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Vitamin-D-Mangel: ein Thema für die Volksgesundheit in Europa Reichrath J, Nürnberg B Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel - Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 2009; 2 (2), 22-25 Homepage: www.kup.at/klinendokrinologie Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism Metabolism
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Vitamin-D-Mangel Vitamin-D-Mangel: ein Thema für die Volksgesundheit in Europa J. Reichrath, B. Nürnberg Kurzfassung: Die meisten Vertebraten benötigen munsystem und protektive Effekte gegen Krebs und synthesis, and it has therefore a central role in ob- Vitamin D, um ein gesundes mineralisiertes Kno- andere Erkrankungen, wie Autoimmun- und Infek- taining a sufficient vitamin D status. Additionally, chengerüst auszubilden und aufrechtzuerhalten. tionserkrankungen. Man kann spekulieren, dass the skin and various other tissues have the capacity Allerdings übt 1,25[OH]2D3, der biologisch aktive die weitere Erforschung der biologischen Effekte to synthesize the biologically active vitamin D Vitamin-D-Metabolit, unabhängig von seinen Wir- von Vitamin-D-Analoga in Zukunft zu neuen thera- metabolite 1,25[OH]2D3, and represent important kungen auf Knochen- und Kalziumstoffwechsel peutischen Einsatzmöglichkeiten führen wird, die target tissues for 1,25[OH]2D3. In keratinocytes and zahlreiche weitere wichtige physiologische Funkti- neben der Krebsprävention auch die Prävention other cell types, 1,25[OH]2D3 regulates growth and onen im menschlichen Organismus aus. Heute wis- von Autoimmun- und Infektionskrankheiten bein- differentiation. Consequently, vitamin D analogues sen wir, dass die Haut im Vitamin-D-Stoffwechsel halten werden. Darüber hinaus ist davon auszuge- have been introduced for the treatment of the hyper- des menschlichen Organismus eine besondere Stel- hen, dass die dermatologischen Empfehlungen zur proliferative skin disease psoriasis. “New” func- lung einnimmt. Sie ist der einzige Ort der Vitamin- Hautkrebsprävention reevaluiert werden, um eine tions of vitamin D analogues include profound ef- D-Photosynthese und hat daher für die Aufrechter- ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Vita- fects on the immune system as well as protection haltung eines ausreichenden Vitamin-D-Status min D zu gewährleisten. against cancer and other diseases, including auto- zentrale Bedeutung. Darüber hinaus hat die Haut, immune and infectious diseases. It can be specu- neben zahlreichen anderen Organen, die Fähigkeit, Abstract: Vitamin D Deficiency: an Important lated that the investigation of biological effects of den biologisch aktiven Vitamin-D-Metaboliten Topic for Human Health in Europe. Most verte- vitamin D analogues will lead to new therapeutic 1,25[OH]2D3 zu synthetisieren und stellt ein wichti- brates need vitamin D to develop and maintain a applications that, besides cancer prevention, may ges Zielgewebe für 1,25[OH]2D3 dar. In Keratino- healthy mineralized skeleton. However, 1,25[OH]2D3, include the prevention and treatment of infectious zyten und anderen Zelltypen reguliert 1,25[OH]2D3 the biologically active vitamin D metabolite, exerts as well as of inflammatory diseases. Additionally, it Wachstum und Differenzierung. Folgerichtig wer- a multitude of important physiological effects inde- can be assumed that dermatological recommend- den Vitamin-D-Analoga