopographische Entwicklung vom und im Südwesten zu Baumgarten und Eisweiher Mittelalter bis zur Mitte des hin abfällt. Aufgrund seiner verhältnismäßig expo- 19. Jahrhunderts (1839/43) 33 nierten Lage handelt es sich eindeutig um eine 1. Von den Anfängen der Siedlung bis um 1200 33 typisch hochmittelalterliche Gründung der staufer- 2. 13. und 14. Jahrhundert – Stadtwerdung und zeitlichen Stadtgründungswelle zwischen 1170 und Stadtentwicklung 34 1250, die mehreren Zwecken diente1. Zum einen 3. Vom Spätmittelalter bis zur Mitte des war Grünberg die südlichste Stadt im Machtbereich 19. Jahrhunderts (1839/43) 37 der Thüringer Landgrafen aus der Familie der III.Siedlungstopographische Entwicklung von der Ludowinger und sollte die Herrschaftsansprüche Mitte des 19. Jahrhunderts (1839/43) bis zum der Mainzer Erzbischöfe einschränken2. Zum ande- Beginn des 21. Jahrhunderts 41 ren lag der Ort strategisch günstig an der alten Fern- 1. Die zweite Hälfte des 19. und die erste Hälfte verkehrsstraße durch die Kurzen Hessen, die von des 20. Jahrhunderts (1839/43 bis 1945) 41 Frankfurt über Hersfeld nach Thüringen ging. Die 2. Von 1945 bis 2005 43 Trasse dieser Straße verlief ursprünglich ca. 1,5 km IV. Erläuterungen zum Kartenwerk, Aufbau der östlich am späteren Stadtgebiet vorbei, wurde aber Karten und Hinweise zu ihren Quellen 45 nach der Gründung Grünbergs durch die Stadt 1. Katasterkarte 1839/43, 1:2.500 45 gelegt3. Ob die antreibenden Motive für die Stadt- 2. Entwicklungskarte des Ortes vom Mittelalter gründung allerdings eher in der staufischen Wetter- bis 1839/43, 1:2.500 46 aupolitik4 oder doch eher in der thüringischen Ter- 3. a) Umlandkarte 19. Jahrhundert (1823/40), ritorialpolitik5 zu suchen sind, ist bisher nicht hin- 1:25.000 47 reichend geklärt und muss hier ebenso dahin b) Umlandkarte und Entwicklung der Stadt gestellt bleiben wie die Frage nach der angenomme- von 1839/43 bis 2005, 1:25.000 48 4. Stadtkarte 2005, 1:5.000 49 nen karolingischen Curtis6. Beides ist weder durch 5. Übersichtskarte Hessen, 1:750.000 schriftliche Quellen noch archäologische Funde Legende zur Urkatasterkarte, 1:2.500 49 bzw. Befunde belegt7. Gegen eine Curtis spricht vor V. Gebäudeverzeichnis 50 VI. Literatur 57 1. Quellen 57 1 HESS, Städte S. 118. 2. Darstellungen 58 2 Die Zweifel, ob es sich nicht doch um landgräflichen Allo- dialbesitz gehandelt haben könnte, scheinen in der Zwi- VII. Abbildungen 63 schenzeit ausgeräumt zu sein. Vgl. dazu MÜLLER, Ämter S. 21-23, der eine Hundertschaft in Queckborn als Vor- gänger des Gerichts annahm, das nach der Errichtung der * Für die ideelle und finanzielle Unterstützung bei der Bearbeitung der Burg ins Zentrum verlegt wurde. Dagegen spricht sich je- vorliegenden Stadtmappe danken wir dem Magistrat der Stadt Grün- berg, hier insbesondere Herrn Bürgermeister Frank Ide sowie seinem doch UHLHORN, Untersuchungen S. 139, aus, der auf die Amtsvorgänger Siegbert Damaschke. Für zahlreiche Hinweise und Ähnlichkeiten mit Frankenberg verweist, wo ebenfalls die Hilfestellungen aus der Stadtverwaltung und der Bevölkerung Grün- Rechtsgrundlage unsicher ist; vgl. auch PATZE, Entstehung bergs sei stellvertretend gedankt: Karin Bautz, Mareike Hoff, Wolfgang S. 323; HESS, Städtegründungen S. 41. Zur Städtepolitik der Hofheinz, Werner Keil und Prof. Heinrich Sprankel. Prof. Hans Hein- Ludowinger in Hessen vgl. jetzt MÜLLER, Städte S. 327-340. rich Kaminsky stellte freundlicherweise sein im Druck befindliches 3 HESS, Städtegründungen S. 45, 49. Manuskript „Zur Bedeutung Grünbergs in Politik, Wirtschaft und 4 KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 30. Kultur des Spätmittelalters“ zur Verfügung ebenso wie dies Herr Dr. 5 Vgl. HESS, Städtegründungen S. 47 und KÜTHER, Burg- Dieter Griesbach-Maisant und seine Mitarbeiter Reinhold Schneider gründung S. 27-36; allg. dazu KROPAT, Reich. und Martina Weißenmayer mit den Daten aus „Kulturdenkmäler in 6 Hessen, Band Kreis Gießen“ in unkomplizierter und kollegialer Zu diesen Fragestellungen siehe ausführlich HESS, Städte- Hilfsbereitschaft taten. Das Amt für Bodenmanagement und Geoin- gründungen sowie KÜTHER, Burggründung. 7 formation Marburg (ehemals Katasteramt Gießen) stellte dankenswer- PATZE, Geschichte S. 70-72, 83-84. Der gesamte Bereich terweise die digitalen Kartengrundlagen zur modernen Stadtkarte bereit. zwischen Kesselbach, Annerod, Lich (Wüstung Hausen) 3
Hessischer Städteatlas – Grünberg allem die Tatsache, dass Grünberg eben nicht direkt Erzählt die Reinhardsbrunner Chronik bereits 1194 an den Kurzen Hessen lag, sondern diese alte Fern- von der Zerstörung der „civitas“ [civitatem lantgravii verkehrsverbindung erst nachträglich nach Grün- Grunenberg], so bezeichnet Wigand Gerstenberg berg hin umgeleitet wurde8. Dass es sich bei dem den Ort in seiner Frankenberger Stadtchronik als Gebiet Grünbergs um ein Gebiet des Mainzischen Flecken 14. Für 1217 ist dann ein Pfarrer, Ekehardus Johannesstiftes und nicht wie Küther meint, um plebanus de Grunenberc, belegt und schon davor, Reichsbesitz gehandelt hat, zeigte sich ex post aus nämlich 1214, sind zwei landgräfliche Ministerialen dem Frieden von Langsdorf 1263, in dem sich das aus der Familie der Schenken zu Schweinsberg ver- Erzstift die Lehenshoheit über Grünberg verbriefen mutlich als Burgmannen genannt15. Vor 1222 ließ. Es müssen also ältere Anrechte der Mainzer begründete der Orden der Antoniter in der Stadt vorhanden gewesen sein, die die damalige hessische eine Niederlassung, was gleichzeitig ein Beleg für Landgräfin Sophie nicht ignorieren konnte9. die günstige Verkehrslage Grünbergs ist16. Die civi- Lassen sich zwar die Anfänge der Stadt – nicht tas selbst ist 1222 in einer vor dem Stadtgericht voll- gerade untypisch für diese Zeit – nicht gänzlich zogenen Güterschenkung durch Wezzilo von Nidda rekonstruieren, so sind doch folgende Anhaltspunkte an das Kloster Arnsburg erstmals urkundlich fass- gegeben: Vermutlich um 1170/80 gegründet, ent- bar, die mit dem städtischen Sekretsiegel beglaubigt standen etwa gleichzeitig Burg und Siedlung, da die war (sigillum civitatis Gruninberc)17. Wenn bereits Burg auf dem relativ flachen Plateau erst durch die zu diesem Zeitpunkt das Stadtgericht über einen vorgelagerte Siedlung hinreichenden Schutz erhielt. derart ins Umland ausgreifenden Gerichtssprengel Es handelte sich also um eine geplante Stadtgrün- verfügte, ist anzunehmen, dass die Stadt schon eine dung. Eine dörfliche Vorgängersiedlung ist mög- Zeit davor bestand und über gewisse Zentralitäts- lich, wenn auch wenig wahrscheinlich10. Dagegen funktionen verfügte18. Im