Hessischer Städteatlas Grünberg - Lieferung II,1 Textheft Herausgeberin: Ursula Braasch-Schwersmann - Landesgeschichtliches ...

Die Seite wird erstellt Reinhold Heinrich
 
WEITER LESEN
Hessischer Städteatlas
                Lieferung II,1

             Grünberg
                    Textheft

               Herausgeberin:
        Ursula Braasch-Schwersmann

                 Bearbeiterin:
               Andrea Pühringer

                   Marburg 2005
 Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde
Ansicht der Stadt Grünberg, Federzeichnung von Jakob Konrad Justus, 1743, Magistrat der Stadt Grünberg

Siegel der Stadt Grünberg, 1244, Umschrift: + S(IGILLVM) VNIVERSITATIS BVRGENSIVM IN GRVNBERC,
   Durchmesser: 80 mm, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. A II Marburg, Deutscher Orden, 1244 Febr. 4

                           Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
                            Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei
                                      Der Deutschen Bibliothek
                                   über http://dnd.ddb.de abrufbar

                              Gedruckt aus Mitteln des Landes Hessen

                                         ISBN 3-87707-647-5

            © Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg 2005

                                               Druck:
                    VDS        Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch
Inhalt                                                                    I. Historischer Abriss
I. Historischer Abriss                                               3    1. Entstehung und Entwicklung der Stadt
1. Entstehung und Entwicklung der Stadt bis                                  bis zum 16. Jahrhundert
   zum 16. Jahrhundert                                              3
2. Das 17. und 18. Jahrhundert                                     17     Im Bereich der westlichen Ausläufer des Vorderen
3. Das 19. und 20. Jahrhundert                                     24
                                                                          Vogelsbergs entstand in der zweiten Hälfte des 12.
4. Jüdische Einwohner in Grünberg                                  29
5. Bevölkerungszahlen vom Mittelalter bis zum                             Jhs. die Stadt Grünberg. Auf dem sogenannten
   21. Jahrhundert                                                 31     Grünen Berg – einer von Löß überlagerten Basalt-
6. Wirtschaft, Gewerbe und Beschäftigungs-                                kuppe – entwickelte sich die Siedlung auf einem
   struktur in der Neuzeit                                         31     Plateau, das sich von Norden und Westen leicht
7. Heutige Stadtteile                                              32     senkt, während es im Osten steil zum Brunnental
II. Siedlungstopographische Entwicklung vom
                                                                          und im Südwesten zu Baumgarten und Eisweiher
    Mittelalter bis zur Mitte des                                         hin abfällt. Aufgrund seiner verhältnismäßig expo-
    19. Jahrhunderts (1839/43)                                     33     nierten Lage handelt es sich eindeutig um eine
1. Von den Anfängen der Siedlung bis um 1200                       33     typisch hochmittelalterliche Gründung der staufer-
2. 13. und 14. Jahrhundert – Stadtwerdung und                             zeitlichen Stadtgründungswelle zwischen 1170 und
    Stadtentwicklung                                               34     1250, die mehreren Zwecken diente1. Zum einen
3. Vom Spätmittelalter bis zur Mitte des                                  war Grünberg die südlichste Stadt im Machtbereich
    19. Jahrhunderts (1839/43)                                     37     der Thüringer Landgrafen aus der Familie der
III.Siedlungstopographische Entwicklung von der                           Ludowinger und sollte die Herrschaftsansprüche
    Mitte des 19. Jahrhunderts (1839/43) bis zum                          der Mainzer Erzbischöfe einschränken2. Zum ande-
    Beginn des 21. Jahrhunderts                                    41     ren lag der Ort strategisch günstig an der alten Fern-
1. Die zweite Hälfte des 19. und die erste Hälfte                         verkehrsstraße durch die Kurzen Hessen, die von
    des 20. Jahrhunderts (1839/43 bis 1945)                        41     Frankfurt über Hersfeld nach Thüringen ging. Die
2. Von 1945 bis 2005                                               43     Trasse dieser Straße verlief ursprünglich ca. 1,5 km
IV. Erläuterungen zum Kartenwerk, Aufbau der                              östlich am späteren Stadtgebiet vorbei, wurde aber
    Karten und Hinweise zu ihren Quellen                           45     nach der Gründung Grünbergs durch die Stadt
1. Katasterkarte 1839/43, 1:2.500                                  45     gelegt3. Ob die antreibenden Motive für die Stadt-
2. Entwicklungskarte des Ortes vom Mittelalter                            gründung allerdings eher in der staufischen Wetter-
    bis 1839/43, 1:2.500                                           46     aupolitik4 oder doch eher in der thüringischen Ter-
3. a) Umlandkarte 19. Jahrhundert (1823/40),                              ritorialpolitik5 zu suchen sind, ist bisher nicht hin-
    1:25.000                                                       47     reichend geklärt und muss hier ebenso dahin
    b) Umlandkarte und Entwicklung der Stadt
                                                                          gestellt bleiben wie die Frage nach der angenomme-
    von 1839/43 bis 2005, 1:25.000                                 48
4. Stadtkarte 2005, 1:5.000                                        49     nen karolingischen Curtis6. Beides ist weder durch
5. Übersichtskarte Hessen, 1:750.000                                      schriftliche Quellen noch archäologische Funde
    Legende zur Urkatasterkarte, 1:2.500                           49     bzw. Befunde belegt7. Gegen eine Curtis spricht vor
V. Gebäudeverzeichnis                                              50
VI. Literatur                                                      57
1. Quellen                                                         57     1   HESS, Städte S. 118.
2. Darstellungen                                                   58     2   Die Zweifel, ob es sich nicht doch um landgräflichen Allo-
                                                                              dialbesitz gehandelt haben könnte, scheinen in der Zwi-
VII. Abbildungen                                                   63
                                                                              schenzeit ausgeräumt zu sein. Vgl. dazu MÜLLER, Ämter
                                                                              S. 21-23, der eine Hundertschaft in Queckborn als Vor-
                                                                              gänger des Gerichts annahm, das nach der Errichtung der
* Für die ideelle und finanzielle Unterstützung bei der Bearbeitung der
                                                                              Burg ins Zentrum verlegt wurde. Dagegen spricht sich je-
vorliegenden Stadtmappe danken wir dem Magistrat der Stadt Grün-
berg, hier insbesondere Herrn Bürgermeister Frank Ide sowie seinem            doch UHLHORN, Untersuchungen S. 139, aus, der auf die
Amtsvorgänger Siegbert Damaschke. Für zahlreiche Hinweise und                 Ähnlichkeiten mit Frankenberg verweist, wo ebenfalls die
Hilfestellungen aus der Stadtverwaltung und der Bevölkerung Grün-             Rechtsgrundlage unsicher ist; vgl. auch PATZE, Entstehung
bergs sei stellvertretend gedankt: Karin Bautz, Mareike Hoff, Wolfgang        S. 323; HESS, Städtegründungen S. 41. Zur Städtepolitik der
Hofheinz, Werner Keil und Prof. Heinrich Sprankel. Prof. Hans Hein-           Ludowinger in Hessen vgl. jetzt MÜLLER, Städte S. 327-340.
rich Kaminsky stellte freundlicherweise sein im Druck befindliches        3   HESS, Städtegründungen S. 45, 49.
Manuskript „Zur Bedeutung Grünbergs in Politik, Wirtschaft und            4   KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 30.
Kultur des Spätmittelalters“ zur Verfügung ebenso wie dies Herr Dr.       5   Vgl. HESS, Städtegründungen S. 47 und KÜTHER, Burg-
Dieter Griesbach-Maisant und seine Mitarbeiter Reinhold Schneider
                                                                              gründung S. 27-36; allg. dazu KROPAT, Reich.
und Martina Weißenmayer mit den Daten aus „Kulturdenkmäler in             6
Hessen, Band Kreis Gießen“ in unkomplizierter und kollegialer                 Zu diesen Fragestellungen siehe ausführlich HESS, Städte-
Hilfsbereitschaft taten. Das Amt für Bodenmanagement und Geoin-               gründungen sowie KÜTHER, Burggründung.
                                                                          7
formation Marburg (ehemals Katasteramt Gießen) stellte dankenswer-            PATZE, Geschichte S. 70-72, 83-84. Der gesamte Bereich
terweise die digitalen Kartengrundlagen zur modernen Stadtkarte bereit.       zwischen Kesselbach, Annerod, Lich (Wüstung Hausen)