inzwischen zur Behand- pendent from the regulation of calcium and bone ations on sun protection and health campaigns for lung der hyperproliferativen Hauterkrankung Psori- metabolism. We know today that the skin has a skin cancer prevention will have to be re-evaluated asis vulgaris eingesetzt. „Neue“ Funktionen von Vi- unique role in the human body’s vitamin D endo- to guarantee a sufficient vitamin D status. J Klin tamin-D-Analoga sind u. a. Wirkungen auf das Im- crine system. It is the only site of vitamin D photo- Endokrinol Stoffw 2009; 2 (2): 22–5. UV-Strahlung, Vitamin D und Hautkrebs Vitamin D: kein Vitamin im Die Bewertung der positiven und negativen Effekte von UV- eigentlichen Sinn Strahlung wird derzeit intensiv diskutiert. Einerseits stellt die Vitamin D ist kein Vitamin im eigentlichen Sinn, da es in der solare UV-Strahlung den wichtigsten umweltbedingten Risi- Haut unter UV-B-Einfluss gebildet werden kann [7]. Bioche- kofaktor für die Entstehung von hellem (epithelialem) Haut- misch gehören die Vitamin-D-Metabolite (Calciferole) in die krebs (Basalzellkarzinome, Plattenepithelkarzinome der Haut) Gruppe der Secosteroide, die wiederum in ihrer chemischen dar und spielt auch bei der Pathogenese des malignen Mela- Struktur den Steroiden ähneln. noms eine wesentliche Rolle [1–6]. Folgerichtig stellen Maß- nahmen zum Sonnenschutz, insbesondere bei Risikogruppen, Der biologisch aktive Metabolit der Calciferole ist 1,25- einen wichtigen Bestandteil zur Prävention von Hautkrebs Dihydroxyvitamin D3 (1,25[OH]2D3, Calcitriol) [7]. Auf- dar. Andererseits wissen wir heute, dass auch eine unzurei- grund seiner Steroidstruktur und weiterer typischer Eigen- chende UV-Exposition der Haut mit schwerwiegenden ge- schaften ist es als Hormon zu bezeichnen, welches in Ziel- sundheitlichen Risiken verbunden ist. Denn der überwiegen- zellen seine genomischen Wirkungen über ein nukleäres de Anteil (ca. 80–90 %) des vom menschlichen Organismus Rezeptorprotein (VDR) vermittelt [7]. Die Nomenklatur des benötigten Vitamin D muss in der Haut unter der Einwirkung Vitamin-D-Systems ist verwirrend: So wird der Begriff „Vit- von UV-B-Strahlung gebildet werden [7]. Wenn diese natürli- amin D“ nicht nur synonym mit Vitamin D, sondern oft che Quelle der Vitamin-D-Versorgung nicht ausreichend ge- fälschlich auch synonym mit 1,25[OH]2D3 verwendet. Auch nutzt wird, resultiert ein Vitamin-D-Mangel, der mit einem der Terminus Vitamin-D-Rezeptor (VDR) ist ungenau, da es erhöhten Risiko für eine Vielzahl unterschiedlicher Erkran- sich hierbei um einen hochaffinen Rezeptor für den biolo- kungen (u. a. Rachitis, Osteomalazie, verschiedene Krebs- gisch aktiven Vitamin-D-Metaboliten 1,25[OH]2D3 handelt. erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionserkran- kungen) assoziiert ist [7–16]. In diesem Artikel wird das Der Vitamin-D-Stoffwechsel im Spannungsfeld zwischen positiven und negativen Effekten menschlichen Organismus: nicht nur der UV-Strahlung unter Berücksichtigung neuer Forschungs- ergebnisse erörtert. von Bedeutung für Knochen- und Kalziumstoffwechsel Aus der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar Ausgangspunkt der kutanen Vitamin-D-Biosynthese ist 7- Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Jörg Reichrath, Klinik für Dermatologie, Dehydrocholesterol (7-DHC). Dieses wird in der Haut gespei- Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, D-66421 Homburg/ chert und dort in einem photochemischen Prozess unter der Saar, Kirrberger Straße; E-Mail: hajrei@uniklinik-saarland.de Einwirkung von ultraviolettem Licht (UV-B; Wellenlänge: 22 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2009; 2 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Vitamin-D-Mangel 290–315 nm) über Zwischenstufen zu Vitamin D3 metabo- höhte UV-Exposition verantwortlich gemacht. Hierzu tragen lisiert [7]. Eine Kumulation von Vitamin D3 in der Haut bei eventuell ein verändertes Freizeitverhalten (Fernreisen in übermäßiger Sonneneinstrahlung wird durch die Bildung un- sonnenreiche Regionen, vermehrte Aktivitäten im Freien, wirksamer Nebenprodukte verhindert [7]. Vitamin D3 ist bio- Solariumbesuche) bei. Aber vor allem die älterwerdende und logisch inaktiv und wird nach der Abgabe ins Blut erst durch somit länger der Sonne exponierte Bevölkerung (Alterspyra- zwei Hydroxylierungsschritte in der Leber und Niere zum ak- mide) führt dazu, dass immer mehr Menschen eine hohe ku- tiven Vitamin-D-Hormon 1,25[OH]2D3 verstoffwechselt [7]. mulative UV-Belastung aufweisen. Es konnte gezeigt wer- Hierzu gelangt Vitamin D3 über den Blutweg an Vitamin-D- den, dass für die Photokarzinogenese des hellen Hautkrebses Bindungsproteine (DBP) gebunden in die Leber, wo es zu 25- charakteristische UV-B-bedingte DNA-Schädigungen (u. a. Hydroxyvitamin D (25[OH]2D3) hydroxyliert wird. Dieser Pyrimidindimere, 6-4-Photoprodukte) in bestimmten Ziel- Stoffwechselschritt ist wenig limitiert und kaum reguliert. genen (Plattenepithelkarzinome: p53-Gen; Basalzellkarzino- 25[OH]2D3 ist der wichtigste im Serum gespeicherte Vitamin- me: PATCHED-Gen) verantwortlich sind. Dagegen verhält es D-Metabolit und der aussagekräftigste Laborparameter für die sich beim malignen Melanom anders als beim hellen Haut- Beurteilung des individuellen Vitamin-D-Status eines mensch- krebs: Beim malignen Melanom spielen UV-B-induzierte lichen Organismus [7]. Die entscheidende zweite Hydroxylie- DNA-Schädigungen keine wichtige Rolle, während kurzzeiti- rung zum aktiven, im Blut zirkulierenden 1,25[OH]2D3 findet ge intensive Sonnenexposition (v. a. Sonnenbrände in der Kind- in der Niere statt [7]. Die renale Produktion von 1,25[OH]2D3 heit) das Melanomrisiko erhöht [3, 4], scheint eine chronische, wird über zentrale Steuerungsmechanismen durch den Plas- wenig intensive Sonnenexposition dagegen eher eine protek- ma-Parathormon-Spiegel sowie den Kalzium- und Phosphor- tive Wirkung zu haben [5, 6]. Zur Prävention des malignen serumspiegel streng reguliert [7]. Wenn 1,25[OH]2D3 im Über- Melanoms ist es daher insbesondere wichtig, Sonnenbrände schuss vorliegt, wird in der Leber über eine 24-Hydroxylase zu vermeiden, die nach heutiger Auffassung über immunolo- vermehrt ein biologisch inaktiver Metabolit (24,25[OH]2D3 gische Mechanismen das Melanomrisiko erhöhen. gebildet [7]. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz ist die Vitamin-D-Synthese allerdings deutlich eingeschränkt. Das Sonnenlicht hat aber auch lebenswichtige positive Wir- kungen. Neben den stimmungsaufhellenden Wirkungen durch Eine wichtige neue Erkenntnis, die zu einem besseren Verständ- die Freisetzung von Botenstoffen im Gehirn (v. a. Endorphine nis der Bedeutung des Vitamin-D-Systems für den menschlichen und Serotonin) ist hier v. a. die UV-B-vermittelte kutane Vit- Organismus geführt hat, war der Nachweis, dass auch zahlrei- amin-D-Synthese zu