Jahre 1227 sind dann ein spricht vor allem, dass es selbst über die Bevöl- Schultheiß und sechs Burgmannen genannt19. kerung und den Zuzug Grünbergs wenige Belege Eine eigene Münzstätte wurde bereits um 1230 gibt. Es existieren um Grünberg mit der Ausnahme eingerichtet, wobei nicht nur einseitige Brakteaten, des wenig bekannten Eschersdorf11 weder Wüstun- sondern auch zweiseitige Pfennige geprägt wur- gen, noch sind einzelne Dörfer bzw. Dorfgemein- den20. Die zweiseitigen Pfennige aus der Wetterau schaften zugezogen, wie es etwa im Falle des benachbarten Laubach bekannt ist, das von einem regelrechten Wüstungsgürtel umgeben ist. Dem- 14 HOLDER-EGGER, Cronica S. 553; DIEMAR, Chroniken S. 409. nach scheint die These des Einzelzuzugs aus umlie- Gerstenberg bezeichnet auch Marburg als Flecken, ebd. 15 genden Gebieten und Dörfern nach Grünberg am WYSS, UB Deutschordens-Ballei 1 Nr. 49; DOBENECKER, Regesta 2 Nr. 1585, S. 290. Laut KAMINSKY, Bedeutung plausibelsten12. Anm. 41, handelte es sich dabei vermutlich um Burgman- Grünberg wird in den Quellen erstmals für 1186 nen. Guntram ist einer der Leitnamen der Schweinsberger. Ein Guntram war ab 1239 der Schenk von Landgräfin genannt, als die Zerstörung des castrum Gruninberc Sophie, vgl. zu den Brüdern Guntram und Ludwig GRO- in der Erfurter Peterschronik erwähnt wurde13. TEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 13, 18, 23, 24, 39 und FRANZ, Haina 1 Nrn. 12, 56, 59, 82, 121, 165; BITSCH, Verpfändungen S. 124. 16 ECKHARDT, Klöster Nr. 183. 1222 ist die Niederlassung und Flensungen weist keine karolingerzeitlichen Funde der Antoniter in Tempzin erwähnt, die von Grünberg aus oder Befunde auf und kann als praktisch siedlungsleer gel- begründet wurde. Demnach fällt die Gründung der Grün- ten; vgl. DAHMLOS, Funde, Karte der Fundstellen. Zumin- berger Niederlassung an den Beginn des 13. Jhs. Die dest für das Stadtgebiet Grünbergs hat sich in dieser Hin- Behauptung WINKELMANNS, das Kloster sei bereits 1193 sicht bis heute nichts geändert, frdl. Auskunft von Dr. Udo erbaut worden, ist nicht belegbar. WINKELMANN, Beschrei- Recker, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Abt. Archä- bung S. 197. Vgl. dazu auch KAMINSKY, Bedeutung Anm. ologie und Paläontologie, vom 12. Aug. 2005. 43, der sich auf das Handbuch der Mainzer Kirchen- 8 geschichte bezieht. Zu letzterem vgl. Kap. II. und HESS, Städtegründungen S. 45. 9 17 Vgl. HESS, Städtegründungen S. 44; GROTEFEND/ROSEN- Vgl. HESS, Städtegründungen S. 38-39, Siegelbeschreibung FELD, Regesten Nrn. 77-79; KÜTHER, Burggründung ebd.; vgl. auch den Abdruck von 1244 auf der Atlasmappe. S. 41-42; KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 40; DOBEN- Abdruck der Urkunde bei GLASER, Beiträge Nr. 1. 18 ECKER, Regesta 3 Nr. 3106. HESS, Städtegründungen S. 52; zum Gericht WEISS, 10 Gerichtsverfassung S. 202-203. HESS, Städtegründungen S. 52. 11 19 WYSS, UB Deutschordens-Ballei 2 Nr. 382: in campo Eßirs- WÜRDTWEIN, Dioecesis Moguntina 3 Nr. 191. 20 torfer velt juxta Grůninberg (1320); BAUR, Hessische Ur- HÄVERNICK, Münzwesen Nr. 266, S. 12-13, Nr. 158; KOE- kunden 1 Nr. 997 Anm.: Eschirsdorf (1367) nordwestlich NIG, Münzstätten S. 151; HESS, Städtegründungen S. 39; der Stadt am Osthang des Ziegelberges. HESS, Pfennig S. 74-75, 83. HESS verweist auf die Bedeu- 12 tung der Städte für die Intensivierung der Geldwirtschaft HESS, Städtegründungen S. 48. Ein Thema, das auch beim Bau von Mauer und Burg eine nicht unerhebliche Rolle in dieser Zeit. Allerdings führte dies auch zu einem Über- spielte. besatz mit Münzstätten in kleinsten Orten, etwa in Bie- 13 denkopf oder Rauschenberg. HOLDER-EGGER, Monumenta S. 194. 4
Hessischer Städteatlas – Grünberg nennen Münzherren und Prägungsort und waren war generell jeder Bau einer mittelalterlichen Befes- daher auch für den Umlauf in entfernteren Berei- tigungsanlage mit seinen Gräben, Mauern, Türmen chen geeignet21. Die Grünberger Währung wird bis und Toren ein Bauvorhaben, das sich über Jahre 1418 erwähnt23. Vor dem Hintergrund des Zusam- wenn nicht Jahrzehnte hinzog und eine Stadt nicht menhanges der Ausbreitung des Städtewesens sowie nur finanziell an die Grenzen der Belastbarkeit füh- von Münze und Markt in der „Pfennigzeit“24 (8.- ren konnte. Auch die Bereitstellung einer großen 14. Jh.) ist zu vermuten, dass Grünberg bereits früh Anzahl von Arbeitskräften über einen langen Zeit- in die Intensivierung der Geldwirtschaft einge- raum stellte eine Gemeinschaft vor große logistische bunden war25. und ökonomische Probleme32. Im Jahre 1250 fand erstmals das Grünberger Zumeist wurden zuerst Türme und Tore errich- Kloster der Franziskaner Erwähnung. Es dürfte aber tet und in der Folgezeit diese mit einer Mauer ver- bereits früher entstanden sein26. Sowohl das Kloster bunden. Demnach ist es sehr schwierig, zeitlich der Antoniter als auch jenes der Franziskaner lagen konkrete Angaben zu machen, da diese ja von der am westlichen Rand der Stadt. Insofern ist zumin- zur Verfügung stehenden Anzahl an Arbeitskräften dest für das Kloster der Antoniter und die Stadt- abhing33. Erst 1309 wird die Befestigung erneut in mauer eine gleichzeitige oder zumindest zeitnahe den Quellen genannt, als Landgraf Otto den Grün- Erbauung anzunehmen27. Das Franziskanerkloster bergern das Ungeld zur Wiederherstellung und setzt hingegen zum Teil auf der Mauer auf bzw. ragt Erweiterung der Stadtmauer der Stadt überlässt34. über die Flucht der Stadtmauer nach außen hinaus, Ob dies bereits auf die Befestigung der Neustadt ist also eindeutig jüngeren Datums28. Schwach- hindeutet, die 1324 mit der Altstadt rechtlich punkte in der Stadtbefestigung – seien es Tore oder zusammen geschlossen wurde35 oder der Mauerzug Ecken – wurden zur besseren Sicherung gerne mit um den nördlichen, nur locker bebauten Bereich Steinbauten besetzt. Die Niederlassungen der beiden gemeint ist, bleibt fraglich36. Andererseits wird man Orden an der verteidigungstechnisch-topographisch kaum mit der Anlage der sich nach Süden erstre- ungünstigen Westseite der Stadt brachten hier den ckenden Neustadt – deren Entstehung bisher um Vorteil, dass sie nicht nur massive Bauten errich- 1270 angenommen wurde, aber jüngst mit einer teten, sondern dass sie als geistliche Bezirke unter Erstnennung auf 1261 vordatiert werden konnte37 – besonderem Schutz standen und ein Angriff auf sie begonnen haben, wenn der Altstadtbereich noch sogar den Kirchenbann zur Folge haben konnte29. nicht aufgesiedelt worden war. Mit dem Zusammen- Es ist davon auszugehen, dass bereits die schluss von Alt- und Neustadt 1324 kann aber die ursprüngliche Siedlung um die Burg mit ihrem Befestigungsanlage als fertig gestellt betrachtet Burggraben und etwas weiter, den Kirch- und werden. Marktplatz mit einbeziehend, eine erste Wall- bzw. Als im Jahre 1247 die thüringischen Ludowinger Palisadenbefestigung besaß. Der Bau der späteren im Mannesstamm ausstarben, kam es zum Kampf Stadtmauer, als deren Eckdaten neben den beiden um deren Territorien zwischen den Wettinern, dem Klöstern (vor 1222 und vor 1250) der Diebsturm Mainzer Erzbischof und der Landgrafentochter (um 1200) und die erstmalige Nennung der Born- Sophie. Letztere setzte sich in den westlichen Teilen pforte am Winterplatz (1230)30 genannt werden des Erbes durch bzw. versuchte ihre Rechte durch können, ist schwer zu datieren31. Darüber hinaus Anwesenheit zu bekunden. So befand sie sich auch 1248 in Grünberg, wo sie den Antonitern das glei- che Holzbezugsrecht gewährte wie den hiesigen 21 HESS, Anfänge S. 99. 