                                                                                                                                        3
Hessischer Städteatlas – Grünberg

allem die Tatsache, dass Grünberg eben nicht direkt                  Erzählt die Reinhardsbrunner Chronik bereits 1194
an den Kurzen Hessen lag, sondern diese alte Fern-                   von der Zerstörung der „civitas“ [civitatem lantgravii
verkehrsverbindung erst nachträglich nach Grün-                      Grunenberg], so bezeichnet Wigand Gerstenberg
berg hin umgeleitet wurde8. Dass es sich bei dem                     den Ort in seiner Frankenberger Stadtchronik als
Gebiet Grünbergs um ein Gebiet des Mainzischen                       Flecken 14. Für 1217 ist dann ein Pfarrer, Ekehardus
Johannesstiftes und nicht wie Küther meint, um                       plebanus de Grunenberc, belegt und schon davor,
Reichsbesitz gehandelt hat, zeigte sich ex post aus                  nämlich 1214, sind zwei landgräfliche Ministerialen
dem Frieden von Langsdorf 1263, in dem sich das                      aus der Familie der Schenken zu Schweinsberg ver-
Erzstift die Lehenshoheit über Grünberg verbriefen                   mutlich als Burgmannen genannt15. Vor 1222
ließ. Es müssen also ältere Anrechte der Mainzer                     begründete der Orden der Antoniter in der Stadt
vorhanden gewesen sein, die die damalige hessische                   eine Niederlassung, was gleichzeitig ein Beleg für
Landgräfin Sophie nicht ignorieren konnte9.                          die günstige Verkehrslage Grünbergs ist16. Die civi-
   Lassen sich zwar die Anfänge der Stadt – nicht                    tas selbst ist 1222 in einer vor dem Stadtgericht voll-
gerade untypisch für diese Zeit – nicht gänzlich                     zogenen Güterschenkung durch Wezzilo von Nidda
rekonstruieren, so sind doch folgende Anhaltspunkte                  an das Kloster Arnsburg erstmals urkundlich fass-
gegeben: Vermutlich um 1170/80 gegründet, ent-                       bar, die mit dem städtischen Sekretsiegel beglaubigt
standen etwa gleichzeitig Burg und Siedlung, da die                  war (sigillum civitatis Gruninberc)17. Wenn bereits
Burg auf dem relativ flachen Plateau erst durch die                  zu diesem Zeitpunkt das Stadtgericht über einen
vorgelagerte Siedlung hinreichenden Schutz erhielt.                  derart ins Umland ausgreifenden Gerichtssprengel
Es handelte sich also um eine geplante Stadtgrün-                    verfügte, ist anzunehmen, dass die Stadt schon eine
dung. Eine dörfliche Vorgängersiedlung ist mög-                      Zeit davor bestand und über gewisse Zentralitäts-
lich, wenn auch wenig wahrscheinlich10. Dagegen                      funktionen verfügte18. Im Jahre 1227 sind dann ein
spricht vor allem, dass es selbst über die Bevöl-                    Schultheiß und sechs Burgmannen genannt19.
kerung und den Zuzug Grünbergs wenige Belege                            Eine eigene Münzstätte wurde bereits um 1230
gibt. Es existieren um Grünberg mit der Ausnahme                     eingerichtet, wobei nicht nur einseitige Brakteaten,
des wenig bekannten Eschersdorf11 weder Wüstun-                      sondern auch zweiseitige Pfennige geprägt wur-
gen, noch sind einzelne Dörfer bzw. Dorfgemein-                      den20. Die zweiseitigen Pfennige aus der Wetterau
schaften zugezogen, wie es etwa im Falle des
benachbarten Laubach bekannt ist, das von einem
regelrechten Wüstungsgürtel umgeben ist. Dem-                        14   HOLDER-EGGER, Cronica S. 553; DIEMAR, Chroniken S. 409.
nach scheint die These des Einzelzuzugs aus umlie-                        Gerstenberg bezeichnet auch Marburg als Flecken, ebd.
                                                                     15
genden Gebieten und Dörfern nach Grünberg am                              WYSS, UB Deutschordens-Ballei 1 Nr. 49; DOBENECKER,
                                                                          Regesta 2 Nr. 1585, S. 290. Laut KAMINSKY, Bedeutung
plausibelsten12.                                                          Anm. 41, handelte es sich dabei vermutlich um Burgman-
   Grünberg wird in den Quellen erstmals für 1186                         nen. Guntram ist einer der Leitnamen der Schweinsberger.
                                                                          Ein Guntram war ab 1239 der Schenk von Landgräfin
genannt, als die Zerstörung des castrum Gruninberc                        Sophie, vgl. zu den Brüdern Guntram und Ludwig GRO-
in der Erfurter Peterschronik erwähnt wurde13.                            TEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 13, 18, 23, 24, 39
                                                                          und FRANZ, Haina 1 Nrn. 12, 56, 59, 82, 121, 165;
                                                                          BITSCH, Verpfändungen S. 124.
                                                                     16   ECKHARDT, Klöster Nr. 183. 1222 ist die Niederlassung
     und Flensungen weist keine karolingerzeitlichen Funde                der Antoniter in Tempzin erwähnt, die von Grünberg aus
     oder Befunde auf und kann als praktisch siedlungsleer gel-           begründet wurde. Demnach fällt die Gründung der Grün-
     ten; vgl. DAHMLOS, Funde, Karte der Fundstellen. Zumin-              berger Niederlassung an den Beginn des 13. Jhs. Die
     dest für das Stadtgebiet Grünbergs hat sich in dieser Hin-           Behauptung WINKELMANNS, das Kloster sei bereits 1193
     sicht bis heute nichts geändert, frdl. Auskunft von Dr. Udo          erbaut worden, ist nicht belegbar. WINKELMANN, Beschrei-
     Recker, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Abt. Archä-              bung S. 197. Vgl. dazu auch KAMINSKY, Bedeutung Anm.
     ologie und Paläontologie, vom 12. Aug. 2005.                         43, der sich auf das Handbuch der Mainzer Kirchen-
 8                                                                        geschichte bezieht.
     Zu letzterem vgl. Kap. II. und HESS, Städtegründungen S. 45.
 9                                                                   17
     Vgl. HESS, Städtegründungen S. 44; GROTEFEND/ROSEN-                  Vgl. HESS, Städtegründungen S. 38-39, Siegelbeschreibung
     FELD, Regesten Nrn. 77-79; KÜTHER, Burggründung                      ebd.; vgl. auch den Abdruck von 1244 auf der Atlasmappe.
     S. 41-42; KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 40; DOBEN-                    Abdruck der Urkunde bei GLASER, Beiträge Nr. 1.
                                                                     18
     ECKER, Regesta 3 Nr. 3106.                                           HESS, Städtegründungen S. 52; zum Gericht WEISS,
10                                                                        Gerichtsverfassung S. 202-203.
     HESS, Städtegründungen S. 52.
11                                                                   19
     WYSS, UB Deutschordens-Ballei 2 Nr. 382: in campo Eßirs-             WÜRDTWEIN, Dioecesis Moguntina 3 Nr. 191.
                                                                     20
     torfer velt juxta Grůninberg (1320); BAUR, Hessische Ur-            HÄVERNICK, Münzwesen Nr. 266, S. 12-13, Nr. 158; KOE-
     kunden 1 Nr. 997 Anm.: Eschirsdorf (1367) nordwestlich               NIG, Münzstätten S. 151; HESS, Städtegründungen S. 39;
     der Stadt am Osthang des Ziegelberges.                               HESS, Pfennig S. 74-75, 83. HESS verweist auf die Bedeu-
12                                                                        tung der Städte für die Intensivierung der Geldwirtschaft
     HESS, Städtegründungen S. 48. Ein Thema, das auch beim
     Bau von Mauer und Burg eine nicht unerhebliche Rolle                 in dieser Zeit. Allerdings führte dies auch zu einem Über-
     spielte.                                                             besatz mit Münzstätten in kleinsten Orten, etwa in Bie-
13                                                                        denkopf oder Rauschenberg.
     HOLDER-EGGER, Monumenta S. 194.