nennen. Denn ca. 90 % des vom mensch- che extrarenale Gewebe zur Bildung des biologisch aktiven lichen Organismus benötigten Vitamin D müssen in der Haut Metaboliten 1,25[OH]2D3 befähigt sind [7]. Dieses in ver- unter der Einwirkung von UV-B-Strahlung gebildet werden. schiedensten Geweben extrarenal produzierte 1,25[OH]2D3 Zwar kann Vitamin D auch über die Nahrung aufgenommen wird nicht ins Blut abgegeben, ist nicht an der Regulation von und verstoffwechselt werden (Vitamin D2/Vitamin D3), aber Knochen- und Kalziumstoffwechsel beteiligt, sondern kon- nur wenige Nahrungsmittel enthalten relevante Mengen des trolliert ortsständig unterschiedliche Zellfunktionen wie Pro- Vitamins (v. a. ölige Fische wie Lachs, Makrele und Hering liferation und Differenzierung sowie gewebsspezifisch zahl- sowie Fischöle und Lebertran). Entgegen der früheren An- reiche weitere Funktionen wie die Regulation der Insulin- sicht ist Vitamin D nicht ausschließlich für den Kalzium- und sekretion oder des Renin-Angiotensin-Systems [7]. Es konnte Knochenstoffwechsel von großer Bedeutung, sondern es gezeigt werden, dass die lokale Produktion von 1,25[OH]2D3 vermittelt neben zahlreichen weiteren positiven Effekten (u. a. in Makrophagen und anderen immunkompetenten Zellen über auf Muskulatur und Herz-Kreislauf-System, protektive Wirkung VDR- und Toll-like-Rezeptoren-vermittelte Mechanismen gegen Autoimmunerkrankungen, Steigerung der Infektabwehr) ganz wesentlich an der Abwehr von Tuberkulose und anderen auch krebsprotektive Einflüsse [7–9]. Epidemiologische Unter- Infektionskrankheiten beteiligt ist [7]. Diese Mechanismen suchungen zeigten, dass mit zunehmender Entfernung des sind wahrscheinlich auch der wesentliche Grund für die thera- Wohnortes vom Äquator das Risiko ansteigt, an verschiedenen peutische Wirkung der UV-Strahlung bei Lupus vulgaris malignen Tumoren (u. a. Mamma-, Ovarial-, Kolon- und Prosta- (Hauttuberkulose), eine Entdeckung, für die Niels Ryberg takarzinom) zu versterben. Ein Zusammenhang dieser Beob- Finsen 1903 der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde. achtungen mit niedrigen Vitamin-D-Serumspiegeln wurde nach- gewiesen. Entscheidend hierfür ist die Erkenntnis, dass der bio- Negative und positive Wirkungen des logisch aktive Vitamin-D-Metabolit 1,25[OH]2D3 nicht aus- Sonnenlichts: die Wahl zwischen Skylla schließlich in der Niere gebildet wird, sondern dass in vielen an- und Charybdis? deren Geweben der VDR exprimiert wird und die enzymatische Ausstattung zur lokalen Synthese von 1,25[OH]2D33 vorhanden Sonnenlicht wirkt in vielfältigen Facetten auf den menschli- ist [10]. Diesem extrarenal synthetisierten 1,25[OH]2D3 wird u. a. chen Organismus. Die wichtigste negative Wirkung ist das auch eine krebsprotektive Wirkung als autokrines und/oder erhöhte Hautkrebsrisiko bei übermäßiger Sonnenexposition. parakrines Hormon zugeschrieben. Über direkte oder indirekte Hautkrebs ist die häufigste Krebsart in der weißen Bevölke- Mechanismen kontrolliert 1,25[OH]2D3 mehr als 200 Zielgene, rung. Sowohl der helle Hautkrebs (Basalzellkarzinom, Platten- u. a. auch solche Gene, die neben zellulärer Proliferation und epithelkarzinom) als auch der schwarze Hautkrebs (malignes Differenzierung auch Apoptose und Angioneogenese steuern Melanom) weisen weltweit eine steigende Inzidenz auf, wäh- [11–13]. Über diese Mechanismen kontrolliert 1,25[OH]2D3 in rend die Sterblichkeitsraten in den vergangenen Jahren kon- zahlreichen Geweben als ortsständig produzierter Faktor das stant blieben bzw. sanken [1, 2]. Für die steigenden Inzi- lokale Zellwachstum und wirkt präventiv gegen die Entstehung denzraten des hellen Hautkrebses wird maßgeblich eine er- von Krebs und anderen Erkrankungen. J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2009; 2 (2) 23