22 DOBENECKER, Regesta 3 Nr. 470. 23 DEMANDT, Regesten Nr. 927. 24 32 Diese Phase wird so genannt, weil als einzige Münzsorte Vgl. dazu allg. ANTONOW, Planung. der silberne Pfennig – mit mancherorts geprägten Teil- 33 ANTONOW, Planung S. 84-95, 220, 226-232. werten – umlief; vgl. HESS, Anfänge S. 107. 34 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 508; Landgrafen- 25 HESS, Anfänge S. 107. Regesten online Nr. 533. 26 35 ECKHARDT, Klöster Nr. 916; KAMINSKY, Bedeutung Anm. GLASER, Beiträge Nr. 7; GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 56 verweist auf JÜRGENSMEIER, Handbuch S. 806, der die Nr. 712; Landgrafen-Regesten online Nr. 788. Niederlassung der Franziskaner in Grünberg auf die Zeit 36 HESS, Städtegründungen S. 53. zwischen 1229 und 1240 festlegt. 37 KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 84, bezieht sich auf 27 Vgl. HESS, Städtegründungen S. 67-68. FRANZ, Haina 1 Nr. 348, wo ein Grünberger Schöffe de 28 WALBE, Kunstdenkmäler S. 198. Nova civitate als Zeuge auftritt. FRANZ, Haina 1 S. 588, 29 HESS, Städtegründungen S. 65-66. bezieht diesen Beleg auf Neustadt/Kreis Marburg. Dieses 30 BAUR, UB Arnsburg Nr. 15. Neustadt wurde allerdings erst um 1270 gegründet, vgl. 31 HESS, Städtegründungen S. 50. REULING, Ortslexikon S. 215. 5
Hessischer Städteatlas – Grünberg Rittern, Burgmannen und Schöffen38. Mit dieser den Mainzer Erzbischof43. Wichtig erscheint in die- Urkunde sind auch erstmals Schöffen in Grünberg sem Zusammenhang, dass der Stadt zehn Freijahre bezeugt. bewilligt wurden, nach denen sie wiederum dem Das große Interesse der Landgrafen, welches sie Landgrafen jährlich 90 Mark Kölner Pfennige zah- in der Folge Grünberg entgegenbrachten und das len sollte. Dabei könnte es sich um eine finanzielle auch durch ihre wiederholte Anwesenheit vor Ort Erleichterung für den weiteren Ausbau der Stadtbe- unterstrichen wird, hatte hauptsächlich finanzielle festigung gehandelt haben44. Hintergründe. Ein Faktum, das sich schon früh Durch den Teilungsvertrag von Landgraf Hein- nach Gründung der Stadt zeigte und das sich mit rich von 1296 fiel Grünberg in den Herrschaftsbe- der Territorialisierung der Landgrafschaft im Zuge reich der Teilgrafschaft „Oberhessen“ unter seinem der frühmodernen Staatsbildung noch vehement Sohn Landgraf Otto45. Auch dieser weilte öfters in verstärken sollte. Zumindest in den Anfängen war der Stadt, wie anhand einer ganzen Reihe von hier es um die Grünberger Kapitalkraft nicht schlecht ausgestellten Urkunden nachzuvollziehen ist46. So bestellt. Dies zeigte sich etwa 1254 als Landgräfin etwa im März und April des Jahres 1309, als er der Sophie für die Mitgift ihrer Tochter Elisabeth Bie- Stadt den bereits erwähnten Ungelderlass zur Stadt- denkopf um 4.000 Mark an Herzog Albrecht von befestigung bestätigte47. Er veranlasste auch 1324 Braunschweig verpfändete. Die jährlichen Zinsen die Zusammenlegung mit der Neustadt bei gleicher waren mit 400 Mark festgelegt und von den hiesi- Gerichtsbarkeit, gleichen Steuern und sonstigen gen Städten aufzubringen. Grünberg steuerte hier Rechten48. einen Betrag von immerhin 140 Mark bei39. In der Folge seiner Kämpfe mit aufständischen Ein Jahr später, 1255, wurde Grünberg als Mit- Rittern, von denen der Krieg gegen den Sterner- glied des Rheinischen Städtebundes genannt – ein bund (1372-74) der bekannteste ist, verlangte Zeichen dafür, dass die territorialen Belange noch Landgraf Hermann 1375 wiederum die Abgabe des nicht zur Gänze geklärt waren, der stadtherrliche Ungelds. Dies reichte allerdings zur Kriegs- Schutz damit als unzureichend eingeschätzt wurde finanzierung nicht aus. Zwar blieb der Stadt selbst und sich Grünberg als schutzbedürftig sah40. Mit die Verpfändung erspart, nicht jedoch einigen Dör- dem Frieden von Langsdorf 1263 klärte sich die fern des Amtes, die in einer Aufstellung von 1377 Situation allerdings dahingehend, dass Grünberg als genannt werden: Harbach, Stangenrod, Linden- mainzisches Obereigentum bestätigt, aber an Land- struth, Queckborn, Saasen und die Tzwei Lume grafen Heinrich verliehen wurde. Doch schon in (Lumda)49. 1382 erfolgte die Pfandschaft auf Geld- dieser Zeit trug Grünberg einen Anteil von zehn erträge der Städte Marburg, Grünberg und Gießen Prozent an landgräflichen Bürgschaften41. an Frankfurter Juden, die dafür die landgräfliche Die Grünberger Burg diente den Landgrafen Kriegskasse um 1.300 Gulden bereicherten. Davon immer wieder als Aufenthaltsort, so auch 1272, als waren 1383 noch 756 Gulden an Schulden übrig, Landgraf Heinrich den Grünbergern am 16. Okt. wovon Marburg 219, Grünberg 340 und Gießen (in festo beati Galli) ihre städtischen Privilegien 197 Gulden übernahmen und die beiden ersteren bestätigte – die erste bekannte Nennung42. Darin noch im selben Jahr beglichen50, ein eindrucks- werden u.a. der Gerichtsstand der Bürger, die voller Beleg für die damalige wirtschaftliche Potenz Gerichtsbarkeit von Schultheiß und Schöffen bzw. Grünbergs. das Eingreifen der Burgmannen bei Streitigkeiten zwischen den Bürgern geregelt. Das oftmals behan- 43 KÜTHER, Burggründung S. 69-70. delte und betonte Verbot der Sendgerichtsbarkeit 44 Der schwere Kölner Pfennig galt in dieser Zeit als eine Art richtete sich gegen Ansprüche des Oberlehnsträgers, überregionale Leitwährung, die bis ins späte 13. Jh. gerade für periodische Zahlungen Verwendung fand; vgl. HESS, Pfennig S. 74-75. 45 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 362. 46 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 508-512. 47 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 508; Landgrafen- 38 ECKHARDT, Klöster Nr. 188, gewährt gleichzeitig den Regesten online Nr. 533. Antonitern beim Holzschneiden die gleichen Freiheiten 48 GLASER, Beiträge Nr. 7; GROTEFEND/ROSENFELD, Reges- wie den Burgmannen und Schöffen – milites castellani et ten 1 Nr. 712; Landgrafen-Regesten online Nr. 788. scabini. Laut GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 17 49 GLASER, Beiträge S. 100; Landgrafen-Regesten online sind dies Ritter, Burgmannen und Schöffen. Nr. 1616; MÜLLER, Ämter S. 136-137. 39 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 50. 50 ROTHMANN, Messen S. 349 nach Hessisches Staatsarchiv 40 Vgl. KAMINSKY, Bedeutung Anm. 64. Marburg (im Folgenden abgekürzt HStAM) Marburger 41 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 76. Stadtbuch, fol. 52v; KÜTHER, Burggründung S. 97-98; 42 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 165 (zur Anwe- BITSCH, Verpfändungen S. 38; LÖWENSTEIN, Quellen senheit der Landgrafen: Nrn. 166, 167, 170, 183, 207). Nr. 178. 6