4
Hessischer Städteatlas – Grünberg

nennen Münzherren und Prägungsort und waren                      war generell jeder Bau einer mittelalterlichen Befes-
daher auch für den Umlauf in entfernteren Berei-                 tigungsanlage mit seinen Gräben, Mauern, Türmen
chen geeignet21. Die Grünberger Währung wird bis                 und Toren ein Bauvorhaben, das sich über Jahre
1418 erwähnt23. Vor dem Hintergrund des Zusam-                   wenn nicht Jahrzehnte hinzog und eine Stadt nicht
menhanges der Ausbreitung des Städtewesens sowie                 nur finanziell an die Grenzen der Belastbarkeit füh-
von Münze und Markt in der „Pfennigzeit“24 (8.-                  ren konnte. Auch die Bereitstellung einer großen
14. Jh.) ist zu vermuten, dass Grünberg bereits früh             Anzahl von Arbeitskräften über einen langen Zeit-
in die Intensivierung der Geldwirtschaft einge-                  raum stellte eine Gemeinschaft vor große logistische
bunden war25.                                                    und ökonomische Probleme32.
   Im Jahre 1250 fand erstmals das Grünberger                       Zumeist wurden zuerst Türme und Tore errich-
Kloster der Franziskaner Erwähnung. Es dürfte aber               tet und in der Folgezeit diese mit einer Mauer ver-
bereits früher entstanden sein26. Sowohl das Kloster             bunden. Demnach ist es sehr schwierig, zeitlich
der Antoniter als auch jenes der Franziskaner lagen              konkrete Angaben zu machen, da diese ja von der
am westlichen Rand der Stadt. Insofern ist zumin-                zur Verfügung stehenden Anzahl an Arbeitskräften
dest für das Kloster der Antoniter und die Stadt-                abhing33. Erst 1309 wird die Befestigung erneut in
mauer eine gleichzeitige oder zumindest zeitnahe                 den Quellen genannt, als Landgraf Otto den Grün-
Erbauung anzunehmen27. Das Franziskanerkloster                   bergern das Ungeld zur Wiederherstellung und
setzt hingegen zum Teil auf der Mauer auf bzw. ragt              Erweiterung der Stadtmauer der Stadt überlässt34.
über die Flucht der Stadtmauer nach außen hinaus,                Ob dies bereits auf die Befestigung der Neustadt
ist also eindeutig jüngeren Datums28. Schwach-                   hindeutet, die 1324 mit der Altstadt rechtlich
punkte in der Stadtbefestigung – seien es Tore oder              zusammen geschlossen wurde35 oder der Mauerzug
Ecken – wurden zur besseren Sicherung gerne mit                  um den nördlichen, nur locker bebauten Bereich
Steinbauten besetzt. Die Niederlassungen der beiden              gemeint ist, bleibt fraglich36. Andererseits wird man
Orden an der verteidigungstechnisch-topographisch                kaum mit der Anlage der sich nach Süden erstre-
ungünstigen Westseite der Stadt brachten hier den                ckenden Neustadt – deren Entstehung bisher um
Vorteil, dass sie nicht nur massive Bauten errich-               1270 angenommen wurde, aber jüngst mit einer
teten, sondern dass sie als geistliche Bezirke unter             Erstnennung auf 1261 vordatiert werden konnte37 –
besonderem Schutz standen und ein Angriff auf sie                begonnen haben, wenn der Altstadtbereich noch
sogar den Kirchenbann zur Folge haben konnte29.                  nicht aufgesiedelt worden war. Mit dem Zusammen-
   Es ist davon auszugehen, dass bereits die                     schluss von Alt- und Neustadt 1324 kann aber die
ursprüngliche Siedlung um die Burg mit ihrem                     Befestigungsanlage als fertig gestellt betrachtet
Burggraben und etwas weiter, den Kirch- und                      werden.
Marktplatz mit einbeziehend, eine erste Wall- bzw.                  Als im Jahre 1247 die thüringischen Ludowinger
Palisadenbefestigung besaß. Der Bau der späteren                 im Mannesstamm ausstarben, kam es zum Kampf
Stadtmauer, als deren Eckdaten neben den beiden                  um deren Territorien zwischen den Wettinern, dem
Klöstern (vor 1222 und vor 1250) der Diebsturm                   Mainzer Erzbischof und der Landgrafentochter
(um 1200) und die erstmalige Nennung der Born-                   Sophie. Letztere setzte sich in den westlichen Teilen
pforte am Winterplatz (1230)30 genannt werden                    des Erbes durch bzw. versuchte ihre Rechte durch
können, ist schwer zu datieren31. Darüber hinaus                 Anwesenheit zu bekunden. So befand sie sich auch
                                                                 1248 in Grünberg, wo sie den Antonitern das glei-
                                                                 che Holzbezugsrecht gewährte wie den hiesigen

21   HESS, Anfänge S. 99.
22   DOBENECKER, Regesta 3 Nr. 470.
23   DEMANDT, Regesten Nr. 927.
24                                                               32
     Diese Phase wird so genannt, weil als einzige Münzsorte          Vgl. dazu allg. ANTONOW, Planung.
     der silberne Pfennig – mit mancherorts geprägten Teil-      33   ANTONOW, Planung S. 84-95, 220, 226-232.
     werten – umlief; vgl. HESS, Anfänge S. 107.                 34   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 508; Landgrafen-
25   HESS, Anfänge S. 107.                                            Regesten online Nr. 533.
26                                                               35
     ECKHARDT, Klöster Nr. 916; KAMINSKY, Bedeutung Anm.              GLASER, Beiträge Nr. 7; GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1
     56 verweist auf JÜRGENSMEIER, Handbuch S. 806, der die           Nr. 712; Landgrafen-Regesten online Nr. 788.
     Niederlassung der Franziskaner in Grünberg auf die Zeit     36   HESS, Städtegründungen S. 53.
     zwischen 1229 und 1240 festlegt.                            37   KAMINSKY, Bedeutung bei Anm. 84, bezieht sich auf
27   Vgl. HESS, Städtegründungen S. 67-68.                            FRANZ, Haina 1 Nr. 348, wo ein Grünberger Schöffe de
28   WALBE, Kunstdenkmäler S. 198.                                    Nova civitate als Zeuge auftritt. FRANZ, Haina 1 S. 588,
29   HESS, Städtegründungen S. 65-66.                                 bezieht diesen Beleg auf Neustadt/Kreis Marburg. Dieses
30   BAUR, UB Arnsburg Nr. 15.                                        Neustadt wurde allerdings erst um 1270 gegründet, vgl.
31   HESS, Städtegründungen S. 50.                                    REULING, Ortslexikon S. 215.

                                                                                                                             5
Hessischer Städteatlas – Grünberg

Rittern, Burgmannen und Schöffen38. Mit dieser                   den Mainzer Erzbischof43. Wichtig erscheint in die-
Urkunde sind auch erstmals Schöffen in Grünberg                  sem Zusammenhang, dass der Stadt zehn Freijahre
bezeugt.                                                         bewilligt wurden, nach denen sie wiederum dem
   Das große Interesse der Landgrafen, welches sie               Landgrafen jährlich 90 Mark Kölner Pfennige zah-
in der Folge Grünberg entgegenbrachten und das                   len sollte. Dabei könnte es sich um eine finanzielle
auch durch ihre wiederholte Anwesenheit vor Ort                  Erleichterung für den weiteren Ausbau der Stadtbe-
unterstrichen wird, hatte hauptsächlich finanzielle              festigung gehandelt haben44.
Hintergründe. Ein Faktum, das sich schon früh                       Durch den Teilungsvertrag von Landgraf Hein-
nach Gründung der Stadt zeigte und das sich mit                  rich von 1296 fiel Grünberg in den Herrschaftsbe-
der Territorialisierung der Landgrafschaft im Zuge               reich der Teilgrafschaft „Oberhessen“ unter seinem
der frühmodernen Staatsbildung noch vehement                     Sohn Landgraf Otto45. Auch dieser weilte öfters in
verstärken sollte. Zumindest in den Anfängen war                 der Stadt, wie anhand einer ganzen Reihe von hier
es um die Grünberger Kapitalkraft nicht schlecht                 ausgestellten Urkunden nachzuvollziehen ist46. So
bestellt. Dies zeigte sich etwa 1254 als Landgräfin              etwa im März und April des Jahres 1309, als er der
Sophie für die Mitgift ihrer Tochter Elisabeth Bie-              Stadt den bereits erwähnten Ungelderlass zur Stadt-
denkopf um 4.000 Mark an Herzog Albrecht von                     befestigung bestätigte47. Er veranlasste auch 1324
Braunschweig verpfändete. Die jährlichen Zinsen                  die Zusammenlegung mit der Neustadt bei gleicher
waren mit 400 Mark festgelegt und von den hiesi-                 Gerichtsbarkeit, gleichen Steuern und sonstigen
gen Städten aufzubringen. Grünberg steuerte hier                 Rechten48.
einen Betrag von immerhin 140 Mark bei39.                           In der Folge seiner Kämpfe mit aufständischen
    Ein Jahr später, 1255, wurde Grünberg als Mit-               Rittern, von denen der Krieg gegen den Sterner-
glied des Rheinischen Städtebundes genannt – ein                 bund (1372-74) der bekannteste ist, verlangte
Zeichen dafür, dass die territorialen Belange noch               Landgraf Hermann 1375 wiederum die Abgabe des
nicht zur Gänze geklärt waren, der stadtherrliche                Ungelds. Dies reichte allerdings zur Kriegs-
Schutz damit als unzureichend eingeschätzt wurde                 finanzierung nicht aus. Zwar blieb der Stadt selbst
und sich Grünberg als schutzbedürftig sah40. Mit                 die Verpfändung erspart, nicht jedoch einigen Dör-
dem Frieden von Langsdorf 1263 klärte sich die                   fern des Amtes, die in einer Aufstellung von 1377
Situation allerdings dahingehend, dass Grünberg als              genannt werden: Harbach, Stangenrod, Linden-
mainzisches Obereigentum bestätigt, aber an Land-                struth, Queckborn, Saasen und die Tzwei Lume
grafen Heinrich verliehen wurde. Doch schon in                   (Lumda)49. 1382 erfolgte die Pfandschaft auf Geld-
dieser Zeit trug Grünberg einen Anteil von zehn                  erträge der Städte Marburg, Grünberg und Gießen
Prozent an landgräflichen Bürgschaften41.                        an Frankfurter Juden, die dafür die landgräfliche
   Die Grünberger Burg diente den Landgrafen                     Kriegskasse um 1.300 Gulden bereicherten. Davon
immer wieder als Aufenthaltsort, so auch 1272, als               waren 1383 noch 756 Gulden an Schulden übrig,
Landgraf Heinrich den Grünbergern am 16. Okt.                    wovon Marburg 219, Grünberg 340 und Gießen
(in festo beati Galli) ihre städtischen Privilegien              197 Gulden übernahmen und die beiden ersteren
bestätigte – die erste bekannte Nennung42. Darin                 noch im selben Jahr beglichen50, ein eindrucks-
werden u.a. der Gerichtsstand der Bürger, die                    voller Beleg für die damalige wirtschaftliche Potenz
Gerichtsbarkeit von Schultheiß und Schöffen bzw.                 Grünbergs.
das Eingreifen der Burgmannen bei Streitigkeiten
zwischen den Bürgern geregelt. Das oftmals behan-                43   KÜTHER, Burggründung S. 69-70.
delte und betonte Verbot der Sendgerichtsbarkeit                 44   Der schwere Kölner Pfennig galt in dieser Zeit als eine Art
richtete sich gegen Ansprüche des Oberlehnsträgers,                   überregionale Leitwährung, die bis ins späte 13. Jh. gerade
                                                                      für periodische Zahlungen Verwendung fand; vgl. HESS,
                                                                      Pfennig S. 74-75.
                                                                 45   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 362.
                                                                 46   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 508-512.
                                                                 47   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 508; Landgrafen-
38   ECKHARDT, Klöster Nr. 188, gewährt gleichzeitig den              Regesten online Nr. 533.
     Antonitern beim Holzschneiden die gleichen Freiheiten       48   GLASER, Beiträge Nr. 7; GROTEFEND/ROSENFELD, Reges-
     wie den Burgmannen und Schöffen – milites castellani et          ten 1 Nr. 712; Landgrafen-Regesten online Nr. 788.
     scabini. Laut GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 17        49   GLASER, Beiträge S. 100; Landgrafen-Regesten online
     sind dies Ritter, Burgmannen und Schöffen.                       Nr. 1616; MÜLLER, Ämter S. 136-137.
39   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 50.                     50   ROTHMANN, Messen S. 349 nach Hessisches Staatsarchiv
40   Vgl. KAMINSKY, Bedeutung Anm. 64.                                Marburg (im Folgenden abgekürzt HStAM) Marburger
41   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 76.                          Stadtbuch, fol. 52v; KÜTHER, Burggründung S. 97-98;
42   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 165 (zur Anwe-               BITSCH, Verpfändungen S. 38; LÖWENSTEIN, Quellen
     senheit der Landgrafen: Nrn. 166, 167, 170, 183, 207).           Nr. 178.