Vitamin-D-Mangel Physiologische Bedeutung von Vitamin mL von den meisten Experten als Vitamin-D-Defizienz und D und mögliche Auswirkungen eines Werte zwischen 20 und 30 ng/mL als Vitamin-D-Insuffizienz bezeichnet [15, 23–26]. Bei Werten > 30 ng/mL spricht man Vitamin-D-Mangels dagegen von Vitamin-D-Suffizienz [15, 17–20]. Die Exposi- Eine wichtige Funktion des Vitamin-D-Systems ist die Auf- tion des Körpers mit einer minimalen Erythemdosis (MED) rechterhaltung eines stabilen Plasma-Kalzium-Spiegels und Sonnenlicht entspricht in etwa der oralen Einnahme von die Regulation des Knochenstoffwechsels durch Bereitstel- 10.000–40.000 IU Vitamin D. Einige Autoren sehen deshalb lung von Kalzium für die Knochenmineralisation. Dies ge- die Exposition von weniger als 18 % der Körperoberfläche (z. schieht durch Steigerung der intestinalen Kalzium- und Phos- B. Hände, Arme, Gesicht) 2–3×/Woche mit einer Dosis von phataufnahme, Beeinflussung von Knochenmineralisation bis zu 1/3 oder 1/2 MED (minimale Erythemdosis) im Früh- und Knochenresorption, Suppression der Nebenschilddrüsen- jahr, Sommer und Herbst als ausreichend an. funktion und Beeinflussung der renalen Kalzium- und Phos- phatexkretion [14]. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten Die Empfehlungen der täglichen Vitamin-D-Aufnahme mit mit relativ hohen 25(OH)D-Serumspiegeln eine höhere Kno- der Nahrung sind altersabhängig: Neugeborene und Kleinkin- chenmineraldichte aufweisen verglichen mit Patienten mit der sollten bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres unge- niedrigen 25(OH)D-Serumspiegeln [15]. Auch konnte ge- achtet ihrer Ernährung (Muttermilch, Muttermilchersatz- zeigt werden, dass die tägliche Einnahme von Vitamin D das präparate) zwischen 300 und 500 IU Vitamin D3 als Rachitis- Risiko für eine Hüftfraktur um etwa 25 % reduziert [15]. Man prophylaxe erhalten [21]. Für Erwachsene gibt es Empfehlun- geht davon aus, dass schon in utero und während der Kindheit gen, mit der Nahrung täglich 5 µg (entsprechend 200 IU Vita- ein Vitamin-D-Mangel zur verminderten Kalzifizierung des min D3) aufzunehmen; Personen > 65 Jahre benötigen min- Skeletts führt [16]. Bei Kindern, die an Rachitis leiden, destens 10 µg (entsprechend 400 IU Vitamin D3). Aktuell ge- kommt es zu Wachstumsstörungen und Verformungen der hen die meisten Experten davon aus, dass diese Empfehlun- Knochen. Bei Erwachsenen deuten eine erhöhte Weichheit gen deutlich erhöht werden müssen, um wirklich suffiziente und Verbiegungstendenz der Knochen auf das Vorliegen ei- 25-Hydroxyvitamin-D-Serumspiegel zu erzielen, die Schutz ner Osteomalazie hin. Durch eine permanente Stimulierung vor Krebs und anderen Erkrankungen ausüben [22, 23]. Es der Nebenschilddrüsen kann zudem ein sekundärer Hyper- wird geschätzt, dass weltweit etwa 1 Milliarde Menschen Vi- parathyreoidismus resultieren, der das Auftreten einer Osteo- tamin-D-defizient bzw. -insuffizient sind [24]. Dieses Pro- porose begünstigt. blem betrifft alle Altersgruppen und alle Regionen der Erde. Eine aktuelle Studie von Hintzpeter et al. [24] zeigt, dass in