Hessischer Städteatlas – Grünberg Traditionell wird vermutet, dass die beiden nung von 1455 das Rathaus oder Häuser von Stadtbrände von 1370 und 1391 katastrophale Aus- Schöffen oder Schultheißen, wie etwa bereits für das wirkungen für die städtische Wirtschaftskraft hat- Jahr 1259 belegt57. ten. Immerhin hatten sie bewirkt, dass nach 1370 Als landgräfliche Beamte treten schon früh der die Stadt für zwanzig Jahre bede- und geschossfrei Amtmann (villicus, 1233, 1250) und der Schultheiß war. 21 Jahre später, nach dem zweiten Brand, (scultetus, 1227, 123458, 1250/60) auf, während ein erfolgte eine erneute Befreiung auf nur mehr zwölf Unterschultheiß (subscultetus) erst im 14. Jh. (1315, Jahre51. Ob der zweite Stadtbrand in Grünberg mit 1329) erwähnt wird59. Im Verlauf der Zeit kam es den mainzischen Kriegszügen der Jahre 1390-96/7 zu einer Verschmelzung der Funktionen von villicus in Zusammenhang stand, die auch Grünberg betra- und scultetus. Zunächst übte ersterer im 13. Jh. noch fen, muss hier dahingestellt bleiben52. hauptsächlich grundherrschaftliche Funktionen Die Steuern waren jedoch nicht die einzigen aus60. Der Unterschultheiß war vermutlich der Einkommensquellen der Landgrafen. So ist etwa ursprünglich bürgerliche Vertreter des adeligen der Zoll erstmals 1358 nachweisbar. Bis 1591 Schultheißen, der dann als officialis zu überregiona- wurde war das landgräfliche Zollsystem derart aus- ler Bedeutung aufsteigen konnte61. gebaut, dass Zollstätten in Oberohmen, Flensun- Das Schöffenkollegium trat erstmals 1241 in gen, Harbach und Lindenstruth bestanden, die der Erscheinung, es handelte sich zumeist um ein Gre- regionalen Grünberger Zollverwaltung unterstan- mium von zwölf Personen (1251, 1305)62. Es den. Im Zuge infrastruktureller Maßnahmen kam ergänzte sich durch Kooptation, d.h., dass von 1586 das Wegegeld dazu, das auf der neuen Straße wenigstens zwei Vorgeschlagenen einer von Amt- zwischen Grünberg und Merlau eingehoben wurde mann oder Rentmeister bestätigt und vereidigt und der Brücken- und Wegebesserung diente53. wurde. Die Grünberger Schöffen des Landgerichts Die Gerichtsbezirke des Spätmittelalters sind als konnten sich hingegen im 16. Jh. bis zur formellen lokale Organisationsformen gewissermaßen die Nachwahl durch einen Schöffen des Gerichts Reste der zentral gelenkten Grafschaften des Hoch- Niederohmen ergänzen63. Die Schöffen nahmen mittelalters, die in Oberhessen spätestens im 13. Jh. eine soziale Sonderstellung ein, weil sie am Ratsre- nicht mehr existierten. Sie sind die Grundlagen für giment beteiligt waren. Jede Familie durfte jedoch die Neuordnung, die Einführung der Ämterverfas- nur ein Mitglied im Schöffenrat stellen, um den sung und damit die lokale Basis und Verwaltungs- Einfluss in Grenzen zu halten64. In den Quellen fin- grundlage des entstehenden Territorialstaats54. In den sich 1272 scabini und sculteti, 1245 scabini und Grünberg wurde sowohl die hohe als auch die nie- burgensis sowie 1251 6 milites und 11 scabini 65. dere Gerichtsbarkeit von Schöffen ausgeübt, die in 1346 und 1360 richteten auch Burgmannen dieser Funktion erstmals 1250 genannt werden. gemeinsam mit den Schöffen. Dies war zwar vom Der Galgen befand sich am Galgenberg, außerhalb der Höfe, Richtung Stangenrod55. Ein Scharfrichter wird jedoch erst 1505 genannt56. 1577 waren 12 Landschöffen für die hohe Gerichtsbarkeit im ge- samten Amt und der Stadt Grünberg zuständig. Als 57 WEISS, Gerichtsverfassung S. 30, 35, 41. Die Vermutung Tagungsort dienten laut Gerichts- und Polizeiord- von WEISS (S. 39), es könnte sich bei den Dingstühlen um einen alten Gerichtsort handeln, gehört wahrscheinlich ins Reich der Sagen, in deren Bereich sie bereits von dem von WEISS zitierten GLASER, Beiträge S. 5 und 53, vergelegt wurden. HABICHT, Chronik S. 5, beschreibt die Dingstüh- 51 MÜLLER, Ämter S. 55; DIEMAR, Chroniken S. 277; GLASER, le zwar als ein mit steinernen Pfosten und Ketten eingefrie- Beiträge S. 104. Die oftmals angestellte Vermutung, die digten Platz, die Forschung blieb jedoch bisher einen Brände hätten zu einer Reihe von Auswanderungen schlüssigen schriftlichen Beleg schuldig. Zudem spricht die geführt, lässt sich nicht wirklich belegen. Selbst die durch Lage an der vorstädtischen Kreuzung vor der Antoniter- das Frankfurter Bürgerbuch gut belegten Zuwanderungen pforte an einer wenig exponierten Stelle sowie das Fehlen Grünberger Bürger in Frankfurt, die zwischen 1312-1462 eines wie auch immer gearteten öffentlichen oder Sakralge- die doch stattliche Zahl von 43 aufweist, zeigt gerade für bäudes gegen die Annahme eines Gerichtsplatzes an dieser die Jahre nach den Bränden keine auffälligen Anstiege. In Stelle. Vgl. ECKHARDT, Vorarbeiten S. 81. den 1370er Jahren fand sich nur ein Beleg für 1377 und in 58 FRANZ, Haina 1 Nr. 83. den 1390ern ebenfalls nur einer, nämlich 1398. Die Aus- 59 WEISS, Gerichtsverfassung S. 46; MÜLLER, Ämter S. 135. wertung nach GENTGES, Wirtschaft S. 75-77. 60 WEISS, Gerichtsverfassung S. 48. 52 61 KUCZERA, Grangie S. 93. WEISS, Gerichtsverfassung S. 52. 53 62 MÜLLER, Ämter S. 55; DIEMAR, Chroniken S. 277. WEISS, Gerichtsverfassung S. 54. 54 63 WEISS, Gerichtsverfassung S. 15. WEISS, Gerichtsverfassung S. 55. 55 64 GLASER, Beiträge S. 52. So 1312: meliores cives; WEISS, Gerichtsverfassung S. 56. 56 65 WEISS, Gerichtsverfassung S. 67. WEISS, Gerichtsverfassung S. 59. 7