6
Hessischer Städteatlas – Grünberg

   Traditionell wird vermutet, dass die beiden                       nung von 1455 das Rathaus oder Häuser von
Stadtbrände von 1370 und 1391 katastrophale Aus-                     Schöffen oder Schultheißen, wie etwa bereits für das
wirkungen für die städtische Wirtschaftskraft hat-                   Jahr 1259 belegt57.
ten. Immerhin hatten sie bewirkt, dass nach 1370                         Als landgräfliche Beamte treten schon früh der
die Stadt für zwanzig Jahre bede- und geschossfrei                   Amtmann (villicus, 1233, 1250) und der Schultheiß
war. 21 Jahre später, nach dem zweiten Brand,                        (scultetus, 1227, 123458, 1250/60) auf, während ein
erfolgte eine erneute Befreiung auf nur mehr zwölf                   Unterschultheiß (subscultetus) erst im 14. Jh. (1315,
Jahre51. Ob der zweite Stadtbrand in Grünberg mit                    1329) erwähnt wird59. Im Verlauf der Zeit kam es
den mainzischen Kriegszügen der Jahre 1390-96/7                      zu einer Verschmelzung der Funktionen von villicus
in Zusammenhang stand, die auch Grünberg betra-                      und scultetus. Zunächst übte ersterer im 13. Jh. noch
fen, muss hier dahingestellt bleiben52.                              hauptsächlich grundherrschaftliche Funktionen
   Die Steuern waren jedoch nicht die einzigen                       aus60. Der Unterschultheiß war vermutlich der
Einkommensquellen der Landgrafen. So ist etwa                        ursprünglich bürgerliche Vertreter des adeligen
der Zoll erstmals 1358 nachweisbar. Bis 1591                         Schultheißen, der dann als officialis zu überregiona-
wurde war das landgräfliche Zollsystem derart aus-                   ler Bedeutung aufsteigen konnte61.
gebaut, dass Zollstätten in Oberohmen, Flensun-                         Das Schöffenkollegium trat erstmals 1241 in
gen, Harbach und Lindenstruth bestanden, die der                     Erscheinung, es handelte sich zumeist um ein Gre-
regionalen Grünberger Zollverwaltung unterstan-                      mium von zwölf Personen (1251, 1305)62. Es
den. Im Zuge infrastruktureller Maßnahmen kam                        ergänzte sich durch Kooptation, d.h., dass von
1586 das Wegegeld dazu, das auf der neuen Straße                     wenigstens zwei Vorgeschlagenen einer von Amt-
zwischen Grünberg und Merlau eingehoben wurde                        mann oder Rentmeister bestätigt und vereidigt
und der Brücken- und Wegebesserung diente53.                         wurde. Die Grünberger Schöffen des Landgerichts
   Die Gerichtsbezirke des Spätmittelalters sind als                 konnten sich hingegen im 16. Jh. bis zur formellen
lokale Organisationsformen gewissermaßen die                         Nachwahl durch einen Schöffen des Gerichts
Reste der zentral gelenkten Grafschaften des Hoch-                   Niederohmen ergänzen63. Die Schöffen nahmen
mittelalters, die in Oberhessen spätestens im 13. Jh.                eine soziale Sonderstellung ein, weil sie am Ratsre-
nicht mehr existierten. Sie sind die Grundlagen für                  giment beteiligt waren. Jede Familie durfte jedoch
die Neuordnung, die Einführung der Ämterverfas-                      nur ein Mitglied im Schöffenrat stellen, um den
sung und damit die lokale Basis und Verwaltungs-                     Einfluss in Grenzen zu halten64. In den Quellen fin-
grundlage des entstehenden Territorialstaats54. In                   den sich 1272 scabini und sculteti, 1245 scabini und
Grünberg wurde sowohl die hohe als auch die nie-                     burgensis sowie 1251 6 milites und 11 scabini 65.
dere Gerichtsbarkeit von Schöffen ausgeübt, die in                     1346 und 1360 richteten auch Burgmannen
dieser Funktion erstmals 1250 genannt werden.                        gemeinsam mit den Schöffen. Dies war zwar vom
Der Galgen befand sich am Galgenberg, außerhalb
der Höfe, Richtung Stangenrod55. Ein Scharfrichter
wird jedoch erst 1505 genannt56. 1577 waren 12
Landschöffen für die hohe Gerichtsbarkeit im ge-
samten Amt und der Stadt Grünberg zuständig. Als                     57   WEISS, Gerichtsverfassung S. 30, 35, 41. Die Vermutung
Tagungsort dienten laut Gerichts- und Polizeiord-                         von WEISS (S. 39), es könnte sich bei den Dingstühlen um
                                                                          einen alten Gerichtsort handeln, gehört wahrscheinlich ins
                                                                          Reich der Sagen, in deren Bereich sie bereits von dem von
                                                                          WEISS zitierten GLASER, Beiträge S. 5 und 53, vergelegt
                                                                          wurden. HABICHT, Chronik S. 5, beschreibt die Dingstüh-
51   MÜLLER, Ämter S. 55; DIEMAR, Chroniken S. 277; GLASER,               le zwar als ein mit steinernen Pfosten und Ketten eingefrie-
     Beiträge S. 104. Die oftmals angestellte Vermutung, die              digten Platz, die Forschung blieb jedoch bisher einen
     Brände hätten zu einer Reihe von Auswanderungen                      schlüssigen schriftlichen Beleg schuldig. Zudem spricht die
     geführt, lässt sich nicht wirklich belegen. Selbst die durch         Lage an der vorstädtischen Kreuzung vor der Antoniter-
     das Frankfurter Bürgerbuch gut belegten Zuwanderungen                pforte an einer wenig exponierten Stelle sowie das Fehlen
     Grünberger Bürger in Frankfurt, die zwischen 1312-1462               eines wie auch immer gearteten öffentlichen oder Sakralge-
     die doch stattliche Zahl von 43 aufweist, zeigt gerade für           bäudes gegen die Annahme eines Gerichtsplatzes an dieser
     die Jahre nach den Bränden keine auffälligen Anstiege. In            Stelle. Vgl. ECKHARDT, Vorarbeiten S. 81.
     den 1370er Jahren fand sich nur ein Beleg für 1377 und in       58   FRANZ, Haina 1 Nr. 83.
     den 1390ern ebenfalls nur einer, nämlich 1398. Die Aus-         59   WEISS, Gerichtsverfassung S. 46; MÜLLER, Ämter S. 135.
     wertung nach GENTGES, Wirtschaft S. 75-77.                      60   WEISS, Gerichtsverfassung S. 48.
52                                                                   61
     KUCZERA, Grangie S. 93.                                              WEISS, Gerichtsverfassung S. 52.
53                                                                   62
     MÜLLER, Ämter S. 55; DIEMAR, Chroniken S. 277.                       WEISS, Gerichtsverfassung S. 54.
54                                                                   63
     WEISS, Gerichtsverfassung S. 15.                                     WEISS, Gerichtsverfassung S. 55.
55                                                                   64
     GLASER, Beiträge S. 52.                                              So 1312: meliores cives; WEISS, Gerichtsverfassung S. 56.
56                                                                   65
     WEISS, Gerichtsverfassung S. 67.                                     WEISS, Gerichtsverfassung S. 59.