Neben Krebserkrankungen konnte auch für zahlreiche weitere Deutschland 57 % der Männer und 58 % der Frauen 25- Erkrankungen gezeigt werden, dass sie mit zunehmender Hydroxyvitamin-D-Serumspiegel < 20 ng/mL aufweisen. Nähe zum Äquator (aufgrund der hohen UV-Exposition) sel- Auch die empfohlene tägliche Vitamin-D-Aufnahme von 5 µg tener auftreten. Es wird der Schluss daraus gezogen, dass ein wird im untersuchten Kollektiv deutlich unterschritten (Frau- Vitamin-D-Mangel diesbezüglich einen Risikofaktor darstellt en: 2,8 µg/Tag; Männer: 2,3 µg/Tag) [24]. (u. a. Hypertonie, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, rheuma- toide Arthritis, Diabetes mellitus Typ 1) [7]. Fazit: Vitamin D wird unterschätzt Nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand geht Ursachen für Vitamin-D-Mangel man davon aus, dass eine maßvolle Erhöhung der Sonnen- Vitamin-D-Mangel ist in der Regel auf eine unzureichende lichtexposition in Bevölkerungsgruppen mit einer hohen Prä- kutane Vitamin-D-Synthese zurückzuführen. Die Ursachen valenz des Vitamin-D-Mangels (u. a. Europa, USA) wahr- hiefür können vielfältig sein: u. a. geringe Intensität der UV- scheinlich zu mehr positiven als negativen gesundheitlichen B-Strahlung während der Wintermonate (so genannter „Vita- Auswirkungen führt, d. h. dass die protektiven gegenüber den min-D-Winter“), eine ausgeprägte Hautpigmentierung (Dun- mutagenen (Hautkrebs-induzierenden) Effekten überwiegen kelhäutige benötigen im Vergleich zu Hellhäutigen die 10– [25–27]. Von einigen Autoren wird postuliert, dass in letzter 50-fache Dosis an UV-B-Strahlung, um gleiche Mengen an Konsequenz auch die Zahl der Krebstodesfälle durch vorsich- 1,25[OH]2D3 zu produzieren), zunehmendes Alter (die Vita- tige Sonnenlichtexposition oder sicherer durch orale Gabe min-D-Produktion ist bei 70-jährigen Menschen 3–5-fach ge- von Vitamin D reduziert werden kann [9, 22]. Es wurde postu- ringer) und die Anwendung von Sonnenschutzcremes (v. a. liert, dass die tägliche Einnahme von 1000–2000 IU Vitamin Lichtschutzfaktor > 8). Ein Vitamin-D-Mangel kann aber auch D ausreichend ist, um bei minimalem Risiko eine effektive durch andere Mechanismen, wie eine verminderte intestinale protektive Wirkung des Vitamin-D-Systems gegen Krebs und Absorption und erworbene oder angeborene Störungen des andere Erkrankungen zu gewährleisten. Studien der letzten Vitamin-D-Metabolismus, bedingt sein. Zeit sprechen dafür, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D sich nicht nur auf die Inzidenz von Erkrankungen auswirkt, sondern auch den Verlauf von Krebs- und anderen Wieviel Vitamin D brauchen wir, um uns Erkrankungen günstig beeinflusst [28]. Gesundheitsökono- vor Krebs und anderen Erkrankungen zu men vertreten die Auffassung, dass eine maßvolle Erhöhung schützen? der Sonnenlichtexposition in Bevölkerungsgruppen mit einer hohen Prävalenz des Vitamin-D-Mangels (u. a. Europa, USA) Obwohl es noch keinen Konsens über den optimalen 25- auch zu einer Senkung der Gesundheitskosten führt [27]. So Hydroxyvitamin-D-Serumspiegel gibt, werden Werte < 20 ng/ wurden die Kosten im Jahr 2004 für das Gesundheitssystem 24 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2009; 2 (2)