Hessischer Städteatlas – Grünberg 13. bis zum 15. Jh. üblich, in Grünberg sogar noch kommen, dass es eine Person öfters erhielt. Der Ende des 16. Jhs.66. Streitigkeiten von Grünberger Schultheiß war somit eindeutig landgräflicher Bürgern untereinander wurden laut Privileg von Beamter73. Seine Einkünfte bestanden wesentlich 1272 von Burgmannen, Schultheißen und Schöffen aus den Gerichtsfällen, also den Gebühren und den verhandelt67. Ansonsten gab es keine bestimmten Bußen74. Seine wichtigste Zuständigkeit war die Fälle, an denen das Mitspracherecht von Burgman- Durchführung von Pfändungs- und Vollstreckungs- nen beim Stadtgericht erforderlich war. Sie nahmen verfahren75. 1305 erfolgte die namentliche Nen- nicht als Bürger, sondern aufgrund ihrer ständisch nung von 12 Schöffen. Zwar ist auch eine Erweite- adeligen Qualität daran teil. Dagegen war der rung auf 24 genannt, vermutlich diente diese aber Schöffenrat eine bürgerliche Genossenschaft, die in hauptsächlich der Verwaltung. Dazu kam der ihrer Organisationsform relativ frei war. Die Burg- Gerichts- oder Landknecht zur Unterstützung des mannschaft bildete dazu gewissermaßen einen lan- Schultheißen76. In Grünberg war das Gericht etwa desherrschaftlichen Gegenpol, der für sich natürlich im Gegensatz zu Homberg/Ohm nicht nur für bür- einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstand68. gerrechtliche Streitfälle zuständig, sondern auch für Stadträte werden erstmals 1286 genannt (consu- Strafsachen. Diese wurden vorwiegend anlässlich les civitatis)69. Es könnte sein, dass zu diesem Zeit- der ungebotenen Dinge verhandelt. Allerdings punkt auch bereits ein eigener Bürgermeister exis- beschränkte sich die Strafgerichtsbarkeit des Stadt- tierte. Bereits zu Ende des 13. Jhs. kam es zu Aus- gerichts auf die Bußgerichtsbarkeit, unter die Kör- einandersetzungen zwischen der Bürgerschaft und perverletzungen wie Schlägereien und Messerste- den Amtsträgern in Fragen des Stadtregiments, Vor- chereien, Sachbeschädigungen und Beleidigungen würfe wie Nepotismus und Amtsmissbrauch wur- fallen. Tötungsdelikte gehörten offensichtlich nicht den beklagt70. Erst 1305 konnte dieser Streit zwi- darunter77. Für umliegende Orte war das Landge- schen Bürgern und Schöffen beigelegt werden. Die richt zuständig78. Dieses Landgericht oder Amt Bürger erklärten sich zur Leistung der jährlichen Grünberg umfasste folgenden Sprengel: Queck- Steuer und Bede an den Landgrafen bereit. Wäh- born, Harbach, Lindenstruth, Saasen, Bolnbach, rend sich die zwölf Schöffen weiterhin aus den Göbelnrod, Reinhardshain, Beltershain, Lumda mit Schöffengeschlechtern heraus ergänzten, traten Kleinlumda, die spätere Wüstung Borningen, Stan- ihnen nun zwölf jährlich von der Gemeinde genrod, Lehnheim, Stockhausen, Weickartshain, gewählte Bürger zu Seite und bildeten den gemein- Lauter, Ilsdorf – soviel auf hessischem Gebiet lag –, samen Rat. Je zwei Schöffen und Räte waren für die Flensungen und Merlau. Niederohmen bildete ein Einhebung des Ungeldes zuständig, worüber jähr- besonderes Gericht, welchem nach Atzenhain, lich Rechnung gelegt werden sollte71. Bernsfeld, Wettsaasen, die Wüstungen des 16. Jhs. Schönborn (bis Atzenhain), Pferdsbach (bei Berns- Das Privileg von 1272 zeugt von klarer Beset- feld) und Königsaasen (bei Niederohmen) angehör- zung und Funktion der Gerichtsbarkeit. Die ten. Pro Jahr mussten drei Rügegerichte oder unge- Gerichtsverhandlungen mit Grünberger Bürgern soll- botene Gerichte abgehalten werden, die zu ten vor dortigen Schöffen und Schultheiß stattfin- bestimmten Terminen stattfanden und bei denen den, wobei die Urteilsfindung den Schöffen oblag72. die gesamte Gemeinde zu erscheinen hatte79. Die nächste Verordnung von 1455 ist deshalb von Bedeutung, weil diese Fassung dem Gerichtsbuch Die Bedeutung des Grünberger Gerichts zeigte der Stadt vorangestellt und besonders auf Grünberg sich zum einen auch an den Akten, an denen die zugeschnitten ist. Hier steht vor allem die Normie- Mitglieder teilnahmen – nicht nur Schultheiß oder rung der Gerichtstätigkeit im Vordergrund. Es han- Burgmannen, sondern sehr wohl auch die Schöffen. delt sich um keine Systematik, sondern es werden Zum anderen wird anhand mancher der agierenden Einzelfragen behandelt, um Missbrauch vorzubeu- Personen die enge Verbindung zum landgräflichen gen. Das Amt des Schultheißen wurde unregelmä- Haus deutlich, da es sich zum Teil um Personen aus ßig vom Landgrafen vergeben. Es konnte auch vor- dem direkten Umfeld der Landgrafen handelte. So ist bereits 1249, 1261 und 1265 Johann Gulden 66 73 WEISS, Gerichtsverfassung S. 60; GLASER, Beiträge S. 39. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 76. 67 74 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 165. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 78. 68 75 WEISS, Gerichtsverfassung S. 61. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 80. 69 76 WYSS, UB Deutschordens-Ballei 1 Nr. 464. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 83-84. 70 77 EBEL, Geschichte S. 14. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 85. 71 78 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 459; KÜTHER, SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 88. 79 Burggründung S. 90-91. GLASER, Beiträge S. 51. Dies waren der 18. Jan. Dienstag 72 nach Walpurgis und der dritte Dienstag nach Michaelis. SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 67. 8
Hessischer Städteatlas – Grünberg (Aureus) als Zeuge genannt, ebenso bei der Schen- Die Bedeutung der Religion nicht nur für das kung Landgräfin Sophies an das Elisabeth-Hospital spirituelle, sondern ebenso das soziale und wirt- in Marburg 125080. Desgleichen erscheint er 1254 schaftliche Leben der mittelalterlichen Stadt ist bis als Bürge für die Mitgift für Sophies Tochter81. Sein heute am besten anhand der Sakralbauten nachzu- Bruder Meingoz tritt 1263 bei Langsdorf als Bürge vollziehen. Allerdings ist die Quellenlage in Grün- in Erscheinung, als Erzbischof Werner 2.000 Mark berg für die Anfangszeit sehr spärlich. 