                                                                                                                                     7
Hessischer Städteatlas – Grünberg

13. bis zum 15. Jh. üblich, in Grünberg sogar noch                kommen, dass es eine Person öfters erhielt. Der
Ende des 16. Jhs.66. Streitigkeiten von Grünberger                Schultheiß war somit eindeutig landgräflicher
Bürgern untereinander wurden laut Privileg von                    Beamter73. Seine Einkünfte bestanden wesentlich
1272 von Burgmannen, Schultheißen und Schöffen                    aus den Gerichtsfällen, also den Gebühren und den
verhandelt67. Ansonsten gab es keine bestimmten                   Bußen74. Seine wichtigste Zuständigkeit war die
Fälle, an denen das Mitspracherecht von Burgman-                  Durchführung von Pfändungs- und Vollstreckungs-
nen beim Stadtgericht erforderlich war. Sie nahmen                verfahren75. 1305 erfolgte die namentliche Nen-
nicht als Bürger, sondern aufgrund ihrer ständisch                nung von 12 Schöffen. Zwar ist auch eine Erweite-
adeligen Qualität daran teil. Dagegen war der                     rung auf 24 genannt, vermutlich diente diese aber
Schöffenrat eine bürgerliche Genossenschaft, die in               hauptsächlich der Verwaltung. Dazu kam der
ihrer Organisationsform relativ frei war. Die Burg-               Gerichts- oder Landknecht zur Unterstützung des
mannschaft bildete dazu gewissermaßen einen lan-                  Schultheißen76. In Grünberg war das Gericht etwa
desherrschaftlichen Gegenpol, der für sich natürlich              im Gegensatz zu Homberg/Ohm nicht nur für bür-
einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstand68.                       gerrechtliche Streitfälle zuständig, sondern auch für
    Stadträte werden erstmals 1286 genannt (consu-                Strafsachen. Diese wurden vorwiegend anlässlich
les civitatis)69. Es könnte sein, dass zu diesem Zeit-            der ungebotenen Dinge verhandelt. Allerdings
punkt auch bereits ein eigener Bürgermeister exis-                beschränkte sich die Strafgerichtsbarkeit des Stadt-
tierte. Bereits zu Ende des 13. Jhs. kam es zu Aus-               gerichts auf die Bußgerichtsbarkeit, unter die Kör-
einandersetzungen zwischen der Bürgerschaft und                   perverletzungen wie Schlägereien und Messerste-
den Amtsträgern in Fragen des Stadtregiments, Vor-                chereien, Sachbeschädigungen und Beleidigungen
würfe wie Nepotismus und Amtsmissbrauch wur-                      fallen. Tötungsdelikte gehörten offensichtlich nicht
den beklagt70. Erst 1305 konnte dieser Streit zwi-                darunter77. Für umliegende Orte war das Landge-
schen Bürgern und Schöffen beigelegt werden. Die                  richt zuständig78. Dieses Landgericht oder Amt
Bürger erklärten sich zur Leistung der jährlichen                 Grünberg umfasste folgenden Sprengel: Queck-
Steuer und Bede an den Landgrafen bereit. Wäh-                    born, Harbach, Lindenstruth, Saasen, Bolnbach,
rend sich die zwölf Schöffen weiterhin aus den                    Göbelnrod, Reinhardshain, Beltershain, Lumda mit
Schöffengeschlechtern heraus ergänzten, traten                    Kleinlumda, die spätere Wüstung Borningen, Stan-
ihnen nun zwölf jährlich von der Gemeinde                         genrod, Lehnheim, Stockhausen, Weickartshain,
gewählte Bürger zu Seite und bildeten den gemein-                 Lauter, Ilsdorf – soviel auf hessischem Gebiet lag –,
samen Rat. Je zwei Schöffen und Räte waren für die                Flensungen und Merlau. Niederohmen bildete ein
Einhebung des Ungeldes zuständig, worüber jähr-                   besonderes Gericht, welchem nach Atzenhain,
lich Rechnung gelegt werden sollte71.                             Bernsfeld, Wettsaasen, die Wüstungen des 16. Jhs.
                                                                  Schönborn (bis Atzenhain), Pferdsbach (bei Berns-
   Das Privileg von 1272 zeugt von klarer Beset-                  feld) und Königsaasen (bei Niederohmen) angehör-
zung und Funktion der Gerichtsbarkeit. Die                        ten. Pro Jahr mussten drei Rügegerichte oder unge-
Gerichtsverhandlungen mit Grünberger Bürgern soll-                botene Gerichte abgehalten werden, die zu
ten vor dortigen Schöffen und Schultheiß stattfin-                bestimmten Terminen stattfanden und bei denen
den, wobei die Urteilsfindung den Schöffen oblag72.               die gesamte Gemeinde zu erscheinen hatte79.
Die nächste Verordnung von 1455 ist deshalb von
Bedeutung, weil diese Fassung dem Gerichtsbuch                        Die Bedeutung des Grünberger Gerichts zeigte
der Stadt vorangestellt und besonders auf Grünberg                sich zum einen auch an den Akten, an denen die
zugeschnitten ist. Hier steht vor allem die Normie-               Mitglieder teilnahmen – nicht nur Schultheiß oder
rung der Gerichtstätigkeit im Vordergrund. Es han-                Burgmannen, sondern sehr wohl auch die Schöffen.
delt sich um keine Systematik, sondern es werden                  Zum anderen wird anhand mancher der agierenden
Einzelfragen behandelt, um Missbrauch vorzubeu-                   Personen die enge Verbindung zum landgräflichen
gen. Das Amt des Schultheißen wurde unregelmä-                    Haus deutlich, da es sich zum Teil um Personen aus
ßig vom Landgrafen vergeben. Es konnte auch vor-                  dem direkten Umfeld der Landgrafen handelte. So
                                                                  ist bereits 1249, 1261 und 1265 Johann Gulden

66                                                                73
     WEISS, Gerichtsverfassung S. 60; GLASER, Beiträge S. 39.          SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 76.
67                                                                74
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 165.                          SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 78.
68                                                                75
     WEISS, Gerichtsverfassung S. 61.                                  SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 80.
69                                                                76
     WYSS, UB Deutschordens-Ballei 1 Nr. 464.                          SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 83-84.
70                                                                77
     EBEL, Geschichte S. 14.                                           SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 85.
71                                                                78
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 459; KÜTHER,                  SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 88.
                                                                  79
     Burggründung S. 90-91.                                            GLASER, Beiträge S. 51. Dies waren der 18. Jan. Dienstag
72                                                                     nach Walpurgis und der dritte Dienstag nach Michaelis.
     SCHOOFS, Gerichtsverfassung S. 67.