Vitamin-D-Mangel der USA aufgrund zu geringer UV-Exposition mit ca. 40–56 neous malignant melanoma. II Importance of 17. Holick MF. High prevalence of vitamin D UV-light exposure. Int J Cancer 1988; 42: inadequacy and implications for health. Mrd. US$ geschätzt, aufgrund zu hoher UV-Exposition dage- 319–24. Mayo Clin Proc 2006; 81: 353–73. gen lediglich mit ca. 6–7 Mrd. US$ beziffert [27]. 5. Elwood JM, Jopson J. Melanoma and sun 18. Malabanan A, Veronikis IE, Holick MF. exposure: an overview of published studies. Redefining vitamin D insufficiency. Lancet Int J Cance 1997; 73: 198–203. 1998; 351: 805–6. In den meisten Regionen genügt eine regelmäßige, aber kurz- 6. Gass R, Bopp M. Mortality from malig- 19. Thomas MK, Lloyd-Jones DM, Thadhani zeitige und begrenzte Sonnenlichtexposition, um ausreichend nant melanoma: epidemiological trends in RI, Shaw AC, Deraska DJ, Kitch BT, Vam- Switzerland. Schweiz Rundsch Med Prax vakas EC, Dick IM, Prince RL, Finkelstein JS. hohe Vitamin-D-Serumspiegel zu erzielen [22, 23]. Bei län- 2005; 94: 1295–300. Hypovitaminosis D in medical inpatients. gerer Sonnenlichtexposition sollte unbedingt ein ausreichen- 7. Holick MF. Vitamin D deficiency. N Engl J N Engl J Med 1998; 338: 777–83. der Sonnenschutz (z. B. durch Sonnenschutzcremes) prakti- Med 2007; 357: 266–81. 20. Dawson-Hughes B, Heaney RP, Holick MF, Lips P, Meunier PJ, Vieth R. Estimates ziert werden, um einem Sonnenbrand und anderen schädli- 8. Garland CF, Comstock GW, Garland FC, of optimal vitamin D status. Osteoporos Int Helsing KJ, Shaw EK, Gorham ED. Serum- chen Folgen exzessiver Sonnenlichtexposition vorzubeugen 2005; 16: 713–6. 25-hydroxyvitamin D and colon cancer: eight [7, 22, 23]. Der Vitamin-D-Serumspiegel sollte insbesondere year prospective study. Lancet 1989; 2: 21. 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Br vention von Autoimmun- und Infektionskrankheiten be- 2728S–2734S. J Cancer 2009; 100: 450–4. inhalten werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die dermatologischen Empfehlungen zur Hautkrebs- prävention reevaluiert werden, um eine ausreichende Prof. Dr. med. Jörg Reichrath Versorgung der Bevölkerung mit Vitamin D zu gewähr- Geboren 1962. 1982–1988 Studium der Human- leisten. medizin an der Universität des Saarlandes. 1991 Promotion am Institut für Humangenetik der Uni- versität des Saarlandes, 1991–1993 und 1994– 1999 Assistenzarzt an der Universitäts-Haut- mour stages and localization (epidemiology klinik in Homburg, 1993–1994 Ausbildungs- Literatur: stipendiat an der Boston University School of of skin cancer). Br J Dermatol 2003; 149: 1. Holmes SA, Malinovszky K, Roberts DL. 1200–6. Medicine. 1996 Facharzt für Haut- und Ge- Changing trends in nonmelanoma skin can- 3. Gandini S, Sera F, Cattaruzza MS, schlechtskrankheiten, Allergologie und Umwelt- cer in South Wales, 1988–98. Br J Dermatol Pasquini P, Picconi O, Boyle P, Melchi CF. 2000; 143: 1224–9. medizin. 2000–2004 Oberarzt an der Universi- Meta-analysis of risk factors for cutaneous 2. Katalinic A, Kunze U, Schafer T. Epidemi- melanoma:II. Sun exposure. Eur J Cancer täts-Hautklinik Homburg, 2000 Venia legende für Dermatologie, 2004 ology of cutaneous melanoma and nonme- 2005; 41: 45–60. außerplanmäßiger Professor. Seit 2005 leitender Oberarzt und ständiger lanoma skin cancer in Schleswig-Holstein, 4. Osterlind A, Tucker MA, Stone BJ, Jensen Vertreter des Klinikdirektors an der Universitäts-Hautklinik Homburg. Germany: incidence, clinical subtypes, tu- OM. The Danish case-control study of cuta- J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2009; 2 (2) 25
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