1217 wurde erhalten sollte und dafür von Sophie 30 Bürgen erstmals ein Pfarrer genannt, demnach dürfte ein gestellt wurden82. Kirchenbau bestanden haben, an den oder auf den 1269 zeugen beide Brüder Meingoz und zu Beginn des 13. Jhs. eine romanische Kirche ge- Johann83. Im Oktober 1269 bestätigt Landgraf baut wurde, die Anfang des 14. Jhs. als gotische Heinrich den zwischen Johann Aureus und Herrn Hallenkirche fertiggestellt werden konnte95. Die Hademar vollzogenen Kauf eines Hofes beim Turm Kirche war nicht geostet, sondern folgte vielmehr in Grünberg, der vormals der dortigen Kirche einer bewusst längsachsigen Einordnung in das gehörte. Hademar hat diesen erworbenen Hof Stadtgefüge, wobei der Ostturm als Abschluss der coram nostro officiali und vor den Schöffen in Sichtachse der Marktgasse diente96. Grünberg der Stephanskirche in Mainz vermacht84. Die zahlreichen Altäre sowohl in der Stadtkirche 1270 wird Johann Gulden erstmals als Ritter be- als auch in den Klosterkirchen und Hospitals- zeichnet85 und 1272 urkundet er über einen von kapellen sind sicherlich als Zeugnisse stadtbürger- Sophie verhandelten Prozess zwischen Dietrich von licher Frömmigkeit und Stiftungstätigkeit wie auch Isenburg und dem Deutschen Orden zu Marburg eines wirtschaftlichen Wohlstandes zu interpretieren. über Güter bei Staufenberg86. Allein für die Stadtpfarrkirche der Altstadt sind acht Im Jahre 1245 traten die von Queckborn als bzw. neun Altäre erwähnt, die auf Stiftungen zurück Schöffen, Schultheiß (1262), Burgmannen und selbst gingen. Diese wurden von Geistlichen betreut, die als Prokurator der Antoniter (1298) in Erscheinung87. in einer Bruderschaft zusammengefasst waren97. Die Seit 1272/73 folgten ihnen die Saasen als Bürger und Klosterkirchen standen dem kaum nach, so besaß Zeugen88, 1280 bereits auch als Schöffen: Gerwig die Kirche der Antoniter etwa neun bzw. elf Altäre, und Heinrich genannt von Saasen89. 1285 findet die der Augustinerinnen jedoch vermutlich nur sich der Edle Werner, Herr zu Münzenberg als Burg- zwei, während sich zur Franziskanerkirche keine mann in Grünberg90, 1324 Ritter Haplo von Trohe91 diesbezüglichen Quellen erhalten haben98. (Drahe) und 1414 Henne Riedesel92. 1429 ist das Neben der Pfarrei spielten die Klöster eine Burglehen nach wie vor erwähnt, Riedesel ist mittler- sowohl kulturell als auch wirtschaftlich wichtige weile hier auch zum Amtmann ernannt worden93. Rolle in der Stadt. Es war kein Zufall und sicherlich 1517 ist Johann von Hessen, ein illegitimer Sohn nicht allein ein aus religiösen Motiven gespeister Landgraf Ludwigs II., zugleich Amtmann und Rent- meister in Grünberg94. 80 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 19, 26, 66, 92; vgl. WAGNER, Darstellung S. 269. 81 95 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 50. Von den 400 WALBE, Kunstdenkmäler S. 172, 199-204; KÜTHER, Mark sollten Marburg 120, Nordeck 20, Grünberg 140, Kirchliche Leben S. 153-158. 96 HESS, Städtegründungen S. 62-63. Homberg 10, Alsfeld 60 und Biedenkopf 50 Mark bezahlen. 82 97 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 76. KÜTHER, Kirchliche Leben S. 158-159, erwähnt einen 83 Marienaltar, einen Altar für Misericordias Domini, einen GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 133. 84 Martins- und Barbaraaltar, einen der 10.000 Märtyrer, GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 135a. 85 einen Nikolausaltar, einen Sebastians- sowie einen GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 143. 86 Johannes der Täuferaltar, einen der 12 Apostel sowie einen GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 162. 87 des Hl. Kreuzes. Der von ihm beanstandete fehlende Beleg WAGNER, Beiträge S. 323-324. 88 des Dreikönigsaltares findet sich hingegen bei GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 167, 170; vgl. WAGNER, Darstellung S. 271. BROSIUS/SCHESCHKEWITZ, Repertorium S. 102, wobei es 89 sich allerdings um die Kirche im Antoniterkloster handel- GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 229. 90 te, die ebenfalls über eine erkleckliche Anzahl an Altar- GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 253. 91 stiftungen verfügte. Ähnlich dazu WALBE, Kunstdenkmäler GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 704; vgl. WAG- NER, Darstellung S. 272. S. 200, der sich auf GLASER bezieht und anstatt des Martins- 92 einen Engelsaltar und einen Nikolausaltar erwähnt. DEMANDT, Regesten Nr. 541. 93 98 DEMANDT, Regesten Nr. 949. KÜTHER, Kirchliche Leben S. 172-177, der in der Aufzäh- 94 lung in der Antoniterkirche nicht sicher erscheint, wohin- ECKHARDT, Klöster Nr. 1332. Zur Rolle des Grünberger Rentmeisters als landgräflicher Vertreter im Konflikt mit gegen BROSIUS/SCHESCHKEWITZ, Repertorium S. 102 für den umliegenden Herrschaften der Solmser und Laubacher 1463 vier Altäre ebendort erwähnen. WALBE, Kunstdenk- im 16. Jh. vgl. SCHMIDT, Grafenverein S. 311-313. mäler S. 206. 9
Hessischer Städteatlas – Grünberg Akt, dass der Landgraf die Ansiedelung der Antoni- Bettzeug und Stallung zu gewähren108. Dies lässt die ter und Franziskaner in Grünberg ermöglichte99. Vermutung zu, dass das Kloster damals keinen Neben den am Ort ansässigen Orden waren die Stadthof in eigener Regie mehr unterhielt. Stadthöfe anderer Klöster von erheblicher wirt- Das Haus des Deutschen Ordens in Marburg lag schaftlicher Bedeutung. Sie dienten der Sammlung hingegen nicht in der Stadt, sondern befand sich und Vermarktung grundherrschaftlicher Produkte, vor dem Stangenröder Tor – extra muros civitatis der Einquartierung der eigenen Ordensleute auf der Grůnenberg ante portam que dicitur Stangenroder dor Durchreise, in manchen Fällen der Rekrutierung – und wird 1320 bzw. 1337 genannt109. 1321 ver- des Nachwuchses. Stadthöfe wurden aber auch oft kauft bereits ein Friedberger Bürger dem Orden an Laien verpachtet und beschränkten sich dann auf seine Wiesen bei Grünberg und Queckborn für 20 Wohn- und Wirtschaftsfunktionen für die Ordens- Mark, was die Plausibilität dieses Hofes erhöht110. leute100. Der Hof der Augustiner Chorfrauen im nahegelege- Früh, bereits 1230, wird der Stadthof des Zister- nen Wirberg ist urkundlich erst 1388 bzw. 1476 zienserklosters Arnsburg erwähnt, der an der Born- greifbar. Er lag in der Antoniusgasse, der heutigen pforte am Winterplatz gelegen hat101. Dieser wurde Rosengasse, gegenüber der Antoniterkirche111. 1272 von jeder Bede und Steuer befreit und es er- Die Landgrafen waren jedoch an ausgeglichenen ging Befehl an Schultheiß, Schöffen und Amtmän- Verhältnissen interessiert, so verfügte etwa 1336 ner dafür zu sorgen, dass im landgräflichen Gebiet Landgraf Heinrich II. zum Vorteil von Stadt und die Mönche des Klosters Arnsburg von niemandem Bürgerschaft gegen die Steuerbefreiung und für eine belästigt wurden102. 