8
Hessischer Städteatlas – Grünberg

(Aureus) als Zeuge genannt, ebenso bei der Schen-                    Die Bedeutung der Religion nicht nur für das
kung Landgräfin Sophies an das Elisabeth-Hospital                 spirituelle, sondern ebenso das soziale und wirt-
in Marburg 125080. Desgleichen erscheint er 1254                  schaftliche Leben der mittelalterlichen Stadt ist bis
als Bürge für die Mitgift für Sophies Tochter81. Sein             heute am besten anhand der Sakralbauten nachzu-
Bruder Meingoz tritt 1263 bei Langsdorf als Bürge                 vollziehen. Allerdings ist die Quellenlage in Grün-
in Erscheinung, als Erzbischof Werner 2.000 Mark                  berg für die Anfangszeit sehr spärlich. 1217 wurde
erhalten sollte und dafür von Sophie 30 Bürgen                    erstmals ein Pfarrer genannt, demnach dürfte ein
gestellt wurden82.                                                Kirchenbau bestanden haben, an den oder auf den
   1269 zeugen beide Brüder Meingoz und                           zu Beginn des 13. Jhs. eine romanische Kirche ge-
Johann83. Im Oktober 1269 bestätigt Landgraf                      baut wurde, die Anfang des 14. Jhs. als gotische
Heinrich den zwischen Johann Aureus und Herrn                     Hallenkirche fertiggestellt werden konnte95. Die
Hademar vollzogenen Kauf eines Hofes beim Turm                    Kirche war nicht geostet, sondern folgte vielmehr
in Grünberg, der vormals der dortigen Kirche                      einer bewusst längsachsigen Einordnung in das
gehörte. Hademar hat diesen erworbenen Hof                        Stadtgefüge, wobei der Ostturm als Abschluss der
coram nostro officiali und vor den Schöffen in                    Sichtachse der Marktgasse diente96.
Grünberg der Stephanskirche in Mainz vermacht84.                     Die zahlreichen Altäre sowohl in der Stadtkirche
1270 wird Johann Gulden erstmals als Ritter be-                   als auch in den Klosterkirchen und Hospitals-
zeichnet85 und 1272 urkundet er über einen von                    kapellen sind sicherlich als Zeugnisse stadtbürger-
Sophie verhandelten Prozess zwischen Dietrich von                 licher Frömmigkeit und Stiftungstätigkeit wie auch
Isenburg und dem Deutschen Orden zu Marburg                       eines wirtschaftlichen Wohlstandes zu interpretieren.
über Güter bei Staufenberg86.                                     Allein für die Stadtpfarrkirche der Altstadt sind acht
    Im Jahre 1245 traten die von Queckborn als                    bzw. neun Altäre erwähnt, die auf Stiftungen zurück
Schöffen, Schultheiß (1262), Burgmannen und selbst                gingen. Diese wurden von Geistlichen betreut, die
als Prokurator der Antoniter (1298) in Erscheinung87.             in einer Bruderschaft zusammengefasst waren97. Die
Seit 1272/73 folgten ihnen die Saasen als Bürger und              Klosterkirchen standen dem kaum nach, so besaß
Zeugen88, 1280 bereits auch als Schöffen: Gerwig                  die Kirche der Antoniter etwa neun bzw. elf Altäre,
und Heinrich genannt von Saasen89. 1285 findet                    die der Augustinerinnen jedoch vermutlich nur
sich der Edle Werner, Herr zu Münzenberg als Burg-                zwei, während sich zur Franziskanerkirche keine
mann in Grünberg90, 1324 Ritter Haplo von Trohe91                 diesbezüglichen Quellen erhalten haben98.
(Drahe) und 1414 Henne Riedesel92. 1429 ist das                      Neben der Pfarrei spielten die Klöster eine
Burglehen nach wie vor erwähnt, Riedesel ist mittler-             sowohl kulturell als auch wirtschaftlich wichtige
weile hier auch zum Amtmann ernannt worden93.                     Rolle in der Stadt. Es war kein Zufall und sicherlich
1517 ist Johann von Hessen, ein illegitimer Sohn                  nicht allein ein aus religiösen Motiven gespeister
Landgraf Ludwigs II., zugleich Amtmann und Rent-
meister in Grünberg94.

80   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 19, 26, 66, 92;
     vgl. WAGNER, Darstellung S. 269.
81                                                                95
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 50. Von den 400               WALBE, Kunstdenkmäler S. 172, 199-204; KÜTHER,
     Mark sollten Marburg 120, Nordeck 20, Grünberg 140,               Kirchliche Leben S. 153-158.
                                                                  96   HESS, Städtegründungen S. 62-63.
     Homberg 10, Alsfeld 60 und Biedenkopf 50 Mark bezahlen.
82                                                                97
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 76.                           KÜTHER, Kirchliche Leben S. 158-159, erwähnt einen
83                                                                     Marienaltar, einen Altar für Misericordias Domini, einen
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 133.
84                                                                     Martins- und Barbaraaltar, einen der 10.000 Märtyrer,
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 135a.
85                                                                     einen Nikolausaltar, einen Sebastians- sowie einen
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 143.
86                                                                     Johannes der Täuferaltar, einen der 12 Apostel sowie einen
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 162.
87                                                                     des Hl. Kreuzes. Der von ihm beanstandete fehlende Beleg
     WAGNER, Beiträge S. 323-324.
88                                                                     des Dreikönigsaltares findet sich hingegen bei
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nrn. 167, 170; vgl.
     WAGNER, Darstellung S. 271.                                       BROSIUS/SCHESCHKEWITZ, Repertorium S. 102, wobei es
89                                                                     sich allerdings um die Kirche im Antoniterkloster handel-
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 229.
90                                                                     te, die ebenfalls über eine erkleckliche Anzahl an Altar-
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 253.
91                                                                     stiftungen verfügte. Ähnlich dazu WALBE, Kunstdenkmäler
     GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 704; vgl. WAG-
     NER, Darstellung S. 272.                                          S. 200, der sich auf GLASER bezieht und anstatt des Martins-
92                                                                     einen Engelsaltar und einen Nikolausaltar erwähnt.
     DEMANDT, Regesten Nr. 541.
93                                                                98
     DEMANDT, Regesten Nr. 949.                                        KÜTHER, Kirchliche Leben S. 172-177, der in der Aufzäh-
94                                                                     lung in der Antoniterkirche nicht sicher erscheint, wohin-
     ECKHARDT, Klöster Nr. 1332. Zur Rolle des Grünberger
     Rentmeisters als landgräflicher Vertreter im Konflikt mit         gegen BROSIUS/SCHESCHKEWITZ, Repertorium S. 102 für
     den umliegenden Herrschaften der Solmser und Laubacher            1463 vier Altäre ebendort erwähnen. WALBE, Kunstdenk-
     im 16. Jh. vgl. SCHMIDT, Grafenverein S. 311-313.                 mäler S. 206.

                                                                                                                                  9
Hessischer Städteatlas – Grünberg

Akt, dass der Landgraf die Ansiedelung der Antoni-             Bettzeug und Stallung zu gewähren108. Dies lässt die
ter und Franziskaner in Grünberg ermöglichte99.                Vermutung zu, dass das Kloster damals keinen
Neben den am Ort ansässigen Orden waren die                    Stadthof in eigener Regie mehr unterhielt.
Stadthöfe anderer Klöster von erheblicher wirt-                   Das Haus des Deutschen Ordens in Marburg lag
schaftlicher Bedeutung. Sie dienten der Sammlung               hingegen nicht in der Stadt, sondern befand sich
und Vermarktung grundherrschaftlicher Produkte,                vor dem Stangenröder Tor – extra muros civitatis
der Einquartierung der eigenen Ordensleute auf der             Grůnenberg ante portam que dicitur Stangenroder dor
Durchreise, in manchen Fällen der Rekrutierung                 – und wird 1320 bzw. 1337 genannt109. 1321 ver-
des Nachwuchses. Stadthöfe wurden aber auch oft                kauft bereits ein Friedberger Bürger dem Orden
an Laien verpachtet und beschränkten sich dann auf             seine Wiesen bei Grünberg und Queckborn für 20
Wohn- und Wirtschaftsfunktionen für die Ordens-                Mark, was die Plausibilität dieses Hofes erhöht110.
leute100.                                                      Der Hof der Augustiner Chorfrauen im nahegelege-
   Früh, bereits 1230, wird der Stadthof des Zister-           nen Wirberg ist urkundlich erst 1388 bzw. 1476
zienserklosters Arnsburg erwähnt, der an der Born-             greifbar. Er lag in der Antoniusgasse, der heutigen
pforte am Winterplatz gelegen hat101. Dieser wurde             Rosengasse, gegenüber der Antoniterkirche111.
1272 von jeder Bede und Steuer befreit und es er-                 Die Landgrafen waren jedoch an ausgeglichenen
ging Befehl an Schultheiß, Schöffen und Amtmän-                Verhältnissen interessiert, so verfügte etwa 1336
ner dafür zu sorgen, dass im landgräflichen Gebiet             Landgraf Heinrich II. zum Vorteil von Stadt und
die Mönche des Klosters Arnsburg von niemandem                 Bürgerschaft gegen die Steuerbefreiung und für eine
belästigt wurden102. 1321 bestätigte Landgraf Otto             Einschränkung des Gütererwerbs durch Geistliche
diese Privilegien103. Neben der landgräflichen Privi-          in der dortigen Gemarkung112.
legierung profitierten die Stadthöfe aber auch von
bürgerlichen Stiftungen und Schenkungen. So trat                  Dienten die Stadthöfe vorwiegend wirtschaft-
1327 ein Ehepaar dem Kloster Arnsburg ihren Zins               lichen Interessen, so fielen in den Zuständigkeitsbe-
von einem Garten vor der Neustädter Pforte in Grün-            reich der ansässigen Klöster wichtige soziale und
berg ab (de quodam orto ante portem novi oppidi in             kulturelle Belange wie die Kranken- und Alten-
Grunenberg)104. Diese klösterlichen Stadthöfe erfüll-          pflege sowie das Schulwesen. Sie bildeten damit
ten allerdings neben ihrer wirtschaftlichen auch reli-         wichtige Faktoren für die Zentralitätsfunktion der
giöse Funktionen, wie die im Arnsburger Hof erst-              Stadt für ihr Umland.
mals 1341 genannte Elisabeth-Kapelle zeigt105.                    Für den Antoniterorden spielte dagegen auch die
   Spätestens 1261 hatte auch das Zisterzienser-               Fernverbindung eine große Rolle, da er weiträumige
kloster Haina Besitzungen in Grünberg, deren                   Almosentätigkeiten pflegte und später Besitzungen
genaue Lage jedoch nicht bekannt ist. Ein Grün-                auch in entfernteren Gegenden hatte. Dies dürfte
berger Bürger und seine Frau übergaben sich und                auch entscheidend für die Standortwahl des Klos-
ihr Haus samt ihrer Schirne (mascello) dem Kloster             ters an der Hauptausfallstraße gewesen sein113. Seit
zu ewigem Besitz, behielten aber lebenszeitliches              dem 10. Jh. war das sogenannte Antoniusfeuer epi-
Nutzungsrecht106. 1312 verkaufte eine Witwe ihr                demisch verbreitet. Dabei handelt es sich um eine
Wohnhaus in Grünberg an Haina107. 1361 verlieh                 Vergiftung von Getreide mit dem Mutterkornpilz,
das Kloster gegen eine jährliche Gülte (Mietzins)              die zu Krämpfen, dem Verlust von Gliedmaßen auf-
einem Ehepaar sein Haus in Grünberg. Das Ehe-                  grund von Durchblutungsstörungen (Ergotismus
paar verpflichtete sich zudem, den Klosterbrüdern              gangraenosus) und meist zum Tod führte. Der Zu-
und ihrem Gesinde, wann immer sie nach Grün-                   sammenhang zwischen dieser Krankheit und dem
berg kämen, Hausbrot zum Tisch, Feuer, Lichter,                Mutterkorn wurde allerdings erst 1630 von einem
                                                               niederländischen Arzt erkannt. Der Antoniter-
                                                               orden, der aus einer Ende des 11. Jhs. gegründeten
                                                               Laienbruderschaft hervorging, machte sich die Pflege
 99   Vgl. BLASCHKE, Bedeutung.                                dieser Kranken zur Hauptaufgabe. Seine Nieder-
100   LINDENTHAL, Haina S. 96.
101   BAUR, UB Arnsburg Nr. 15; 1228 laut POSSE, Urkunden
      Nr. 290; KUCZERA, Grangie S. 219; DAMRATH, Kloster
      S. 322.
102                                                            108
      GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 166.                       FRANZ, Haina 2 Nrn. 672, 715.
103                                                            109
      GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 653.                       ECKHARDT, Klöster Nr. 233; 1320 bei WYSS, UB Deutsch-
104   SPONHEIMER, UB Wetzlar Nr. 346.                                ordens-Ballei 2 Nr. 382.
105                                                            110
      BAUR, UB Arnsburg Nr. 695; FOLTZ, UB Friedberg                 FOLTZ, UB Friedberg Nr. 240.
      Nr. 380.                                                 111   ECKHARDT, Klöster Nrn. 293, 1176.
106                                                            112
      LINDENTHAL, Haina S. 70; FRANZ, Haina 1 Nr. 348.               Landgrafen-Regesten online Nr. 930.
107                                                            113
      LINDENTHAL, Haina S. 77; FRANZ, Haina 2 Nr. 189.               HESS, Städtegründungen S. 65.

10
Hessischer Städteatlas – Grünberg

lassung in Grünberg – vor 1222 gegründet – war                         Die Antoniter waren in Zeiten allgemeiner Geld-
eines der ältesten Häuser dieses Hospitalordens in                  knappheit wichtige Kreditgeber für die Stadtbe-
den deutschen Landen überhaupt114. Zur Erfüllung                    wohner, den regionalen Adel und die Landgrafen,
seiner Aufgabe entfaltete der Orden eine rege Sam-                  aus deren Perspektive die Antoniter zahlungskräftig
meltätigkeit, das sogenannte Terminieren. Der                       und liquide waren123. In ihren Finanzgeschäften
Sammelbereich des Grünberger Klosters umfasste                      bedienten sie sich eines ausgeklügelten Systems in
weite Gebiete im Norden und Osten des Reichs                        dem Geld- und Naturalleistungen möglich waren,
und erstreckte sich über die Erzbistümer Mainz und                  wodurch das kanonische Zinsverbot umgangen
Bremen sowie die Bistümer Verden, Minden, Pader-                    werden konnte. Zur Blütezeit verfügten sie mindes-
born und Osnabrück115. Unter den 42 Generalprä-                     tens über 100 Verträge über den Erwerb von Zins
zeptoreien des Ordens befanden sich sechs deut-                     und Gült, denn viele Schuldner überschrieben
sche, von denen Grünberg als die rührigste galt und                 ihnen die Zinseinnahmen von Gütern oder Steuer-
viele Filialen gründete: 1222 Tempzin bei Wismar                    anteile124. Dadurch konnten sie ihren regionalen
gelegen, 1273 folgte Lichtenburg bei Torgau.                        Einfluss wiederum weiter stärken. So vergaben sie
1289/91 unterhielten die Grünberger Antoniter feste                 1489 ein Darlehen an Landgraf Wilhelm III.125 und
Termineien in Münzenberg, um 1400 ein Stadthaus                     dessen Gewogenheit kam in der zwei Jahre später
in Wetzlar und später bis 1527 eines in Marburg.                    erfolgten Überschreibung des Elisabeth-Spitals zum
1489 ist ein Terminierer in Trendelburg genannt.                    Ausdruck126. Die rege wirtschaftliche Tätigkeit des
1324 waren die Grünberger Antoniter allerdings                      Klosters rief aber auch Konflikte hervor. So kam es
derart verschuldet, dass ihnen der Landgraf den                     etwa nach jahrelangem Streit erst 1433 zu einer
Verkauf von diversen Liegenschaften erlaubte116.                    Einigung mit der Stadt wegen des von den Antoni-
Noch 1379 mussten sie laut Amtmannsbericht                          tern in der Stadt betriebenen Weinverkaufs127.
ihren vor der Stadt gelegenen Hof zu St. Peter ver-                    Sichtbare Indizien für die Blüte des klösterlichen
setzen117. Doch bis zum Ende des 15. Jhs. erlebte                   Wirtschaftslebens sind der später sogenannte Uni-
das Grünberger Antoniterkloster einen erheblichen                   versitätsbau, der um 1500 als mächtiger Speicher-
Aufschwung und zählte bei seiner Auflösung zu den                   bau des Klosters errichtet wurde, sowie die wahr-
reichsten Konventen in Hessen. Dieser Aufschwung                    scheinlich gleichzeitig erfolgte Ummauerung des
wurde durch die Übernahme von Arnsburger Besit-                     Gartens vor der Antoniterpforte bis an den Stan-
zungen in 54 Orten, am Ende des 15. Jhs. auch in                    genröder Pfad128. Bei letzterer Baumaßnahme dürf-
Waldeck gesteigert118. 1489 übernahmen die Anto-                    te aber auch der Einfluss des Landgrafen spürbar
niter im Amt Grünberg, im Busecker Tal und im                       gewesen sein, der damit die Verteidigungskraft
Hüttenberger Land sämtliche Erbgüter des wegen                      seiner Stadt gefestigt wissen wollte129.
eines Brandes überschuldeten Klosters Arnsburg119
und 1493 das niedergegangene Kloster der Augusti-                      Nach einem 1525 aufgestellten Inventar verfüg-
nerinnen in Arolsen in der Grafschaft Waldeck120.                   ten die Antoniter über drei Anwesen in Grünberg,
Die meisten dieser Besitzungen befanden sich inner-                 nämlich den Hof zu St. Peter, einen nicht näher
halb eines Radius von 25-30 km – also etwa eine                     lokalisierten Spitalshof vor der Stadt, sowie den Hof
Tagesreise entfernt und waren dadurch leicht                        in den Höfen mit 6 armen Leuten, worunter das
erreichbar, was eine effektive Verwaltung ermöglich-                Elisabeth-Spital zu verstehen ist130. 1527 wurde das
te121. Dieser Aufschwung war mit ein Verdienst des                  Kloster in Zuge der Reformation säkularisiert und
Jakob Ebelson von Linden, der in den Jahren 1482-                   seine Güter vom Landgrafen eingezogen. Die 1540
1507 in dem Amt des Präzeptors der Antoniter nach-                  gegründete Universität wurde im darauffolgenden
weisbar ist und zu den Räten Wilhelms II. gehörte.                  Jahr mit dem säkularisierten Klostergut wirtschaft-
Er bzw. der Propst des Klosters als sein Vertreter
nahmen auch als Prälaten an den Landtagen teil122.