1321 bestätigte Landgraf Otto Einschränkung des Gütererwerbs durch Geistliche diese Privilegien103. Neben der landgräflichen Privi- in der dortigen Gemarkung112. legierung profitierten die Stadthöfe aber auch von bürgerlichen Stiftungen und Schenkungen. So trat Dienten die Stadthöfe vorwiegend wirtschaft- 1327 ein Ehepaar dem Kloster Arnsburg ihren Zins lichen Interessen, so fielen in den Zuständigkeitsbe- von einem Garten vor der Neustädter Pforte in Grün- reich der ansässigen Klöster wichtige soziale und berg ab (de quodam orto ante portem novi oppidi in kulturelle Belange wie die Kranken- und Alten- Grunenberg)104. Diese klösterlichen Stadthöfe erfüll- pflege sowie das Schulwesen. Sie bildeten damit ten allerdings neben ihrer wirtschaftlichen auch reli- wichtige Faktoren für die Zentralitätsfunktion der giöse Funktionen, wie die im Arnsburger Hof erst- Stadt für ihr Umland. mals 1341 genannte Elisabeth-Kapelle zeigt105. Für den Antoniterorden spielte dagegen auch die Spätestens 1261 hatte auch das Zisterzienser- Fernverbindung eine große Rolle, da er weiträumige kloster Haina Besitzungen in Grünberg, deren Almosentätigkeiten pflegte und später Besitzungen genaue Lage jedoch nicht bekannt ist. Ein Grün- auch in entfernteren Gegenden hatte. Dies dürfte berger Bürger und seine Frau übergaben sich und auch entscheidend für die Standortwahl des Klos- ihr Haus samt ihrer Schirne (mascello) dem Kloster ters an der Hauptausfallstraße gewesen sein113. Seit zu ewigem Besitz, behielten aber lebenszeitliches dem 10. Jh. war das sogenannte Antoniusfeuer epi- Nutzungsrecht106. 1312 verkaufte eine Witwe ihr demisch verbreitet. Dabei handelt es sich um eine Wohnhaus in Grünberg an Haina107. 1361 verlieh Vergiftung von Getreide mit dem Mutterkornpilz, das Kloster gegen eine jährliche Gülte (Mietzins) die zu Krämpfen, dem Verlust von Gliedmaßen auf- einem Ehepaar sein Haus in Grünberg. Das Ehe- grund von Durchblutungsstörungen (Ergotismus paar verpflichtete sich zudem, den Klosterbrüdern gangraenosus) und meist zum Tod führte. Der Zu- und ihrem Gesinde, wann immer sie nach Grün- sammenhang zwischen dieser Krankheit und dem berg kämen, Hausbrot zum Tisch, Feuer, Lichter, Mutterkorn wurde allerdings erst 1630 von einem niederländischen Arzt erkannt. Der Antoniter- orden, der aus einer Ende des 11. Jhs. gegründeten Laienbruderschaft hervorging, machte sich die Pflege 99 Vgl. BLASCHKE, Bedeutung. dieser Kranken zur Hauptaufgabe. Seine Nieder- 100 LINDENTHAL, Haina S. 96. 101 BAUR, UB Arnsburg Nr. 15; 1228 laut POSSE, Urkunden Nr. 290; KUCZERA, Grangie S. 219; DAMRATH, Kloster S. 322. 102 108 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 166. FRANZ, Haina 2 Nrn. 672, 715. 103 109 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 653. ECKHARDT, Klöster Nr. 233; 1320 bei WYSS, UB Deutsch- 104 SPONHEIMER, UB Wetzlar Nr. 346. ordens-Ballei 2 Nr. 382. 105 110 BAUR, UB Arnsburg Nr. 695; FOLTZ, UB Friedberg FOLTZ, UB Friedberg Nr. 240. Nr. 380. 111 ECKHARDT, Klöster Nrn. 293, 1176. 106 112 LINDENTHAL, Haina S. 70; FRANZ, Haina 1 Nr. 348. Landgrafen-Regesten online Nr. 930. 107 113 LINDENTHAL, Haina S. 77; FRANZ, Haina 2 Nr. 189. HESS, Städtegründungen S. 65. 10
Hessischer Städteatlas – Grünberg lassung in Grünberg – vor 1222 gegründet – war Die Antoniter waren in Zeiten allgemeiner Geld- eines der ältesten Häuser dieses Hospitalordens in knappheit wichtige Kreditgeber für die Stadtbe- den deutschen Landen überhaupt114. Zur Erfüllung wohner, den regionalen Adel und die Landgrafen, seiner Aufgabe entfaltete der Orden eine rege Sam- aus deren Perspektive die Antoniter zahlungskräftig meltätigkeit, das sogenannte Terminieren. Der und liquide waren123. In ihren Finanzgeschäften Sammelbereich des Grünberger Klosters umfasste bedienten sie sich eines ausgeklügelten Systems in weite Gebiete im Norden und Osten des Reichs dem Geld- und Naturalleistungen möglich waren, und erstreckte sich über die Erzbistümer Mainz und wodurch das kanonische Zinsverbot umgangen Bremen sowie die Bistümer Verden, Minden, Pader- werden konnte. Zur Blütezeit verfügten sie mindes- born und Osnabrück115. Unter den 42 Generalprä- tens über 100 Verträge über den Erwerb von Zins zeptoreien des Ordens befanden sich sechs deut- und Gült, denn viele Schuldner überschrieben sche, von denen Grünberg als die rührigste galt und ihnen die Zinseinnahmen von Gütern oder Steuer- viele Filialen gründete: 1222 Tempzin bei Wismar anteile124. Dadurch konnten sie ihren regionalen gelegen, 1273 folgte Lichtenburg bei Torgau. Einfluss wiederum weiter stärken. So vergaben sie 1289/91 unterhielten die Grünberger Antoniter feste 1489 ein Darlehen an Landgraf Wilhelm III.125 und Termineien in Münzenberg, um 1400 ein Stadthaus dessen Gewogenheit kam in der zwei Jahre später in Wetzlar und später bis 1527 eines in Marburg. erfolgten Überschreibung des Elisabeth-Spitals zum 1489 ist ein Terminierer in Trendelburg genannt. Ausdruck126. Die rege wirtschaftliche Tätigkeit des 1324 waren die Grünberger Antoniter allerdings Klosters rief aber auch Konflikte hervor. So kam es derart verschuldet, dass ihnen der Landgraf den etwa nach jahrelangem Streit erst 1433 zu einer Verkauf von diversen Liegenschaften erlaubte116. Einigung mit der Stadt wegen des von den Antoni- Noch 1379 mussten sie laut Amtmannsbericht tern in der Stadt betriebenen Weinverkaufs127. ihren vor der Stadt gelegenen Hof zu St. Peter ver- Sichtbare Indizien für die Blüte des klösterlichen setzen117. Doch bis zum Ende des 15. Jhs. erlebte Wirtschaftslebens sind der später sogenannte Uni- das Grünberger Antoniterkloster einen erheblichen versitätsbau, der um 1500 als mächtiger Speicher- Aufschwung und zählte bei seiner Auflösung zu den bau des Klosters errichtet wurde, sowie die wahr- reichsten Konventen in Hessen. Dieser Aufschwung scheinlich gleichzeitig erfolgte Ummauerung des wurde durch die Übernahme von Arnsburger Besit- Gartens vor der Antoniterpforte bis an den Stan- zungen in 54 Orten, am Ende des 15. Jhs. auch in genröder Pfad128. Bei letzterer Baumaßnahme dürf- Waldeck gesteigert118. 1489 übernahmen die Anto- te aber auch der Einfluss des Landgrafen spürbar niter im Amt Grünberg, im Busecker Tal und im gewesen sein, der damit die Verteidigungskraft Hüttenberger Land sämtliche Erbgüter des wegen seiner Stadt gefestigt wissen wollte129. eines Brandes überschuldeten Klosters Arnsburg119 und 1493 das niedergegangene Kloster der Augusti- Nach einem 1525 aufgestellten Inventar verfüg- nerinnen in Arolsen in der Grafschaft Waldeck120. ten die Antoniter über drei Anwesen in Grünberg, Die meisten dieser Besitzungen befanden sich inner- nämlich den Hof zu St. Peter, einen nicht näher halb eines Radius von 25-30 km – also etwa eine lokalisierten Spitalshof vor der Stadt, sowie den Hof Tagesreise entfernt und waren dadurch leicht in den Höfen mit 6 armen Leuten, worunter das erreichbar, was eine effektive Verwaltung ermöglich- Elisabeth-Spital zu verstehen ist130. 