                                                                    123   MARTIN, Antoniterkloster S. 126.
                                                                    124
114   MARTIN, Antoniterkloster S. 116.                                    1494 verkaufte etwa die Gemeinde Annerod ihre Gemein-
115   MARTIN, Antoniterkloster S. 117; SCHILLING, Klöster S. 81.          debede und Geschoss an das Antoniterhaus zu Grünberg,
116   GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1, Nr. 713; Landgrafen-               Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (im Folgenden abge-
      Regesten online Nr. 789.                                            kürzt HStAD) Grünberg, Antoniter A 3 Nr. 12/4.
                                                                    125
117   ECKHARDT, Klöster Nr. 280.                                          ECKHARDT, Klöster Nrn. 599, 614.
                                                                    126
118   MARTIN, Antoniterkloster S. 123-125.                                ECKHARDT, Klöster Nrn. 615, 638.
                                                                    127
119   MÜLLER, Ämter S. 105-106; ECKHARDT, Klöster Nr. 1144.               Landgrafen-Regesten online Nr. 9047.
                                                                    128
120   MARTIN, Antoniterkloster S. 117-119; SCHILLING, Klöster             DEMANDT, Regesten Nr. 1493; Landgrafen-Regesten on-
      S. 82; ECKHARDT, Klöster Nrn. 634, 636, 645, 651.                   line Nr. 4961.
                                                                    129
121   MARTIN, Antoniterkloster S. 127.                                    MARTIN, Antoniterkloster S. 129.
                                                                    130
122   EBEL, Geschichte S. 40.                                             ECKHARDT, Klöster Nr. 838.

                                                                                                                            11
Hessischer Städteatlas – Grünberg

lich abgesichert131. Dazu trug die Vogtei Grünberg                       dem Konstanzer Konzil (1414-18) im Reich weite
mit den Einnahmen aus den ehemaligen Kloster-                            Verbreitung. Auch der Kölner Erzbischof unter-
gütern der Antoniter und dem Kloster der Augusti-                        stützte die Gründung von Observantenklöstern wie
ner Chorfrauen Wirberg bei. Als Landgraf Ludwig                          etwa in Brühl am Rhein. Unter Landgraf Wilhelm
V. 1607 die hessen-darmstädtische Universität in                         III. erfolgten in Hessen bereits 1489 große Visita-
Gießen gründete, flossen die Gelder nicht mehr                           tionen der beiden Ordensniederlassungen in Mar-
nach Marburg, sondern dorthin132. Allerdings trug                        burg und Grünberg139. Wilhelm beschwerte sich
die Vogtei Grünberg im Vergleich zu den Vogteien                         nicht nur beim Papst und beim Kardinalprotektor
von Marburg und Alsfeld den weitaus größten Teil.                        des Ordens, Giuliano della Rovere, dem späteren
Dies blieb so bis in das 18. Jh.133. Auch die Land-                      Papst Julius II., sondern suchte auch die Unterstüt-
standschaft der Klöster ging an die Universität,                         zung des Kaisers, der sich seinerseits beim Papst ein-
deren Rektoren mit die Prälatenbank auf den hessi-                       setzte, um das lasterhafte Leben der Mönche – die
schen Landtagen besetzten134.                                            Vorwürfe bezogen sich auf unerlaubten Fleischge-
   Ein wesentliches Motiv für Universitätsgründun-                       nuss und Vernachlässigung des Gottesdienstes –
gen war die Einsicht in die Notwendigkeit, mit                           abzustellen140. Am 11. Okt. 1496 entfernte der Prä-
wachsendem Organisationsgrad des Territorialstaa-                        zeptor der Antoniter nach Anhörung und mit
tes und zunehmender landesherrlicher Verantwor-                          Unterstützung von Wachen die Konventualen,
tung für die Landeskirche, die Ausbildung eines                          schickte sie an von ihnen gewünschte Orte und
einheimischen Beamten- und Theologennachwuch-                            übergab das Haus dem Koblenzer Guardian, um es
ses zu fördern. Damit dienten die Universitäten                          mit Observanten zu besetzen. Die Vertriebenen
nicht nur der Konsolidierung des neuen territoria-                       setzten sich zur Wehr, beschwerten sich beim Papst
len Kirchenwesens, sondern darüber hinaus der                            und erst 1499 wurde der ursprüngliche päpstliche
inneren Festigung und Ausübung der landgräf-                             Entscheid zur Entfernung der Konventualen als
lichen Herrschaft135.                                                    rechtens öffentlich bekannt gemacht141.

    Auch die überörtliche Bedeutung des etwas spä-                          Wie sich zeigt, waren die Landgrafen bereits in
ter gegründeten Klosters der Franziskaner ist nicht                      der zweiten Hälfte des 15. Jhs. immer stärker an
zu unterschätzen. So setzte etwa Landgraf Heinrich                       einer Reform der Klöster in ihrem Herrschafts-
I. 1285 den Guardian der Grünberger Franziskaner                         bereich interessiert. Dabei spielten wirtschaftliche
im Augustiner Chorherrenstift Schiffenberg als                           aber auch geistig-soziale Gründe eine zentrale Rolle.
Untersuchungsrichter ein136. Der Stadtbrand von                          Die reformatorische Theologie und das Summepis-
1391 setzte dem Kloster allerdings stark zu, denn es                     kopat des fürstlichen Landesherrn gaben Landgraf
verbrannten nicht nur Teile des Klosters, sondern                        Philipp hier ein neues und effektives Instrumenta-
auch die Kirche wurde stark beschädigt137.                               rium in die Hand142. Bereits die neue, noch vorre-
                                                                         formatorische Polizeiordnung von 1524 war ein
   Das Kloster gehörte zur kölnischen Provinz des                        Schritt in diese Richtung. Darin wurde unter ande-
Franziskanerordens138. In Köln verfügten die Land-                       rem das sittliche Verhalten der Untertanen regle-
grafen damals über erheblichen Einfluss. Landgraf                        mentiert und die Pfarrer und Amtleute an ihre
Hermann wurde hier sogar, nachdem er bereits                             Aufsichtspflicht gemahnt. So wurde etwa Betteln
1473 Stiftsverweser geworden war, 1480 zum Erz-                          und Müßiggang nun auch für Ordensleute verbo-
bischof gewählt. Innerhalb des Ordens gab es bereits                     ten, nur die landgräflichen Finanziers, eben die
Ende des 14. Jhs. unterschiedliche Strömungen,                           Grünberger Antoniter, waren von dieser Vorschrift
wobei die beiden wichtigsten die Konventualen und                        ausdrücklich ausgenommen143.
Observanten waren. Letztere fanden vor allem nach
                                                                             1528 in festo s. Antonii Paduani wurde per land-
                                                                         gräflichem Edikt das Franziskanerkloster säkulari-
131   BAUMGART, Universitäten S. 63-64.                                  siert und seine Insassen vertrieben. Kein einziges
132   MARTIN, Antoniterkloster S. 132-133; ECKHARDT, Wirberg             Franziskanerkloster144 in der Landgrafschaft unter-
      S. 336-337; BINGSOHN, Wirtschaftsgeschichte S. 140.
133   BINGSOHN, Wirtschaftsgeschichte S. 141-142.
134   MARTIN, Antoniterkloster S. 115.
135   BAUMGART, Universitäten S. 69-70.
136                                                                      139
      GROTEFEND/ROSENFELD, Regesten 1 Nr. 255.                                 SCHILLING, Klöster S. 110.
137                                                                      140
      ECKHARDT, Klöster Nr. 924.                                               SCHILLING, Klöster S. 111-113.
138                                                                      141
      Bartholomäus von Pisa berichtete 1385 in seinem Liber                    SCHILLING, Klöster S. 114-116; ECKHARDT, Klöster Nrn.
      conformitatum: Haec provincia Coloniae est notabilis pro-                941-951.
                                                                         142
      vincia in fratribus valoris et bonitatis; et multi fuerunt nobi-         SCHILLING, Klöster S. 114-116.
                                                                         143
      les in dicta provincia notabiles praedicatores et sunt, quorum           SCHILLING, Klöster S. 163-164.
                                                                         144
      fructus in aula caeli reperiuntur. Analecta Franciscana 4 S.             Neben Grünberg bestanden noch Häuser in Marburg und
      26-28.                                                                   Hofgeismar.

12
Sie können auch lesen