1527 wurde das te121. Dieser Aufschwung war mit ein Verdienst des Kloster in Zuge der Reformation säkularisiert und Jakob Ebelson von Linden, der in den Jahren 1482- seine Güter vom Landgrafen eingezogen. Die 1540 1507 in dem Amt des Präzeptors der Antoniter nach- gegründete Universität wurde im darauffolgenden weisbar ist und zu den Räten Wilhelms II. gehörte. Jahr mit dem säkularisierten Klostergut wirtschaft- Er bzw. der Propst des Klosters als sein Vertreter nahmen auch als Prälaten an den Landtagen teil122. 123 MARTIN, Antoniterkloster S. 126. 124 114 MARTIN, Antoniterkloster S. 116. 1494 verkaufte etwa die Gemeinde Annerod ihre Gemein- 115 MARTIN, Antoniterkloster S. 117; SCHILLING, Klöster S. 81. debede und Geschoss an das Antoniterhaus zu Grünberg, 116 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1, Nr. 713; Landgrafen- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (im Folgenden abge- Regesten online Nr. 789. kürzt HStAD) Grünberg, Antoniter A 3 Nr. 12/4. 125 117 ECKHARDT, Klöster Nr. 280. ECKHARDT, Klöster Nrn. 599, 614. 126 118 MARTIN, Antoniterkloster S. 123-125. ECKHARDT, Klöster Nrn. 615, 638. 127 119 MÜLLER, Ämter S. 105-106; ECKHARDT, Klöster Nr. 1144. Landgrafen-Regesten online Nr. 9047. 128 120 MARTIN, Antoniterkloster S. 117-119; SCHILLING, Klöster DEMANDT, Regesten Nr. 1493; Landgrafen-Regesten on- S. 82; ECKHARDT, Klöster Nrn. 634, 636, 645, 651. line Nr. 4961. 129 121 MARTIN, Antoniterkloster S. 127. MARTIN, Antoniterkloster S. 129. 130 122 EBEL, Geschichte S. 40. ECKHARDT, Klöster Nr. 838. 11
Hessischer Städteatlas – Grünberg lich abgesichert131. Dazu trug die Vogtei Grünberg dem Konstanzer Konzil (1414-18) im Reich weite mit den Einnahmen aus den ehemaligen Kloster- Verbreitung. Auch der Kölner Erzbischof unter- gütern der Antoniter und dem Kloster der Augusti- stützte die Gründung von Observantenklöstern wie ner Chorfrauen Wirberg bei. Als Landgraf Ludwig etwa in Brühl am Rhein. Unter Landgraf Wilhelm V. 1607 die hessen-darmstädtische Universität in III. erfolgten in Hessen bereits 1489 große Visita- Gießen gründete, flossen die Gelder nicht mehr tionen der beiden Ordensniederlassungen in Mar- nach Marburg, sondern dorthin132. Allerdings trug burg und Grünberg139. Wilhelm beschwerte sich die Vogtei Grünberg im Vergleich zu den Vogteien nicht nur beim Papst und beim Kardinalprotektor von Marburg und Alsfeld den weitaus größten Teil. des Ordens, Giuliano della Rovere, dem späteren Dies blieb so bis in das 18. Jh.133. Auch die Land- Papst Julius II., sondern suchte auch die Unterstüt- standschaft der Klöster ging an die Universität, zung des Kaisers, der sich seinerseits beim Papst ein- deren Rektoren mit die Prälatenbank auf den hessi- setzte, um das lasterhafte Leben der Mönche – die schen Landtagen besetzten134. Vorwürfe bezogen sich auf unerlaubten Fleischge- Ein wesentliches Motiv für Universitätsgründun- nuss und Vernachlässigung des Gottesdienstes – gen war die Einsicht in die Notwendigkeit, mit abzustellen140. Am 11. Okt. 1496 entfernte der Prä- wachsendem Organisationsgrad des Territorialstaa- zeptor der Antoniter nach Anhörung und mit tes und zunehmender landesherrlicher Verantwor- Unterstützung von Wachen die Konventualen, tung für die Landeskirche, die Ausbildung eines schickte sie an von ihnen gewünschte Orte und einheimischen Beamten- und Theologennachwuch- übergab das Haus dem Koblenzer Guardian, um es ses zu fördern. Damit dienten die Universitäten mit Observanten zu besetzen. Die Vertriebenen nicht nur der Konsolidierung des neuen territoria- setzten sich zur Wehr, beschwerten sich beim Papst len Kirchenwesens, sondern darüber hinaus der und erst 1499 wurde der ursprüngliche päpstliche inneren Festigung und Ausübung der landgräf- Entscheid zur Entfernung der Konventualen als lichen Herrschaft135. rechtens öffentlich bekannt gemacht141. Auch die überörtliche Bedeutung des etwas spä- Wie sich zeigt, waren die Landgrafen bereits in ter gegründeten Klosters der Franziskaner ist nicht der zweiten Hälfte des 15. Jhs. immer stärker an zu unterschätzen. So setzte etwa Landgraf Heinrich einer Reform der Klöster in ihrem Herrschafts- I. 1285 den Guardian der Grünberger Franziskaner bereich interessiert. Dabei spielten wirtschaftliche im Augustiner Chorherrenstift Schiffenberg als aber auch geistig-soziale Gründe eine zentrale Rolle. Untersuchungsrichter ein136. Der Stadtbrand von Die reformatorische Theologie und das Summepis- 1391 setzte dem Kloster allerdings stark zu, denn es kopat des fürstlichen Landesherrn gaben Landgraf verbrannten nicht nur Teile des Klosters, sondern Philipp hier ein neues und effektives Instrumenta- auch die Kirche wurde stark beschädigt137. rium in die Hand142. Bereits die neue, noch vorre- formatorische Polizeiordnung von 1524 war ein Das Kloster gehörte zur kölnischen Provinz des Schritt in diese Richtung. Darin wurde unter ande- Franziskanerordens138. In Köln verfügten die Land- rem das sittliche Verhalten der Untertanen regle- grafen damals über erheblichen Einfluss. Landgraf mentiert und die Pfarrer und Amtleute an ihre Hermann wurde hier sogar, nachdem er bereits Aufsichtspflicht gemahnt. So wurde etwa Betteln 1473 Stiftsverweser geworden war, 1480 zum Erz- und Müßiggang nun auch für Ordensleute verbo- bischof gewählt. Innerhalb des Ordens gab es bereits ten, nur die landgräflichen Finanziers, eben die Ende des 14. Jhs. unterschiedliche Strömungen, Grünberger Antoniter, waren von dieser Vorschrift wobei die beiden wichtigsten die Konventualen und ausdrücklich ausgenommen143. Observanten waren. Letztere fanden vor allem nach 1528 in festo s. Antonii Paduani wurde per land- gräflichem Edikt das Franziskanerkloster säkulari- 131 BAUMGART, Universitäten S. 63-64. siert und seine Insassen vertrieben. Kein einziges 132 MARTIN, Antoniterkloster S. 132-133; ECKHARDT, Wirberg Franziskanerkloster144 in der Landgrafschaft unter- S. 336-337; BINGSOHN, Wirtschaftsgeschichte S. 140. 133 BINGSOHN, Wirtschaftsgeschichte S. 141-142. 134 MARTIN, Antoniterkloster S. 115. 135 BAUMGART, Universitäten S. 69-70. 136 139 GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 255. SCHILLING, Klöster S. 110. 137 140 ECKHARDT, Klöster Nr. 924. SCHILLING, Klöster S. 111-113. 138 141 Bartholomäus von Pisa berichtete 1385 in seinem Liber SCHILLING, Klöster S. 114-116; ECKHARDT, Klöster Nrn. conformitatum: Haec provincia Coloniae est notabilis pro- 941-951. 142 vincia in fratribus valoris et bonitatis; et multi fuerunt nobi- SCHILLING, Klöster S. 114-116. 143 les in dicta provincia notabiles praedicatores et sunt, quorum SCHILLING, Klöster S. 163-164. 144 fructus in aula caeli reperiuntur. Analecta Franciscana 4 S. Neben Grünberg bestanden noch Häuser in Marburg und 26-28. Hofgeismar. 12
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